Rezensent: Top Dollar

Cover des Buches Aether von Ian R. MacLeodEngland – Die Industrialisierung hat einen Höhepunkt erreicht. Die Fabriken arbeiten auf Hochtouren, vor allen Dingen um ein besonderes Produkt herzustellen: Aether. Ohne Aether würde nichts in England funktionieren. Aether hat England mächtig gemacht – und reich, vor allen Dingen einige Gilden, die eine Art Standesvertretung der verschiedenen Berufszweige sind, und deren führende Mitglieder, die Großmeister. Der junge Robert Borrows soll in einer der Aetherfabriken in der nordenglischen Provinz Werkzeugmacher werden, doch als seine Mutter unter grauenvollen Umständen stirbt, entschließt er sich, nach London zu gehen. Dort schließt er sich einer revolutionären Gruppe an und verliebt sich in ein Mädchen, das zu einer der mächtigsten Familien Englands gehört.

-Ich sehe sie immer noch. Ich sehe sie im ärmsten Teil von London. Jenseits der neuen Eisenbrücken, auf denen die Straßenbahnen über die Fähren hinweggleiten – dort, wo die Themse sich vielarmig im Schlick der Gezeitenzone ausbreitet.-
Teil 1 Großmeister

Aether (The Light Ages) ist ein Entwicklungsroman, der vom gesellschaftlichen Aufstieg eines Opportunisten erzählt, er erzählt aber auch von einer Liebe und von einer großen Lüge. Ian R. MacLeod übt Gesellschaftskritik und er vermittelt dem Leser das Gefühl, eine perfekte Beschreibung der englischen Klassengesellschaft im 19. Jahrhundert zu erhalten. Nur – der Roman spielt nicht im 19. Jahrhundert, sondern am Ende des Dritten Industriellen Zeitalters. Die Arbeiter schuften nicht in Bergwerken und Baumwollwebereien, sondern in Aetherfabriken. Nicht Adlige und Industriebarone haben die Macht, sondern die Großmeister der bedeutendsten Gilden und es gibt Klassenkämpfer, Sozialrevolutionäre, die das System stürzen wollen, auch wenn sie nicht Marx und Engels heißen. Ian R. MacLeod erschafft eine Welt, die dem Leser vertraut ist, weil sie zur europäischen Geschichte gehören zu scheint, andererseits ist sie faszinierend fremdartig. Der Aether hält zwar Maschinen zusammen, die ohne ihn auseinanderfallen würden, aber er birgt auch Gefahren. Mit Aether kann man aus Tieren Monster machen und es gibt Menschen, die nach Unfällen zu furchtbar entstellten Wesen wurden, leidende Kreaturen, die in besonderen Anstalten verwahrt werden müssen. Trotzdem schildert MacLeod keine Horrorszenarien, er legt es nicht darauf an, beim Leser Schockeffekte hervorzurufen, er beschreibt die Wirklichkeit des Dritten Industriellen Zeitalters auf eine selbstverständliche, unspektakuläre Weise und erschafft damit eine ganz besondere Atmosphäre und das obwohl die Menschen in Aether genauso sind, wie sie schon immer waren: Machtgierig, voller Ideale, desillusioniert, verliebt, aufopferungsvoll, egoistisch, widersprüchlich – kurz gesagt: menschlich.

Das Cover von Alaizabel Cray von Chris WoodingDer junge Thaniel Fox ist Hexenjäger, einer der gefährlichsten und anerkanntesten Berufe in ganz London, das seit einer Bombadierung durch Luftschiffe von sogenannten Hexlingen überannt wird – Kreaturen, die aus Mythen und Märchen zu stammen scheinen. Als Thaniel eines dieser gefährlichen Wesen zur Strecke bringen soll, findet er stattdessen ein junges Mädchen ohne Erinnerung, eine Verrückte vielleicht. Doch als Bruchstücke der Erinnerung von Alaizabel zurückkehren, wird klar, daß sie in eine große Bedrohung für ganz London verwickelt ist. Thaniel versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, während sich Alaizabel in ständiger Gefahr befindet: Hexlinge werden von ihr angezogen wie Motten vom Licht.

-Bedrohlich tief kam das Luftschiff daher. Sein langer Bauch schimmerte, vom Licht der Gaslaternen unter ihm getroffen, silbern durch den Nebel.-
1 Verfolgungsjagd/Thaniel erlebt eine böse Überraschung/Erste Eindrücke

Luftschiffe, Hexenjäger und Serienmörder – Alaizabel Cray (The Haunting of Alaizabel Cray) verspricht einen abenteuerlichen Steampunk-Spaß, der sich aber gleich von der ersten Seite an als sprachlicher Rohrkrepierer erweist. Offenbar stand der Roman unter der Prämisse, sich mit hölzernem und effektheischendem Ausdruck an möglichst junge Leser anzubiedern, obwohl er thematisch am ehesten für ältere Jugendliche gedacht ist, die möglicherweise nicht mehr in jedem dritten Satz ein Ausrufezeichen brauchen, um sich gut und spannend unterhalten zu fühlen. Die Holzhammersprache bleibt leider auf der ganzen Länge des Romans erhalten, wirkt in actionreichen oder auch besonders leisen Szenen eher noch unpassender und verdirbt das ansonsten größtenteils doch sehr gelungene Ambiente.

Würden Sprache und Inhalt ein bißchen besser Hand in Hand gehen, so hätte Alaizabel Cray einiges zu bieten: ein nebliges London bei Gaslicht, in dessen Gassen neben Mördern und Wölfen auch mythische Wesen wie Gnome, Werwölfe und Dämonen ihr Unwesen treiben und in dem sich in den Nächten nur die Furchtlosen auf die Straßen wagen – oder diejenigen, die müssen, weil sie bei der industriellen Revolution auf der Verliererseite standen.
Diese düstere Atmosphäre hat Wooding im Prinzip sehr gut eingefangen und  gekonnt mit den phantastischen Elementen verknüpft – besonders gelungen sind ihm beispielsweise die zur Industrialisierungszeit passenden magischen Prozeduren wie die Arbeit mit diversen Reagenzien und magischen Zeichen, aber auch die Namensgebung der auftretenden Figuren zeugt eigentlich von einem guten Gefühl für das Setting.

Bei der Ausarbeitung der Charaktere hatte diese Sorgfalt allerdings auch schon wieder ein Ende – sie bestechen eher durch Coolness als durch Charme und haben eine starke Tendenz zu comicartigen, aufgeblasenen Superhelden, deren Beweggründe und Persönlichkeiten niemals übers Schablonenartige hinauskommen. Schade drum, denn die Geschichte an sich glänzt mit einer guten Balance zwischen Action und Ruhe und Wooding ist kein schlechter Erzähler. Er verbindet geschickt das kriminalistische Miträtseln an einer Verschwörungsgeschichte und einem Serienmord mit der langsamen Aufdeckung des Hauptplots – auch wenn es keine sensationellen Wendungen und Überraschungen gibt und die Bösewichte letzten Endes ziemlich ausgelutschte Nummern sind. Ein wenig Gruseln und Fingernägelkauen wären aber auf jeden Fall drin gewesen, nur schafft es der Autor nicht, den Leser ganz in die Welt zu ziehen oder mit seinen Charakteren mitfiebern zu lassen.
(rezensiert von: mistkaeferl)

Das Cover von Alles Sense von Terry PratchettWie alle Zauberer weiß auch der hundertdreißigjährige Windle Poons, wann er sterben wird. Und zu diesem Zeitpunkt stirbt er auch. Doch dann muß er verwirrt feststellen, daß er zwar gestorben, aber keineswegs tot ist. Zur gleichen Zeit hat nämlich Azrael TOD ein Stundenglas gesandt und ihm zu verstehen gegeben, daß auch er – wie jede Person – sterblich ist. Ein anderer wird bald sein Amt übernehmen. TOD beschließt daraufhin, die Zeit, die ihm bleibt, zu verbringen und tritt dazu eine Stelle als Farmhelfer bei Frau Flinkwert an. Unterdessen staut sich in Ankh-Morpork die Lebensenergie und verursacht übernatürliche Phänomene und Windle Poons schließt sich einer Selbsthilfegruppe für Untote an.

-Den Moriskentanz kennt man auf allen bewohnten Welten des Multiversums.-

Alle Bücher, die Terry Pratchett geschrieben hat, zeichnen sich durch intelligenten Humor aus, aber immer wenn er über TOD schreibt und damit seine Einstellung über den irdischen Tod durchblicken läßt, dann läuft Pratchett zur Hochform auf. Hinter dem unterhaltsamen Possenreißer verbirgt sich ein weiser Philosoph und warmherziger Menschenfreund. Mit Alles Sense (Reaper Man) gelingt es Pratchett wieder einmal, seinen Lesern mit einzelnen prägnanten Sätzen tiefe Einsichten zu vermitteln, ohne zu moralisieren und der für Pratchett typische Humor sorgt dafür, daß keine Schwermut aufkommt. Trotzdem ist es anrührend zu lesen, wie TOD auf einmal menschliche Züge entwickelt. Er versucht dem (neuen) Tod zu entgehen, vor dem er Angst hat und er versucht, ein Menschenleben zu retten. TOD entwickelt Gefühle, auch für die Menschen, mit denen er zusammenlebt. Und das beschert -zumindest sensibleren Gemütern- etwas, was es so in den Scheibenweltromanen bisher noch nicht gegeben hat: Eine Szene, die zum Weinen schön ist.
Im Gegensatz dazu, ist die Geschichte um Windle Poons nur Durchschnitt, allerdings gehört die versnobte Vampirin zu den Lichtblicken dieses Erzählstrangs.

Cover des Buches Das Amulett von Samarkand von Jonathan StroudIn England herrschen Zauberer. Zwar gibt es auch “Gewöhnliche”, das sind Menschen, die nicht zaubern können, aber im öffentlichen Leben spielen sie keine große Rolle. Zauberer dürfen aber keine Kinder bekommen, stattdessen ist jede Familie dazu verpflichtet ein Kind von “Gewöhnlichen” auszubilden. So kommt Nathanael zu den Underwoods, bei denen er eine solide Ausbildung erhält, auch in Zauberei. Nathanael macht schnell große Fortschritte. Als ihn der einflußreiche Simon Lovelace bei einer Prüfung demütigt, schwört Nathanael Rache. Mit zwölf Jahren hat Nathanael soviel gelernt, daß er den mächtigen Dämon Bartimäus beschwören kann und ihn beauftragt das Amulett von Samarkand aus Simon Lovelaces Haus zu stehlen. Er ahnt nicht, welche Katastrophe er damit auslöst.

-Die Temperatur im Zimmer sank rasch. Eis bildete sich auf den Vorhängen und überzog die Deckenlampen mit einer dicken Kruste. Die Glühfäden sämtlicher Birnen schnurrten zusammen und verglommen, und die Kerzen, die wie eine Kolonie Giftpilze aus jeder feien Fläche sprossen, erloschen .-
Teil 1

Jonathan Stroud scheint eine Vorliebe für den bekanntesten deutschen Dichter zu hegen. Nathanael wirkt wie eine Mischung aus einem jungen Möchtegern-Faust und dem Zauberlehrling aus Goethes gleichnamiger Ballade. Er kann weitaus besser zaubern als Underwood es ihm zutraut, aber er ist noch nicht reif genug, um zu übersehen, welche Folgen sein Verhalten nach sich zieht und prompt löst er eine Katastrophe aus. Nathanael ist zweifellos eine sympathische Figur, jedoch ist er nicht so originell, daß er aus der Vielzahl, der in Kinderbüchern neuerdings zaubernden Jünglingen, herausragen würde. Nun hat der aufmerksame Leser vielleicht schon bemerkt, daß Nathanaels Name nicht im Titel des Buches auftaucht -und das hat seinen guten Grund, denn der eigentliche Star dieses Romans ist der Dämon Bartimäus, ein Dschinn und zeitweise Ich-Erzähler. Auf höchst witzige Weise erzählt Bartimäus seine Version der Geschichte. Er besitzt einen lakonischen Humor und eine erstaunliche Urteilskraft, er ist listig und kann sich in alles Mögliche verwandeln und wenn es nötig ist, scheut er auch nicht vor dem Einsatz roher Gewalt zurück. Zur Zeit ist er leider ein wenig miesepetrig. Es paßt ihm überhaupt nicht, daß ein Zwölfjähriger ihn beschworen hat und er jetzt tun muß, was Nathanael ihm befiehlt, deshalb wartet er nur auf eine Möglichkeit, den Bann zu brechen. Doch als die Lage immer verfahrener wird, bilden die beiden eine äußerst erfolgreiche Zweckgemeinschaft.
Bartimäus ist wahrscheinlich der originellste Dämon, der in Romanen gerade sein
(Un-)Wesen treibt, allerdings hat er einen Fehler: Seine Vorliebe für ausführliche Fußnoten. Die eine Hälfte der Fußnoten hätte gut in den Text integriert werden können und die andere Hälfte hätte in einem Glossar am Schluß des Buches untergebracht werden können. So stören sie allzu oft den Lesefluß und nur die Angst, etwas von Bartimäus’ britischem Humor zu verpassen, sorgt dafür, daß man nicht den Rat befolgt, den der Dämon in einer dieser Fußnoten dem Leser erteilt: Wieso verplemperst Du eigentlich deine Zeit damit, das hier zu lesen? Lies lieber oben weiter und sieh selbst!

Das Cover von Artemis Fowl 1 von Eoin ColferArtemis Vater hat der russischen Mafia ins Handwerk gepfuscht und gilt seitdem als verschollen. Durch diese Unternehmung ist das Fowlsche Familienvermögen erheblich geschrumpft. Arm kann man Artemis und seine Mutter nun nicht gerade nennen – aber Milliardäre sind sie nicht mehr. Also beschließt Artemis die Einkünfte wieder aufzustocken. Der hochbegabte Junge faßt einen ebenso genialen wie verbrecherischen Plan: Er will eine Elfe kidnappen, um an das sagenhafte Elfengold zu gelangen.

-Ho Chi Minh City im Sommer. Unerträglich heiß und drückend. Artemis Fowl hätte selbstverständlich solche Unannehmlichkeiten niemals auf sich genommen, wenn nicht etwas ungeheuer Wichtiges auf dem Spiel gestanden hätte.-
Kapitel 1: Das Buch

Artemis Fowl ist ein Antiheld, aber nur fast: Ein blasses zwölfjähriges Kerlchen, das zuviel Zeit vor dem Computer verbringt, skrupellos seinen genialen Plan verfolgt und von einem gewalttätigen, ihm treu ergebenen, Leibwächter beschützt wird. Bei näherem Hinsehen ist Artemis aber keineswegs so skrupellos, wie es auf den ersten Blick scheint und wie er es gerne von sich selbst glauben möchte. Der Junge leidet unter dem Verlust seines Vaters und unter der psychischen Krankheit seiner Mutter und erkennt daher folgerichtig am Ende der Geschichte, daß Geld nicht alles im Leben ist. Aber vorher muß er sich noch mit den Unterirdischen herumschlagen, wobei das “Herumschlagen” hauptsächlich von seinem Leibwächter namens Butler übernommen wird. Artemis hat zwar einen scharfen Verstand, aber anscheinend hat er sein Körpertraining sträflich vernachlässigt, so daß ihn sogar eine kaum ein Meter große Elfe mit einem gezielten Schlag auf die Nase zu Boden schicken kann. Peinlich, peinlich. Die Elfe heißt Holly, ist der erste weibliche Officer bei der ZUP, der Polizei der Unterirdischen, und hat meistens Ärger mit ihrem Vorgesetzten, Commander Root, da sie des öfteren die Vorschriften außer acht läßt. Jetzt gerade hat sie es schon seit längerem versäumt, ihre Magie aufzuladen, was dazu führt, daß sie von Artemis gekidnappt wird und Commander Root höchstpersönlich in Aktion treten muß, um Holly zu retten. Es entspinnt sich ein Kampf zwischen Artemis und den Unterirdischen, der stellenweise recht gewalttätig geführt wird, aber bei dem letztendlich niemand wirklich zu Schaden kommt und bei dem ein pupsender Mulch eine zentrale Rolle spielt. Spätestens an dieser Stelle sollte man als Leser erkennen, daß die ganze Geschichte mit Augenzwinkern und Ironie erzählt wird. Ansonsten könnte man Artemis Fowl anstatt für einen humorvollen James-Bond/Star-Trek/Krimi-Verschnitt für die Verherrlichung jugendlichen, gewalttätigen Verbrechertums halten und würde damit dem Buch bitter Unrecht tun.
Um dieses Buch zu mögen, darf man nicht ironieresistent sein (bzw. man muß alt genug sein, um Ironie zu verstehen) und man darf sich nicht an Welten stören, die von Technik bestimmt sind, denn die Welt der Unterirdischen, wozu Elfen, Zentauren, Mulche und Trolle gehören, hat hier nichts Romantisches. Die Technik ist weiter fortgeschritten als in der Menschenwelt und in der ZUP herrscht ein militärischer Kommandoton, jedenfalls dann, wenn alle sich an die Dienstvorschriften halten. Der Ablauf des Einsatzes erinnert an die Star-Trek-Abenteuer. Es wird zwar niemand von einem Raumschiff auf einen Planeten hinuntergebeamt, aber die Unterirdischen werden aus dem Erdinneren auf die Erde hinaufbefördert. Als etwas schiefgeht, wird eine Bergungseinheit hinterhergeschickt, die nicht wirklich erfolgreich ist (und deren Mitglieder hauptsächlich daran interessiert sind, daß ihre Mama stolz auf sie ist) und schließlich müssen die verantwortlichen Offiziere die Sache selbst in die Hand nehmen.
Wenn Sie sich mit einem verletzlichen, aber arrogant wirkenden, hochbegabten, alles und jeden herumkommandierenden, reichen, halbwüchsigen Kriminellen anfreunden können und Sie keine Abneigung gegen Technik hegen, dann bietet Ihnen Artemis Fowl eine unterhaltsame Lektüre.

Artemis’ Vater geht es besser. Hollys Magie hat ihm nicht nur geholfen wieder gesund zu werden, sie hat auch seinen Charakter beeinflußt. Er möchte er ein ganz normales Familienleben ohne Verbrechen führen. Artemis kann sich mit dem Gedanken an ein bürgerliches Leben noch nicht so ganz anfreunden und plant einen letzten genialen Coup. Er benutzt den mit Elfentechnologie entwickelten Minicomputer C Cube um John Spiro, den skrupellosen Chef einer der größten Computerfirmen der Welt, zu erpressen. Doch dieser hat nicht vor, sich von einem Dreizehnjährigen um seine Firma bringen zu lassen. Er will den C Cube und damit ist auch das Erdland in Gefahr. Captain Holly Short muß eingreifen.

– Artemis Fowl war beinahe zufrieden. Sein Vater sollte bald aus dem Universitätskrankenhaus in Helsinki entlassen werden. Er selbst freute sich auf ein leckeres – wenn auch recht spätes –
Mittagessen im En Fin, einem Londoner Fischrestaurant, und der Geschäftsmann, mit dem er verabredet war, mußte jeden Moment eintreffen. Alles lief nach Plan.-
Kapitel 1 Der Würfel

Auch der erneute Anfall von Arroganz zu Beginn des Romans kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Artemis mit jedem Buch sympathischer wird. Obwohl er wieder dem Traum vom großen Geld nachjagt, lernt er recht schnell, daß Freundschaft mehr wert ist als alles Gold der Welt, auch wenn er noch so oft das Familienmotto zitiert: aurum potestas est – Gold ist Macht. Doch zunächst will er unbedingt seinen großen Coup landen, der jedoch nicht so genial ist wie Artemis glaubt. Sein Geschäft mit Spiro scheitert auf furchtbare Weise. Das hat fatale Folgen für seinen treuen Leibwächter Butler und die Bewohner von Erdland müssen ihre Entdeckung fürchten. Es kommt wieder zu gewalttätigen Szenen, die Colfer aber in bewährter Manier mit Witz und Ironie abmildert. Der Geheimcode (The Eternity Code) ist das komischste der drei Artemis-Bücher. Allerdings gilt auch hier, daß Kinder alt genug sein müssen, um die Ironie und das Augenzwinkern zu verstehen, mit denen Colfer seine Geschichte erzählt. Die Gewaltszenen sind für jüngere Kinder, die alles für bare Münze nehmen, was hier geschildert wird, zu heftig. Alle anderen dürfen sich köstlich amüsieren. Noch nie hat ein Autor so witzig beschrieben wie jemand lebendig begraben wird.
Neben Artemis und Holly spielt auch wieder Mulch Diggums eine wichtige Rolle. Er arbeitet mittlerweile für die Chicagoer Mafia. Diggums hat immer noch die Angewohnheit, im richtigen Moment Gas auszustoßen und die Tatsache, daß er seine Haut mit dicken Schichten Sunblocker zukleistern muß, weil er Sonnenlicht genauso gut verträgt wie ein Vampir, trägt auch nicht gerade zu seinem Wohlgeruch bei. Der Zentaur Foaly überwacht und dirigiert die Operation “Rettet Erdland”, bei der, wie gewohnt, ausgefeilte Technik und Hollys Magie zum Einsatz kommen und Butlers Schwester Juliet hat verschiedene Auftritte als weibliche Kampfmaschine.
Das Ende des Romans läßt auf eine Fortsetzung der Geschichte hoffen, allerdings weiß man nicht so recht, ob man sie sich wünschen soll, denn es hat den Anschein, als würde Artemis bald selbst zu seinem ärgsten Feind.

Endlich einmal ist in Erdland alles in Ordnung. Opal Koboi, die gefährliche Verbrecherin, liegt im tiefen Koma und stellt keine Bedrohung mehr dar. Artemis Fowls Gedächtnis wurde gelöscht, so dass auch er Erdland nicht mehr gefährlich werden kann. Captain Holly steht kurz vor einer Beförderung. Es ist zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich: Opal Koboi täuscht ihre behandelnden Ärzte, sie liegt überhaupt nicht im Koma. Mittels eines Klons gelingt ihr die Flucht und sie will sich an allen rächen, die ihre Machtübernahme verhindert haben. Commander Root erteilt Holly den Befehl, Artemis vor der rachsüchtigen Opal zu retten. Bald wird klar, dass Holly nicht nur Artemis, sondern ganz Erdland retten muss, doch die Lage erscheint aussichtslos.

-Die Argon-Klinik war kein staatliches Krankenhaus. Niemand wurde dort kostenlos aufgenommen. Argon und sein Psychologenteam behandelten nur Unterirdische, die es sich leisten konnten.-
Kapitel 1 Völlig besessen – Argon-Klinik, Haven City, Erdland. Drei Monate zuvor.

Erneut müssen Holly und Artemis gemeinsam das Böse in Gestalt von Opal Koboi bekämpfen und wieder einmal wenden sie dazu ihre bewährte Mischung aus Methoden á la James Bond und Star-Trek-Besatzung an. Die Spannung kommt dabei nicht zu kurz. Der Leser muss mit dem Verlust einer beliebten Figur fertig werden, es gibt Bombenanschläge auf Artemis Leben und er und Holly müssen vor liebeswütigen Trollen fliehen – das ist nicht lustig.

Genau das ist das Manko des vierten Artemis-Fowl-Romans Die Rache (The Opal Deception), die Ironie und der Witz, die bisher für Colfers Geschichten so typisch waren, kommen nur höchst selten zum Zuge. Das ist schade, denn da auf diese Weise z.B. die gewalttätigen Einsätze Butlers nicht mehr ironisch gebrochen werden, kommen sie überhaupt nicht mehr vor und das wirkt, als ob Colfer diesen Roman mit angezogener Handbremse geschrieben hätte. Vielleicht hängt dies mit der großen Popularität der Artemis-Fowl-Geschichten zusammen, eventuell fürchtet man, daß Colfers bisherige Erzählweise auf jüngere Kinder gewaltverherrlichend wirkt, weil sie die Ironie nicht verstehen. Das ist eine ehrenwerte Vorgehensweise, aber sie nimmt der Story einen Teil ihres besonderen Charakters und macht aus Artemis Fowl – Die Rache einen “normalen” Fantasykrimi mit Science-Fiction-Anteil. Außerdem verdichten sich die Hinweise, dass Artemis dem Verbrechen völlig entsagen und sein Talent ausschließlich im Dienste des Guten ausüben will. Bitte nicht.

Cover von Die Verschwörung von Eoin ColferCaptain Holly Short ist strafversetzt worden und muss jetzt einen Druckaufzugsschacht beobachten, der kaum benutzt wird. Ein total langweiliger Job – bis sie und ihr Kollege von Schmugglern angegriffen werden. Offensichtlich haben sich Menschen mit verbrecherischen Unterirdischen verbündet, mit den B’wa Kell, einer Art Kobold-Mafia. Holly hat sofort Artemis Fowl im Verdacht.
Doch den plagen im Moment ganz andere Sorgen. Es verdichten sich die Hinweise, dass die russische Mafia seinen Vater entführt hat.
Holly und Artemis schließen einen Vertrag…

-Im Alter von dreizehn Jahren wies unser Untersuchungsobjekt Artemis Fowl Zeichen einer Intelligenz auf, die größer war als die sämtlicher Menschenwesen seit Wolfgang Amadeus Mozart.-
Artemis Fowl: Ein psychologisches Gutachten, Die Jugendjahre

Artemis Fowl: Die Verschwörung (The Arctic Incident) ist noch tempo- und spannungsreicher als der erste Teil und ebenso humorvoll. Die Handlung ist so dicht, dass dem Leser kaum Zeit gelassen wird, Atem zu holen. Doch trotz aller Action, vernachlässigt Colfer nicht die Darstellung der Charaktere. Es wird immer deutlicher, dass Artemis durchaus nicht soooo skrupellos ist, wie er es selbst gern wäre. Zwar wird dem Leser noch vor dem Prolog mitgeteilt, dass er eine Reihe von Verbrechen begangen hat, aber im Roman benimmt er sich kooperativ, er steht auf der richtigen Seite und schließlich ist es bestimmt nicht ehrenrührig, seinen eigenen Vater aus der Hand von Entführern zu befreien. Über seinen Vater sagt Artemis übrigens mehrmals, dass er zwar einige illegale Dinge getan hat, aber trotzdem ein Ehrenmann ist. Es sieht ganz so aus, als ob die männlichen Mitglieder der Familie Fowl sich langsam aber sicher zu edlen Verbrechern á la Robin Hood entwickeln.
Sogar Holly, die ja bisher glaubte, alles Übel in der Welt käme von Artemis Fowl, entdeckt an dem Jungen einige positive Charakterzüge.

Wieder dabei sind auch der kampferprobte Butler, der harte aber herzliche Commander Root, Zentaur Foaly, den sein Humor auch in der prekärsten Situation nicht verlässt, die Offiziere Kelp, die leider nur kurze Auftritte haben und Meisterdieb Nummer 2 Mulch Diggums, der seine Umwelt immer noch mit seinen Abgasen belästigt.

Cover von Athyra von Steven BrustEs ist ein aufregender Tag für den Bauernjungen Savn, der von Meister Wack zum Medikus ausgebildet wird. Zaum, ein Bewohner des Dorfes, der als Lieferant auch für den Baron Looran gearbeitet hat, wird tot aufgefunden. Im Dorf glauben alle, daß Zaum ermordet wurde, obwohl Meister Wack die Todesursache nicht feststellen kann. Auch ein Verdächtiger ist schnell gefunden: der am selben Tag ins Dorf gekommene Ostländer Vlad Taltos. Er hatte vor einiger Zeit zusammen mit Zaum eine unerfreuliche Begegnung mit dem Baron und nun hat Looran ihn in das Dorf der Leinbauern gelockt, um mit ihm ebenso abzurechnen wie mit Zaum, das erzählt Vlad jedenfalls Savn. Savn weiß nicht so recht, was er glauben soll. Vielleicht ist Vlad doch Zaums Mörder? Aber als Vlad seine Hilfe braucht, ist Savn zur Stelle.

-Savn war der erste, der ihn sah, und übrigens auch der erste, der die Vorboten sah. Die Vorboten benahmen sich, wie sie es immer tun: sie wurden erst erkannt, nachdem etwas passiert war. Als Savn sie erblickte, sprach er nur seine Schwester Polinice an. Er sagte: “Der Sommer ist fast vorbei; die Jheregs paaren sich schon.”-
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Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Phönix (Phoenix) ist Athyra deutlich schwächer. Das soll keineswegs heißen, daß dieses Buch schlecht ist, aber die Erwartungen des Lesers werden enttäuscht. Athyra scheint eher ein Entwicklungsroman über den Bauernjungen Savn zu sein, als die spannende Schilderung eines neuen Abenteuers des Auftragsmörders Vlad Taltos. Es wird viel philosophiert in diesem Roman. Vlad und Savn erörtern die uralte Frage “Was ist Wahrheit”, sie sprechen über den Unterschied zwischen Kriegern und Soldaten, über Selbstbewußtsein und darüber, wie man seine eigenen Grenzen überwindet. Das ist zwar alles ganz interessant, aber je länger man darauf wartet, daß die Geschichte endlich in Fahrt kommt, um so mehr verliert man die Lust, den beiden bei ihren philosophischen Erörterungen zu folgen. Allerdings ist Vlad meistens eher wortkarg, es kommt häufig zu Dialogen, die klingen als stammten sie aus einem Western: Savn frag Vlad: “Hast du wirklich Leute getötet?” “Ja.” “Das ist bestimmt gruselig.” “Nur, wenn sie mich finden.” “Suchen sie denn noch nach dir?” “Oh, ja.” “Glaubst du, sie finden dich?” “Ich hoffe nicht.” “Was hast du denn getan?” “Ich bin fortgegangen.” “Nein, ich meine, warum wollen die dich töten?” “Ich habe einige Geschäftspartner verärgert.” “Was für ein Geschäft hattest du denn?” “Dies und das.” “Oh.” Man ist von Vlad ja eine lakonische Redeweise und trockenen Humor gewohnt, aber auch wenn er ab und an bei den Gesprächen seine Ironie durchscheinen läßt, fehlt es diesen Dialogen an Komik. Der ganze Roman ist weit weniger humorvoll geschrieben als Phönix und leider wurde der fehlende Humor nicht durch Spannung und Action ausgeglichen. Statt dessen führt Vlad Savn und den Leser in eine Technik ein, die eine Mischung aus autogenem Training, Selbsthypnose und Meditation ist und man erfährt einiges über alte Heilmethoden und zwar auf eine Weise, die einen tiefe Dankbarkeit für die Segnungen der heutigen Apparatemedizin empfinden läßt.
Der finale Showdown wird routiniert abgewickelt. Falls Steven Brust sich von dem Etikett “Fun-tasy” befreien wollte, dann hat er sein Ziel erreicht, aber der Sprung in die “ernste” Fantasy ist ihm mit diesem Buch nicht so recht gelungen. Da Vlad und Savn eine engere Bindung eingehen, könnte es aber auch sein, daß Brust Athyra nur geschrieben hat, um Savn als neue Figur einzuführen und man hoffen darf, daß das nächste Abenteuer der beiden wieder witziger und spannender wird. Der folgende Band wird es zeigen…

Cover des Buches "Das Auge der Seherin" von Victoria HanleyVon den Kindern Königin Dreeas hat nur eine Tochter, Prinzessin Torina, überlebt.  Ihr Mann, König Kareed, hat soeben Bellandra erobert und dessen König getötet. Landen, den Prinzen, hat er mitgebracht und schenkt ihn Torina als Sklaven, die ihn frei lässt. Torina erhält außerdem eine Kristallkugel, mit der sie in die Zukunft sehen kann. Die Kinder freunden sich an, doch als sie heranwachsen, wird die Beziehung kühler. Die Prinzessin verliebt sich in Vesputo, einen Hauptmann ihres Vaters, der geeignet scheint, Thronfolger zu werden. Die Hochzeit steht kurz bevor, als König Kareed ermordet wird. Landen flieht und Vesputo schickt ihm Häscher hinterher. Torina ist erschüttert, sie hat die Tat in ihrer Kugel gesehen, ohne es verhindern zu können. Nun ist auch sie in Gefahr.

-Auf Archeld, dem Schloss des Königs, saß Dreea, die Königin, und webte. Im ganzen Königreich pries man die ausdrucksvollen Muster ihrer Teppiche. Sie zeugten von einer verhaltenen Leidenschaft, die sich jedoch nie in Mimik oder Stimme der Königin verriet.-
1. Kapitel

Das Auge der Seherin (The Seer ans the Sword) ist ein packender Abenteuerroman, den nur Torinas Kristallkugel und ein besonderes Schwert zu einem Fantasyroman machen und genau das ist auch der Grund, warum diese Geschichte so gut und so spannend ist. Es gibt keine Helden, die mit Zauberkräften begnadet sind, die sie bei jeder passenden Gelegenheit siegreich einsetzen können und deshalb gibt es auch nicht diese unsäglich einfallslosen Episoden, in denen irgendeine gar schreckliche Gefahr plötzlich aus dem Busch springt, die der Held umgehend ohne viel Federlesens beseitigt, worauf die nächste Gefahr um die Ecke prescht und so weiter, bis das Böse vernichtet ist.

Torina sieht nur, was die Kristallkugel ihr gestattet zu sehen. So ist es ihr unmöglich, ihr eigenes Schicksal vorauszusehen. Die Kristallkugel zeigt ihr auch nicht, was Torina selbst erkennen könnte, wenn sie ihre Umwelt nur genau beobachten und richtig beurteilen würde und wenn die Prinzessin dann tatsächlich drohendes Unheil voraussieht, dann ist es keineswegs sicher, dass sie es auch verhindern kann, manchmal gelingt es ihr und manchmal nicht, dies macht die Geschichte so außerordentlich spannend. Außerdem trägt zur Spannung bei, dass Frauen und Männer, die Helden und die Schurken einander ebenbürtig sind. Torina ist genauso mutig und intelligent wie die Männer, so dass man hoffen darf, dass sie sich auch aus aussichtslos erscheinenden Situationen retten kann und man muss immer fürchten, dass der gerissene und skrupellose Bösewicht die Oberhand behält.

Es gibt Tote in diesem Buch und eine Szene ist durchaus fragwürdig, aber die Gewalt sprengt nicht den Rahmen dessen, was zu einem zünftigen Abenteuerroman nun einmal dazugehört, im Gegenteil: Das von Kaared zerstörte Königreich und dessen König werden als vorbildlich dargestellt, denn Bellandra war ein friedliches Land, in dem die Kampfkünste nur als Sport geübt wurden, in dem die Menschen glücklich lebten und wo es keine Kriege gab.
Es gibt kein Schlachtgemetzel in diesem Buch und ein bevorstehender Krieg wird durch eine List abgewendet, die nur wenige Menschenleben kostet.
Die Romantiker unter den jungen Lesern dürfen sich auf eine kleine Liebesgeschichte freuen, die glücklicherweise nicht vor Kitsch trieft. Ein- oder zweimal hat man das Gefühl in einen Robin-Hood-Film geraten zu sein, z.B. beim furiosen Showdown, aber auch diese Szenen steigern die Spannung und sind keine platten, ärgerlichen Plagiate.

Cover von Das Auge des Golem von Jonathan StroudNathanael ist mittlerweile vierzehn Jahre alt, seine neue Lehrmeisterin ist Sicherheitsministerin in Devereauxs Kabinett. Er selbst hat sich bald so viel Wissen angeeignet, daß er seine erste Anstellung als Assistent des Leiters der Abteilung für Innere Angelegenheiten antreten kann. Er soll die Widerstandsbewegung zerschlagen, die die Herrschaft der Zauberer bekämpft. Nach einem Attentat auf den Premierminister ist nun ein besonders brutaler und verheerender Anschlag verübt worden. Sämtliche Mitglieder des Kabinetts verdächtigen die Gewöhnlichen, doch Nathanael hat einen anderen Verdacht. Allein kann er seine Vermutung nicht beweisen und da er unter den Zauberern keinen Verbündeten findet, bleibt ihm keine andere Wahl: er muß Bartimäus beschwören.

– »Klar habe ich damit gerechnet, dass mich eines Tages wieder irgendein Schwachkof mit spitzem Hut beschwört, aber doch nicht derselbe wie beim letzten Mal!” Er zog einen Flunsch. “Ich trage keinen spitzen Hut!« –
Bartimäus (10)

Er ist selbstverliebt, eitel, arrogant, ironisch, sarkastisch, süffisant, makaber, beleidigend – und stinksauer, daß ihn derselbe Schwachkopf wie beim letztenmal beschworen hat. Kurz und gut: Bartimäus ist zurück und er ist liebenswert wie eh und je. So grummelig, muffelig und bösartig kann sich der Dschinn gar nicht geben, als daß man nicht früher oder später merken würde, daß die rauhe Fassade nur dazu dient, Bartimäus’ goldenes Herz zu verbergen, das er ohne Zweifel auf dem rechten Fleck hat. Wenn er sich zu der einen oder anderen kleinen Grausamkeit hinreißen läßt, dann nur, weil er Nathanael unbedingten Gehorsam zu leisten hat. Und Nathanael ist erstaunlicherweise derjenige, der in diesem Roman einige Sympathiepunkte einbüßt. Auch Nathanael ist arrogant und eitel, aber ohne Bartimäus’ rauem Charme und Witz. Sein Ehrgeiz ist maßlos, er bricht seine Versprechen und scheint sich langsam zu einem Zauberer wie all die anderen zu entwickeln. Das ist wahrlich kein Kompliment, denn die meisten Zauberer haben einen eher unangenehmen Charakter und außerdem wirkt das von Zauberern beherrschte Großbritannien mehr und mehr wie eine Diktatur. Man muß Nathanael allerdings zugute halten, daß er es schwer hat, weil er der Jüngste im Ministerium ist und immerhin meldet sich noch sein Gewissen. Man darf also hoffen, daß er sich richtig entscheiden wird, wenn er eines Tages zwischen Gut und Böse wählen muß.
Überraschenderweise tritt in diesem Roman eine andere Person auf, die dem Leser von Seite zu Seite sympathischer wird. Das ist ausgerechnet Kitty, die zu den jugendlichen Widerstandskämpfern gehört. Sie ist mutig, besitzt ein ungetrübtes Urteilsvermögen und läßt ihre Freunde nicht im Stich.

Bartimäus – Das Auge des Golem (The Golem’s Eye) lebt von seinen originellen und individuell gezeichneten Protagonisten, die ihre Ecken und Kanten haben und keine 08/15-Fantasy-Stereotypen sind. Aber natürlich kommt auch die Spannung nicht zu kurz. Ein seelenloses Ungeheuer macht London unsicher, das sich zielsicher und unbeirrbar seinen Weg bahnt, dabei eine Spur der Verwüstung hinter sich herzieht und jeden tötet, der sich ihm in den Weg stellt. Nathanael muß bis nach Prag reisen, mit seinen engen Gassen und alten Friedhöfen, um Hinweise zu finden, wie man ihm das Handwerk legen kann. Dann fängt auch noch ein übergeschnapptes Gerippe an, sein Unwesen in London zu treiben – und das ist keineswegs so lustig, wie es sich anhört. Es sieht sogar aus, als ob Bartimäus Nathanael nicht die vereinbarten sechs Wochen dienen muß, denn wenn der Zauberer, der ihn beschworen hat, stirbt, ist der Dschinn frei…

Cover des Buches "Im Bann der Sturmreiter" von Cecilia Dart-ThorntonBeim Turm der Sturmreiter, die auf ihren geflügelten Pferden Nachrichten und kostbare Güter überbringen, wird ein entstelltes und stummes Wesen gefunden, und als einer der untersten Bediensteten aufgenommen. Als er erfährt, dass es in der Hauptstadt weit weg eine Heilung für seine Entstellungen geben könnte, flieht er auf einem Luftschiff und wird von Sianadh, einem halb-verrückten Piraten, gerettet.
Sianadh verrät dem Jugendlichen, der sich an nichts aus seinem Leben erinnern kann, ein großes Geheimnis und gibt ihm einen Namen: Imrhien. Doch die unberührte Wildnis, durch die sie sich schlagen müssen, ist genau so heimtückisch und gefährlich, wie es die Geschichten berichten. An jeder Ecke lauern üble Wesen…

-Der Regen war ohne Anfang und ohne Ende, ein unentwegtes Klopfen wie das Getrommel von ungeduldigen Fingern. Das Geschöpf kannte nur den Klang des Regens und das Rasseln seiner Atemzüge. Es wußte nichts über sich selbst, hatte keine Ahnung, wie es hierhergekommen war.-
Prolog

Cecilia Dart-Thornton breitet in diesem Roman ein pittoreskes Panorama vor den Augen ihrer Leser aus, das alles enthält, was den Freunden der Fantasy Freude macht.
Imrhien, ein Geschöpf mit entstelltem Gesicht, trifft auf seiner Suche nach Heilung auf Elfen, Wichtel, Kobolde, Geister, Wasserfrauen, Trolle, Seelies und Unseelies, Glastyns, einen Magier und Heilerinnen und nur selten ist einer von ihnen Imrhien wohl gesonnen. Dieses Szenario sorgt für Spannung und gute Unterhaltung, vor allen Dingen auch dann, wenn die Helden nicht ihre Muskelkraft, sondern ihr Köpfchen gebrauchen müssen, um einer Gefahr zu entrinnen. Es gibt eine köstliche Episode, in der einer von Imrhiens Freunden sich ein Reimduell mit einem Kobold liefert, bei dem es darum geht, wer von beiden das letzte Wort hat.

Ihre Inspiration hat Cecilia Dart-Thornton vor allem aus keltischen Sagen, aber auch aus der Odyssee, den Märchen der Brüder Grimm und vielleicht auch bei Rowling geschöpft oder die beiden Damen haben zufällig eine gemeinsame Vorliebe für das Schachspiel.
Aber während die Autorin bei der Darstellung der übernatürlichen Wesen aus dem Vollen geschöpft hat, hat sie die Ausarbeitung von Imrhiens Charakter ein wenig vernachlässigt. Das liegt auch daran, dass Imrhien das Gedächtnis verloren hat, nichts über sich weiß und sogar eine ganze Weile ohne Namen ist. Man denkt unwillkürlich an Quasimodo, den Glöckner von Notre Dame, denn ebenso wie er ist Imrhien ein entstelltes, von anderen gequältes Geschöpf, das unglücklich, aber sensibel ist und trotz mangelnder Bildung intelligent und von schneller Auffassungsgabe. Daher erwartet man einen in eine Fantasygeschichte gekleideten Entwicklungsroman. Aber in diesem ersten Band macht Imrhien noch keine charakterbildende und -verändernde Entwicklung durch, sondern schöpft eigentlich nur das Persönlichkeitspotential aus, das von Anfang an gegeben ist.

Cover von Das Bernstein-Teleskop von Philip PullmanMrs Coulter hält Lyra in einer Höhle im Himalaya gefangen. Sie versetzt das Mädchen mittels Drogen in einen permanenten Tiefschlaf. Lyra träumt von Roger, der sich im Land der Toten aufhält und sie um Hilfe anfleht.
Zur gleichen Zeit begibt sich Will auf die Suche nach seiner Freundin. Doch noch ein anderer ist unterwegs: Pater Gomez, der vom Geistlichen Disziplinargericht ausgeschickt wurde, um Lyra zu ermorden.

-In einem von Rhododendren überschatteten Tal nahe der Schneegrenze, durch das schäumend ein Bach mit grünem Schmelzwasser floß und unter dessen gewaltigen Pinien sich Tauben und Bergfinken tummelten, lag unter einer Felsnase, halb versteckt hinter den schweren, harten Blättern der Büsche, eine Höhle.-
Die verzauberte Schläferin

Wie die ersten beiden Bände so besticht auch Das Bernstein-Teleskop (The Amber Spyglass) durch seine Komplexität. Das Buch ist gespickt mit literarischen Anspielungen, aber diesmal ist es für den Leser nicht sonderlich schwierig herauszufinden, worauf Phillip Pullman sich bezieht, denn er gibt in seiner Danksagung zu, daß er Ideen aus jedem Buch gestohlen hat, das er gelesen hat und daß er sich besonders durch Kleists Über das Marionettentheater, durch Blakes Werke und durch Miltons Paradise Lost hat inspirieren lassen. Außerdem bezieht er sich auf die Bibel und auf die griechische Sagenwelt. Soviel für die Literaturinteressierten, die selbst nachlesen möchten, woher Pullman seine Ideen schöpft.
Man muß die Quellen aber nicht kennen, um die Geschichte zu genießen, wobei “genießen” eindeutig das falsche Wort ist. Der Schluß der Trilogie ist traurig. Es gibt zwar Hoffnung, doch kein Happy End. Großen Raum nimmt das Thema “Tod” ein, die Passagen die davon handeln sind oft düster und beklemmend. Das Bernstein-Teleskop ist völlig ungeeignet, wenn man an trüben Herbsttagen eine Lektüre sucht, um seine Stimmung aufzuheitern. Außerdem kann es religiöse Gefühle verletzen. Verschenken Sie die Trilogie also nicht ungefragt an jemanden, der einen strenggläubigen christlichen Hintergrund hat. Auch Anhänger anderer monotheistischer Religionen könnten sich verletzt fühlen. Diese Punkte tun der hervorragenden Qualität des Buches jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie tragen zu der Klasse der Geschichte bei. Der interessanteste Charakter ist Mrs Coulter. Bis zum Schluß fragt sich der Leser, ob sie Lyra der Kirche ausliefern wird oder ob sich in ihrer schwarzen Seele nicht doch so etwas wie Mutterliebe für ihr Kind regt. Besonders gelungen ist Pullman die Beschreibung der Welt der Mulefas, einer ungewöhnlichen Tierart. Hingegen stört es etwas, daß der Autor es sich nicht verkneifen konnte, seine Botschaft ziemlich plakativ an den Leser zu bringen. Wahrscheinlich war er sich nicht sicher, ob Kinder und Jugendliche die Moral von der Geschichte verstehen, wenn er sie nicht explizit ausspricht.
Das halbe Sternchen Abzug gibt es für die unnötige Darstellung von Grausamkeiten: Klippenalpe reißen einem Fuchs den Kopf ab, Mrs Coulters Dämon, der goldene Affe, zerreißt eine Fledermaus bei lebendigem Leibe und König Iorek frißt die Leiche eines seiner Freunde. All diese Episoden sind nicht motiviert, sie sind weder für den Fortgang der Handlung nötig, noch werden sie gebraucht, um die Protagonisten zu charakterisieren. Es gibt noch genug Gewaltszenen, die durch die Geschichte bedingt sind, so daß Pullman auf diese billige Effekthascherei gut hätte verzichten können.
Noch ein Hinweis: Wie mehrmals erwähnt, ist Das Bernstein-Teleskop der dritte Band einer Trilogie. Man kann die Geschichte nicht verstehen, wenn man die ersten beiden Bände nicht gelesen hat. Wenn Sie sich für diese Reihe interessieren, fangen Sie also bitte mit Der goldene Kompaß (Nothern Lights/The Golden Compass) an. Auch sollte man die Bücher ihrer Komplexität wegen relativ schnell hintereinander lesen. Läßt man sich dazwischen zu viel Zeit, kann es passieren, daß man den Faden verliert

Cover von Die blaue Stute von Jamieson FindlaySyeira, ungefähr elf Jahre alt, arbeitet in den Ställen des Königs Hulver von Heuensiel. Hulver ist ein berühmter Pferdezüchter und dank dieser Eigenschaft gelingt es ihm auch, sich den tyrannischen und eroberungswütigen Fürsten Ran vom Leib zu halten. Die besten Pferde, die es gibt, sind die arvanischen Wildpferde, schwer zu fangen und schwer zu zähmen. Doch König Hulvers Pferdefängern ist es gelungen, eine wilde Stute und ihre beiden einjährigen Fohlen zu fangen. Aber keinem gelingt es, sie zu zähmen, also werden sie zu den Tieren, die nur noch ihr Gnadenbrot bekommen, gesperrt. Nur Syeira besucht sie dort. Eines Tages kommt Fürst Ran nach Heuensiel und nimmt gewaltsam die beiden Fohlen mit. Syeira macht sich mit der Mutterstute, die sie Arwin nennt, auf den Weg, die Fohlen zu retten.

