Kauls Fischermutter hat dem Jungen erzählt, der Meergott Llyr hätte ihn zu ihr geschickt, um sie über den Tod ihres Kindes hinwegzutrösten. Der Fischer und seine Frau nahmen sich des Kindes an, zogen es auf und liebten es wie ihr eigenes. Doch eines Tages erfährt der Knabe die Wahrheit über seine Herkunft: Kauls richtiger Name ist Mordred, sein Vater ist König Artus. Merlin hatte einst prophezeit, dass Mordred seinen Vater töten würde und um dem Schicksal zu entgehen, hatte Artus versucht, seinen Sohn zu ermorden. Doch selbst als Mordred davon erfährt, hasst er ihn nicht so sehr, dass er Artus töten wolle. Dann aber wird Mordred zum Spielball der Interessen Nyneves, Morgauses und Merlins und das Schicksal nimmt seinen Lauf.
-Weil er der König war, durfte er in dieser Sache keine Gefühle zeigen. Der Wind blies kalt vom schwertgrauen Meer heran, über dem gekrönten Haupt des Königs kreisten schreiende Möwen und zu seinen gestiefelten Füßen lagen vierzig nackte Säuglinge auf dem dunklen Sand, die noch lauter schrien.-
Prolog
Ein grobschlächtiger, verschwitzter Mann, mit strähnigen Haaren und hasserfülltem Blick jagt König Artus das Schwert mit solcher Wucht in den Körper, dass es auf der anderen Seite wieder heraustritt. So kennt man es aus diversen Artus-Verfilmungen und auch diejenigen, die die Artus-Sage nur gelesen haben, dürften eine ähnliche Vorstellung von Mordred entwickelt haben.
Nancy Springers Mordred ist völlig anders. Springer erzählt von einem sechsjährigen Knaben, der zum Mann heranreift. Dieser Heranwachsende ist kein hasserfüllter Jugendlicher, der auf Rache sinnt, nach Macht strebt und darauf wartet, dass seine Stunde kommt. Mordred ist ein Kind, das leidet. Mordred leidet unter dem Makel seiner Geburt, er leidet darunter, dass die ganze Hofgesellschaft sich entweder vor ihm fürchtet, ihn verspottet oder ihn verabscheut, denn alle wissen, dass er es sein wird, der den guten und gerechten König Artus töten wird.
Aber Mordred will Artus nicht töten. Obwohl es ihn schmerzt, dass sein eigener Vater ihn umbringen wollte, liebt und achtet er ihn, wie es alle anderen auch tun, denn Artus ist in der Tat ein guter und edler Herrscher. Und so stellt sich Mordred die Frage, ob es keinen Ausweg gibt, der Prophezeiung zu entgehen. Ist das Schicksal wirklich unabänderlich oder ist Schicksal nichts anderes als die Art, wie man sein Leben lebt und somit individuell gestaltbar.
Mordred jedenfalls will nicht daran glauben, dass das Schicksal unentrinnbar vorherbestimmt ist, er ist gewillt, es selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Wille trägt ihm zu allem Überfluss auch noch den Ruf eines Feiglings ein, denn Mordred verhält sich nicht so, wie es unter Artus’ Rittern üblich ist. Er sucht nicht den Kampf und kämpft nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann aber ficht er tapfer und siegreich, er freut sich nicht an vergossenem Blut und wenn er aus einer Höhle das Fauchen eines Drachen hört, reitet er vorüber. Der Mann ist kein Feigling, der Mann ist vernünftig. Doch diese Art von Vernunft steht bei Rittern wie Gawain nicht hoch im Kurs, der seine Mutter und ihren Liebhaber niedermetzelt um der Ehre genüge zu tun.
Manchmal entsteht beim Lesen der Eindruck, Nancy Springer sei es nicht ganz gelungen, sich in die Psyche eines jungen Mannes einzufühlen und deshalb habe Mordreds Charakter teilweise weibliche Züge. Aber das stört nicht, denn Mordreds Charakter ist absolut schlüssig und es sei hier mit Nachdruck betont, dass Mordred vielleicht einige Verhaltensweisen aufweist, die man eher einer Frau zuordnen würde, dass er aber niemals auch nur im entferntesten den Eindruck macht, weibisch zu sein.
Mordred leidet unter seinem von ihm unverschuldeten Schicksal, und unter den Spielchen die Nynyve, Morgause und Merlin mit ihm treiben, er quält sich, er ist empfindsam und je weiter sich der Roman dem Ende zuneigt, um so mehr fragt sich der Leser, wie dieser seelenvolle Mann, je dazu imstande sein soll, seinen Vater auf dem Schlachtfeld zu töten.
Es ist das letzte Drittel der Geschichte, das Nancy Springers Geschichte zu einem Highlight macht. Dieses letzte Drittel bietet eine großartige, schlüssige und bis dahin nicht vorhersehbare Erklärung für das Ende ihres Romans. Wie dieses Ende aussieht wird natürlich nicht verraten. Vielleicht ist es das Ende, wie man es aus der Artus-Sage kennt, vielleicht hat Nancy Springer Mordreds Geschichte aber auch ganz neu geschrieben. Der Rezensent weiß es, er sagt es aber nicht weiter. Nur so viel: Das Ende ist erschreckend und wunderschön, es ist traurig und glücklich und voller Liebe.
Ein Stapel Taschentücher in Reichweite könnte von Nutzen sein.