Im New York der Gegenwart verfolgt Matthew der Magier, ein Mitglied des Prometheus-Clubs, die „Sucherin“ der Feenkönigin, die für ihre Herrin Kinder ins Feenreich entführt. Er zieht zwar im Kampf den Kürzeren, doch die Vorherrschaft der Menschen mit ihrem kalten Eisen ist besiegelt. Allerdings taucht ein begnadeter Magier auf – ein sogenannter Merlin – der das Gleichgewicht verschieben und den Konflikt beenden könnte. Sowohl Feen als auch Magier machen sich auf die Suche nach dem Merlin, um seine Gunst zu gewinnen. Die Sucherin, die durch grausame Bande an die Feenkönigin gebunden ist, und Matthew werden dabei in einen Strudel aus uralten und immer wieder neuen Ereignissen gerissen.
-Matthew the Magician leaned against a wrought iron lamppost on Forty-second Street, idly picking at the edges of his ten iron rings and listening to his city breathe into the warm September night.-
Chapter 1
Das Spannungsfeld zwischen modernem Großstadtleben und archaischer Märchenwelt bedient mittlerweile ein ganzes Genre mit Stoff, in dem gefährliche Vampire und Werwölfe auf toughe Frauen von nebenan stoßen oder abgerissene Detektive übernatürliche Fälle lösen müssen. Der Fokus liegt in der heutigen Urban Fantasy aber nur selten auf dem Wunderbaren, das einerseits nahtlos in den modernen Alltag eindringt und andererseits nicht seiner ureigenen Atmosphäre beraubt wird – wenn das geschieht, heißt der Autor mit großer Wahrscheinlichkeit Neil Gaiman oder Peter S. Beagle.
Elizabeth Bear könnte mit ihrer Promethean Age-Reihe in diesen illustren Kreis eintreten, wenn die guten Ansätze des Eröffnungsbandes Blood and Iron fortgeführt werden. Dabei pflegt Bear weder den elegant-sparsamen Stil eines Gaiman noch die lyrische Sprache eines Beagle, sondern fasst irgendwo dazwischen Fuß. An lyrischen Momenten fehlt es trotzdem nicht, bezieht sich doch die Handlung neben einer ganzen Reihe an anderen Mythenstoffen (von der Artus-Legende über Dracula bis hin zu nordischen Sagas und vielem mehr) auf traditionelle Balladen um Menschen, die ins Elfenland entführt worden sind, insbesondere Tam Lin. Kenntnisse in diesem Bereich eröffnen eine weitere Handlungsebene und machen das ein oder andere besser verständlich, sind aber nicht zwingend zum Genuss von Blood and Iron erforderlich.
Bear ist eine mit allen Wassern gewaschene Erzählerin, aber nicht immer einfach zu lesen. Sie verflicht ihre Handlungsstränge um die Sucherin aus den Elfenlanden und Matthew den Magier ausgesprochen vielschichtig, nutzt die Unterschiede zwischen Ich-Erzähler und Erzählern in der dritten Person für plot-relevante Kniffe und bringt eine Spirale in Gang, in der sich ihre Figuren in einem immer wiederkehrenden dramatischen Muster wiederfinden, das dem versierten Leser (und den Protagonisten) aus Geschichten und Mythen wohlbekannt ist. Sie wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, sind aber so tief darin verstrickt, dass sie letzten Endes mit unlösbaren Entscheidungen konfrontiert werden. Nahezu nebenbei bekommt man auch Einblicke in eine alternative Weltgeschichte, die bis in die Moderne hinein vom ewigen Kampf menschlicher Magier gegen die Einflüsse der Elfenlande geprägt ist – ein Konzept, das Elizabeth Bear in den sehr locker zusammenhängenden Bänden der Promethean Age-Reihe weiter verfolgt und das in seiner ambitionierten Planung durchaus als eine Art Lebenswerk gesehen werden kann.
Der beschreibungsreiche Stil der Autorin fügt sich vor allem dort gut ein, wo das düster-blutige, aber trotzdem farbenfrohe Elfenland lebendig werden soll; bei den Figurenbeschreibungen grenzt er manchmal ans Überladene. Was Bear allerdings aus ihrem Drachen macht, sollte jeden Fantasyleser überzeugen, der der Ansicht ist, dass gute Drachen rar sind. Und auch den ambivalenten Kelpie namens Whiskey vergisst man garantiert nicht so schnell …
Die Bandbreite an Mythen, Literatur und Geschichte, die in Anspielungen verpackt oder direkt als Stoffgeber genutzt wird, ist riesig, und Bear liefert fast immer eine erkennbar eigene Interpretation – unter anderem trifft man etwa auf eine eifrig häkelnde und doch in keinster Weise zu unterschätzende Morgan von Cornwall.
Der im modernen New York angesiedelte Handlungsstrang um Matthew, den menschlichen Magier, ist weniger opulent und gewinnt erst in der zweiten Hälfte des Romans Dynamik, wenn sich herausstellt, wie stark alle Figuren und Geschichten ineinander verschachtelt sind, und die Ereignisse sich überschlagen.
Bears Talent für beeindruckende Szenen kann sich richtig austoben, wenn sich das ganze Drama entfaltet, und nach dem stimmigen Ende, das dem Leser viel Raum für weitere Spekulationen lässt, fragt man sich eigentlich lediglich noch ein klein wenig, weshalb der eigentliche Aufhänger der Geschichte, die Merlin-Figur, um deren Gunst die Parteien ringen, in dem ganzen Spektakel etwas zu kurz gekommen ist.
Und wenn man schon auf hohem Niveau jammern möchte: In Blood and Iron wartet man vergeblich auf große Erklärungen zu dem teils hochkomplexen Geschehen. Weite Teile kann man sich gut zusammenpuzzeln, aber hin und wieder geschehen manche Entwicklungen einfach, und dem Leser sind weder Ursachen noch Folgen bekannt. Auch die Sucherin als Protagonistin, mit der Bear gegen sämtliche Konventionen verstößt, was ihre Charakterentwicklung und die Fortführung ihrer Geschichte angeht, ist bei einigen –schwerwiegenden– Entscheidungen schlecht nachvollziehbar. Der drastischen und beeindruckenden Entwicklung der Figur tut das allerdings keinen allzu großen Abbruch, denn die Naturgesetze des Promethean Age gründen sich häufig eher auf Mythen und alte Erzählmuster als auf Rationalität, und das macht einen großen Teil der Faszination dieser Geschichte aus.