: Erzählweise

Cover des Buches "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Walter MoersEin Blaubär, wie ihn keiner kennt, entführt die Leser in eine Welt, in der die Fantasie und der Humor abenteuerlich außer Kontrolle geraten sind: nach Zamonien, wo Intelligenz eine Krankheit ist und Sandstürme viereckig sind, wo hinter jeder Idylle eine Gefahr lauert und wo all jene Wesen hausen, die aus unserem alltäglichen Leben verbannt sind.

In 13 ½ Lebensabschnitten kämpft sich der Held durch ein märchenhaftes Reich, bei dem alles möglich ist.

-Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt – meins nicht.-
1. Mein Leben als Zwergpirat

Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, das Buch anzufangen. Eigentlich mag ich den Käpt’n Blaubär aus dem Fernsehen nicht sonderlich, mit Moers verbinde ich immer Das Kleine Arschloch und beim Durchblättern störten mich die vielen seltsamen Zeichnungen. Da ich aber gerade kein anderes Buch zur Hand hatte, warf ich doch mal einen Blick hinein – und konnte gar nicht mehr aufhören!

Moers schubst zwar den Leser, genau wie den armen Blaubär, nach Zamonien und konfrontiert ihn gleich zu Beginn damit, dass auf dieser Insel wirklich nichts ist, wie man es gewohnt ist: Zwergpiraten, fleischfressende Inseln oder kilometergroße Bolloggs ohne Kopf, die ganze Landstriche verwüsten, gehören in Zamonien zum Alltag. Stattdessen sind Menschen schon was besonders, haben in Antlantis sogar Hausverbot!

Der kleine Blaubär besteht in seinen 13 ½ Leben viele Gefahren und man hat den Eindruck, der Autor will jedes Leben davor mit noch mehr Fantasie übertreffen. Fast nebenbei werden auch noch große Fragen der Menschheit gelöst: gab es Atlantis und was ist damit passiert? Gibt es Außerirdische oder andere Dimensionen? Was geschah mit den Dinosauriern?
Der Blaubär begegnet auf seinen Reisen natürlich auch vielen Wesen, die ihm entweder helfen oder ihn fressen oder einfach nur ins Verderben stürzen wollen. Mit viel Sorgfalt erschafft Moers Hempelchen, Hutzen, Waldspinnenhexen, Finsterbergmaden, Tratschwellen, Nattifftoffen, Wolpertinger, Rikschadämonen, Mittagsgespenster, Midgardschlangen und die zig anderen Wesen, die Zamonien bevölkern.

Natürlich quillt auch Zamonien selbst fast vor originellen Ideen über: Der ewige Tornade, rechteckige Sandstürme, Unbiskant (ein unerforschter Landstrich, der seinen Namen aus “unbekannt” und “riskant” erhielt), der Malstrom – das könnte hier noch ewig so weitergehen. So viele Ideen hab ich wohl noch nie in einem Buch gesehen. Und trotzdem ist der Leser nicht gleich nach den ersten Seiten gesättigt, man wartet praktisch schon auf die nächste ungewöhnliche Idee, die Moers eingebaut hat. Die Zeichnungen, mit denen ich vorher nicht anfangen konnte, fügten sich plötzlich wie von selbst in die Geschichte und von mal zu mal gefielen sie mir besser.
Und die Reise an sich? Man darf nicht vergessen, ein Blaubär neigt zum Flunkern und ein bisschen zum Übertreiben. Man sollte also mit einem Augenzwinkern den Zufall Zufall sein lassen und einfach die Geschichte genießen. Fantasie ist schließlich keine Realität. 😉

Cover von ABC Zhang von Maureen F. McHughTechniker Zhang ist schwul. Das ist im Zweite-Welt-Land Amerika strafbar, in China, der Schirmherrin Amerikas, werden Homosexuelle zum Teil sogar hingerichtet. In Episoden, die aus einem Zeitraum von vier Jahren stammen, wird das Leben Zhangs und einiger weiterer Personen, deren Leben er berührt, in dieser fortschrittlichen Welt erzählt. Es wird geschildert, wie er seine Arbeit verliert, weil er die San-xiang, die Tochter seines Vorgesetzten, nicht heiraten will; wie er einen deprimierenden Job auf Baffin Island, jenseits des Polarkreises gelegen, annehmen muß und schließlich in China landet um Bauingenieur zu werden.

-Der Vorarbeiter schnatterte Meihua, die herrliche Sprache, Singapur-Englisch.-
China Mountain – Zhang

Die Geschichte spielt im 22. Jh. auf einer Parallelwelt, doch die Unterschiede, die zu dieser Annahme führen, sind nur kosmetischer Natur (z.B. findet der Zusammenbruch der Sowjet Union im frühen 21. Jh. statt). Die Schauplätze sind sehr unterschiedlich, New York, Baffin Island, Jerusalem Ridge auf dem Mars, Nanjing und Wuxi in China. New York ist heruntergewirtschaftet, viele Gebäude sind noch aus dem 20. Jh. – und dieses sind zumeist die besseren, denn neuere Gebäude haben zum Teil in den oberen Stockwerken kein fließend Wasser. Nach der “Großen Läuterung” ist Amerika ein sozialistisches Land geworden – die Kapitalisten sind allerdings rehabilitiert – und der Staat organisiert die Grundbedürfnisse und verteilt die Arbeit. Dieses alles aber zumeist auf einem niedrigen Niveau, wer mehr will, muß sich auf dem Freien Markt behaupten. Alleine wohnt fast niemand, da der Wohnraum exorbitant teuer ist – ein Luxus, den sich Zhang gönnt, allerdings ist seine Wohnung eine kleine Bruchbude, in der er sich nur zum Schlafen aufhält. Üblich ist das Leben in Kommunen, sich selbst organisierenden Verwaltungseinheiten auf wirtschaftlicher und politischer Basis. In New York ist Homosexualität strafbar, aber sie wird selten geahndet, auf Coney Island läßt man die Homosexuellen sogar weitgehend gewähren. In China ist das Leben ganz anders; Homosexuelle kommen in ein Umerziehungslager oder werden gleich per Genickschuß hingerichtet. Auch wenn die Bürger nicht scharf überwacht werden, geht man mit diesem “Verbrechen” nicht lax um. Technologisch ist China viel weiter entwickelt; während in New York nur passive Systeme, in die man sich aktiv einklingen muß – wie ein Bibliothekscomputer, der auf Anfragen Daten herausgibt, direkt ins Bewußtsein gespeist – existieren, sind in Wuxi aktive Systeme, die sich selbst einklinken üblich – wie ein Gebäudekomplex, der die Bedürfnisse der Anwesenden überprüft und entsprechend reagiert, z.B. die Temperatur so regelt, daß einem nicht zu warm und nicht zu kalt ist.
Das Leben auf dem Mars ist viel härter, es gibt nur wenig Land, nur wenige, veraltete Geräte, aber es gibt auch weniger Vorschriften – die Kommunen entscheiden selbst wie sie verfahren wollen. Aber auch hier sind nicht alle gleich – die Mächtigsten sind die alteingesessenen Pächter – aus ganz pragmatischen Gründen, wie sie versichern, denn die Pächter müssen sich um ihre Pacht kümmern und können daher wenig anderes machen (als andere an die Polkappen abzukommandieren).
Die insgesamt neun Episoden werden von fünf unterschiedlichen Ich-Erzählern bestritten, Zhang Zhong Shan Rafael erzählt in fünfen von seinem Leben, so daß diese ein wenig Ähnlichkeit mit einem Entwicklungsroman erhalten. Er ist das Kind einer Spanierin und eines Chinesen, seine Eltern haben seine Gene manipulieren lassen, so daß er als ABC – American Born Chinese (oder Another Bastard Chink, wie die Langnasen sagen) – durchgeht, immer am Bangen, daß er keine Genanalyse durchhalten muß und auffliegt. Außerdem ist er schwul. Wie er feststellen wird, ist er ein echter New Yorker, es zieht ihn immer wieder in diese Stadt, auch wenn sie das letzte Loch ist, und er anderswo deutlich bessere Chancen hätte.
Wie Zhang selbst sind auch die anderen Episodenerzähler, von denen jeder nur eine erzählt, liebenswerte, alltägliche Menschen mit Macken und Stärken. Daneben tauchen noch viele weitere Figuren auf, die alle interessant und glaubwürdig sind.
Die Episoden erzählen vom Alltag der Figuren, in dem allerdings nicht immer Alltägliches geschieht. So erfährt der Leser viel über die Möglichkeiten der aktiven Systeme in China, die Krankenhauspatienten in die richtige Stimmung versetzen, Hochgefühle beim illegalen Glücksspiel auslösen und den großen Komplexen, in denen der Mensch quasi als Sinnesorgan des gesamten Körpers fungiert, aber auch davon, wie Zhang in eine Razzia gerät und flüchten muß – die Hinrichtung droht. Wer nach echten Helden oder großen Aufgaben sucht wird hier allerdings enttäuscht.
Sprachlich ist das Werk sehr gut, es gelingt der Autorin die Stimmung der Szenen und Emotionen der Protagonisten eindringlich zu schildern; so ist einem die neue San-xiang auf Anhieb unsympathisch, man sieht jedoch schnell, in welche Falle sie zu laufen droht – und man gönnt es ihr nicht.
Wenn es ein Manko hat, dann ist es das fehlende Etwas, es fehlt einfach der Funke Genialität um das Buch perfekt zu machen.
Wer nach Fantasy im engeren Sinne sucht, sollte dieses Buch meiden; es enthält viele Elemente von guter Science Fiction, mit Zhangs Episoden die eines Entwicklungsromans, ist aber auch gute Social Fantasy – nur eben ohne Magie.

Cover des Buches Aether von Ian R. MacLeodEngland – Die Industrialisierung hat einen Höhepunkt erreicht. Die Fabriken arbeiten auf Hochtouren, vor allen Dingen um ein besonderes Produkt herzustellen: Aether. Ohne Aether würde nichts in England funktionieren. Aether hat England mächtig gemacht – und reich, vor allen Dingen einige Gilden, die eine Art Standesvertretung der verschiedenen Berufszweige sind, und deren führende Mitglieder, die Großmeister. Der junge Robert Borrows soll in einer der Aetherfabriken in der nordenglischen Provinz Werkzeugmacher werden, doch als seine Mutter unter grauenvollen Umständen stirbt, entschließt er sich, nach London zu gehen. Dort schließt er sich einer revolutionären Gruppe an und verliebt sich in ein Mädchen, das zu einer der mächtigsten Familien Englands gehört.

-Ich sehe sie immer noch. Ich sehe sie im ärmsten Teil von London. Jenseits der neuen Eisenbrücken, auf denen die Straßenbahnen über die Fähren hinweggleiten – dort, wo die Themse sich vielarmig im Schlick der Gezeitenzone ausbreitet.-
Teil 1 Großmeister

Aether (The Light Ages) ist ein Entwicklungsroman, der vom gesellschaftlichen Aufstieg eines Opportunisten erzählt, er erzählt aber auch von einer Liebe und von einer großen Lüge. Ian R. MacLeod übt Gesellschaftskritik und er vermittelt dem Leser das Gefühl, eine perfekte Beschreibung der englischen Klassengesellschaft im 19. Jahrhundert zu erhalten. Nur – der Roman spielt nicht im 19. Jahrhundert, sondern am Ende des Dritten Industriellen Zeitalters. Die Arbeiter schuften nicht in Bergwerken und Baumwollwebereien, sondern in Aetherfabriken. Nicht Adlige und Industriebarone haben die Macht, sondern die Großmeister der bedeutendsten Gilden und es gibt Klassenkämpfer, Sozialrevolutionäre, die das System stürzen wollen, auch wenn sie nicht Marx und Engels heißen. Ian R. MacLeod erschafft eine Welt, die dem Leser vertraut ist, weil sie zur europäischen Geschichte gehören zu scheint, andererseits ist sie faszinierend fremdartig. Der Aether hält zwar Maschinen zusammen, die ohne ihn auseinanderfallen würden, aber er birgt auch Gefahren. Mit Aether kann man aus Tieren Monster machen und es gibt Menschen, die nach Unfällen zu furchtbar entstellten Wesen wurden, leidende Kreaturen, die in besonderen Anstalten verwahrt werden müssen. Trotzdem schildert MacLeod keine Horrorszenarien, er legt es nicht darauf an, beim Leser Schockeffekte hervorzurufen, er beschreibt die Wirklichkeit des Dritten Industriellen Zeitalters auf eine selbstverständliche, unspektakuläre Weise und erschafft damit eine ganz besondere Atmosphäre und das obwohl die Menschen in Aether genauso sind, wie sie schon immer waren: Machtgierig, voller Ideale, desillusioniert, verliebt, aufopferungsvoll, egoistisch, widersprüchlich – kurz gesagt: menschlich.

Am Ende der Straße von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– Die Dunkelheit ist lebendig, genau wie wir. –

Zu Am Ende der Straße liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von The Amulet of Samarkand von Jonathan StroudÜber das moderne British Empire herrscht eine machtgierige und paranoide Clique von Zauberern. Mr. Underwood, der einen geringen Posten in der Regierung inne hat, soll den hochbegabten Nathaniel unterrichten, unterschätzt diesen jedoch völlig. So beschließt der Junge voller Ehrgeiz und Ungeduld den uralten Djinn Bartimaeus zu beschwören, damit dieser vom arroganten Simon Lovelace das mächtige Amulett von Samarkand stielt. Unversehens geraten die beiden in eine großangelegte Verschwörung um Macht, bei der die Akteure nicht zimperlich sind und ohne zu zögern über die Leichen Unschuldiger steigen…