-Syeira war ein Mädchen, von dem kaum einer mehr wußte, als daß es im Stall am Fluß geboren war, zwischen alten Gäulen und den Geistern toter Pferde. Ihre Mutter war gestorben, als sie klein war, und an ihren Vater konnte sich niemand erinnern.-
Reißaus

Findlays große Stärke ist seine sprachliche Ausdruckskraft. Er erzählt eine Geschichte voller Sinnlichkeit, was aber bitte jetzt niemand mit “Erotik” verwechseln möge. Dieses Buch ist voller Gerüche, unter anderem deshalb, weil sich Syeira und Arwin auch mittels Geruchsbilder verständigen. Die intensive Darstellung dieser Geruchsbilder ist Findlay großartig gelungen, er macht den Leser glauben, ihm stiegen dieselben Gerüche in die Nase, wie den Protagonisten. Alle anderen Sinne werden ebenfalls angesprochen. Findlay schildert seine Welt sehr plastisch und manchmal kommt es einem so vor, als beschreibe er nicht eine realistische Landschaft, sondern das Landschaftsgemälde eines impressionistischen Malers.

Die Geschichte selbst ist guter Durchschnitt. Sie ist eine der unzähligen Abwandlungen der üblichen Queste: Der Held macht sich auf den Weg, um eine gefahrvolle Aufgabe zu erfüllen. In diesem Fall muß Syeira Arwin wieder mit ihren Fohlen vereinen, die vom finsteren Fürsten Ran gefangen gehalten werden. Allerdings folgt Findlay nicht dem üblichen Muster: Held begibt sich auf die Reise, Gefahr springt aus dem Busch, Kampf, Held siegt, Held reist weiter, Gefahr springt aus dem Busch und so weiter und so fort … sondern Syeiras Weg ähnelt dem eines Märchenhelden. Sie trifft unterwegs nicht auf einen Bösewicht nach dem anderen, sondern auf Helfer, die ihr Gaben schenken, die ihr auf ihrem Weg von Nutzen sind. Auch trifft sie im Wald auf einen kleinen, seltsamen Ritter. Diese Szene erinnert an andere Männlein, die in Märchenwäldern hausen, aber auch an mittelalterliche Artusromane. Leider wirkt die Abfolge von nacheinander auftretenden Helfern ein wenig einfallslos. Am Ende gibt es dann den finalen Zusammenstoß mit dem Bösewicht und einen actionreichen Showdown.

Cover von Der Blumenkrieg von Tad WilliamsTheo ist dreißig Jahre alt und es sieht nicht danach aus, als würde er in naher Zukunft auf einen grünen Zweig kommen. Dann muß er auch noch zwei Schicksalsschläge verarbeiten, die ihn völlig unvermittelt treffen. Theo zieht sich in ein abgelegenes Haus zurück und denkt darüber nach, wie er sein Leben weiterführen soll. Manchmal fühlt er sich, als gehöre er nicht in diese Welt, er hat Albträume und gelegentlich kommt es ihm vor, als sei sein Körper von einem zweiten Ich besetzt. Kann es noch schlimmer kommen? Ja, es kann: Eines Tages erhält Theo Besuch von einer Elfe namens Apfelgriebs. Kaum hat er sich von dieser Überraschung erholt, greift ihn ein Untoter an. Theo kann sich mit Apfegriebs gerade noch durch einen mysteriösen Spalt in eine andere Welt retten.

-Theo verspürte einen leisen Gewissensbiß, als er das Handy wieder anstellte, vor allem als er merkte, daß er es über zwei Stunden lang nicht angehabt hatte.-
1 Wolken

Die originellste Figur in Tad Williams Roman Der Blumenkrieg (The War of the Flowers) ist ohne Zweifel die kleine Elfe Apfelgriebs. Ein klarer Fall von “klein, aber oho”. Sie ist mutig, treu, gewitzt, burschikos, kann Shakespeares Kaufmann von Venedig zitieren, bedient sich jedoch gewöhnlich einer derberen Sprache, deren Ton zwischen rauh und herzlich changiert und die man eher einem Matrosen auf Landgang zutrauen würde, als einer zarten Elfe. Es macht Spaß zu verfolgen, wie Apfelgriebs dem durch die Ereignisse leicht verstörten Theo hilft, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Leider übernimmt diese Aufgabe nach einiger Zeit der Laborassistent Wuschel Segge, auch ein treues, aufopferungsvolles und symphatisches Kerlchen, dem aber die Originalität und der Witz der kleinen Elfe fehlt. Und ohne Apfelgriebs ist Der Blumenkrieg ein Fantasy-Roman, der dem üblichen Muster folgt: 1. Held muß die Welt retten. 2. Held gerät zwischen die Fronten rivalisierender Elfenclans und rebellierender Goblins. 3. Held wird von den Bösen verfolgt und wird auf der Flucht mit überraschend auftauchenden und gar schröcklichen Gefahren konfrontiert, aus denen er ebenso überraschend gerettet wird. 4. Held findet Freunde und verliebt sich. 5. Happy End. Das ist nun wahrlich nicht neu, aber Tad Williams ist ein guter Schriftsteller und deshalb gehört Der Blumenkrieg zu den besseren Fantasy-Romanen. Tatsächlich ist einiges in diesem Buch zu gut beschrieben. In einer Vobemerkung entschuldigt sich der Ator, daß es Abschnitte gibt, die die Leser an den 11. September und die Vernichtung der Twin Towers in New York erinnern könnten, er habe diese Szenen aber schon im Jahr 2000 konzipiert und sie seien so elementar für den Roman, daß er nicht gänzlich darauf verzichten konnte.
Das Problem ist weniger, daß es diese Szenen überhaupt gibt, das Problem ist, daß sie zu wenig verfremdet sind. Es gibt einzelne Sätze, die klingen, als sage sie ein im World Trade Center Verschütteter und plötzlich verfolgt der Leser nicht mehr distanziert die Geschehnisse in einem phantastischen Elfenland, sondern er befindet sich für einen Moment in der Realität des 11. Septembers 2001 und da will er mit Sicherheit nicht sein. Es genügt nicht, die Flugzeuge durch etwas anderes zu ersetzen und die Opfer durch Fabelwesen. Gewalt in Romanen kann nur so lange unterhaltsam sein, wie sie sich eindeutig in einem fiktiven Rahmen abspielt und der Leser in seinem bequemen Sessel sicher sein kann, daß sie mit der Realität nicht das Geringste zu tun hat.

Cover von Das Böse kommt auf leisen Sohlen von Ray BradburyObwohl die beiden Jungen Jim Nightshade und Will Halloway völlig unterschiedlich sind, verbringen sie jede freie Minute miteinander und sind ein Herz und eine Seele. Das ändert sich, als eine Woche vor Halloween ein Jahrmarkt in die Stadt kommt. Der Roman spielt ungefähr in den dreißiger Jahren und so gibt es zwar ein Karussell, aber es handelt sich eher um eine Kuriositätenschau. Die Erwachsenen merken es nicht, doch den Jungen ist bald klar, daß mit den Jahrmarktleuten das Böse in die kleine Stadt Einzug gehalten hat. Trotzdem zieht es Jim immer wieder zu den Attraktionen des Jahrmarktes, während Will versucht, seinen Freund davon abzubringen. Bald wird die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt.

-Denn jene können nicht schlafen, wenn sie nicht übel getan, und sie ruhen nicht, wenn sie nicht Schaden getan. Sie nähren sich vom Brot des Frevels und trinken vom Wein der Gewalttat.-
Sprüche, 4: 16-17

Über sechzig Seiten plätschert die Geschichte so vor sich hin: Die Jungen genießen unbeschwert ihr Leben, man erfährt etwas über ihre Eltern und ab und zu philosophiert Bradbury über die Zeit, das Leben und die Menschheit. Alles ganz nett, aber nicht so, daß es den Leser vom Hocker reißen würde. Trotzdem horcht man schon von Zeit zu Zeit auf: Das Gewitter, das in der Luft liegt, dieser Blitzableiterverkäufer, und daß plötzlich überall diese Zettel herumfliegen, die den Jahrmarkt ankündigen -im Oktober, wenn die fahrenden Leute eigentlich nicht mehr durchs Land ziehen; normal ist das alles nicht. Und dann sind sie plötzlich da. Nachts um drei, bringt sie eine altertümliche Dampflok in die kleine Stadt, von niemandem bemerkt, außer von Jim und Will. Von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte von Seite zu Seite unheimlicher, bis sich das Geschehen in einem atemberaubend spannenden Finale entlädt.
Ray Bradbury erzählt allegorisch eine Geschichte über das Leben, über Trauer, über Zeit, über Freundschaft, über die Verbundenheit zwischen Vätern und Söhnen und natürlich über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, der nicht hoffnungslos sein muß, weil das Böse nur siegen kann, wenn man sich ihm überläßt. Nur wenn man sich dem Bösen überläßt, dann kann auch das Böse den Sieg davon tragen. Und der Leser weiß bis zum Ende nicht, ob sich nicht irgend jemand in diesem Roman von dem Bösen korrumpieren lassen wird. Ich werde es hier ganz bestimmt nicht verraten. 🙂
Noch ein Hinweis für die Literaturfreunde unter den Lesern: Das Böse kommt auf leisen Sohlen (Something Wicked This Way Comes) weist einige Parallelen zu Der Name der Rose auf, auch wenn beide Bücher völlig unterschiedliche Handlungen besitzen und zu völlig verschiedenen Zeiten spielen.
Ach ja, und falls sich jemand vom Diogenes Verlag auf diese Seite verirren sollte: Auf das Cover gehört natürlich nicht ein Briefe lesendes Mädchen, das von einer Katze beobachtet wird, sondern ein Bild, das etwas mit einem Jahrmarkt zu tun hat, zum Beispiel ein schönes altes Karussell mit Holzpferdchen.

Cover von Die Brüder Löwenherz von Astrid LindgrenDer neunjährige Karl Löwe, genannt Krümel, ist krank. Aber erst als er zufällig seine Mutter belauscht, erfährt er, dass er bald sterben muß. Er wird traurig und bekommt furchtbare Angst. Sein älterer Bruder Jonathan erzählt ihm, daß der Tod nichts Schreckliches ist, denn danach kommt man in das Land Nangijala, wo man ein Abenteuer nach dem anderen erlebt. Aber dann stirbt Jonathan vor Krümel. Doch bald sind die Brüder in Nangijala vereint, im Kirschtal, das genauso schön ist wie Jonathan gesagt hat. Bald jedoch bemerkt Krümel, daß seltsame Dinge vor sich gehen. Der Frieden des Kirschtals ist bedroht. Im benachbarten Heckenrosental herrscht der grausame Tyrann Tengil, der jetzt auch das Kirschtal einnehmen will.

-Jetzt will ich von meinem Bruder erzählen. Von ihm, Jonathan Löwenherz, will ich erzählen. Es ist fast wie ein Märchen, finde ich, und ein klein wenig auch wie eine Gespenstergeschichte, und doch ist alles wahr. Aber das weiß keiner außer mir und Jonathan.-
1

Die Brüder Löwenherz (Bröderna Lejonhjärta) ist das schönste traurige Buch der ganzen Welt. Besonders die ersten beiden Kapitel und das Ende sind so rührend, daß Ihnen die Tränen in die Augen treten werden. Das gilt selbstverständlich nicht für Männer, die ja bekanntlich höchst selten weinen und schon gar nicht bei der Lektüre von Kinderbüchern. Es könnte aber ganz zufällig passieren, daß Sie beim Vorlesen der erste Allergieanfall des Jahres erwischt, mit tränenden Augen und laufender Nase. Also legen Sie trotzdem ein paar Taschentücher in Ihre Nähe, sicherheitshalber.
Astrid Lindgren thematisiert in diesem Buch Tod, Trauer und den Kampf gegen das Böse. Kann man ein solches Buch Kindern überhaupt zumuten? Ja, man kann. Denn das Wunderbare an Die Brüder Löwenherz ist, daß Astrid Lindgren trotz dieses Themas eigentlich eine ganz andere und sehr spannende Geschichte erzählt. Sie erzählt von Liebe, Selbstlosigkeit, Freundschaft, Treue und Mut. Sie erzählt von der Liebe zwischen den Brüdern Löwenherz, die alle Gefahren und sogar den Tod überwindet. Sie erzählt von der Selbstlosigkeit des alten Matthias, der Jonathan vor den Schergen des Tengil versteckt, obwohl darauf die Todesstrafe steht und sie erzählt vom Mut des kleinen ängstlichen Krümel und dem Mut der Antonia. Deren Mann wird von Tengils Männern getötet. Später sehen Krümel und Matthias wie sie auf der Türschwelle ihres Hauses sitzt und sich das Haar abschneidet. Während der erwachsene Leser noch denkt, sie mache dies als Zeichen der Trauer fragt Matthias: “Was tust du, Antonia? Was machst du mit deinem Haar?” “Bogensehnen”, sagte Antonia.

Eigentlich ist Die Brüder Löwenherz gar kein Kinderbuch, es ist ein Lehrbuch für Diktatoren. Aber selbst, wenn sie es läsen, würden sie nur darüber lachen, weil sie nicht verstünden, daß es bald keine Diktatoren mehr gäbe, wenn jedes Kind dieser Welt dieses Buch gelesen hätte. Also lesen SIE es. Verschenken Sie es an jeden, den Sie kennen, ob er neun oder neunzig Jahre alt ist. Spenden Sie es an öffentliche Büchereien in Schulen, Krankenhäusern, Horte und Kirchengemeinden. Schenken Sie es Ihrem Abgeordneten. Die Brüder Löwenherz gehören in jedes Haus.

Cover des Buches "Im Brunnen der Manuskripte" von Jasper FfordeUm vor ihren Widersachern geschützt zu sein, zieht sich die schwangere Thursday Next in einen im Brunnen der Manuskripte lagernden Kriminalroman mit dem Titel Caversham Heights zurück, der so schlecht ist, dass er wahrscheinlich nie veröffentlicht werden wird. Aber lange kann sie ihren Aufenthalt dort nicht ungestört genießen. Ein Mörder geht um, der einen Jurisfiktion-Agenten nach dem anderen ins Jenseits befördert, Aornis manipuliert immer noch Thursdays Erinnerungsvermögen und ein weiteres Mal versucht ein Großkonzern die Welt der Bücher unter seine Kontrolle zu bringen.

-In einem unveröffentlichten Roman zu wohnen hatte durchaus seine Vorteile. Die ganzen Alltagsgeschäfte, die uns im sogenannten wirklichen Leben auf Trab halten, wären für eine Erzählung in der Regel zu langweilig und werden deshalb meist ausgeblendet. Der Wagen brauchte nie aufgetankt zu werden, ich wählte nie die falsche Nummer, es gab immer ausreichend heißes Wasser, und die Beutel für den Staubsauger paßten auch immer.
1. Die Abwesenheit des Frühstücks

Der dritte Thursday-Next-Roman ist nicht ganz so temporeich und überdreht wie seine Vorgänger, trotzdem steht er ihnen an Skurrilität, Humor und Spannung in nichts nach. Die zahlreichen Anspielungen auf die Weltliteratur sind an Witz kaum zu überbieten. Miss Havisham führt in Emily Brontes Wuthering Heights mit sämtlichen Protagonisten eine Jurisfiktion-Wutberatungs-Therapiesitzung durch, zwei russische Klatschbasen tratschen im Fußnotofon bis zum bitteren Ende über die Ehe der Karenins und vor Thursday Nexts Tür stehen die drei Hexen aus Macbeth und ergehen sich wie gewöhnlich in undurchsichtigen bedrohlichen Prophezeiungen. Endlich erfährt der Leser, warum es sinnlos ist weiter auf Godot zu warten und was hinter dem scheinbaren Idyll in Enid Blytons Geschichten lauert. Und dank Jasper Fforde wissen die Deutschen nun, was mit ihrer schönen Sprache geschehen ist: sie wurde vom NeuSchreib-Vyrus befallen.

Den Mispeling Vyrus hatte Konrad Duden nahezu gänzlich unter Kontrolle gebracht aber in letzter Zeit hat eine Clique von größenwahnsinnigen Qmiehs einen NeuSchreib-Vyrus in Umlauf gebracht, der gegen jede Vernunft resistent ist und auch schon einige literarische Werke zerstört haben soll. Die Deutschen können einem schon leid tun. Neulich stand ein ganzes Rudel am Tor und hat nach verloren gegangenen Adverbien gesucht. Ich hab’ sie natürlich nicht reingelassen. Man konnte gleich sehen, dass sie schwere Regelwut hatten.

Danke Jasper Fforde, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Cover von Das Buch der Drei von Lloyd AlexanderTaran träumt davon, ein Held zu sein und Abenteuer zu erleben. Bisher hat er es aber nur zum Hilfsschweinehirt gebracht. Als eines Tages das Zauberschwein Hen Wen davonläuft, macht sich Taran auf die Suche nach dem Tier und gerät dabei in höchste Gefahr.

-Taran hätte lieber ein Schwert geschmiedet; doch Coll, der mit der praktischen Seite seiner Erziehung betraut war, bestand auf Hufeisen.-
Der Hilfsschweinehirt

Dem Cover sieht man es nicht auf Anhieb an, daß es sich bei diesem Roman um ein Kinderbuch handelt. Wahrscheinlich hat man wegen der neu ausgebrochenen Fantasy-Begeisterung versucht, mit Hilfe des Titelbildes das Buch auch für Erwachsene attraktiv zu machen. Das Buch der Drei (The Book of Three) ist aber schon vor Jahren im Arena Verlag erschienen, unter dem Titel Taran und das Zauberschwein.

Bei diesem Roman handelt es sich mit Sicherheit nicht um einen Meilenstein der Fantasy, wie der Verlag behauptet. Dazu sind die Charaktere zu eindimensional: Die Guten sind gut und die Bösen sind böse. Der einzige, der ansatzweise eine Entwicklung durchmacht, ist Taran. Die Handlung ist nicht genügend motiviert und durchschaubar. Die Gefahren, die Taran und seine Freunde bedrohen, tauchen plötzlich und unerwartet auf, ebenso schlagartig und unmotiviert folgt die Rettung auf dem Fuße. Kinder werden das aber so nicht wahrnehmen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Kinder die Handlung spannend und abwechslungsreich finden und sie können sich gut mit den Hauptfiguren identifizieren. Unterhaltsam geschrieben ist das Buch allemal, dafür sorgt allein schon der witzige Gurgi, der sich auf eine Art und Weise benimmt, daß den Leser der begründete Verdacht beschleicht, daß Gurgi als Vorlage für J.K. Rowlings Hauself Dobby gedient hat.

Bastei Lübbe hätte gut daran getan, den Roman mit der Altersangabe Ab neun zu versehen. Für erwachsene Leser ist das Buch zu oberflächlich und hat zu wenig Tiefgang, obwohl die übliche Moral -Freundschaft ist etwas wertvolles und das Gute siegt- natürlich auch hier vorhanden ist. Wenn man für zwei Stunden schnelle Unterhaltung sucht, z.B. um sich von einem bevorstehenden Zahnarztbesuch abzulenken oder wenn man sich daran erinnert, Taran als Kind verschlungen zu haben, dann kann man das Buch auch als Erwachsener lesen, ohne daß man Schaden am guten Geschmack erleidet.

Cover der Buches "Das Buch der toten Tage" von Marcus SedgwickBoy lebte auf der Straße, als der Zauberkünstler Valerian ihn in einer Kirche aufgelesen hat. Er kann sich an kein anderes leben erinnern. “Boy” ist auch kein richtiger Name, Valerian ruft ihn so. Boy ist Valerians Gehilfe bei den Vorstellungen. Aber er erledigt auch andere Dienste für seinen Herrn, etwa Briefe bei allen möglichen Leuten abliefern. Dabei gehen gerade unheimliche Dinge vor sich, bestialische Morde geschehen und Gräber werden geplündert. Sogar Valerian ist nervöser als sonst. Am 27. Dezember, dem ersten der “toten Tage” bricht aus Valerian heraus, worüber er sich sorgt: ihm bleiben noch vier Tage, dann muß er sterben. Es gibt nur einen Weg, Valerians Leben zu retten. Er muß das Buch der toten Tage finden…

-Hast du je die Reglosigkeit dieser sonderbar stillen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gespürt? Für mich sind das tote Tage. Tage, an denen die Türen zwischen unserer Welt und jener unsichtbaren, die gleich darunter liegt, geöffnet sind.-
Vorbemerkung des Autors

Ein Junge ohne Vergangenheit, ein zwielichtiger Magier, mysteriöse Morde, nächtliche Grabungen auf einem Friedhof, unterirdische Labyrinthe und ein Pakt mit dem Bösen – das sind ein paar der Fäden aus denen Marcus Sedgwick seinen spannenden Roman Das Buch der toten Tage (The Book of Dead Days) gestrickt hat.
Die interessanteste Figur ist Valerian: Ein Mann voller Ehrgeiz, Bühnenzauberkünstler, “richtiger” Magier und Gelehrter, der Boy in einer Kirche aufgelesen und das Waisenkind bei sich behalten hat, obwohl dieser strenge und unfreundliche Mann keineswegs den Eindruck macht, als hätte er eine soziale Ader und würde sich mit Vorliebe um das Elend anderer Leute kümmern. Boy ist vor allen Dingen durch seine mysteriöse Herkunft interessant und natürlich ist er der Held der Geschichte, der von einer atemberaubenden Gefahr in die andere gerät.

Aber der Roman hat noch eine andere faszinierende “Hauptfigur” und das ist diese düstere Stadt, die Sedgwick geschickterweise nicht in einer bestimmten Epoche ansiedelt und auch nicht benannt hat, so daß die Phantasie jedes Lesers genügend Spielraum hat, um sich ihren eigenen finsteren Moloch auszumalen. Sedgwick hat aber dem Leser genügend Hinweise gegeben, um diesen Phantasien Nahrung zu geben. So schreibt er in seiner Vorbemerkung:

Und plötzlich sah ich eine Welt vor mir oder eher eine Stadt, so riesig und wuchernd, daß sie eine Welt für sich bildet. Magische Orte haben diese Stadt inspiriert, Paris mit seinen Meilen unsichtbarer Katakomben, Bologna mit seinem versteckten Kanalsystem und Krakau mit seinen überfüllten Friedhöfen und Schneemassen zur Weihnachtszeit.

Der Rezensent hat sich allerdings eher das alte Prag mit seinen engen, verwinkelten Gassen und alten Friedhöfen vorgestellt und auch das mit gutem Grund: Dem Engländer Marcus Sedgwick sei zunächst einmal Dank, daß er darauf verzichtet hat, als Schauplatz das neuerdings so beliebte viktorianische London zu wählen und obwohl er keine genaue Zeitangabe macht, nennt er einen Namen, der dem Leser eine zeitliche Vorstellung vermittelt: Valerians ehemals bester Freund und Wissenschaftskollege heißt Kepler, ist Doktor der Medizin, betrieb aber zugleich spezielle Forschungen auf dem Feld der Himmelskunde. Er besaß Geräte aller Art, mit denen er die Sterne beobachtete … Kepler hatte Boy einmal erzählt, er könne Voraussagen aller Art über Menschen und ihre Handlungen treffen, er brauche dazu nur den genauen Zeitpunkt ihrer Geburt zu wissen. Das ist natürlich mehr als nur eine leise Anspielung auf den berühmten Astronomen Johannes Kepler, der von 1571 bis 1630 lebte, 1600 nach Prag übersiedelte und Wallensteins Horoskop erstellte. Es ist aber eindeutig, daß Sedgwick seinen Roman in keiner identifizierbaren vergangenen Epoche ansiedeln möchte, denn die beiden Gelehrten machen Experimente mit Elektrizität, die an Galvanis berühmte Versuche erinnern, die dieser aber in der Realität erst um 1780 durchführte. Auch ist der Herrscher über Boys Welt, König Frederik, nicht historisch. Diese höchst geglückte Verquickung von realen und phantastischen Motiven macht Das Buch der toten Tage zu einer fesselnden Lektüre.

Die toten Tage sind in Deutschland übrigens besser unter dem Begriff Zwischen den Jahren bekannt, der natürlich keinen wohlklingenden Titel für ein phantastisches Buch geliefert hätte. Es handelt sich um die Tag vom 27. bis zum 31. Dezember. Jedem dieser Tage ist ein Kapitel des Romans gewidmet und hier gibt es allerdings einen Kritikpunkt: Die Kapitelüberschriften sind nicht immer ganz geglückt. Während sich Der Tag des größten Unglücks oder Der Tag der schlimmen Entwicklungen noch ganz gut anhören, so klingen die doppeldeutigen Titel Der Tag des geschickten Mitarbeiters oder Der Tag der vollkommenen Beförderung eher nach Aktionen eines mittelständischen Unternehmens zur Mitarbeitermotivation oder gar nach den alten sozialistischen “Gedenktagen”.

Cover von Das Buch der Wunder von Miriam Kronstädter/Hans-Joachim Simm (Hgg.)Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm haben für dieses Buch siebenundvierzig phantastische Geschichten bedeutender Autoren aller Herren Länder zusammengetragen. Wie immer bei Anthologien gibt es mehr Informationen zum Inhalt in der Buchbesprechung.

-In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau, vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann.-
Theodor Storm: Bulemanns Haus

Diese Anthologie ist eine Fundgrube für Freunde der phantastischen Literatur. Berühmte Autoren wie Nikolaj W. Gogol, Gabriel Garcia Márquez, Jack London, H.P. Lovecraft, August Strindberg, Ludwig Tieck, Joseph Sheridan Le Fanu, E.T.A. Hoffmann, Stanislaw Lem, Tania Blixen, Edgar Allan Poe und Prosper Mérimée teilen sich einträchtig die Seiten mit Schriftstellern, die nicht ganz so bekannte Namen tragen: Fjodor Sologub, Adolfo Bioy Casares, Stefan Grabinski, Mircea Eliade, Boris Vian oder Tommaso Landolfi. Ob weltbekannt oder nicht – erzählen können sie alle.
Die Themen ihrer Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Leser findet hier klassische Geistergeschichten wie Le Fanus Erzählung von der Gespensterhand oder Becqers Geschichte vom Geisterberg, in der eine Frau ihrem Cousin eine unheimliche Mutprobe abverlangt. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre von Ludwig Tiecks Märchen Der blonde Eckbert oder von Edith Nesbits Das violette Automobil. Stefan Grabinskis Erzählung Das Abstellgleis hingegen ist so beklemmend, weil sie real wirkt, so real, daß sie jedem heute oder morgen passieren könnte und man dennoch fühlt, daß etwas Unheimliches im Gange ist, das unerbittlich und unaufhaltsam das Ende bringt. Nicht alle Geschichten sind unheimlich oder gruselig, manche sind voller Witz und Ironie wie die vom Werwolf, der sich in ein erotisches Abenteuer stürzt oder die von Wolfgang Hildesheimer, in der der Ich-Erzähler erläutert, warum er sich in eine Nachtigall verwandelt hat. Andere sind der literarische Ausdruck politischen Widerstands wie die Parabel Der Basilisk von Werner Bergengruen. Ein eitler Wichtigtuer tritt in die SA ein und spukt nach seinem Tode im Haus herum, bis das Dritte Reich endgültig zusammenbricht.
Häufig sind Künstler die Protagonisten, die, wenn sie auch nicht unbedingt mit dem Teufel im Bund sind, doch offensichtlich besonders gefährdet sind, in den Bannkreis übernatürlicher Mächte zu geraten und nur selten, wie in Beheim-Schwarzenbachs Geschichte Das Spinett sind die Begegnungen mit dieser anderen Welt hilfreich.
Allen Geschichten ist gemeinsam, daß die Normalität und die Realität durch den Einbruch des Übernatürlichen gestört werden. Das kann auf den Leser beängstigend, verstörend und beklemmend wirken oder auch nur verwunderlich, seltsam oder gar lustig, aber jedesmal ist es im doppelten Sinne des Wortes phantastisch.
Die Übersetzung hakt an manchen Stellen etwas. Das Wort Katalanin liest sich doch viel schöner als Katalanerin, schlurfende Schritte sind den schlürfenden Schritten auf jeden Fall vorzuziehen und das Wort ausgepowert gehört nicht in eine Geschichte, die im Jahre 1840 spielt. Liest man solche sprachlichen Stolpersteine, fühlt man sich als hätte man sich den Ellbogen an einer Kante gestoßen. Es wird zwar kein großer Schaden angerichtet, aber es schmerzt doch.

Cover des Buches "Das magische Herz" von Donna BoydIm alten Ägypten werden Han, Akan und Nefar im Hause des Ra zu Magiern ausgebildet. Rasch erkennen sie, dass sie die Welt beherrschen können, wenn sie ihre magischen Kräfte gemeinsam einsetzen. Nachdem die drei im Haus des Ra eine Katastrophe ausgelöst haben, gelingt es ihnen tatsächlich, die Macht in Ägypten an sich zu reißen, doch gleichzeitig beendet ein Verrat ihre Freundschaft. Von diesem Zeitpunkt an geht Han jahrhundertelang seinen eigenen Weg, an dessen Ende ein aufsehenerregendes Verbrechen steht.

-Selbst jetzt hatte er das Bild vor Augen: die Blutfontäne, die in einem hohen Bogen aus der Halsschlagader schoss und sich anmutig gegen den sonnendurchtränkten Himmel wölbte, wo sie einen Moment lang wie erstarrt in Zeit und Raum verharrte, feucht glänzende Tropfen des Lebensflusses, die wie geschmolzenes Gold in einer zähen Suspension wirbelten und tanzten, ehe sie in einem weichen, sanften Sprühregen Gesicht und Haut und Haare benetzten.-
NEW YORK GEGENWART

Obwohl -oder vielleicht gerade weil- die Autorin eine Vielschreiberin ist, die schon mehr als fünfzig Bücher veröffentlicht hat, wirkt Das magische Herz (The Alchemist) als hätte sie sich beim Verfassen dieses Romans genau an das Handbuch für den hoffnungsvollen Fantasyautor gehalten:
1. Zu Beginn mache man den Leser neugierig, indem man ein möglichst grausames Verbrechen schildert.
2. Danach lasse man einen mysteriösen Fremden auftreten, der von sich behauptet, er lebe schon seit ewigen Zeiten und der seine Geschichte einem Normalsterblichen des 20./21. Jahrhunderts erzählt. Am besten geeignet ist die Konstellation “Vampir/Journalist”, sollte Ihnen jemand diese Idee unverschämterweise gestohlen haben, bevor Sie mit dem Schreiben ihres Romans angefangen haben, behelfen Sie sich mit einem ägyptischen Magier und einer Psychotherapeutin.
3. Um zu verhindern, daß der Leser sich langweilt, schildern Sie in regelmäßigen Abständen ein schreckliches Ereignis, das eines der folgenden Szenarien beinhaltet: Ein verheerendes Feuer, einen Mord, bei dem unbedingt Blut spritzen muß oder jemand verspeist ein lebenswichtiges Organ eines anderen. Gegebenenfalls kann man diese Vorgänge beliebig miteinander kombinieren.

Auf gewisse Weise funktioniert dieses Konzept sogar. Die Geschichte ist einigermaßen spannend, Han, Akan und Nefar sind so gestaltet, daß der Leser ihr Schicksal mit Interesse verfolgt und es gibt einige gut geschriebene Szenen, z.B. die, in der die drei entdecken, daß sie fliegen können. Die Freude, die sie dabei empfinden, springt direkt auf den Leser über. Andererseits merkt man dem Roman zu sehr an, daß er schnell dahingeschriebenes Unterhaltungs-Fast-Food ist.

Donna Boyd hat sich wenig Mühe mit der Schilderung des Umfeldes gegeben. Die Orte, an denen die Handlung spielt, sind, wenn überhaupt, nur durch wenige Worte charakterisiert. Ägypten erkennt man hauptsächlich daran, daß die Begriffe “Pharao”, “Wüste” und “Ra” vorkommen. Diese marginale Charakterisierung ist nicht dazu geeignet, vor dem geistigen Auge des Lesers die reiche Kultur des alten Ägyptens entstehen zu lassen.
Ganz unglaubwürdig wird die Geschichte, wenn der mysteriöse Fremde erzählt, daß sie an elektronische, mit Solarstrom betriebene Verkehrsmittel (dachten). Auch wenn er dies in der Gegenwart erzählt und wenn die drei die mächtigsten Magier des alten Ägyptens waren, dann wäre es weitaus stimmiger, wenn sie daran gedacht hätten Wagen zu bauen, die durch die Kraft der Sonne angetrieben würden.Boyds Wortwahl ist unpassend und zu häufig anachronistisch. Erstaunt ist der Leser auch, wenn Han, Akan und Nefar mitten in Ägypten darüber nachdenken, in ein anderes Land zu reisen und zwar nach Afrika (!!!).
Der zweite Teil des Buches trägt die Überschrift Zeitalter der Entdeckungen Venedig 1586. Zeit und Ort sind hier völlig willkürlich gewählt und austauschbar. Die Episode könnte genauso 1498 in Madrid oder 1743 in Paris spielen.

Ein wenig mehr Mühe hätte sich die Autorin schon machen dürfen, so ist der Roman zwar durchaus lesbar und unterhaltsam, wirkt aber lieblos dahingeschludert.

Cover von Dea Mortis von Andreas GößlingRick Nadar ist 25 Jahre alt und will jetzt, da seine Freundin Rachel im fünften Monat schwanger ist, ein geregeltes Leben führen. Also arbeitet er nun als Sicherheitsbeauftragter in einer Computerfirma. Doch aus seinem Traum von einem normalen Familienleben wird nichts. Als er von seiner Schicht nach Hause kommt, fordert ihn seine Freundin auf, sofort mit dem Auto loszufahren, sie könne nicht in dieser Stadt bleiben. Sie brechen auf, ohne daß Rick erfährt, wohin die Reise geht. Nachdem sie in mehreren Hotels abgestiegen sind, in denen merkwürdige Dinge vor sich gehen, gelangen sie zur Stadt Idleton. Dort verschwindet Rachel und Rick muß bald feststellen, daß er in Idleton seines Lebens nicht sicher ist.

-Diese Woche hatte Rick Nadar Nachtschicht, und als er um fünf Uhr früh nach Hause fuhr, ging über den Hügeln von New Providence gerade die Sonne auf.-
1.Kapitel NEW PROVIDENCE

Andreas Gößling hat sich zu seinem Roman von Bildern H.R. Gigers inspirieren lassen, die dieser in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen hat. Diese Bilder sind es, die DEA MORTIS (=Die Göttin des Todes) zu einem besonderen Buch machen. Viele von Gigers Schwarz-Weiß-Zeichnungen wirken wie eine Kreuzung von Gemälden Boschs und Brueghels mit dem Film Metropolis, da er häufig dämonische Geschöpfe mit maschinenähnlichen Gebilden, Stahlkonstruktionen oder futuristisch anmutenden Häuserfassaden, die aber genausogut Teile eines gotischen Doms darstellen könnten, verbindet. Die Bilder sind verstörend, unheimlich und voller religiöser und sexueller Bezüge. Wer also seinem achtjährigen Sprößling nicht erklären möchte, was sich da auf einigen Bildern so augenfällig in die Höhe reckt und auch schon mal direkt von unten in die Mitte zwischen die nackten Backen (denen auf der Hinterseite wohlgemerkt) einer Frau zielt, der sollte das Buch kindersicher aufbewahren.
Der Roman ist leider weder so verstörend, noch so unheimlich wie Gigers Bilder. Man wird nie das Gefühl los, daß man zwar nicht die Geschichte kennt, aber die Einzelteile, aus denen sie zusammengesetzt ist. Und allzu oft ist dem Leser von vorneherein klar, daß Andreas Gößling versucht, Erwartungen zu wecken, die er nicht einhalten wird. Wenn Rick Nadar sich also zu Beginn plakativ ausmalt, wie er mit seiner großen Liebe Rachel und dem gemeinsamen Kind das idyllische Leben einer Kleinfamilie führen wird, dann muß man weder ein Prophet sein, noch über langjährige Leseerfahrung verfügen, um zu wissen, daß sich seine Vorstellungen in Null Komma Nichts in Luft auflösen werden. Und wenn eine schwangere Frau holterdipolter darauf besteht, die Stadt zu verlassen, ihrem Liebsten nicht sagt, wohin die Reise geht, sondern ihn einfach durch die Gegend dirigiert, dabei wie ferngesteuert wirkt und unbedingt in äußerst merkwürdigen Hotels mit noch merkwürdigeren Bewohnern absteigen möchte, dann wird der Leser nicht unbedarft daran glauben, daß schwangere Frauen eben so komische Dinge machen und derartige Reisen für sie genauso normal sind, wie das plötzliche Verlangen, saure Gurken mit Erdbeeren und Schlagsahne zu verspeisen. Selbstverständlich wird er annehmen, daß sich die Geschichte entweder in Richtung Rosmarys Baby oder Alien entwickeln wird. So ist der Überraschungseffekt und damit auch ein Großteil der Spannung erstmal gestorben.
Im weiteren Verlauf erinnert der Roman weniger an bekannte Filme, sondern mehr an Albträume. Gößling beschreibt, immerhin ziemlich eindrucksvoll, Traumbilder, die jeder kennt, entweder aus eigenem nächtlichen Erleben oder weil sie hinlänglich bekannt sind. Ob Rick Nadar nackt auf der Straße steht, ob er von Jugendlichen verfolgt wird, die ihn verstümmeln und ermorden wollen oder ob er bei seiner Flucht kaum von der Stelle kommt, – die unheimlichen Frauen, bis hin zur Opfer fordernden Göttin, dazu die Erinnerungen Ricks an seine Kindheit und der Hinweis, daß hier Dinge vor sich gehen, die er so ähnlich in einem Film gesehen hat – das alles stößt den Leser mit der Nase darauf, daß hier surreale Traumbilder erzählt werden. Man erliegt nicht einen Augenblick der Illusion, hier könnte einem Menschen wie Du und Ich wirklich etwas Furchtbares passieren, was einem – Gott bewahre- vielleicht selbst zustoßen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering scheinen mag. Aber nur, wenn es dem Autor gelingt, die Illusion wenigstens für einen Moment zu erschaffen, das Beschriebene könnte Realität sein, sodaß man erschrocken bei der Lektüre zusammenzuckt, wenn die schwangere Freundin ins Zimmer kommt und sagt: “Komm Schatz, laß uns einen Ausflug mit dem Wagen machen”, kann wirklich Spannung aufkommen. Hat man jedoch den Eindruck, hier wird ein Traum beschrieben und man nur noch rätseln darf, ob es der Albtraum des Autors nach der Betrachtung der Bilder H.R.Gigers ist, der des Helden, den unterbewußt doch die Panik vor einem Familienleben gepackt hat oder ob Gößling diese Traumbilder aus anderen Büchern zusammengetragen und mit Mythen vermischt hat, dann mag man vielleicht bewundern, wie der Autor Bilder in Sprache umgesetzt hat, atemberaubende Spannung kommt jedoch nicht auf, weil jeder Leser weiß: Albträume mögen zwar einige Zeit bedrohlich wirken, aber letztendlich sind Träume nur Schäume, von denen keine Gefahr ausgeht.

Cover des Buches "Drachennächte" von Roman Sander (Herausgeber)Diese Anthologie enthält zehn Fantasygeschichten verschiedener Autoren. Mehr zum Inhalt findet Ihr in der Buchbesprechung.

-Mit der Dämmerung kam der Sturm.-
Sturmnacht

Die zehn in diesem Buch versammelten Geschichten decken einen großen Teil des Spektrums ab, das die Fantasy zu bieten hat.

Uschi Zietschs Sturmnacht erzählt als etwas pathetisch geratene Horrorversion der Wilden Jagd von der Geburt einer deutschen Sagengestalt.
In Terry Pratchetts Die Trollbrücke trifft Cohen der Barbar auf einen Troll. Doch anstatt zum geplanten Kampf um den legendären Trollschatz, von dem Cohens sprechendes Pferd dem gealterten Barbaren übrigens dringend abgeraten hat, kommt es zu einem wehmütigen und höchst komischen Abgesang auf alte Zeiten.
Ganz anders wiederum ist der Stil der Erzählung Die Sonnwendherrin der russischen Autorin Anna Kashina. Sie beruht auf einer alten Legende ihrer Heimat und gleicht mehr einem Märchen als einer Fantasygeschichte. Ihre Protagonistin, die Sonnwendherrin, erinnert an die starken, selbstbewussten und magischen Heldinnen Angela Carters.
David Case wirft in Das Ungeheuer in der Kluft die Frage auf, was den Mensch zum Menschen macht und welche Rolle Religion und Kirche dabei spielen.
In David C. Smith Geduld ist eine Tugend rächt sich eine misshandelte Frau nach Jahren an ihrem Peiniger. Es ist eine bösartige kleine Geschichte und genau deshalb ist sie so gut.

Auch alle anderen Erzählungen sind lesenswert: Rot auf Silber von Uwe Luserke, Hans Dieter Römers Am Rande, Lucius Shepards Der Mann, der den Drachen Griaule bemalte, Chris Naylors Die Burg am Ende der Welt und das Gemeinschaftswerk des Autorengespanns Marion Zimmer Bradley & Ted White: Geburt eines Phönix.

Cover von Der Drachentöter von Martin ScottPrivatdetektiv Thraxas erhält von der Königstochter den Auftrag, Liebesbriefe zurückzuholen, die sie unvorsichtigerweise einem ausländischen Diplomaten geschrieben hat. Kaum hat Thraxas den Auftrag angenommen, wird er auch schon wegen Mordes verhaftet. Außerdem gerät er in Verdacht das wertvolle Rote Elfentuch gestohlen zu haben. Und das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, die Thraxas meistern muß, um seinen ersten Fall zu lösen.

-Turai ist eine magische Stadt. Von den Hafenanlagen im Stadtteil ZwölfSeen bis zum Park der Mondfinsternis, von den stinkenden Elendsvierteln bis zu den duftenden Gärten des Kaiserlichen Palastes, findet ein Besucher alle Arten erstaunlicher Personen, erstaunlicher Dinge und erstaunlicher Dienstleistungen.-
1. Kapitel

“Ich bin dreiundvierzig, übergewichtig, bar jeden Ehrgeizes, und habe einen fatalen Hang zu ausgedehnten Sauftouren.” Falls Sie jetzt auf eine ausführliche Lebensbeichte des Rezensenten hoffen, muß ich Sie enttäuschen. Dieser Anfall von Selbsterkenntnis stammt von Thraxas, dem Helden des Romans Der Drachentöter (Thraxas). Er ist außerdem geschieden, chronisch pleite und von Beruf Detektiv und Zauberer – ein ziemlich schlechter Zauberer. Der Fall liegt klar: Thraxas ist der typische Verlierer und das macht ihn so sympathisch.
Martin Scott verbindet in seinem Roman ein historisches Ambiente mit sehr gegenwärtigen Problemen. Die Stadt Turai, in der Thraxas ermittelt, ist an das antike Rom angelehnt. In ihr wohnen Menschen, Orgks und Elfen. Zwei Verbrecherorganisationen kämpfen um die Vorherrschaft. Der Handel mit Boah, einer mit Kokain oder Heroin vergleichbaren Droge, blüht. Wer nicht Boah konsumiert, berauscht sich mit Thazis. Die Oberschicht, bestehend aus Königshaus, Adel und Priesterschaft ist korrupt. In den Abwasserkanälen hausen Alligatoren und Frauen haben in Turai ziemlich wenig zu melden. Damit sind wir bei der zweiten sympathischen Figur, die Scott geschaffen hat: Makri. Makri ist ehemalige Gladiatorin und bedient in Thraxas’ Stammkneipe, der Rächenden Axt, in einem kaum vorhandenen Kettenhemd, die Kundschaft. Feministinnen dürfen das Buch dennoch zur Hand nehmen, Makri verdient sich in der Kneipe nämlich nur das Geld für ihre Kurse an der Innungshochschule. Die Universität ist zu Makris äußerstem Mißfallen, ausschließlich Männern vorbehalten. Deshalb unterstützt sie die Vereinigung der Frauenzimmer, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt. Außerdem hilft sie Thraxas schlagkräftig bei der Lösung dieses Falles.

Scott zeichnet originelle Charaktere; Turai ist glücklicherweise nicht die siebenhundertsechsundreißigste Version einer mittelalterlichen Stadt; mit der Schlacht im Feenhain schildert Scott eine der schönsten und niedlichsten (!) Kampfszenen im Fantasy-Bereich; und außerdem verfügt der Autor über Sprachwitz. Das merkt der Leser aber erst, wenn er beschlossen hat, über die Mängel des Buches großzügig hinwegzusehen: Die Namensgebung im Roman zeugt von Holzhammer-Humor oder von dem übermäßigen Konsum von Asterix-Heften. Der Fischhändler heißt Iglox, die Prostituierte Nitribix, der Mafiaboß Corleonaxas, die Prinzessin Du-Lackai und wer weiß, ob das Schlagerduo Cindy und Bert glücklich damit ist, daß ihm der Übersetzer mit den fahrenden Sängern Cimdy und Bertax ein Denkmal gesetzt hat. Überhaupt scheint die Übersetzung manchmal auf wackeligen Füßen zu stehen, so ist z.B. die Anspielung auf den “Superbowl” im Deutschen völlig daneben gegangen. Das Cover ist eine Geschmacklosigkeit sondergleichen und veranlaßt den Rezensenten, die Redaktion zu bitten, eine Seite mit einer Bastelanleitung für Buchumschläge aus marmoriertem Papier einzurichten. Auch bei der Wahl des Titels sind die Wege des Verlages wieder einmal unergründlich. Im Original lautet der Titel des Buches aus gutem Grund einfach nur “Thraxas”.

Cover von Das Durchdrehen der Schraube von Henry JamesEin Mann liest seinen Freunden aus dem Manuskript vor, das ihm eine Freundin vermacht hat. Darin erzählt sie eine Geschichte, die sie in ihrer Jugend erlebt hat: Die junge Frau wurde damals als Erzieherin für zwei junge Waisen, Flora und Miles, eingestellt. Als die Gouvernante ihre Stellung antritt, kann sie ihr Glück kaum fassen. Die Kinder leben in einem schloßartigen Anwesen, sie sehen aus und benehmen sich wie kleine Engel. Die junge Frau freundet sich mit der Haushälterin Mrs. Grose an. Doch die Idylle währt nicht lange. Plötzlich der ehemalige Kammerdiener und die letzte Gouvernante der Kinder wieder auf. Schnell wird klar, daß die beiden versuchen, einen fatalen Einfluß auf Miles und Flora auszuüben. Die Erzieherin und Mrs. Grose setzen alles daran, die beiden Kinder zu schützen.

-Die Geschichte hatte unserer Runde am Kaminfeuer wohl hinreichend den Atem verschlagen, doch außer der naheliegenden Bemerkung, daß sie schaurig gewesen wäre, wie das am Weihnachtsabend in einem altertümlichen Haus für eine außergewöhnliche Geschichte unerläßlich sei, erinnere ich mich nichtsdestoweniger keiner Äußerung dazu, bis schließlich jemand beiläufig feststellte, dies sei der einzige ihm bekannte Fall, in dem ein Kind von einer derartigen Heimsuchung betroffen wurde.-

Oscar Wilde sagt über diese Erzählung sie sei “Eine höchst wunderbare, grausige, giftgetränkte kleine Geschichte.” Besser kann man es nicht ausdrücken. Diese Geschichte ist nichts für Leser, die leises Grauen erst dann empfinden, wenn axtschwingende Untote kreischende halbnackte Blondinen zerstückeln. Das Grauen, das sich beim Lesen von Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw) einstellt, ist von völlig anderer Art. Es schleicht sich wie ein langsam wirkendes Gift in die Seele des Lesers -wenn er für diese Art von Schrecken empfänglich ist. Man muß sich die Zeit vergegenwärtigen, in der die Geschichte spielt -ungefähr in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, also im viktorianischen Zeitalter. Zu dieser Zeit galten völlig andere moralische Standards als heute. Da verstößt es gegen die guten Sitten, wenn ein fremder Mann einer jungen Dame aufdringlich hinterher starrt, Kinder werden für ein Verhalten von der Schule gewiesen, das heute niemanden mehr aus der Fassung bringt und es gibt Dinge, über die spricht man nur in Andeutungen. Letzteres macht die Faszination der Geschichte aus. Die Spannung entsteht dadurch, daß etwas Irrationales geschieht. Mit der Rückkehr von Quint und Miss Jessel bricht das Böse in die Idylle ein, aber objektiv gesehen geschieht gar nichts. Die beiden sind einfach nur anwesend, es ist nicht so, daß sie die Kinder angreifen oder verbal bedrohen würden. Aber der Leser weiß durch die Gespräche, die die Erzieherin mit Mrs. Grose führt (und er weiß es nur aus diesen Gesprächen), daß etwas Furchtbares im Gange ist, doch er erfährt nicht, was genau geschieht. So entsteht zwischen dem Leser und der Gouvernante eine Interaktion. Dadurch, daß das Unaussprechliche nur angedeutet wird, bleibt dem Leser Raum, seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln, was das Böse wohl sein mag, das versucht, Macht über die Kinder zu gewinnen. Oder hat es tatsächlich Macht über die Erzieherin gewonnen? Henry James’ Schachzug, aus dem Leser die ureigensten Ängste hervorzulocken, anstatt ihm explizit zu erklären, was in diesem Haus geschieht, macht diese Geschichte zu einem Klassiker der phantastischen Literatur.

