Zyklus: Song of Ice and Fire@A

Cover des Buches A Feast for Crows von George R.R. MartinDer Krieg in Westeros ist zum Erliegen gekommen. Mit Tywin Lannister ist der letzte große Feldherr und Herrscher der Vergangenheit ermordet worden und seine machtgierige Tochter Cersei sitzt als Regentin auf dem Eisenthron. Doch der Eindruck des Friedens täuscht, und es bleibt nicht viel Zeit für die Bewohner von Westeros, ihre Verstorbenen zu begraben und sich auf die Ankunft des Winters vorzubereiten, denn in King’s Landing und den anderen Machtstätten des Reiches werden schon wieder neue Bündnisse geschmiedet und Intrigen geplant. Es ist die Ruhe vor einem noch gewaltigeren Sturm.

-“Dragons”, said Mollander.-
Prologue

Um eins vorweg zu nehmen: im Großen und Ganzen bleibt Martin sich treu, das Buch ist keine Enttäuschung oder ein Beweis, dass der Autor langsam den Faden verliert und die Geschichte maßlos in die Länge zieht. Dennoch hat der vierte Band dieser Saga so einige Schwächen, die das Lesevergnügen ein wenig schmälern.
Abgesehen davon, dass die Hälfte der Charaktere fehlt, ist die Handlung nicht so interessant wie bei den Vorgängern.

Der Krieg ist weitgehend geschlagen, jetzt ist, wie der Titel schon sagt, die Zeit der Krähen. Intrigen und Machtspiele zwischen Cersei (die im Vergleich mit den anderen Charakteren den Hauptteil des Buches stellt) und dem Rest von Westeros stehen im Vordergrund.
Das ist aber nicht der Grund, weshalb das Buch schlechter ist als die ersten drei Teile. Meiner Meinung nach darf Westeros ruhig erst einmal zur Ruhe kommen, außerdem sind die Machtspiele rund um den Königshof sehr intelligent ausgearbeitet und beschrieben. Überraschungen gibt es zur genüge.

Zunächst einmal kommen neben den bekannten Charakteren noch ein paar Neue hinzu, die man erst zuordnen muss; keine allzu leichte Aufgabe, wenn man seit dem Erscheinen des letzten Bandes nicht mehr in Westeros zu Besuch war. Nach einigem Nachlesen und Hin- und Herblättern dürfte man dieses Hindernis schnell überwunden haben.
Die Handlung ist gleichzeitig Stärke wie Schwäche des Buches. Leider merkt man ihm doch an, dass es lediglich ein Brückenbuch hin zu den Folgebände ist. Zwar gibt es wieder jede Menge spannende und raffinierte Handlungsstränge, die einem zum Weiterlesen ermutigen, aber irgendwie schafft es Martin in jedem zweiten Kapitel mindestens eine Sex-Szene unterzubringen. Ich persönlich habe nichts gegen Sexszenen in Fantasybüchern, aber bitte in Maßen und nicht in Massen. Einzig Brienne darf noch mehr oder wenig unbehelligt ihrer Wege gehen (obwohl ihr jedes Mal angedroht wird, sie zu vergewaltigen), ansonsten scheint nach dem Krieg ein großes Liebesbedürfnis zu herrschen und jeder darf einmal (zweimal, dreimal…). Also bitte, Herr Martin! Das können Sie besser. Auch ohne große Schlachten sind Ihre Bücher allemal lesenswert!

Gemäß der Handlung wird auch die Sprache derber. Das ist okay, wenn Martin aus der Sicht von normalen Menschen schreibt, und es trägt dazu bei, das Buch realistischer zu machen. Aber irgendwann, nachdem der zehnte “edle” Ritter nur noch von dem Einen träumt oder die Hofdamen ihre Lust preisgeben und das mit entsprechenden Worten verdeutlichen, will man die Stellen einfach nur überspringen.
Das alles heißt aber jetzt bei weitem nicht, dass der Roman völlig daneben ist. Wie gesagt, im Großen und Ganzen wieder ein toller Roman aus Westeros, nur nicht ganz so gut wie seine Vorgänger.

A Dance with Dragons von George R. R. MartinWährend in Westeros ein harter Winter anbricht, setzt sich das Ringen um die Macht fort. Jon Snow ist bestrebt, die offiziell neutrale Nachtwache zwischen den verfeindeten Parteiungen hindurchzulavieren und zugleich eine Allianz gegen die immer bedrohlichere Gefahr aus dem Norden zu schmieden. Daenerys Targaryen muss sich unterdessen mit ihren kaum noch zu bändigenden Drachen und den Tücken der Herrschaft über das fremdartige Meereen auseinandersetzen. Sie ahnt nicht, dass neben mehreren Bewerbern um ihre Hand auch Tyrion Lannister auf der Suche nach ihr ist und dabei eine unglaubliche Entdeckung macht, die alles verändern könnte…

– The night was rank with the smell of man. The warg stopped beneath a tree and sniffed, his grey-brown fur dappled by shadow. A sigh of piney wind brought the man-scent to him, over fainter smells that spoke of fox and hare, seal and stag, even wolf. Those were man-smells too, the warg knew; the stink of old skins, dead and sour, near drowned beneath the stronger scents of smoke and blood and rot. Only man stripped the skins from other beasts and wore their hides and hair. –
(Prologue)

Kaum ein Buch im Fantasygenre dürfte in letzter Zeit so ungeduldig erwartet worden sein wie A Dance with Dragons (Der Sohn des Greifen, Ein Tanz mit Drachen). George R.R. Martin musste sich in den immerhin knapp sechs Jahren seit dem Erscheinen des Vorgängerbands A Feast for Crows (Zeit der Krähen, Die dunkle Königin) aufgrund seines Arbeitstempos einiges an Spott und Kritik gefallen lassen, und die Erwartungen der Fans waren hoch. Ganz unbeeinflusst davon kann keine Einschätzung des vorliegenden Romans bleiben, der in der Tat nicht nur Martins unbestreitbare Stärken ausspielt, sondern auch recht deutlich zeigt, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hat.

