Hüterin des Drachen

Cover von Hüterin des Drachen von Carole WilkinsonSeit Generationen halten die Kaiser des Reiches China Drachen. Nach strengen Riten werden die Drachenhüter ausgewählt, die als einzige in Kontakt zu den weisen Tieren treten können und für deren Wohlergehen sorgen dürfen. Doch der Drachenhüter Lan führt stattdessen fernab des kaiserlichen Hofes auf seinem Gut ein dekadentes Leben und wälzt gelangweilt seine heilige Aufgabe auf das Sklavenmädchen Ping ab. Als der Kaiser den erbärmlichen Zustand der Drachen bemerkt, muss Ping – die niemals zuvor das Gut verlassen hat – fliehen. An ihrer Seite ist der entflohene Drache Long Danzi, der den kostbaren Drachenstein ans Meer bringen will. Eine gefahrvolle und abenteuerliche Reise quer durch China beginnt…

-Der Drache betrachtete sie aufmerksam mit schräg geneigtem Kopf. Wie hatte sie je so dumm sein können zu glauben, er sei bloß ein Tier wie andere auch und nicht intelligenter als ein Ochse oder eine Ziege? “Warum habe ich dich vorher nie sprechen hören?” “Ich habe nie etwas gesagt”.-
Flugangst

Die Geschichte eines Kindes, das einen Drachen auf seiner weiten Reise begleitet, mag auf Anhieb an Cornelia Funkes Drachenreiter und das Gespann aus Lung, dem Drachen, und dem Waisenjungen Ben erinnern. Doch die Abenteuer, die hier Ping und Long Danzi erleben, fallen unter völlig andere Kategorien. Im historischen China erlebt Ping das harte Leben einer Sklavin. Ihre Entwicklung vom unmündigen Mädchen, das zunächst nicht einmal einen Namen hat, zur selbstbewussten Drachenhüterin, die den Gefahren, die in ihrer Welt auf sie lauern, zu trotzen vermag, bildet den Leitfaden der Geschichte. Der verläuft übrigens, was sich schnell (angenehm) bemerkbar macht, keineswegs vorhersehbar: Ping trifft Fehlentscheidungen, vertraut den falschen Freunden, sträubt sich oft gegen den richtigen Weg und benötigt viel Zeit, um sich schließlich doch für den richtigen zu entscheiden. Ohne erhobenen Finger wird vermittelt, wie wichtig es ist, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und den eigenen Horizont überwinden zu lernen. Dass gerade das nicht jedem leicht fällt und einen schweren und steinigen Weg darstellt, wird aber betont. Das macht den Verlauf der Geschichte glaubwürdig und Ping zu einer Persönlichkeit.
Die lebendigen Schilderungen Chinas – der Landschaften, der Riten und Gebräuche, der Handelsstädte, des kargen Lebens der Landbevölkerung, des Prunks und strengen Gehabes am Hofe des Kaisers – verleihen der Atmosphäre die nötige Dichte. Auch die anderen Charaktere, von der alten Magd bis hin zum jugendlichen Kaiser, die mit viel Gespür für menschliche Eigenheiten beschrieben werden, kurbeln die Phantasie ordentlich an. Das Rätsel um den Drachenstein werden wohl die meisten Leser lange vor seiner eigentlichen Auflösung entschlüsseln, doch für die Spannung, die durch die vielen Wendungen der Geschichte immer neuen Auftrieb erhält, bleibt das vollkommen unerheblich. Dabei kommt aber der Humor nicht zu kurz: Pings und Long Danzis Dialoge sorgen regelmäßig für sehr lesenswerte Missverständnisse.

Stand: 14. August 2011
Originaltitel: Dragon Keeper
Erscheinungsjahr: AUS 2003, D 2005
Verlag: Dressler
Übersetzung: Peter Knecht
ISBN: 3-7915-2235-3
Seitenzahl: 311