-The temperature of the room dropped fast.-
1

In The Amulet of Samarkand (Das Amulett von Samarkand) Geschehen findet das Geschehen weitgehend im modernen London mit Limousinen und Telefonen statt, erst gegen Ende verlagert es sich von der Stadt aufs Land. Ein besonderes Gefühl der Urbanität kommt jedoch nicht auf, das Setting ist eher Kulisse für die Handlung. Für die Briten gestaltet sich die Ordnung der intelligenten Wesen so: Ganz oben stehen natürlich die Zauberer, dann kommen die Gewöhnlichen und zum Schluß die Dämonen (Marids, Afrits, Djinn, Foliots und Imps) – aber die meisten “Dämonen” sind nicht gerne Sklaven und auch die Gewöhnlichen wollen nicht alle von Zauberern regiert werden. Um eine Dynastienbildung zu verhindern, dürfen Zauberer keine leiblichen Kinder haben. Gewöhnlichen Eltern wird ein Kind von etwa sechs Jahren abgekauft, einem Zauberer zur Ausbildung überlassen und der Geburtsname wird gelöscht, damit er niemanden in die Hände fällt – denn Wissen über den wahren Namen eines Dinges bedeutet, darüber bestimmen zu können. Von Außenstehenden wird das Kind mit dem Namen seines Meisters angesprochen, vom Meister nur als Junge oder Mädchen bis zum zwölften Lebensjahr, in dem sich der Lehrling einen Namen aussuchen darf.
Mit Zauberei läßt sich so manches vollbringen – mit einer kurzen Spruchformel und einer schnellen Geste lassen sich Schadenszauber, Schutzzauber oder Haltezauber wirken. Der wichtigste Zauber aber ist das Binden von “Dämonen”. Aufwendig muß der Zauberer den wahren Namen recherchieren, in einem anstrengenden Ritual mit seltenen Ingredienzien an sich binden und dann hat er einen Sklaven, der ihm gehorchen muß. Die “Dämonen” nun sind – je nach Grad – mächtige Wesen, ein Djinn wie Bartimaeus kann seine Gestalt fast beliebig verändern, alle sieben Ebenen einsehen – und damit leichter die wahre Natur eines Dinges erkennen – und einiges an Zaubern wirken. Doch Vorsicht ist geboten, denn nur die wenigsten “Dämonen” lieben ihren Herren, die meisten lieben es jedoch diesem Schaden zuzufügen, daher sollte ein Zauberer sich den Wortlaut seiner Befehle genau überlegen. Die arabischen/europäischen Vorbilder der magischen Elemente sind deutlich zu erkennen, was bei der Konfrontation von Magie und Moderne aber auch nicht sonderlich stört. Ärgerlich dagegen ist die Unklarheit darüber, wie mächtig etwas wirklich ist, welche Möglichkeiten die Zauberei bietet und noch schlimmer: “Dämonen” sollen gerne ihren Meistern Schaden zufügen, sagt Bartimaeus, eine unverdächtige Quelle in diesen Zusammenhang. Geboten werden dem Leser aber nur Gegenbeispiele.
Figuren treten zwar etliche auf, doch größere Rollen spielen nur wenige. Nathaniel ist der eigentliche Protagonist der Geschichte, er ist jung, ehrgeizig, höchst talentiert – und ungeduldig. Kunstvoll werden diese Eigenschaften aus einzelnen, aber wichtigen Episoden abgeleitet. Aber im Gegensatz zu seinen Zaubererkollegen hat er noch Reste eines Gewissens. Bartimaeus übernimmt die Rolle des Sidekicks, allerdings ist er nicht nur für den Humor zuständig, sondern auch ein sehr fähiger Djinn. Er ist sehr gewitzt, neigt allerdings auch zu Übertreibungen, besonders dann, wenn es um die Mängel der Konkurrenten oder die eigenen Qualitäten geht. Einen besonders ausgeprägten Charakter hat er nicht, was daran liegt, daß er hauptsächlich Nathaniels Befehlen gehorchen muß. Er ist ironisch, geistreich und nicht besonders gewaltfreudig, aber durchaus dazu fähig. Die anderen Zauberer sind alle hartherzig und machtgierig. Manche sind unfähig, wie Underwood, andere sind talentiert, wie Lovelace, aber alle sind Mächtigeren gegenüber Speichellecker und Schwächeren gegenüber arrogant. Allesamt Radfahrer, ein paar mehr Unterschiede wären schön gewesen. Gelungener ist die Darstellung der “Dämonen”, diese sind viel farbenfroher und interessanter. Auch wenn die Herleitung des Charakters Nathaniels gut gelungen ist und keiner der anderen ein bloßer Gutmensch oder ein arger Bösewicht ist, sind die Charaktere der Menschen zu einseitig tendenziös und die Befähigungen der Zauberer scheinen mir unplausibel verteilt zu sein – Nathaniel ist äußerst talentiert und ihm gelingt, was nicht einmal vielen der Regierungszauberer zusammen gelingt.
Der Plot selbst ist nicht besonders originell, es geht um eine Verschwörung, in die der rachsüchtige Nathaniel und sein Sklave Bartimaeus hineingeraten. Dennoch ist die Geschichte spannend erzählt, dafür sorgen die vielen actionreichen Sequenzen und überraschenden Wendungen. Weiterhin wird sachte der sich anbahnende Konflikt mit der Resistance, einer Gruppe von Kindern der Gewöhnlichen, die allerdings ungewöhnliche Fähigkeiten haben und gegen das Establishment agieren, angedeutet. Da schon im ersten Kapitel ernsthaft in den Plot eingestiegen wird und die Handlung vielfach rasant voranschreitet, ist die Spannung das ganze Buch über hoch – sie unterliegt nur geringen Schwankungen, wenn es mal ein erläuterndes Kapitel gibt. Aus Bartimaeus lakonischen und ironischen Bemerkungen zieht das Buch außerdem einiges an humorvollen Momenten.
Ungewöhnlich wird aber mit den Erzählperspektiven umgegangen: Bartimaeus berichtet als Ich-Erzähler mit Fußnoten, die die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens symbolisieren (und zu komischen oder erläuternden Bemerkungen genutzt werden), während Nathaniels Kapitel von einer personalen Perspektive aus erzählt werden. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Cover des Buches Das Amulett von Samarkand von Jonathan StroudIn England herrschen Zauberer. Zwar gibt es auch “Gewöhnliche”, das sind Menschen, die nicht zaubern können, aber im öffentlichen Leben spielen sie keine große Rolle. Zauberer dürfen aber keine Kinder bekommen, stattdessen ist jede Familie dazu verpflichtet ein Kind von “Gewöhnlichen” auszubilden. So kommt Nathanael zu den Underwoods, bei denen er eine solide Ausbildung erhält, auch in Zauberei. Nathanael macht schnell große Fortschritte. Als ihn der einflußreiche Simon Lovelace bei einer Prüfung demütigt, schwört Nathanael Rache. Mit zwölf Jahren hat Nathanael soviel gelernt, daß er den mächtigen Dämon Bartimäus beschwören kann und ihn beauftragt das Amulett von Samarkand aus Simon Lovelaces Haus zu stehlen. Er ahnt nicht, welche Katastrophe er damit auslöst.

-Die Temperatur im Zimmer sank rasch. Eis bildete sich auf den Vorhängen und überzog die Deckenlampen mit einer dicken Kruste. Die Glühfäden sämtlicher Birnen schnurrten zusammen und verglommen, und die Kerzen, die wie eine Kolonie Giftpilze aus jeder feien Fläche sprossen, erloschen .-
Teil 1

Jonathan Stroud scheint eine Vorliebe für den bekanntesten deutschen Dichter zu hegen. Nathanael wirkt wie eine Mischung aus einem jungen Möchtegern-Faust und dem Zauberlehrling aus Goethes gleichnamiger Ballade. Er kann weitaus besser zaubern als Underwood es ihm zutraut, aber er ist noch nicht reif genug, um zu übersehen, welche Folgen sein Verhalten nach sich zieht und prompt löst er eine Katastrophe aus. Nathanael ist zweifellos eine sympathische Figur, jedoch ist er nicht so originell, daß er aus der Vielzahl, der in Kinderbüchern neuerdings zaubernden Jünglingen, herausragen würde. Nun hat der aufmerksame Leser vielleicht schon bemerkt, daß Nathanaels Name nicht im Titel des Buches auftaucht -und das hat seinen guten Grund, denn der eigentliche Star dieses Romans ist der Dämon Bartimäus, ein Dschinn und zeitweise Ich-Erzähler. Auf höchst witzige Weise erzählt Bartimäus seine Version der Geschichte. Er besitzt einen lakonischen Humor und eine erstaunliche Urteilskraft, er ist listig und kann sich in alles Mögliche verwandeln und wenn es nötig ist, scheut er auch nicht vor dem Einsatz roher Gewalt zurück. Zur Zeit ist er leider ein wenig miesepetrig. Es paßt ihm überhaupt nicht, daß ein Zwölfjähriger ihn beschworen hat und er jetzt tun muß, was Nathanael ihm befiehlt, deshalb wartet er nur auf eine Möglichkeit, den Bann zu brechen. Doch als die Lage immer verfahrener wird, bilden die beiden eine äußerst erfolgreiche Zweckgemeinschaft.
Bartimäus ist wahrscheinlich der originellste Dämon, der in Romanen gerade sein
(Un-)Wesen treibt, allerdings hat er einen Fehler: Seine Vorliebe für ausführliche Fußnoten. Die eine Hälfte der Fußnoten hätte gut in den Text integriert werden können und die andere Hälfte hätte in einem Glossar am Schluß des Buches untergebracht werden können. So stören sie allzu oft den Lesefluß und nur die Angst, etwas von Bartimäus’ britischem Humor zu verpassen, sorgt dafür, daß man nicht den Rat befolgt, den der Dämon in einer dieser Fußnoten dem Leser erteilt: Wieso verplemperst Du eigentlich deine Zeit damit, das hier zu lesen? Lies lieber oben weiter und sieh selbst!

Cover des Buches: "Anidas Prophezeiung" von Susanne GerdomIn ländlicher Umgebung, etwas isoliert, wachsen ein Junge und seine zwei Schwestern ohne Mutter auf, liebevoll umsorgt von der Tante, weniger vom bärbeißigen Vater, Lord Joris. Kurze Szenen aus einigen Jahren enden mit dem Besuch der zweiten Tante, einer Weißen Hexe, die bei allen Geschwistern den Magietest vornimmt. Er fällt bei der Jüngsten erstaunlicherweise negativ aus. Trotzdem geht es darum, dass sie mitwirkt, eine Welt zu retten, die sie noch nicht einmal kennt, während der Bruder längst zu den Grauen Magiern abgedriftet ist. Und die Bedrohung von der schwarzen Seite wächst …

-“Simon! Herr Simon!” Mit schrillen Rufen lief der langbeinige Junge über den Hof und scheuchte dabei eine Schar von Hühnern auf, die sich friedlich gesonnt hatten und nun laut gackernd das Weite suchten.-

Mit unscheinbarem Gewand und (für Fantasyverhältnisse) geringer Seitenzahl beginnt Susanne Gerdom ihre Trilogie rund um die Zwillinge Anida und Adina, die ihre Welt retten sollen. So weit nichts Neues. Doch dieser alte Hut wird von der Autorin ziemlich gut neu verpackt und nicht zuletzt der locker-flockige Schreibstil lässt die 400 Seiten wie im Flug vergehen. Besonders die aus der Ich-Perspektive erzählten Abschnitte Adinas mit ihrem trockenen Humor sind gelungen und sorgen für mehr als einen Lacher.

Zwar erfährt man nicht allzu viel von den Welten, auf denen die Charaktere leben, doch es reicht aus, dass sich der Leser ein Bild machen kann – der Rest bleibt der Phantasie überlassen. Die Gegensätzlichkeit der Welten, in denen die Zwillinge aufwachsen, sorgt für einen amüsanten Kulturschock Adinas, meiner Meinung nach der beste Teil des Buches.

Die Handlung verläuft sehr gradlinig, was den einzigen Wermutstropfen an dem ansonsten guten Buch darstellt. Mehr als die Geschichte der beiden Hauptpersonen wird nicht erzählt, hier hätte man sich ein wenig mehr gewünscht. Außerdem spart sich die Autorin den Hauptteil der Erklärungen für den nächsten Band: Fragen nach dem Warum werden mit “Es ist noch nicht die richtige Zeit.” auf später verlegt. So hat man zwar am Ende den Hauch einer Ahnung, tappt aber weiter wie Adina und Anida im Dunkeln.
Das Buch macht jedenfalls Lust auf mehr, zum Glück handelt es sich lediglich um den Auftakt. Ein leichter Spaß für Zwischendurch, vielleicht kein Highlight der Fantasy, aber dennoch lesenswert.

Der Bildband Art of the Duckomenta zeigt die Kunstwerke der Künstlergruppe interDuck, die leichtfüßig die Kunstgeschichte neumalt und -zeichnet. Protagonisten sind Donald, Dagobert, Daisy & Co., und sie alle begegnen uns in den größten Kunstschätzen unserer Kultur. Humorvolle Begleittexte in englischer, französischer und deutscher Sprache vervollständigen das perfekte Bild des Duck-Universums, was viele Leser in ihrer Kindheit als ihr Zuhause bezeichnet haben dürften.

– Jugend und Bohème haben stets eine eigene Vorstellung, wie man Spießbürger am besten ärgern kann. “Kunst kommt von Quälen”, behauptet die Avantgarde. Sie verbringt ihre Tage im Café, malt Rauchkringel in die Luft und trinkt Absinth. Sie nennt dies Arbeit. Mit dem Impressionismus hätte man jetzt eigentlich Geld verdienen können, aber das wäre gegen jede Künstlerehre. So malen die einen wieder, was sie sehen, und die anderen, was das Publikum nicht sehen möchte. In so manchen Fällen sind das Enten. –
– La Bohème, S. 206

Von A wie Agamemdux bis Z wie Zorngiebel: in Art of the Duckomenta dreht sich alles um das geflügelte Wort und Bild. Es mag manchen Leser erstaunen, doch die europäische Kunstgeschichte wurde maßgeblich von Enten bestimmt – ein Fakt, der so oft unter den Teppich gekehrt wird, dass ihm jetzt ein ganzer Bildband gewidmet wurde. Die größte Kunst dieses außergewöhnlichen Kunstbandes ist die konsequEnte Inszenierung einer Parallelwelt, in der Troja mit der Trojanischen Ente beschenkt wird, Wagner dank Schnabel erstmals gutmütig aussieht und die Kunstrichtung „Baumaus“ für Furore sorgt. Von Vor- bis Nachwort, von Ägyptischer Kunst bis hin zur Kunst der Moderne, die Inszenierung ist perfekt und meistert den Spagat zwischen Klamauk und Satire mühelos. Die gelbschnäbeligen Helden unserer Kindheit sind, so wird dem Leser mehr als deutlich bewusst, erwachsen geworden, denn war „ernsthafte“ Kunst und die intellektuelle Kunstbetrachtung nicht immer eine Erwachsenendomäne, eine fremde Welt, zur der einem als Kind auch mit viel Phantasie kein Zugang gewährt wurde? Die im Bildband dargestellten Kunstwerke richten sich, und auch das wird schnell deutlich, endlich an das Kind in uns, denn wie heißt es so schön? Kunst kommt von ZACK BOING KREISCH!

Liebevoll und spöttisch zugleich werden die Spielräume der Bildinterpretation ausgereizt, dass es für Leser wie mich, die in der Schule den Kunstleistungskurs belegten, weil sie nicht wussten, was sie taten, eine wahre Freude ist. Weder Martin Luther noch Louis XIV. sind sicher vor dem Medium „Comic“, welches seine vierfingrigen Hände nach allen Epochen ausstreckt und alle wichtigen Künstlerpersönlichkeiten und deren Opfer zu fassen bekommt. Die Begleittexte sind, neben den meisterlich verfremdeten Kunstwerken, die weit über die bloße Verschnabelisierung hinausgeht, das i-Tüpfelchen des Werkes. Hintergründe werden erdichtet, Jugendbewegungen erdacht und Künstlerschicksale enten anders, als gedacht; neben all der Phantasterei verliert der Leser jedoch nie den Bezug zu unserer realen Kunstwelt (die, nebenbei erwähnt, ohne all die Federn, Zwicker und Matrosenanzüge danach einfach etwas farblos wirkt). Denn nicht zuletzt ist der Bildband ein leicht-, wenn auch plattfüßiger Spaziergang durch mehr als 4000 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte. Wie nebenbei lernt der Leser nicht nur allerlei Jahreszahlen, sondern bekommt etwas zurück, was er vielleicht auf dem halben Weg zwischen Kindheit und Erwachsensein verloren hat: die Begeisterung für (komische) Kunst und die insgeheime Freude an wunderbaren Albernheiten.
Für all diejenigen also, deren Herz nicht für, sondern in einer Entenbrust schlägt, sowie für alle Kunst-, Quack- und Quatschinteressierte ist Art of the Duckomenta eine wahre Schatzgrube zum Blättern, Lesen und vergnüglichen Entellektualisieren.

Arthur Spiderwick's Field Guide von Holly Black und Tony DiTerlizziArthur Spiderwick legt – in der Hoffnung auf eine Veröffentlichung – sein wissenschaftliches Werk zur Klassifizierung und Bestimmung von Fabelwesen vor. Mit bunten Farbtafeln und erläuternden Texten werden Pixies, Boggarts, Elfen, Nixen, Kobolde und vieles mehr beschrieben. Zeitungsausschnitte, nachträgliche Notizen und weitere Materialien ergänzen den Band.

– Dear Sir or Madam,
I began the book you see before you many years ago, after my brother was killed and devoured, before my very eyes, by a troll. –

Arthur Spiderwick’s Field Guide (Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum) ist Teil des (inzwischen auch verfilmten) Spiderwick-Franchises, zu dem sich im Buchhandel Notizbücher, zig kleine Zusatzbände und dergleichen mehr stapeln. Der Field Guide sticht aus dieser Fülle angenehm hervor, denn er ist mitnichten nur für Fans oder jugendliche Leser interessant, sondern kann auch als eigenständiges fiktives Forscherhandbuch punkten – und zwar als eines der überzeugendsten, die sich finden lassen: Die Fiktion des wiederentdeckten, wiederhergestellten alten Notizbuches wurde von der ersten bis zur letzten Seite erhalten, die opulente Gestaltung zeugt vom Bemühen um eine authentische Präsentation. Selbst die Verlagsinfos und die Werbung für weitere Bücher aus der Spiderwick-Reihe sind stilvoll angepasst, und am Ende steht sogar eine Erklärung, wie und warum Arthur Spiderwicks Aufzeichnungen, die ja als handgeschriebener, wiederaufgetauchter Dachbodenschatz eingeführt werden, von Tony diTerlizzi und Holly Black für eine Massenproduktion aufbereitet wurden.

Die Geschichte, die zwischen den Zeilen in Zeitungsausschnitten, ‘handschriftlichen’ Ergänzungen und anderen Hinweisen erzählt wird, ist ein Kernstück der Spiderwick-Geschichten, allerdings ist sie hier eher Nebensache, denn inhaltlich schlägt der Band mit der Vorstellung verschiedener Feen- und Fabelwesen in dieselbe Kerbe wie Brian Frouds World of Faerie oder Von Elfen, Goblins, Spukgestalten (BrianFroud/AlanLee): Es werden vor allem die Wesen der englisch-keltischen Sagenwelt vorgestellt, Goblins, Boggarts, Banshees und so weiter (Schauplatz sind allerdings die USA). Sobald man sich von den Hausgeistern weiter wegbewegt, wird aber auch der Bezugskreis größer, so dass man auch Phoenix, Einhorn und Konsorten im Field Guide finden kann – mit wissenschaftlicher Akkuratesse auf ein realistisches Maß reduziert, klassifiziert und genauestens beobachtet. Tony diTerlizzi und Holly Black haben dabei eine beeindruckende Balance gefunden, die phantastischen Inhalte mit der wissenschaftlichen Präsentation zu verbinden, die das Spannungsmonent des Field Guide darstellt und ihn von vergleichbaren Werken abhebt.

