Nur vereint könnten sich die rivalisierenden Staaten Sounis, Eddis und Attolia der Eroberung durch das Mederreich widersetzen – wenn es nach dem Magus des Königs von Sounis geht, unter Führung seines Herrn, dem er mithilfe eines sagenumwobenen Steins die Herrschaft über Eddis sichern will. Um das Artefakt aus seinem Versteck im feindlichen Attolia zu holen, benötigt er einen geschickten Einbrecher. Der Meisterdieb Gen, den seine Prahlerei mit einer besonders dreisten Untat ins Gefängnis gebracht hat, kommt ihm da gerade recht. Mit einigen Begleitern brechen die beiden nach Attolia auf. Doch unter den Gefährten lauert ein Verräter, und auch Götter, an die niemand mehr so recht glauben will, nehmen Einfluss auf den Ausgang des Abenteuers…
-It’s a funny thing that the new gods have been worshiped in Sounis since the invaders came, but when people need a truly satisfying curse, they call on the old gods.-
Chapter Two
Ein All-Age-Titel, der noch dazu nach allzu klassischer Questenfantasy klingt? Nichts Besonderes, so möchte man meinen, und würde damit dem ersten Band von Megan Whalen Turners Attolia-Reihe bitter unrecht tun.
Allerdings lässt sich ein Teil dessen, was den Reiz des klug aufgebauten Romans ausmacht, kaum ohne größere Spoiler benennen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass der Ich-Erzähler Gen – ein Trickster, wie er im Buche steht – zwar nicht eigentlich unzuverlässig berichtet, aber doch eine Reihe von Äußerungen tätigt, die den Leser in die Irre führen und erst in der Rückschau ihre eigentliche Bedeutung entfalten. Wer gern zwischen den Zeilen liest und aufmerksam Wortwahl und subtile Hinweise verfolgt, wird aber schon früh bemerken, dass nicht alles ist, wie es zu sein scheint.
Ohnehin ist die Bereitschaft, sich auf eine ruhig erzählte, eher durch Feinheiten als durch grelle Effekte wirkende Geschichte einzulassen, eine Grundvoraussetzung, um The Thief (Der Dieb) zu genießen, denn viel Spektakuläres geschieht zunächst einmal nicht. Anders als die meisten Fantasyhelden begegnen die Gefährten des Magus (der noch nicht einmal über Zauberkräfte verfügt) nämlich nicht hinter jeder Wegbiegung einem Ungeheuer, das nur auf sie gewartet zu haben scheint, sondern schlagen sich mit den ganz profanen Tücken des Reisealltags und Spannungen innerhalb der Gruppe herum. Die einzelnen Figuren sind dabei sehr differenziert und menschlich gezeichnet, so dass man ihre Interaktionen gespannt verfolgt, ohne aufregende Gefahren zu vermissen. Dabei lohnt es sich, auch auf Details zu achten: Vieles von dem, was zwischen geruhsamen Mahlzeiten, Reit- und Fechtstunden, Kletterpartien und Abenden am Lagerfeuer scheinbar nur am Rande Erwähnung findet, erweist sich im weiteren Verlauf der Serie (und durchaus nicht allein in diesem Buch) noch als wichtig.
Ganz nebenbei taucht man auch in die liebevoll ausgearbeitete mediterrane Welt ein, deren Städte, Bauerndörfer, Gebirge und Olivenhaine einem bald lebendig vor Augen stehen und mit der ein oder anderen Anspielung auf das reale Griechenland glänzen (so findet man etwa in der Hauptstadt von Sounis Elemente des antiken Athen mit dem Löwentor von Mykene kombiniert). Das Konzept einer an das Altertum angelehnten polytheistischen Welt, die sich gleichwohl bis in die frühe Neuzeit weiterentwickeln durfte (so gibt es z.B. Feuerwaffen), fasziniert auch in Abwesenheit klassischer Fantasyelemente, für deren Fehlen zudem die äußerst authentisch wirkenden Göttersagen entschädigen, die immer wieder eingeflochten werden. Die Gefahr, sich im Zuge dieser Reisebeschreibung nach einem Urlaub am Mittelmeer zu sehnen, ist für Leser mit entsprechenden Vorlieben durchaus gegeben.
Wie weit The Thief dennoch von bloßer Wohlfühllektüre entfernt ist, wird aber spätestens im letzten Drittel der Geschichte deutlich, wenn schlagartig Leid und Tod, vor denen auch liebgewonnene Charaktere nicht gefeit sind, in das bis dahin eher harmlose Abenteuer einbrechen und moralische Fragen aufgeworfen werden, auf die es keine eindeutigen Antworten geben kann. Wenn im Zuge dessen selbst Gen, der sich bisher erfolgreich durchs Leben gemogelt hat, erkennen muss, dass List und spöttische Distanz in manchen Situationen weder weiterhelfen noch überhaupt wünschenswert sind, wirkt diese plötzliche Wahrhaftigkeit wie ein Fanal für die folgenden Bände, in denen – so viel sei hier schon vorab verraten – mit einigen der Protagonisten auch die Themen erwachsener werden.
So sollte man The Thief vielleicht vor allem als charmante erste Begegnung mit einer Welt und einem Figurenensemble lesen, die weit mehr zu bieten haben, als sie in diesem gefälligen Jugendabenteuer zeigen können.