James verzichtet auf eine Erklärung der Vorgänge und so wurde das Buch zu einem der meistinterpretierten Bücher der Literaturgeschichte. Tun sie sich einen Gefallen und verzichten sie auf eine Interpretation. Sie würden damit nur die Faszination der Geschichte zerstören. Damit meine ich nicht, daß Sie nicht darüber spekulieren sollen, was nun eigentlich geschehen ist. Jedem der diese Geschichte liest, drängen sich Vermutungen auf, wer der Auslöser der Ereignisse ist. Vermeiden Sie es aber, eine bestimmte Deutung als die einzig wahre anzusehen. Diese Geschichte lebt von der Vielfalt der möglichen Erklärungen und von dem offenen Ende.

Die Sprache ist in Ordnung, für jemanden, der noch nie ein Werk aus dieser Epoche gelesen hat, aber wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig. Wie Karl Ludwig Nicol im Nachwort schreibt, ist es richtig, daß versucht wurde, den literarischen Sprachstil des neunzehnten Jahrhunderts beizubehalten. Die Sprache muß die Atmosphäre dieser Zeit widerspiegeln. Hätte man ein moderneres Deutsch gewählt, würde die Geschichte nicht funktionieren. Trotzdem klingt die Übersetzung des Titels “The Turn of the Screw” im Deutschen unglücklich. Man muß dem Übersetzer zugute halten, daß es äußerst schwierig ist, den Titel adäquat und wohlklingend ins Deutsche zu übertragen, wenn “Das Drehen der Schraube” als nicht eindeutig genug empfunden wird. Mein Sprachgefühl hätte sich in diesem Fall für “Das Anziehen der Schraube” entschieden.

Wenn Sie der englischen Sprache mächtig sind, genießen Sie das Original.

Cover von Die entführte Prinzessin von Karen DuveIn der vom Verband der fahrenden Sänger herausgegebenen Liste heiratsfähiger Königs- und Fürstentöchter entdeckt der siebzehnjährige Prinz Diego von Baskarien die Beschreibung Prinzessin Lisvanas vom Nordland. Sie wird für ihre Schönheit gepriesen und Prinz Diego ist hin und weg. Die kümmerliche Mitgift stört ihn nicht im geringsten, denn Diegos Familie schwimmt in Geld. Lisvana ist die Liebe seines Lebens, das weiß er, und so macht er sich mit seinem Vater auf ins Nordland, um die holde Prinzessin heimzuführen. Unglücklicherweise kommt es zwischen Prinz Diego und Ritter Bredur, einem anderen Verehrer der Prinzessin zu einem Zwischenfall und König Rothafur verweigert infolgedessen Diego die Hand der Prinzessin. Prinz Diego sieht nur noch einen Ausweg: Er muß Lisvana entführen.

-Es war einmal ein Königreich, das hieß Snögglinduralthorma oder so ähnlich, genau weiß das heute keiner mehr. Es wurde schon damals überall bloß “das Nordland” genannt, weil es hoch, hoch im Norden lag – dahinter wohnten eigentlich nur noch Eisbären und Robben – und weil niemand den offiziellen Namen richtig aussprechen konnte.-
Schnee und Eis

Ist es nicht wunderbar, eine Märchenprinzessin zu sein? Man wächst in einem prächtigen Schloß heran, umgeben von herrlichen Gärten, in denen die edelsten Rosen blühen. Die königlichen Eltern lesen ihrem geliebten Töchterchen jeden Wunsch von den Augen ab, man lebt in Glück und Reichtum und kann sich unter den zahlreichen Bewerbern den stattlichsten und schönsten Prinzen als Ehemann erwählen. Es sei denn, man heißt Prinzessin Lisvana und stammt aus Snögglinduralthorma. Zwar liebt König Rothafur seine Tochter und er gönnt ihr allen Reichtum der Welt, aber leider ist sein Königreich eher arm an Bodenschätzen und das unwirtliche Klima verhindert, daß die Natur sich von ihrer besten Seite zeigen kann. Trotzdem halten die Nordländer ihr Königreich für das schönste der Welt. Leider teilt der Rest der Welt diese Ansicht nicht und deshalb findet sich zunächst auch kein geeigneter Kandidat, als König Rothafur Lisvana aufgrund ihres hohen Alters von siebzehn Jahren endlich verheiraten möchte. Die Prinzessin kann so schön sein, wie sie will, ein paar Silberlöffel zweiter Wahl, zwanzig schlechte Pferde und ein Streifen faulig riechendes Moorgebiet ist den potentiellen Freiern einfach zu wenig.
Karen Duve bietet ihren Lesern eine höchst unterhaltsame Mischung aus Märchen und Heldensage, die durch Ironie und Sprachwitz besticht. Die entführte Prinzessin basiert auf der Kudrun-Sage, auch dort findet man den fahrenden Sänger, der den Hof mit seiner Kunst unterhält, es gibt ein Nordland, zwei rivalisierende Männer, die um die Hand der schönen Königstochter werben und natürlich die liebreizende Prinzessin höchstselbst- Kudrun. Wer als Kind die Heldensagen verschlungen und mit der armen Prinzessin gelitten hat, als sie im kalten Winter von ihrer bösen “Fast-Schwiegermutter” dazu gezwungen wurde, im eisigen Wasser die Wäsche zu waschen und wer Kudrun bewunderte, weil sie diese niedere Arbeit mit so viel edlem Stolz und schlichter Würde verrichtete, der wird sich wundern, denn Karen Duve entlarvt Kudruns alter ego Lisvana als eigensinnige Zicke, die sich keineswegs edel verhält, sondern höchstens albern und bockig. Überflüssig zu sagen, daß Duves Version die weitaus amüsantere ist.
Karen Duve spielt fröhlich mit Motiven aus bekannten Geschichten: Prinz Diego und Ritter Bredur machen eine Reise, die Sindbads würdig wäre, Lisvana verliert ihren Schuh wie Aschenputtel, ein Zwerg ist so reich wie König Drosselbart, ein zweiter, äußerst unheimlicher Entführer spricht mit mindestens genauso vielen “ö” wie der See-Elefant. Sie hat sich aber nicht nur von fiktiven Geschichten, sondern auch auf makabre Weise von der Historie inspirieren lassen. Der Leser erfährt, daß die Jungfer Cäcilie von Glauberach aus der Heiratsliste gestrichen worden ist, weil sie ihrer Leidenschaft fürs Tabakrauchen zum Opfer gefallen ist. Sie wurde von ihrer Mutter dabei ertappt, wie sie rauchte, versuchte die Pfeife in den Stoffbahnen ihres Rockes verschwinden zu lassen und ging dabei in Flammen auf. Dieses tragische Schicksal ereilte in Wirklichkeit 1867 die Tochter von Erzherzog Albrecht und Hildegard von Bayern, Mathilde, die mit achtzehn Jahren starb, weil sie eine brennende Zigarette aus Angst vor Strafe hinter ihrem Rücken verstecken wollte. Dabei fing der leicht entflammbare Tüll sofort Feuer und Mathilde verbrannte.
Der Roman bietet aber auch weniger tragische Anspielungen auf die Realität. So darf sich jeder von der Autorin verstanden fühlen, der unter einer lieblosen Mutter leidet, die sich lieber um ihren Garten kümmert (oder um ihre Corgies 😉 ) als um ihr Kind.
Leider ist das Ende ein wenig zu konventionell geraten. Wer so virtuos und amüsant wie Karen Duve mit den Genres Märchen, Heldensage und romantische Liebesgeschichte spielt, der hätte die Prinzessin ruhig mit dem Drachen verheiraten dürfen, der natürlich auch in diesem Roman vorkommt, anstatt mit… Ihr habt jetzt nicht wirklich geglaubt, daß ich den Schluß verrate, oder?

Cover von Das Erbe des Zauberers von Terry Pratchett Der Zauberer Drum Billet hat nur noch sechs Minuten zu leben. Wie bei Zauberern so üblich, möchte er seine Zauberkunst vor seinem Ableben auf einen Nachfolger übertragen. Zauberer kann aber nur der achte Sohn eines achten Sohnes werden. Da trifft es sich gut, daß die Frau des Schmiedes gerade mit dem achten Kind in den Wehen liegt. Drum überträgt seine Kraft auf das Neugeborene, um d a n a c h festzustellen, daß das Kleine ein Mädchen ist. Als Eskarina acht Jahre alt ist, beginnt die Magie mächtig in ihr zu wirken und sie will Zauberer werden, aber eine Frau als Zauberer hat die Scheibenwelt noch nie gesehen und Eskarina muß sich mit Hilfe von Oma Wetterwachs gegen eine Menge Vorurteile durchsetzen…

-In der folgenden Geschichte geht es um Magie, wohin sie verschwindet – und was vielleicht noch wichtiger ist – woher sie kommt.-

Das Erbe des Zauberers (Equal Rites) gehört zu den schwächeren Scheibenweltromanen. Es ist allerdings das erste Buch, das die Bezeichnung “Roman” verdient hat; es ist klar strukturiert und besitzt eine durchgehende, nachvollziehbare Handlung. Insofern ist es besser als die ersten beiden Scheibenweltbände. Falls sich je ein Literaturwissenschaftler auf diese Seiten verirren sollte, der eine Parodie auf den klassischen Entwicklungsroman sucht, dann ist er mit diesem Buch bestens bedient.

Leser, die einfach nur Terry Pratchett kennenlernen wollen, sollten mit einem anderen Scheibenweltroman beginnen. Man hat den Eindruck, daß Pratchett immer noch dabei ist, sich warmzuschreiben. Sein genialer Sprachwitz zeigt sich hier nur in wenigen Passagen, über weite Strecken ist das Buch nicht so komisch, wie man es gewohnt ist, einige Kalauer sind ganz daneben gegangen. Es gibt auch weniger realitätsbezogene satirische Seitenhiebe als sonst, die gehören aber zu den gelungenen Passagen des Buches.

Obwohl Eskarina auf ihrem Weg zur Unsichtbaren Universität Gefahren ausgesetzt ist, sind diese nicht so spannend geschildert, daß die fehlende Komik wettgemacht würde. So hangelt sich der Leser von einem der im Roman verstreuten Höhepunkte zum anderen und hofft, daß die Geschichte an Dynamik gewinnt, aber über weite Strecken dümpelt sie nur vor sich hin. Es ist schade, daß Terry Pratchett ein gutes Thema auf diese Weise verschenkt hat.

Cover von Eric von Terry PratchettEric Thursley wünscht sich drei Dinge. Er möchte die Herrschaft über die Königreiche der Welt, er will der schönsten Frau aller Zeiten begegnen und er möchte ewig leben. Also versucht er einen Dämon zu beschwören, der ihm diese drei Wünsche erfüllt. Statt eines Dämons erscheint jedoch der Zauberer Rincewind und damit geht wieder einmal alles schief, was schief gehen kann.

-Tods Bienen sind groß und schwarz, summen dumpf und unheilvoll.-

Diese Parodie auf Goethes Faust ist Pratchett weitaus weniger gelungen als die Shakespeare-Parodie in MacBest. Anstatt sich auf Faust I zu beschränken, der schon im Original neben der Gretchentragödie auch viele witzige Stellen aufweist, z.B. wenn Mephistopheles auf Marthe Schwerdtlein trifft, bezieht Pratchett sich u.a. mit der Helena-Episode auf den viel schwerer zu verstehenden und stark philosophischen Faust II, den selbst die meisten Deutschen nicht gelesen haben dürften. Wenn Pratchett aber die Ilias und die Odyssee parodieren wollte, hätte er sich den Umweg über “Faust” sparen können und statt des trojanischen Krieges samt hölzernem Pferd lohnendere Motive aus der griechischen Sagenwelt wählen können. Angeboten hätte sich z.B. die Geschichte, in der Circe die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt. Auch die Wortspiele zünden nicht so wie in anderen Scheibenweltromanen.

Für die Statistik: Pratchett macht nicht nur Anleihen bei “Faust” und den alten Griechen, er bezieht sich auch auf die Azteken, auf die Schöpfungsgeschichte der Bibel und er zeigt, daß die Hölle eine bürokratische Behörde ist.

Da das Buch mit 154 Seiten relativ dünn ausgefallen ist, regt sich der Verdacht, daß Pratchett mit “Eric” nur einen einigermaßen einleuchtenden Vorwand gesucht hat, um Rincewind aus der Zwischenwelt zurückzuholen in die er in “Der Zauberhut” geraten ist. Dazu kann man einen Dämonenbeschwörer wie Faust natürlich gut gebrauchen. Allerdings hat er damit ein lohnendes Thema weit unter Wert verschenkt.

Cover von Die Erzählungen und Märchen von Oscar WildeWie die Titelseite so treffend verrät, sind in diesem Buch Märchen und Erzählungen versammelt, die Oscar Wilde geschrieben hat. Außerdem beinhaltet der Band noch sechs Gedichte in Prosa. Die Titel lauten: Der junge König, Der Geburtstag der Infantin, Der Fischer und seine Seele, Das Sternenkind, Der Glückliche Prinz, Die Nachtigall und die Rose. Der eigensüchtige Riese, Der ergebene Freund, Die bedeutende Rakete, Das Gespenst von Canterville, Die Sphinx ohne Rätsel, Der Modellmillionär, Der Lehrer der Weisheit, Das Haus des Gerichts, Der Künstler, Der Mittler, Der Meister, Der Schüler.

Hoch über der Stadt stand auf einer mächtigen Säule die Statue des Glücklichen Prinzen. Sie war über und über mit dünnen Goldblättchen bedeckt, statt der Augen hatte sie zwei glänzende Saphire, und ein großer roter Rubin leuchtete auf seiner Schwertscheide.
Der glückliche Prinz

Es sind traurige Märchen, die uns Oscar Wilde hier erzählt. Die meisten Menschen, die dem Leser begegnen, sind so hartherzig, daß es einen frösteln läßt. Die Kälte der zwischenmenschlichen Beziehungen in den Geschichten überträgt sich auf den Leser. Natürlich gibt es auch warmherzige Charaktere, die zu Mitgefühl fähig sind, aber diese werden auf Erden nur selten belohnt. Oft gehen sie an ihrer Umwelt zugrunde und erst nach ihrem Tod erfahren sie durch ein göttliches Zeichen Gerechtigkeit.
In Der Glückliche Prinz sind eine Statue und eine Schwalbe mitleidvoller und barmherziger als die Einwohner der Stadt.
In Die Nachtigall und die Rose opfert sich eine Nachtigall für die Liebe.
Der Geburtstag der Infantin erzählt von der Kälte und Gefühllosigkeit am spanischen Hof.
Im Märchen Der junge König hat außer der Titelfigur niemand Mitleid mit den im Elend lebenden Arbeitern, noch nicht einmal der Bischof.
Die Märchen stimmen den Leser melancholisch, jedoch ohne ihn zu deprimieren, denn Oscar Wilde verteilt auch im traurigsten Märchen noch ironische Seitenhiebe auf die gute Gesellschaft, selbstgerechte und von sich eingenommene Menschen, Dünkelhaftigkeit und besserwisserische Kritiker (was den Rezensenten besonders amüsiert hat). Aus manchen Sätzen Oscar Wildes spricht kaum verhüllte Selbstironie, auch diese Stellen gehören zu denen, die man mit Vergnügen liest.
Ist der Tenor der Märchen trotz mancher humorvoller Einschübe überwiegend traurig, so ist es in der berühmten Geschichte Das Gespenst von Canterville umgekehrt. Zwar hat diese Erzählung ein bewegendes Ende, aber bis dahin amüsiert sich der Leser königlich über das englische Gespenst, das unter den nüchternen, pragmatischen und respektlosen Amerikanern so sehr leidet, daß es beschließt, nicht öfter zu spuken als es seine heilige Pflicht ist.
Der Ton der Erzählungen und der Prosa-Gedichte ist naturgemäß nüchterner als der, der in sehr poetischer und ausschmückender Sprache verfaßten Märchen. Trotzdem klingen die Märchen niemals kitschig oder schwülstig. Allerdings scheint die Übersetzung nicht ganz treffsicher zu sein. Über einen jungen Mann schreibt Wilde angeblich: Er war alle Monate an die Börse gegangen; aber was sollte ein Schmetterling unter Stieren und Bären. Das fragt sich der Rezensent auch, verkörpern doch Bulle und Bär das Auf und Ab an der Börse.
Dafür sind die Illustrationen passend, die von dem berühmten Jugendstilmaler Heinrich Vogeler stammen.

Cover von Der Fall Jane Eyre von Jasper FfordeEngland, 1985: Der Krimkrieg zwischen England und dem zaristischen Rußland dauert schon über 130 Jahre. Wales ist eine Volksrepublik. Weite Strecken legt man mit dem Luftschiff zurück und manchmal gerät die Zeit aus den Fugen. Literatur besitzt einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Da lohnt es sich für gewissenlose Subjekte, Verbrechen an der Literatur zu begehen. Thursday Next ist LiteraturAgentin in den Diensten des Special Operations Network und arbeitet an der Aufklärung solcher Verbrechen. Meistens geht es dabei um Fälschungen oder Raubdrucke. Doch eines Tages stiehlt der skrupellose Acheron Hades Dickens Originalmanuskript des Martin Chuzzlewit und bald stellt sich heraus, daß diese Aktion nur als Generalprobe gedient hat: Für den Fall Jane Eyre.

-Mein Vater hat ein Gesicht, das eine Uhr stoppen kann.-

Sie kennen sich in der englischen Literatur aus? Und gleichzeitig besitzen Sie eine Vorliebe für Agentenkomödien? Sehr gut! Damit erfüllen Sie die Voraussetzung, um diesen Roman von Jasper Fforde voll und ganz genießen zu können.

Die Welt, in der Thursday Next lebt, wird – abgesehen vom Krimkrieg – vor allen Dingen von der Literatur bestimmt. Die Hälfte der Bevölkerung hat ihren Namen in “John Milton” umgeändert, aus Verehrung für den großen Dichter. Baconier gehen wie die Zeugen Jehovas von Tür zu Tür, um die Menschen davon zu überzeugen, daß Francis Bacon die Werke Shakespeares verfaßt hat. Die Frage, wer Hamlet, Macbeth, Romeo und Julia etc. verfaßt hat, wird äußerst heftig diskutiert. Allen Literaturfreunden kann ich verraten, daß dieses Rätsel schließlich definitiv gelöst wird. Aber das ist nur ein Nebenprodukt der Geschichte. Kenntnisse der englischen Literatur benötigt man nicht nur, um Spaß an dieser bizarren Welt zu haben, sondern auch, um die vielen Anspielungen und Zitate zu verstehen. Und wer seine Jane Eyre nicht gut genug kennt, wird die Spur nicht bemerken, die Fforde für den Leser legt.

Diese Hommage an die Literatur verbindet Jasper Fforde mühelos mit einer James-Bond-Parodie. Die Agentin Thursday Next macht sich auf, den Superschurken Acheron Hades zur Strecke zu bringen. Der bedroht zwar nicht die ganze Welt, aber er begeht ein Verbrechen an der Literatur, das zumindest die Welt der Fans des Romans Jane Eyre zusammenbrechen läßt. Wie bei James Bond gibt es auch einen Erfinder: Thursdays Onkel Mycroft. Onkel Mycroft hat bei einem seiner letzten Experimente seinen Assistenten in ein Baiser verwandelt, seitdem hilft Tante Polly ihrem Mann bei den Versuchen, die durchaus nicht alle tödlich enden. Mycroft ist es gelungen, Pizza per Fax zu versenden, er hat einen Bleistift mit eingebauter Rechtschreibprüfung erfunden und in seiner Garage steht ein Rolls Royce, der die Farbe wechseln kann. Außerdem hat er einen Weg gefunden, wie man in Bücher einsteigen kann und wenn man Glück hat, auch wieder heraus kommt. Falls Sie jetzt vermuten, daß dies ein zentraler Punkt der Handlung ist, dann liegen Sie richtig. Außerdem mischt Thursdays Vater von Zeit zu Zeit in der Geschichte mit und die “Goliath Corporation”, eine Organisation, die wie Orwells Big Brother nicht nur ihre Augen überall hat, sondern auch noch ihre schmutzigen Finger.

Cover des Buches "Flucht ins Feenland" von Hope MirrleesDas Feenland – ein magischer Ort gleich hinter der Grenze – ist den wackeren Bürgern von Dorimare seit Jahrhunderten ein Dorn im Auge. Gefährliche Früchte gelangen von dort nach Dorimare, doch der Schmuggel lässt sich nicht unterbinden. Wer davon kostet, verwandelt sich auf wundersame Weise, hängt wirrköpfigen Gedanken nach und stellt eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar – er wird empfänglich für die Wunder der Welt und rebelliert gegen Tradition und Anstand. Dorimare droht im Chaos zu versinken.
Was bleibt dem armen Bürgermeister übrig, als aufzubrechen in die verwunschenen Regionen “jenseits der Hügel” und das Unmögliche zu wagen: das Traumreich der Feen zu versöhnen mit der Realität der Alltagswelt …

-“Ihr verfügt über Phantasie? So ist es für Euch stets ein Abenteuer, einen Laubengang entlangzuspazieren. Ihr betretet ihn kühnen Schritts, doch bald wünscht Ihr Euch, Ihr wäret draußen geblieben – es ist keine Luft, die Ihr hier atmet, es ist Schweigen, das fast greifbare Schweigen der Bäume. Und die kleine runde Öffnung in der Ferne soll der einzige Ausgang sein? Ach, es wird Euch nie gelingen, Euch dort hindurchzuzwängen! Ihr müßt umkehren… zu spät! Die breite Pforte, durch die Ihr eingetreten seid, ist ebenfalls zu einer kleinen runden Öffnung zusammengeschrumpft.”-
1. Kapitel – Meister Nathan Hahnenkamm

Was die Besonderheit dieses Werkes ausmacht, verrät das Nachwort: “Das Buch beginnt als Reisebericht oder als historischer Roman, wird zu einer Pastorale, einem Schwank, einer Gesellschaftskomödie, einer Geistergeschichte und dann zu einer Detektivgeschichte. Und dennoch handelt es sich hier nicht um krude zusammengeschusterte Einzelteile, sondern um die ineinander verwobenen Stränge einer einzigen gewundenen Erzählung.”

Im Mittelpunkt der Handlung von FLucht ins Feenland (Lud-in-the-Mist) steht Meister Nathan Hahnenkamm, der sich im Laufe der Geschichte vom spießbürgerlichen Antihelden zu einer mutigen, starken Persönlichkeit mausert.
Wer Schlachten, Waffengeklirr, wilde Horden und böse Herrscher erwartet, ist hier sicherlich auf dem falschen Dampfer. Noch lange vor dem übermächtigen Einfluss Tolkiens geschrieben, hat Flucht ins Feenland keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Herr der Ringe – außer vielleicht, dass die Bewohner Dorimares für den einen oder anderen Leser leicht “hobbitisch” anmuten.
Wer aber neugierig auf anspruchsvolle Fantasy der etwas anderen Art ist und auch vor teilweise leicht archaischer, blumiger Sprache nicht zurückschreckt – oder wie ich vielleicht sogar eine Vorliebe dafür hat  – für den gilt: LESEN! Im Anschluss an den eigentlichen Roman findet man ein ausgezeichnetes, ca. 70seitiges Nachwort von Michael Swanwick, in dem man eine Menge über die Autorin selbst und über mögliche Interpretationen ihres einzigen Fantasyromans erfährt.

Cover von Die Frau im Nebel von Elizabeth Ann ScarboroughUm das Jahr 1800: Der Schriftsteller Walter Scott hat gerade das Amt des Sheriffs von Edinburgh übernommen, da findet man die Überreste einer weiblichen Leiche im See Loch Nor’. Bald darauf verschwinden die jungen Kesselflickerinnen Bella und Leezie. Als auch noch Midge Margret und Geordie, zwei alte Bekannte Scotts, bei einem Überfall schwer verletzt werden, kommt der junge Sheriff einem grausigen Geheimnis auf die Spur.

-Die Mutter der Toten trug Schwarz, als sie zu den klagenden Klängen des Dudelsacks durch das Zimmer tanzte, im Kreise sich drehend.-
Kapitel 1

Die Geschichte beginnt im Jahre 1789, doch um die Atmosphäre dieser Epoche widerzuspiegeln, ist Elizabeth Ann Scarboroughs Sprache eindeutig zu modern. Es ist schwer vorstellbar, daß der achtzehnjährige Walter Scott zu einem Kesselflicker gesagt haben sollte, er möge ihm ein paar Lieder langsam vorsingen “…damit ich die Worte oder etwaige Textabweichungen von anderen Versionen des Lieds niederschreiben kann,…”. Aber auch Scarboroughs Kesselflicker befleißigen sich oft eines erstaunlich gepflegten Sprachstils. Diese anachronistische Sprache und der an vielen Stellen aufblitzende, manchmal auch unfreiwillige Humor, lassen zunächst keine Spannung aufkommen. Das ändert sich ungefähr in der Mitte des Buches. Dann dämmert dem Leser langsam, daß es nicht nur um die Aufklärung mehrerer Morde geht, sondern auch darum, weitere Verbrechen zu verhindern. Gleichzeitig beginnt man zu ahnen, wer der Täter sein könnte. Der Leser möchte erfahren, ob sich seine Vermutungen bestätigen und mit der Neugier steigt auch die Spannung, aber nur dann, wenn man nicht den Fehler begangen hat, die Inhaltsangabe auf der Rückseite und im Inneren des Buches zu lesen. Da findet sich nämlich die Auflösung des Rätsels. Es wird mir ewig verborgen bleiben, warum Verlage in ihren Klappentexten die Pointe einer Geschichte verraten, wenn der Autor sich über mehr als 250 Seiten alle Mühe gibt, das Ende des Romans kunstvoll zu verschleiern.
Über weite Strecken liest sich Die Frau im Nebel (The Lady in the Loch) wie ein historischer Roman. Abgesehen von einer kurzen Episode am Anfang, finden sich die phantastischen Elemente erst im letzten Drittel der Geschichte. Dann aber kann sich der Leser über einen Mangel an übernatürlichen Phänomenen nicht mehr beklagen.
Liest man Die Frau im Nebel in der Erwartung, einen atemberaubenden, gruseligen Thriller vor sich zu haben, wird man enttäuscht sein. Betrachtet man das Buch aber als eine humorvolle Anspielung auf die Schauerromane des neunzehnten Jahrhunderts (auch wenn die Autorin es anders gemeint haben mag), dann bietet die Lektüre des Romans gute Unterhaltung.

Cover von Die fünfte Zauberin von Robert NewcombVor mehr als 300 Jahren entbrannte im Land Eutrakien ein grausamer Krieg zwischen Magiern und Zauberinnen. Die Zauberinnen wurden besiegt, die vier Rädelsführerinnen wurden auf dem Meer der flüsternden Stimmen ausgesetzt und einem ungewissen Schicksal überlassen. Seitdem herrscht Friede in Eutrakien. In wenigen Tagen wird Prinz Tristan dreißig Jahre alt und dann wird ihm Herrschaft übertragen werden. Tristan möchte aber viel lieber sein ungezwungenes Leben weiterführen. Als er von einem Ausritt in den Hartwick Wald nicht zurückkommt, machen sich der mächtige Magier Wigg und Tristans schwangere Zwillingsschwester Shailiha auf die Suche nach ihm. Was niemand am Hofe weiß: Eine fünfte mächtige Zauberin ist damals in Eutrakien zurückgeblieben…

-Die einst stolze Kriegsgaleone namens “Entschlossenheit” krängte wie betrunken auf der nächtlichen See.-
Prolog

Die fünfte Zauberin (The Fifth Sorceress)ist nichts für Romantiker und sensible Gemüter. Da werden Köpfe abgeschlagen, Blut spritzt in alle Himmelsrichtungen, Hirnmasse fließt, es gibt Gemetzel, in denen die wehrlosen Opfer abgeschlachtet werden und bis auf eine Ausnahme ist Sexualität ebenfalls mit Gewalt und Zwang verbunden. Das ist nicht das Horrorszenario nach dem es klingen mag, aber es ist ein konsequenter Gegenentwurf zu Fantasyromanen in denen zwar auch das Böse bekämpft wird, die aber dennoch Raum für romantische Liebesgeschichten, edle phantastische Geschöpfe wie Elfen oder Einhörner und beherzte, tapfere, aber eigentlich sanftmütige Heldinnen lassen. Hier gibt es nur zwei Kategorien von Frauen: Opfer und Täterinnen. Im Gegensatz zu den Magiern, die sich der weißen Magie verschrieben haben, die Operativa genannt wird, benutzen die Zauberinnen ausschließlich schwarze Magie, Destruktiva genannt. Dies hat fatale Auswirkungen auf ihren Charakter: Sie sind gnadenlos, sadistisch und kennen keine Skrupel, wenn es gilt, ihre Ziele zu verwirklichen. Das hat zur Folge, daß auch die Guten zu drastischen Maßnahmen greifen müssen. Robert Newcomb spinnt keine feinen Intrigen, sondern er läßt Gut und Böse auf sehr handfeste und bluttriefende Weise aufeinanderprallen. Dabei legt er durchaus einigen Einfallsreichtum an den Tag, vor allen Dingen, wenn es um die Schilderung phantastischer Geschöpfe der finsteren Art geht: Blutpirscher, Waruane und Berseker sind ausgesprochen unfreundliche Zeitgenossen, derer sich Tristan und Wigg erwehren müssen und die schlimmsten von allen sind mit fledermausartigen Flügeln ausgestattete, menschenähnliche Wesen, die im Original minions heißen, was ins Deutsche etwas unglücklich mit Helferlinge übersetzt wurde. Ihr Anführer Kluge ist ein gnadenloser Soldat, dem es Spaß macht, die grausamen Befehle der Zauberinnen auszuführen. So böse die Zauberinnen und ihr Gefolge sind, so gut sind Tristan und Wigg. Tristan wirkt am Anfang der Geschichte so gar nicht wie ein dreißigjähriger Mann, sondern eher wie ein unreifer Achtzehnjähriger, was sich im Verlauf der Handlung aber ändert. Tatsächlich ist er der einzige, der wirklich eine Entwicklung durchmacht. Die Charaktere der Protagonisten sind nicht sehr ausgefeilt, aber Tristan, Wigg, Faegan und Shailiha sind so geschildert, daß der Leser an ihrem Schicksal Anteil nimmt und man wissen will, wie es mit ihnen weitergeht. Trotz des altbekannten Gut-gegen-Böse-Schemas, bietet Newcomb dem Leser einige Überraschungen, die dann richtig gut sind, wenn sie nicht darin bestehen, daß ein neues Monster aus irgendeinem Busch bricht oder einer der Protagonisten plötzlich eine Rede hält über wichtige Dinge, die er bis dahin für sich behalten hat und die die Situation wenden.
Einige Stellen des Romans sind unfreiwillig komisch, etwas mehr (beabsichtigter) Humor hätte dem Roman gut getan, dafür hätte man gerne auf einige Folterszenen verzichten können. Und an einer Stelle muß man dem Autor mangelnde Sorgfalt vorwerfen: Als die Geschichte sich dem Ende zuneigt und Tristan und Wigg sich in einer prekären Lage befinden, weint der Magier und Tristan denkt bei sich, daß er den alten Mann noch nie weinen gesehen hat und dieser Tränenausbruch macht ihm bewußt, daß die Situation diesmal wirklich aussichtslos ist. Nicht nur Tristan, sondern auch dem Leser soll damit klar gemacht werden, wie tief die beiden in der Tinte sitzen, leider verpufft die Wirkung, wenn der Leser sich daran erinnert, was er auf Seite 283 gelesen hat:

Tristan konnte zwar ihre Worte nicht verstehen, sah aber, wie sich Wiggs Augen weiteten und ihm Tränen über die alten Wangen rannen.

Sprachlich ist das Buch in Ordnung, es gibt weder lobenswerte Höhepunkte, noch schwerwiegende verbale Abgründe. Einige Wendungen treten gehäuft auf, und mißglückt ist die Bezeichnung Direktorium für die Vereinigung der Magier, die so aber auch im Original zu finden ist, den Leser jedoch eher an eine Versammlung von Schulleitern oder an die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft denken läßt als an einen Zusammenschluß von Zauberern. Rat der Magier wäre hier passender gewesen. Außerdem stört der häufige Gebrauch der Längenangabe Inch, in einem deutschsprachigen Buch darf man ruhig in Zentimetern messen.

Cover von Die Gärten der Löwin von Hans BemmannEine junge Studentin erzählt ihrem Geliebten aus ihrer Vergangenheit. Dabei greift sie auf die Märchen zurück, die ihr Großvater einst erzählt hat. Die Heldin dieser Märchen ist die Königstochter Herod, mit der sich die Studentin immer mehr identifiziert, bis Realität und Phantasie zusammenfließen.

-Das Bild, mit dessen Beschreibung ich meine Geschichte anfangen will, zeigt den Ausschnitt einer Landschaft.-
Gärten und Wälder

Hans Bemmann erzählt in einer sehr schönen poetischen Sprache das Märchen von der Königstochter Herod, die eines Tages den Hof ihres Vaters verläßt und auf ihrer Reise viele Abenteuer bestehen muß. Sie trifft auf Riesen, Menschenfresser, vielköpfige Ungeheuer und böse Zauberer, aber auch immer wieder auf sprechende Tiere, die ihr hilfreich zur Seite stehen. Wie die junge Studentin kann auch der Leser mühelos in diesem Märchen versinken und sich in die Figur der Herod hineinträumen.
Die Erzählerin benutzt in der Realität diese Geschichten, um sich über das Wesen der Menschen klar zu werden und um ihrem Geliebten ihre Gefühle zu offenbaren. Und da ist der Haken des Romans. Sobald sich die Geschichte der Realität zuwendet und die Botschaft sich nicht mehr hinter den Bildern des Märchens verbirgt, sondern die junge Frau ganz offen über die Beziehung zwischen den Geschlechtern und über die Menschen philosophiert, merkt der Leser sehr schnell, daß sich hinter der Ich-Erzählerin keineswegs eine junge Studentin verbirgt, sondern ein älterer Herr, dessen Frauenbild aus den Fünfzigern stammt und der eine Abneigung gegen den Feminismus hegt. Bemmann möchte seine allen Gefahren trotzende, unabhängig denkende Herod nicht als frühe Emanze mißverstanden wissen und macht dies gleich am Beginn der Geschichte klar, indem er die Ich-Erzählerin sagen läßt, daß ihr Großvater sie ermuntert hat, “meine weibliche Eigenart… durchzusetzen… Und diese Erinnerung hat mich stärker beeindruckt als jene viel später aufgenommenen, von Frauen geäußerten feministischen Parolen.” Obwohl Die Gärten der Löwin zum ersten Mal 1993 veröffentlicht wurde, ist die reale Welt in diesem Roman die Welt der fünfziger Jahre, dies merkt man auch daran, wie der Autor das Land Italien beschreibt. Man tritt mit falschen Erwartungen an diese Geschichte heran, wenn man glaubt, einen Schlüsselroman über eine junge Frau der Gegenwart in der Hand zu halten.
Wenn man aber im Blick behält, daß Hans Bemmann tatsächlich ein älterer Herr war als Die Gärten der Löwin veröffentlicht wurde, dann wirkt der Roman authentisch und vermittelt einen liebenswerten altmodischen Charme.

Der chronisch vom Pech verfolgte Student Anselmus wird vom Archivarius Lindhorst als Kopist für arabische Manuskripte angestellt. Anselmus verliebt sich in Lindhorst’ Tochter, die den unchristlichen Namen Serpentina trägt. Ihre Mitgift besteht aus einem goldenen Topf und als die beiden schließlich heiraten, ziehen sie nach Atlantis.

-Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.-
Erste Vigilie

Wer hat eigentlich behauptet, Deutsche könnten keine gute Fantasy schreiben? E.T.A Hoffmann konnte es, aber anscheinend ging diese Kunst in Deutschland irgendwann verloren. Vielleicht sind Sie auch der Ansicht, “Der goldene Topf” sei keine Fantasy. Aber 1814 erschien die Erzählung als Teil einer Sammlung, deren Titel “Fantasiestücke (“Stücke” im Sinn von “Gemälde”) in Callots Manier” lautete. Übersetzen Sie das einmal ins Englische…Wie auch immer, dem Studenten Anselmus stoßen lauter merkwürdige Sachen zu. Er macht die Bekanntschaft einer Hexe, einer sprechenden Schlange und eines Geisterfürsten, Häuser sind von innen größer als sie von außen erscheinen und Menschen sind in Flaschen eingeschlossen. Die allerseltsamsten Dinge geschehen, die nicht nur den guten Anselmus, sondern auch den Leser in Verwirrung stürzen: Passiert all dies wirklich, spricht der Student zu sehr dem Alkohol zu, oder ist Anselmus einfach nur wahnsinnig? Die Antwort muß jeder für sich selbst finden. Er kann natürlich auch die reichlich vorhandene Sekundärliteratur zurate ziehen und sich damit den Spaß an der Erzählung ruinieren. Für Leser, die noch nie etwas aus dem 19. Jahrhundert gelesen haben, ist die Sprache sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig. Falls dies so ist, sollten Sie sich von der Sprache genauso faszinieren lassen wie von dem Inhalt der Erzählung.

Cover von Der Golem von Gustav MeyrinkDer Erzähler der Geschichte fällt in einen ungewöhnlichen Schlaf. In diesem Zustand nimmt er die Identität des Gemmenschneiders Athanasius Pernath an, der 1885 im Prager Ghetto lebt. Zu diesem kommt eines Tages ein seltsamer Besucher, der ihm den Auftrag gibt, ein besonderes Buch auszubessern. Bald hegt Pernath den Verdacht, der mysteriöse Auftraggeber könne der Golem gewesen sein, die alte jüdische Sagengestalt, die alle dreiunddreißig Jahre im Ghetto umgehen soll. Von nun an gerät das Leben des Gemmenschneiders aus den Fugen. Nicht nur, daß ihm merkwürdige Dinge widerfahren, er wird auch in einen Rachefeldzug verwickelt und lernt den Archivar Hillel kennen, einen außergewöhnlichen Mann, in dessen Tochter Mirjam er sich verliebt.

-Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller, flacher Stein.-
Schlaf

Begehen Sie nicht den Fehler, dieses Buch mit dem Verstand zu analysieren und zu versuchen, jede okkulte Passage zu entschlüsseln. Damit würden Sie nur die Faszination des Romans zerstören. Allerdings gibt es manche Szenen, bei denen sich eine tiefenpsychologische Deutung aufdrängt. So bemüht sich Pernath, ein Zimmer zu finden, zu dem es keinen Zugang gibt. Der Leser weiß, daß der Gemmenschneider eine Zeitlang wahnsinnig war und keine Erinnerung an diese Zeit hat. Damit fehlt ihm auch der Zugang zu Teilbereichen seiner Seele. Und wenn Pernath in den unterirdischen Gängen des Ghettos herumwandert, erhält man den Eindruck, er würde eigentlich in den Tiefen seiner Seele umherirren. So simpel ist Der Golem aber nicht, daß man diese Parallelen eins zu eins ziehen könnte. Meyrink, der Zeit seines Lebens an okkulten Geheimlehren interessiert war, vermischt hier einen Kriminalfall mit kabbalistischen und theosophischen Elementen, mit altägyptischen Mysterien und der jüdischen Sage um den Golem. Zu der beklemmenden Atmosphäre des Romans trägt bei, daß Meyrink die Geschichte im alten Prager Ghetto, kurz vor seiner Sanierung, spielen läßt. Er beschreibt diesen, seit dem 13. Jhd. bestehenden Prager Stadtteil mit seinen kleinen alten Häusern, die in engen, verwinkelten Gassen stehen, so ausdrucksstark, daß der Leser sich in einen expressionistischen Film der Zwanziger Jahre versetzt fühlt. Diese unheimliche Atmosphäre wird noch durch die ausgezeichneten Illustrationen von Hugo Steiner-Prag, einem Zeitgenossen Meyrinks, gesteigert. Der Golem ist nichts für Leser, die schnelle, oberflächliche Unterhaltung für Zwischendurch suchen. Es lohnt sich aber, sich auf diesen Klassiker der phantastischen Literatur einzulassen, der trotz allem Mystischen, das er enthält, sehr realistisch erzählt wird. Auch dieser scheinbare Widerspruch trägt zum Reiz des Buches bei.

Cover von Herrin der Wälder von Jennifer RobersonRobert von Locksley kommt von den Kreuzzügen zurück, erklärt Lady Marian, daß ihr Vater tot sei und daß sein letzter Wunsch gewesen sei, sie möge den Sheriff von Nottingham heiraten. Der einzige, der von diesem Wunsch angetan ist, ist der Sheriff, der diese Idee auch schon längere Zeit mit sich herumträgt. Lady Marians Begeisterung hält sich stark in Grenzen, Sir Guy von Gisbourne findet, daß die Lady einen besseren Gatten verdient hätte und Locksley kann sich die beiden auch nicht so recht als Ehepaar vorstellen. Das ist der Kern der Geschichte. Um diesen Kern hat Jennifer Roberson einen Roman gebaut, der die Legende von Robin Hood neu erzählt.

-Dunkelheit. Stille. Die Schwermut der Einsamkeit. Das waren die Waffen, die sie brechen sollten, die sie dazu bringen sollten, ihre trotzige Haltung aufzugeben und sich zu unterwerfen; die sie dazu treiben sollten, sich zu ergeben und um Gnade, Mitgefühl und Verständnis zu flehen.-
Prolog: Nottingham Castle. Spätes Frühjahr 1194

Wenn der Rezensent nicht im letzten Moment unter den Angaben zur Autorin die Bemerkung gefunden hätte, es handle sich bei “Herrin der Wälder” um “female fantasy”, dann hätte er das Buch hier gar nicht besprochen. Das wäre schade gewesen, denn es handelt sich um einen der besseren Romane. Das Gute daran ist nicht etwa, daß die Geschichte aus Sicht der Lady Marian erzählt wird. Die Idee einen alten Mythos aus der Perspektive einer Frau zu erzählen, kennen wir in der Fantasy schließlich spätestens seit Marion Zimmer Bradley und außerdem bedient sich die ganze feministische Literatur dieses Kunstgriffs. Nein, das Positive an dem Buch ist, daß Roberson die Handlungen ihrer Protagonisten schlüssig motiviert. Der Sheriff von Nottingham ist nicht einfach nur ein bösartiger, aber leicht trotteliger Mensch, den man braucht, um Robin Hood im Gegensatz dazu strahlender, edler und heldenhafter erscheinen zu lassen, wie es im Film oft ist. Roberson zeichnet Nottinghams Charakter sehr ausführlich und so ist er unzweifelhaft die interessanteste Figur in dem ganzen Roman. Das ist aber auch die Schwierigkeit. Die Schurken sind meistens einfacher zu gestalten als die Gutmenschen. Damit der gute Robin nicht zu langweilig gerät, stattet Roberson ihn mit einem Kriegstrauma aus und auch für ihre anderen Protagonisten hat die Autorin sich Originelles einfallen lassen. So hat der Sheriff von Nottingham eine Tochter, die eine ganz besondere Form des mittelalterlichen Feminismus’ pflegt. An Sir Guy endeckt man völlig neue Seiten und auch Richard Löwenherz pflegt Vorlieben, von denen man in den Erzählungen, die man als Kind gelesen hat, nichts gehört hat. Leider macht Lady Marian keine richtige Entwicklung durch, sie ist von Anfang an eine couragierte, mutige, liebenswerte Frau, die am Ende vielleicht noch ein bißchen mutiger ist als am Anfang, das war es dann aber auch an Entwicklung.
Wer Zauberer, Magie, Elfen oder Drachen erwartet wird enttäuscht sein, es handelt sich hier um einen pseudohistorischen Roman ohne jede Magie.
Sprachlich ist das Buch in Ordnung, nur manchmal stolpert man über kleinere Unzulänglichkeiten, die erst dann wirklich stören, sobald sie sich häufen. Wenn also irgendwelche Türen ständig über den Boden “schaben”, dann sollte man als Übersetzer vielleicht doch einmal einen Blick in das Wörterbuch für Synonyme wagen.

Cover von Herrin von Sherwood von Jennifer Roberson5 Jahre später: Als Richard Löwenherz stirbt, wird Prinz John König. Dadurch gewinnt auch der Sheriff von Nottingham wieder Oberwasser. Er ignoriert die Begnadigung Robins und seiner Freunde und drangsaliert Marian. Unterdessen versuchen einige Barone, Richards Neffen Arthur als König zu etablieren, der Löwenherz’ Geld geerbt hat.

-Der Teufel lag in Frankreich im Sterben. Aber nein, das war unmöglich. “Mylord”, sagte jemand leise. “Mein König.” Der Teufel war König. Oder war der König ein Teufel?-
Prolog

“Herrin der Wälder” war noch unterhaltsam und originell, der Folgeband “Die Herrin von Sherwood ” ist zum größten Teil nur langweilig. Das liegt zum einen daran, daß in diesem Roman nicht eine neue Idee entwickelt wird. Ging es im ersten Band um die Liebe zwischen Robin und Marian, den Konflikt zwischen Robin und seinem Vater und um die unterschiedlichen Auffassungen der Guten und der Bösen, was nun eigentlich mit den Steuergeldern anzufangen sei, so geht es im zweiten Teil um genau die gleichen Themen. Dazu kommt, daß schon in “Herrin der Wälder” die Passagen am schlechtesten waren, in denen Roberson über Robin und Marian schreibt; das hat sich nicht geändert, aber die beiden nehmen hier einen noch größeren Raum ein und somit wird das ganze Buch schlechter. An anderen Stellen merkt man, daß Roberson besser schreiben kann, geht es aber um Robin und Marian wird die Geschichte entweder langweilig, kitschig, unglaubwürdig oder unfreiwillig komisch. Man ist jedesmal erfreut, wenn der Sheriff von Nottingham auftaucht, der unsentimental, pragmatisch und natürlich fies ist und dessen Charakter Roberson viel glaubwürdiger darstellt. Eleanor, die im ersten Band noch frischen Wind in die Geschichte gebracht hat, hat nur einen Kurzauftritt. Außerdem ist das Buch voller unnötiger Wiederholungen. Ich weiß nicht, wie oft betont wird, daß Robin vor fünf Jahren, die Steuergelder ja nur gestohlen hat, um Löwenherz freizukaufen oder daß Marian entehrt ist, weil Will Scarlet sie verschleppt hatte. Für Leser, die den ersten Band nicht kennen hätte eine einmalige Erwähnung genügt. Auch andere Dinge werden mehrmals erwähnt, sodaß der Leser sich fragt, ob die Autorin ihn für ein begriffstutziges Kleinkind hält, dem alles zehnmal erzählt werden muß, damit er es sich ja merkt. Zudem häufen sich in diesem Buch die Druckfehler.

Cover von Hexensturm von Sean StewartIn Hexensturm erzählt die Ich-Erzählerin Toni Beauchamps, was im Verlauf des Jahres geschah als ihre Mutter starb und sie selbst eine Tochter zur Welt brachte. Tonis Mutter Elena verfügte über die Gabe des Hellsehens und mußte dafür einen hohen Preis zahlen. Sie besaß ein Schränkchen mit sechs Puppen, die verschiedene Geistwesen symbolisierten, die von Zeit zu Zeit in Elena fuhren und sie besessen machten. Toni haßt diese Wesenheiten und das, was sie aus ihrer Mutter gemacht haben. Als ihre Mutter stirbt, ist Toni fest entschlossen, diese Puppen keine Rolle in ihrem Leben spielen zu lassen. Aber es kommt anders: Elena vererbt Toni das Schränkchen mit den Puppen und damit auch die zeitweise Besessenheit.