Optisch macht das Buch einiges her: äußerlich ist es mit Lesebändchen und einem wunderschön gestalteten Einband versehen (unbedingt mal den Schutzumschlag abnehmen!), während sich im Inneren Beschreibungen und Bilder abwechseln. Manchmal sind es Bleistiftskizzen, aber zu jedem Wesen gibt es auch mindestens eine wissenschaftlich aufbereitete Farbtafel, bei einigen der größeren Tiere sogar zum (mehrfachen) Ausklappen – Maßstabsangaben sind nämlich immer dabei (hier einige Beispielseiten). Sind es bei den Hausgeistern vor allem noch die kleinen Details und Ideen, die bestechen – der Federball-Feudel eines Brownie zum Beispiel – macht an den größeren Wesen die realistische, detaillierte Ausgestaltung Freude, in die mit Sicherheit einiges an Überlegung geflossen ist, welche biologischen Grundlagen man dem ein oder anderen Fabelwesen verpassen könnte. Die gedeckten Farben, die Anmutung alten Papiers und die teils skurrilen Bilder wirken dabei zu einem überzeugenden Ganzen zusammen, farbenfrohe Wasserfarbenbilder der jeweiligen Umgebung setzen Kontraste.
Besonders gelungen sind neben den kleinen Hausgeistern der charmant grinsende Phooka, die insektoiden und floralen Kobolde, die zähneklauenden (Hob)goblins und die Meerjungfrauen (auch wenn hierbei anders als beim Rest Details zur Beobachtungssituation fehlen), wohingegen der Kelpie – vielleicht der doch eher unter jungen Lesern vermuteten Zielgruppe geschuldet – nicht sonderlich gruslig geworden ist.

Um dem Anspruch des wissenschaftlichen Werks zu genügen, den Arthur Spiderwick im Vorwort an sich stellt, dürfen (meist alberne) lateinische Namen und eine Einordnung in eine kunterbunte zoologische Taxonomie nicht fehlen, des weiteren gibt es Abschnitte über die Ausrüstung angehender Fabelwesen-Forscher und unterwegs immer wieder die fürs Märchenreich so bedeutsamen Verhaltensregeln. Eine von diTerlizzi und Black zusammengestellte, recht umfangreiche Literaturliste schließt den Field Guide ab – ein rundes, handwerklich absolut überzeugendes Werk, das in die erste Reihe der literarischen Mockumentaries gehört und unbedingt einen Blick wert ist, selbst wenn man mit den Spiderwick-Büchern nichts am Hut hat.

Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum von Holly Black und Toni DiTerlizziArthur Spiderwick legt – in der Hoffnung auf eine Veröffentlichung – sein wissenschaftliches Werk zur Klassifizierung und Bestimmung von Fabelwesen vor. Mit bunten Farbtafeln und erläuternden Texten werden Pixies, Boggarts, Elfen, Nixen, Kobolde und vieles mehr beschrieben. Zeitungsausschnitte, nachträgliche Notizen und weitere Materialien ergänzen den Band.

Zu Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Ash

Ash von Malinda LoAisling, genannt Ash, wächst wohlbehütet in dem Landhaus ihrer Eltern auf, bis ihre Mutter eines Tages sehr plötzlich erkrankt und stirbt. Der Vater bringt wenig später eine neue Ehefrau samt zweier Stiefschwestern nach Hause. Als kurz darauf auch Ashs Vater stirbt, bleibt das Mädchen mit ihrer Stiefmutter und den Stiefschwestern alleine zurück und wird zur Dienstmagd erklärt, die die angeblichen Schulden ihres Vaters abarbeiten soll. Den einzigen Trost in diesem traurigen Leben bietet ihr die Welt der Feen und Geister.

– Aisling’s mother died at midsummer. She had fallen sick so suddenly that some of the villagers wondered if the fairies had come and taken her, for she was still young and beautiful. She was buried three days later beneath the hawthorn tree behind the house, just as twilight was darkening the sky. –
Part One, The Fairy, S. 1

Ash ist der Versuch, das allseits bekannte Märchen von Aschenputtel neu aufzugreifen und mit alten Mythen und Legenden zu verknüpfen. Im ersten Moment erwartet man daher eine neuartige Aschenputtel-Geschichte und es gibt sie tatsächlich, die Parallelen, doch die Ausarbeitung enttäuscht und vermag letzten Endes leider nicht zu überzeugen. Während der Sprachstil dieses Romans eigentlich recht flüssig und malerisch daherkommt, wird die Story durch langweilige Nebenerzählungen zu einem zähen Gemisch von Mythen, dem Dahinvegetieren eines depressiven Teenagers und immer wieder eingeworfenen Anekdoten aus der Feenwelt, die so gar nichts Magisches oder Märchenhaftes an sich haben.

Wie schon in anderen Büchern, die versucht haben, eine Brücke zwischen Feenland und unserer Welt zu schlagen, wird die Melancholie der Protagonisten zu einem Stolperstein und so zieht sich in diesem kurzen Roman die Handlung unendlich langsam und belanglos dahin. Malinda Lo schafft es trotz ihrer Bemühungen nicht, diesem alten Märchen neues Leben einzuhauchen, trauriger noch, sie schafft es nicht einmal das Märchen zu bewahren und erzählt schlicht in leicht abgewandelter Form nach, ohne den Zauber transportieren zu können. Obwohl das Buch kaum 300 Seiten zu bieten hat, kommt es bis zum Schluss nicht in Fahrt und dümpelt entsprechend träge vor sich hin.

Auch die Charaktere vermögen den Leser nicht zu fesseln. Sie sind blass und oberflächlich gezeichnet, ihre Motivationen und Reaktionen wirken oft unglaubwürdig oder einfach nur unüberlegt, manchmal geradezu nervtötend dumm. Was ihnen fehlt, ist ein wenig Tiefgang und Dynamik. Ash wirft einmal mehr die Frage auf, weshalb Feen in solchen Büchern derart bewundert werden, wie sie als fröhliches, feierndes Volk bezeichnet werden können und gleichzeitig so entsetzlich motivations- und freudlos dargestellt werden. Es spricht ja nun nichts gegen einen ruhigen Erzählstil, doch in diesem Fall hat es die Autorin mit der Ruhe etwas zu gut gemeint.

Einen Versuch, Innovation zu zeigen, unternimmt die Autorin, indem sie das typische Aschenputtel-trifft-Prinz in ein Aschenputtel-trifft-Prinzessin umwandelt. Für einen Jugendroman zumindest mal ein etwas ungewöhnlicherer Ansatz und sicherlich auch positiv zu bewerten, wenn es darum geht, dadurch die Aufgeschlossenheit junger Leser gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe zu fördern. Aber auch dieser Aspekt bleibt wieder ohne atmosphärische Ausarbeitung und reiht sich unauffällig in die allgemein blasse Erzählung ein.
Sehr schade, denn die Idee klingt beim Lesen des Klappentextes erst einmal verlockend und auch die wirklich schöne Aufmachung des Buches ließ Großes hoffen, so jedoch eignet sich Ash lediglich als optisches Schmankerl im Buchregal.

Ash von Malinda LoAisling, genannt Ash, wächst wohlbehütet in dem Landhaus ihrer Eltern auf, bis ihre Mutter eines Tages sehr plötzlich erkrankt und stirbt. Der Vater bringt wenig später eine neue Ehefrau samt zweier Stiefschwestern nach Hause. Als kurz darauf auch Ashs Vater stirbt, bleibt das Mädchen mit ihrer Stiefmutter und den Stiefschwestern alleine zurück und wird zur Dienstmagd erklärt, die die angeblichen Schulden ihres Vaters abarbeiten soll. Den einzigen Trost in diesem traurigen Leben bietet ihr die Welt der Feen und Geister.

– Aislings Mutter starb mitten im Sommer. Sie war so plötzlich erkrankt, dass im Dorf schon gemunkelt wurde, die Feen hätten sie geholt, denn sie war noch jung und schön gewesen. Drei Tage später, bei Anbruch der Abenddämmerung, wurde sie unter dem Rotdornbaum hinter dem Haus beerdigt. –
Prolog, S. 7

Zu Ash liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

The Assassin's Curse von Cassadra Rose ClarkeAnanna von den Tanarau ist eine Piratin und Tochter eines hochgestellten Kapitäns. Ihr Leben lang träumte sie davon, eines Tages selbst Kapitänin eines Schiffes zu sein. Als ihre Eltern jedoch entscheiden, sie mit dem Sohn eines anderen Piratenkapitäns zu verheiraten, brennt die junge Frau an ihrem Hochzeitstag kurzerhand auf einem gestohlenen Kamel durch. Im Stolz verletzt schickt die Familie ihres Verlobten einen Assassinen aus, um Ananna zu töten. Doch es kommt alles ganz anders, als sie dem Auftragsmörder versehentlich das Leben rettet und damit einen alten Fluch auslöst, der Ananna und den Assassinen aneinander bindet.

– I ain’t never been one to trust beautiful people, and Tarrin of the Hariri was the most beautiful man I ever saw. (…) Golden skin and huge black eyes and this smile that probably worked on every girl from here to the ice-islands. I hated him on sight. –
Kapitel 1

The Assassin’s Curse ist der Debütroman der Autorin Cassandra Rose Clarke, die gleich in ein ungewöhnliches Setting eintaucht. Piraten auf hoher See treffen auf die Wüste des historischen Orients, wo man wiederum auf Ninja-mäßige Assassinen treffen kann, wenn man Pech hat. Ein wilder Mix von Inhalten und Persönlichkeiten, der jedoch gut funktioniert und sich von den üblichen Handlungsorten klassischer Fantasy positiv abhebt. Dieses Buch mutet an wie ein Crossover von Fluch der Karibik, Prince of Persia und Assassin’s Creed.

Man darf sich dabei über ein subtiles Magiesystem freuen, über Erdmagie, Wassermagie und vor allem die dunkle Blutmagie der Assassinen. Subtil deswegen, weil sich nicht alle Probleme durch Magie lösen lassen und sie eher ein Hilfsmittel im Hintergrund darstellt. Perfekt ausgereift ist das Ganze noch nicht, und bisher steht vor allem die Blutmagie im Vordergrund, doch das Potential ist da und lässt darauf hoffen, dass Band 2 dieser Reihe, The Pirate’s Wish, hier noch mehr ins Detail gehen und die restlichen Magiearten weiter ausarbeiten wird.

Was die Charaktere angeht, so sind diese im doppelten Sinne nicht perfekt. Ananna ist eine starke Frauenfigur, die man im heutigen Jargon mit “kickass” beschreiben würde. Sie weiß, was sie will, sie weiß nicht genau, wie sie es kriegt, aber wie sie es nicht erreichen kann, ist ihr stets klar, und entsprechend praktisch handelt sie. Sie ist bewaffnet mit Dolch, Schwert, schlagfertigem Mundwerk und kann sich mit Fäusten wehren. Auf der anderen Seite ist Ananna aber keine unverwundbare, perfekt gezeichnete Superheldin, die nicht gelegentlich auch mal schwache Momente hätte. Ihre Entscheidungen sind nicht völlig makellos, sie macht ihre Fehler, manchmal wirkt sie dabei etwas zu egoistisch und gedankenlos, andererseits … sie ist Piratin. Taktgefühl und Höflichkeit sind vermutlich nichts, was man auf einem Piratenschiff beigebracht bekommt.
Naji, der Assassine, ist Anannas Gegenteil. Er kommt einem wie ein magisch bewanderter Ninja vor, der sich unsichtbar durch Schatten bewegen kann und der nicht so eiskalt mordet, wie man von einem Assassinen erst einmal erwarten würde. Tatsächlich erinnern er und sein Orden ein wenig an Assassin’s Creed (s.o.), dessen Auftragskiller auch nicht so richtig blutrünstig sind und eher als Instrumente politischer Geplänkel benutzt werden, während sie darüber hinaus auch eine menschliche Seite haben und von eigenen Beweggründen getrieben werden. Naji ist der klassische Eigenbrödler mit einem gut gehüteten Geheimnis (vielleicht auch zwei oder drei …) , der von einer dunklen Aura umgeben wird und die gefürchtete Blutmagie beherrscht. Irgendwo in ihm aber versteckt sich auch noch ein Hauch kindlicher Verwundbarkeit, die ab und an aufblitzt und Naji Menschlichkeit verleiht.
Zusammengenommen sind Clarkes Charaktere durchaus sympathisch, vor allem weil sie nicht vollkommen sind und gerne mal aus stereotypen Rollen ausbrechen. Sie sind aber auch noch nicht völlig ausgereift und bieten genügend Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln.

Wenn es nun einen männlichen und einen weiblich Protagonisten gibt, die unfreiwillig zusammengewürfelt werden, ist natürlich zunächst auch schnell klar, wo das vermutlich mal enden wird. Auf der Pro-Seite steht dabei immerhin, dass das Abenteuer, die Aufgabe den Fluch zu brechen, im Vordergrund steht und die sich entwickelnde Freundschaft zwischen Ananna und Naji sich mehr nebenbei und nur sehr langsam einschleicht. Es wird zwischen den beiden nie zum Thema, was und ob überhaupt sie füreinander empfinden, man kann lediglich erahnen, was sich höchst wahrscheinlich entwickeln wird. Die Schmachtalarm-Glocke braucht man für dieses Buch erst einmal nicht, und so kann man sich in Ruhe an dem ungewöhnlichen Setting erfreuen.

Um die größten Mängel dieses Romans aufzuzählen: die Sprache hinkt oft ein wenig und kann sich nicht ganz entscheiden zwischen modern und historisch. Oft fallen Begriffe wie “bullshit”, “fuck off” und dergleichen, was in diesem Zeitkontinuum leider völlig fehlplatziert wirkt. Des weiteren war der Verlag bei der Korrektur nicht sehr ordentlich und hat etliche Rechtschreib- und Satzfehler übersehen bis hin zu einem Buchstabendreher im Namen. Gerade im letzten Drittel des Buches fällt das verstärkt auf, als wäre den Korrektoren die Lust ausgegangen.

Trotz einiger typischer Anfängerschwächen in The Assassin’s Curse überwiegen letzten Endes die positiven Eigenschaften. Wer mal wieder mit Piraten reisen oder Wüsten durchqueren will und einem Jugendbuch nicht gänzlich abgeneigt ist, der kann nicht viel verkehrt machen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Fortsetzung an die starken Elemente anzuknüpfen weiß und diese weiter ausbauen wird.

Assassin's Quest voh Robin HobbKing Shrewd ist tot. Fitz ist offiziell auch tot. Also machen sich Fitz und Nighteyes auf, um ihren Freund und König Verity zu retten. Dieser ist auf der Mission, die Elderlings zu finden, verschollen. Regal ist nun König der Six Duchies. Fitz fasst den festen Entschluss, erst einmal Regal zu töten, und dann Verity zu retten. Leider entpuppt sich beides als nicht so einfach, zumal niemand weiß, in welchem Niemandsland Verity verschollen ist. Letztendlich gilt es allerdings “nur” die Elderlings zu finden, sie als Verbündete zu gewinnnen und damit die Six Dutchies zu retten.

-I awake every morning with ink on my hands. Sometimes I am sprawled, facedown, on my worktable, amidst a welter of scrolls and papers.-
Prologue, The Unremembered

Der abschließende Band der Farseer-Trilogie ist ein würdiger Abschluss der Serie und ein ebenso großes Lesevergnügen wie die beiden Vorgängerbände. Dennoch reicht es nicht zur vollen Zufriedenheit.
Auf den ersten Blick scheint der Band einen Bruch gegenüber den anderen beiden zu vollziehen, da anstelle von höfischen Intrigen nun mehr und mehr offener Kampf in den Vordergrund tritt und auch die fantastischen Elemente an Stärke gewinnen. Trotzdem fügt sich das Buch nahtlos in die Reihe ein, da die Geschichte von Fitz konsequent weiterentwickelt wird. Die ersten beiden Bände enthielten die Einführung der Hauptfigur Fitz Chivalry und der Welt, in der er lebt, die Entwicklung seines Lebens am Königshof und schließlich den vorläufigen Höhepunkt von Regals Intrigenspiel. In Assassin’s Quest (Die Magie des Assassinen) folgt nun das “retardierende Moment” – Fitz’ Genesung und sein mühevoller Weg durch die Six Duchies und das Bergkönigreich -, bie es schließlich in der “Katastrophe” eines äußerst actionreichen Finales endet. Gegenüber den ersten beiden Bänden treten fantastische Motive nun stärker in den Vordergrund, insbesondere werden die magischen Kräfte “Skill” und “Wit” nun (endlich) näher beschrieben und weiter entwickelt.