Für Leser, die sich vorwiegend danach gesehnt haben, wieder tief in Martins Welt eintauchen zu dürfen, hat sich die Wartezeit gelohnt. Martin erweist sich einmal mehr als unübertroffener Schilderer eines prallen Settings, das vor Sinnenfreuden und Scheußlichkeiten gleichermaßen überquillt. Der in einem furios eingefangenen Wintereinbruch immer weiter erstarrende Norden und der kriegs- und seuchengeplagte Süden, in dem Vorboten der neuen Jahreszeit nur langsam Fuß fassen, bilden die Kulisse für Ansprechendes wie Abschreckendes, aber auf jeden Fall Bewegendes. Martin schwelgt in Intrigen, Magie, ungehemmter Sexualität, Blutvergießen aller Art (von Gladiatorenkämpfen über Morde und Hinrichtungen bis hin zu Menschenopfern) und immer wieder auch in Tafelfreuden verlockender wie zweifelhafter Natur. Gelegentlich erliegt er dabei wohl vor allem der Faszination des Entsetzlichen: Wenn etwa aus Sicht des fast um den Verstand gefolterten Theon Greyjoy der gnadenlose Sadismus eines Ramsay Bolton breit ausgewalzt wird, lässt sich das nicht mehr allein als ungeschminkte Darstellung der Schattenseiten einer pseudomittelalterlichen Welt abtun, sondern bewegt sich irgendwo zwischen Schockeffekt und schlichter Geschmacklosigkeit.

Selbst wenn man sich von diesen Elementen (und auch von der prononcierten Neigung, insbesondere Frauengestalten in erniedrigenden, sexuell konnotierten Situationen zu präsentieren) abgestoßen fühlt, muss man dem Autor lassen, dass er sein erzählerisches Handwerkszeug nach wie vor blendend beherrscht. Obwohl manche Motive, derer er sich bedient, offensichtliche Entlehnungen bilden (so begegnen einem unter anderem Reminiszenzen an die Apokalypse, Macbeth, El Cid und Lady Godiva), sind sie unbestreitbar wirkungsvoll.

Das alles kann über eines nicht hinwegtäuschen: Die Gesamthandlung kommt kaum voran, und das nicht etwa nur, weil ein Großteil des Romans zeitlich parallel zu A Feast for Crows spielt. Trotz der vordergründigen Ereignisfülle wird auf über 950 Textseiten eigentlich nicht viel erreicht. Gerade wenn man die gemächlichen Fortschritte der Haupthandlung mit dem vergleicht, was etwa ein David Anthony Durham oder ein Daniel Abraham in einem wesentlich kürzeren Band kompakt vermitteln kann, wird man den Verdacht nicht los, dass Martin sich mit seiner überaus szenischen Erzählweise und den Heerscharen von Protagonisten mittlerweile selbst im Wege steht.

Erschwerend kommt hinzu, dass ausgerechnet den für die Gesamthandlung bisher recht zentralen Publikumslieblingen Jon, Daenerys und Tyrion nicht unbedingt die interessantesten Passagen zugeordnet sind. Während Tyrion, Reiseabenteuer hin oder her, vorwiegend damit beschäftigt ist, mit seinem Schicksal und besonders mit seinem immer noch nicht überwundenen Übervater zu hadern, läuft sich der Plot um die Targaryen-Prinzessin in einer eigenartigen Mischung aus schwülstiger Altmännerphantasie und Schilderungen herrscherlicher Inkompetenz tot. Jon Snow darf immerhin ein paar neue Entwicklungen anstoßen, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich – deutlich illustriert durch die Hinrichtungsszene relativ zu Anfang seines Handlungsstrangs – zu einem Abklatsch von Eddard Stark entwickelt und letztendlich auch ähnliche Fehler begeht wie sein tatsächlicher oder vermeintlicher Vater.

Ob es Martin dabei jeweils um die bewusste Gestaltung eines Scheiterns geht, bleibt unklar, doch wenn sich überhaupt ein Thema als verbindender roter Faden anbietet, ist es wohl das menschlichen Versagens und enttäuschter Erwartungen. Kaum eine Hauptfigur erreicht langfristig das, was sie sich vorgenommen hat: Suchen verlaufen ergebnislos, Begegnungen, die den Plot voranbringen könnten, kommen nicht zustande, und viele Fragen bleiben unbeantwortet. Der einzige ganz neue Faktor, der die politische Gesamtkonstellation deutlich verändert, wirkt wie aus dem Hut gezaubert: Eine seit Beginn der Serie für tot gehaltene Person ist wundersamerweise doch noch am Leben und bereit, im Kampf um die Königsmacht mitzumischen.

Abgesehen von dieser einen überraschenden Entwicklung scheint es so, als wolle Martin sich für die Folgebände alle Optionen offen halten und manch eine Entscheidung lieber noch aufschieben. Was also bleibt am Ende? Kein schlechtes Buch, aber auch kein rundum gelungenes. A Dance with Dragons ist ein Zwischengang, der durchaus den Appetit auf mehr wachhalten kann, aber nicht der entscheidende Schritt nach vorn, den A Song of Ice and Fire (Das Lied von Eis und Feuer) an dieser Stelle so dringend gebraucht hätte.