-Wenn du auf dem Boden der Flasche angelangt bist, wie meine Mutter zu sagen pflegte, dann erzählt diese Geschichte, wie ich Mutter geworden bin.-
Eins

Sean Stewart hat vor Hexensturm schon “richtige” Fantasyromane geschrieben und über eines dieser Bücher sagte dann wohl jemand es “Erinnert an die besten Romane von Le Guin und an Tolkien“. Wahrscheinlich findet sich dieser Werbespruch seitdem auf jedem Buch von Stewart wieder und hat sich so auch auf die Rückseite von Hexensturm verirrt. Jedenfalls ist er hier so fehl am Platze wie die Bemerkungen “Erinnert an die besten Gebrauchsanleitungen für Waschmaschinen” oder “Noch besser als das St.Petersburger Telefonbuch”. Hexensturm hat mit keiner dieser Feststellungen auch nur im entferntesten irgend etwas zu tun.
Diese ebenso gedankenlose wie falsche Werbung ist zwar mittlerweile gang und gäbe, aber hier ist sie besonders ärgerlich, denn es bringt ein gutes Buch um seine Leserschaft. Bücherfreunde, die einen tolkienähnlichen Roman erwarten, werden Hexensturm nach ein paar Seiten enttäuscht aus der Hand legen und Leser, die solche Bücher lieben, werden es aufgrund des Vergleichs mit Tolkien und Le Guin wieder ungelesen ins Regal zurückstellen.
Tonis Geschichte spielt nicht in einer Fantasywelt, sondern in Houston, Texas, und je weiter man der Handlung folgt, um so realer scheint sie zu sein. Stewart beschreibt beklemmend und eindringlich, wie eines der Wesen sich in Tonis Kopf festsetzt. Niemand, der dies liest, kommt als erstes auf die Idee, hier läge ein Fall von magischer Besessenheit vor, es klingt vielmehr so, als beschreibe ein Patient einem Psychiater seinen ersten Anfall von Schizophrenie oder den Beginn einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Noch erschreckender ist der Gedanke, daß diese Wesen verschiedene Seiten einer normalen Persönlichkeit sein könnten, wie sie in jedem von uns stecken. Tonis “Reiter”, wie sie sie nennt, sind eine leichtlebige und sexuell freizügige Frau namens “Schätzchen”, ein höchst moralischer Priester, eine barsche Witwe, ein Pierrot, der grausame Späße treibt, Herr Kupfer, der eine Vorliebe für Geld hat und eine “Spottdrossel”, die nur nachplappert, was andere sagen. Außerdem hat Elena immer von einem kleinen verlorenen Mädchen erzählt, das von ihrer Mutter verstoßen wurde und nun verzweifelt versucht, wieder nach Hause zu finden. Das klingt wirklich als wären Elena und später Toni Fälle für die Psychiatrie und das Buch erzähle von Tonis Kampf, mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen und nicht völlig dem Wahnsinn zu verfallen. Andererseits ist das Buch viel zu humorvoll geschrieben als daß diese Version zutreffend erscheint und die Anfälle von Besessenheit in Tonis Leben sind relativ selten, im Großen und Ganzen handelt die studierte Mathematikerin und Aktuarin nüchtern und überlegt. Außerdem macht Stewart klar, daß Dinge geschehen, die wirklich magisch sind: Elena konnte definitiv die Zukunft vorhersagen, Candy kann es teilweise und die Geistwesen existieren auch außerhalb von Tonis Kopf. Stewart bewegt sich mit seiner Geschichte auf der dünnen Linie, die man Realität nennt und die die Grenze darstellt zwischen Wahn und Magie. Der Leser hat dabei die Rolle des Beobachters, der darauf wartet, daß die Geschichte zur einen oder anderen Seite hin kippt. Allen rätselhaften Vorgängen zum Trotz nimmt die Realität einen großen Raum in diesem Buch ein und erstaunlicherweise heißt hier das zentrale Thema Mutterschaft. Stewart muß lange Gespräche mit seiner Ehefrau geführt haben, um so lebensnah und überzeugend den Mutter-Tochter Konflikt zwischen Elena und Toni zu beschreiben und um so eindrucksvoll die Ängste zu schildern, die Toni während ihrer Schwangerschaft durchmacht.
Stewart ist ein großartiger Erzähler, er schreibt lebendig, witzig und lebensnah. Das einzig Unbefriedigende an Hexensturm ist, daß er am Ende zu viele Erzählstränge offen und den Leser so in der Luft hängen läßt. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, warum Candy vorhergesehen hat, wie ausgerechnet der unsympathische Bill mit Tonis Baby spielt und wie lange die Ehe von Candy und Carlos hält, der einen Leichenwagen fährt, mit Geistern sprechen kann und Angst vor seiner toten Schwiegermutter hat.
Noch eine Warnung am Schluß: Bei der Lektüre dieses Romans könnten Sie unbändige Lust bekommen, Warentermingeschäfte zu tätigen. Mit Sicherheit werden Sie ihr ganzes Geld verlieren, wenn sie es versuchen, also lassen Sie es lieber bleiben…

Cover von Der Hexenturm von Kate Forsyth Die junge Hexe Isabeau wächst in einem abgelegenen Tal im Schatten der Drachenklaue auf, dem Berg der Drachen. Unter der Obhut ihrer mütterlichen Freundin Meghan lernt sie, mit den Tieren des Waldes zu reden und mit Hilfe der Kräuter zu zaubern. Doch die beiden Frauen leben in ständiger Gefahr, denn seit eine böse Königin den Herrscher von Eileanan in ihren Bann gezogen hat, sind Hexerei und Magie jeder Art streng verboten.

-Diese besagte Agnis Sampson wurde gefangen genommen und vor Seine Majestät den König und verschiedene schottische Adlige zum Haus Halicuid gebracht, wo sie streng vernommen wurde, aber alle Überzeugungskünste, die Seine Majestät der König und der Rat bei ihr anwandten, konnten sie nicht dazu bewegen, irgend etwas zu gestehen, sondern sie leugnete standhaft alles, was ihr vorgeworfen wurde, woraufhin sie ins Gefängnis gebracht wurde, wo sie solcherlei Marter erlitt, wie sie seit einiger Zeit für Hexen in Schottland vorgesehen sind.-
Dies ist eine Art Prolog

Das ist das erste Buch, bei dem der Rezensent ernsthaft überlegt hat, von der Redaktion dafür Schmerzensgeld zu verlangen, daß er bis zur letzten Seite des Buches durchgehalten hat.
Vor einigen Jahren ist in den englischsprachigen Ländern der Wicca-Kult wieder populär geworden und ganz offensichtlich zielt das Buch auf Leserinnen ab, die sich für diese Art von Hexen-Tradition interessieren. Selbst diesen kann man nicht mit guten Gewissen empfehlen, diesen Roman zu lesen.
Den ersten traurigen Tiefpunkt der Geschichte stellt die Beschreibung der Prüfung dar, die Isabeau an Lichtmeß ablegt. Diese Passage trieft nur so vor Kitsch. Die Hexen um Isabeau sind natürlich von Herzen gut und deshalb demonstrieren sie ständig, daß sie alle Tiere, Pflanzen und Elemente ganz schrecklich lieb haben. Würde die Autorin hier echte Naturverbundenheit schildern, wäre daran nichts auszusetzen, aber das gelingt ihr nicht. Die ganze Szene ist nicht nur kitschig, sondern wirkt auch noch albern als die junge Hexe entscheiden muß, welchen Samen sie aussäen soll und sie u.a. Haselstrauch wählt, weil er reich an Protein und lebenswichtigen Mineralien ist. Glaubt die Autorin wirklich, daß eine Hexe, die offensichtlich in einer dem Mittelalter ähnlichen Epoche lebt, so denkt wie eine ernährungsbewußte Hausfrau des 21.Jahrhunderts, die auf einen Werbespot für Frühstücksflocken hereingefallen ist? Als die Hexen später von Soldaten angegriffen werden, eilen die Tiere des Waldes herbei, um ihren Freunden zu helfen. Selbst die kleinen Häschen hoppeln den Angreifern zwischen den Beinen herum, um sie zum Stolpern zu bringen. In diesem unglaublichen, grausigen Stil ist der ganze Roman geschrieben. Von wirklicher Dreistigkeit zeugt es, den blinden Seher im Buch ausgerechnet Jorge zu nennen. Der blinde Jorge ist eine der Hauptfiguren in Umberto Ecos Meisterwerk Der Name der Rose. Und es kommt noch schlimmer. Da zu einem auf mehrere Bände angelegten Werk ein ordentlicher Cliffhanger gehört, damit der Leser auch die folgenden Teile kauft, endet das Buch mit einer widerlichen sexistischen Gewaltszene , die dieser Hommage an den schlechten Geschmack die Krone aufsetzt.

Cover von Hokus Pokus Hexenschuss von Mike AshleyDiese Anthologie beinhaltet 32 humorvolle Geschichten verschiedener Autoren, die auf völlig unterschiedliche Weise an das Thema Fantasy herangehen.
In den Geschichten tauchen Hänsel und Gretel ebenso auf wie Helden, die diverse Schwierigkeiten mit ihren Schwertern haben oder Außerirdische, die der Erde einen Besuch abstatten.

-Voller Stolz präsentiere ich hiermit einen weiteren Band mit humorvollen Fantasy-Geschichten. Oh, Mist, nicht noch so eine blöde Einleitung! Wie bitte? Wer zum Teufel liest schon Einleitungen? Was soll das heißen? Die Leute sind an deinem Geschwafel gar nicht interessiert. Sie wollen gleich mit dem Buch anfangen!
Noch so eine blöde Einleitung

Mike Ashley hat in dieser Sammlung 32 Geschichten von hohem Niveau zusammengetragen, die von erstklassigen Autoren verfaßt wurden. Die Autorenangabe auf dem Cover ist willkürlich, wahrscheinlich hat der Verlag die beiden Autoren ausgewählt (John Cleese und Tom Holt), von denen man annahm, daß sie den meisten deutschen Lesern bekannt sind. Aber auch die Geschichten aller anderen Verfasser lohnen sich zu lesen. Ashleys Verdienst ist es, daß er auch zu Unrecht vergessenen Schriftstellern und ihren Geschichten einen Platz in dieser Anthologie einräumt. Die älteste Story ist 1907 zum ersten Mal erschienen, die meisten sind aber neueren Datums und dreizehn Geschichten wurden extra für dieses Buch verfaßt.
Da in der englischsprachigen Welt der Fantasy-Begriff nicht so eng ausgelegt wird, gibt es hier viele Geschichten aus den Bereichen Märchen, Science Fiction, Phantastik und auch abgedrehte Krimi-Parodien. Diese Bandbreite macht es so schwierig, etwas über das Buch als Ganzes zu sagen. Eigentlich müßte man jede Geschichte einzeln besprechen. Allen gemeinsam ist außer der hohen Qualität, die sich im Stil, in der Sprache, und dem Einfallsreichtum der Autoren äußert, nur die Skurrilität.
Hier ein paar Häppchen, um Appetit auf mehr zu machen: In “Der Auftritt der Charlie Chaplins” löscht ein Außerirdischer auf ebenso heimtückische wie originelle Weise halb Nebraska aus. Todesfälle häufen sich auch in “Der bleiche Assassine”. Wer diese Story liest, wird nur noch zu Hause essen. “Ferdie” erzählt die anrührende und traurige (hähä) Geschichte eines kleinen Alraunen, der die Gesellschaft von Menschen sucht. In “Der Besuch des Handlungsreisenden” erfährt der Leser, daß Engel auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren. “Ein Barbar auf dem Broadway” wirft sich die Frau, die er liebt einfach wie ein Sack Mehl über die Schulter, was diese nicht so recht goutiert. Und “Einer geht noch” beschreibt, welch schreckliche Folgen es haben kann, beliebt zu sein.

Zur Übersetzung: Da mir die englische Fassung nicht vorliegt, kann ich nichts darüber sagen wie originalgetreu die Übersetzungen sind. Man merkt vielen Geschichten aber an, daß die Übersetzer Spaß an ihrer Arbeit hatten. Eine besondere Erwähnung verdient Barbara Röhl, die es doch tatsächlich geschafft hat, in einer der von ihr übersetzten Geschichten eine Hommage an Herbert Görgens (Ingolf Lücks alter ego in der Wochenshow) unterzubringen und die damit für einen Extra-Lacher gesorgt hat.

Cover des Buches "Huguenins Frau" von Matthew Phipps ShielDas Buch enthält sechs phantastische Erzählungen von Matthew Phipps Shiel: Vaila; Huguenins Frau; Elendes Los eines gewissen Saul; Die Braut, Der bleiche Affe, Der Primas der Rose. Außerdem gibt es eine vom Autor geschriebene Einleitung und im Anhang eine von ihm verfaßte, kurze, Selbstbiographie mit dem Titel Was mich betrifft. Javier Marías, der diese Kurzgeschichtensammlung herausgibt, hat ein Vorwort geschrieben und im Anhang findet man die von ihm verliehenen Titel und Ämter des (halb) fiktiven Königreiches Redonda. Näheres zum Inhalt erfahrt ihr in der Buchbesprechung.

-Vor vielen Jahren stand ich als junger Student in Paris dem großen Corat nahe und wurde an seiner Seite Augenzeuge mehrerer jener Fälle von Geisteskrankheit, die er mit unvergleichlicher Meisterschaft analysierte .-
Vaila

Wahnsinn, Tod, Rache und die Unerbittlichkeit des Schicksals sind die beherrschenden Themen in Shiels Kurzgeschichten.
Vaila ist eine von hohen Felsen umgebene, nördlich von Großbritannien, inmitten gefährlicher Strudel gelegene, sturmumtoste Insel, und der Stammsitz derer von Harfager. Als seine Mutter im Sterben liegt, bitte Haco von Harfager seinen alten Studienfreund, den Ich-Erzähler der Geschichte, ihn zu besuchen.
Schon die Überfahrt erweckt in dem Freund den Eindruck, als führte unsere Fahrt ins Jenseits dieser Welt und was ihn auf Vaila erwartet, könnte schlimmer nicht sein. Harfagers Mutter ist tot und wartet im offenen Sarg auf ihre Beerdigung. Haco selbst ist vorzeitig gealtert und wirkt verwahrlost. Er leidet unter Halluzinationen und der fixen Idee, dass ein alter Fluch das Haus und das Leben der letzten Harfangers -seines und das seiner Schwester- bedroht. Ein grauenhaft entstelltes Faktotum kümmert sich um das Haus, und die Insel scheint sich auf unerklärliche Weise zu drehen.
Jede Zeile dieser Geschichte atmet Verfall und Bedrohung und die Szenerie ist unheimlich.  Dennoch geht Vaila dem Leser nicht wirklich unter die Haut. Allzu deutlich erinnert die Erzählung an Poes Untergang des Hauses Usher, allzu genau erfüllt sich die Erwartung des Lesers, die durch die Erwähnung von Wahnsinn, Tod und einem alten Fluch geschürt worden ist, und zu artifiziell ist das Gebilde, von dem die Bedrohung ausgeht – ein riesiges Stundenglas. Ein Stundenglas, auch wenn es in absehbarer Zeit seinen Dienst einzustellen droht, wirkt nicht so angsteinflößend, wie z.B. ein beständig unaufhaltsam näherrückendes Pendel wie in Poes Geschichte Die Grube und das Pendel, und schließlich darf der Leser eines von einem Ich-Erzähler verfaßten Berichtes immer darauf hoffen, daß die Geschichte wenigstens für einen der Protagonisten gut ausgeht. Dies alles trägt dazu bei, dass der Leser trotz der unheimlichen Atmosphäre eher in die Rolle eines stillen Beobachters gedrängt wird, als in die, eines unsichtbaren, mitleidenden und sich ängstigenden Beteiligten. Dennoch ist Vaila zweifellos die beste der hier versammelten Geschichten.
Die zweite Erzählung, Huguenins Frau, beginnt ähnlich wie die erste. Der Ich-Erzähler erhält den verzweifelten Brief eines alten Freundes, der allein mit zwei Dienern, die ihn beharrlich zu meiden scheinen, in einem riesigen Haus auf der griechischen Insel Delos lebt und sich nach menschlicher Nähe sehnt. Diesmal geht die Gefahr von einem schrecklichen Ungeheuer aus, das auf geheimnisvolle Weise mit Huguenins verstorbener Frau in Verbindung zu stehen scheint. Auch hier wieder findet man viel Poe, vermischt mit ein wenig griechischer Sagenwelt.
In Elendes Los eines gewissen Saul gibt es sogar zwei Ich-Erzähler. Der erste, in der Rahmenerzählung, gibt den Bericht des mittlerweile lang verstorbenen James Dowdy Saul wieder, den er in einer Manuskript-Truhe der Cowling-Bibliothek gefunden hat.
Der zweite Erzähler, Saul, erzählt um 1601 im Alter von 60 Jahren kurz, aber eindrucksvoll, von seinen Abenteuern auf See und zu Land. Er berichtet, wie er 1571 auf Hispaniola in die Hände der Spanischen Inquisition fällt, auf ein Schiff verfrachtet und während eines Sturms in einem Faß über Bord geworfen wird. Das Faß sinkt rasch mit seiner lebendigen Fracht. Saul macht alle Qualen eines Ertrinkenden durch und gelangt schließlich in eine mit Luft gefüllte Höhle, in der sich auch ein Süßwassersee befindet. Nahrung bieten ihm die Tiere und Früchte des Meeres.
Dies ist keine Horror-Geschichte im Stile Poes. Elendes Los eines gewissen Saul ist eine Abenteuergeschichte und wäre der Autor unbekannt, könnte man die Theorie verfechten, dies sei eine von Jules Verne verfaßte Version von Robinson Crusoe.
“Die Braut heißt Rachel Evans.”, teilt Walter Teeger dem Standesbeamten mit, als er sein Aufgebot bestellt. Dies ist die reine Wahrheit, der Beamte weiß allerdings nicht, daß es zwei Schwestern gibt, die beide nach ihrer Großmutter “Rachel” heißen.
Die eine, “Annie Rachel” wird “Annie” gerufen, die andere, “Mary Rachel”, “Rachel”. Walter liebt Annie, aber Rachel liebt Walter und zeigt ihm dies überdeutlich, obwohl zu dieser Zeit von Frauen Zurückhaltung im Ausdruck ihrer Gefühle erwartet wurde. Walter ist von Rachels so offensiv zur Schau getragener Leidenschaft berückt und gebannt und kann sich nicht entscheiden, welche von beiden er nun heiraten soll. Da entscheidet das Schicksal für ihn, – um dann seinen unvermeidlichen Lauf zu nehmen. Wieder finden sich eindeutige Anklänge an Poe.

Der bleiche Affe spukt angeblich im Hause Sir Philip Listers, in das eine Gouvernante kommt, um die zwölfjährige Esmé, Vollwaise und Nichte Sir Philips, zu unterrichten. Das Mädchen behauptet steif und fest, es habe den Geist eines riesigen Affen gesehen, der früher zusammen mit den anderen, noch lebenden Affen in einem Käfig nahe eines Wasserfalls lebte. Um die Spannung nicht zu verderben, soll hier nur so viel gesagt werden, daß Shiel sich ganz offensichtlich an einen berühmten Roman der Weltliteratur anlehnt.
In Der Primas der Rose hat der verheiratete E.P.Crooks ein Verhältnis mit der 25 Jahre alten Minna Smyth, deren Bruder Crichton er kennt. Crichton erzählt Crooks von einem exklusiven Geheimbund, der eine geheimnisvolle Wohnung in London unterhält, von der nur das Oberhaupt, der sogenannte Primas der Rose weiß, wo sie sich befindet. Crooks beschwatzt Crichton, ihm den geheimnisvollen Raum zu zeigen. Der stimmt nach langem Zögern zu, besteht aber darauf, Crooks die Augen zu verbinden, damit er den Weg nicht wiederfinden kann. Schließlich steht Crooks allein in dem ominösen Raum und nimmt die Binde von den Augen…
Was mich betrifft ist Shiels kurze, mit Selbstironie gespickte Lebensbeschreibung, in der er auch sehr warmherzig über seinen Vater spricht.
Die Auflistung der von Javier Marías verliehenen Titel und Ämter des Königreiches Redonda ist eher ein Insidergag zwischen Marías und den Genannten, von denen nur wenige so bekannt sind wie Pedro Almodovar, Antonia Susan Byatt, John Michael Coetzee und Francis Ford Coppola.
Redonda ist ein fiktives Königreich auf der gleichnamigen unbewohnten Antilleninsel. Shiel wurde im Jahr 1880 von seinem Vater zum ersten König dieser Insel gekrönt. Der vierte König ist nun Javier Marías, der dafür die Erinnerung an das Königreich, die Legende und die früheren Könige wachhalten muß und dafür die Rechte an Shiels Werk geerbt hat und so viele Ämter und Titel verleihen darf, wie er möchte. Sehr viel mehr sagt er über Redonda nicht, denn wie Javier Marías in seinem Vorwort Nur Luft und Rauch und Staub mitteilt, hat er das schon in seinen Romanen Alle Seelen und Schwarzer Rücken der Zeit getan und gedenkt nicht, sich zu wiederholen. Dieses “Fischen nach Lesern” für seine eigenen Werke hat Marías eigentlich nicht nötig und es ist für den Leser nur ärgerlich.
Fazit: Auch wenn die Erzählungen häufig an Poe und andere berühmte Schriftsteller erinnern, und das schreckliche Ende oft vorhersehbar ist, so sind die Geschichten doch höchst unterhaltsam und decken ein breites Spektrum der Phantastik, von der Horrorgeschichte (Vaila), über den Schauer”roman” bzw. die Prosaversion einer Ballade (Die Braut) bis hin zur Entdeckung fremder, außergewöhnlicher Welten (Elendes Los eines gewissen Saul), ab. Außerdem hat Shiel sich nicht nur von berühmten Autoren inspirieren lassen, sondern hat unzweifelhaft auch anderen als Vorbild gedient. Für Freunde der Phantastik sind Shiels Erzählungen ein Muss – lesenswert sind sie allemal.

Cover des Buches "Im Bann der Göttin" von Tamore PierceAlanna ist mittlerweile vierzehn Jahre alt und Prinz Jonathans Knappe. Im Wald trifft sie auf eine Dame, die ihr auf den Kopf zusagt, sie fürchte sich vor der Ritterprüfung, vor der Liebe und vor Herzog Roger von Conté. Genau diesen Ängsten muss Alanna sich in Im Bann der Göttin stellen. Sie muss in einen Krieg ziehen und zahlreiche andere Gefahren bedrohen ihr Leben.

-Die Reiterin mit dem kupferfarbenen Haar sah zum dunklen Himmel empor und fluchte. Gleich würde das Gewitter losbrechen und dabei gab es weit und breit keinen Unterschlupf.-
1 Die Dame im Wald

Auch im zweiten Band ist Alanna das beherzte, geradlinige und entschlossene Mädchen, das es Leserinnen jeden Alters leicht macht, sich mit ihr zu identifizieren. Jedoch im Gegensatz zu Die Schwarze Stadt geht hier alles etwas glatter vor sich und Tamora Pierce verwendet offensichtlicher die alte “Fantasy-Strategie” Gefahr, Rettung, neue Gefahr, wieder Rettung und so weiter bis zum glücklichen Ende. Je älter der Leser ist, um so weniger hat er das Gefühl, dass Alanna wirklich ernsthaft bedroht ist. Besonders die Episode, die im Krieg spielt, wird zu rasch und zu einfach aufgelöst.
Gleich zu Beginn erfährt man, dass Alannas Vater gestorben ist. Damit fällt ein Handlungsstrang weg, der ein reizvolles Konfliktpotential geboten hätte. Und um der Spannung willen, hätte Tamora Pierce dem Herzog von Conté etwas mehr Erfolg bei seinen Übeltaten gönnen können.
Bedauerlich ist auch, dass Alanna kaum noch von Selbstzweifeln geplagt wird. Gerade, dass sie sich so oft selbst in Frage gestellt hat, hat Alannas Charakter im ersten Band so viel Individualität und Persönlichkeit verliehen. Nun drehen sich ihre Selbstzweifel hauptsächlich darum, ob sie sich der Liebe hingeben soll und wenn ja, mit wem: Mit Prinz Jonathan oder mit Georg, König der Diebe? Glücklicherweise hat Tamora Pierce es vermieden, die Handlung in eine kitschige Liebesgeschichte abdriften zu lassen. Die Emotionen aller Protagonisten sind stimmig und die Autorin verzichtet auf jegliche Gefühlsduselei.
Trotz der kleinen Schönheitsfehler gehört Im Bann der Göttin zu den besten Fantasyromanen im Jugendbereich, auch wenn der Titel wieder einmal nicht glücklich gewählt ist. Es ist ein profunder Unterschied ob man sich im Bann eines Gottes befindet oder ob man -wie es der Originaltitel sagt- in der Hand (eines) Gottes ist, der zweite Begriff impliziert im Gegensatz zum ersten Schutz und Geborgenheit. Und genau das trifft auf diese Geschichte zu. Alanna besteht ihre Abenteuer u.a. so glücklich, weil die Muttergöttin sie schützt und ihr hilft.

Cover des Buches "In einem anderen Buch" von Jasper FfordeSeit Thursday Next aus Jane Eyre zurückgekehrt ist, hat ein regelrechter Medienrummel um sie eingesetzt. Ständig muss sie zu Fototerminen oder Zeitungsinterviews geben, jetzt soll sie auch noch in der Adrian-Lush-Show auftreten, darf aber nichts Essentielles sagen, da dies entweder gegen die Dienstordnung von SpecOps verstößt oder gegen die militärische Geheimhaltung oder gegen die Firmengrundsätze der Goliath Corporation, der die Fernsehstudios gehören. Thursday hat die Nase gestrichen voll, sie möchte nichts anderes als ihr Leben mit ihrem Ehemann Landen genießen. Doch gerade als es den Anschein hat, dass glückliche Zeiten für sie anbrechen, wird Landen genichtet. Jemand ist in die Vergangenheit gereist und hat dafür gesorgt, dass Landen im Alter von zwei Jahren stirbt. So soll Thursday dazu gezwungen werden Jack Schitt aus Poes Der Rabe herauszuholen. Und als ob das nicht schon genug Schwierigkeiten wären, trachtet auch noch ein Unbekannter nach Thursdays Leben und außerdem wird am 12. Dezember die Welt untergehen.

-Ich hatte nicht darum gebeten, eine Berühmtheit zu werden. In der Adrian-Lush-Show wollte ich auch nicht auftreten, und solange nicht gerade ein Weltuntergang droht, würde ich so etwas Albernes wie Das Thursday Next Fitness-Video auch nicht machen.-
I. Die Adrian-Lush-Show

Falls der ein oder die andere nicht jedes Wort der Inhaltsangabe verstanden hat, so ist das kein Grund zu Beunruhigung, zeigt es doch nur, dass Thursdays zweiter Fall genauso abgefahren, voll überbordender Phantasie und skurrilem Witz ist wie der erste. Schon die Auflistung der Zuschauerzahlen der Fernsehsender im September 1985 auf der ersten Seite sorgt für Lacher. Eigentlich soll sie dokumentieren, dass die Adrian-Lush-Show die meistgesehene Show in Thursdy Nexts Welt ist, doch schon an der sechsten Stelle folgt die Sendung Gefährliche Irre diskutieren im Fernsehen. Der Rezensent kann keine rationale Erklärung dafür abgeben, warum ihm da sogleich sonntagabendliche Polit-Talkshows eingefallen sind, gibt es doch noch zahlreiche andere im deutschen Fernsehen, die gemeint sein könnten – Talkshows natürlich.
Jasper Fforde liefert nicht nur wieder eine höchst vergnügliche phantastische Agentenparodie, sondern er verteilt auch kräftig Seitenhiebe, z.B. gegen selbstgefällige Talkshow-Moderatoren, deren Gäste viel reden, aber möglichst nichts sagen sollen, es sei denn etwas Werbewirksames über den Sponsor der Show. Und natürlich sind Jasper Fforde auch Weltkonzerne vom Schlag einer Goliath Corporation ein Dorn im Auge, die die Welt beherrschen wollen, indem sie die Medien beherrschen und wirtschaftliche und politische Macht ausüben.

Schräge Agentenparodien gibt es einige, was Ffordes Romane von ihnen unterscheidet und die Thursday-Next-Bücher so lesenswert macht, ist, dass sie unbändige Lust wecken, sich mit der Literatur zu beschäftigen in die Thursday bei ihren Einsätzen hineingerät oder auf die Fforde intelligent anspielt.
Thursday muss sich nicht nur in Poes Raben hineinbegeben, sie findet sich auch plötzlich in einem Prozeß à la Kafka wieder. Miss Havisham aus Dickens Große Erwartungen lehrt sie, wie man in Bücher springt. Thursday landet in Verstand und Gefühl, trifft die Herzkönigin und die Grinsekatze und gerät auch schon einmal in eine Waschanleitung. Unzählige Werke werden nur kurz erwähnt wie Marlowes Edward II.; Romeo und Julia, Julius Caesar, David Copperfield, Ulysses, Die Abenteuer des David Balfours, Barchester Towers, König Salomos Schatzkammer oder Vergessene Welt. Wer da keine Lust bekommt, in seinem Bücherregal zu stöbern, dem ist nicht mehr zu helfen.

Cover des Buches "Der König auf Camelot" von T.H. WhiteDer König auf Camelot ist in vier Bücher unterteilt:
Das Schwert im Stein
erzählt davon, wie “Wart” als Ziehsohn Sir Ectors aufwächst. Wart ist nichts Besonderes und wenn er älter ist, soll er der Knappe von Kay, Sir Ectors vielversprechendem Sohn, werden. Aber erst einmal wird ein Hauslehrer für die beiden Jungen eingestellt: Merlin. Im Gegensatz zu Kay erhält Wart von Merlin noch eine zusätzliche, ungewöhnliche Ausbildung. Von Zeit zu Zeit verwandelt der Zauberer ihn in ein Tier.
Die Königin von Luft und Dunkelheit: Aus Wart ist mittlerweile König Arthur geworden. Während Arthur sich darüber den Kopf zerbricht, wie man herrscht, ohne seine Macht zu missbrauchen, wachsen auf Orkney Gawaine und seine drei Brüder heran. Ihre Mutter Morgause wird bald eine verhängnisvolle Rolle in König Arthurs Leben spielen.
Lancelot ist Der missratene Ritter. Das dritte Buch erzählt von seiner verbotenen Liebe zu Königin Ginevra. Arthur, der seinen besten Freund und seine Ehefrau nicht verlieren will, duldet die Beziehung stillschweigend.
Die Kerze im Wind
: Mordred, Gawaines Halbbruder, wird von Hass gegen König Arthur getrieben. Er benutzt Lancelots und Ginevras Affäre, um Arthur den Anspruch auf den Thron streitig zu machen.

-Montags, mittwochs und freitags gab es Gotische Kanzleischrift und Summulae Logicales, an den übrigen Wochentagen waren Organon, Repetition und Astrologie dran.-
Kapitel 1 Erstes Buch: Das Schwert im Stein

Es gibt Dinge, die den Rezensenten an Der König auf Camelot (The Once and Future King) gestört haben.
Besonders die ersten beiden Bücher wirken so, als hätte T.H. White Schwierigkeiten gehabt, sich zu entscheiden, was er denn nun eigentlich schreiben wollte:

Einen im wahrsten Sinn des Wortes zauberhaften Artusroman? Nachdem Merlin Wart im ersten Buch aus erzieherischen Gründen in alle möglichen Tiere verwandelt hat, spielt die Zauberei nur noch eine untergeordnete Rolle.

Eine Parodie auf den Ritterroman? König Pellinore spielt ein lustiges Spielchen mit dem gar nicht so furchtbaren Aventiure-Tier, endet später aber unerwartet tragisch.
Einen gesellschaftskritischen Schlüsselroman mit Gegenwartsbezug? T.H. Whites Statements gegen Krieg, Kommunismus und Nationalsozialismus sind aller Ehren wert, wirken aber plakativ und aufgesetzt. Die politischen Anspielungen werden holzhammerartig vorgebracht, als hätte White dem Leser nicht zugetraut, auch zwischen den Zeilen lesen zu können.
Außerdem bezieht sich der Autor mehrfach auf Malorys 1485 erschienenes Werk La Morte Darthur, in dem Artus als letzter Ritter stilisiert wird. White folgt Malory in dieser Darstellung, warum deshalb aber Arthur unbedingt ein Normanne sein muss, er die Geschichte ausdrücklich nach 1360 spielen lässt, anstatt sich zeitlich nicht festzulegen und warum Robin Hood/Wood mitsamt Lady Marian kurz und unmotiviert auftauchen, mit Wart ein Abenteuer erleben und dann wieder in der Versenkung verschwinden, hat sich dem Rezensenten nicht erschlossen. Auch in Fantasy-Romanen darf man als Leser ein Mindestmaß an innerer Logik und Stimmigkeit erwarten.

Das Buch Der missratene Ritter entschädigt dann aber für all die plakativ vorgetragenen Intensionen Whites. Da werden aus Figuren, die die Botschaft des Autors vermitteln sollen, plötzlich Menschen, die aufgrund ihrer Charakterschwächen und eines fragwürdigen Ehrenkodexes in Konflikte geraten, an denen sie letztlich scheitern.

In der Mühle im Koselbruch geht es nicht mit rechten Dingen zu. Als der vierzehnjährige Waisenjunge Krabat dort ankommt, fragt ihn der Meister, ob er nur das Müllerhandwerk lernen möchte oder auch “das andere”. “Das andere auch”, sagt Krabat, ohne zu wissen, dass “das andere” die Kunst des Zauberns ist. Und die hat ihren Preis: In jeder Neujahrsnacht muss einer der zwölf Müllerburschen sterben. Gibt es einen Ausweg?

-Es war in der Zeit zwischen Neujahr und dem Dreikönigstag. Krabat, ein Junge von vierzehn Jahren damals, hatte sich mit zwei anderen wendischen Betteljungen zusammengetan, und obgleich Seine allerdurchlauchtigste Gnaden, der Kurfürst von Sachsen, das Betteln und Vagabundieren in Höchstderoselben Landen bei Strafe verboten hatten (aber die Richter und sonstigen Amtspersonen nahmen es glücklicherweise nicht übermäßig genau damit), zogen sie als Dreikönige in der Gegend von Hoyerswerda von Dorf zu Dorf: Strohkränze um die Mützen waren die Königskronen; und einer von ihnen, der lustige kleine Lobosch aus Maukendorf, machte den Mohrenkönig und schmierte sich jeden Morgen mit Ofenruß voll..-
Founding, 1

Bei diesem Buch handelt es sich um keine leere Phrase, wenn man behauptet, dass niemand, der es gelesen hat, es je vergessen wird. Otfried Preußler erzählt die alte Sage um den Müllerburschen Krabat auf eine derart beklemmende Weise, dass auch den erwachsenen Leser die Furcht packt vor dem einäugigen Müller, dem Gevatter mit der Hahnenfeder, der immer in der Neumondnacht ein besonders grausiges Mahlgut anliefert und vor den unheimlichen Dingen, die in der Mühle am Koselbruch vor sich gehen.
Dass die Geschichte nicht zu düster wirkt, liegt an den komischen Szenen, die es ebenfalls gibt, und vor allen Dingen daran, dass die Liebe eine entscheidende Rolle spielt. Krabat ist nicht nur die spannende Geschichte eines Zauberlehrlings, sondern auch eine der schönsten Liebesgeschichten, die je erzählt wurden. Viele Autoren, die für Erwachsene schreiben, sollten sich ein Beispiel daran nehmen, wie Preußler über die Liebe schreibt, über dieses tiefe und wahre Gefühl, das so weit entfernt ist, von dem kitschigen und verlogenen Zerrbild, das dem erwachsenen Leser in schlechten Fantasyromanen oft zugemutet wird.

Faszinierend ist, dass diese Geschichte nicht in einem Fantasieland spielt, in das man in der Realität nicht gelangen kann. Zwar haben die Ereignisse in der Mühle am Koselbruch zur Zeit August des Starken stattgefunden (wenn sie stattgefunden haben 😉 ), aber alle Orte, die Preußler erwähnt, gibt es heute noch, auch den Koselbruch- in dem eine Mühle steht… .

Also, wenn Sie Gelegenheit dazu haben, fahren Sie nach Sachsen, schauen Sie sich die Originalschauplätze an und seien Sie auf der Hut, wenn Sie einem Einäugigen begegnen.

Cover des Buches "Im Land des Windes" von Licia TroiciObwohl die dreizehnjährige Nihal das einzige Mädchen in ihrer Bande ist, ist sie die Anführerin. Ihr Vater ist der Waffenschmied der Stadt Salazar, und nichts liebt Nihal so sehr wie den spielerischen Schwertkampf. Eines Tages wird sie von einem Jungen zum Duell gefordert, den sie noch nie gesehen hat. Er heißt Sennar und scheint ihr, obwohl älter, körperlich unterlegen zu sein. Aber er ist es, der gewinnt. Sennar ist ein Magier und nun will auch sie das Zaubern erlernen. Nihal beschließt, bei ihrer Tante Soana, einer mächtigen Zauberin, in die Lehre zu gehen. Als die Truppen des Tyrannen in Salazar einfallen und Nihals Vater vor ihren Augen ermorden, will das Mädchen sich dem Orden der Drachenritter anschließen, der gegen den Tyrannen kämpft. Aber in diesen Orden werden nur Männer aufgenommen…

-Die Sonne überflutete die Ebene.-
1 Salazar

Im Land des Windes (Nihal della Terra del Vento) ist ein zum Fantasyroman gewordener Kleinmädchentraum. Nihal meistert fast alle Schwierigkeiten, die sich ihr in den Weg stellen. Natürlich stimmt ihr Vater schließlich zu, als sie die Magie erlernen möchte, obwohl er zunächst dagegen ist. Und wie praktisch, dass er eine Schwester hat, von der Nihal bisher nichts wusste, die eine berühmte Magierin ist. Natürlich besteht das Mädchen den Initiationsritus, den es durchlaufen muss, um eine Zauberin werden zu dürfen. Natürlich ist sie schon als Jugendliche eine hervorragende Kämpferin, die durch das harte Training, das sie selbstverständlich absolvieren muss, nur noch vollkommener wird. Natürlich besitzt sie Durchhaltevermögen, ist sturköpfig, entschlossen und mutig. Natürlich überlebt Nihal, als die Fammin in Salazar einfallen, ein schreckliches Gemetzel anrichten, die Stadt plündern und sie schließlich in Brand setzen. Natürlich ist sie nicht nur aufgrund ihres Aussehens etwas Besonderes – jeder, der schon einmal einen Fantasyroman gelesen hat, kann leicht erraten, zu welchem Volk sie gehört – sondern auch, weil sie die letzte ihrer Art ist. Natürlich wird sie als erste Frau in den Orden der Drachenritter aufgenommen, dazu muss sie auch “nur” die zehn stärksten Schüler der Akademie im Zweikampf besiegen, einen nach dem anderen, ohne eine Pause einlegen zu dürfen.

War die Geschichte bisher eine Aneinanderreihung altbekannter Fantasy-Topoi, wird es nun langsam albern. Man könnte meinen Pippi Langstrumpf, die bekanntlich das stärkste Mädchen der Welt ist, hätte sich in das Buch eingeschlichen, um mal zur Abwechslung ihre Kräfte dazu zu benutzen, Männer mit dem Schwert zu besiegen, von denen einer auch noch mit Peitsche und Eisenkette auf sie losgeht, anstatt immer nur ihr Pferd in die Luft zu stemmen oder Gauner, Polizisten und Piraten außer Gefecht zu setzen. Leider fehlt Troisi Lindgrens Humor. Sie erzählt ohne jedes Augenzwinkern wie Nihal zehn fast fertig ausgebildete Krieger der Reihe nach besiegt und so ist diese Episode trotz der martialischen Schilderung völlig unglaubwürdig.
Und es möge sich jetzt bitte keiner beschweren, hier bei bp würde wohl neuerdings ein Spoiler an den anderen gereiht. Jeder hier aufgeführte Punkt ist vorhersehbar, und sobald ein Handlungsteil beginnt, weiss der Leser, wie er enden wird. Außer den ganz jungen Leserinnen wird niemand je vermuten, dass Nihal irgendeine Aufgabe letztendlich nicht besteht, und wenn sie einmal den Kürzeren zieht, wie bei dem Kampf gegen Sennar, dann offensichtlich nur, um die Handlung voranzutreiben und Nihal, die am Anfang der Geschichte ja erst dreizehn Jahre alt ist, sich entwickeln und reifen zu lassen, so dass ihr aus der vermeintlichen Niederlage doch noch ein persönlicher Sieg erwächst, und schlussendlich Gutes bewirkt wird. Die Geschichte ist durchsichtig wie eine frischgeputzte Fensterscheibe. Selbst wenn Nihal in aussichtslose Situationen gerät oder ernsthaft verletzt wird, weiss jeder, der älter als zwölf ist, dass er um die Heldin des Romans nicht bangen muß.

Natürlich wird Im Land des Windes auch gestorben, natürlich trifft es einen edlen Recken und natürlich bricht sein Tod Nihal fast das Herz, denn auch die Romantik darf bei einer jugendlichen Heldin nicht zu kurz kommen. Natürlich ist sie bezaubernd und auf eine faszinierende Art schön, wenn sie auch laut Autorin angeblich keinem klassischen Schönheitsideal entspricht. Sie hat lange Wimpern, eine gertenschlanke Figur und “sehr weibliche Rundungen”, womit sie trotz ihrer außergewöhnlichen Augen- und Haarfarbe und den Mr.-Spock-mäßigen Ohren -was in einem Land, das auch von Kobolden, Gnomen, Wassernymphen und Drachen bevölkert ist, so ungewöhnlich auch wieder nicht ist – tatsächlich einem “klassischen Schönheitsideal” genauso wenig entspricht wie Heidi Klum. Natürlich ignoriert sie die begehrlichen Blicke der Soldaten und bleibt unnahbar. Natürlich ist sie eine unerbittliche Kämpferin, die jeden feindlichen Krieger niedermäht und natürlich ist es nicht Nihal, die von den Greueln des Krieges überwältigt wird als sie mit anderen jungen Kriegern zum erstenmal in die Schlacht geschickt wird, sondern ein zartbesaiteter Jüngling und natürlich gelingt es auch nur ihr, dass Oarf sie auf seinem Rücken fliegen lässt, ein Drache, der seit dem Tod seines ersten Herren, niemanden an sich heran lässt und wegen seines aggressiven Verhaltens sein Dasein in einem Käfig fristen muss.

Also: Nichts Neues unter der Sonne, aber immerhin ein unterhaltsam geschriebener Fantasyroman mit einer starken, entschlossenen, tapferen Heldin, mit der sich jüngere Mädchen sicher gerne identifizieren, sofern sie sich nicht von den manchmal brutalen Szenen abschrecken lassen, und für alle, die noch nicht allzuviel Leseerfahrung besitzen auch spannend.

Cover des Buches "MacBest" von Terry PratchettIn einer stürmischen Nacht stolpert Verence, König von Lancre, äußerst unglücklich und fällt dabei in seinen eigenen Dolch, den ganz zufällig Lord Felmet in der Hand hält. Von nun an ist Felmet König von Lancre. Da er aber weder der rechtmäßige noch ein guter König ist, beschließen Oma Wetterwachs und ihre beiden Freundinnen einzugreifen, und einen Würdigeren auf den Thron zu setzen. Natürlich gibt es dabei einige Komplikationen, doch dank einer reisenden Theatertruppe regiert am Ende der beste, der für dieses Amt zu finden war.

-Wind heulte. Blitze stachen ziellos herab, wie ein ungeschickter Mörder. Donner rollte über das dunkle, regengepeitschte Land.-

Leute, es hilft alles nix: Um den Roman richtig genießen zu können, muss man Macbeth gelesen haben. Also begebt Euch in die nächste Buchhandlung, sucht eine zeitgemäße Übersetzung und legt los. Außerdem sollte man eine vage Vorstellung davon haben, worum es in Hamlet geht, welche Stücke Shakespeare noch so geschrieben hat, wer Shakespeare überhaupt war und wie das Theater seiner Zeit aussah. Wenn der Leser von alldem nur wenig weiß, dann entgehen ihm viele der besten Anspielungen und die Lektüre ist für ihn nur halb so vergnüglich wie für jemanden, der diese Voraussetzung erfüllt. Der darf sich dann als Belohnung für seine Literaturkenntnisse nach fast jeder Seite vor Lachen kringeln.

Trotzdem kann man sich beim Lesen von MacBest (Wyrd Sisters) auch ohne Shakespeare-Kenntnisse amüsieren. Pratchett schildert auf witzige Weise Oma Wetterwachs’ ersten Theaterbesuch, ihre Schwierigkeiten zu fliegen, warum es keinen Sinn macht, Hexen zu foltern und wie Überfälle auf der Scheibenwelt ablaufen. TOD hat nur wenige Auftritte, aber immerhin wird das Geheimnis gelüftet, warum er in Großbuchstaben spricht. Dieser Roman gehört zu den besten Büchern, die Pratchett geschrieben hat.

Cover des Buches "Das magische Messer" von Phillip PullmanWill, ein Junge, der im Oxford “unserer” Welt lebt, hat es nicht leicht. Sein Vater ist vor zehn Jahren bei einer Expedition verschwunden und seine Mutter leidet anscheinend an einer Geisteskrankheit. Als zwei Männer in sein Zuhause einbrechen und versuchen, eine grüne Mappe zu stehlen, tötet er einen der beiden. Will muß fliehen. Bei seiner Flucht gerät er durch ein Fenster in eine andere Welt. In dieser Welt trifft er Lyra, die dort hingeraten ist, als sie ihrem Vater über die Brücke folgte. Die beiden Kinder schließen sich zusammen und helfen sich gegenseitig, Wills Vater zu finden und das Geheimnis des Staubes zu ergründen.

-Will zog seine Mutter an der Hand und sagte: “Komm weiter, bitte…” Aber seine Mutter zögerte. Sie hatte noch immer Angst.-
Kapitel 1, “Die Katze unter den Bäumen”

Das magische Messer (The Subtle Knife) besticht durch seine Komplexität: Es handelt von Physik, Philosophie, Religion, Schamanismus, von Platons Höhlengleichnis, von der Erschaffung der Welt, von Gott und dem Teufel, von Gut und Böse, von Armageddon, von Engeln und Gespenstern, von Hexen und der Inquisition, von der Kernspaltung, von Freundschaft, Treue, Verrat und Tod und es ermutigt den Leser seinen eigenen Instinkten zu vertrauen und nicht blindlings auf Autoritäten zu hören. Eigentlich müßte die Handlung ein einziges Tohuwabohu sein. Daß der Roman nicht unrettbar im Chaos versinkt, ist der Verdienst von Philip Pullman. Da schreibt jemand, der trotz des umfangreichen Inhaltes klare Handlungsstränge entwickeln kann, und der nie den roten Faden verliert. Dabei wirkt der Roman nicht überfrachtet, sondern alles erscheint völlig natürlich, so daß ein Leser dieses Buches es wahrscheinlich ganz normal finden wird, wenn ihm plötzlich massenhaft Menschen mit außergewöhnlichen Tieren an der Seite begegnen oder wenn demnächst ein Engel durch seinen Computer mit ihm kommuniziert. Außerdem versteht Pullman es, den Leser immer wieder zu verblüffen. Als Lyra Will zum erstenmal trifft, fragt sie das Alethiometer, ob Will ein Freund oder ein Feind ist. Das Gerät antwortet, er sei ein Mörder, worauf Lyra sofort beschließt, Will zu vertrauen.

Trotz einiger Gewaltszenen und trauriger Ereignisse ist das Buch für Kinder ab ca. 12 gut geeignet. Gewalt wird nie unmotiviert ausgeübt, und Kinder, die Grimms Märchen verkraftet haben, in denen Frauen nackt in mit Nägeln gespickten Fässern zu Tode gerollt werden oder in Backöfen verbrannt werden, werden auch hier keinen Schaden nehmen. Allerdings braucht das Buch unbedingt Menschen, die gerne lesen. Kinder oder Erwachsene, die vor Harry Potter noch nie ein Buch in die Hand genommen haben und jetzt auf den Gedanken kommen, sie könnten sich ja mal ein “Zweitbuch” anschaffen, das womöglich auch noch “wie Harry Potter ist” werden an diesem Zyklus keine Freude haben.
Für Erwachsene ist es ein besonderes Vergnügen, sämtliche Anspielungen herauszufinden, die die Literatur und das Weltgeschehen betreffen, aber das ist nur ein besonderer Kick. Für Erwachsene, die sofort zwanghaft zum Lexikon greifen müssen, um nachzuschlagen, ob es dieses anbarische Dingsbums wirklich gibt und was Platon jetzt eigentlich mit seinem Höhlengleichnis genau meinte, ist das Buch ebenfalls nicht geeignet. Dieser Roman braucht Leser, die in eine Geschichte versinken können und ihre Neugier auf das Ende beibehalten, auch wenn ihnen nicht immer klar ist, worauf der Autor hinaus will und wie die Geschichte letztendlich ausgehen wird.