Leider rächt es sich aber am Ende der Reihe, dass Hobb ihrer Hintergrundwelt im Verlaufe von zweieinhalb Bänden kaum Tiefe verliehen hat. Im zweiten Teil des dritten Bandes soll nämlich eine ganze Menge davon nachgeholt werden, insbesondere wird der Leser innerhalb weniger hundert Seiten mit einer ganzen Reihen von Geheimnissen um die Skill-Magie und die Elderlinge konfrontiert, die zuvor allenfalls kurz angedeutet wurden. Und auf den relativ wenigen Seiten des Finales wird plötzlich auch das Geheimnis der Outislander-Überfälle enthüllt, obwohl im dritten Band von ihnen kaum mehr die Rede ist. Hier wäre es sinnvoller gewesen, wenn Hobb nicht ganz so viel Platz auf die – teilweise doch etwas langatmige – Reise von Fitz und seinen Gefährten verwendet, sondern einige der epischen Geheimnisse besser vorbereitet hätte.
Trotzdem ist aber auch dieser letzte Farseer-Band wieder ein fesselnder Lesespaß, weil Hobb alle ihre erzählerischen Stärken ausspielt: Facettenreiche Protagonisten mit glaubwürdigen Interaktionen und nachvollziehbarer Entwicklung, die die Handlung vorantreiben. Besonders spannend ist es etwa zu lesen, wie sich die Beziehung zwischen Fitz und Nighteyes weiterentwickelt; auch die überraschenden Seiten, die der ehemalige Hofnarr plötzlich offenbart, geben der Geschichte eine neue Würze. Und diese Elemente sind auch der Grund, warum ich auch die nachfolgende(n) Trilogie(n) in der Welt der Sechs Herzogtümer – auch wenn sie für meinen Geschmack zu wenig Komplexität besitzt – sicherlich lesen werde.

Drachologie: Aufspüren und zähmen von Ernest DrakeIn Ein Kurs für Drachenforscher: Aufspüren und zähmen (Tracking and taming dragons) aus der Reihe Drachologie (Dragonology), erfährt der Leser, wie der Titel schon verrät, wie man einen Drachen aufspüren und zähmen kann. Geschildert und bebildert von dem fiktiven Autor und Drachenforscher Ernest Drake, erfährt man alles über die verschiedenen Erkennungsmerkmale, Spuren und den korrekten Umgang mit Drachen.

– Die Fertigkeit, sich so gut zu tarnen, dass man praktisch unsichtbar ist, rettete schon vielen Drachenforschern das Leben. –
Drachologie: Aufspüren und Zähmen, S. 7

Mit diesem Titel bringt der Verlag Ars Edition einmal mehr ein fantastisches Bucherlebnis auf den Markt. Nicht nur, weil es den Eindruck vermittelt, dass es tatsächlich Drachen gibt, sondern auch weil es so eindrucksvoll aufgemacht wurde. Während das Cover noch relativ unspektakulär wirkt, geht es im Buchinnern überaus Nostalgie erweckend zur Sache.
Klappt man das Buch auf, so findet man zunächst eine Mappe statt eines Buches. Links steckt das eigentliche Büchlein in einer Seitenlasche, die rechte Seite wird von einer Art Kuriertasche eingenommen, in der sich das Modell eines europäischen Drachen zum Zusammenstecken befindet.

Das Büchlein selbst bietet zwar nur magere 24 Seiten und ist in kurzer Zeit gelesen, doch die liebevollen Illustrationen halten einen mit ihren humorvollen Details auf jeder Seite fest, angefangen bei den Seiten selbst, die wie vom Alter gezeichnet wirken und zum Teil mit einem Foto alter Buchecken hinterlegt wurden, sodass sie wie ein altes, zerknittertes Tagebuch erscheinen. Das Papier der Seiten wirkt auch optisch wie das ungestrichene Papier eines vergilbten Skizzenbuchs.

Die Illustrationen sind, schlicht gesagt, herzallerliebst, strotzen nur so vor kleinen Details, die sich oft im Hintergrund abspielen, und sie sind zum Brüllen komisch. Neben den passenden satirischen Kommentaren sind es vor allem diese Illustrationen, die den Leser regelmäßig schmunzeln lassen. In schwarzbrauner Tusche mit Aquarell gehalten, liegt die eigentliche Wirkung der Zeichnungen dabei eindeutig auf den herrlich amüsanten Gesichtsausdrücken oder Gesten der Drachen. Hin und wieder werden kleine Besonderheiten auch mal farbig koloriert. Diese gesamte Farbgebung sorgt ebenfalls dafür, dass man während der Lektüre den Eindruck hat, ein händisch angefertigtes Forschungsbuch vor sich zu haben.

Zum Schluss steht es einem nun frei sich seinen persönlichen Drachen zusammen zu setzen und an die Zimmerdecke zu hängen. Das beigefügte Modell erwies sich als überraschend gut verarbeitet und aus stabilem Karton, wodurch es auch optisch aufgewertet wird und mit seinem Gewicht nicht labberig in der Gegend herum flattert. Auch hier wieder wunderbar gezeichnet und ausgearbeitet, besitzt es mit den gesetzten Highlights in goldener Farbe sogar ein wenig schuppigen Glanz (der leider auf den Fotos verloren geht).

Drachologie: Aufspüren und zähmen (Modell)
© moyashi

Interessierte Drachenforscher wird es vielleicht erfreuen zu hören, dass weitere Bücher in dieser Reihe erschienen sind. Neben einem großen Sammelband, der gleich mehrere Drachenmodelle enthält, wurde auch dem Frostdrachen ein eigener Band gewidmet.

Cover des Buches "Im Bann der Sturmreiter" von Cecilia Dart-ThorntonBeim Turm der Sturmreiter, die auf ihren geflügelten Pferden Nachrichten und kostbare Güter überbringen, wird ein entstelltes und stummes Wesen gefunden, und als einer der untersten Bediensteten aufgenommen. Als er erfährt, dass es in der Hauptstadt weit weg eine Heilung für seine Entstellungen geben könnte, flieht er auf einem Luftschiff und wird von Sianadh, einem halb-verrückten Piraten, gerettet.
Sianadh verrät dem Jugendlichen, der sich an nichts aus seinem Leben erinnern kann, ein großes Geheimnis und gibt ihm einen Namen: Imrhien. Doch die unberührte Wildnis, durch die sie sich schlagen müssen, ist genau so heimtückisch und gefährlich, wie es die Geschichten berichten. An jeder Ecke lauern üble Wesen…

-Der Regen war ohne Anfang und ohne Ende, ein unentwegtes Klopfen wie das Getrommel von ungeduldigen Fingern. Das Geschöpf kannte nur den Klang des Regens und das Rasseln seiner Atemzüge. Es wußte nichts über sich selbst, hatte keine Ahnung, wie es hierhergekommen war.-
Prolog

Cecilia Dart-Thornton breitet in diesem Roman ein pittoreskes Panorama vor den Augen ihrer Leser aus, das alles enthält, was den Freunden der Fantasy Freude macht.
Imrhien, ein Geschöpf mit entstelltem Gesicht, trifft auf seiner Suche nach Heilung auf Elfen, Wichtel, Kobolde, Geister, Wasserfrauen, Trolle, Seelies und Unseelies, Glastyns, einen Magier und Heilerinnen und nur selten ist einer von ihnen Imrhien wohl gesonnen. Dieses Szenario sorgt für Spannung und gute Unterhaltung, vor allen Dingen auch dann, wenn die Helden nicht ihre Muskelkraft, sondern ihr Köpfchen gebrauchen müssen, um einer Gefahr zu entrinnen. Es gibt eine köstliche Episode, in der einer von Imrhiens Freunden sich ein Reimduell mit einem Kobold liefert, bei dem es darum geht, wer von beiden das letzte Wort hat.

Ihre Inspiration hat Cecilia Dart-Thornton vor allem aus keltischen Sagen, aber auch aus der Odyssee, den Märchen der Brüder Grimm und vielleicht auch bei Rowling geschöpft oder die beiden Damen haben zufällig eine gemeinsame Vorliebe für das Schachspiel.
Aber während die Autorin bei der Darstellung der übernatürlichen Wesen aus dem Vollen geschöpft hat, hat sie die Ausarbeitung von Imrhiens Charakter ein wenig vernachlässigt. Das liegt auch daran, dass Imrhien das Gedächtnis verloren hat, nichts über sich weiß und sogar eine ganze Weile ohne Namen ist. Man denkt unwillkürlich an Quasimodo, den Glöckner von Notre Dame, denn ebenso wie er ist Imrhien ein entstelltes, von anderen gequältes Geschöpf, das unglücklich, aber sensibel ist und trotz mangelnder Bildung intelligent und von schneller Auffassungsgabe. Daher erwartet man einen in eine Fantasygeschichte gekleideten Entwicklungsroman. Aber in diesem ersten Band macht Imrhien noch keine charakterbildende und -verändernde Entwicklung durch, sondern schöpft eigentlich nur das Persönlichkeitspotential aus, das von Anfang an gegeben ist.

Percy Jackson: Im Bann des Zyklopen von Rick RiordanEin Jahr ist vergangen, seit Percy Jackson das letzte Mal im Camp Half-Blood war, und nur noch ein einziger Tag trennt ihn davon, ein ganzes Jahr lang nicht von einer Schule geflogen zu sein. Doch selbstverständlich kommt die Freude zu früh und die Monster zerlegen pünktlich zum letzten Schultag mit Feuerbällen die Turnhalle und lassen Percy zusammen mit dem Straßenjungen Tyson zum Camp Half-Blood flüchten. Dort angelangt offenbart sich Percy nicht nur das Sterben von Thalias Baum und ein nunmehr ungeschütztes Camp, sondern auch ein Ersatz für Chiron und ein Halbbruder …

– Mein Alptraum fing so an:
Ich stand auf einer verlassenen Straße in einem kleinen Ort am Meer. –
Mein bester Freund geht ein Brautkleid kaufen

Zu Im Bann des Zyklopen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Barbarendämmerung von Tobias O. MeißnerDer Barbar zieht durch ein nicht näher bestimmtes Land, das sich an seinen Rändern im Krieg mit den sogenannten Waldmenschen befindet. Auf seiner ziellosen Reise sieht sich der Barbar immer wieder mit der Dekadenz der Städte, ihren Regel- und Ordnungssystemen – die er weder teilt, noch nachvollziehen kann -, aber auch mit gefährlichen Monstern und sogar Heiligen und Göttern konfrontiert. Dabei wird er seiner Bezeichnung gerecht und zieht eine Spur der Verwüstung durch das Land.

-Menschen gaben sich diese Gesetze. Sie gaben sie sich selbst. Aber sie brachen sie auch. Nach eigenem Gutdünken.-
S. 258

Im Zentrum des Klappentextes zu Tobias O. Meißners Barbarendämmerung stehen vor allem die Rücksichtslosigkeit und Brutalität des titelgebenden Protagonisten, und tatsächlich nimmt die bildhafte Beschreibung von Gewalt und Grausamkeit recht viel Raum ein, die Stärken des Romans liegen aber vielmehr dort, wo den Abenteuern des Barbaren mehr abgewonnen wird als brutale Action.

Bis ungefähr zur Hälfte oder zwei Dritteln des Buches folgt auf ein in sich geschlossenes Abenteuer das nächste, sodass sich eher der Eindruck einer Sammlung von Erzählungen ergibt, auch wenn die Geschichten chronologisch aufeinander aufbauen und manchen kleinen Querverweis enthalten. Erst gegen Ende des Buches gehen die Episoden flüssiger ineinander über und sind nicht mehr für sich lesbar. Nachdem man sich aber über den Großteil des Romans auf Kapitel mit starker innerer Dramaturgie eingestellt hat, wirkt manches der abschließenden Kapitel mit überleitendem Charakter etwas belanglos, obwohl (oder vielleicht gerade weil) darin weiterhin die Regel von mindestens einem (mal mehr, mal weniger) ausführlichen Kampf pro Kapitel beibehalten wird.

Zwar lassen sich sämtliche Abenteuer flott lesen, vielleicht sollte man aber auch hier – wie bei Anthologien – immer mal wieder Pausen einlegen, um dem Repititionseffekt zu entgehen. Allerdings gibt es auch immer wieder besonders dichte Kapitel, die entweder mit ihrer Atmosphäre, der darin enthaltenen Figurenzeichnung und/oder über das Abenteuer hinausgehenden thematischen Gehalt punkten können. So fesselt etwa das Kapitel „ausSLöSCHeN“ den Leser/die Leserin mit der Verknüpfung vom Marsch durch einen Untoten-Sumpf mit retrospektiven Episoden. Grausiger Höhepunkt ist wohl die Kombination aus den Kapiteln „FReSSeN“ und „SauFeN“, die zeigt, dass nicht nur der Barbar in den Städten Chaos stiften kann, sondern auch die Städte im Barbaren.

Überhaupt gewinnt das Buch dort, wo es seinem Protagonisten etwas mehr Tiefe zugesteht, abseits des hypermaskulinen, naturverbundenen und non-konformen Barbarenklischees, dessen es sich bedient, und dem Verhältnis zwischen Barbar und StädterInnen mehr Ambivalenz verleiht. Denn das Barbarenklischee wird stellenweise ebenso dezent unterlaufen wie der damit verbundene Kulturpessimismus, der einem regellosen, „natürlichen“ Subjekt (dem Barbaren), die dekadenten und verweichlichten Städte gegenüberstellt. So etwa, wenn das Maß an Selbstdisziplinierung und -inszenierung erahnbar wird, das notwendig ist, damit der Barbar seine Wirkung erzielt, oder wenn klassisch kulturpessimistische Tiraden von einem egozentrischen und mehr auf Showeffekt, denn auf Wissenschaft schielenden Akademiker vorgetragen werden. Diesen Aspekten hätten gerne mehr Seiten gewidmet sein können, um den Abenteuern des Barbaren mehr Tiefe zu verleihen, denn das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Wertesystemen und die Geringschätzung der Städter für alles, was sie als unzivilisiert betrachten, wie die gleichzeitige seltsame Faszination, die dieses auf sie ausübt, wäre ein durchaus spannendes Thema, das hier allerdings zwischen allerhand Blutbädern eher untergeht als ausgearbeitet wird. Wie die Kapitelüberschriften zeigen, hat Tobias O. Meißner seine Freude an Experimenten nicht verloren, und in einem Kapitel kehrt er sogar der Prosa den Rücken.

The Battle of the Labyrinth von Rick RiordanDie Lage spitzt sich zu. Percy, Annabeth, Grover und Tyson bleibt keine große Verschnaufpause, denn ihr Erzfeind Luke hat einen neuen Plan, um das Camp Half-Blood zu vernichten und so den Weg zur Eroberung des Olymp freizumachen. Mit seiner Armee aus Monstern und Halbgöttern plant Luke durch das unterirdische Labyrinth in das Camp einzufallen. Doch unsere Helden scheuen natürlich wieder keine Gefahren, um Freunde und Götter zu verteidigen, stürzen sich mutig in das sagenumwobene Labyrinth des Minotauren und treffen auf Gegner, die stärker sind als alles bisher da gewesene.

– Nothing caps off the perfect morning like a long taxi ride with an angry girl. –
The underworld sends me a prank call, S.18

The Battle of the Labyrinth (Die Schlacht um das Labyrinth) beginnt geheimnisvoll mit vielen Andeutungen und zunächst nur halb verständlichen Wahrheiten. Allmählich zeichnet sich ab, dass ein Krieg zwischen Olymp und Titanen nicht zu vermeiden ist, und mittendrin stehen die Halbgötter und müssen sich für eine Seite entscheiden. Entsprechend düster ist auch die Grundstimmung des vierten Abenteuers von Percy Jackson & The Olympians, denn die Verluste in den eigenen Reihen mehren sich und hinterlassen einen bitteren Beigeschmack. Das wird vor allem in der zweiten Hälfte des Buches immer stärker deutlich. Doch Percy Jackson wäre nicht Percy Jackson, wenn er nicht auch noch im Angesicht des Todes einen kessen Spruch auf den Lippen hätte. So tritt der bisher lockere Humor zwar etwas weiter in den Hintergrund, auch dies fällt wieder besonders in der zweiten Hälfte auf, wird aber durch noch mehr zynischen und schwarzen Humor ersetzt. Für den Leser bleibt es also weiterhin zum Brüllen komisch, egal wie ernst die Lage ist.
Einzelne Inhalte von The Battle of the Labyrinth transportieren dementsprechend aber auch einiges an Tragik und genügend Gründe für einen Moment des Bedauerns. Nicht nur die Protagonisten werden älter und plagen sich neben der Monsterjagd auch noch mit ganz alltäglichen Problemen eines Teenagers, auch die Themen werden erwachsener und ein wenig herausfordernder.

