Gifts

Cover von Gifts von Ursula K. Le GuinIm Flachland liegen die großen und kleinen Städte des Landes mit ihren Märkten, ihren Häusern und Straßen; im kargen Hügelland leben die Clans auf verstreuten Höfen. Das Leben dort ist schwer, doch die Clans besitzen die Gabe, eine Form der Magie, die in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben wird. Denen, die sie besitzen, verleiht sie eine besondere Fähigkeit. Orrec ist der Sohn eines Clanführers und einer Frau aus den Städten, daher ist es ungewiss, ob er die Gabe besitzt, die notwendig ist, um seinem Vater nachfolgen zu können, und zugleich fürchtet er deren potentielle Kraft. Auch das Mädchen Gry hadert mit dem Einsatz ihrer Gabe.

-He was lost when he came to us, and I fear the silver spoons he stole from us didn’t save him when he ran away and went up into the high domains.-
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Die Geschichte wird aus der Sicht des Jungen erzählt. Der Verlag schreibt in einem kurzen Werbetext auf der Rückseite des Einbandes, dass ein Jugendbuch von Ursula K. Le Guin einen mehr zum Nachdenken bringt als manches Buch für Erwachsene. Für mich ist dieses Buch kein Kinder- oder Jugendbuch, auch wenn es für diese Altersgruppe geeignet ist.
Das Buch ist in seiner Art recht typisch für die Autorin. Die einfache Welt, die nicht weit entfernt von unserer Welt in irgendeinem bergigen Hinterland angesiedelt ist, wird mit einer ungeheuer dichten Atmosphäre beschrieben, die die Autorin aus drei Strängen webt. Aus Landschaft, Menschentyp und dem täglichen Handeln schafft sie eine Einheit von Land und Leuten. Die psychologischen Profile der handelnden Personen sind scharf und die Charaktere deutlich ausgearbeitet. Niemand, der in die bescheidene Handlung eingreift, bleibt unscharf oder klischeehaft. Und letztlich sind die Dialoge kleine Meisterwerke der Unauffälligkeit, was immer recht schwer zu erreichen ist. Jeder gesprochene Satz ist bedeutungsvoll und wird für die Geschichte in der einen oder anderen Art und Weise gebraucht. Um so etwas zu erreichen, bedarf es nicht nur einer stilsicheren, einfachen Sprache, sondern vor allem einer meisterhaften Beobachtungsgabe. Die Handlung wird auch nicht von spektakulären Aktionen getrieben, alles verbleibt im Alltäglichen und findet seine Besonderheiten im Umgang mit der Gabe. Auch wenn Menschen und Tiere sterben, geht es nicht um Grausamkeiten oder Krieg, sondern um Bestimmung, freien Willen und Tradition. Daher ist das Buch für Jugendliche geeignet, aber die Vielschichtigkeit der Geschichte ist eher etwas für Erwachsene.
Wer Fantasy sucht, die durch wilde Aktionen, gewaltige Kämpfe und Furcht erregende magische Explosionen gekennzeichnet ist, wird in diesem stillen Roman kaum auf seine Kosten kommen. Wer hingegen Erzählkraft und Meisterschaft in der Sprache sucht, wird auf ein kleines Kunstwerk stoßen. Nur der Einband ist ein wenig nichts sagend.

Stand: 11. September 2012
Erscheinungsjahr: USA 2004
Verlag: Orion
ISBN: 1-842-55107-8
Seitenzahl: 274
Titel der Übersetzung: Die wilde Gabe