Cover des Buches "Der Meister und Magarita" von Michail BulgakowMoskau in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts: Berlioz, der Chefredakteur einer Literaturzeitschrift und der Lyriker Iwan Ponyrew, genannt Besdomny, diskutieren auf offener Straße darüber, ob Jesus je gelebt hat. Da mischt sich ein Fremder in das Gespräch, der behauptet, er wisse genau, daß Jesus gelebt hat, denn er sei bei der Passion Christi dabeigewesen, übrigens habe er auch mit Kant gefrühstückt und Berlioz würde noch heute abend der Kopf vom Rumpf getrennt. Offensichtlich haben es Berlioz und Besdomny mit einem Irren zu tun. Doch als am gleichen Abend Berlioz tatsächlich seinen Kopf verliert, weiß Besdomny, daß der Unbekannte keineswegs verrückt ist. Er versucht, die Miliz zu alarmieren, was zur Folge hat, das Besdomny in die Psychiatrie eingeliefert wird, da ihm natürlich kein Mensch glaubt. Dort trifft er auf den Meister, der gerade seinen Roman über Pontius Pilatus verbrannt hat. Währenddessen treibt der Teufel höchstpersönlich sein Unwesen in Moskau und verwandelt die ganze Stadt in ein Tollhaus.

-An einem ungewöhnlichen heißen Frühlingstag erschienen bei Sonnenuntergang auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard zwei Männer.-
Sprechen Sie nie mit Unbekannten

Der Meister und Margarita (Master i Margarita) ist eine phantastische Satire auf das stalinistische Moskau, mit Anspielungen auf Goethes Faust und auf russische Schriftsteller wie Dostojewski oder Gogol.

Dieser Roman spielt auf verschiedenen Ebenen.
Bulgakow schildert einmal, was der Satan in Moskau anrichtet. Er nennt sich “Voland”, tritt im Varieté als Magier auf und entlarvt mit seinen grotesken Zauberkunststückchen die Habgier, die Heuchelei und die Schlechtigkeit der Menschen. Außerdem gibt er einen Frühlingsball, auf dem die Geister verstorbener Sünder erscheinen. Alle, die nähere Bekanntschaft mit Voland schließen, wandern in die Psychiatrie, nur eine nicht: Margarita.

Margaritas Liebesgeschichte mit dem Meister bildet die zweite Ebene des Romans. In die Schilderung des Moskauer Geschehens werden Kapitel aus dem Roman des Meisters eingestreut. Dieser Roman behandelt verfremdet die Passion Christi und das Verhältnis zwischen Jesus und Pontius Pilatus.

Das ist die dritte Ebene des Romans. Die unverhohlenste Kritik an dem real existierenden Kommunismus unter Stalin äußert Bulgakow in der Passionsgeschichte und sagt damit gleichzeitig den Untergang des Sowjetregimes voraus. Jeschua erwidert Pontius Pilatus, der ihn verhört:

“Ich habe ihm unter anderem gesagt, … daß von jeder Staatsmacht den Menschen Gewalt geschehe und daß eine Zeit kommen werde, in der kein Kaiser noch sonst jemand die Macht hat.”

Zwar handelt es sich bei Der Meister und Margarita um anspruchsvolle Literatur, trotzdem ist das Buch leicht zu lesen, auch wenn dem Leser ab und an ein Wort begegnet, das ihm nicht geläufig ist. Um den Roman zu verstehen, ist es aber hilfreich, wenn man eine Vorstellung über das Leben im Moskau der dreißiger Jahre besitzt oder wenn man zumindest Erfahrungen mit der DDR gemacht hat. Sonst wird man kaum nachvollziehen können, warum die Menschen sich wegen einer Wohnung korrumpieren lassen oder warum Devisen eine so wichtige Rolle spielen.

Cover des Buches "Merlin im Elfenwald" von Jean-Louis FetjaineDie Kämpfe in Britannien gehen weiter. Merlin ist auf dem Weg in die Bretagne, um in Brocéliande, dem Wald der Elfen, nach seinem Vater zu suchen, und das Rätsel um seine Herkunft zu lüften. Das Christentum fasst immer mehr Fuß auf der Insel und verdrängt den alten, heidnischen Glauben. Merlin gerät in den Ruf, ein Hexer zu sein und sein Gefährte, Bruder Blaise, wird der Ketzerei angeklagt. Unterdessen bringt Guendoloena, die mit dem König der Skoten verheiratet ist, Merlins Sohn Artus zur Welt.

-Die Schmerzen weckten sie kurz vor Tagesanbruch, und sie waren so heftig, daß sie nach Atem rang, nicht einmal mehr dazu imstande zu schreien, die Hände in ihr linnenes Bettzeug verkrampft, die Beine vor ihrem zum Bersten prallen Bauch angezogen, und es fühlte sich wahrlich an, als ramme man ihr eine brennende Fackel in den Leib.-
1 Die Überfahrt

Man möchte laut seufzen: Fetjaine ist ein wunderbarer Erzähler. An einer Stelle beschreibt er, wie Merlin eins wird mit der Natur, quasi in ihr aufgeht. Er wird zu Wasser, zu Gras, er verwandelt sich in verschiedene Tiere, wird zum Baum. Das ist kein plumper Abrakadabra-Zauber: eben stand hier noch der Zauberer und jetzt kommt die Taube aus dem Zylinder. Das ist wunderschön erzählt und der Leser fühlt beinahe körperlich wie Merlin Teil der Natur wird und die Natur Teil Merlins. Zeit wird unbedeutend. Allein wegen dieser Szene von knapp einer Seite lohnt sich die Lektüre des Romans. Aber es gibt auch viele Kleinigkeiten, die den Genuss trüben. Es ist, als wolle man sich an einem herrlichen Sommerabend erfreuen und würde alle paar Minuten von einer Mücke gestochen.

Merlin hat mittlerweile weißes Haar, er ist seelisch gereift, er ist Vater geworden und am Ende der Geschichte ist er um die Dreißig. Die gleichaltrige Guendoloena beschreibt Fetjaine als eine erwachsene Frau und nicht mehr das junge unbekümmerte Mädchen … Eine erwachsene Frau und Königin … , aber Merlin ist immer noch -na?- richtig, das Kind und zwar bis zu viermal auf einer Seite!
Anscheinend hält entweder der Autor oder die Übersetzerin hartnäckig an der falschen Auffassung fest, daß man einen erwachsenen Mann, der ein Kindergesicht hat und zartgliedrig ist, ständig als Kind titulieren muss. Aber das Wort Kind bezeichnet einen Entwicklungsstand, den Merlin zweifellos schon längst hinter sich gelassen hat und nicht die äußerliche Erscheinung. Wenn der Katholik Günther Jauch einen Konfirmationsanzug besäße, dann würde er darin wahrscheinlich heute noch bei günstigem Licht als 14-jähriger durchgehen. Trotzdem käme niemand auf die Idee zu schreiben: “Das Kind wird im Sommer die XXX-Show moderieren”.

Oft ist nicht nachvollziehbar, warum manche Begriffe in einer Fußnote erklärt werden und andere nicht. Akribisch wird der heutige Name jedes erwähnten Ortes in einer Fußnote festgehalten, Wörter aber wie Guimpe, die nun nicht gerade zum alltäglichen Sprachgebrauch gehören, werden nicht erklärt. In weiteren Fußnoten wird angegeben, wo genau die Bibelzitate zu finden sind, die die geistlichen Herren im Munde führen, und da wirkt es doch eher seltsam oder zumindest anachronistisch, wenn man jedesmal liest: zitiert nach der Luther-Übersetzung. Zwar passt die Sprache Luthers zu der Fetjaines, aber trotzdem mutet es eigenartig an, wenn Geistliche im 6. Jahrhundert die Bibel nach den Worten eines Mannes zitieren, der erst gut tausend Jahre nach ihnen gelebt hat.

Jean-Louis Fetjaine dankt in seinem Buch Johann Goldberg für die lateinischen Übersetzungen und lobt ihn als Koryphäe auf seinem Gebiet. Goldberg hätte sicherlich die benötigten Zitate in angemessener Sprache aus der Vulgata übersetzen können. Fetjaine legt in seinem Roman sichtlich Wert auf historische Authentizität, da hätte diese Vorgehensweise seinen Intentionen besser entsprochen.

Auch eine andere religiöse Frage schadet dem Roman eher als sie ihm nutzt. Im ersten Band konkurrierte das aufkommende Christentum, repräsentiert durch den Klerus mit dem alten, auf dem Rückzug befindlichen, heidnischen Glauben vertreten durch den Barden, bzw. Druiden, Merlin.
In Merlin im Elfenwald (Brocéliande) stilisiert Fetjaine den Magier zum wiedererstandenen Christus, der von den meisten Menschen nicht erkannt und von seinem bisher so treuen “Jünger” verraten wird. Fetjaine genügt es nicht, seinem Roman einen seriösen, fundierten historischen Hintergrund zu geben, er will auch noch philosophische Tiefe hineinbringen und überfrachtet die Geschichte damit, die eigentlich eine schöne runde spannende Fantasygeschichte sein könnte — wenn nur jemand die lästigen Mücken erledigt hätte.

Cover des Buches "Mordred, Sohn des Artus" von Nancy SpringerKauls Fischermutter hat dem Jungen erzählt, der Meergott Llyr hätte ihn zu ihr geschickt, um sie über den Tod ihres Kindes hinwegzutrösten. Der Fischer und seine Frau nahmen sich des Kindes an, zogen es auf und liebten es wie ihr eigenes. Doch eines Tages erfährt der Knabe die Wahrheit über seine Herkunft: Kauls richtiger Name ist Mordred, sein Vater ist König Artus. Merlin hatte einst prophezeit, dass Mordred seinen Vater töten würde und um dem Schicksal zu entgehen, hatte Artus versucht, seinen Sohn zu ermorden. Doch selbst als Mordred davon erfährt, hasst er ihn nicht so sehr, dass er Artus töten wolle. Dann aber wird Mordred zum Spielball der Interessen Nyneves, Morgauses und Merlins und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

-Weil er der König war, durfte er in dieser Sache keine Gefühle zeigen. Der Wind blies kalt vom schwertgrauen Meer heran, über dem gekrönten Haupt des Königs kreisten schreiende Möwen und zu seinen gestiefelten Füßen lagen vierzig nackte Säuglinge auf dem dunklen Sand, die noch lauter schrien.-
Prolog

Ein grobschlächtiger, verschwitzter Mann, mit strähnigen Haaren und hasserfülltem Blick jagt König Artus das Schwert mit solcher Wucht in den Körper, dass es auf der anderen Seite wieder heraustritt. So kennt man es aus diversen Artus-Verfilmungen und auch diejenigen, die die Artus-Sage nur gelesen haben, dürften eine ähnliche Vorstellung von Mordred entwickelt haben.

Nancy Springers Mordred ist völlig anders. Springer erzählt von einem sechsjährigen Knaben, der zum Mann heranreift. Dieser Heranwachsende ist kein hasserfüllter Jugendlicher, der auf Rache sinnt, nach Macht strebt und darauf wartet, dass seine Stunde kommt. Mordred ist ein Kind, das leidet. Mordred leidet unter dem Makel seiner Geburt, er leidet darunter, dass die ganze Hofgesellschaft sich entweder vor ihm fürchtet, ihn verspottet oder ihn verabscheut, denn alle wissen, dass er es sein wird, der den guten und gerechten König Artus töten wird.
Aber Mordred will Artus nicht töten. Obwohl es ihn schmerzt, dass sein eigener Vater ihn umbringen wollte, liebt und achtet er ihn, wie es alle anderen auch tun, denn Artus ist in der Tat ein guter und edler Herrscher. Und so stellt sich Mordred die Frage, ob es keinen Ausweg gibt, der Prophezeiung zu entgehen. Ist das Schicksal wirklich unabänderlich oder ist Schicksal nichts anderes als die Art, wie man sein Leben lebt und somit individuell gestaltbar.
Mordred jedenfalls will nicht daran glauben, dass das Schicksal unentrinnbar vorherbestimmt ist, er ist gewillt, es selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Wille trägt ihm zu allem Überfluss auch noch den Ruf eines Feiglings ein, denn Mordred verhält sich nicht so, wie es unter Artus’ Rittern üblich ist. Er sucht nicht den Kampf und kämpft nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann aber ficht er tapfer und siegreich, er freut sich nicht an vergossenem Blut und wenn er aus einer Höhle das Fauchen eines Drachen hört, reitet er vorüber. Der Mann ist kein Feigling, der Mann ist vernünftig. Doch diese Art von Vernunft steht bei Rittern wie Gawain nicht hoch im Kurs, der seine Mutter und ihren Liebhaber niedermetzelt um der Ehre genüge zu tun.

Manchmal entsteht beim Lesen der Eindruck, Nancy Springer sei es nicht ganz gelungen, sich in die Psyche eines jungen Mannes einzufühlen und deshalb habe Mordreds Charakter teilweise weibliche Züge. Aber das stört nicht, denn Mordreds Charakter ist absolut schlüssig und es sei hier mit Nachdruck betont, dass Mordred vielleicht einige Verhaltensweisen aufweist, die man eher einer Frau zuordnen würde, dass er aber niemals auch nur im entferntesten den Eindruck macht, weibisch zu sein.
Mordred leidet unter seinem von ihm unverschuldeten Schicksal, und unter den Spielchen die Nynyve, Morgause und Merlin mit ihm treiben, er quält sich, er ist empfindsam und je weiter sich der Roman dem Ende zuneigt, um so mehr fragt sich der Leser, wie dieser seelenvolle Mann, je dazu imstande sein soll, seinen Vater auf dem Schlachtfeld zu töten.

Es ist das letzte Drittel der Geschichte, das Nancy Springers Geschichte zu einem Highlight macht. Dieses letzte Drittel bietet eine großartige, schlüssige und bis dahin nicht vorhersehbare Erklärung für das Ende ihres Romans. Wie dieses Ende aussieht wird natürlich nicht verraten. Vielleicht ist es das Ende, wie man es aus der Artus-Sage kennt, vielleicht hat Nancy Springer Mordreds Geschichte aber auch ganz neu geschrieben. Der Rezensent weiß es, er sagt es aber nicht weiter. Nur so viel: Das Ende ist erschreckend und wunderschön, es ist traurig und glücklich und voller Liebe.
Ein Stapel Taschentücher in Reichweite könnte von Nutzen sein.

Cover des Buches "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo PerutzDer verbummelte Student Jakob Meisl erzählt seinem Nachhilfeschüler Geschichten, die sich im alten Prag zur Zeit Kaiser Rudolfs II. zugetragen haben. Diese Geschichten handeln u.a. von seinem Vorfahren Mordechai Meisl, der in der Prager Judenstadt -im Ghetto- lebte, von Wallenstein und von Kaiser Rudolf II.

-Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, dass sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse , die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.-
Die Pest in der Judenstadt

Dieser Novellenroman ist ein Meisterwerk der Erzählkunst und hat seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1953 leider nie die Publikumsresonanz gefunden, die er verdient hätte.
Leo Perutz erzählt in Nachts unter der steinernen Brücke die Geschichte einer verbotenen Liebe. Es kann aber durchaus sein, dass der Leser dies nicht gleich bemerkt, denn diese Liebe nimmt nur wenige Seiten des Romans ein und der Aufbau der Geschichte ist ungewöhnlich.

Dieses Buch enthält vierzehn Novellen, die in sich abgeschlossen sind, die aber nicht chronologisch aufeinander folgen. So glaubt der Leser zunächst, er läse einzelne, eigenständige Geschichten. Während des Lesens fällt auf, dass einige Protagonisten immer wieder vorkommen: Der Kaiser Rudolf, Mordechai Meisl, und Rabbi Loew. Und erst wenn man die letzte Novelle gelesen hat, weiß man, welche Geschichte Perutz eigentlich erzählt und wie kunstvoll er diesen Roman zusammengewoben hat. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, besitzt der Leser am Ende ein vollständiges Bild, wie die Schicksale des Kaiser Rudolfs, des Juden Meisl und des Rabbi Loew miteinander verknüpft sind.

Perutz beschreibt seine Protagonisten sehr detailliert und zeichnet auch die Nebenfiguren so liebevoll, dass jede ihren eigenen individuellen Charakter besitzt.
Die Handlung des Romans umfasst den Zeitraum von 1571 bis 1621. Perutz trifft mit seiner altertümlichen, poetischen, zeitweise magisch anmutenden Sprache genau den Ton dieser Epoche. Eigentlich ist Nachts unter der steinernen Brücke ein historischer Roman, die Hauptcharaktere sind alle historisch belegt und trotzdem wird man die Geschichten, die Perutz erzählt, in keinem Geschichtsbuch finden, z.B. wie Wallenstein an seinen Reichtum gekommen ist.

In seinen Novellen vermischt Perutz Geschichte mit jüdischen Legenden und alten Sagen so kunstvoll, dass es dem Leser völlig natürlich vorkommt, wenn ein Mann plötzlich die Sprache der Hunde versteht, dem Kaiser Dämonen erscheinen, Tote befragt werden oder der Leser folgende Information erhält: In der Woche zwischen dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfest, die man die Bußwoche nennt, in einer Nacht, in der der bleiche neue Mond am Himmel steht, erheben sich auf dem Prager Judenfriedhof die Toten des vergangenen Jahres aus ihren Gräbern, um Gott zu lobpreisen.

An diesem Buch hat Leo Perutz von 1924 bis 1951 geschrieben und zwar nicht nur, weil er zwischendurch seine anderen großen Romane wie “St. Petri Schnee” oder “Der schwedische Reiter” fertig geschrieben hätte, sondern weil es für jüdische Autoren mit Geschichten, die zum größten Teil in der Prager Judenstadt spielen, unter dem Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler keinen Platz mehr gab, zuerst in Deutschland, dann auch in Österreich.
Wie in dem Nachwort zu lesen ist, versicherte der jüdische Verleger Paul Zsolnay Perutz noch 1951 wie sehr er dieses Buch schätze, aber er sähe bei der gegenwärtigen Einstellung der Leser in Deutschland und Österreich keine Erfolgschancen für diesen Roman. Dieser Roman mit seiner wunderbaren Sprache und seinem einzigartigen Erzählstil hat aber jeden Erfolg verdient. Also lesen Sie ihn selbst oder verschenken Sie ihn bei jeder Gelegenheit. Sie werden jedem Literaturliebhaber eine Freude damit machen.

Cover zum Buch "Nur Du hast den Schlüssel" von Terry PratchettJohnny und seine Freunde finden die obdachlose und geistig verwirrte Mrs. Tachyon unter ihrem umgestürzten Einkaufswagen liegen. Sie sorgen dafür, daß sie ins Krankenhaus kommt. Als Johnny sich um den verwaisten Einkaufswagen kümmert, wird ihm bald klar, welches Geheimnis dieser birgt: Mit dem Wagen kann man durch die Zeit reisen.
Da Johnny in der Schule gerade an einem Projekt arbeitet, das sich mit der einzigen, versehentlichen Bombardierung seiner Heimatstadt Blackbury im Jahre 1941 beschäftigt, gerät er unbeabsichtigt in diese Zeit.

-Neun Uhr abends. Es war dunkel, nur hin und wieder lugte der Vollmond hinter den verwaschenen Wolken hervor. Der Wind kam aus Südwest. Nach dem Gewitter war die Luft frisch und das Kopfsteinpflaster rutschig.-
Nach den Bomben

Terry Pratchett schreibt humorvoll, hintergründig und bringt die Dinge auf den Punkt. So benötigt er nur einen einzigen Satz, um dem Leser klarzumachen, wie sinnvoll es seiner Meinung nach ist, straffällig gewordene Jugendliche zu einem Abenteuerurlaub ins Ausland zu schicken. So sagt Mrs. Partridge über Bigmac, der mit Vorliebe Autos stiehlt: Er wollte wissen, wie viele Autos man stehlen muß, um kostenlos Urlaub in Afrika zu bekommen. Schaut man sich hingegen eine Stunde lang an, wie vier Politiker und drei Sozialarbeiter sich bei Sabine Christiansen zum selben Thema ständig ins Wort fallen, ist man hinterher genauso schlau wie vorher.
Mit demselben trockenen Humor handelt Pratchett in diesem Roman für Jugendliche Themen ab wie Vorurteile (besonders Rassismus) oder den Schrecken des Krieges. Auf diese Weise vermittelt er Werte, ohne auch nur eine Sekunde oberlehrerhaft zu wirken.

Die Übersetzung hat einen kleinen Schönheitsfehler: Offensichtlich hat Pratchett in dieser Geschichte oft das Wort technically benutzt, das die Übersetzerin wörtlich übersetzt hat: Er war schwarz. Technisch gesehen. Oder: Das war technisch gesehen ein Verbrechen…. Abgesehen davon, daß man dies im Deutschen so nicht sagt, bedeutet technically in solchen Zusammenhängen so viel wie genau genommen.

Das Buch ist für Jugendliche ab ca. zwölf Jahren geeignet. Jüngere werden wahrscheinlich Pratchetts Humor nicht in jedem Fall verstehen und sich vielleicht auch noch nicht für die Thematik interessieren.
Erwachsene, die sich nicht davon abschrecken lassen, daß die Protagonisten Jugendliche sind und die nicht den plakativeren Scheibenwelthumor erwarten, werden bei der Lektüre ebenfalls auf ihre Kosten kommen.

Cover zum Buch "Nur Du kannst sie verstehen" von Terry Pratchett1993. Die Ex-Senioren von Blackbury City sind ziemlich aufgebracht. Die Stadtverwaltung hat ihren Wohnbezirk für 5 Pence an die Vereinigte Holding GmbH verkauft, und die möchte die alten Bauten abreißen und auf dem Grundstück einen Bürokomplex errichten. Der zwölfjährige Johnny Maxwell beschließt, den Ex-Senioren bei ihrem Kampf um die Erhaltung ihres Wohngebietes zu helfen.

-Johnny wusste selbst nie so recht, wieso er angefangen hatte, die Toten zu sehen.-
Kapitel

Was hat ein Buch über den Kampf einer Gruppe Senioren gegen Bauspekulanten auf einer Webseite zu suchen, die sich mit Fantasy beschäftigt? Nun, es handelt sich hierbei eben nicht um Senioren, sondern um Ex-Senioren, …”Atembehinderte” …”vertikal Benachteiligte”…diese Menschen sind einfach seit geraumer Zeit…tot.
Benutzen Sie um Himmels willen nicht das Wort, das mit den Buchstaben “G-e-s-p-” anfängt! Das mögen die Herrschaften gar nicht und sie könnten gerade jetzt in unserer Nähe sein, auch wenn wir sie nicht sehen. Sie sehen und mit ihnen reden kann nur einer: Johnny Maxwell. Und als die Atembehinderten Johnny bitten, er möge etwas dagegen tun, dass der alte Friedhof platt gemacht wird, ergreift der Junge zusammen mit seinen Freunden die Initiative.
Terry Pratchett vermittelt hier auf witzige Weise – jedoch feinsinniger und nachdenklicher als in seinen “Scheibenwelt-Romanen” – zeitlos gültige Werte. Er wendet sich gegen Krieg und wirbt für ein gesundes Geschichtsbewußtsein, für Zivilcourage, für eine Demokratie, die den Namen “Volksherrschaft” wirklich verdient und vor allen Dingen dafür, daß man die Möglichkeiten des Lebens voll ausschöpfen soll. Es ist nicht einzusehen, warum diese Lebensweisheiten nur jüngeren Leser zugänglich gemacht werden sollten. Für Erwachsene, die nicht dem Schubladendenken verfallen und daher nicht der Meinung sind, Pratchett dürfe nur noch Romane mit abgefahrenem Scheibenwelt-Humor schreiben, ist auch dieses Buch ein Lesevergnügen.
Also noch einmal ganz deutlich: Nur Du kannst sie verstehen (Johnny and the Dead) hat nichts mit den Scheibenweltromanen zu tun und sollte auch nicht mit ihnen verglichen werden!
Ich frage mich nur die ganze Zeit, warum plötzlich jemand auftaucht, der in GROSSBUCHSTABEN spricht :-).

Cover des Buches "Nussknacker und Mausekönig" von E.T.A. HoffmannIn der Familie des Medizinalrats Stahlbaum wird Weihnachten gefeiert. Pate Droßelmeier schenkt der siebenjährigen Marie und ihrem älteren Bruder Fritz eine wunderschöne Spieluhr. Doch Fritz spielt lieber mit seinen Soldaten und Marie bevorzugt einen ziemlich hässlichen Nussknacker. Eines Tages beobachtet sie, wie das Spielzeug um Mitternacht  zum Leben erwacht und wie eine heftige Schlacht  mit den Mäusen entbrennt. Marie verletzt sich und Pate  Droßelmeier erzählt ihr am Krankenbett das Märchen von der harten Nuss

Am vierundzwanzigsten Dezember durften die Kinder des Medizinalrats Stahlbaum den ganzen Tag über durchaus nicht in die Mittelstube hinein, viel weniger in das daranstoßende Prunkzimmer.-

Hoffmanns phantastisches Märchen schildert zu Beginn eine idyllische, aber realistische Bürgerlichkeit. Die Kinder dürfen den ganzen Tag lang nicht die gute Stube betreten. Die Abenddämmerung bricht herein, die Geschwister warten aufgeregt und weil kein Licht angezündet wird, auch ein wenig ängstlich, auf die Bescherung. Als es völlig finster geworden ist, meinen sie Flügelrauschen und Musik zu hören, sie sehen einen hellen Schein und wissen, dass das Christkind nun fortgeflogen ist. Es ertönt ein Glöckchen, die Tür wird geöffnet und das Weihnachtszimmer erstrahlt im hellen Glanz. Marie und Fritz sind glücklich mit ihren Geschenken, auch wenn sie -wie Kinder nun mal so sind- schnell die Lust an Droßelmeiers mechanischem Wunderwerk verlieren.
Nur der Pate will nicht so recht in das Idyll passen. Zwar lieben ihn die Geschwister, da er gut zu ihnen ist und ihnen stets die schönsten Geschenke macht, aber er ist kein hübscher Mann: klein und mager, mit Runzeln im Gesicht, auch fehlt ihm das rechte Auge, das durch ein schwarzes Pflaster ersetzt worden ist. Sein Äußeres und die Tatsache, dass er als Spielzeugmacher im wahrsten Sinn des Wortes die Puppen tanzen lassen kann, machen ihn zu einer zwielichtigen Person und der Leser kann sich nie sicher sein, ob der liebe, gute Pate, der so schöne Geschenke macht und der kranken Marie Märchen erzählt, nicht vielleicht doch ein böser Zauberer ist.

Hoffmann spielt mit den Erwartungen des Lesers und ironisiert sie gleichzeitig. Vor allem das Märchen von der harten Nuss mit der undankbaren Prinzessin, steckt voller ironischer Seitenhiebe und zeichnet das satirische Bild eines Königshofes. Das Gegenstück zu Prinzessin Pirlipat ist die reine, gutherzige und opferbereite Marie.

Nussknacker und Mausekönig ist aber nicht nur ein idyllisches und lustiges Märchen, es verbreitet auch Angst, Schrecken und ein gewisses Maß an Abscheu und zwar nicht nur für die kleine Marie.
Wer glaubt, der Mausekönig hieße so, weil er eine Krone trägt und der königliche Herrscher über alle Mäuse ist, der irrt. Der Hoffmannsche Mausekönig ist zwar auch Monarch und Befehlshaber seiner Truppen, aber wer den gebräuchlicheren Begriff “Rattenkönig” kennt, der kann sich eine ungefähre Vorstellung vom Aussehen des Mausekönigs machen. Wenn eine Ratte in einem Wurf mehrere Jungen zur Welt bringt und deren Schwänze sich unentwirrbar miteinander verknoten, so dass sie sich nicht voneinander trennen lassen, nennt man dies einen “Rattenkönig”. Er wirkt wie ein Körper mit vielen Köpfen und genauso sieht Hoffmanns Mausekönig aus – ein Körper, sieben Köpfe, kein wirklich schöner Anblick, schon gar nicht wenn er von dem genialen Illustrator Maurice Sendak gemalt worden ist.

Die meisten Illustrationen Sendaks sind wunderschön, weil er sie im Stil des 19. Jahrhunderts gemalt hat und alle Figuren klassizistische Gewänder tragen, so dass man glaubt, ein altes Märchenbuch in Händen zu halten. Aber es gibt auch Bilder, auf denen die Figuren bedrohlich wirken, allen voran der bösartige Mausekönig, aber auch Pate Droßelmeier macht nicht gerade den Eindruck eines liebenswürdigen, gütigen Mannes und es gibt eine riesengroße Abbildung des Gesichtes des Nussknackers, bei der man nicht weiß, ob man sich fürchten oder darüber lachen soll.
Die Farben sind übrigens gedeckt und nicht so bunt wie auf der Abbildung des Covers.

Cover des Buches "Parlament der Feen" von John CrowleyDer junge Smoky Barnable verlässt die Große Stadt, um nach Edgewood zu gehen, wo er Alice Drinkwater heiraten möchte. Der Ort ist auf keiner Landkarte verzeichnet und Alice hat Smoky die Anweisungen gegeben, er möge nach Edgewood wandern und nicht fahren, er solle einen Hochzeitsanzug haben, der weder alt noch neu ist, als Proviant selbst zubereitete Speise mit sich führen und keine gekaufte und wenn er übernachten muss, soll er eine Herberge finden oder sich erbitten, aber nicht dafür bezahlen. Damit fangen die Merkwürdigkeiten erst an. Die Drinkwaters wohnen in einem Haus mit unzähligen Türen, Gängen und Erkern und es gehen ungewöhnliche Dinge vor sich, von denen einige Familienmitglieder mehr wissen als andere.

-An einem gewissen Tag, im Juni 19–, machte sich ein junger Mann auf den Weg nach Norden, hinaus aus der Großen Stadt, und in ein Städtchen, oder einen Ort namens Edgewood, von dem er hatte erzählen hören, den er aber noch nie gesehen hatte.-
Erstes Buch Edgewood 1

Immer wieder wird in Das Parlament der Feen (Little, Big) betont, diese Geschichte sei ein Märchen mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Tatsächlich gibt es viel märchenhaftes und phantastisches in diesem Buch: Sprechende Tiere, schemenhafte Gestalten auf Photographien, ein Held namens Auberon, der seine Titania findet, ein vertauschtes Kind, ein seit langem erwarteter Herrscher, Wahrsagerinnen und alle Protagonisten besitzen sprechende Namen. Daneben gibt es realistische Szenen: Smokys Sohn geht in die Große Stadt, wird Alkoholiker und schreibt Drehbücher für eine Soap Opera.

Auf siebenhundert Seiten entwickelt John Crowley eine nicht einfach zu lesende, komplexe Familienchronik, die sich um Smokys und Alices Liebe rankt,  aber auch viele andere Familienmitglieder umfasst und sich immer wieder in Andeutungen darüber ergeht, dass das Leben der Sippe auch von Wesen bestimmt wird, die einer anderen Welt angehören.
Falls Sie langsam den Eindruck gewinnen, der Rezensent versuche krampfhaft das Wort “Fee” zu vermeiden, dann haben Sie recht. Es kann durchaus sein, dass in dieser Geschichte Feen vorkommen, falls ja, könnte es sein, dass sie nicht dem lieblichen, ätherischen, freundlichen Bild entsprechen, das sich der Mitteleuropäer gemeinhin von ihnen macht.

Wie schon erwähnt, gibt es in diesem Roman viel märchenhaftes und phantastisches, aber Das Parlament der Feen sprengt die Dimensionen eines gewöhnlichen Fantasyromans. Worauf es ankommt, ist die Geschichte hinter der Geschichte. John Crowley hat nicht einfach ein Buch über eine phantastische Welt geschrieben, sondern er hat das Fantasy-Genre genutzt, um eine Parabel über unsere reale Welt zu schreiben. Und so erzählt er in einer wunderschönen poetischen Sprache über die Liebe, das Leben und den Tod, über das Fortgehen und das Nachhausekommen, über das Erinnern und Vergessen, über Träume und das Vergehen der Zeit, wie man sein eigenes Paradies verliert und es wiederfindet, er erzählt von dem langen Weg zu sich selbst und davon, dass manche Menschen in einer Welt leben, die anderen für immer verschlossen bleibt.

Cover des Buches "Percival und die schöne Elfe" von Anne Eliot CromptonAlle acht Söhne Alannas waren Ritter und jeder einzelne von ihnen ist umgekommen. Nach dem Tod ihres Mannes geht Alanna mit ihrem neugeborenen Sohn Percival in den von Elfen bewohnten Wald. Sie möchte ihn in der Einsamkeit großziehen, um zu verhindern, dass auch er ein Ritter wird. Percival wächst heran und hat nur wenig Kontakte, er ist naiv, ungebildet und ist schwer von Begriff. Eines Tages trifft Percival auf Ritter und wünscht sich von nun an nichts sehnlicher als auch ein Ritter zu werden. Elfe Lili möchte unbedingt ein menschliches Herz, da es die größte magische Macht der Welt ist. Die beiden verlassen den Elfenwald und machen Bekanntschaft mit dem wahren Leben.

-Bis zu den Knien im Teich des Elfenwalds stehend, beuge ich mich über das Wasser, um mein neues, mein anderes Gesicht zu betrachten.-
1 Zum Ritter geboren

Falls Sie demnächst einmal nach Eschenbach kommen und dort im Erdreich mysteriöse Geräusche hören sollten, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass Wolfram von Eschenbach in seinem Grab rotiert, aus Verzweifelung darüber, was Anne Eliot Crompton aus dem Parzival-Stoff gemacht hat. Dem französischen Dichter Chrétien de Troyes dürfte es ähnlich ergehen.

Die Artuslegende ist natürlich eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für Fantasyautoren, aber gerade die Parzivalgeschichte erfordert auch in einem belletristischen Roman etwas mehr Tiefgang und Ernsthaftigkeit.
Falls Sie also die mittelalterlichen Versepen kennen, verdrängen Sie dieses Wissen bei der Lektüre des Romans aus dem Gedächtnis, falls Sie die Vorlage nicht kennen, schätzen Sie sich glücklich. Nimmt man Cromptons Geschichte als das, was sie ist, als einen leichten, netten Unterhaltungsroman, dann kann die Lektüre durchaus Spaß machen. Es sei denn, sie sind ein strenggläubiger Christ, dann könnten Sie an Percivals Lieblingsflüchen Anstoß nehmen, die da lauten “Gottverdammich” und “Bei Gottes Hoden”.

Percival und die schöne Elfe (Percival’s Angel) ist wieder ein Buch, das die Romantiker unter den Fantasyfreunden ansprechen dürfte. Zwar kommt gelegentlich jemand zu Tode, trotzdem ist der Roman nahezu gewaltfrei. Wie Percival, hier meistens Percy genannt, dank seiner Unerfahrenheit von einem Abenteuer ins andere stolpert und trotz seiner Naivität alle Tücken des Ritterlebens siegreich besteht, entbehrt nicht der Komik. Und schließlich ist da noch die Elfe Lili, die Percy heimlich liebt und die einen erheblichen Anteil daran hat, dass Percy weder von hinterhältigen Rittern, noch von durchtriebenen Frauen ernsthafter Schaden zugefügt wird.

Laut Klappentext schrieb USA Today über das Buch: Großartig wie Marion Zimmer Bradleys “Nebel von Avalon.” Betrachtet man allein den Umfang des Buches, merkt man schon, dass dieser Vergleich wieder einmal nicht stichhaltig ist. Weder die Charaktere, noch die Handlung sind in Percival und die schöne Elfe so komplex und lebensnah gestaltet wie bei Zimmer Bradley.

Cover des Buches "Phönix" von Steven BrustVlad sitzt im Keller eines Holzgebäudes in Süd-Adrilankha und versucht, nicht von drei finsteren Kerlen, die er nicht einmal sehen kann, umgebracht zu werden. In dieser ausweglosen Lage schickt er ein Stoßgebet zu seiner Schutzgöttin Verra – und wird erhört. Diese hat diesen Überfall nur inszeniert, um Vlad einen Auftrag erteilen zu können. Er soll König Haro auf der Insel Grünewehr ermorden. Zwar ist die Insel vor Zauberei geschützt, aber trotzdem ist der Auftrag für einen Berufsmörder nicht besonders schwierig auszuführen. Dumm nur, dass Vlad bei der Auftragserledigung über einen mysteriösen Trommler stolpert und sich nun beide in Gefangenschaft befinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wird Vlads Frau Cawti in der Heimat als Rebellin verhaftet.

-Ständig fragen die Leute mich: “Vlad, wie machst du das? Warum bist du so gut darin, Leute umzubringen? Was ist dein Geheimnis?” Ich antworte: “Es gibt kein Geheimnis. Das ist genauso wie alles andere auch. Manche verputzen Wände, andere machen Schuhe, ich lege Leute um. Man muß eben sein Handwerk erlernen und üben, bis man gut genug ist.”-
Prolog

Die Stärke dieses Buches ist der Ich-Erzähler Vlad Taltos, der seine Abenteuer mit trockenem, lakonischem Humor zum Besten gibt, dabei aber nie albern wird oder in Gefahr gerät, im Klamauk zu enden. Für Komik sorgt auch Vlads Helfer Loiosh, ein kleiner Flugdrache, dessen Benehmen Ähnlichkeit mit dem der tierischen kleinen Helfer der Helden in den Disneyfilmen aufweist, die meist von Otto synchronisiert werden.
Außerdem gibt es Vlads Frau Cawti, mit der er sich zwar gerade nicht allzu gut versteht.  Trotzdem möchte er nicht, dass sie im Imperialen Gefängnis eingekerkert bleibt. Cawti allerdings möchte das schon – obwohl sie begnadigt wurde, weigert sie sich strikt das Gefängnis zu verlassen, so lange ihre Freunde nicht ebenfalls freigelassen werden. Sture Ehefrauen können ein richtiges Problem sein, da spielt es dann auch keine größere Rolle mehr, dass jemand ein Kopfgeld auf Vlad ausgesetzt hat und er Gefahr läuft, selbst ermordet zu werden.

Da wir gerade über Familienangehörige sprechen: Großväter stellen ein weiteres Problem dar. Vlads Großvater findet den Beruf seines Enkels überhaupt nicht gut. Seit Vlad das weiß, plagt ihn das schlechte Gewissen, weil er sich bezahlen lässt, um Menschen das Leben zu nehmen und vor dem Mord an Haro bekommt er eine moralische Krise.
Das ist alles überhaupt nicht witzig!
Komisch ist es allerdings schon und so wird glücklicherweise verhindert, dass Vlad Taltos der erste Auftragsmörder der Literatur ist, über dessen Schicksal der Leser vor Mitleid in Tränen ausbricht, was politisch überaus inkorrekt wäre.

Aber Phönix (Phoenix) bietet noch mehr als trockenen Humor, es bietet auch Lebenshilfe.
Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, auf wie viele verschiedene Arten Sie sterben können? Vlad erzählt davon: Jedes einzelne ihrer lebenswichtigen Organe kann auf hundert verschiedene Arten versagen, unzählige Krankheiten warten darauf, Ihnen den Garaus zu machen, sie können von Tieren gerissen werden, sie können das Opfer von Naturkatastrophen werden, kleine Missgeschicke, tragische Unfälle lauern bei jedem Schritt, den Sie machen und haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen es darauf abgesehen haben, Sie absichtlich um die Ecke zu bringen…

Wie alt sind Sie? Siebzehn, achtundzwanzig oder sogar schon über vierzig und Sie leben noch???? Wenn Sie diesen Abschnitt des Buches gelesen haben, dann werden Sie nie wieder morgens muffelig im Bett liegen und den Tag verfluchen, weil Sie einer langweiligen Arbeit unter einem miesen Chef nachgehen müssen. Sie werden fröhlich aus dem Bett springen, das Fenster aufreißen, den Tag begrüßen und glücklich sein, dass Sie LEBEN. Was kann man von einem Buch mehr verlangen???

P.S. Spannend ist Phönix natürlich auch. Sie werden nie darauf kommen, welches Geheimnis sich hinter dem Trommler verbirgt.

Cover des Buches "Picknick am Valentinstag" von Joan LindsayAn einem australischen Sommertag, dem Valentinstag des Jahres 1900, veranstalten die Schülerinnen des Appleby Colleges unter Aufsicht ihrer Gouvernante ein Picknick am Fuße des Hanging Rock. Vier Mädchen machen sich auf, um die Felsformation näher zu erkunden. Eine von ihnen kehrt Stunden später völlig in Panik, hysterisch schreiend und mit zerrissenen Kleidern zurück, ohne sich daran erinnern zu können, was geschehen ist. Die anderen Mädchen bleiben vorläufig verschwunden und auch die Gouvernante ist plötzlich nicht mehr auffindbar.

– Ob das “Picknick am Valentinstag” sich tatsächlich so ereignet hat oder nicht, müssen meine Leser selbst entscheiden. Doch da das Picknick im Jahre neunzehnhundert stattgefunden hat und die Charaktere, die in diesem Buch auftreten, schon lange tot sind, erscheint diese Frage unerheblich. –

In diesem Roman gibt es keine Elfen, Feen, Magier oder Drachen; man wird auch kein Grüppchen Aufrechter darin finden, die gegen das Böse kämpfen. Das Faszinierende an Joan Lindsays Roman ist, dass eine friedliche Idylle unerwartet und auf unheimliche Weise zerstört wird.
Die Szenerie ist real. Was könnte harmloser, friedvoller, unbeschwerter und romantischer wirken als ein Grüppchen junger Mädchen, korrekt gekleidet in lange weiße Musselinkleider, mit Handschuhen und Sonnenschirmen? Und wie groß muss das Entsetzen sein, wenn ein Mädchen derart derangiert wieder auftaucht und drei Anderen samt ihrer Gouvernante verschwunden bleiben?
Ein weiteres Mädchen wird eine Woche später aufgefunden, nur leicht verletzt, ebenfalls halb bekleidet, ohne Erinnerung an das Geschehene und das Letzte, was man von der Gouvernante hört, ist, dass sie noch einmal gesehen wurde – nur in Unterwäsche.
Jeder Leser kann sich halbwegs vorstellen, was am Hanging Rock geschehen sein muss und darf diese Vermutung gleich wieder über Bord werfen. Die beiden Mädchen sind immer noch jungfräulich.

Nach diesem Schock scheint das Leben im Appleby College den Umständen entsprechend normal weiter zu gehen und der Leser könnte auf den Gedanken kommen, dass der Roman jetzt so vor sich hinfließt und längere Zeit nichts Spannendes oder Unheimliches passiert. Das ist aber nur vordergründig so. Das Unheimliche und Phantastische tritt nicht mehr so plakativ auf, wie am Anfang der Geschichte, es steckt in Anspielungen und Nebensätzen, und muss zwischen den Zeilen herausgelesen werden.
Dieser Roman braucht Leser, die sich auf leise Untertöne und Bildersprache verstehen. Zum Ende hin gewinnt er wieder an Dramatik, als sich die Tragödien häufen, die alle mit den Geschehnissen am Hanging Rock in Zusammenhang stehen.

Das Ende des Romans bleibt offen, jedenfalls war das über zwanzig Jahre lang so und in englischsprachigen Ausgaben endet das Buch auch heute noch mit dem siebzehnten Kapitel. Joan Lindsay hat aber ein Schlusskapitel geschrieben, in dem sie das Rätsel um den Verbleib der drei Verschwundenen auflöst. Die Autorin hat verfügt, dass dieses Kapitel am dritten Valentinstag nach ihrem Tod veröffentlicht wird. In meiner Ausgabe gibt es dieses erklärende achtzehnte Kapitel und noch ein alternatives Schlusskapitel, das sich der Übersetzer hat einfallen lassen.
Mein Tip ist: Hören Sie nach dem siebzehnten Kapitel auf zu lesen. Die angebotenen Auflösungen sind nicht schlecht und tendieren in die Richtung, die die meisten Leser ohnehin vermuten werden. Aber es besteht die Gefahr, dass für einige Leser der Zauber des Buches zerstört wird und andere werden die angebotenen Auflösungen nicht glauben und ihre eigene Theorie vom Grund des Verschwindens der Mädchen trotz der Vorgabe nicht aufgeben.

Cover des Buches "Pique Dame" von Alexander PuschkinLisaweta Iwanowna lebt als Pflegetochter bei einer über achtzigjährigen Gräfin. Die junge Frau leidet unter den Schrullen der alten Dame und auf den Bällen der guten Gesellschaft bleibt ihr nur die Rolle des Mauerblümchens. Umso erfreuter ist Lisaweta als Hermann, ein junger Offizier, ihr den Hof macht. Sie ahnt nicht, dass Hermann sie nur als Mittel zum Zweck benutzt. Er will von der Gräfin das Geheimnis erfahren, wie man im Kartenspiel gewinnen kann, das diese in ihrer Jugend von dem Grafen Saint-Germain  gelernt haben soll. Um sich der Greisin nähern zu können, bändelt der junge Offizier mit Lisaweta an.

-Bei Narumow, einem Offizier der Gardekavallerie, spielte man Karten. Die lange Winternacht ging fast unbemerkt, vorüber; zum Abendbrot setzte man sich um fünf Uhr morgens.-
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Pique Dame (Pikawaja Dama) fasziniert den Leser durch die Ironie, die immer wieder aufblitzt und durch die realitätsnahe Erzählweise. Puschkins Charaktere scheinen direkt aus dem Leben gegriffen: Die alte Gräfin, die ihrer verlorenen Jugend nachtrauert und sich immer noch kleidet wie vor sechzig Jahren; Lisaweta, die keineswegs solch ein armes, unglückliches, vom Leben benachteiligtes Geschöpf ist, wie man zunächst glaubt und Hermann, der habgierig ist, sich aber so lange das Kartenspiel verbietet, bis er die Gewissheit hat, dass er ohne Risiko gewinnen kann. Eigentlich sind sie alle miteinander bemitleidenswerte Figuren, doch Puschkins bisweilen fast bösartige Ironie mit der er z.B. schildert, wie die Gräfin ausgekleidet wird, verhindert, dass wirkliches Mitgefühl aufkommt.

Wie bei jeder guten phantastischen Erzählung fragt sich der Leser am Ende der Novelle, ob sich tatsächlich etwas Übernatürliches ereignet hat, oder ob einer der Protagonisten nicht von Anfang an unter Wahnvorstellungen leidet. Investieren Sie eine knappe halbe Stunde für einen Ausflug in die Weltliteratur und finden Sie es selbst heraus.

Pyramiden von Terry PratchettTeppic, der Sohn des Königs von Djelibeybi, wird bei der Assassinengilde von Ankh-Morpork ausgebildet. Doch sein Vater stirbt früher als geplant, und so muß Teppic in den anachronistischen Wüstenstaat zurückkehren und König werden, was eigentlich nicht seinem Willen entspricht.
Zum Gedenken seines Vaters (der sich auch immer wieder mal zu Wort meldet) soll die größte Pyramide aller Zeiten gebaut werden, was etliche Architekten, Arbeiter und Bauherren die Nerven kostet. Zu allem Überfluß muß Teppic auch noch feststellen, daß sein Amt ihm nicht gestattet, zu tun, was er will, denn der königliche Tagesablauf und die königlichen Entscheidungen werden maßgeblich vom Hohepriester Dios beeinflußt …

– Nur Sterne, in der Schwärze verstreut – als sei die Windschutzscheibe des göttlichen Wagens zerbrochen, ohne daß sich der Schöpfer die Mühe machte, alle Splitter einzusammeln. –

Dieses Buch ist besonders für Leser geeignet, die es makaber lieben und sich für Dinge interessieren, die sich ein paar tausend Jahre vor Christi Geburt abgespielt haben.
Es gibt viele Bücher, in denen erzählt wird, wie einem Mörder das Handwerk gelegt wird, wer aber wissen will, wie ein Meuchelmörder sein Handwerk lernt, der muß Pyramiden (Pyramids) lesen. Im ersten Kapitel werden alle möglichen Arten gelehrt, einen Menschen zu inhumieren. Falls Ihnen nicht sofort klar ist, was dieses Wort bedeutet, denken Sie einfach über den Begriff “exhumieren” nach und stellen sich das Gegenteil vor. Genau! Da der größte Teil des Romans im Land der Pyramiden spielt, wird auch ganz exakt geschildert, wie man einen Leichnam zur Mumie macht. Der Einbalsamierer entnimmt die Organe vorzugsweise durch die Nase und verteilt sie in verschiedene Krüge. Sie finden das eklig? Aber nur, weil sie noch nicht gelesen haben, wie der Pharao erwacht und seine Organe eigenhändig wieder einsammelt. Sooooo schlimm ist das alles nun auch wieder nicht. Schließlich handelt es sich um einen Roman von Terry Pratchett und all diese Szenen sind weitaus komischer als gruselig. Selbst wenn ein Heer von Mumien wie in einem drittklassigen Horrorfilm durch das Land zieht ist das nicht so furchterregend, daß man beim Lesen die Augen schließen müßte. Außerdem liefert Pratchett eine urkomische Parodie auf das Bestattergewerbe und witzige Anspielungen auf den trojanischen Krieg, das Alte Testament, die antike Sagenwelt, Cäsar und Kleopatra und einige andere Sachen, die Sie am besten selbst herausfinden. Der Roman hat zwei, drei Längen, die jedoch durch die Komplexität der parodierten Themen mehr als wett gemacht werden.