Anders als im Vorgänger The Titan’s Curse (Der Fluch des Titanen) tauchen weniger neue Charaktere auf, das kommt den bereits bekannten Figuren zugute, deren Persönlichkeiten weiter ausgebaut werden oder eine größere Rolle als bisher einnehmen dürfen. Einen neuen Charakter gibt es aber, der sowohl tragend für diesen vierten Band ist, als auch interessante neue Entdeckungen offenbart. So laufen in The Battle of the Labyrinth verdächtig viele rote Fäden zusammen und sorgen für Aha!-Effekte.

Inhaltlich treten ebenfalls wieder verstärkt mythische Gestalten auf und man darf mit Freude feststellen, dass die Monster nun endgültig dazu gelernt haben. Sie fallen nicht nur nicht mehr auf die alten Tricks herein, nein – sie machen sich auch mit ironischer Selbstverständlichkeit darüber lustig, wenn man das Thema anspricht. Wenn man der Sphinx beispielsweise vorwirft, die gestellte Aufgabe sei aber nicht das Rätsel aus Ödipus’ Begegnung mit ihr, so antwortet sie hochnäsig, das sei eben der Grund, weshalb sie sich etwas neues einfallen lassen musste. Dieses neu Eingefallene sorgt dabei beim Leser für Lachtränen, doch die Details sollte jeder für sich selbst entdecken und werden hier nicht verraten.

Rick Riordan hat mit The Battle of the Labyrinth eine rundum stimmige Erzählung geschaffen und konnte wieder einige Schwächen aus den Vorgängern weiter verbessern. Auch verlagert er die Handlung aus der gewohnten Welt in ein unterirdisches Labyrinth, welches überall und nirgends mit der eigentlichen Welt verbunden ist. Die Dimensionen verschwimmen und Tunnelgänge funktionieren wie Wurmlöcher. Das Einzige, was The Battle of the Labyrinth fehlt, ist der obligatorische Minotaur, auf den man nach den Ereignissen in The Lightning Thief (Diebe im Olymp) trotz Labyrinth verzichten muss.

Unter dem Strich ist der vierte Band dieser Buchreihe etwas ruhiger und manchmal trauriger, dann aber doch wieder sehr humorvoll und auf jeden Fall eine Fortsetzung mit inhaltlich gestiegener Qualität. Das Buch spielt fast ausschließlich im Labyrinth und lässt ein wenig Abwechslung vermissen, bringt die einzelnen Handlungsstränge der Vorgänger dafür aber erstmals deutlich zusammen und lässt auf ein spannendes Finale hoffen.

Die Bienenkönigin von Thomas Burnett SwannDie Vestalin Rhea, eine Tochter des ehemaligen Königs von Alba Longa, wird zum Tode verurteilt, nachdem sie Zwillinge geboren hat. Auch ihre Söhne sollen getötet werden, doch der damit beauftragte Hirte erbarmt sich ihrer und setzt sie aus. Sie werden von der Dryade Mellonia gerettet, die sie zusammen mit der Wölfin Luperca versorgt. Als Romulus und Remus junge Männer geworden sind, wollen sie den Tod ihrer Mutter rächen und den Thronräuber von Alba Longa vertreiben.

-Aber eine Schnecke taugt auch nicht viel, nicht wahr? Aber sie kriecht, sie schwenkt die Fühler und bringt uns zum Lachen, sie hinterlässt eine silberne Spur, und wenn sie stirbt, eine hübsche Muschel, wie Perlmutt. Ich würde eine Welt ohne Schnecken hassen.-

Thomas Burnett Swann ist der einzige Fantasy-Autor, der sich mit Leidenschaft und großer Kenntnis der Mythologie der Antike verschrieben hat. Leser, die sich wünschen, dass es schnell und eindeutig zur Sache geht, sollten den Autor abhaken, denn sie werden mit seinen lyrischen und verspielten Versionen der Sagen des klassischen Altertums, angesiedelt in pastoralen Landschaften voller Fabelwesen, die einem anderen Zeit- und Werteverständnis als die Menschen folgen, nicht gut bedient. Die mythologische Fantasy von Swann funktioniert am Besten für Freunde von Geschichten voller funkelnder Details, Szenen von großer Wärme und einer generellen Wertschätzung des Wie vor dem Was einer Geschichte.

Die Bienenkönigin (Lady of the Bees) ist eine Erweiterung der älteren Kurzgeschichte Der Feuervogel und bereichert diese um einige Aspekte, wie etwa Abschnitte, die aus der Sicht der Dryade Mellonia erzählt werden – abwechselnd mit Sylvan, einem jungen Faun. Der von Swann häufig gewählte Kunstgriff, Fabelwesen als Erzähler zu nutzen, ist durch diese Dualität, die sich auch in anderen Aspekten durch den Roman zieht, besonders gelungen: Sylvans Sorglosigkeit steht die Komplexität und Altersschwere der ewig jungen Dryade entgegen, mit der Weiterentwicklung der Geschichte und ihrer Figuren kehrt sich das Verhältnis jedoch um.

Swanns Antike ist ein goldenes Zeitalter im Herbst: Die Helden blicken selbst auf eine glänzendere Zeit zurück und sind sich bewusst, dass sie einer ausklingenden Ära angehören, dass die Magie im Niedergang begriffen ist, wodurch die Geschichte stets ein Hauch der Melancholie durchweht.
Der Stil, der damit einhergeht, ist üppig, schwelgerisch, selbst in der teilweise suboptimalen Übersetzung, die aus den fließenden, poetischen Sätzen manchmal etwas sperrige Konstrukte macht. Wie kaum ein anderer Autor schafft Swann diesen Balanceakt in einer Welt, in der sich Faune im Wald tummeln und Frauen Brüste wie Melonen haben können, ohne dass der Text überladen oder unpassend wirkt.
Hintergründiger Witz lockert die Erzählung ebenso auf wie eine teils subtile, teils direkte Frivolität, wie man sie auch bei Catull oder Ovid finden könnte. Die zivilisationsfernen Erzählstimmen von Sylvan und Mellonia, die zunächst keiner menschlichen Moral folgen, lassen trotzdem keine Zweifel daran, wo im Einzelnen Gut und Böse zu finden sind, wo die Grenze verläuft zwischen Objektivierung des Gegenüber und Respekt vor dem Anderen. Auf beinahe jeder Seite strahlt eine Wärme aus der Geschichte, die ihresgleichen sucht: Sei es in der unbescheiden-drolligen (Selbst-)Beschreibung des Fauns, bei den Details, mit denen die Waldtiere auftreten, oder der Verehrung von unbedeutend scheinenden Göttern.

Die Handlung von Die Bienenkönigin ist in drei Sätzen erzählt und weder komplex noch neu, doch sie entfaltet sich trotzdem wie eine griechische Tragödie vor dem Leser, die unaufhaltsam einem Punkt entgegenstrebt, der durch Figurenkonstellation und Umstände vorgegeben ist. Die Geschichte von Romulus und Remus ist bekannt, der Konflikt der Zwillingsbrüder spielt sich allerdings fast immer unterschwellig ab, steht stellvertretend für zwei Wege, die die Menschheit einschlagen kann: einen harmonischen Weg mit der Natur und einen Weg der Gewalt, der sich durch seinen aktionistischen Charakter immer durchsetzen kann. Ein richtiger Kampf wird daraus so gut wie nie, denn der sanfte Weg von Remus ist dafür zu nachgiebig und lässt die Eskalation umso gravierender ausfallen.

So alt und vertraut der Mythos auch ist, Swann ist weit davon entfernt, einen antiken Einheitsbrei vorzusetzen – in seiner Welt ist eine ganze Bandbreite von Einflüssen sichtbar, von den Etruskern über die Minoer bis hin zum fernen Osten, Verbindungen zu anderen Swann-Werken wie der Minotaurus-Trilogie werden deutlich und vermitteln zusammen mit der fiktiven Geschichtsschreibung, von der in der Palmenblatt-Bibliothek in Die Bienenkönigin die Rede ist, ein zusammenhängendes Bild einer fiktiven, mythischen Antike.

Die lyrische Ästhetik findet sich bei Die Bienenkönigin nicht nur im Stil, sondern auch in den Beschreibungen dieser Welt, in der Mythen Wahrheit sind. Der vielbeschworene Sense of Wonder stellt sich auf unspektakuläre, beinahe spielerische Art und Weise ein, durch das Pendeln zwischen Heiterkeit und Melancholie, durch das Fernweh in eine geträumte Vergangenheit, deren Schleier Swann in seinen Romanen ein wenig lüften kann.
Die Besonderheit von Die Bienenkönigin lässt sich leichter erfahren als beschreiben, denn wenn man behauptet, dass jede Seite Freude beim Lesen macht, wird man dem Roman zwar durchaus gerecht, hat aber doch viel zu wenig gesagt. Wer Silberglocken hören und seidige Faun-Schwanzquasten spüren will, sollte sich im Antiquariat auf die Suche machen und trotz des fragwürdigen Covers einen Blick wagen.

Blade of Tyshalle Matthew Woodring StoverHari Michaelson tritt nicht mehr als Caine auf. Seit seinem letzten Abenteuer auf Overworld hat er einen Posten beim Studio, und dort sitzt er – von der Hüfte abwärts gelähmt – seine Zeit ab, entfremdet von sich selbst und seiner Frau. Die Studio-Bosse haben allerdings Pläne, die weit über die bisherigen Eingriffe auf Overworld hinausreichen, denn wartet dort nicht eine neue Welt, die alle Ressourcen bietet, die die Menschheit bereits verbraucht hat?
Hari und seine Frau Shanna, auf Overworld die Flussgöttin Pallas Ril, wollen nicht tatenlos zusehen, ahnen aber nicht einmal, wie mächtig die Feinde sind, die sie sich auf der einen und der anderen Welt gemacht haben. Sie warten nur auf ihre Gelegenheit …

-A tale is told of twin boys born to different mothers.
One is dark by nature, the other light. One is rich, the other poor. One is harsh, the other gentle. One is forever youthful, the other old before his time.
One is mortal.-
Zero

Heroes Die, das erste Abenteuer des Schauspielers Hari Michaelson, der als Caine zum Fantasyhelden in einer Parallelwelt wird, definierte 1998 die Sword & Sorcery neu. Der Nachfolger Blade of Tyshalle sprengt Genregrenzen und überschreitet auch alle anderen Grenzen, auf die er im Laufe von knapp 800 klein bedruckten Seiten stößt.
Die Handlung könnte man zunächst als zweiten Aufguss von Heroes Die verstehen: Protagonisten, Antagonisten und der Konflikt ähneln sich, doch das Spiel mit Schauspieler und Publikum, mit der Geschichte und ihrer Verquickung mit den Rezipienten, das den ersten Band bestimmt, wird von einer breiteren Thematik abgelöst: Die Erde hat entdeckt, dass sich das von sogenannten Elfen und Zwergen bewohnte Overworld (diese Volksbezeichnungen sind ähnlich pejorativ zu verstehen wie in unserer Geschichte etwa “Rothäute”) noch viel direkter ausbeuten lässt als nur als Abenteuerspielwiese für Reality Shows. Vor allem aber ist Blade of Tyshalle größer, epischer, die Abgründe klaffen tiefer, es steht mehr auf dem Spiel, es wird mehr gelitten (oh, was wird zwischen diesen Buchdeckeln gelitten), und es gibt mehr zu bestaunen.

Statt nur Caine und hin und wieder einigen Nebendarstellern gibt es nun eine ganze Riege wichtiger Figuren; statt vorrangig auf einer Welt zu spielen, gibt es zwei Schauplätze, die nicht unterschiedlicher sein könnten: das magische Overworld kommt diesmal weit über eine bloße Kulisse hinaus, weite Teile des Romans spielen jedoch auch auf der zukünftigen Erde, in einer dystopischen, gnadenlosen Kastengesellschaft, in der nur Dinge weitergedacht wurden, die im Ansatz bereits vorhanden sind – Medienmacht, Reichtum, der bei einigen wenigen im Hintergrund bleibenden Mächtigen gebündelt ist, eine hoffnungslose Unterschicht und eine starke Polizeimacht, die dieses (anti-)soziale Gefüge zusammenhält. Stovers Gesellschaftskritik umschließt sowohl das große Ganze als auch kleine Details, wenn man von Einzelschicksalen in diversen Schichten erfährt oder das klassische Motiv des in einem solchen System gefährlichen gedruckten Buches zur Sprache kommt.
Da das Regime nun auch nach dem vergleichsweise idyllischen (wenn auch von paradiesischen Zuständen weit entfernten) Overworld lechzt, kann es seine ganze Brutalität in Form von Kolonialismus auch dort ausspielen, wo zwar keine Technik, sondern nur Magie funktioniert, indem es auf bewährte, alte Methoden zurückgreift, die schon den europäischen Konquistadoren gute Dienste geleistet haben.

Nietzsche, Heinlein und Howard, die innerhalb des Textes und in der Widmung genannt werden, zeigen die Eckpunkte für das auf, was dann als Reaktion folgt.
Trotz großer Figurenriege ist Blade of Tyshalle ein Buch Caines. Die Figur wird demontiert, filetiert sogar: Hari Michaelson/Caine (der noch viele weitere Namen bekommt und auch das Verhältnis zwischen seinen Persönlichkeiten ausloten muss) ist die Sorte Held, die erst ganz unten sein muss – und bei einem zähen Burschen wie ihm geht es verdammt weit nach unten – bis er wieder aufsteigen kann. Der Caine aus Heroes Die, der jede Situation im Griff hat, blitzt nur kurzzeitig auf, etwa dann, wenn er sich wie sein Vorgänger Conan auf einem Thron wiederfindet, ein Heer von Untertanen vor sich, obwohl er nicht zum Herrschen geschaffen ist und sein Fall bereits feststeht. Wenn man meint, aufgrund der Rückblenden in Blade of Tyshalle seine Biographie zu kennen, nimmt man Caine auch den fließenden Wechsel zwischen der Fäkalsprache des Slums seiner Herkunft und komplexen philosophischen Betrachtungen ab. Und am Ende wird man feststellen, ihn doch nicht gekannt zu haben.

Himmel und Erde werden in Blade of Tyshalle in Bewegung gesetzt, die Konflikte nehmen olympische Dimensionen an, existentialistische Philosophie steht neben knallharter Action, bluttriefender Brutalität und erhebenden, in beeindruckende Worte gefassten Momenten.
Die Grausamkeiten, die im Vorgängerband eigentlich schon eine Nummer zu groß waren, werden mit Links überschritten, Stover bedient sich hier klar aus der Effektschublade des Horrorgenres. Statt Sex und Gewalt gibt es nur Gewalt, denn brutaler Sex ist für Stover noch weniger als Gewalt ein Selbstzweck, sondern immer ein Machtmittel. Jedem Leser und jeder Leserin, die unappetitlichen Körperflüssigkeiten und Beschreibungen, bei denen man nur die Zähne zusammenbeißen und hoffen kann, sie mögen bald vorüber sein, lieber aus dem Weg gehen, kann man von der Lektüre nur abraten. Diese Szenen sind nicht nur um des Effekts willen vorhanden – extrem sind sie trotzdem.
Gerechtfertigt sind sie, wenn man so will, durch die extremen Themen, die Stover beackert: Wie in Blade of Tyshalle die Mechanismen der Adiaphorisierung und der Amoral der Massen greifbar gemacht und ins Zentrum der Handlung eines Fantasy-Romans gerückt werden, dürfte ein einzigartiges Meisterstück sein.

Die philosophischen Betrachtungen und Belastungstests der Ethik spielen sich nicht nur im Hintergrund ab, auch wenn Stover stark mit Leitmotiven arbeitet und seinen lebendigen, atemlosen Erzählstil beibehalten hat. Hinzu kommt ein Spiel mit der Erzählsituation des Romans und der Mythologisierung des Geschehens – wenn man sich also durchbeißen kann (durch die komplexe Thematik und die Brutalität) gibt es zum Ausgleich eine Ästhetik, die Ihresgleichen sucht. Die Sword & Sorcery wird in Blade of Tyshalle damit auf eine andere Ebene gehievt: Sie ist ein Erzählmodus, der den Rahmen für eine Geschichte vorgibt, die an allen Ecken und Enden aus ihrer Handlungsebene herausquillt.

