The Queen of Attolia

The Queen of Attolia von Megan Whalen TurnerNachdem die Königin von Attolia ein in ihrem Palast spionierendes Mitglied des Königshauses von Eddis hat verstümmeln lassen, eskaliert der  schon lange schwelende Konflikt zwischen den beiden Ländern vollends. Der Krieg ruft nicht nur den immer noch eroberungslustigen König von Sounis sondern auch das mächtige Mederreich auf den Plan, und bald droht den drei kleinen Staaten ihre Zerstrittenheit wirtschaftlich wie politisch zum Verhängnis zu werden. Ein Verlust der Unabhängigkeit scheint kaum noch abzuwenden. Doch zweierlei hat der medische Gesandte Nahuseresh bei seinen Intrigen nicht bedacht: Die Macht der Götter – und die Unberechenbarkeit menschlicher Gefühle…

– When he fell asleep, he dreamed the queen of Attolia was dancing in her garden in a green dress with white flowers embroidered around the collar. It started to snow, dogs hunted him through the darkness, and the sword, red in the firelight, was above him, and falling. –
Chapter Five

Dass ein zweiter Band die im ersten Teil einer Reihe geweckten Erwartungen nicht einlöst, hat gewiss jeder Leser schon erlebt – aber selten wird ein solcher Bruch derart bewusst und erschütternd vollzogen wie hier von Megan Whalen Turner. The Queen of Attolia erlaubt einem weder wohliges Schwelgen in mediterranen Landschaften noch unbefangenes Vergnügen an Abenteuern, sondern wagt sich an ernste Themen. Neben dem Umgang mit politischer und persönlicher Verantwortung stehen vor allem das Erdulden und die mögliche Überwindung von Leid im Vordergrund.

Die Götter haben weiterhin allenthalben die Hand im Spiel, doch ihr Einfluss steht in ständiger Wechselwirkung mit den Entscheidungen der Menschen, deren Taten sich nicht einfach durch das Eingreifen höherer Mächte ungeschehen machen lassen und so letztlich stärker als alle übernatürlichen Faktoren den Gang der Ereignisse bestimmen. Den Konsequenzen des eigenen Handelns kann sich daher keiner der Protagonisten entziehen, und was politisch geboten erscheint, widerspricht oft genug ihren heimlichen Wünschen oder ihrem ethischen Empfinden. List und Tücke bieten zwar häufig eine taktische, aber nur selten eine wirkliche befriedigende Lösung der Probleme, mit denen sich jeder einzelne im Laufe des langen Kriegs konfrontiert sieht, und der Preis, der für das eigene Weiterkommen gezahlt werden muss, ist oft sehr hoch. Das merkliche Vergnügen, mit dem Turner in ihrer bewährten Technik, Entscheidendes oft nur verhüllt anzudeuten, Intrigen und Winkelzüge schildert, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auch und vor allem Geschichten des Verlusts erzählt: Von körperlicher und psychischer Unversehrtheit, moralischen und religiösen Gewissheiten, äußerer und innerer Freiheit und nicht zuletzt auch von liebgewonnenen menschliche Beziehungen muss mehr als eine Gestalt unwiderruflich Abschied nehmen. Vor allem der Dieb Gen macht in dieser Hinsicht eine ebenso schlüssige wie herzzerreißende Entwicklung durch, an deren Endpunkt er nur noch wenig mit dem unbekümmerten Spötter gemein hat, als der er dem Leser in The Thief entgegengetreten ist.

Ein düsterer und deprimierender Roman also? Nicht ganz, denn er ist zugleich – so sehr dies überraschen mag – ein Loblied auf die Liebe und ihre hoffnungstiftende Kraft, die über Zwang und Widrigkeiten triumphieren kann. Während die Thematik in der ersten Hälfte des Buchs eher auf leisen Sohlen in einer scheinbar zufällig erzählten Göttersage eingeführt wird, gewinnt sie im weiteren Verlauf an Bedeutung. Romantasygeschädigte müssen dennoch nicht in Panik geraten: Der schwierige Annäherungsversuch zweier Menschen, die einander in der Vergangenheit wahrlich keine Wohltaten erwiesen haben, ist anrührend geschildert und von jedem Kitsch weit entfernt. Ohnehin wird man effekthascherische Szenen in diesem Buch vergebens suchen, obwohl es Situationen gibt, die manch ein Autor wohl als Steilvorlage betrachtet hätte, sich in drastischen Beschreibungen zu ergehen (so wird z.B. einer zentralen Gestalt auf offener Bühne die Hand abgehackt). Turner ist eher an langfristigen Folgen vor allem psychologischer Natur interessiert. Auf ihre zurückhaltende Erzählweise, die einen Kontrast zu der in der modernen Fantasy weit verbreiteten, quasi filmischen Unmittelbarkeit bildet, muss man sich also weiterhin einlassen. Wer dazu bereit ist, wird mit einem überdurchschnittlichen Lektüreerlebnis belohnt.

Trotz all dieser Qualitäten lässt sich aber eines nicht verschwiegen: The Queen of Attolia ist ein Buch mit Übergangscharakter, das dazu dient, den im ersten Band vorgegebenen Status quo aufzubrechen und die Charaktere für den Fortgang der Serie in Position zu bringen. Diese Brückenfunktion lässt die liebevolle Darstellung der Welt, die so viel zum Charme der Reihe beiträgt, etwas in den Hintergrund treten; eine Ausnahme bildet allenfalls das sehr gelungene Kontrastprogramm zwischen dem Königshof von Eddis (der vorwiegend aus dem ausgedehnten Familienclan der Herrscherin besteht) und seinem von Machtgier und Misstrauen geprägten attolischen Pendant.

Diese Kritikpunkte fallen aber eigentlich nur dann ins Gewicht, wenn man den Roman, den man auch als in sich abgeschlossene Geschichte lesen kann, in den Kontext von Vorgänger- und Nachfolgeband einordnet. Verzichtet man auf diesen Vergleich, so bleibt einem neben den feinfühlig gezeichneten Charakteren vor allem eines in Erinnerung: Die hoffnungsvoll stimmende Bereitschaft der Autorin, in einer ungeschönten Wirklichkeit neben Leid auch Tröstliches gelten zu lassen.

Stand: 08. Oktober 2012
Erscheinungsjahr: 2000
Verlag: HarperCollins
ISBN: 978-0-06-084182-9
Seitenzahl: 362
Titel der Übersetzung: Die Königin