Cover des Buches "Die Rebellin" von Trudi CanavanZwar wird das Land Kyralia von einem König regiert, doch verfügt die Gilde der Magier über große Machtbefugnisse. Das Mädchen Sonea lebt als Straßenkind in der Stadt Imardin. Jedes Jahr ziehen die Magier durch die Straßen der Stadt, um die Bettler, Obdachlosen, Straßenkinder und sonstiges Gesindel aus der Stadt zu jagen. Die Mitglieder der Gilde sind dabei durch ihre Zauberkräfte geschützt, doch als Sonea einen Stein auf einen der Magier schleudert, bricht der getroffen zusammen. Das kann nur bedeuten, dass das Straßenkind  über magische Kräfte verfügt. Wenn es der Gilde nicht gelingt, Sonea zu fangen, und sie auszubilden oder ihre Zauberkräfte unschädlich zu machen, dann wird sie zu einer Gefahr für sich selbst und für Imardin.

-In Imardin, so heißt es, habe der Wind eine Seele und pfeife heulend durch die schmalen Straßen der Stadt, weil das, was er dort finde, ihn mit Trauer erfülle.-
1.Teil 1. Die Säuberung

Die Rebellin (The Magician’s Guild) ist keine Sekunde langweilig, und das ist in diesem Fall wirklich bemerkenswert, da der Leser nach wenigen Seiten im Großen und Ganzen weiß, wie der erste Band der Trilogie enden wird.

Im ersten Teil des Romans, der sich über 290 Seiten erstreckt, bemühen sich die Magier, Soneas habhaft zu werden, und es ist völlig klar, ob ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt sein werden oder nicht. Die Spannung hält sich also in Grenzen. Trotzdem ist man keinen Augenblick versucht, das Buch aus der Hand zu legen, da noch genug Interessantes geboten wird. Soneas magische Fähigkeiten werden im Verlauf der Handlung immer größer, gleichzeitig unkontrollierbarer und damit gefährlicher. Das Mädchen wird von einer Bande von Dieben vor den Magiern versteckt, die eine Art krimineller Gegenentwurf zum königlichen Hofstaat ist. Der junge Leser kann sich nie sicher sein, ob nicht einer der Diebe die Belohnung für die Auslieferung Soneas kassieren will und zum Verräter wird.
Auch bei den Magiern gibt es Gute und Böse, von denen so mancher sein eigenes Süppchen kocht. Während einige es gut mit Sonea meinen, schmieden andere finstere Pläne.

Im zweiten Teil der Geschichte, der 242 Seiten lang ist, muss Sonea sich entscheiden, ob sie bei den Magiern bleiben und lernen möchte, ihre Zauberkräfte zu beherrschen, oder ob sie ihre Magie verlieren und als Straßenkind weiterleben will. Auch dieser Konflikt trägt nicht über 242 Seiten, da von Anfang an klar ist, wie Soneas Entscheidung ausfallen wird. Trotzdem gilt auch hier das gleiche wie für den ersten Teil. Langweilig wird es nicht, denn der böse Magier verfolgt seine Ränke auf so intrigante Weise, das man nicht nur wissen möchte, wie dieser Roman endet, sondern auch noch neugierig auf den zweiten Teil der Trilogie ist.

Cover von Reise zum Mond und zur Sonne von Savinien de Cyrano de BergeracNachdem der Ich-Erzähler mit einigen Freunden über das Wesen und die Funktion des Mondes philosophiert hat, beschließt er auf den Mond zu reisen. Er landet auf dem Mond und zwar genau an der Stelle, an der sich das irdische Paradies befindet. Dort trifft er den Propheten Elias. Die beiden beginnen ein Streitgespräch, in dem Cyrano solch lästerliche und ketzerische Thesen vertritt, daß Elias ihn aus dem Paradies wirft. Cyrano wird von den Mondbewohnern aufgegriffen, die ihn für einen Affen halten, weil er sich nicht wie sie auf allen Vieren fortbewegt und er wird dort zu einem anderen “Affen”, einem Spanier, in einen Käfig gesperrt. Schließlich kommt er auf die Erde zurück, nur um zur Sonne zu reisen und schließlich einiges über die Liebe zu erfahren.

– Es war Vollmond, klarer Himmel, und es hatte neun Uhr abends geschlagen, als wir, vier meiner Freunde und ich, aus einem Haus in Clamart bei Paris zurückkehrten, wo der junge Monsieur de Cuigy, der dort der Grundherr ist, uns bewirtet hatte. –

Eine kurze Inhaltsangabe kann Cyrano de Bergeracs Reise zum Mond und zur Sonne nicht gerecht werden. Cyrano ergreift in seinem mutigen Werk Partei für die Aufklärung und gegen die Kirche und andere Autoritäten seiner Zeit. Nun hält er aber keine Philippica gegen Aberglauben und Volksverdummung, seine Waffen sind Esprit und Witz, Ironie und Satire. De Bergeracs Florett ist die geschliffene Sprache, mit der er für seine Überzeugungen ficht. Auf dem Mond wird Cyrano von den Priestern beim König angezeigt, weil er es gewagt hat zu behaupten, daß die Welt der Lunarier nur ein Mond sei und keine Erde, er hingegen von der Erde käme und nicht etwa vom Mond, wie die Lunarier glauben. Man holt ihn aus seinem Käfig, der Groß-Pontifex hält eine Anklagerede und am Ende wird Cyrano an alle Ecken der Stadt geführt, wo er seine Überzeugung widerrufen muß: “Untertanen, ich erkläre, daß dieser Mond hier kein Mond ist, sondern eine Erde, und daß diese Erde dort keine Erde ist, sondern ein Mond. Das ist, was die Priester für gut erachten, das Ihr glauben sollt.” Die ganze Schilderung ist eine geistreiche Anspielung auf den Prozeß gegen Galileo Galilei.

Köstlich und außerordentlich einleuchtend ist auch die Episode, in der der Dämon des Sokrates Cyrano vor Augen führt, daß Gott den Menschen keineswegs mehr liebt als Kohlgemüse, ja warum ihm wahrscheinlich am Kohl mehr gelegen ist als an den Menschen. Und alle, die noch der Auffassung anhängen, die Sonne drehe sich um die Erde, versucht de Bergerac mit diesem Beispiel zu überzeugen: “Es wäre gerade so lachhaft zu glauben, der große leuchtende Körper drehe sich um einen Punkt, mit dem er nichts zu schaffen hat, als sich vorzustellen, wenn wir eine gebratene Wachtel sehen, man habe, um sie zu rösten, den Kamin um sie herum gedreht.”
Cyrano de Bergerac bezieht sich immer wieder auf philosophische und wissenschaftliche Werke zeitgenössischer Geistesgrößen wie Pierre Gassendi, Hieronymus Cardanus, Tommaso Campanella und anderen, die dem heutigen Leser nicht mehr geläufig sind. In solchen Fällen leistet der hervorragende Anhang mit seinen Anmerkungen ausreichend Hilfe.

Aber nicht nur Cyranos Umgang mit den philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit faszinieren, sondern auch die Tatsache, daß ganz offensichtlich sich andere und dazu völlig unterschiedliche Künstler von ihm haben inspirieren lassen. Die futuristischen Flugmaschinen erinnern an Jules Verne, Swift scheint sich Anregungen für Gullivers Reisen geholt zu haben, in Schillers “Die Räuber” finden sich Gedanken über Vaterschaft, die denen Cyrano de Bergeracs verblüffend ähnlich sind und daß die Herrschaftsverhältnisse umgekehrt werden, die Tiere die Menschen in Käfige sperren und sie als minderwertige Geschöpfe ansehen, hat man unter anderem in Planet der Affen gesehen.
Savinien de Cyrano de Bergerac findet ohne Mühe dreieinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod den Weg in die Herzen seiner Leser.

Cover von Der rote Löwe von Mária SzepesHans Burger, geboren im Jahr 1535, verläßt schon früh sein trostloses Elternhaus und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hausbursche in einem Gasthaus. Dort lernt er den Alchimisten Rochard kennen, der den wißbegierigen Jungen bei sich aufnimmt und ihn in die Wissenschaft der Weißen und Schwarzen Magie einweist.
Schon bald entdeckt Hans, daß sein Lehrmeister das Geheimnis des ewigen Lebens kennt, ein Elixier mit Namen “Der Rote Löwe”…

– Adam Cadmons Brief erreichte mich vor vielen Jahren im Sommer 1940 in jenem kleinen Haus, von dem außer einigen engen Freunden niemand etwas wußte. –

Mária Szepes ist eine wunderbare Erzählerin. Ihre Sprache ist kraftvoll, präzise und sehr plastisch, so daß der Leser die Beweggründe ihrer Charaktere, deren Emotionen und Beziehungen untereinander sehr gut nachvollziehen kann. Leider ist die Autorin nicht beim reinen Erzählen geblieben.

Der rote Löwe (A vörös oroszlan) ist in drei Teile gegliedert. Schon in den ersten beiden Teilen gibt es einige Abschnitte, in denen die Sprache sehr ins mystisch-esoterische abgleitet und die daher reichlich abgehoben wirken. Man könnte dies noch als Versuch der Autorin ansehen, eine Atmosphäre zu schaffen, die die Handlungsweise der Protagonisten verdeutlicht -zwar etwas störend, aber vertretbar. Am Anfang des dritten Teils wird aber unmißverständlich deutlich, daß Szepes nicht nur eine Geschichte erzählen will, sondern daß sie versucht, eine neue Religion, bzw. eine esoterische Weltanschauung zu etablieren. Und tatsächlich ist Mária Szepes die Gründerin einer esoterischen Schule. Der Leser merkt die Absicht und ist verstimmt, jedenfalls dann, wenn er Romane liest, um sich zu unterhalten und nicht, um indoktriniert zu werden. Die Autorin tritt stellenweise unverhüllt hinter ihren handelnden Personen hervor und propagiert plakativ ihre esoterische Philosophie. Dies vergällt einem völlig die Lust an einem ansonsten gut geschriebenen Roman und trägt auch die Schuld daran, daß das Ende äußerst unbefriedigend ist.
Ein Wort an den Verlag: Da man nicht von jedem Leser, der das Buch zufällig in die Hand bekommt, annehmen darf, daß er sich mit dem esoterisch/alchimistischen Fachvokabular auskennt und dazu noch so gut in Latein ist, daß er die lateinischen Wörter und Inschriften versteht, von denen hier die Rede ist, wäre ein Glossar am Ende des Buches angebracht.

Cover von Der rote Tod von P.N. ElrodLong Island, 1773. Der junge Jonathan Barrett wird von seiner chronisch übelgelaunten Mutter nach Cambridge in England geschickt, um Jura zu studieren. Jonathan widmet sich nicht nur seinem Studium, sondern auch der schönen Nora. Als er wieder nach Hause kommt, gerät er zwischen die Fronten des Unabhängigkeitskrieges, was für ihn tödliche Folgen hat.

-“Du bist ein hochmütiger, halsstarriger, undankbarer Schuft!” Solchermaßen sprach -oder besser: schrie- meine Mutter mit mir, ihrem einzigen Sohn. –
Kapitel 1

Der rote Tod (Red Death) ist keineswegs so schlecht, daß er einen Verriß verdient, aber er ist auch nicht so gut, daß er zu Lobeshymnen Anlaß gibt. Besonders am Anfang wirkt die Sprache künstlich und theatralisch, man hat als Leser eher den Eindruck einer nicht besonders guten Theatertruppe zuzuhören, als den Gesprächen realer Menschen zu folgen. Und obwohl die Autorin zu dem Schachzug gegriffen hat, den Ich-Erzähler erklären zu lassen, er benutze bewußt eine moderne Sprache, gibt es einige Ausdrücke, die in einer Geschichte, die während des Unabhängigkeitskrieges spielt, stören. 1773 besucht man Feste oder Bälle und keine Parties, wenn man sich mit seiner Mutter unterhält, dann ist das ein Gespräch und kein Interview. Inhaltlich verbreitet die Geschichte für einen Vampirroman zu wenig Schrecken, es fehlt an (dem Thema angemessener) Grausamkeit. Die Vampire, die in diesem Roman ihr Unwesen treiben, haben die Macht, den Willen von Menschen zu beeinflussen, was zur Folge hat, daß die Menschen, die mit ihnen zu tun haben, sich kaum vor ihnen fürchten. Jonathan, der vor seiner Begegnung mit Nora noch keine Erfahrung mit Frauen hatte, hält es einfach für eine besondere Art des Liebesspiels als sie ihm in den Hals beißt und sein Blut trinkt und ein neugewordener Vampir wird nach einer kurzen Schrecksekunde wieder in den Schoß der Familie aufgenommen und ist nach seiner Verwandlung der gleiche nette Kerl wie vorher. Das ist ein weiteres Manko der Geschichte. Die Vampire sind nicht böse oder wenigstens amoralisch und sie befinden sich auch nicht im Konflikt mit ihrer neuen Natur, auch hier fehlt die Spannung. In diesem Roman gibt es zwar Sexualität, aber keine Erotik. Das Erotische an guten Vampirromanen ist ja gerade, daß Sex nicht beschrieben wird und dafür alles was mit Vampirismus zu tun hat höchst doppeldeutig geschildert wird, so daß die erotischen Bilder im Kopf des Lesers entstehen.
Das letzte Drittel des Romans ist Elrod am besten gelungen. Dieser Teil hat auch komische Züge und man bedauert, daß die Autorin ihre Geschichte nicht mit mehr Humor angereichert hat, denn das scheint eine ihrer Stärken zu sein.
Der Titel Der rote Tod ist für diesen eher gemächlich dahin fließenden Roman zu reißerisch, auch das rotgeflügeltes Ungeheuer, wie es auf dem Titelbild dargestellt wird, erweckt falsche Erwartungen. Dieser Roman ist etwas für Leute, die gerne historische Geschichten lesen, die mit phantastischen Elementen angereichert sind. Wer von einem Vampirroman atemlose Spannung und Gruseleffekte erwartet wird hier nicht auf seine Kosten kommen.

Cover des Buches "Russische Volksmärchen" von Ulf Diederichs (Herausgeber)In dieser Anthologie hat Ulf Diederichs 25 russische Volksmärchen zusammengestellt, die größtenteils aus der Sammlung des August von Löwis of Menar stammen. Dem Leser begegnen bekannte Figuren wie Schneewittchen, aber auch Gestalten, die in den Märchen der Gebrüder Grimm nicht vorkommen.

-In einem Zarenreich lebte einmal ein Kaufmann. Zwölf Jahre war er verheiratet gewesen, aber er hatte nur eine einzige Tochter, Wassilissa die Wunderschöne.-
Wassilissa die Wunderschöne

Diese Märchensammlung eröffnet dem Leser eine phantastische Welt, die er so noch nicht kennt, sofern er sich nicht schon einmal mit slawischer Literatur befasst hat. Die faszinierendste Gestalt, die in den verschiedenen Märchen immer wieder auftaucht, ist die Hexe Baba Jaga, gegen die die Hexe aus Hänsel und Gretel eine harmlose ältere Dame ist. Zwar hilft sie manchmal auch den Guten wie der schönen Wassilissa, aber sie ist eine Menschenfresserin. Ihr Haus ist mit Menschenknochen eingezäunt, auf diesem makabren Zaun stecken Menschenschädel mit Augen, Menschenbeine bilden die Torpfosten, Hände die Riegel und statt des Türschlosses gibt es einen Mund mit scharfen Zähnen. Wenn Sie sich dieses Märchen als Achtjähriger allein zu Hause auf einer Kassette anhören, stehen Sie nachts senkrecht im Bett. Der Rezensent spricht hier aus persönlicher Erfahrung.

In manchen Geschichten geht es recht gewalttätig zu und die Sprache ist oft derber, als man es aus den heimischen Märchen kennt. Wenn Sie Ihre Kinder mit dem russischen Märchenschatz bekanntmachen möchten, dann ist es besser, Sie lesen die Märchen vor und entschärfen dabei gegebenenfalls Stellen, die Sie für Ihre Kinder als nicht geeignet erachten.
Für Erwachsene ist dies genau das richtige Buch, um einen Einblick in die russische Märchenwelt zu erhalten.

Im Anhang gibt es einen Quellennachweis, in dem auch zu lesen ist, zu welchem Märchentypus das entsprechende Märchen gerechnet wird, z.B. gehört “Oletschka” zum Märchentypus Die von der Stiefmutter verfolgte Tochter findet Zuflucht bei einer Bande junger Männer. Um welches Märchen handelt es sich da wohl? Es gibt auch noch russische Versionen von Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, Die Gänsemagd und von Die zertanzten Schuhe.

Cover von Der Schatten des Inquisitors von Valerio EvangelistiDieser Roman ist eine Mischung aus Science-Fiction und Fantasy. Es gibt drei Handlungsebenen: Im mittelalterlichen Spanien macht der Großinquisitor Nicolas Eymerich gnadenlos Jagd auf die Anhänger eines nichtchristlichen Kultes. In der Gegenwart versucht der junge Forscher Frullifer die Wissenschaftler seiner physikalischen Fakultät davon zu überzeugen, daß es Psytronen gibt. Und in der Zukunft begibt sich ein psytronisches Raumschiff unter Leitung des Abtes Sweetlady auf eine geheimnisvolle Mission, in die noch nicht einmal die Besatzung eingeweiht ist.

– Beim Verlassen des Robert Lee Moore Building, Sitz des Instituts für Astrophysik der Universität Texas, sah Professor Tripler sich fast ängstlich um. Er schaute die Wege des Campus entlang, musterte Hecken und Grüppchen von Studenten, dann machte er sich mit raschen Schritten auf den Weg, wobei er fortwährend um sich blickte.-
In Gedankenschnelle 1

Und nun folgt die Geschichte, warum der Roman Der Schatten des Inquisitors (Nicolas Eymerich, inquisitore) in der Gunst des Rezensenten in Nullkommanix von 3,5 auf 1 Sternchen hinabsank: Die Story läßt sich gar nicht schlecht an. Zuerst werden Teile der Frullifer- und der Raumschiffgeschichte erzählt und der Leser versteht erst einmal gar nichts: Nicht um was es eigentlich geht, und auch nicht, wohin das alles führen soll. Für Leser, die gerne ein bißchen herumspekulieren und nicht von Anfang an, eine klare eindeutige Handlung bevorzugen, ist das ganz interessant. Im dritten Kapitel, das der Autor aber als erstes bezeichnet, beginnt dann die Geschichte des Großinquisitors, die den größten Raum im Roman einnimmt. Dieser Teil hat eine leicht nachvollziehbare, strukturierte Handlung und ist leidlich spannend. Die Geschichten werden abwechselnd erzählt, so daß es eine Reihe von Cliffhangern gibt. Am Ende werden alle drei Stränge zusammengeführt. So weit, so mittelmäßig. Nur leider wird die Frullifer-Geschichte rapide schlechter und schlechter. Es ist ein Unding, daß Evangelisti ein so wichtiges Thema wie Rassismus auf wenigen Seiten, wirr und in einem schlechtem Stil abhandelt. Dazu kommt noch, daß dem Autor plötzlich offensichtlich eingefallen ist, daß solche Romane meistens von Männern gelesen werden und er wohl dachte, er müsse die Story mit ein bißchen Sex würzen. Da ist auch eigentlich gar nichts gegen einzuwenden. Nur, wenn man über sexuelle Dinge schreibt, dann sollte man das auch können, und Evangelisti kann es eindeutig nicht. Abgesehen davon, daß die ganze merkwürdige “Liebesgeschichte” zwischen Frullifer und Cynthia im Stil einer brasilianischen Telenovela geschrieben ist, muß der verstimmte Rezensent Passagen wie diese lesen:

Die verborgenen Bereiche von Cynthias Körper, von denen er seit Monaten träumte, mußten triefnaß sein wie eine betaute Wiese.

Andere Abschnitte über Frullifers Ideen, wie Sexualität funktioniert, lassen zwar den Verdacht aufkommen, der Autor könne dies ironisch gemeint haben, trotzdem ist es nur dümmlich und primitiv und dient nur dem einen Zweck, die männliche Leserschaft aufzugeilen und bei der Stange zu halten. Und denken Sie jetzt nicht, ich wüßte nicht, was ich gerade geschrieben habe. Aber zu diesem Zweck gibt es im nächsten Sex-Shop viele nette Heftchen, die in besserem Deutsch verfaßt sind. Und wenn es der Leser dann doch etwas literarischer mag, empfehle ich ihm Opus Pistorum von Henry Miller, das steht gerade nicht auf dem Index, man findet auf jeder Seite alle möglichen und unmöglichen fragwürdigen Unanständigkeiten, aber dafür ist es wenigstens in einem anständigen Stil geschrieben. Und noch etwas: Der Verlag wirbt damit, dies sei ein Fantasy-Epos in der Tradition von Umberto Ecos Der Name der Rose. Nicht alle Romane, die im Mittelalter spielen halten deswegen einem Vergleich mit Der Name der Rose stand. Dieses Buch ist um Klassen schlechter als Ecos Roman. Genauso könnte man behaupten, Herr Küblböck stünde in der Tradition von Mick Jagger, nur weil beide auf Englisch singen.

Cover von Der schwarze Dolch von Sean StewartMark, Sohn einfacher Leute, hat schon immer davon geträumt, den Gespensterwald zu bezwingen und den Bann der Roten Festung zu brechen. Der König hat versprochen, dem siegreichen Helden einen Wunsch zu erfüllen. Viele tapfere Männer, die sich allein auf die Kraft ihres Schwertes verlassen haben, sind an der Aufgabe gescheitert. Doch Mark kann nicht nur kämpfen, sondern er hat auch Verstand und so gelingt es ihm tatsächlich, den Bann zu brechen. Aber dann ist alles anders als er es sich ausgemalt hat. Und zu allem Überfluß muß er eines Tages erkennen, daß die Gespenster nicht alle besiegt sind, nicht die der Roten Festung und auch nicht die seiner Vergangenheit.

– Der Gespensterwald wurde von Erinnerungen heimgesucht, brüchig wie die Zweige, die winzigen Knochen gleich unter Marks Stiefeln knirschten.-
Die Rote Festung

Auf den ersten Blick scheint Der schwarze Dolch (Nobody’s Son) nichts weiter zu sein als eine ironische Abrechnung mit den alten Märchen. Der Held besteht seine Prüfung und erwartet -genau wie der Leser- das übliche Happy End: Der Retter wird gefeiert, der König gibt ihm die Hand seiner Tochter und sie leben alle glücklich bis an ihr Lebensende. Zu Marks Enttäuschung und zum Vergnügen des Lesers verläuft die Geschichte aber anders. Der König ist von dem hergelaufenen und nach seinem Abenteuer ziemlich derangiert aussehenden Schwiegersohn in spe überhaupt nicht begeistert. Die Herren und Damen des Hofes verhalten sich fast alle arrogant bis beleidigend und Prinzessin Gail ist zwar sympathisch, weil sie natürlich, bodenständig und ohne Dünkel ist, aber sie weigert sich aus Angst vor einer Schwangerschaft strikt, das Bett mit Mark zu teilen, außerdem scheint sie einen sehr vertrauten Umgang mit ihrer Hofdame zu haben. Das ist witzig geschrieben und Mark ist ein Held, den man gern haben muß. Stewart läßt den Leser Anteil an Marks inneren Dialogen nehmen und so formt sich recht schnell ein Bild seines Charakters. Mark hat zwar Angst im Gespensterwald, benimmt sich aber tapfer, er weiß, daß er die Spielregeln des Hofes nicht beherrscht, aber er hat ein gesundes Selbstbewußtsein, er ist manchmal undiplomatisch, aber offen und geradeheraus. So einen wie Mark möchte man gerne zum Freund haben, vor allen Dingen, wenn man in der Nähe eines verwunschenen Gespensterwaldes wohnt. Doch je mehr sich die Geschichte ihrem Ende zuneigt, um so klarer wird, was sich schon am Anfang des Romans angedeutet hat. Hier geht es eigentlich nicht um “reale” Gespenster, um Untote, die spuken, weil sie keine Ruhe finden, es geht um Gespenster, die uns alle verfolgen können, Gespenster der Vergangenheit. Es geht um einen Sohn, der darunter leidet, daß der Vater die Familie verlassen hat, als er noch klein war, ein Sohn, der alles Mögliche vollbringen will, damit sein Vater eines Tages zurückkehrt, ihm auf die Schulter klopft und sagt: “Gut gemacht, Sohn” und es geht darum, daß dieser Sohn die Vergangenheit überwinden und seinen Frieden mit ihr schließen muß, damit er eine glückliche Gegenwart und Zukunft haben kann.

Cover von Die schwarze Stadt von Tamora PierceDie zehnjährige Alanna von Trebond soll in einem Kloster lernen, eine Dame zu werden. Ihr Zwillingsbruder Thom wird an den Hof gehen, um eine Ausbildung als Ritter zu erhalten – so hat es ihr Vater beschlossen. Dabei will Thom viel lieber Zauberer und Alanna Ritter werden, um gefährliche Abenteuer zu bestehen. Die Kinder fälschen die Briefe, die der Vater ihnen mitgegeben hat. Alanna verkleidet sich als Junge und geht an den Hof, um Page zu werden, und Thom reitet zum Kloster und läßt sich zum Zauberer ausbilden. Für Alanna beginnen schwere Zeiten. Die Ausbildung ist hart, aber sie findet Freunde. Doch nicht jeder ist ihr wohlgesonnen. Früher als es ihr lieb ist, muß sie gefährliche Abenteuer bestehen und sie fürchtet, jemand könnte herausfinden, daß sie ein Mädchen ist…

– “Ich habe meine Entscheidung getroffen. Keine Diskussion mehr”, sagte der Mann am Schreibtisch. Er schaute schon wieder in ein Buch. Seine beiden Kinder verließen den Raum und machten die Tür hinter sich zu.-
Die Zwillinge

Eigentlich ist Die Schwarze Stadt (Alanna: The First Adventure) nichts anderes als die gute alte phantastische Internatsgeschichte, die in eine mittelalterliche Szenerie verlegt wurde, aber diese alte Idee wurde von Tamora Pierce sehr gut umgesetzt. Alanna kommt an den Hof und muß lernen, lernen, lernen: Mathematik, Geschichte, Gedichte und natürlich den Umgang mit dem Schwert, mit Lanzen und alle Kampfkünste, die ein Ritter so braucht. Außerdem muß sie am Tisch bedienen und Botengänge für die Adligen erledigen. Abends fällt sie todmüde ins Bett. Sie schließt Freundschaften, aber sie muß sich auch gegen den “Schulhofrüpel” zur Wehr setzen. Kurzum, Alanna ist die ideale Identifikationsfigur für Mädchen, die schon immer davon geträumt haben, Abenteuer als Pirat, Räuber, Indianer oder eben Ritter zu erleben. Sie wirkt so authentisch, weil sie gerade kein “Supermädchen” ist, dem alles leicht fällt. Als Alanna in die Pubertät kommt, fällt es ihr schwer zu akzeptieren, daß sich ihr Körper verändert. Sie wird von Selbstzweifeln geplagt, nie ist sie sich sicher, ob sie all die Aufgaben bewältigen kann, die ihr gestellt werden und sie muß erst lernen, daß sie ihre Freunde nicht nachahmen muß, um von ihnen gemocht zu werden. Sie darf sein, wie sie ist.
Alanna ist beherzt, tapfer und geradeheraus, sie besitzt Durchhaltevermögen und einen starken Willen. Diese Charaktereigenschaften braucht sie auch, denn sonst hätte sie nicht die geringste Chance gegen den Tod, der ihr immer wieder in verschiedenen Formen begegnet. Auch alle anderen Protagonisten sind individuell gezeichnet. Natürlich gibt es “die Guten”, “die Bösen” und “den Zwielichtigen”, aber Tamora Pierce gelingt es ganz ausgezeichnet, lebendige Menschen darzustellen und bedient sich nicht flacher Stereotypen, die einem so oft das Lesen von Fantasyromanen verleiden. Die Handlung ist logisch und schlüssig motiviert. Der Einsatz von Magie scheint vollkommen natürlich zu sein und wirkt nicht aufgesetzt. Nie hat man bei diesem Roman das Gefühl, Tamora Pierce bediene sich der Zauberei, weil sie sonst nicht wüßte, wie sie ihre Helden aus einer gefährlichen Situation befreien oder in ein Abenteuer stürzen sollte.
Gedacht für Leser ab zwölf Jahren.

Cover von Das Schwert in der Stille von Lian HearnAls die Truppen des Lord des Tohan-Clans, Iida Sadamu, Tomasus Dorf verwüsten und alle Bewohner töten, wird der sechzehnjährige Junge von dem Lord des Otori-Clans, Shigeru, gerettet. Da Tomasu Ähnlichkeiten mit dem ermordeten Bruder des Lords aufweist, nimmt Shigeru ihn bei sich auf, nennt ihn fortan Takeo, läßt ihn ausbilden und adoptiert ihn schließlich. Zur gleichen Zeit lebt das ebenfalls sechzehnjährige Mädchen Kaede seit acht Jahren als Geisel auf Schloß Noguchi, bei einem Verbündeten von Iida Sadamu. Aufgrund von politischen Intrigen soll Kaede Lord Shigeru heiraten. Shigeru liebt aber seit langem Lady Maruyama, die Sadamu für sich beansprucht. Als alle diese Personen in Inuyama, der Hauptstadt des Tohan-Reiches zusammentreffen, entscheidet sich ihr Schicksal.

– Meine Mutter drohte oft, mich in acht Stücke zu reißen, wenn ich den Wassereimer umstieß oder vorgab, ihren Ruf nicht zu hören, während die Dämmerung dichter wurde und die Zikaden lauter schrillten.-
Kapitel 1

Wer Liebesgeschichten mag, die in einem exotischen Ambiente angesiedelt und mit politischen Intrigen gewürzt sind, hat mit Das Schwert in der Stille (Across the Nightingale Floor) die richtige Lektüre gefunden. Lian Hearn ist eine sehr gute Erzählerin, die es versteht, eine Handlung zu entwickeln, und die genügend Kenntnisse der japanischen Kultur besitzt, um eine an das mittelalterliche, feudale Japan angelehnte Welt, die von verfeindeten Kriegerkasten beherrscht wird, glaubwürdig darzustellen.
Allerdings hat entweder die Autorin oder die Übersetzerin an einigen Stellen zu moderne Ausdrücke gewählt, die die fast perfekte Illusion zerstören und den Leser aus der Geschichte in die Gegenwart katapultieren. So beschimpft Takeo Wachleute als nutzlose Idioten. In der Stadt wird eine Bar besucht. Die Autorin teilt an einer Stelle mit, das Zimmer sei gut geschnitten, was den Leser eher an seinen letzten Wohnungsbesichtigungstermin mit einem Makler denken läßt, als an ein einfaches mittelalterliches japanisches Haus und als Krönung der Ausrutscher in die Moderne sagt Lord Shigeru: “Kenji leitet selbst ein sehr erfolgreiches Unternehmen für Sojaprodukte…
Dieses Buch ist in erster Linie ein pseudohistorischer Roman, in dem Magie eine untergeordnete Rolle spielt, und von daher für Fantasy-Puristen weniger geeignet. Takeo gehört zum “Stamm” und besitzt besondere Fähigkeiten. So kann er sich unsichtbar machen oder an zwei Orten gleichzeitig sein und er hat ein außerordentlich feines Gehör.
Am deutschen Titel Das Schwert in der Stille ist nichts auszusetzen. Er ist nicht, wie ich zuerst argwöhnte, ein Titel, der einfach nur poetisch ist und mit dem Roman nichts zu tun hat und der wahrscheinlich gewählt wurde, weil der Originaltitel, der in Bezug auf die Geschichte einleuchtender ist, nur holprig klingend ins Deutsche übersetzt werden kann. Allerdings muß man das Buch sehr genau lesen, damit man die Stelle, auf die sich der Titel bezieht, nicht überliest.

Cover von Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung von T.A. BarronIm Jahr der Dunkelheit werden alle Sterne Avalons für ein ganzes Jahr erlöschen. In diesem Jahr wird ein Kind geboren werden, das dazu bestimmt ist, Avalons Ende zu bringen. Rettung kann allein Merlins wahrer Erbe bringen. So lautet die Prophezeiung der Herrin vom See. 17 Jahre sind seit dem Jahr der Dunkelheit vergangen und Avalons Ende scheint nahe. Hohepriesterin Coerria schickt die junge Priesterin Llynia aus, den wahren Erben Merlins zu finden. Elli soll sie begleiten, obwohl die beiden Mädchen sich nicht leiden können. Unterwegs treffen sie auf Tamwyn und später auf dessen Bruder Scree. Es scheint, daß einer der Brüder das Kind der dunklen Prophezeiung ist und der andere der wahre Erbe Merlins. Aber welcher ist welcher?

– Aus den Klippen brach ein Feuerstoß und schoß in die Dunkelheit wie ein zorniger Drache.-
Prolog: In einer dunklen Nacht

Man braucht nicht lange, um die Geschichte zu durchschauen: Tamwyn ist der Enkel Merlins, folglich ist er der wahre Erbe Merlins, der die Rettung bringt. – So simpel ist es zum Glück dann doch nicht. Ebenso rasch, wie man zu dieser Schlußfolgerung gekommen ist, beginnt man auch wieder an ihr zu zweifeln. Zwar winkt T.A. Barron mit Zaunpfählen, die locker das Ausmaß von Mammutbäumen erreichen, andererseits bemüht er sich fleißig, dem Leser andere Protagonisten als Merlins wahren Erben schmackhaft zu machen. Ein heißer Kandidat ist Scree, der auf den ersten Blick, das unglückbringende Kind der dunklen Prophezeiung zu sein scheint. Aber Scree hütet und beschützt Merlins Stab, von dem in der Prophezeiung gesagt wird: Drum findet Merlins Zauberstab, dann ist der Erbe da. Merlin würde seinen Stab doch nicht dem Todfeind Avalons anvertrauen, oder doch? Falls Scree tatsächlich der Gegenspieler des Erben sein sollte, hat der Leser ein neues Problem. Scree ist ein netter Kerl, der seinen Bruder Tamwyn liebt. Niemand würde Genugtuung empfinden oder sich gar freuen, wenn er getötet würde. Denn das ist es, was das dunkle Kind erwartet: der Tod. Die Hohepriesterin Coerria hat Elli das Versprechen abgenommen, das dunkle Kind der Prophezeiung zu töten, sobald sie es gefunden hat. Aber auch Elli ist eine sympathische Figur, von der man nicht möchte, daß sie zur Mörderin wird – auch nicht für eine gute Sache.

Die Geschichte lebt von ihren Protagonisten. Tamwyn ist ein Tolpatsch, der häufig anderen unbeabsichtigt Schaden zufügt. Für den Leser ist seine Tapsigkeit witzig, seine Opfer finden seine Unbeholfenheit weniger komisch. Elli ist wütend auf Tamwyn, weil er ihre Harfe zerstört hat, das letzte Geschenk ihres Vaters, bevor er starb. Das sorgt für Zündstoff in der Gruppe. Der Hoolah lacht auch darüber, wie er über alles lacht und bringt damit seine Kameraden gegen sich auf. Selbst als er mit Tamwyn in eine Todesfalle gerät, findet er das höchst amüsant und er grinst auch noch, als der erboste Tamwyn droht, ihn zu töten: Gut, uuhuu iihii. Sterben ist etwas, das ich noch nicht probiert habe. Hoolahs besitzen ein ausgesprochen sonniges Gemüt. Elli und Llynia können sich auch nicht leiden. Llynia ist die einzige zwielichtige Person unter den Gefährten. Sie ist eine arrogante Ziege, die zuviel Ehrgeiz besitzt, aber man kann sich nicht sicher sein, wie sie sich entwickeln wird. Vielleicht bewährt sie sich auf der Reise und wird durch die bestandenen Abenteuer reifer und verantwortungsbewußter, ebenso ist es möglich, daß sie sich aus übertriebenem Ehrgeiz auf die Seite der Bösen schlägt. Sie könnte sogar das Kind der dunklen Prophezeiung sein, denn nirgends wird gesagt, daß es sich dabei um einen Jungen handelt.
Wer ist das Kind der dunklen Prophezeiung? Wer ist der wahre Erbe Merlins? Werden sich die Gefährten schließlich zusammenraufen und gemeinsam das Ende Avalons verhindern? Die tapfere Truppe muß auch Kämpfe und Gefahren bestehen, aber der Roman ist nicht actionlastig und bezieht seine Spannung hauptsächlich aus diesen Fragen. Es gibt auch noch den bösen und grausamen Hexer Kulwych, der sich für den größten Zauberer aller Zeiten hält, und der hinter Merlins Stab her ist. Jedesmal, wenn er auftaucht, verbreitet er Angst und Schrecken und Tod.
Barrons Erzählstil ist ausladend, er nimmt sich Zeit, seine Geschichte zu erzählen, trotzdem wird es nie langweilig. Auch die Natur Avalons und ihre Zerstörung beschreibt er ausführlich. Man merkt Barron an, daß ihm nicht nur Avalons Umwelt, sondern auch unsere sehr am Herzen liegt.

Cover von Silberflügel von Kenneth OppelDer Fledermausjunge Schatten gilt als der schwächste Junge der Silberflügel-Kolonie. Doch als er einen verbotenen Blick auf die Sonne wirft, bricht er damit das uralte Gesetz, das die Eulen erlassen haben und sein Leben ändert sich fatal.
Er verliert seine Heimstatt, wird auf das Meer hinausgeweht und kommt letztendlich hinter das Geheimnis der Feindschaft zwischen Eulen und Fledermäusen. Doch ein Problem gibt es: Wären ihm und seiner Freundin Marina, die er während seiner Reise kennenlernt doch bloß nicht die beiden großen Kannibalenfledermäuse auf der Schliche, die einen schrecklichen Plan umsetzen wollen…

– Schatten, der Fledermausjunge, schwebte über die Böschung des Baches, als er hörte, wie der Käfer seine Flügel ausprobierte. Daraufhin holte er kräftiger mit den Schwingen aus und wurde so immer schneller, je näher er dem summenden Geräusch kam. Er selbst war vor dem Nachthimmel kaum zu erkennen, nur die Silberstreifen in seinem dichten schwarzen Fell schimmerten im Mondlicht.-
1. Teil: Schatten

Eine kleine, nicht repräsentative Umfrage im Bekanntenkreis: “Wie fliegt eine Fledermaus?” Antwort in 99,9 % der Fälle: Sie flattert. Schatten, der schmächtige Fledermausjunge und Held dieses Buches, “flattert” nicht, er “schwebt” und das macht in der Vorstellung des Lesers den gewissen Unterschied. Vor seinem geistigen Auge entsteht nicht das Bild einer unsympathischen Kreatur mit dicklichem, pelzigem Körper und lederartigen Flügeln, sondern das eines eleganten Jägers der Nacht. Äußerst geschickt wirbt Kenneth Oppel weiter um Sympathie für seinen ungewöhnlichen Protagonisten und benutzt dabei einen alten Schriftstellertrick: er vermenschlicht das Tier. Schatten ist zu früh zur Welt gekommen und deswegen kleiner und zarter als die anderen Fledermausjungen. Seine Mutter kümmert sich rührend um ihren Sohn, der ohne seinen verschollenen Vater aufwachsen muß. Chinook hingegen ist das vielversprechendste Junge der Fledermauskolonie. Er ist zwar nicht im Übermaß mit geistigen Gütern gesegnet, aber Schatten würde alles dafür geben, einen solchen Körper wie Chinook zu besitzen. Außerdem ist Chinook ein Angeber und hackt gerne auf Schatten herum. Er schnappt ihm eine Bärenspinnermotte vor der Nase weg, prahlt damit, daß er diese Nacht zwei der so schwer zu fangenden Tiere verspeist hat, schwärmt von seinem tollen Vater, der angeblich eine riesige Flügelspannweite besitzt und einmal sogar eine Eule getötet hat. Solche Angebertypen wie Chinook kennt jedes Schulkind und es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, auf wessen Seite die Sympathie der jungen Leser zu finden ist. Wer so schreiben kann wie Kenneth Oppel, muß sich nicht -wie er in seinem Nachwort- fragen, ob Kinder in der Lage sind, sich mit einer Fledermaus zu identifizieren. Der kleine, schmächtige Schatten ist ein Außenseiter, der seine Abenteuer mit Herz, Mut und Verstand meistert -und mit Hilfe seiner Freundin Marina, die dieselben positiven Charaktereigenschaften wie Schatten besitzt und in ihrer Kolonie ebenso ein Außenseiter ist, weil sie von Menschen beringt wurde.
Oppel macht es dem Leser auch noch auf andere Weise leicht, sich mit den fliegenden Säugetieren zu identifizieren: er erzählt seine Geschichte konsequent aus dem Blickwinkel der Fledermäuse, so daß man sich nach einiger Zeit fragt, ob die Tiere nicht recht haben, wenn sie glauben, daß die Beringung durch Menschen, Teil einer mythischen Prophezeiung ist, die sich in naher Zukunft erfüllen wird, obwohl man doch ganz genau weiß, daß Menschen Tiere beringen, um ihre Lebensgewohnheiten nachvollziehen zu können. Auf höchst interessante Weise beleuchtet Kenneth Oppel so die Themen Glauben, Religion, Entstehung von Mythen und die gefährliche Faszination von Sekten, die ihre Mitglieder so lange einer Gehirnwäsche unterziehen, bis diese völlig verblendet sind.
Für Spannung sorgen drei, vier wohlgesetzte “Paukenschläge” und Goth, die skrupellose Kannibalenfledermaus aus dem Dschungel.

Cover von Sir Gawain und der Grüne RitterNeujahrstag an König Artus’ Hof. König und Königin, es wird gefeiert. Da stört ein Ritter das Gelage. Er hat die Statur eines Hünen und alles an ihm, selbst sein Pferd, ist grün. Der Grüne Ritter schlägt ein “Weihnachtsspiel” vor: Falls einer der anwesenden Ritter den Mut aufbringe, dürfe er ihm mit voller Kraft mit der Streitaxt einen Schlag versetzen. Nach einer Frist von zwölf Monaten und einem Tag dürfe der Grüne Ritter ihm ebenfalls einen Schlag versetzen, der widerstandslos hinzunehmen sei. Keiner der Ritter meldet sich. Als sich schließlich König Artus selbst anbietet, geht Sir Gawain dazwischen und nimmt den Handel an. Er schlägt dem Grünen Ritter mit einem Hieb den Kopf ab. Unbeeindruckt erhebt sich dieser, erinnert Sir Gawain noch einmal an die Abmachung und reitet von dannen.

– Als das schöne Britannien von diesem berühmten Mann gegründet war, wuchsen dort Recken heran, die den Kampf liebten und früher oft großes Unheil anrichteten. In diesem Reich gab es mehr Wunder zu bestaunen als in irgendeinem andren Land, das ich kenne.
Doch von allen Königen, die in Britannien herrschten, wurde Artus, wie ich hörte, am meisten verehrt.-
2.

Man kann Sir Gawain und der Grüne Ritter (Sir Gawain and the Green Knight) auch einfach als originelle Abenteuergeschichte lesen, sich gut dabei unterhalten und ganz nebenbei eines der großartigsten Werke der englischen mittelalterlichen Literatur kennenlernen. Die Erzählung besticht u.a. durch ihre Naturschilderungen und wirklichkeitsnahen Jagdszenen, und trotz aller Grausamkeit haben die Auftritte des Grünen Ritters durchaus ihre komischen Seiten. So meint man Artus’ kühne Recken vor sich zu sehen, wie sie von einem Fuß auf den anderen treten und verlegen in die Luft starren, Schuljungen gleich, die Angst haben, mündlich geprüft zu werden, nachdem sie von dem streitbaren Eindringling herausgefordert wurden, obwohl der unbekannte Dichter den Leser nur wissen läßt, daß alle in der Halle, ob von hohem oder niederem Rang, noch stiller (wurden). Auch später gibt es komische Situationen, als Gawain bei der Suche nach dem Grünen Ritter auf eine liebestolle Dame trifft und sich ihrer heftigen Annäherungsversuche erwehren muß. Man ließe dieser Geschichte aber Unrecht widerfahren, würde man sie nur als skurrile Aventiure-Erzählung betrachten. Sir Gawain und der Grüne Ritter ist in erster Linie die Geschichte einer Versuchung. Sir Gawain, der dem ideal der Vollkommenheit nachstrebt, dem menschliche Schwächen aber nicht fremd sind, wird mit der unmöglich scheinenden Aufgabe konfrontiert, im christlichen Sinne tugendhaft zu handeln, also keine Sünde zu begehen und gleichzeitig “höflich”, das heißt, dem höfischen Ehrenkodex gemäß, als vortrefflicher Ritter und Held.
Wieso die Darstellung dieses Konfliktes, die Geschichte von Sir Gawain und dem Grünen Ritter zu einem Meisterwerk der englischen Literatur macht, erläutert J.R.R. Tolkien hervorragend in dem beigefügten Essay Sir Gawain und der Grüne Ritter.

Cover des Buches "Das Skorpionenhaus" von Nancy FarmerDer fünfjährige Matt lebt bei seiner Ziehmutter Celia in einer Hütte inmitten von Mohnfeldern. Er darf das Haus nicht verlassen, Türen und Fenster sind fest verschlossen. Abwechslung bieten ihm nur ein wenig Spielzeug, ein paar Bücher und das Fernsehen. Eines Tages, als Celia zur Arbeit gegangen ist, machen sich Kinder an der verschlossenen Hütte zu schaffen und als sie am nächsten Tag wiederkommen, schlägt Matt das Fenster ein und springt ins Freie. Dabei verletzt er sich an den herumliegenden Glassplittern. Die Kinder bringen den blutenden Matt zum nahegelegenen Herrenhaus. Dort versorgt zwar ein Arzt seine Wunden, doch die Erwachsenen behandeln ihn mit unverhohlener Abscheu, denn sie wissen, was Matt bisher nicht wusste: er ist ein Klon.

– Am Anfang waren es 36 Tröpfchen Leben – so winzig, dass Eduardo sie nur unter einem Mikroskop erkennen konnte. Er betrachtete sie besorgt in dem verdunkelten Raum. –
Am Anfang

Zwar weiß man von Anfang an, dass Matt ein Klon ist, doch löst dieses Wissen beim Leser keine Abneigung gegenüber dem Kind aus.
Nancy Farmer gelingt es, die Einsamkeit und Sehnsucht des Kleinen spürbar zu machen, ohne in Rührseligkeit zu verfallen. Sie vermittelt dem Leser das Gefühl, dass irgend etwas nicht stimmt, dass etwas Bedrohliches in der Luft liegt, doch gleichzeitig schildert sie Matt als so kindlich und menschlich, dass man sich fragt, was an ihm denn so anders sein soll und warum die Erwachsenen und die anderen Kinder sich ihm gegenüber so abscheulich benehmen. Sie bezeichnen ihn als Biest, man trennt ihn von Celia und eine Zeit lang wird er unter entwürdigenden Umständen wie ein Tier gehalten, wodurch seine Psyche fast zerbricht. Erst nach und nach enthüllt sich dem Leser, was diese Welt so bedrohlich erscheinen lässt.