Zu einem solchen monströsen Leviathan von einem Buch kann es auch nur ein persönliches Schlusswort geben: Mit Blade of Tyshalle hat Stover hoch gezielt, und es gibt allerlei Gründe, die dafür sprechen, dass er grandios gescheitert ist, dass man ein überambitioniertes, aus dem Ruder gelaufenes Projekt vor sich hat. Blade of Tyshalle ist vielleicht auch einer der Gründe, weshalb Stover trotz seiner innovativen, literarischen Romane nicht in einem Atemzug mit Steven Erikson genannt wird. Für mich ist Blade of Tyshalle dennoch ein großer Wurf, ein in allen Belangen beeindruckendes, erschlagendes Buch, das ich öfter als alle anderen aus dem Regal nehme. Und wer ein Nachwort verfassen kann, wie es in Blade of Tyshalle zu finden ist, darf vorher meinetwegen auch so oft “fuck” schreiben, wie er will.

Blood and Iron von Elizabeth BearIm New York der Gegenwart verfolgt Matthew der Magier, ein Mitglied des Prometheus-Clubs, die „Sucherin“ der Feenkönigin, die für ihre Herrin Kinder ins Feenreich entführt. Er zieht zwar im Kampf den Kürzeren, doch die Vorherrschaft der Menschen mit ihrem kalten Eisen ist besiegelt. Allerdings taucht ein begnadeter Magier auf – ein sogenannter Merlin – der das Gleichgewicht verschieben und den Konflikt beenden könnte. Sowohl Feen als auch Magier machen sich auf die Suche nach dem Merlin, um seine Gunst zu gewinnen. Die Sucherin, die durch grausame Bande an die Feenkönigin gebunden ist, und Matthew werden dabei in einen Strudel aus uralten und immer wieder neuen Ereignissen gerissen.

-Matthew the Magician leaned against a wrought iron lamppost on Forty-second Street, idly picking at the edges of his ten iron rings and listening to his city breathe into the warm September night.-
Chapter 1

Das Spannungsfeld zwischen modernem Großstadtleben und archaischer Märchenwelt bedient mittlerweile ein ganzes Genre mit Stoff, in dem gefährliche Vampire und Werwölfe auf toughe Frauen von nebenan stoßen oder abgerissene Detektive übernatürliche Fälle lösen müssen. Der Fokus liegt in der heutigen Urban Fantasy aber nur selten auf dem Wunderbaren, das einerseits nahtlos in den modernen Alltag eindringt und andererseits nicht seiner ureigenen Atmosphäre beraubt wird – wenn das geschieht, heißt der Autor mit großer Wahrscheinlichkeit Neil Gaiman oder Peter S. Beagle.
Elizabeth Bear könnte mit ihrer Promethean Age-Reihe in diesen illustren Kreis eintreten, wenn die guten Ansätze des Eröffnungsbandes Blood and Iron fortgeführt werden. Dabei pflegt Bear weder den elegant-sparsamen Stil eines Gaiman noch die lyrische Sprache eines Beagle, sondern fasst irgendwo dazwischen Fuß. An lyrischen Momenten fehlt es trotzdem nicht, bezieht sich doch die Handlung neben einer ganzen Reihe an anderen Mythenstoffen (von der Artus-Legende über Dracula bis hin zu nordischen Sagas und vielem mehr) auf traditionelle Balladen um Menschen, die ins Elfenland entführt worden sind, insbesondere Tam Lin. Kenntnisse in diesem Bereich eröffnen eine weitere Handlungsebene und machen das ein oder andere besser verständlich, sind aber nicht zwingend zum Genuss von Blood and Iron erforderlich.

Bear ist eine mit allen Wassern gewaschene Erzählerin, aber nicht immer einfach zu lesen. Sie verflicht ihre Handlungsstränge um die Sucherin aus den Elfenlanden und Matthew den Magier ausgesprochen vielschichtig, nutzt die Unterschiede zwischen Ich-Erzähler und Erzählern in der dritten Person für plot-relevante Kniffe und bringt eine Spirale in Gang, in der sich ihre Figuren in einem immer wiederkehrenden dramatischen Muster wiederfinden, das dem versierten Leser (und den Protagonisten) aus Geschichten und Mythen wohlbekannt ist. Sie wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, sind aber so tief darin verstrickt, dass sie letzten Endes mit unlösbaren Entscheidungen konfrontiert werden. Nahezu nebenbei bekommt man auch Einblicke in eine alternative Weltgeschichte, die bis in die Moderne hinein vom ewigen Kampf menschlicher Magier gegen die Einflüsse der Elfenlande geprägt ist – ein Konzept, das Elizabeth Bear in den sehr locker zusammenhängenden Bänden der Promethean Age-Reihe weiter verfolgt und das in seiner ambitionierten Planung durchaus als eine Art Lebenswerk gesehen werden kann.

Der beschreibungsreiche Stil der Autorin fügt sich vor allem dort gut ein, wo das düster-blutige, aber trotzdem farbenfrohe Elfenland lebendig werden soll; bei den Figurenbeschreibungen grenzt er manchmal ans Überladene. Was Bear allerdings aus ihrem Drachen macht, sollte jeden Fantasyleser überzeugen, der der Ansicht ist, dass gute Drachen rar sind. Und auch den ambivalenten Kelpie namens Whiskey vergisst man garantiert nicht so schnell …
Die Bandbreite an Mythen, Literatur und Geschichte, die in Anspielungen verpackt oder direkt als Stoffgeber genutzt wird, ist riesig, und Bear liefert fast immer eine erkennbar eigene Interpretation – unter anderem trifft man etwa auf eine eifrig häkelnde und doch in keinster Weise zu unterschätzende Morgan von Cornwall.
Der im modernen New York angesiedelte Handlungsstrang um Matthew, den menschlichen Magier, ist weniger opulent und gewinnt erst in der zweiten Hälfte des Romans Dynamik, wenn sich herausstellt, wie stark alle Figuren und Geschichten ineinander verschachtelt sind, und die Ereignisse sich überschlagen.
Bears Talent für beeindruckende Szenen kann sich richtig austoben, wenn sich das ganze Drama entfaltet, und nach dem stimmigen Ende, das dem Leser viel Raum für weitere Spekulationen lässt, fragt man sich eigentlich lediglich noch ein klein wenig, weshalb der eigentliche Aufhänger der Geschichte, die Merlin-Figur, um deren Gunst die Parteien ringen, in dem ganzen Spektakel etwas zu kurz gekommen ist.

Und wenn man schon auf hohem Niveau jammern möchte: In Blood and Iron wartet man vergeblich auf große Erklärungen zu dem teils hochkomplexen Geschehen. Weite Teile kann man sich gut zusammenpuzzeln, aber hin und wieder geschehen manche Entwicklungen einfach, und dem Leser sind weder Ursachen noch Folgen bekannt. Auch die Sucherin als Protagonistin, mit der Bear gegen sämtliche Konventionen verstößt, was ihre Charakterentwicklung und die Fortführung ihrer Geschichte angeht, ist bei einigen –schwerwiegenden– Entscheidungen schlecht nachvollziehbar. Der drastischen und beeindruckenden Entwicklung der Figur tut das allerdings keinen allzu großen Abbruch, denn die Naturgesetze des Promethean Age gründen sich häufig eher auf Mythen und alte Erzählmuster als auf Rationalität, und das macht einen großen Teil der Faszination dieser Geschichte aus.

Blood Rites von Jim ButcherWenn man gerade einer Horde wütender Affendämonen und ihrer fäkalen Wurfgeschosse entkommen ist, gibt es sicher Schöneres, als kurz darauf einem Vampir in die Arme zu laufen. Glück im Unglück, trifft Harry auf einen vergleichsweise harmlose Ausgabe, als Thomas vom Weißen Hof Harry bittet, einen Auftrag zu übernehmen. Der Regisseur eines kleinen Filmstudios glaubt sich verflucht, da seine weiblichen Darstellerinnen der Reihe nach auf merkwürdige Weise sterben. Harry übernimmt den Fall nur als Gefallen für Thomas, dessen Succubi-Clan er nicht mehr schätzt als fliegende Affenkacke. Dabei stolpert er jedoch über Geheimnisse, die ihm die Schuhe ausziehen.

– The building was on fire, and it wasn’t my fault. –
Chapter One

Wenn bei der Rettung von Hundewelpen mit Kot werfende Affendämonen zu einem gigantischen geflügelten King Kong in lila Farbe verschmelzen, dann führt das unweigerlich zu bizarrem Kopfkino. Doch genauso startet Blood Rites (Bluthunger) in das sechste Abenteuer von Harry Dresden, und es wird noch besser. Als »Mädchen für alles« (das darf man nun nicht falsch verstehen) landet Harry am Set eines Erotikfilms, wo tatsächlich ein Fluch die Darstellerinnen umbringt. Wer dahinter steckt, bleibt lange unklar, sicher ist nur, dass es einen Hexenzirkel geben muss, der sich seine Opfer gezielt aussucht. Doch was könnte der Grund sein? Steckt eine der zahlreichen Ex-Frauen des Regisseurs dahinter? Oder vielleicht ein konkurrierendes Filmstudio, das sich von den innovativen Ansätzen des neuen Mitbewerbers bedroht sieht? Oder ist es vielleicht auch etwas ganz anderes? Harry unternimmt selbstverständlich alles, um die Damen in Nöten vor der unsichtbaren Gefahr zu schützen, tritt dabei aber nicht selten in Stolperfallen, die ihn selbst zum Hauptverdächtigen machen. Richtig spannend wird es, als er am Set einen Vampir des Weißen Hofs entdeckt, der so schön wie gefährlich ist und sich als Schwester von Thomas entpuppt. Damit werden Verwicklungen aufgedeckt, die sich bis in Harrys dubiose Vergangenheit erstrecken. Erfreulich hierbei insgesamt ist, dass einmal nicht jedes Kapitel mit Harrys potentiellem Nahtod endet, sondern mit Neugier weckenden Mini-Cliffhangern zum Handlungsstrang.

Blood Rites liefert viele Einblicke in die Charaktere, allen voran in die von Harry und Thomas. Die Beschaffenheit des Weißen Hofs der Vampire wird näher beleuchtet, ebenso die Bürde, die er für manche Zugehörige bedeutet. Bisher ist diese Vampirfamilie nur als eine Art weniger gefährlicher und weniger ernst zu nehmender Sex-Vampire in Erscheinung getreten. Nun aber erfährt man mehr darüber, wie diese Familie sich ernährt, funktioniert und lebt. Die Dinge sind dabei nicht so schwarzweiß, wie es bisher den Anschein hatte.
Trotz des zunächst eindeutigen thematischen Schwerpunktes wird die Lektüre nie platt oder besonders erotisch (weniger sogar noch als in Death Masks), sondern die entsprechenden Elemente werden eher funktional beleuchtet – sicherlich bleibt da dennoch genug Platz für den ein oder anderen kessen Spruch.
Die Entdeckungen, die Harry macht, reichen von abstoßend bis unerwartet zu ganz klassisch überraschend oder erfreulich. Im sechsten Band lernt der Leser im Wesentlichen größere Charakterhintergründe kennen, die immer mal wieder zum Teil in den vorigen Bänden angedeutet wurden, und das sorgt für Spannung.

Wie schon in Death Masks (Silberlinge) wirkt Harry mit vorlauter Arroganz auch in Blood Rites insgesamt etwas spröder und muss deswegen ein paar Sympathiepunkte abgeben. Trotzdem ist dieser Band wieder sehr stark, deckt er doch vieles aus Harrys verschleierter Vergangenheit auf und verleiht seinem Charakter mehr Substanz. Ebenso kommt der Humor wieder stärker heraus, doch das ist angesichts der Entwicklungen fast schon zu vernachlässigen. Blood Rites wird von Seite zu Seite besser, da man hier neugierig verfolgen kann, welches Geheimnis sich als nächstes lüften wird. Am Ende ist nicht nur Harry verblüfft, wohl aber treffen ihn die Veränderungen am deutlichsten.

Bluthunger von Jim ButcherWenn man gerade einer Horde wütender Affendämonen und ihrer fäkalen Wurfgeschosse entkommen ist, gibt es sicher Schöneres, als kurz darauf einem Vampir in die Arme zu laufen. Glück im Unglück, trifft Harry auf einen vergleichsweise harmlose Ausgabe, als Thomas vom Weißen Hof Harry bittet, einen Auftrag zu übernehmen. Der Regisseur eines kleinen Filmstudios glaubt sich verflucht, da seine weiblichen Darstellerinnen der Reihe nach auf merkwürdige Weise sterben. Harry übernimmt den Fall nur als Gefallen für Thomas, dessen Succubi-Clan er nicht mehr schätzt als fliegende Affenkacke. Dabei stolpert er jedoch über Geheimnisse, die ihm die Schuhe ausziehen.

Zu Bluthunger liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Blutrote Schwestern von Jackson PearceScarlett und Rosie March sind seit dem Angriff eines Fenris-Wolfs in ihrer Kindheit gezeichnet. Ihre Großmutter, die Einzige, die sich je um sie gekümmert hat, wurde bei dem Angriff getötet, während Scarlett bei der Verteidigung ihrer kleinen Schwester schwer verwundet wurde und ihr rechtes Auge verlor. Seit jenem Tag ist sie besessen davon, jeden Fenris-Wolf zu töten. Zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Partner Silas macht sie des Nachts Jagd auf die Monster. Doch dann wird ihre Routine von einem besonderen Ereignis unterbrochen: Die Fenris-Wölfe haben einen Potentiellen gewittert, der zu einem von ihnen gewandelt werden kann. Die drei Jäger setzen alles daran, dies zu verhindern und den Potientellen vor den Wölfen zu finden.

– Er folgt mir. Wurde auch Zeit. (…) Ich täusche ein Zittern vor, als mir ein Windstoß durch die glänzenden Haare fährt. So ist es richtig … komm weiter, komm nur. Denk daran, wie brennend es dich nach meinem Fleisch verlangt. Denk daran, wie gut mein Herz dir schmecken wird. –
Kapitel 1, Scarlett March

Zu Blutrote Schwestern liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Tierführer Translunarien von Ludwig/KoegelEin Bestimmungsbuch für fantastische Geschöpfe, wie man sie noch nie gesehen hat: Schleudernase, Stadtkrake und Lassofant sind nur einige Tierarten, deren Vorkommen, Verhalten und Erkennungsmerkmale der vorliegende Tierführer erläutert. Ein Vorwort über Evolution klärt über die Umstände auf, unter denen solcherlei Tierarten vielleicht hätten entstehen können oder womöglich noch entstehen werden.

-Diese Fülle an überbordendem Leben, an außergewöhnlichen Kreaturen haben Sie wohl nicht erwartet. »Der BLV Tierführer Translunarien« stellt Ihnen einige der ungewöhnlichsten Geschöpfe unseres Planeten vor.-
Translunarien ist überall

Inspiriert von Loriots Steinlaus, Halbritters Tier- und Pflanzenwelt & Co., allerdings ohne die künstlerische Finesse in Bild und Text, hat sich der renommierte BLV-Verlag mit dem 2009 pünktlich zu Darwins 200. Geburtstag erschienenen Tierführer Translunarien einen kleinen Jux im Programm erlaubt. Und dabei ist es auch geblieben, zu einem großen Wurf scheinen letztlich der Mut oder die Ideen gefehlt zu haben.
Nachdem ein Vorwort in trocken-schulmeisterlicher Manier die Wirkweise der Evolution erklärt (und dabei unvermeidlich den alten Bekannten Birkenspanner auspackt), und es das erklärte Ziel des Tierführers ist, die Leserschaft über die Entstehung der Arten zu unterrichten, darf man Humor leider nur in sehr sparsamen Dosen erwarten, Ironie fehlt völlig – und genau diese beiden Zutaten geben dem Genre der Mockumentary oder dem fiktiven Forschungsbericht erst die Würze.
Gewiss, das Ansinnen, klassische Bestimmungsbücher zu imitieren, ließe sich auf seine Weise würdigen, aber wer sich erwartet, die Literaturgattung  (oder etwa gar der oder die Bestimmende) würde aufs Korn genommen, wartet vergeblich. Ebensowenig vorhanden sind Kommentare auf die Gesellschaft, das Leben, das Universum und den ganzen Rest, oder sie sind – wenn überhaupt – sehr versteckt und zaghaft angelegt.