Die Wahrheit ist, dass Matt, der Klon, gar nicht so anders ist, im Gegenteil, er benimmt sich oft humaner als die, die ihn verachten. Zu den Problemen, die Nancy Farmer in diesem Roman thematisiert gehören auch Diskriminierung und Vorurteile, hauptsächlich geht es aber um die Frage, was den Menschen zum Menschen macht und um Machtmissbrauch. El Patrón, das Oberhaupt des Familienclans, ist so reich und mächtig, dass er Gesetze brechen kann, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, seine Familie muss nach seiner Pfeife tanzen, was Matt wenigstens einen gewissen Schutz gibt und er beutet gnadenlos Menschen aus, die er als willenlose Arbeiter auf seinen Feldern bis zum Umfallen schuften lässt. Und auch die Klone haben seinen Zwecken zu dienen, denn Matt ist nicht der einzige, doch er ist dennoch etwas Besonderes.

Obwohl Das Skorpionenhaus (The house of the scorpion) in der Zukunft spielt, in einem fiktiven Land mit futuristischen Fortbewegungsmitteln, ist die Gesellschaft der unseren so ähnlich, dass man sich fragt, wie weit wir im Zeitalter von Klonschaf Dolly davon noch entfernt sind. El Patrón macht Menschen zu willenlosen Sklaven, indem er ihren Körper manipuliert, in einem anderen Land, sollen Menschen zu willenlosen Sklaven gemacht werden, indem man ihre Psyche manipuliert und diese Methode, Individuen gleichzuschalten und zu Erfüllungsgehilfen der Obrigkeit zu erziehen ist beängstigend nah an unserer Realität und unserer Geschichte.
Zum Glück gibt es in Matts Welt auch Freundschaft und Mut und deshalb gibt es auch die Chance, Diktaturen zu stürzen. Matts Leibwächter Tam-Lin weiß das, er schreibt Matt eine Nachricht auf einen Zettel: Du kanst es schaffen.

Cover von Das Spiegellabyrinth von Frank BeddorVor zwölf Jahren gab es im Wunderland einen Bürgerkrieg, von dem sich das Land nur langsam erholt hat. Jetzt herrscht ein brüchiger Friede. Die Matriarchinnen der Familien Karo, Kreuz und Pik neiden Genevieve, der Königin aus der Herzdynastie, ihre Macht. Doch ihre größte Feindin entstammt der eigenen Familie, es ist Genevieves Schwester Redd. Prinzessin Alyss verschwendet keinen Gedanken an Krieg. Sie feiert heute ihren siebten Geburtstag. An der Parade, die ihr zu Ehren veranstaltet wird, findet sie keinen rechten Gefallen. Sie wartet sehnsüchtig auf die Heimkehr ihres Vaters. Er war zu König Arch von Grenzland gereist, um ihn für eine Allianz gegen Redd zu gewinnen, deren Truppen sich Berichten zufolge zum Angriff rüsten. König Nolan wird jeden Moment zurückerwartet, doch Alyss’ Vater kommt nicht nach Hause – niemals mehr. Redds Soldaten haben ihn und seine Männer niedergemetzelt. Danach stürmen sie den Palast, ermorden die Königin und jeden, dessen sie habhaft werden können. Mac Rehhut, der Leibwächter der Königin, packt Alyss und springt mit ihr in den Spiegel. Doch im Teich der Tränen werden die beiden getrennt. Mac Rehhut landet im Paris des Jahres 1895 und Prinzessin Alyss im viktorianischen London.

– Vor zwölf Jahren hatten scheußliche Massaker die Türschwelle eines jeden Wunderländers mit Blut besudelt.-
1.Teil

Ihr kennt doch sicher die Geschichte von Alice im Wunderland. Bestimmt habt Ihr irgendwann einmal das Buch von Lewis Carroll gelesen oder eine Verfilmung davon gesehen. Erinnert Ihr Euch an die Königin, die jeden, der ihr widersprach, umbringen lassen wollte, und die ständig “Kopf ab, Kopf ab” rief? Die war witzig, nicht??? Wenn Ihr das denkt, dann solltet Ihr einmal Alyss fragen, wie es war, als Redd mit ihrer Mordtruppe den Palast stürmte und jeden töten ließ, der sich ihr in den Weg stellte. Fragt sie, wie es war, als der grinsende Kater den Hauptmann der Palastgarde mit einem Prankenhieb zerfetzte. Ihr könnt versichert sein: Das war nicht witzig! Gott sei Dank blieb Alyss es erspart, mit ansehen zu müssen, wie ihre Tante Redd ihrer Mutter eigenhändig den Kopf abschlug.
Reverend Dodgson hat gewußt, wie es war, als er Alice’ Abenteuer unter der Erde schrieb, das Buch, das er später unter dem Pseudonym Lewis Carroll veröffentlichte und das unter dem Titel Alice im Wunderland weltberühmt wurde. Alyss hat ihm ihre wahre Geschichte erzählt, damals bei dem Ausflug, als sie als Adoptivtochter bei den Liddells lebte und “Alice” genannt wurde. Aber er hat ihr nicht geglaubt, er hat sogar ihren Namen falsch geschrieben, wie alle anderen in der realen Welt auch und er hat es vorgezogen, eine alberne Geschichte für Kinder daraus zu machen. Reverend Dodgson hat sich über Alyss lustig gemacht und sie hintergangen. Erst viel später hat ein anderer die wahre Geschichte von Alyss im Wunderland aufgeschrieben. Sein Name ist Frank Beddor und er hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert.
Alyss wahre Geschichte ist aufregend, blutig und nichts für schwache Nerven, doch sie ist auch voller Hoffnung, denn neben all den Grausamkeiten, die sie beschreibt, erzählt sie auch vom Sieg der Weißen Phantasie über das Böse. Spannend und atemberaubend schildert Beddor in Das Spiegellabyrinth (The Looking Glass Wars) den Kampf zwischen Alyss und ihren Getreuen und der abgrundtief bösen Redd und deren Verbündeten, aber er vermag auch die leisen Töne anzuschlagen. Er benötigt nur wenige Worte, um den Leser an der Traurigkeit des Leibwächters teilhaben zu lassen, wenn er über eine junge Frau schreibt, die die zu Redds Mordtruppe gehörenden Gläserne Augen abgeschlachtet haben: Mac hatte sie sehr gern gehabt. In diesen sechs Wörtern steckt eine ganze wunderbare Liebesgeschichte.

Die Figuren und Schauplätze aus Carrolls Romanen sind leicht wiederzuerkennen, aber dennoch anders, allen voran Alyss. Alyss ist hier im Wunderland zu Hause. Wie alle Frauen ihrer Familie kann sie mit Hilfe ihrer Phantasie Dinge erschaffen. Die Quelle aller Schaffenskraft ist der Herzkristall, ein riesiger Edelstein. Was in ihm aufgeht, regt in anderen Welten die Phantasie an. Alyss muß lernen, ihre Phantasie zu kontrollieren. Dabei hilft ihr der Hauslehrer Nanik Schneeweiß, dem Carroll als hektisches weißes Kaninchen ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt hat. Der verrückte Hutmacher wird zum Modisten Mac Rehhut, Genevieves und Alyss’ Leibwächter, der über ein tödliches Waffenarsenal verfügt.
Die Cheshire-Katze ist Redds rechte Hand, ein grausamer und gnadenloser Killer mit neun Leben. Erleidet er eine tödliche Verletzung, schließt sich die Wunde, der Kater erhebt sich und mordet weiter. Redd hat ihn auf Alyss angesetzt.
Beddor vermischt aber nicht nur seine Fiktion mit der Carrolls, sondern er webt auch die Realität kunstvoll in seine Geschichte ein. Carrolls Roman ist tatsächlich entstanden, nachdem Reverend Dodgson mit der zehnjährigen Alice Liddell und ihren Schwestern einen Boots-Ausflug unternommen hatte. Alyss’ Situation bei den Liddells schildert Beddor sehr real. In dieser Familie wird sie zu Alice, einem normalen Mädchen, dem seine Phantasie von den Eltern ausgetrieben wird. In dem Maße, in dem Alice ihre Phantasie verliert und ihre Erinnerungen an das Wunderland verblassen, verringert sich auch die Hoffnung der Wunderländer auf die Befreiung von Redds Gewaltherrschaft durch Prinzessin Alyss. Es gibt auch Wunderländer, die sich mit der neuen Herrin arrangieren. Der Karobube wird zum widerwärtigen Opportunisten und löst im Leser den heftigen Wunsch aus, ihn bei zukünftigen Kartenspielen schnellstmöglich loszuwerden.
Unterdessen erhält Alice in der Realität einen Heiratsantrag von Prinz Leopold, einen Sohn Königin Viktorias. Das ist ein unglaublicher und einzigartiger gesellschaftlicher Aufstieg für ein Waisenkind von zweifelhafter Herkunft. Wenn der Leser anfängt ernsthaft zu überlegen, ob Alice Liddell tatsächlich einen Sohn Queen Victorias geheiratet hat, dann weiß er endgültig, daß ihn “die wahre Geschichte” der Alice im Wunderland in ihren Bann geschlagen hat.

Cover von Die Spur des Seketi von Gesa HelmDie Schicksale von gut einem Dutzend Menschen sind auf mystische Weise miteinander verwoben. Im Zentrum der Geschichte stehen die Geschwister Maijsa, Tisme, Tihon und Hoan, die einer Färberfamilie aus Gachten entstammen. Ihre Lebenswege sind ungewöhnlich und werden von den Machtkämpfen rivalisierender, ehrgeiziger Adliger beeinflußt. Aber nicht nur die politische Realität bestimmt das Leben der Geschwister, sondern auch ein Dämon: Der Seketi, ein wolfsähnliches Raubtier. Tisme gelangt als kleines Mädchen in den Besitz einer geschnitzten Figur, die diesen Dämon darstellt und sie hat nach einem Unfall eine Narbe, die wie ein Tatzenabdruck aussieht. Das verbindet ihr Schicksal mit dem des Kajec, einem Glasmacherlehrling, der als Sklave in den Bleiminen landet, später ein Rädchen im Getriebe der politischen Intrigen wird und der als Junge von seinem Onkel unter das Zeichen des Seketi gestellt wurde.

– In Nehrasaxar, an dessen langer Küste der Wind stets gegenwärtig ist, gibt es ein Sprichwort: “Alles trägt der Wind davon – Blätter, Ziegel und die Last der Gedanken”.-
Gedanken auf einer Terrasse

Die größte Schwierigkeit bei der Lektüre des Buches besteht für den Leser darin, sich zunächst einmal zu orientieren und einen Überblick zu gewinnen, wer die Hauptpersonen der Geschichte sind und wovon der Roman eigentlich handelt. Fremd klingende Namen und Bezeichnungen für Personen, Titel, Länder und Städte, Gegenstände und Speisen; Rückblicke, Vorausdeutungen, wechselnde Namen für ein und dieselbe Person und verschiedene Erzählperspektiven machen es dem Leser nicht gerade leicht, schnell einen roten Faden zu finden. Aber dank des ausführlichen Glossars lichten sich früher oder später die Nebel und man fragt sich beschämt, warum man mit Sätzen wie Und so erfährt man, daß ein Solargenetzu zweihundert Undeten in Gold an den hochgeborenen Niaketer Hes Phogas zu übermitteln hatte, bestimmt für die Wagnerin Zitanucha kahatan Batwanes in Kehestre. Der Auftrag war von Banaikxo Kehestrezu erteilt worden, >geschworenen Mann des Hinehniak und Hes Niaketer als solcher bekannt< je irgendwelche Schwierigkeiten hatte und warum man die Erläuterung zu Pekeiraz (>gehen + Anstieg + ich<. Z’Pekeiraz, HiasPekeiraz, Zuname Sarinai, Schimpfname >Einäugiger Dämon<), Nehri aus Sarine, ZMiach, Ringträger der P’Mesam und TesMesam, Absolvent der Hohen Schule (Z’Mes), Dreiringträger, Vertrauter Gachots, Gildenmeister Gachtens, ab 273 Hias Sarkach und Siegelträger, ab 280 Statthalter Zabgas, nach Attentat einäugig; verfaßte zum Vergnügen gel.Verse (Beispiele in der Beshechsiach-Samllung Gachten); ab 289 Najajaz-Name Okanateros, Händler in Pahija, ab 296 erster Kanzler von Kajx; 246-325 zunächst als nicht wirklich hilfreich empfand.
Hat man diese Hürde erst einmal genommen, darf man sich an einem spannenden, epischen Roman erfreuen.

Die Handlung spielt in den fiktiven Regionen Banahicha und Nehra. Die Welt ist mittelalterlich, es gibt noch keine funktionierenden Handfeuerwaffen und erst recht keine Industrie. Aufgrund der fremdartigen Namen erinnert sie an Kulturen, wie man sie zum Beispiel im asiatischen Teil Rußlands findet. Keinesfalls ist diese Welt unser europäisches Mittelalter, wie man es aus Ritterfilmen kennt.
Magie hat einen bedeutenden Anteil am Leben der Menschen, sie ist aber kein plakativer Hokuspokus. Manchmal scheint sie nur geschickt eingesetzte Psychologie zu sein. So glauben die Nehri an Namensmagie, also daran, daß der Name eines Menschen den Träger beeinflußt. Eine andere magische Technik ist das Spiegeln, dabei verstärkt man das Gefühl eines anderen. Wenn jemand einen Auftrag nicht pflichtgemäß erledigt, dann hat er zumindest ein geringes Schuldgefühl. Jemand, der sich auf das Spiegeln versteht, würde das vorhandene Schuldgefühl so sehr verstärken, daß er sicher sein kann, daß der Auftrag das nächste Mal zu seiner Zufriedenheit erledigt wird. Es gibt aber auch unberechenbarere Arten von Magie: Dämonen beeinflussen das Leben der Menschen zum Guten oder zum Schlechten hin und manche Menschen opfern sich durch rituellen Selbstmord einem Gott und werden dann zu Seitjihinx, machtvollen Geistwesen, die freundlich oder bösartig sein können.

Die Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Die Erzählerin ist eigentlich Historikerin, der Roman ist aber nicht das Ergebnis ihrer wissenschaftlichen Arbeit, sondern sie schreibt auf, was sie in Visionen, also auf magische Weise, erfahren hat. Das erklärt auch die Komplexität des Romans. Als Leser hat man den Eindruck, das Entstehen eines riesigen Gobelins zu verfolgen, die Stickerin fertigt das Motiv in der linken oberen Ecke, dann ein anderes am rechten Rand, dann eines in der Mitte und je mehr die Künstlerin fortschreitet, um so mehr erkennt der Betrachter wie alles zusammenhängt und am Ende steht er vor einem farbenprächtigen Kunstwerk, in dem sich jeder Stich harmonisch mit den anderen zusammenfügt. Gesa Helm erzählt in ihrem Roman viele Geschichten: die von Maijsa, die sich aus Unerfahrenheit in den falschen Mann verliebt und schließlich zur Retterin des Erben Gachtens wird, die von Tisme, die sich für eine Dämonenfreundin hält und unerschütterlich daran glaubt, daß alles gut werden wird, die von dem verschlagenen Kajec, der schon als Kind von allen beschimpft wurde, weil seine Mutter trank und der als Erwachsener hart und gewalttätig ist, die von der gelähmten Setajnij, die sich für ihren Bruder Banaikxo opfert, der später Bekanntschaft mit Kajec machen wird, sie erzählt die Geschichte von Pekeiraz, einem machtgierigen Emporkömmling und die seines Schreibers Stani, der ein Freund von Hoan ist, dem Bruder Tismes und Maijsas. Auf derartige Weise sind all diese Menschen miteinander verbunden und beeinflussen das Schicksal der anderen, oft, ohne es zu wissen. Am Ende fügen sich alle Erzählstränge harmonisch zusammen, auch wenn einige Fragen offen bleiben und es ist erstaunlich, wie Gesa Helm die verschiedenen Geschichten über fast neunhundert Seiten spinnt, ohne sich in ihrem eigenen Gespinst zu verheddern oder logische Fehler zu begehen.
Es gibt aber einen Fehler im Buch: Der Rezensent hat auf der Karte eine halbe Stunde nach Gachten gesucht, dem zentralen Ort des Romans. Ergebnis: Gachten ist auf der Karte nicht verzeichnet. Dort wo die Stadt sein müßte, am Zufluß des Deseb prangt nur ein dicker schwarzer Punkt, ohne Ortsbezeichnung.

Cover von Stadt der Heiligen & Verrückten von Jeff VanderMeerDie Stadt der Heiligen & Verrückten ist ein Kompendium der Stadt Ambra. Die Geschichte der Eroberung Ambras wird genauso geschildert wie der Aufstieg der Hoegbottons zur einflußreichsten Familie der Stadt oder die Schicksale einzelner ihrer mehr oder weniger berühmten Bewohner. Außerdem enthält das Buch eine Abhandlung über den Königskalmar, der eine besondere Rolle in Ambra spielt, samt einer ausführlichen Bibliographie zu diesem Thema.

– Dradin, verliebt, unterm Fenster seiner Liebsten, wie er zu ihr hochstarrt, indes die Menge rings um ihn brandet und braust, ihn anrempelt, ihm blaue Flecke verpaßt, allesamt unabsichtlich, die derbgekleideten, leuchtend rot geschminkten Tausende.-
Dradin verliebt

Allein die akribisch zusammengestellte Bibliographie mit ihren 264 (!) Titeln ist schon fünf Sternchen wert. (Die Redaktion von bp interessiert sich brennend für die nur schwer erhältlichen Bücher “Die Folterkalmare mischen ein paar Priester auf”, und “Die Folterkalmare schmoren im Knast”, beide geschrieben von Vivian Price Rogers und erschienen in der Kleine Bücher/Große Träume Verlagsgesellschaft. Rezensionsexemplare bitte an die bekannte Adresse. Danke!) Allerdings werden Leser, die keine besondere Affinität zu Königskalmaren haben, die anderen Kapitel des Buches für spannender halten, z.B. die Geschichte der Eroberung Ambras, dargestellt in “Hoegbottons Führer zur Frühgeschichte der Stadt Ambra”. Dort wird erzählt, wie der Walfänger und Pirat Katten John Manzikert die Siedlung am Mott-Fluß eroberte und was danach geschah. Manzikerts Vorgehensweise ist der der spanischen Eroberer Südamerikas nicht unähnlich, doch muß er einen furchtbaren Preis dafür zahlen, denn wie sich bald herausstellt, wissen die Ureinwohner, die Grauhüte, sich zu wehren und auch wenn sie die Übernahme ihrer Heimat letztlich nicht verhindern konnten, so ist ihr Widerstand auch in der ambraischen Gegenwart nicht gebrochen – ganz im Gegenteil.

Die Geschichte von der Verwandlung des Martin See ist ebenfalls hochspannend und gleichzeitig eine herrliche Satire auf den Kulturbetrieb. Der Maler Martin See erhält die Einladung eines Unbekannten zu einer Enthauptung, mit der Aufforderung kostümiert zu erscheinen. Bis der Künstler zur verabredeten Zeit im Hause seines mysteriösen Gastgebers erscheint, hat er dem Leser die Gelegenheit gegeben, sich über einen arroganten Kunstkäufer und eine blasierte, ignorante und geschäftstüchtige Galeristin lustig zu machen oder sich über den Kampf der Roten und Grünen zu amüsieren. Die Roten betrachten den Tod des kürzlich verstorbenen großen Komponisten Voss Bender als Segen, die Grünen jedoch als Katastrophe. Beide Parteien vertreten ihre Ansichten fanatisch und vehement. Doch als See über die Schwelle des Hauses tritt ist Schluß mit lustig – das “Kostümfest” endet grausam.

Auch Der Käfig enthält Grausamkeiten, die sensible Gemüter dazu verleiten mögen, zeitweise mit vor die Augen geschlagenen Händen weiterzulesen und vorsichtig zwischen den Fingern hervorzuspähen, nur um festzustellen, daß es in dieser Geschichte nicht nur gewalttätig, sondern auch unheimlich zugeht. Hoegbotton kauft das Inventar einer Anwaltsfamilie auf. Der Vater hat sich umgebracht, infolgedessen sind Mutter und Sohn gezwungen ihr Eigentum zu Geld zu machen. Unter anderem erwirbt Hoegbotton einen leeren Käfig und nimmt ihn mit nach Hause. Doch seine blinde Frau ist fest davon überzeugt, daß ihr Mann ihr ein Haustier mitgebracht hat, schließlich kann sie es in dem Käfig ganz deutlich hören…

Dradin verliebt ist eine weniger grausame und unheimliche Geschichte, doch Freunde von Hoffmanns Erzählungen werden ihre Freude daran haben. Sehr religiöse Menschen könnten sich allerdings von dem dort auftretenden lebenden Heiligen vom Orden der Ejakulation unangenehm berührt fühlen.

Falls sich der geneigte Leser jetzt fragt, ob Ambra denn wirklich existiert und ob die in diesem Buch gesammelten Geschichten alle wahr sind, dann möge er Der seltsame Fall von X lesen, danach wird er es auch nicht wissen, denn Jeff Vandermeer spielt virtuos mit Realität, Fiktion und Wahnsinn und zwar nicht nur in dieser Erzählung.

Cover von Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers Hildegunst von Mythenmetz, ein Jungspund von 77 Jahren, Bewohner der Lindwurmfeste und Ich-Erzähler dieses Romans, kommt nach Buchhaim, um den genial begabten Dichter eines Manuskriptes ausfindig zu machen, das ihm sein Dichtpate Danzelot von Silbendrechsler auf dem Sterbebett vermacht hat. Buchhaim ist eine Stadt, deren Bewohner für Bücher und von Büchern leben. Hier drängt sich Buchladen an Buchladen, Verlagssitz an Verlagssitz und Lesestube an Lesestube. Seine Suche führt Hildegunst in das Labyrinth unter der Stadt, in dem Buchjäger noch heute auf der Jagd nach kostbaren Büchern sind und in dem tödliche Gefahren lauern.

– Hier fängt die Geschichte an. Sie erzählt, wie ich in den Besitz des Blutigen Buches kam und das Orm erwarb. Es ist keine Geschichte für Leute mit dünner Haut und schwachen Nerven – welchen ich auch gleich empfehlen möchte, dieses Buch wieder zurück auf den Stapel zu legen und sich in die Kinderbuch-Abteilung zu verkrümeln.-
Eine Warnun

Beinahe wäre dieses Buch nicht besprochen worden. Der Rezensent hat schon öfter angedeutet, daß er eher zu den schreckhaften Naturen gehört und lange hat er sich überlegt, ob er sich nicht die Warnung zu Herzen nehmen soll und lieber auf die Lektüre des Buches verzichtet: Ja, ich rede von einem Ort, wo einen das Lesen in den Wahnsinn treiben kann. Wo Bücher verletzen, vergiften, ja, sogar töten können. Nur wer wirklich bereit ist, für die Lektüre dieses Buches derartige Risiken in Kauf zu nehmen, wer bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um an meiner Geschichte teilzuhaben, der sollte mir bis zum nächsten Absatz folgen. Allen anderen gratuliere ich zu ihrer feigen, aber gesunden Entscheidung, zurückzubleiben. Macht’s gut, ihr Memmen! Ich wünsche euch ein langes und sterbenslangweiliges Dasein und winke euch mit diesem Satz Adieu!
Ach, was soll’s! Wer schon als Kind mit Hagen von Tronje in Etzels brennendem Saal gestanden hat, mit Odysseus dem Zyklopen entronnen ist und wer unter verschiedenen Piratenkapitänen gedient hat, wird ja wohl auch die Lektüre dieses Buches unbeschadet überstehen,—hoffentlich.

Nun denn, der Rezensent machte sich ans Werk und bald schon, es muß leider gesagt werden, fühlte er eine leise Enttäuschung in sich aufsteigen. Ja, Die Stadt der Träumenden Bücher ist ein phantasievoller Roman, witzig, originell, mit wunderbaren Illustrationen, die intelligente Parodie eines Entwicklungsromans und eine gnadenlose Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, mit Literaturagenten, Schriftstellern und natürlich Kritikern. Aber wo bitte bleibt die nervenzerfetzende, versprochene Spannung? Eine Schreckse, eine einäugige, weiße Fledermaus, ein Trompaunenkonzert, alles ganz nett, aber ist das schon alles, was Mythenmetz an Schrecken zu bieten hat??? Nein, ist es nicht!!! Hildegunst von Mythenmetz wird das Opfer eines heimtückischen Anschlages. Er fällt in Ohnmacht, ihm wird schwarz vor Augen -und dem Leser auch. Wenn beide wieder klarer sehen, geraten sie in die spannendsten, gefährlichsten, unglaublichsten und schreckenerregendsten Abenteuer, die die Katakomben von Buchhaim zu bieten haben. Machen Sie sich auf furchtbare Begegnungen mit Bücherjägern, Spinxxxxen, Harpyre, Kannibalen, Gefährlichen Büchern, dem Schattenkönig und den Schrecklichen Buchlingen gefaßt. Falls Sie bei der Nennung dieser Namen noch nicht blaß um die Nase geworden sind, dann waren Sie noch nie in Zamonien. Allerdings muß der Rezensent gestehen, daß er sich auf Anhieb in die Schrecklichen Buchlinge verliebt hat. Plötzlich war er bereit, diesem Roman allein wegen der Buchlinge sechs, sieben, acht oder gar Trilliarden Sternchen zu verleihen und er möchte unbedingt mehr über diese Kerlchen lesen: BUCHHAIM, BUCHHAIM, BUCHHAIM!!!!!! (lieber Leser, achten Sie gar nicht auf das Fettgedruckte, es ist nur ein kleiner interner Hinweis für den Übersetzer des Buches, oder ist es ein Zeichen des beginnenden Wahnsinns????)

Jeder Buchling wählt sich einen zamonischen Schriftsteller aus, dessen Namen er trägt und dessen Werke er auswendig lernt. Das Besondere daran ist: zwischen den zamonischen Schriftstellern und den Autoren unserer Realität gibt es einen Zusammenhang und es macht einen Wahnsinnsspaß (schon wieder “Wahnsinn”) herauszufinden, welchen. Man kann aber auch zur Verzweiflung getrieben werden, wenn es bei einigen nicht gelingt. Hier ein paar einfache Beispiele zum Üben: Ojahnn Golgo van Fontheweg, Gofid Letterkerl, Perla La Gadeon, Ali Aria Ekmirrner, Balono de Zacher und Sanotte von Rhüffel-Ostend.
Ach, der Rezensent könnte noch stundenlang erzählen, von der Haifischmade Phistomefel Smeik, von Colophonius Regenschein, von Rongkong Coma von der Bücherbahn der Rostigen Gnome, von Schloß Schattenhall und von vielem anderen. Aber er denkt ja gar nicht daran, er hat sich nicht mit Hildegunst von Mythenmetz in tödliche Gefahren gestürzt, damit andere davon profitieren, die nichts tun, außer gemütlich vor dem Computer zu sitzen. Wenn Sie die Geschichte der Stadt der Träumenden Bücher kennenlernen wollen, dann lesen Sie sie gefälligst selbst – wenn Sie sich trauen…

Cover zu "Der Sturm der schwarzen Pferde" von Marcus SedgwickVor langer, langer Zeit in einem fernen Land im Norden lebt der Stamm der Storn. Sie führen ein ruhiges Leben als Bauern und Fischer, fernab der großen Handelswege. Eines Tages brechen einige von ihnen zur Wolfsjagd auf; unter ihnen auch der junge Sigurd. Und er ist es, der ein kleines, zartes Mädchen aus der Wolfshöhle rettet.
Ganz offensichtlich lebte sie lange Zeit mit ihnen, denn sie ist mehr Wolfsjunges als Mensch. Die Storn nehmen das Mädchen in ihren Stamm auf und nennen es Maus. Aber wer ist sie wirklich? Woher kommt sie? Jahre später findet es Sigurd heraus. Die Entdeckung ihrer wahren Identität ist fürchterlich und lässt eine schreckliche Legende für die Storn wahr werden, die für den ganzen Stamm den sicheren Untergang bedeuten könnte.

-Es war Maus, die das Kästchen fand.-
Das Kästchen, Teil 1

Sedgwick weiß genau, wie man Spannung erzeugt. Schon nach dem ersten, knapp zwei Seiten langen Kapitel ist klar, dass unheimliche Dinge vor sich gehen und das Dorf in großer Gefahr schwebt. Dieses schlichte und dennoch schöne Kästchen wird Unheil bringen wie die Büchse der Pandora, soviel ist sicher, doch welche Gefahren genau von ihm ausgehen, bleibt vorläufig im Dunkeln. Erst nach und nach enthüllt Sedgwick, welches Drama sich bei den Storn abgespielt hat. Dazu bedient er sich zweier Erzählperspektiven. Abwechselnd berichten ein allwissender Erzähler, und Sigurd als Ich-Erzähler, was sich damals ereignet hat. Auf diese Weise kann der Leser an Sigurds Gedanken und Gefühlen teilhaben, aber dank des allwissenden Erzählers besitzt er ihm gegenüber auch einen Wissensvorsprung. Er weiß, was in Maus vorgeht, die aufgrund ihrer übersinnlichen Fähigkeiten von dunklen Ahnungen gequält wird und sich auch aus anderen Gründen im Dorf zunehmend unwohl fühlt. Sigurd erfährt darüber nur das, was Maus ihm mitteilt. Der Sturm der schwarzen Pferde (The Dark Horse) erzählt von Machtkämpfen, Verrat, Loyalität, Mut, Magie, Liebe und enttäuschten Gefühlen. Mehr zu verraten wäre schade, denn auch, wenn man zu ahnen beginnt, wodurch das Dorf bedroht wird, ist das Ende kaum vorhersehbar.

Ein, zwei kleinere Schönheitsfehler stören manchmal die Atmosphäre des Buches. Die Storn sind entweder Germanen oder sesshaft gewordene Wikinger, Sedgwick legt sich da nicht so genau fest, jedenfalls handelt es sich um einen nordischen Stamm aus grauer Vorzeit. Wenn Maus ihren Ziehbruder aber, anstatt ihn Sigurd zu nennen, wiederholt mit “Siggi” anredet, dann wähnt man sich eher bei einer feuchtfröhlichen Betriebsfeier, bei der die Sekretärin mit ihrem Chef gerade Brüderschaft getrunken hat, und nicht in einer alten nordischen Sagenwelt. Auch benutzt der Autor moderne Maßeinheiten. Der Erzähler berichtet, dass Sigurd zwei oder drei Kilometer läuft oder dass in etwa sechs Sekunden alles vorbei (war). Zwar ist er “allwissend”, aber dennoch stören diese anachronistischen Angaben. Kein Germane oder Wikinger hatte eine Vorstellung davon, wie lange etwa sechs Sekunden dauern.

Cover von Teufels Werke von Witali RutschinskiMoskau, Ende der achtziger Jahre, zur Zeit der Perestroika. Der junge Schriftsteller Jakuschkin ist frustriert: Niemand will seinen Roman veröffentlichen. Als Jakuschkin feststellt, daß der Dramaturg Sutenewski ihm sein Manuskript ungelesen zurückgegeben hat, obwohl er dreist behauptet, es gelesen zu haben, platzt dem Schriftsteller der Kragen. Im Haus der Literaten haut Jakuschkin Sutenewski die Mappe mit dem Roman über den Kopf. Daraufhin wird er festgenommen. Da naht unerwartet Hilfe. Jakuschkin schließt einen Pakt mit dem Teufel. Der erfolglose Autor verbrennt sein komplettes Manuskript und dafür wird eine seiner Romanfiguren lebendig. Kusja, das Kaninchen, treibt fortan in Moskau sein Unwesen. Jeder, der von ihm in den Finger gebissen wird, erforscht sein Gewissen und erzählt in aller Öffentlichkeit von den Schandtaten, die er in seinem Leben begangen hat. Das hat katastrophale Folgen.

– Vor Moskaus bedeutendstem Theater, das im ganzen Land und sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, tauchte eines Abends um acht oder, um genauer zu sein, um 19.45 Uhr ein junger Mann auf.-
1. Kapitel Jakuschkin, die Zerberuska und so manch anderer

Der Untertitel des Buches lautet “Ein Roman um Bulgakows Der Meister und Margarita” und so muß der Literaturkenner nicht lange überlegen, wo er ähnliches schon einmal gelesen hat. Die Personen, die Moskau ins Chaos stürzen, sind dieselben wie in Bulgakows Roman: Der Teufel, der sich Voland nennt und seine Gehilfen, Kater Behemoth, Korowjew und Asasello. Auch vieles andere kommt dem Leser bekannt vor: Das Treffen an den Patriarchenteichen, der Roman im Roman, der Ritt auf dem Hexenbesen, der Silvesterball und der große Auftritt Volands, der diesmal nicht im Theater, sondern im Kreml stattfindet, wo der Teufel wieder zahllose wertlose Geldscheine unter den Anwesenden verteilt. Nur die Zeit ist eine andere. Witali Rutschinski nimmt mit seiner gelungenen Satire Gorbatschows Rußland aufs Korn, in dem es nicht weniger korrupt zugeht als in der von Stalin regierten Sowjetunion und das offensichtlich nicht viel anders ist als das zaristische Rußland, denn die Aufständischen der Oktoberrevolution revoltieren munter weiter, als sie durch einen Zeitspalt in die Gegenwart geraten. Rutschinski spottet auf höchst amüsante Weise über Moskaus Kulturbetrieb, über die Rivalitäten zwischen Miliz und Geheimdienst, über die herrschende Kaste, über russische Naturwissenschaftler und über deutsche Wirtschaftsberater. Teufels Werke (Woswraschtschenije Wolanda, ili Nowaja djawoliada) wäre ein perfekter Roman, dem fünf Sternchen gebührten, wenn es nicht das große Vorbild gäbe, dem er nacheifert. Der Meister und Margarita ist ein geniales Werk. Rutschinski gelingt es in seiner Hommage daran nicht, dem Original etwas Neues hinzuzufügen, das über Bulgakows Roman hinausweist. Er nutzt “nur” den Vorteil der vergangenen Zeit, der es ihm ermöglicht z.B. den Silvesterball, der diesmal den Tyrannen gewidmet ist, hervorragend in Szene zu setzen und der natürlich auch dafür sorgt, daß Rutschinski sich über das im Umbruch befindliche Rußland lustig machen kann. Er ist ein ausgezeichneter Epigone – aber nicht mehr.
Man muß Der Meister und Margarita nicht gelesen haben, um Teufels Werke zu verstehen, doch steigert es das Lesevergnügen, wenn man mit dem Original vertraut ist.

Cover von Tintenherz von Cornelia FunkeDie zwölfjährige Meggie wohnt mit ihrem Vater Mo, einem Buchbinder, auf einem alten Bauernhof. Beide sind wahre Leseratten und die Bücher stapeln sich im ganzen Haus. In einer regnerischen Nacht sieht Meggie eine dunkle Gestalt im Garten stehen. Doch bald stellt es sich heraus, dass der Fremde Mo’s alter Freund Staubfinger ist, der gekommen ist, um ihn vor Capricorns Männern zu warnen. Diese ebenso bösartigen wie gnadenlosen Schurken sind hinter einem Buch her, das Mo gehört. Meggie versteht das nicht. Wer ist Capricorn? Was ist an diesem Buch so besonders? Und warum nennt Staubfinger ihren Vater “Zauberzunge”? Am nächsten Tag bringt Mo Meggie und das geheimnisvolle Buch zu Tante Elinor, die in ihrem Haus Tausende Bücher hortet, aber es nützt nichts: Capricorns Männer spüren sie auf…

– Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später mußte Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte sie ihn wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften. Irgendwo in der Dunkelheit bellte ein Hund, und Meggie konnte nicht schlafen, so oft sie sich auch von einer Seite auf die andere drehte.-
Ein Fremder in der Nacht

Es ist einfach ein rundum gelungenes Buch. Lesen Sie’s und Sie werden es schon merken. Aber wenn ich mich so kurz fasse, bekomme ich Ärger mit der Redaktion ;-), deshalb also ein bißchen ausführlicher: Am Anfang fand ich Tintenherz ganz nett und als Mo und Meggie bei Tante Elinor wohnen, dachte ich, jetzt könnte die Geschichte mal bitte ein bißchen an Fahrt gewinnen. Genau in diesem Moment wurde der Roman so spannend, daß ich ihn nicht mehr aus der Hand gelegt habe, bis ich ihn ausgelesen hatte und bei der Lektüre habe ich dreimal eine Gänsehaut bekommen. Ich lese durchschnittlich drei Bücher in der Woche, eine Gänsehaut bekomme ich dabei höchst selten und für gewöhnlich nicht bei Kinderbüchern. Dieser Roman ist eine Hommage ans Lesen. Er macht deutlich, welchen Zauber Bücher auf Menschen ausüben und welche Macht gute Schriftsteller besitzen.

Die Charaktere sind voller Leben und es gibt für jeden Leser eine Figur mit der er sich identifizieren kann. Da ist Mo, ein Vater, wie ihn sich jedes Kind nur wünschen kann; Meggie, die beherzt und tapfer ist, auch und gerade, wenn sie Angst hat und in gefährlichen Situationen steckt; die dicke, resolute Tante Elinor, die glaubt, dass man Gangstern am besten die Polizei auf den Hals hetzt und die von den Ordnungshütern ständig enttäuscht wird; Staubfinger, ein Gaukler, der sich nach seiner Heimat sehnt; Farid, ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge, der einer Räuberbande entkommen ist; Fenoglio, ein Großvater mit Schreibtalent; und falls Sie ein Haustier besitzen, das lesen kann, dann wird es sich wahrscheinlich mit Gwin, einem kleinen Marder identifizieren. Sie alle nehmen den Kampf gegen Capricorn und seine finsteren Gesellen auf und jeder von ihnen wird gebraucht, um ihn zu gewinnen.

Mehr kann ich über den Inhalt des Romans nicht schreiben, sonst müsste ich einen Spoiler an den anderen hängen. Stattdessen möchte ich noch etwas über die Aufmachung des Buches sagen: Jedem Kapitel ist ein Zitat aus einem anderen Buch vorangestellt, das einen Hinweis darauf gibt, worum es in diesem Kapitel geht. Auch in der Geschichte werden andere Bücher erwähnt. Für Vielleser sind diese Bezüge sehr reizvoll, Kinder, die noch nicht so viel gelesen haben, verstehen den Roman aber auch, wenn sie z.B. mit der Erwähnung von “Indianer Joe” nichts anfangen können. Das, was man aus anderen Kinderbüchern wissen muss, um die Geschichte zu verstehen, wird in den Roman eingeflochten. Am Ende jeden Kapitels gibt es eine kleine Illustration. Außerdem ist das Cover sehr schön gestaltet. Das Buch hat ein Lesebändchen, denn wie Tante Elinor Meggie erklärt, darf man Bücher nicht aufgeschlagen liegen lassen, weil man ihnen sonst den Rücken bricht, und es hat ein dunkelrotes Vorsatzblatt. Es müssen dunkle Vorsatzblätter sein, meint Mo, und am besten dunkelrote, wenn man ein solches Buch aufschlägt, dann ist es als ob im Theater der Vorhang aufgeht. Und damit hat er vollkommen Recht…

Cover von Tochter des Windes von Elizabeth HaydonDie ehemalige Prostituierte Rhapsody flieht vor einem gewalttätigen Freier. Sie trifft auf den Meuchelmörder Achmed und den monströsen Riesen Grunthor, die auf der Flucht vor einem Dämon sind. Die drei schließen sich zusammen. Um ihren Verfolgern zu entgehen, steigen sie in das Erdinnere hinab und geraten schließlich in eine andere Welt.

– Meridion setzte sich an den Zeit-Editor und fing an zu arbeiten. –
Meridion

Dieser Roman ist vom Anfang bis zum Ende eine sprachliche Katastrophe und eine Zumutung für den Leser. Der Erzählstil ist dem Sujet völlig unangemessen und selbst für eine Liebesschmonzette zu schwülstig. Die Sätze sind umständlich konstruiert und die Autorin benutzt häufig Wörter und Wendungen, die im Kontext der Erzählung anachronistisch sind. Die Dialoge sollen oft einen witzigen oder ironischen verbalen Schlagabtausch darstellen, sie wirken aber bemüht und sind unnatürlich. So spricht einfach kein Mensch. Hier verschiedene Kostproben der sprachlichen Verirrungen: Als zwei Protagonisten Sex haben, glaubt die Autorin dem Leser folgendes mitteilen zu müssen: »Wie lange sie sich liebten, war aus Mangel an Vergleich oder Anhaltspunkten weder für sie noch für ihn nachzuvollziehen.« Der gewalttätige Freier sagt zu Rhapsody: »Ich träume fast jede Nacht von dir, und ich weiß, dir ergeht es ähnlich in Bezug auf mich.« Und um die Gefahr zu verdeutlichen, in der sich die Helden befinden, wählt Haydon folgenden Vergleich: »Als sich ihre Blicke trafen, verzogen sich beider Mienen zu einem Lächeln, wie es wohl auch in den Gesichtern von Schiffbrüchigen geschrieben stand, die, an irgendeinem Schwimmkörper festgeklammert, im Wasser trieben.«

Inhaltlich ist der Roman genauso schlecht wie sprachlich: Ein bißchen Edda, ein wenig König Artus-Legende, eine Prise keltische Mythen, die Sage von Atlantis und viel Naturmagie, das sind die Quellen aus denen die Autorin die Geschichte hauptsächlich zusammengeschustert hat. Die Handlung, die auf 150 Seiten Platz finden würde, wird auf 765 Seiten breitgetreten und strotzt nur so vor Längen. Die Charaktere sind unglaubwürdig. Mit keinem der Protagonisten kann sich der Leser identifizieren, daher kommt auch keine Spannung auf. Wenn Haydon Spannung erzeugen will, läßt sie die Bösewichte sich an Kindern vergreifen. Diese Szenen sind aber nur widerlich und abstoßend. Das Buch bewegt sich sprachlich wie inhaltlich auf unterstem Niveau und ist nur für Hardcore-Romantiker unter den Fantasyfans einigermaßen erträglich, aber auch die sind mit anderen Büchern besser bedient.

Cover des Buches "Trolle, Wichtel, Königskinder" von John Bauer (Illustrator)Trolle, Wichtel, Königskinder ist eine Sammlung von 29 Kunstmärchen verschiedener Autoren, die alle von John Bauer illustriert wurden. Nähere Angaben zum Inhalt findet Ihr in der Buchbesprechung.

-Allmählich wurde es ungemütlich für die Trolle im Großen Wald. Die Menschen verhielten sich immer aufdringlicher.-
Als sich die Trollmutter um die Wäsche des Königs kümmerte

John Bauers Märchenwelt ist in Schweden genauso beliebt wie es die Märchen der Brüder Grimm in Deutschland sind. Ihre große Beliebtheit verdankt die Sammlung aber nicht den in ihr enthaltenen Kunstmärchen bekannter und geschätzter schwedischer Autoren, sondern der Tatsache, dass der Jugendstilmaler John Bauer die Illustrationen dazu geschaffen hat. Ursprünglich erschienen diese Märchenbände jährlich von 1907 bis 1915. Als John Bauer den 1911 erscheinenden Band wegen eines Streits mit seinem Verleger nicht illustrierte, ging der Absatz schlagartig zurück.

Trolle, Wichtel, Königskinder (Bland tomtar och troll) ist ein wahres Kunstbuch. Natürlich soll man auch die Märchen lesen und vorlesen, die ebenso poetisch und stimmungsvoll sind wie die Bilder, aber es ist viel zu schade, um kleine Bücherwürmer unbeaufsichtigt mit ungewaschenen Fingern, unbeholfen und eselsohrgefährlich darin herumblättern zu lassen. 🙂

Die Märchen handeln -das wird Euch jetzt nicht völlig überraschen- von Trollen, Wichteln und Königskindern. Häufig tritt ein kecker, unbekümmerter junger Bursche auf, der einem gefährlichen Troll mutig und listig ein Schnippchen schlägt, es gibt aber auch einen kleinen Jungen, der einen Troll, der ihm übel will, mit seiner Zutraulichkeit und seinem Vertrauen außer Gefecht setzt und ein kleines vierjähriges Mädchen, das mit denselben Charaktereigenschaften einen verbitterten König erweicht. Manche Trolle sehnen sich nach der Menschenwelt, aber die Erkenntnis, die in diesen Märchen steckt, lautet, daß Trolle und Menschen unter sich bleiben sollten. Oft lehren die Geschichten auch, daß wahres Glück, Zufriedenheit und Reichtum nur durch rechtschaffene Arbeit erworben wird und nicht durch magische Wunscherfüllung.
Das anrührendste Märchen trägt den Titel Agneta und der Seekönig. Die schöne Agneta heiratet den Seekönig, der auf dem Grunde des Sees wohnt und lebt glücklich und zufrieden mit ihm und ihren Kindern bis sie eines Tages Glockengeläut hört. Sie erbittet sich von ihrem Mann die Erlaubnis am Gottesdienst teilnehmen zu dürfen. Der Seekönig ist entsetzt, gestattet es ihr aber und nimmt ihr das Versprechen ab, wieder zu ihm und den Kindern zurückzukehren. In der Kirche sieht Agneta ihren Vater und fängt an zu weinen. Der Gottesdienst dauert lange und plötzlich sieht Agneta, wie sich die Heiligenbilder abwenden. Der Seekönig ist gekommen und bittet sie inständig, nach Hause zu kommen, die Kinder sehnten sich nach ihrer Mutter. Aber sie weist ihn mit heftigen Worten zurück und bleibt bei ihrem Vater.
Dieses Märchen von Helena Nyblom bildet mit den Illustrationen von John Bauer eine besonders gelungene Einheit. Es ist zum Erbarmen, wie traurig der Seekönig nackt in der Kirche vor seiner Frau steht. Obwohl man ihn nur von hinten sehen kann, ist die Traurigkeit dieses Mannes, mit dem gesenkten Kopf und den hängenden Schultern, mit Händen zu greifen. Der Seekönig steht vor seiner Frau wie Jesus vor dem Volk, das “Kreuziget ihn!” brüllt. Eigentlich erzählt dieses Märchen von der Verdrängung des heidnischen Glaubens durch das Christentum, aber die Sympathien des Lesers und des Betrachters liegen eindeutig bei dem heidnischen König.

Cover von Der Vampir von Tom HollandDie Literaturwissenschaftlerin Rebecca Carville ist auf der Suche nach dem einzig verbliebenen Exemplar der Memoiren Lord Byrons. Sie vermutet das Manuskript in der Krypta von St.Jude’s. Der Anwalt, der den Schlüssel zu der Krypta besitzt, gibt ihn nur widerstrebend an Rebecca heraus und warnt sie eindringlich davor, diesen Ort der Totenruhe zu betreten. Natürlich hält sich die junge Frau nicht an den gutgemeinten Rat. Das Manuskript findet sie trotzdem nicht, statt dessen macht sie die Bekanntschaft des berühmten Dichters, der doch eigentlich seit 1824 tot sein sollte. Lord Byron ist so freundlich, der Literaturwissenschaftlerin von seiner Existenz als Vampir zu erzählen.

– Mr. Nicholas Melrose, Vorstand seiner eigenen Anwaltskanzlei und ein angesehener Mann, ließ sich nicht gern aus der Fassung bringen.-
1. Kapitel

Je mehr der Leser über das Leben und Werk Lord Byrons weiß und je mehr Freude er an der englischsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts hat, um so mehr Spaß wird er an der Lektüre des Vampirs finden. Holland verbindet geschickt Episoden aus Byrons realer Lebensgeschichte mit dem fiktiven Vampirmythos. Ein besonderes Zuckerstückchen ist der “Gastauftritt” von Mary und Percy Shelley. Der Roman wäre ein sicherer Vier-Sternchen-Kandidat, wäre der Anfang von Byrons Erzählung nicht so langweilig. Sobald der Dichter die Szenerie betritt ist klar, daß er zum Vampir geworden ist. Da der Leser dies weiß, ist er nicht überrascht, wenn Byron Rebecca schildert, wie er in Griechenland auf höchst merkwürdige Wesen traf, die zwar wie Menschen aussahen, sich aber absonderlich benahmen. Während also der noch lebende und normalsterbliche Byron die Vampirgeschichten, die er hört, als Aberglauben abtut, wartet der Leser mit zunehmender Langeweile auf das, was mit Sicherheit kommen muß und selbstverständlich auch eintrifft: Lord Byron wird zum Vampir. Von nun an wird der Roman mit jeder Seite besser. Leider zieht sich der “Anfang” von Byrons Erzählung über knapp 200 Seiten und das ist für einen spannungsarmen, vorhersehbaren Auftakt ohne Überraschungen zu lang.
Tom Hollands Idee die gothic romance wiederzubeleben, indem er die berühmtesten Verfasser der englischen (Schauer-)Romantik zu den Helden seines Romans macht, ist originell, aber leider fehlt ihm die schriftstellerische Klasse seiner Protagonisten.