Dass beim Eintrag zur »Steinlaus« Loriot selbst zitiert wird, mehrt den Ruhm des Tierführers Translunarien nicht: zu auffallend ist der Unterschied zwischen wohlgesetzten Seitenhieben mit feinster Komik und dem gewollten, aber nicht gekonnten Versuch, an diesen Tonfall anzuschließen.
Aber auch sonst scheinen die Vorbilder der beiden Autoren Friedrich Kögel und Mario Ludwig häufig zu stark durch. So findet man mitunter mehr oder weniger direkt aus den (auch in den Quellen angegebenen) Vorgängern After Man von Dougal Dixon und Halbritters Tier- und Pflanzenwelt inspirierte Kreaturen.

Die eigens für dieses Buch erfundenen Tiere und ihre besonderen Merkmale wirken bis auf wenige Ausnahmen einfallslos, nicht selten geschaffen, um eine bestimmte evolutionäre Eigenheit zu demonstrieren, ganz gleich, ob das Gesamtbild ein stimmiges ist oder nicht. Dieser Eindruck mag aber auch durch die nicht immer überzeugenden Illustrationen verstärkt werden. Dennoch hätte man sich insgesamt etwas mehr Ideenreichtum erwartet, anstatt nur Ohren zu sehen, die an Beine geklebt wurden, grotesk verlängerte Nasen oder Schwänze, oder ein Spiel mit der Größe verschiedener Tierarten. Lichtblicke wie die Christbaumleuchtschlange oder die Linksrumgämse bleiben eine Seltenheit im evolutionären Mittelmaß.
Wenn Wissenschaft vor Humor geht, möchte man meinen, dass zumindest ein Blick auf das Ökosystem möglich sein sollte, in dem die translunarischen Arten existieren. Doch Fehlanzeige – die Zusammenhänge bleiben nebulös, mit Ausnahme weniger direkter Jäger-Beute-Beziehungen leben die Tiere separat vor sich hin, und das auch nicht in irgendeiner ansatzweise ausgearbeiteten Umgebung, sondern in wild eingestreuten Weltgegenden irgendwo im Nirgendwo.

Man sollte aber kein Buch dafür rügen, dass es etwas nicht ist, was es nie sein wollte. Wo genau der Tierführer Translunarien allerdings hin wollte, erschließt sich auch nicht, wenn man sich durch alle Tierarten durchgeblättert hat – künstlerisch-ideenreicher Überschwang, der von bildungsbeflissenen Ambitionen eingebremst wurde, ehe er sich entfalten konnte? Putziges Geschenkbuch, das nach ein paar leisen Lachern in der Schublade verschwinden kann? Ein bisschen Spaß zwischen all den ernsten Bestimmungsbüchern, aber bitte nicht übertreiben?
Da mit dem Coverbild der optische Höhepunkt bereits abgedeckt ist, und nicht einmal die wissenschaftlichen Namen, die Raum für etwas Hintersinn geboten hätten, zur genaueren Betrachtung einladen, ist ein (kleines) Schmunzeln und ein wenig Anregung der Fantasie beim Darüberblättern vermutlich alles, was man aus dem Tierführer Translunarien mitnehmen wird, außer natürlich, man besitzt das Humorgen, mit dem man Länderbezeichnungen wie Lichtstrahlien oder Pommfritzien zum Schießen findet. Wenn nicht, greift man vielleicht besser zu den großen Vorbildern.

The Broken Kingdoms von N.K. Jemisin10 Jahre nach der Befreiung der Götter hat sich in Sky einiges verändert: durch den wachsenden Weltenbaum haben die Bewohner an dessen Fuße nicht mehr viel vom Sonnenlicht, weshalb das Viertel, in welchem die Heldin des Romans ihr Dasein fristet, kurzerhand in Shadow unbenannt wurde. Oree Shoth, eine blinde Maroneh, die mit dem Traum vom besseren Leben in die Stadt kam, verkauft billigen Tand an gütige Pilgerer und lebt davon mehr schlecht als recht. Gut, dass sie zum einen keineswegs so hilflos ist, wie es ihre Blindheit suggeriert, und zum anderen ist es ebenso hilfreich, einige Freunde unter den Godlings – den geringeren Götter – zu haben. Und Hilfe hat sie bitter nötig, als jemand damit beginnt, Godlings zu töten und sie bald selbst unter dringendem Verdacht steht.

– I perceived a wave of brightness so intense that I cried out as it washes past, dropping my stick to clap both hands over my eyes. I didn’t know these things could hurt like that. –
Chapter 2: „Dead Goddesses“ (watercolor)

Durch den unkonventionellen, imaginativen Vorgänger The Hundred Thousand Kingdoms (Die Erbin der Welt) waren die Erwartungen sehr hoch: schafft es N. K. Jemisin erneut, den Leser derart in den Bann der Geschichte um Götter, Liebe und Macht zu ziehen? Nicht unerwähnt soll bleiben, dass ich für gewöhnlich nichts mit Liebesgeschichten anzufangen weiß, und dennoch hat mich der erste Band sehr gut unterhalten.

Dem zweiten Teil der Inheritance Trilogy (Das Erbe der Götter) gelingt dies, kurz gesagt, nur bedingt. Die Protagonistin Oree Shoth beschäftigt sich in der ersten Hälfte des Romanes mit den mannigfaltigen Problemen, die unsterbliche Liebe so mit sich bringt – besonders, wenn ein Partner tatsächlich unsterblich ist, während der andere, wenn nichts dazwischen kommt, „nur“ noch 60-70 Jahre zu leben hat. Und man ahnt es schon: natürlich kommt etwas dazwischen. Mord und Totschlag, um genau zu sein, und ein mysteriöser Hausgast – der längst nicht so mysteriös ist, wie sich das N. K. Jemisin vielleicht gewünscht hat. Doch bevor die Handlung so richtig Fahrt aufnimmt, wird dem Leser vorerst eines klar: Sex mit einem Gott ist richtig gut. Wirklich. Wer das nicht glaubt, der kann es nachlesen (Buch aufschlagen, zehn Seiten vor- oder zurückblättern). Das Liebesleben von Oree ist ungewöhnlich, aber nicht so interessant, als dass es dem Leser nach mehr Details dürstet; und dennoch beschränkt sich die erste Hälfte des Romanes leider beinahe völlig auf die anstrengenden bis nervigen Liebesdünkel Orees. Es ist unfreiwillig komisch, dass das Buch gut wird, sobald die Quelle Orees endloser Liebeleien auf tragische Art und Weise kurzzeitig die Bildfläche verlässt.

Doch mit besagtem Moment nimmt das Buch deutlich an Fahrt auf und findet zu alter Stärke zurück: mit kreativen, guten Einfällen und überzeugenden Charakterinnensichten und -geflechten weiß Jemisin auf einmal wieder zu überzeugen und zu fesseln. Das chaotische Pantheon aus Göttern, Godlings und magisch begabten Menschen – wie Oree – und, dem entgegengesetzt, die Vielfalt aus Götterkulten und religiösen Mini-Diktaturen lassen viel Spielraum für überraschende Wendungen; die Geschichte wartet auf einmal mit Witz, Brutalität und Spannung gleichermaßen auf. Von den vielschichtigen Charakteren mit so einigen Untiefen begeistern besonders der Kindgott Sieh und der bereits erwähnte fremde Hausgast Orees; hier beschränkt sich Jemisin keinesfalls auf altbewährte Muster, sondern kreiert äußerst innovativ neue, glaubwürdige Gestalten.

Die Entscheidung, die Handlung aus der – nun ja – Sicht einer blinden Frau zu erzählen, die außer Magie nichts visuell wahrnehmen kann, halte ich für gewagt und ambitioniert – und sehr interessant. Jemisin gelingt es, bis auf einige kleine Momente der Unschlüssigkeit, die Geschichte spannend, leb- und glaubhaft zu erzählen, obwohl der Leser auf gewohnte Landschafts- und Personenbeschreibungen weitgehend verzichten muss. Besonders der teilweise beinah lyrische, doch zumeist sehr lockere bis flapsige Erzählstil charakterisiert die Protagonistin besser, als jede Beschreibung es könnte. Dass Oree gut aussieht und schöne Brüste hat, bleibt dennoch nicht unerwähnt, und auch der Fakt, dass sie aus offensichtlichen Gründen Nacktheit nicht beschämend findet und deshalb dieser frönt, erzwingt gewissermaßen die ein oder andere (auf Dauer ermüdende) Schlüpfrigkeit. Dass der Roman mit einem wortwörtlichen Höhepunkt den Spannungsgipfel erreicht, wird da niemanden überraschen.

Das Wiedersehen mit den Charakteren aus Band 1 und besonders die tiefer ausgearbeitete, komplexe Hintergrundgeschichte des Götterkrieges dürfte alle Leser gleichermaßen erfreuen und die Leser des ersten Bandes begeistern, und Freunde des Romantischen werden das Buch schon von der ersten Seite an verschlingen. Für die sehr gelungene zweite Hälfte des Buches verschmerzt man im Nachhinein gern den ansonsten teilweise langatmigen und nervraubenden Beginn und freut sich schon auf den finalen Band The Kingdom of Gods (Die Rivalin der Götter) der Inheritance Trilogy der ambitionierten und einfallsreichen Autorin.

Cover von Das Buch der Wunder von Miriam Kronstädter/Hans-Joachim Simm (Hgg.)Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm haben für dieses Buch siebenundvierzig phantastische Geschichten bedeutender Autoren aller Herren Länder zusammengetragen. Wie immer bei Anthologien gibt es mehr Informationen zum Inhalt in der Buchbesprechung.

-In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau, vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann.-
Theodor Storm: Bulemanns Haus

Diese Anthologie ist eine Fundgrube für Freunde der phantastischen Literatur. Berühmte Autoren wie Nikolaj W. Gogol, Gabriel Garcia Márquez, Jack London, H.P. Lovecraft, August Strindberg, Ludwig Tieck, Joseph Sheridan Le Fanu, E.T.A. Hoffmann, Stanislaw Lem, Tania Blixen, Edgar Allan Poe und Prosper Mérimée teilen sich einträchtig die Seiten mit Schriftstellern, die nicht ganz so bekannte Namen tragen: Fjodor Sologub, Adolfo Bioy Casares, Stefan Grabinski, Mircea Eliade, Boris Vian oder Tommaso Landolfi. Ob weltbekannt oder nicht – erzählen können sie alle.
Die Themen ihrer Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Leser findet hier klassische Geistergeschichten wie Le Fanus Erzählung von der Gespensterhand oder Becqers Geschichte vom Geisterberg, in der eine Frau ihrem Cousin eine unheimliche Mutprobe abverlangt. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre von Ludwig Tiecks Märchen Der blonde Eckbert oder von Edith Nesbits Das violette Automobil. Stefan Grabinskis Erzählung Das Abstellgleis hingegen ist so beklemmend, weil sie real wirkt, so real, daß sie jedem heute oder morgen passieren könnte und man dennoch fühlt, daß etwas Unheimliches im Gange ist, das unerbittlich und unaufhaltsam das Ende bringt. Nicht alle Geschichten sind unheimlich oder gruselig, manche sind voller Witz und Ironie wie die vom Werwolf, der sich in ein erotisches Abenteuer stürzt oder die von Wolfgang Hildesheimer, in der der Ich-Erzähler erläutert, warum er sich in eine Nachtigall verwandelt hat. Andere sind der literarische Ausdruck politischen Widerstands wie die Parabel Der Basilisk von Werner Bergengruen. Ein eitler Wichtigtuer tritt in die SA ein und spukt nach seinem Tode im Haus herum, bis das Dritte Reich endgültig zusammenbricht.
Häufig sind Künstler die Protagonisten, die, wenn sie auch nicht unbedingt mit dem Teufel im Bund sind, doch offensichtlich besonders gefährdet sind, in den Bannkreis übernatürlicher Mächte zu geraten und nur selten, wie in Beheim-Schwarzenbachs Geschichte Das Spinett sind die Begegnungen mit dieser anderen Welt hilfreich.
Allen Geschichten ist gemeinsam, daß die Normalität und die Realität durch den Einbruch des Übernatürlichen gestört werden. Das kann auf den Leser beängstigend, verstörend und beklemmend wirken oder auch nur verwunderlich, seltsam oder gar lustig, aber jedesmal ist es im doppelten Sinne des Wortes phantastisch.
Die Übersetzung hakt an manchen Stellen etwas. Das Wort Katalanin liest sich doch viel schöner als Katalanerin, schlurfende Schritte sind den schlürfenden Schritten auf jeden Fall vorzuziehen und das Wort ausgepowert gehört nicht in eine Geschichte, die im Jahre 1840 spielt. Liest man solche sprachlichen Stolpersteine, fühlt man sich als hätte man sich den Ellbogen an einer Kante gestoßen. Es wird zwar kein großer Schaden angerichtet, aber es schmerzt doch.

Caine Black Knife von Matthew StoverDas Abenteuer, das Hari Michaelson in seiner Rolle Caine einst zum Star machte, ist eine Legende: Im Ödland von Boedecken hat er im Alleingang den gefürchteten Ogrilloi-Stamm der Black Knives so gut wie ausgelöscht.
Nun ist er gezwungen, sich an seine damaligen Taten zu erinnern – denn abermals brodelt es im Ödland, und Caines Adoptivbruder Orbek, einer der letzten der Black Knives, gerät in dem nun von den Rittern des Khryl beherrschten Landstrich in Nöte. Caine bricht auf und bekommt Ärger, kaum dass er angekommen ist: Seine Vergangenheit droht ihn auf vielfältige Weise einzuholen.

-»When you fuck with the bad guy –« Your true grin unfolds like a butterly knife »– the bad guy fucks you back.«-
then: Bad guy

In Blade of Tyshalle hat Caine eigentlich alles getan, was ein (Anti-)Held tun kann, seine Geschichte war zu Ende erzählt. Es war also an der Zeit, dass er seine eigene “origin story” erhält. Doch Matthew Stover wäre nicht Matthew Stover, wenn er es sich so einfach machen würde. Zwar ist Caine Black Knife – übrigens die erste Hälfte des Act of Atonement und damit der erste nicht in sich geschlossene Caine-Roman – in vielerlei Hinsicht kompakter als der ausufernde Vorgänger, aber auf seine Art nicht weniger komplex:
Statt nur das legendäre Abenteuer Retreat From the Boedecken zu erzählen, von dem man in den bisherigen Romanen schon so viele Andeutungen, aber niemals Genaues erfahren hat, verknüpft Stover die als Mitschnitte der damaligen Ereignisse präsentierte Reise in die Vergangenheit mit einer Gegenwartshandlung, die das Damals aufgrund der dreißig vergangenen Jahre, die sich nicht nur in Form von äußerlichen Narben auf Caines Schultern niedergelassen haben, kontrastieren und gleichzeitig neu verarbeiten.

Was Stover hier an Charaktertiefe liefert, ist ein wahres Fest: Der junge Caine ist ein astreines Arschloch, ein Soziopath, der bereits eine Geschichte der Gewalt hinter sich hat, während den älteren Caine die Summe seiner Erfahrungen zu dem macht, was er ist, einem gesetzten Antihelden, der vor allem in Ruhe gelassen werden will. Die Diskrepanz zwischen dem Jetzt und dem Damals, der Blick in den charakterlichen Abgrund, den man mit den Kapiteln aus der Vergangenheit erhält, wird durch viel Unausgesprochenes dazwischen unterstrichen, wie überhaupt in Caine Black Knife die Arbeit mit dem Ungesagten ein großes Spannungsmoment ist, obwohl man von Beginn an weiß, wie Retreat from the Boedecken enden wird. Patrick Rothfuss’ Kingkiller Chronicles, die ebenso auf eine Figur fokussiert sind und mit einem ähnlichen Stilmittel arbeiten, nehmen sich neben dieser Tour der Extreme nicht nur wie ein harmloser Sonntagsspaziergang aus, sondern wirken auch deutlich weniger stringent.

Doch auch wenn dieser Roman noch mehr als die Vorgänger eine reine “Caine Show” ist, nimmt sich Stover auch Raum für teilweise bitterböse Anspielungen: Er rechnet in einem wahrhaft schrecklich lustigen Kapitel mit gewaltaffinen Online-Gaming-Kids ab, mit den Mächtigen (sei es nun Adel oder Pseudoadel durch wirtschaftliche Vormachtstellung) sowieso, und am interessantesten ist diesbezüglich vielleicht sein Umgang mit den Ogrilloi, der ganz nebenbei den Rassismus von Fantasy-Welten deutlich macht, die auf allzu simple Art mit bösen oder primitiven Völkern umspringen: An den niedergerungenen Ogrilloi werden sowohl sprachlich (durch die Herrscher und auch durch die Beherrschten selbst), als auch durch das jeweilige Verhalten die Strukturen rassistischer Unterdrückung beschrieben. Das Clevere daran ist natürlich Caines Rolle darin, seine vielfache Verwicklung in den Status quo: als Kenner und Leidtragender der irdischen Kastengesellschaft, als Adoptivbruder eines Betroffenen, als Verursacher und auch früheres Opfer der nun Unterdrückten: All diese emotionalen Widersprüche sind perfekt herausgearbeitet, und Caine Black Knife ist fern von einem sterilen Lehrstück, das man mit dem wohlverdienten Label Bildungsroman vielleicht assoziieren könnte.