Cover von Der Vampir, der mich liebte von Charlaine HarrisSookie Stackhouse, 26 Jahre alt und Kellnerin von Beruf, hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Bill war ihr erster richtiger Freund, außerdem verlief die Trennung unter besonders unerfreulichen Umständen, deshalb fühlt sich Sookie ziemlich mitgenommen. Die Aussichten auf eine neue Beziehung sind eher gering, denn Sookie kann Gedanken lesen und das finden normale Männer eher abschreckend. Bill, den Vampir, hat diese Gabe nie gestört, Gedanken von Vampiren kann sie sowieso nicht lesen. Eigentlich ist Sookies Bedarf an Aufregungen für die nächste Zeit gedeckt. Aber es kommt noch schlimmer. In der Neujahrsnacht läuft ihr Bills Chef, der Vampir Eric, halbnackt und völlig verwirrt vor’s Auto. Er hat sein Gedächtnis verloren und nicht die geringste Ahnung, was mit ihm geschehen ist. Erics Stellvertreterin Pam kann Licht ins Dunkel bringen. Die skrupellose und mächtige Hexe Hallow will mit ihren Getreuen Erics Geschäfte übernehmen, außerdem forderte sie noch eine andere Dienstleistung, die der Vampir so schroff ablehnte, daß Hallow ihn wütend mit einem Fluch belegte. Daraufhin fand sich Eric in diesem derangierten Zustand auf der Straße wieder. Hallow hat für seine Ergreifung ein Kopfgeld ausgesetzt. Der Machtkampf zwischen Hexen und Vampiren hat begonnen. Sookie steckt unfreiwillig mitten drin und wäre dringend auf die Hilfe ihres Bruders angewiesen – doch der ist seit dem Neujahrstag verschwunden…

– Jetzt hätte ich meinen Bruder angerufen, wenn ich gewußt hätte, wo er war. Denn wenn du in deiner Küche ein Blutbad beseitigen mußt, hast du am liebsten die Familie um dich.-
Seite 300, Kapitel 13

Charlaine Harris gehört offensichtlich zu den Autoren, die das Vampir-Genre nicht sooo todernst nehmen. Das ermöglicht ihr, munter draufloszuschreiben und ihre eigene Vampirwelt zu erschaffen. Sie versucht erst gar nicht, berühmtere Kollegen wie Bram Stoker oder Anne Rice zu kopieren und das ist der Grund dafür, daß Der Vampir, der mich liebte (Dead to the World) ein witziger, unterhaltsamer Roman geworden ist und keineswegs eine kitschige Liebesschmonzette, wie der völlig verunglückte Titel vermuten läßt.
Die Geschichte spielt in Louisiana. Vampire leben offen unter den Menschen, seit die Untoten vor ein paar Jahren, am Abend der Großen Enthüllung, überall auf der Welt im Fernsehen auftraten, um von ihrer Existenz zu berichten. Dieser Schritt an die Öffentlichkeit wurde durch die Entwicklung von synthetischem Blut ermöglicht. Seitdem leben sie genauso mehr oder weniger einträchtig mit den Menschen zusammen wie es Menschen untereinander auch tun. Im Allgemeinen geht es friedlich zu, aber es kommt auch schon einmal zu unschönen Zwischenfällen wie z.B. Eifersuchtsdramen, Drogenhandel, Mord und Totschlag und die arme Sookie ist in diese unglückseligen Ereignisse immer wieder verstrickt, obwohl sie sich alle Mühe gibt, Ärger aus dem Weg zu gehen. Es gibt aber auch Angenehmes im Leben der Kellnerin. Der Sex mit Eric ist für sie himmlisch. Ja, der erstaunte Leser muß feststellen, daß es im modernen Louisiana keine doppeldeutige, schwüle Erotik gibt. Keine Frau gerät hier in ekstatische Verzückung, weil ein Vampir mit seinen spitzen Zähnen in ihre Halsschlagader eindringt. Diese Vampire können auch anders, sie besitzen tatsächlich die Fähigkeit, sich anderen weiblichen Körperregionen auf menschliche Weise zu widmen.
Die Sexszenen zwischen Sookie und Eric sind so detailliert beschrieben, daß hier eine deutliche Warnung ausgesprochen werden muß. Es könnte Leserinnen geben, die nach der Lektüre für die Männerwelt verloren sind. Bedenken Sie aber, meine Damen, daß es für Sie äußerst schwierig sein dürfte, einen Vampir wie Eric zu finden, der nebenbei gesagt, weitaus weniger charmant ist, wenn er seine Sinne beisammen hat und nicht gerade unter Gedächtnisverlust leidet.

Außer Vampiren gibt es in Louisiana auch noch andere nichtmenschliche Wesen, die den Schritt an die Öffentlichkeit aber vorerst noch scheuen. Sookie erkennt sie trotzdem. Es sind Werwölfe und andere Gestaltwandler, manchen von ihnen sollte man bei Vollmond lieber aus dem Weg gehen, einigen sogar in gewöhnlichen Nächten. Die meisten von ihnen sind harmlos, aber nicht mit allen ist gut Kirschen essen, vor allen Dingen nicht mit der mysteriösen Sippe, die draußen an der abgelegenen Kreuzung lebt und sich seit Generationen fast ausschließlich durch Inzest erhält – was das für Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben kann, ist ja allgemein bekannt.
Schließlich fällt dann auch noch dieser brutale Hexenclan in den Ort ein und natürlich kommt es zu einem erbitterten Kampf auf Leben und Tod.

Der Vampir, der mich liebte ist sicherlich kein raffiniert gestrickter, gruseliger, traditioneller Vampirroman, in dem die Untoten Menschen jagen, um ihr Blut zu trinken und Menschen Vampire, um sie zu vernichten und in dem von Zeit zu Zeit ein Protagonist der Faszination der jeweils anderen Welt verfällt. Charlaine Harris erzählt ihre Geschichte geradeheraus, in einer modernen Umgangssprache, mit Witz und Augenzwinkern, sie schmeißt viele der gängigen Klischees über nichtmenschliche Wesen über Bord, stattet Vampire wie Werwölfe und Gestaltwandler mit bisher nicht gekannten Eigenschaften aus und spinnt so einen höchst unterhaltsamen Roman.

Cover von Die verlassene Geschichte von Andrés IbáñezPrinz Adenar lebt in Amaula, im Lande des Ewigen Augenblicks. Sein Vater ist der regierende König und seine Mutter hat sich vor langer Zeit in einen Drachen verwandelt und ist fortgegangen. Aber das ist nicht schlimm, denn wenn man sich in Amaula mit einer geliebten Person in Verbindung setzen will, muß man nur an sie denken, dann wird man von ihr gehört. Doch Adenars Mutter antwortet nicht mehr, denn der Prinz ist von einer schrecklichen Krankheit befallen worden -der Langeweile. Deshalb hat er auch keinen Zutritt mehr zu seinem Gedächtnis. Das ist in Amaula eine Katastrophe, da es dort keine schriftlichen Aufzeichnungen gibt und die Einwohner sind des Lesens unkundig. Alles, was man sich merken möchte, legt man mit einer besonderen Technik in seinem Gedächtnis ab. Bücher sind seltene und kostbare Schätze. Prinz Adenar hat vor langer Zeit von seiner Mutter ein Buch geschenkt bekommen. Er hütet es, weil es ihn an sie erinnert, aber er kennt den Inhalt nicht. Magier wollen den Prinzen nach Saalpano schicken, doch er landet in der Stadt Floria. Dort behandelt man ihn in einer psychiatrischen Klinik und behauptet, er sei ein junger Mann, der sein Gedächtnis verloren habe. Weil er sich an seine eigene Identität nicht mehr erinnert, habe er die eines Helden aus einem bekannten Kinderbuch angenommen, eben die des Prinzen Adenar. Ist Adenar tatsächlich verrückt? Als er aus der Klinik entlassen wird, kommt er einem erschreckenden Geheimnis auf die Spur.

– Der ehrwürdige Doktor honoris causa Mirmidon Aguanopulos, Verwaltungsdirektor des Mondes, fuhr auf seinem Hochrad über die Phönixallee von Floria, der monumentalen Hauptstadt des an Wäldern reichen und übermäßig vom Regen gesegneten Landes Goyanas.-
Prolog: Gedächtnis und Gedächtnisschwund

Die verlassene Geschichte (La sombra del pájaro lira ) ist ein großartiges Buch mit einem hässlichen Schönheitsfleck. Der Roman beginnt wie ein poetisches Märchen oder ein Traum. Amaula ist ein phantastisches Land mit surrealen Elementen, beschrieben in einer poetischen, bildhaften Sprache, die zu psychologischen Deutungen einlädt: ein Land, in dem die Zeit aufgehoben ist, dessen Bewohner Bücher wertschätzen, sie aber nicht lesen können, die Mutter, die sich verwandelt hat und fortgegangen ist, die Magier, der sprechende rote Vogel. Man versucht, diese Bilder zu enträtseln, aber da am Anfang noch nicht klar ist, wie die Geschichte verlaufen wird, gelangt man zu keinem befriedigendem Ergebnis. Als Adenar in der Stadt Floria ankommt, scheint sich der Roman zu einer Kaspar-Hauser-Geschichte zu entwickeln: ein junger Mann, der in der Stadt gestrandet ist, ohne zu wissen, wer er ist und wo er herkommt und der schließlich einen Honoratioren der Stadt als Vormund erhält. Adenar bekommt sogar ein Vermögen, als er aus der Klinik entlassen wird, um seinen Unterhalt zu sichern. Man könnte ihn fast beneiden, hätte man nicht gleich darauf gelesen, daß er sich wie alle Florianer an seinem achtzehnten Geburtstag im Schicksalministerium melden muß, um ein Kästchen in Empfang zu nehmen. Der Leser bekommt ein ungutes Gefühl in der Magengrube und denkt an “orwellsche” Verhältnisse. Und tatsächlich scheint sich immer mehr zu bestätigen, daß Floria eher einer Diktatur gleicht als einem Wohlfahrtsstaat. Fesselnd erzählt Ibáñez davon, wie Adenar hinter das Geheimnis der Stadt kommt und welche Entscheidung er trifft. Man könnte Die verlassene Geschichte als phantastischen Entwicklungsroman in den höchsten Tönen loben und davon schwärmen wie poetisch, traumhaft, phantasievoll, weise und philosophisch dieses Buch ist, gäbe es diesen fragwürdigen Schluß nicht, der eindeutig zu esoterisch ist. Das Ende der Geschichte könnte folgendermaßen verstanden werden: Wir, die wir ein höheres Bewußtsein erreicht haben, sind die geistige Elite, deshalb laßt uns diesen dämonischen Planeten mit einem Raumschiff verlassen, um zu einem Stern aufzubrechen, der uns ein besseres Leben bietet. Und mit Verlaub, das erinnert doch fatal an die Stories, die Sektenführer ihren Anhängern erzählen, bevor sie sich in einem Massenselbstmord vergiften. Natürlich kann man die Moral der Geschichte auch anders und positiver interpretieren. Als Rezensent glaubt man ja immer an das Gute im Menschen und daran, daß die Leser die richtigen Schlüsse ziehen, aber der Knackpunkt ist, daß Ibáñez ein virtuoser Schriftsteller ist, der es gar nicht nötig hätte auf der Esoterikwelle zu reiten. Seine Philosophie der Selbstfindung und des Lebensmuts hätte er auch ideologiefrei und ohne esoterischen Einschlag allgemeingültig formulieren können. Das wäre weitaus wirkungsvoller und weniger fragwürdig gewesen.

Cover des Buches "Die Vögel der Finsternis" von Victoria HanleyDie siebzehnjährige Maeve arbeitet als Sklavin im Badehaus von Lord Indol. Als der sie an den grausamen Lord Morlen verkauft, flieht Maeve. Ungefähr zur gleichen Zeit treffen auf der Burg der Heiler drei Jugendliche ein, die dort entsprechend ihrer Gaben ausgebildet werden sollen. Die sechzehnjährige Saravelda ist die Tochter von Königin Torina und möchte gerne eine heilende Tänzerin, ein Trianer, werden. Dorjan, ein Ausländer, fühlt sich zum Genovener berufen, das sind die Heiler der Träume und dann gibt es noch Bern. Bern besitzt keine heilende Gabe, sondern er möchte wie seine Tante ein Drade werden. Draden kümmern sich um alle organisatorischen und profanen Dinge in der Burg und wachen außerdem über die Einhaltung der Gesetze. Doch die letzte Entscheidung über die Ausbildung der Neuankömmlinge trifft die Mystikerin, die als Einzige erkennen kann, wozu jeder der Drei bestimmt ist. Noch bevor die Kandidaten ihre Ausbildung beginnen können müssen sie erfahren, dass ungewöhnliche Dinge auf der Burg vorgehen. Es stellt sich heraus, dass Maeve, Saravelda und Dorjan durch die Vergangenheit miteinander verbunden sind. Gemeinsam kämpfen sie gegen den Schattenkönig, der sich König Landens Reich untertan machen will.

– Maeve ließ sich auf eine schmale Bank sinken. Die harten Bretter boten ihren schmerzenden Gliedern kaum Erleichterung, aber wenigstens konnte sie hier, im Hinterzimmer des Badehauses, ein wenig ausruhen.-
Teil 1 Sliviia, Kapitel 1

Die Vögel der Finsternis (The Healer’s Keep) ist die Fortsetzung von Das Auge der Seherin und reicht leider nicht ganz an seinen Vorgänger heran. War der erste Band originell und hochspannend, weil Torinas magisches Hilfsmittel, die Kristallkugel, ihr oft eigensinnig den Dienst verweigerte und der böse Gegenspieler bis zum Schluss eine reelle Chance hatte zu siegen, so läuft in diesem Roman alles ziemlich glatt. Natürlich gibt es Gefahren, die überwunden werden und Finsterlinge, die besiegt werden müssen, aber man hat nie das Gefühl, dass die Helden in eine aussichtslose Situation geraten.
Träume bringen Unheil, aber in Form von Traumreisen auch Hilfe. Relativ spät erfährt der Leser, dass nur zehn Traumreisen zur Verfügung stehen, aber dann ist auch schnell klar, dass mehr als zehn nicht benötigt werden. Als ein magisches Messer gebraucht wird, ist auch das rettend zur Stelle und Torinas Kristallkugel funktioniert mittlerweile immer dann, wenn sie sie braucht und ist den Kristallkugeln der anderen Seher des Landes somit überlegen. Außerdem wiederholt sich Hanley, wie schon in Das Auge der Seherin gibt es auch hier einen falschen Freund.

Natürlich hat Victoria Hanley nicht plötzlich das Schreiben verlernt. Die Geschichte ist immer noch spannend und gut erzählt, aber leider ist Hanley in die ausgetretenen Pfade der Fantasy hineingeraten und kann so nicht die Erwartungen erfüllen, die sie mit Das Auge der Seherin geweckt hat.

Cover von Voll im Bilde von Terry Pratchett Ungefähr dreißig Meilen entfernt von Ankh-Morpork befindet sich eine Landzunge. Dort lebte viele Jahre Deccan Ribobe, der letzte Hüter der Tür und sang Beschwörungen, die dafür sorgten, daß eine bestimmte Idee nicht entwich. Leider versäumte Deccan Ribobe, einen Nachfolger auszubilden und als TOD unerwartet eintrifft, wird diese Idee freigesetzt und fällt in Ankh-Morpork ein. Die Landzunge trägt übrigens den Namen Holy Wood und plötzlich fühlen ganz viele Einwohner Ankh-Morporks den Drang, sich an der Herstellung bewegter Bilder zu beteiligen. Es endet wie es immer endet: Die Scheibenwelt muß wieder einmal gerettet werden.

– Seht nur … Dies ist der Weltraum. Manchmal wird er auch als letzte Grenze bezeichnet. –

Falls Sie Schauspieler, Produzent oder ein Hund sind, der im Filmgeschäft arbeitet, dann werden Sie sich wahrscheinlich nach jeder zweiten Zeile vor Lachen auf die Schenkel schlagen, zustimmend mit dem Kopf nicken und vor sich hinmurmeln: “Genauso ist es, Pratchett hat wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen.” Falls Sie aber nur ein durchschnittliches Interesse am Film haben und/oder schon mehrere Scheibenweltromane gelesen haben, dann wird Ihnen Voll im Bilde (Moving Pictures) auch nur ein durchschnittliches Lesevergnügen bieten. Zum einen kennt der fleißige Pratchett-Leser mittlerweile das Rezept: Man nehme ein Thema, das auf der Erde allseits bekannt ist, verlege es auf die Scheibenwelt, reichere es mit Zauberern und Trollen an und ziehe es kräftig durch den Kakao. Zum anderen zitiert Pratchett sich selbst. Kameras funktionieren auf der Scheibenwelt, indem in ihrem Inneren Kobolde sitzen, die Bilder malen. Das ist originell, wenn man es zum erstenmal liest, aber nicht mehr besonders lustig, wenn man das Prinzip schon von den Fotoapparaten aus den Rincewind-Romanen kennt. Auch daß wieder jemand auftaucht, der mit einem S-Fehler spricht und die Einwohner Ankh-Morporks mit der Orthographie auf Kriegsfuß stehen, ist nur noch mäßig komisch, wenn man vorher schon neun andere Scheibenweltromane gelesen hat.

Voll im Bilde ist aber sehr gut als Einsteigerlektüre für jemanden geeignet, der die Scheibenwelt kennenlernen möchte, da es sich um eine abgeschlossene Geschichte handelt, für die man keine Vorkenntnisse benötigt. Hier trifft man allerdings nicht auf die Hauptfiguren aus anderen Romanen wie den Zauberer Rincewind, Oma Wetterwachs oder die Nachtwache und auch TOD hat nur zwei Kurzauftritte. Dafür macht der Würstchenverkäufer Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin-Schnapper ungeahnte Karriere, und das aus den Pyramiden bekannte Kamel “Du Miststück” spielt ebenfalls eine kleine Rolle. Hauptsächlich hängt das Wohl und Wehe der Scheibenwelt diesmal aber von dem Langzeitstudenten Victor und der Kellnerin Ginger ab, die beide vor den Kameras agieren und von dem Wunderhund Gaspode, der unglaublich intelligent ist und trotzdem gegenüber dem beschränkten aber viel schöneren Hund Laddie den Kürzeren zieht.

Pratchett parodiert in diesem Roman geldgierige Produzenten, den Starrummel und natürlich unzählige Filme wie Vom Winde verweht, Der weiße Hai, Star Trek, Schneewittchen, Lassie, King Kong

Cover von Wachen! Wachen! von Terry PratchettEine geheime Bruderschaft bedroht die Stadt Ankh-Morpork, indem sie einen Drachen herholt, um den Patrizier zu stürzen. Dagegen vorgehen könnte die Stadtwache, wäre sie nicht die marodeste, arbeitsscheueste, feigste und korrupteste Truppe der ganzen Stadt. Doch voller Hoffnung betritt der aufrichtige Karotte Ankh-Morpork, um sich der ehrenhaften Wache anzuschließen und die Bürger zu schützen…

– Hierher verschwanden die Drachen. Sie liegen und … Nein, sie sind nicht tot. Sie schlafen auch nicht.
Von Warten kann ebenfalls keine Rede sein, denn wer wartet, erwartet etwas. Der angemesssene Ausdruck lautet vermutlich … Schlummern. –

Wachen! Wachen! (Guards! Guards!) ist einer der besten Scheibenweltromane. Hier hat Pratchett nicht einfach eine Slapstick-Szene an die andere gereiht, sondern er liefert eine durchdachte, runde Geschichte, die durch ihre Charaktere besticht und natürlich – wie immer – durch den für Pratchett typischen skurrilen britischen Humor. Hauptmann Mumm, der Anführer der Stadtwache, macht seinem Namen anfangs so gar keine Ehre. Er hat kein bißchen Mumm, sondern ist hauptsächlich damit beschäftigt, betrunken in der Gosse zu liegen. Dafür zeigt der Gefreite Karotte um so mehr Tatendrang. In kürzester Zeit lernt er einen großen Teil der ankh-morporkischen Gesetze, samt Zusätzen auswendig und verhaftet den Präsidenten der Gilde der Diebe. So etwas ist in Ankh-Morpork seit Menschengedenken nicht mehr vorgekommen und kann nur einem Hinterwäldler passieren. Karotte wurde von seinen Eltern, zwei Zwergen, erst vor kurzem in die große Stadt geschickt, nachdem sie dem zwei Meter großen Jungen schonend beigebracht hatten, daß er ein Findelkind ist. Als Ankh-Morpork von einem Drachen bedroht wird, den der Oberste Größte Meister der Einzigartigen und Höchsten Loge der Aufgeklärten Brüder beschworen hat, wächst Hauptmann Mumm über sich selbst hinaus. Pratchett parodiert auf köstliche Weise die Geheimniskrämerei und die Rituale einer Freimaurer-Loge und keiner, der das Buch gelesen hat, wird Mumms spektakuläre Flucht aus dem Kerker vergessen.

Cover von Der Weg des Magiers von Jean-Louis Fetjaine6. Jahrhundert nach Christus: Der junge Merlin reitet zusammen mit Guendoleu, dem König von Kumbrien, und dessen Truppe nach Schottland. König Ryderch hat alle britannischen Fürsten zusammengerufen, damit sie sich unter seiner Führung vereinigen. Doch Aldan, Königin von Dyfed, die Mutter Merlins und Witwe des ranghöchsten Königs der Britannier, macht dem ehrgeizigen Ryderch einen Strich durch die Rechnung. Sie überreicht den goldenen Torques, einen Halsreif als Zeichen der obersten Königswürde, Guendoleu von Kumbrien. Kurze Zeit später geraten Guendoleu und seine Männer in einen Hinterhalt. Alle außer Merlin werden niedergemetzelt. Merlin nimmt den Torques an sich, um ihn nach Dyfed zurückzubringen. Wird er sein Ziel je erreichen?

-Der Winter hatte bereits Einzug gehalten. An jenem Morgen war die Luft anders als sonst, kälter und klarer.-
1 Die Prophezeiung

Der Weg des Magiers (Le Pas de Merlin) ist der klassische Auftakt einer Trilogie. Jean-Louis Fetjaine stellt dem Leser ausführlich die handelnden Charaktere vor und bringt die gegnerischen Parteien in Stellung. Die Hauptperson ist Merlin – hier kein alter, weiser Magier mit langem Bart, sondern ein Jüngling, klein gewachsen und für einen jungen Mann von auffallend zierlicher, schmächtiger Gestalt. Wohl deshalb nennt Fetjaine ihn häufig, oft mehrfach auf einer Seite, das Kind. Diese penetrant wiederholte Bezeichnung für den jungen Barden ist das einzige an diesem Roman, was erst irritierend, im weiteren Verlauf der Geschichte nur noch störend wirkt. Da der Autor von Merlin ständig als dem Kind spricht, glaubt man zunächst, König Guendoleu hätte einen Elf- oder Zwölfjährigen in seinem Gefolge, vielleicht als Knappen oder Pagen. Nachdem man einiges über Merlins frühe Kindheit und seinen Werdegang erfahren hat, setzt man sein Alter auf 14 oder 15 herauf, um endlich zu dem Schluß zu kommen, daß Merlin mindestens 16 Jahre alt sein muß, da sich König Ryderchs siebzehnjährige Schwester Guendoloena wohl kaum von einem Kind entjungfern lassen würde, das für sein Alter auch noch klein und schmächtig ist.

Nicht nur in Liebesdingen benimmt sich Merlin alles andere als kindlich. Den Hinterhalt überlebt er nur, weil er beherzt und skrupellos kämpft. In solchen Situationen wirkt die Bezeichnung das Kind auch noch unfreiwillig komisch: Merlins Antwort war, aus Leibeskräften auf die Lanze des Mannes einzudreschen … Das Kind machte erneut einen Ausfall, doch diesmal war der Mann aus den Bergen darauf gefaßt … Er hatte sich umgedreht, und das Kind nutzte die Chance, um sich nach vorne zu werfen und zuzustoßen, doch der Krieger wich mühelos aus, und wieder traf der Schwertstumpf nur ins Leere. Mit einem Rippenstoß brachte er das Kind aus dem Gleichgewicht … Merlin stürzte sich auf ihn, und das zerbrochene Schwert bohrte sich tief in die Leiste des Reiters …, worauf Merlin zum Angriff überging und, sein Schwert wie ein Messer in der Hand, auf ihn einstach, bis er endlich zu schreien aufhörte. Zwar ist auch im Nibelungenlied der jüngste der königlichen Brüder, Giselher, auch dann noch das Kind, als er aufgrund der Geschichte schon weit in den Vierzigern sein müßte, aber Giselher hat sich inmitten seiner intriganten und rachsüchtigen Verwandtschaft noch Reste eines kindlichen Gemüts bewahrt. Merlin wirkt jedoch aufgrund seines Handelns weitaus älter als sein Aussehen und seine Jugend vermuten lassen.

Die große Stärke des Romans ist, daß Fetjaine, der mittelalterliche Geschichte studiert hat, sich um größtmögliche historische Authentizität bemüht. Im Nachwort beschreibt der Autor den historischen Hintergrund seiner Geschichte und wie sich daraus die Artuslegende entwickelt hat. Außerdem gibt es eine ausführliche zeitliche Übersicht. Über weite Strecken ist Der Weg des Magiers eher ein historischer Roman, Fantasyelemente kommen kaum vor, abgesehen davon, daß sich die Hinweise häufen, daß Merlins Herkunft außergewöhnlich ist. Auch die Konkurrenz zwischen der neuen christlichen Religion, repräsentiert durch die Mönche und den Klerus, der munter in der Politik mitmischt, und dem alten Glauben der Britannier, vertreten durch Merlin und andere Barden, spielt eine Rolle. Erst gegen Ende des Romans bricht das Übernatürliche deutlich in die Handlung ein. Merlin wird im wörtlichen Sinne über Nacht erwachsen. Die Beschreibung dieser besonderen Nacht ist so spannend, mitreißend und emotional, daß man Fetjaine auch verzeiht, daß er Merlin wahrscheinlich zum tausendsten Mal das Kind nennt. Dies ist die gelungenste Szene des Romans, doch sie ist keine Ausnahmeerscheinung. Fetjaine versteht es, eine packende Atmosphäre zu erschaffen, seinen Protagonisten Leben einzuhauchen und eine lang vergangene Zeit wieder auferstehen zu lassen.

Cover von Die Wellenläufer von Kai MeyerAls ein magisches Beben die Küsten der Karibik erschüttert, werden in den Piratenhäfen Kinder geboren, die ungewöhnliches Talent besitzen. Sie können über das Wasser gehen.
Nach vierzehn Jahren, glaubt Jolly, dass sie die einzige Wellenläuferin ist.
Doch als sie Munk begegnet – der ebenfalls auf dem Wasser geht und aus Muscheln einen alten Zauber erwecken kann – belehrt das Schicksal sie eines besseren. Den beiden Wellenläufern steht ein schweres Schicksal bevor: Im Atlantik dreht sich ein riesiger Mahlstrom, den nur die beiden Freunde wieder verschließen können.

– Mit weiten Schritten lief Jolly über den Ozean.-
Die Quappe

Nach knapp zweitausend Jahren schreibt ein Autor zum erstenmal wieder eine Geschichte über jemanden, der auf dem Wasser gehen kann. Und das Warten hat sich gelohnt, auch wenn Ähnlichkeiten mit lebenden, verstorbenen oder fiktiven Personen nicht rein zufällig sein dürften. Als Quellen, aus denen Kai Meyer seine Inspiration geschöpft haben könnte, bieten sich an: Das Neue Testament, Das Alte Testament, wahlweise Hauffs Geschichte vom Gespensterschiff oder Der fliegende Holländer, und Poe’s A Descent into the Maelstrom. Die mythologische Unterwelt Acheron stand als Namensgeber Pate für das furchterregende Ungeheuer Acherus, dem Jolly und Munk mit knapper Not entrinnen und wie man bei Seneca nachlesen kann, bezeichneten schon die alten Römer den Atlantik als das mare tenebrosum und Festus Avienus behauptete, dies sei der Ozean, auf dem noch nie ein Schiff gefahren sei. Der Name des Schiffes Natividad stammt aus C.S. Foresters Hornblower-Romanen. Und natürlich kennt man die Welt, die Meyer zeichnet, aus sämtlichen Hollywood-Piratenfilmen seit Captain Blood. Die Piratenprinzessin Soledad gleicht bis aufs Haar der Korsarin Feuerkopf Stevens, die Maureen O’Hara in dem Film Gegen alle Flaggen so hervorragend gespielt hat.
Aber alle diese Déjà vus mindern die Qualität des Romans kein bißchen. Erstens werden die jungen Leser, für die der Roman eigentlich gedacht ist, all diese Parallelen nicht wahrnehmen und zweitens hat Meyer keineswegs von diesen Werken und Mythen einfach abgekupfert und Versatzstücke in seinen Roman eingebaut, wie das schlechte Autoren so gerne tun. Meyer ist es gelungen mit Die Wellenläufer einen ganz eigenen Roman zu schaffen, der immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet und dessen Ende nicht vorhersehbar ist. Aufregende und komische Passagen wechseln sich ab. Man darf gespannt sein auf die Entwicklung einer der Hauptpersonen, von der man am Schluß des Buches nicht weiß, ob sie den Weg des Guten oder des Bösen einschlagen wird. Mit dem eigenwilligen Orakel, das abwechselnd dichtet oder rülpst (wobei beide Äußerungen ungefähr die gleiche künstlerische Qualität haben) ist Meyer eine besonders originelle Figur gelungen, die dafür sorgt, daß der Schrecken in dieser Geschichte nicht die Überhand gewinnt. Denn es steht zu befürchten, daß der Tod und Verwüstung bringende Acherus nicht das letzte Ungeheuer ist, das dem unheimlichen Mahlstrom entsteigt.

Cover von Das Zaubergift von Martin ScottEigentlich möchte Thraxas Ferien machen. Im Sommer ist es in Turai viel zu heiß, um zu arbeiten. Doch dann stürzt ein junger Mann in Thraxas’ Büro, der beschuldigt wird, einen stadtbekannten Bildhauer umgebracht zu haben und der den Privatdetektiv anfleht, seine Unschuld zu beweisen. Ein Hippiemädchen will Thraxas unbedingt engagieren, damit er ein paar Delphinen hilft und zwei Mönche beauftragen ihn, nach einer Statue zu suchen. Was bleibt unserem Helden übrig? Thraxas wirft seine Ferienpläne über Bord.

– Makri betritt die “Rächende Axt” mit dem Schwert an der Hüfte und einem Bündel Notizen aus ihrem Philosophiekurs in der Hand. Der Schweiß rinnt ihr in Bächen den Hals hinunter.-
1. Kapitel

Die englische Originalausgabe trägt den Titel Thraxas and the Warrior Monks. Dieser Titel entbehrt auch nicht einer gewissen Logik, denn der ganze Fall dreht sich um zwei rivalisierende Mönchsorden, die sich nach Art der Shaolin heftig bekämpfen. Wahrscheinlich haben sich aus diesem Grund die europäischen Verlage dazu entschlossen, diesen Titel in der jeweiligen Landessprache beizubehalten. Ob in Frankreich, den Niederlanden, in Rußland oder Polen, in ganz Europa stehen die kriegerischen Mönche auf der Titelseite. In ganz Europa??? Nein!!! Ein kleines starrsinniges Völkchen im Herzen Europas wehrt sich standhaft gegen einleuchtende Titel und verteidigt stur seine eigenartige Auffassung, daß der Titel und das Cover eines Buches mit dem Inhalt nichts, aber auch rein gar nichts, zu tun haben dürfen. Richtig geraten lieber Leser, das kleine aufrechte Völkchen, das sich so energisch der europäischen Einheit verweigert, ist der Blanvalet bzw. Goldmann-Verlag in Deutschland, der sich in seiner unerforschlichen Weisheit dazu entschlossen hat, als Titel des Romans ausgerechnet Das Zaubergift zu wählen. Kein Mensch in diesem Buch hat irgend etwas mit Zaubergift zu tun. Aber ich will nicht lügen: Sarin, die gnadenlose Mörderin, ist wieder am Werk. Sarin ist auch der Name eines Nervengiftes, das im zweiten Weltkrieg entwickelt, aber dann doch nicht als chemische Waffe eingesetzt wurde. Also wenn man es so sieht…

Für die Umschlaggestaltung ist das Design Team München verantwortlich, für die Umschlagillustration Schlück/Maitz. Es wäre interessant zu erfahren, warum man sich auch für ein Cover entschieden hat, das mit dem Roman nichts zu tun hat. Was haben die Drachen und dieser Jung-Siegfried-Verschnitt auf dem Titelbild zu suchen? Um Thraxas kann es sich nicht handeln, denn der ist fett und trägt sein blondes Haar zu einem Zopf gebunden. Und Drachen kommen in dem Buch genauso oft vor wie Zaubergift, eher seltener.

Die Namensgebung hat sich gegenüber dem ersten Band ebenfalls nicht verbessert. Neu sind der ermordete Bildhauer Rodinaax (ja, man bemüht sich auch das Bildungsbürgertum als Leser zu gewinnen), der des Mordes Verdächtige Gesox, die Jugendbande Kuul-Tiens und besonders geschmacklos ist die einmalige Erwähnung des hohen Bonzen des Gaststättengewerbes namens Juhnkar. Dem Fischhändler Iglox ist sein Name mittlerweile anscheinend so peinlich, daß er sich in Tranox umbenannt hat.
Schade, schade, schade. Wenn man das Glück hat, zehn zusammenhängende Zeilen lesen zu können, ohne daß man auf diese ach so originellen Namen stößt, dann merkt man, daß Martin Scott dem Leser eigentlich eine gelungene Parodie auf die alten Detektivromane der Schwarzen Serie bietet. Diese Reihe könnte dem Leser gute leichte Unterhaltung bieten, wenn der Verlag nicht mit aller Gewalt darauf hinarbeiten würde, das Lesevergnügen zu ruinieren.
Nehmen Sie es dem Autor nicht übel, der kann nichts dafür. Wenn es Ihnen möglich ist, lesen Sie das Original (obwohl die englischen Cover auch eine Qual für das Auge sind) und irgendwie habe ich den diffusen Verdacht, daß Sie mit der französischen, niederländischen, polnischen und russischen Ausgabe auch besser bedient sind als mit der deutschen. Deutsche Leser, bildet Euch weiter: Lernt Fremdsprachen!

Cover von Der Zauberhut von Terry PratchettZauberer Allesweiß floh in jungen Jahren aus der Unsichtbaren Universität, heiratete und bekam viele Söhne, deren achter ein kreativer Magus ist. Ein kreativer Magus ist so ziemlich der mächtigste Zauberer, der auf der Scheibenwelt herumläuft. Leider ist er nicht unbedingt der liebenswürdigste. Dieser achte Sohn macht sich also als Knabe auf zur Unsichtbaren Universität und fordert zwei der besten Zauberer zum Duell. Das schreckliche Gör gewinnt, richtet ein einziges Chaos an und wünscht Erzkanzler zu werden. Dies hohe Amt erfordert aber eine Zeremonie, in der der Zauberhut eine Rolle spielt. Ganz zufällig ist dieser wichtige Hut gerade nicht zu Hause, sondern auf Reisen mit einem gewissen Rincewind sowie Conina, der Tochter Cohens des Barbaren, und Truhe.

-Vor vielen Jahren sah ich in Bath eine wohlbeleibte amerikanische Dame, die einen riesigen karierten Koffer hinter sich herzog. Die kleinen, quietschenden Räder blieben immer wieder in den Pflasterrissen stecken und verliehen dem Ding ein höchst interessantes Eigenleben. In jenem Augenblick wurde Truhe geboren. Ich danke jener Frau und allen anderen Leuten in Orten wie Ichweißnichtwo, Nebraska. Vermutlich können sie ein wenig Zuspruch vertragen.-
Widmung

Zuerst darf jeder einmal raten, woher Joanne K. Rowling die Idee hat, daß es Zauberhüte gibt, die sprechen, wenn man sie sich auf den Kopf setzt. Nun, ich werde die Antwort ganz gewiß nicht geben, sonst werde ich noch wegen Verleumdung oder Geheimnisverrat mit einer Millionenklage vor Gericht gezerrt und dabei weiß ich noch nicht einmal, wie ich mein Bafög zurückzahlen soll. Also von mir kein Wort zu diesem Thema. Widmen wir uns statt dessen dem Buch: Dieser Roman hat zwei Handlungsstränge: Einmal wird erzählt, wie dieser freundliche Knabe (jedem, der sich unfreundlich über das liebe Kind äußert, bekommt dies außerordentlich schlecht) die Unsichtbare Universität auf den Kopf stellt und wie unfähig die Zauberer sind, dies zu verhindern, ja einige lassen sich sogar korrumpieren. Kreative Magie ist so gefährlich, weil sie sich an keine Gebote hält und eigentlich den Göttern vorbehalten ist. Der andere Handlungsstrang erzählt von Rincewind, der wieder einmal die Scheibenwelt vor dem Untergang retten muß, indem er den Hut, der das Zeichen des obersten magischen Amtes ist und das Symbol für eine Zauberei, die sich an gewisse Werte hält, in Sicherheit bringt. Dabei wird er von Piraten, orientalischen Straßenkindern, Großwesiren und anderen ungemütlichen Herrschaften stark behindert. Falls irgend jemand immer noch nicht verstanden hat, wie prekär die Lage ist, dem sei gesagt, daß Tod, Krieg, Hunger und Pestilenz irgendwo auf der Scheibenwelt in einer Kneipe sitzen und warten, sehr geduldig warten … Glücklicherweise hat Rincewind Conina an seiner Seite. Die wollte eigentlich Barbarenfriseuse werden, aber nun kämpft sie mit ihm für die gute Sache, wobei sie meistens Schwerter, manchmal aber auch Scheren und Kämme benutzt. Achtung: Jetzt kommt der Satz, der zwangsläufig so oder ähnlich in jeder Pratchett-Rezension steht. Dank Pratchetts Sprachwitz ist die Geschichte ungeheuer komisch. Besonders geeignet dürfte der Roman für Kinderhasser sein. Sie finden ihr Vorurteil voll bestätigt, daß diese kleinen Ungeheuer nichts als Ärger anrichten.

Cover des Buches "Das zehnte Königreich" von Kathryn WesleyVirginias Leben ist todsterbenslangweilig ohne jede Aussicht auf Besserung. Zur gleichen Zeit flieht die böse Königin in den neun Königreichen aus dem Schneewittchen-Gedächtnis-Gefängnis, um die Herrschaft an sich zu reißen. Zu diesem Zweck verwandelt sie ihren Stiefsohn, Prinz Wendell, in einen Golden Retriever und lässt den Hund die Gestalt des Prinzen annehmen. Bei einem Fluchtversuch  springt Prinz Wendell durch einen Zauberspiegel und landet direkt im New York der Gegenwart vor Virginias Fahrrad, die gerade auf dem Weg zur Arbeit ist. Sie kümmert sich um den angefahrenen Hund und ahnt nicht, dass sie sich damit in große Gefahr begibt. Die Königin hat ein paar Trollen und einem gefährlichen menschlichen Wolf befohlen, Prinz Wendell zurückzubringen.

-Virginia stützte ihre Ellbogen auf den Fenstersims und beugte sich hinaus in die Brise. Wenn sie die Augen halb geschlossen hielt, erweckten die Bäume vor ihrem Fenster den Eindruck einer ausgedehnten Waldfläche: schattig, grün und angefüllt mit neuen Möglichkeiten und Abenteuern.-
Teil 1 Der Hund, einst bekannt als Prinz Kapitel 1

Das zehnte Königreich (The Tenth Kingdom) ist eine witzige Parodie auf sämtliche Märchen, angefangen bei Schneewittchen über Aschenputtel und Rotkäppchen bis hin zu Rapunzel.

Besonders gut ist das Autorenehepaar jedoch immer dann, wenn es sich über die westliche, insbesondere die amerikanische, Kultur lustig macht: Die Trolle beanspruchen in Kolumbus-Manier New York als das zehnte Königreich und rauben zuerst einmal die Einheimischen aus. Wolf versucht seine tierische Natur zu überwinden, indem er sich durch einen Stapel Lebenshilfe-Bücher liest und Virginia stützt sich als Verteidigerin in einem Prozess auf das juristische Wissen, das sie sich durch Anschauen der Perry-Mason-Serie erworben hat, was dem Angeklagten dann auch prompt die Todesstrafe einbringt.

Allerdings hätte es dem Buch gut getan, wenn die Geschichte etwas gestrafft worden wäre. Manche Szenen sind nur mäßig amüsant und werden auch nicht benötigt, um die Handlung voranzutreiben. Sie scheinen nur geschrieben worden zu sein, um Seiten anzuhäufen oder besser gesagt, um Sendezeit zu füllen. Denn Das zehnte Königreich ist das Buch zum Film, bzw. zur Fernsehserie und wurde, wie die Redaktion durch aufwendige Recherchen herausgefunden hat, offensichtlich erst nach der Serie verfasst.

Zentaurengelichter von Glen CookPrivatdetektiv Garrett soll die Erbin eines beträchtlichen Vermögens ausfindig machen. Das gefällt einigen Herrschaften gar nicht und so pflastern bald Leichen Garretts Weg.

-Bamm!Bamm!Bamm! Es klang, als klopfe jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Tür. Ich rollte zur Seite und schlug ein dickes Auge auf.-
1. Kapitel

Wer Philip Marlowe mag oder sein politisch unkorrekteres Pendant Mike Hammer, der wird auch an Detektiv Garrett Gefallen finden. Garrett ist der typische einsame Wolf, hartgesotten, cool, mit einer lakonisch-zynischen Sprache, der so herrliche Macho-Sprüche vom Stapel läßt wie: “Normalerweise schlag ich Frauen nicht den Schädel ein”, erklärte ich dem winzigen Wesen, als ich die Tür öffnete. “Aber in Ihrem Fall könnte ich mal eine Ausnahme machen.”
Vielleicht fragen Sie sich langsam, was das denn nun bitte mit Fantasy zu tun haben soll. Die Antwort ist einfach. Garrett ermittelt nicht in irgendeiner amerikanischen Großstadt, sondern in TunFaire, der Hauptstadt von Karenta. Diesmal verschlägt es ihn allerdings ins Cantard, das ist ein Kriegsgebiet mit einer Stadt namens Full Harbor. Offensichtlich handelt es sich um eine Anspielung auf Pearl Harbour, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Unterstützt bei seiner Suche wird Garrett von Morpheus Ahrm, einem elfischen Killer, drei Grollen, die eine Mischung zwischen Mensch, Troll und dem “Sprechenden Tier” sind und ziemlich schnell die Geduld verlieren und natürlich von dem “Toten Mann”, der tatsächlich so tot ist, wie es nur geht, was ihn aber nicht daran hindert, mit Garrett zu kommunizieren. Seine Gegner sind Einhörner, Vampire und ein Zentaur.

Der Knackpunkt des Romans ist wie so oft die Sprache. Einerseits ist es spaßig, daß Cook genau den Ton seiner Vorbilder trifft, andererseits verhindert dieser lakonisch-zynische Ton, daß Spannung aufkommt. Cook erliegt offensichtlich wie viele andere Fantasy-Autoren dem Irrtum, daß das Hinmetzeln von möglichst vielen Ungeheuern per se spannend ist. Und so witzig ist das Buch nicht, daß die Komik die fehlende Spannung wettmachen würde. Auch die Wahl der Namen könnte bei sensiblen Gemütern zu Zahnschmerzen führen, wenn z.B. ein Riese Lou Latsch genannt wird.

Zwischen neun und neun von Leo PerutzStanislas Demba muß dringend Geld auftreiben. Aus diesem Grund läuft er seit dem Morgen durch das kaiserlich-königliche Wien und trifft dabei auf alle möglichen Leute. Doch warum benimmt er sich ihnen gegenüber so merkwürdig? Unterhält er sich zunächst freundlich mit Fremden und Bekannten, wechselt sein Ton aus heiterem Himmel und Demba wird ausfallend und aggressiv, einmal tritt er sogar einen Hund, der ihm nichts getan hat. Gibt es einen Grund für Dembas Stimmungsschwankungen? Und was noch wichtiger ist: Wird es ihm gelingen, an das benötigte Geld zu kommen?

-Die Greislerin in der Wintergasse, Frau Johanna Püchl, trat an diesem Morgen gegen halb acht Uhr aus dem Laden auf die Straße. Es war kein schöner Tag. Die Luft war feucht und kühl, der Himmel bewölkt.-
1

Stellen Sie sich vor, ein Hollywood-Produzent möchte den Kinohit des Jahres produzieren. Er hat ein großartiges Drehbuch, er engagiert die besten Schauspieler und damit der Clou der Geschichte nicht vorzeitig verraten wird, müssen alle am Film beteiligten eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben. Der Produzent tut alles, was ihm möglich ist, um den Zuschauern einen spannenden und überraschenden Film zu präsentieren. Und wenn dann der Film in Deutschland anläuft, engagiert der Filmverleih viele, viele Studenten, stellt sie vor die Kinos, stattet sie mit Megaphonen aus und läßt sie den gespannt an den Kinokassen wartenden Zuschauern zwar nicht das Ende der Geschichte, aber immerhin ein entscheidendes Detail lautstark verraten.
Sie meinen, das ist völlig irrsinnig und das macht doch keiner??? Sie haben vollkommen recht, Filmverleiher sind viel zu intelligent, um ihre Zuschauer auf diese Weise zu verärgern. Nur, warum ist dieses irrationale Verhalten gängige Praxis bei den Buchverlagen? Der Rezensent redet von dem Klappentext, bzw. von den Inhaltsangaben, die Verlage auf/in ihre Bücher drucken und in wenigen Zeilen so viel von der der Geschichte verraten, daß man sich die Lektüre sparen kann. Um so ägerlicher ist dies, wenn es einen so hervorragenden Schriftsteller wie Leo Perutz trifft.

Mehr als sieben Kapitel hindurch verschweigt Leo Perutz meisterhaft auf sehr originelle und kunstvolle Weise dem Leser, warum Stanislas Demba sich so merkwürdig verhält. Statt dessen schildert Perutz humorvoll die aberwitzigen und skurrilen Situationen, in die Demba gerät. Die Leute, die er trifft, stellen sehr phantasievolle Vermutungen über den Grund seines Benehmens an: Steht er unter Haschischeinfluß, ist er ein Krüppel oder ein schrulliger Gelehrter? Und der Leser spekuliert fröhlich mit. Es sei denn, er hat den Fehler gemacht und die Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches gelesen. Dort steht nämlich die Auflösung, die sozusagen die erste Hälfte der Pointe der Geschichte ist und wenn man die kennt, dann ist das Buch natürlich nur noch halb so vergnüglich und spannend. Also tun Sie sich selbst, Leo Perutz und dem Rezensenten den Gefallen und lesen Sie NICHT die Inhaltsangabe des Buches und da zu befürchten ist, daß Internet-Buchhandlungen die Angaben des Verlages treu und brav übernommen haben, vermeiden Sie es, dieses Buch im Internet zu bestellen. Die Gefahr ist zu groß, daß es Ihnen nicht gelingt, die Inhaltsangabe zu ignorieren. Gehen Sie zum Buchhändler Ihres Vertrauens, betrachten Sie nur den Buchrücken und die Vorderseite und schlagen Sie sofort die Seite fünf auf, dort beginnt das erste Kapitel.

Noch ein Wort an die Leser, die dem Rat des Rezensenten gefolgt sind und schon Nachts unter der steinernen Brücke gelesen haben. Die Sprache, die Perutz in diesem Buch verwendet, ist eine ganz andere. Zwischen neun und neun ist in der modernen, zeitgemäßen Sprache des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben und weit entfernt von dem poetischen Stil des Novellenromans. Auch ist die Geschichte realistisch und hat nichts mit der von Mythen und Legenden durchwobenen Erzählung über Kaiser Rudolf und seine Liebe zu der schönen Jüdin gemeinsam. Warum stellt Bibliotheka Phantastika Zwischen neun und neun dann eigentlich vor, wenn es sich doch um einen realistischen Roman handelt? Das, liebe Leser, ist sozusagen die zweite Hälfte der Pointe der Geschichte und wird deshalb nicht verraten…