Steril ist hier ohnehin gar nichts – Stover wird mühelos noch derber als in Heroes Die und Blade of Tyshalle, bringt nebst den üblichen blutigen Tatsachen nun auch öfter eine deutliche Note sexueller Perversion ein. Die zu Beginn eingefügte Altersfreigabe und Warnung des Studios vor dem Abenteuer Retreat From the Boedecken ist kein effektheischendes Gimmick, sondern schlicht die Wahrheit.
Damit hat Stover es geschafft, das Sprachniveau in Caine Black Knife gleichzeitig zu senken und zu heben, denn nebst der Gewaltorgien und der nie um eine Derbheit verlegenen Dialoge pflegt der mit einem breiten Bildungshintergrund ausgestattete Caine auch einen im Vergleich noch einmal stark erweiterten Wortschatz und lässt eine Menge Kulturwissen durchscheinen.
Bevor bei den Gipfeln der Gewalt letztlich nur noch der Ausweg offensteht, sie ins Lächerliche kippen zu lassen, gibt es allerdings immer eine Pause, und überhaupt hat Stover sich ein Stilmittel zu eigen gemacht, das den Aussparungen und der Dynamik der Handlung zugutekommt: Da wir eine Aufzeichnung des alten Abenteuers “sehen”, gibt es auch eine häufig genutzte Vorspultaste.

Nebst Caines Geschichte wird auch die von Overworld in Caine Black Knife weitergeschrieben und bekommt noch mehr Tiefe, immer gut verpackt in irdisches Sagenmaterial. Besonderen Spaß macht dabei die ironische Bezugnahme auf Blade of Tyshalle, die das Spiel mit der Fiktionalität, das die Caine-Romane ohnehin auszeichnet, noch weitertreibt und manches relativiert. Wer also geglaubt hat, die Geburt von Caine schon erlebt zu haben, wird hier herausfinden, dass auch die Genese eines Helden nicht eindeutig und immer eine Frage des Standpunktes ist.
Diese Geburtsstunde findet statt, als die zweigleisige Geschichte von Caine Black Knife längst ihre Sogwirkung entfaltet hat, trotz des Sympathie-Malus, den der junge Caine verbuchen kann. Mit einer hochinteressanten Ausnahme bleibt Caine hier auch die einzige Erzählerfigur, und entsprechend universell fällt die Charakterstudie aus: Einerseits ist Caine das Ausnahmetalent, der bad guy, das Arschloch, andererseits ein Jedermann und Underdog, der dem Leser und der Leserin aufgrund der völligen Auslieferung seiner Gedanken nahe bleibt, ganz gleich, was er anstellt. Daran ist nicht zuletzt schuld, dass nach den ersten Schockern zu Beginn der Erzählung eine leichte Mäßigung eintritt, vor allem bei Caines älterer Version, die gewaltmüde ist, bei Bedarf aber immer auf die Arschloch-Persona zurückgreifen kann. Und den jungen Caine begreift man irgendwann als Menschen, der zum Rad im Getriebe der Ausbeutungsmaschinerie in zwei Welten wird, um in diesem System nicht unterzugehen. Während sich seine Geschichte immer garstiger entfaltet und zu etwas wahrhaft Bösartigem heranwächst, scheint sich die Gegenwartshandlung vordergründig konträr dazu zu bewegen, und doch rasen beide, auch durch die zwingende Spärlichkeit, mit der Stover diesmal Massen von Entwicklung auf weniger als 400 Seiten unterbringt, ohne je in Seitenstränge zu driften oder Füllmaterial zu präsentieren, mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Am Ende, das dürfte jedem klar sein, kann keine Läuterung und erst recht kein Happy End stehen. Aber etwas Besseres.

Caine's Law von Matthew StoverWieder einmal ist Caine ganz unten: In den Händen der Regierung, ohne Zugriff auf Overworld und seine dortigen Kräfte, verkrüppelt, an ein Bett gefesselt – und seine Peiniger haben noch Schlimmeres mit ihm vor, während in seiner Wahlheimat Overworld die Erde ihren Einfluss wieder erhöht und die Dinge zum Schlechten stehen. Caine macht der Erdregierung ein Angebot, das sie leider ohne mit der Wimper zu zucken ablehnt, und ab diesem Zeitpunkt reißen die Merkwürdigkeiten nicht mehr ab …

“Two things I do,” she repeated. She touched her cheek below the brown eye. “Forgiveness.” She moved the hand to the ice-milk side. “Permission.”
The horse-witch: Feral

Drei Bände lang hat Caine gewütet und gemetzelt, hat skrupellose Gegner bekämpft, indem er noch weniger Skrupel hatte als sie, und nun, in Caine’s Law, dem zweiten Teil der mit Act of Atonement untertitelten Sub-Serie, soll er schließlich doch die Konsequenzen zu spüren bekommen und sühnen. Der nur vordergründig einfach gestrickte Haudrauf wird auf den Boden geholt, nicht nur durch die Ereignisse und seine Ermattung, was Kämpfe und Konflikte angeht, sondern vor allem durch die vielen Rückblicke, die wie schon in den vorausgegangenen Bänden erklären, wer er ist, und einen Mann mit vielen Schichten offenbaren. Ein häufig erwähnter Schlüsselsatz fasst sowohl die Figur als auch den ganzen Roman famos zusammen: »It’s complicated.«

Caine’s Law ist eine strukturell herausfordernde Lektüre – sie bietet keine lineare Erzählung, sondern springt zwischen Zeit- und Möglichkeitsebenen hin und her, stellt einen netten Warnhinweis voraus, dass es sich dabei teilweise nur um bald wieder ungeschehen gemachte Varianten der Ereignisse handelt, und man darf sich selbst zusammenpuzzeln, wie die einzelnen Kapitel zu ordnen sind, häufig nur von kleinen Hinweisen unterstützt. Aber erfahrene Caine-LeserInnen kann ohnehin nichts mehr schocken, und mit etwas Zutrauen in die Fähigkeit von Matthew Stover, einen am Ende nicht im Regen stehen zu lassen, stellt sich bald trotzdem eine Art Linearität ein, denn die Kapitel sind, auch wenn es anfangs anders scheinen mag, mitnichten zufällig angeordnet. Kausalitäten lassen sich herstellen, und letztlich gibt es tatsächlich einen sehr befriedigenden und überraschenden Blick auf das ganze Mosaikbild, das man sich beim Lesen erarbeitet hat, auch wenn es unterwegs ein ausgesprochen wilder Ritt mit wohlplatzierten Stolpersteinen aus dem Zeitreiseparadoxon-Baukasten war. Das Spiel mit der Fiktionalität, das stets ein hintergründiger Bestandteil der Caine-Reihe war, wird dadurch auf eine andere Ebene gehievt, auch wenn Caine nun schon lange nicht mehr »Entertainer Michaelson« ist.
Manch ein Kapitel wird man in diesem raffinierten Puzzle vielleicht zweimal lesen wollen, denn fast in jedem Abschnitt kommt es zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die das Vorausgegangene infrage stellt, und man erlebt einige erschütternde Überraschungen, in denen aus Grandiosität und Glanz plötzlich das Elend dahinter auf erschreckende Weise hervorbricht.

Mit überraschenden Erzählerfiguren, Bezugnahme auf alle drei Vorgänger, auf die menschliche Geistesgeschichte und die Mythen führt Stover Konzepte und Figuren aus 15 Jahren Caine zu einem kohärenten Ganzen zusammen, und das in einem ranken und schlanken Stil, der im Verlauf dieser Jahre noch um einiges präziser und fokussierter geworden ist: So schillernd und wild flatternd Caine’s Law auf den ersten Blick auch wirkt, hier gibt es keine Schlenker, jeder Satz sitzt und leistet seinen Beitrag zu einer Geschichte, die Figur und Mythos verwebt und es tatsächlich schafft, ein Sühne-Epos zu erzählen, das sich von den meist christlich konnotierten Begriffen lösen kann.
Caines Suche nach Erlösung ist eng verwoben mit einer faszinierenden Frauenfigur, die die Vorzüge, die bereits Stovers frühere weibliche Charaktere auszeichneten, zur vollen Entfaltung bringen kann und Stärke, leisen Humor, Tragik und einen wunderbaren Ruhepol in die Geschichte einbringt. Stover kann sein Talent für die realistische Beschreibung von Beziehungen vorführen und stellt einem der ambivalentesten Protagonisten der Science Fiction und Fantasy damit eine der coolsten Frauenfiguren zur Seite, an der alle Klischees auf eine Art und Weise abperlen, dass es eine wahre Freude ist.

Die Schuld-und-Sühne-Frage wird in Caine’s Law auf vielen Ebenen gestellt, es werden mannigfaltige Verhältnisse beleuchtet, in denen sie aufkommt – gesellschaftliche, familiäre, religiöse und ganz persönliche – doch der Fokus bewegt sich trotz wechselnder Perspektiven nie weit weg von Caine, dem Über- und Unmenschen, der menschlicher wird, je mehr er sich in die Angelegenheiten der Götter verstrickt. Die Figur, die in Caine Black Knife noch filetiert wurde, wird hier zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt, und am Ende hat Caine das getan, was Antihelden seit jeher besser können als ihre strahlenden Gegenparts: uns etwas über das Menschsein beigebracht.
Auch wenn Caine’s Law die ausufernde Breite von Blade of Tyshalle fehlt, ist es doch ein mindestens ebenso philosophischer Roman, der sich mit der Ordnung der Welt, Macht, Göttlichkeit und Menschlichkeit, letzten Dingen und dem guten Leben (und den Gründen, weshalb es meist ein frommer Wunsch bleiben muss) befasst. Dass das Ganze nicht ohne Blutvergießen geliefert wird, weiß vermutlich jeder, der bis hierher durchgehalten hat. Der neue Caine ist vielleicht etwas zurückgenommener, dafür sind die Gewaltspitzen nur umso verstörender, und es entspricht der Philosophie hinter Caine’s Law (und eigentlich allen Caine-Geschichten), dass es keine Option ist, wegzuschauen, auszublenden oder trotzdem gut zu finden, sondern man die Gewalt im Kern der Handlung mit offenen Augen wahrnehmen und akzeptieren muss.

Nach diesem Entwurf, der größer ist als alles, was auf Overworld und der Erde bisher da war, ist das Ende – wieder einmal – ziemlich definitiv, bringt alles (aufgrund der besonderen Struktur des Romans sogar augenzwinkernd) zusammen und liefert Erklärungen für die wilderen Konzepte der Handlung, auch wenn die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, immer den LeserInnen überlassen bleiben.
Da bisher jeder Roman außer Caine Black Knife der letzte Caine-Roman war, muss das nicht viel heißen. Allerdings war die Reihe nie ein großer Erfolg, und Caine’s Law ist bestimmt nicht dazu angetan, diesen Erfolg herbeizuführen, daher kann man sich im Augenblick nur schwer vorstellen, dass der vom Autor angedachte darauffolgende Act of Faith je das Licht einer Buchhandlung erblickt. Andererseits: Ist es nicht genauso schwer, sich vorzustellen, dass Caine nach allem, was wir erlebt haben, wirklich erlöst sein soll?

The Spiderwick Chronicles: Care and Feeding of Sprites von Tony DiTerlizzi & Holly BlackSimon Grace wendet sich in einem persönlichen Brief an die beiden Chronisten der Spiderwick Chronicles. Darin schildert er seinen Beitritt in eine Organisation namens International Sprite League, die sich mit der artgerechten Aufzucht und Pflege von Elfen befasst. Auf seine Bitte, ein Handbuch für die Mitglieder dieser Organisation zu erstellen, legen die beiden Autoren DiTerlizzi und Black nun ebenjenes vor.

– A sprite is a constant reminder of all that is magical. Magnificent creatures with vast variation in color and form, these tiny faeris, some smaller than a toothpick, may make flowers bloom yet can deliver surprisingly fierce bites when threatend. –
The Magnificent Sprite, S. 1

Wer Arthur Spiderwick’s Field Guide to the Fantastical World Around You (Arthur Spiderwicks Handbuch für die fantastische Welt um dich herum) bereits gelesen hat, dem wird nicht entgangen sein, dass darin Waldgeister erwähnt werden, auf die das große Handbuch jedoch nicht allzu genau eingeht. Care and Feeding of Sprites (Über Haltung und Pflege von Elfen) schließt diese Lücke und widmet den kleinen Geschöpfen einen eigenen, liebevoll aufgemachten Leitfaden für den interessierten Laien. Hierin erfährt er alles über Verhalten, Krankheiten, Eigenschaften und nicht zuletzt auch Anatomie von Elfen.

Das Handbuch nimmt die Funktion eines Ratgebers ein, aufgebaut wie gängige Fachliteratur zur Tierhaltung, zeigt die erste Seite zunächst eine erklärende Schautafel. Anhand eines Beispiels werden die verwendeten Symbole und Angaben vorgestellt. Neben einer ganzseitigen, naturgetreuen Illustration der jeweiligen Elfe in ihrer wahren Form werden charakteristische Merkmale ihres Körpers offenbart, eine scheinbar lateinische Fachbezeichnung ihres Namens genannt, sowie ihre Größe in Millimeterangaben. Auch Abweichungen zwischen den Geschlechtsformen werden, wo nötig, durch vergleichende Detailskizzen – etwa von Fühlern oder auch Krallen etc. – aufgeführt. Anhand charmant entwickelter Symbole wird auf den Schautafeln außerdem auch Auskunft über den bevorzugten Lebensraum, Fähigkeit oder Fortbewegungsart der besprochenen Elfe gegeben. Hier finden sich Eigenschaften wie: schelmisch, kann singen, glaubt singen zu können, erziehbar oder: bringt Blumen zum Blühen.
Zu den einzelnen Schautafeln gehört auch jeweils ein Begleittext und ein in Rot gerahmter Warnhinweis (mit einem eigenen amüsanten Symbol) zu verschiedenen Themen.

Als besonderes Schmankerl dieser speziellen Ausgabe lässt sich der Einband zu einem ca. A2 großen Poster im Querformat ausbreiten, welches die Zeichnungen und Namen der im Buch vorgestellten Elfen zeigt. Löscht man dann am Abend das Licht entdeckt man eine weitere Überraschung: Teile der Elfen leuchten im Dunkeln!

Für Freunde detailreicher Illustrationen oder Elfen im Allgemeinen ist dieses kleine Büchlein trotz seiner überschaubaren Seitenanzahl zu empfehlen. Auch Fans von Brian Froud werden bei Care and Feeding of Sprites auf ihre Kosten kommen. Vor allem die realistisch wirkende Aufmachung des Buches und der durchdachte Aufbau lassen es zu einer zauberhaften und überzeugenden Lektüre für jedes Alter werden. Mehrfaches Schmökern garantiert!

Carniepunk von Rachel Caine, Delilah S. Dawson, Jennifer Estep, Kelly Gay, Kevin Hearne, Mark Henry, Hillary Jacques, Jackie Kessler, Seanen McGuire, Kelly Meding, Allison Pang, Nicole D. Peeler, Rob Thurman, Jaye WellsVierzehn Kurzgeschichten ziehen in dieser Anthologie LeserInnen in die oft schaurige, pervertierte oder einfach nur surreale Welt des Zirkus.
Vierzehn Geschichten, vierzehn AutorInnen – und alle betreten den Zirkus auf ganz unterschiedliche Weise. Was alle gemein haben, ist die Verbindung zum Grauen oder zu Dämonen, die auf der Jagd nach Seelen sind …
Kommt zahlreich, mutige Abenteurer, die Manege ruft!

– It took me two days to die. On the first night, I met Madame Laida, and on the second night, I met the Cold Girl.
And this is how it happened. –
The Cold Girl, Rachel Caine, S. 153

Kurzgeschichten haben es in der Verlagswelt schwer, wahrgenommen zu werden, dabei bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, Leser auf neue Autoren oder Serien aufmerksam zu machen, die ihrem Radar bisher womöglich entgangen sind. In Carniepunk haben sich vierzehn verschiedene Autoren zusammengefunden und unter dem Oberthema “Zirkus” ihre Geschichten beigesteuert. Manche stehen für sich alleine, andere ergänzen bestehende Buchreihen der einzelnen AutorInnen.
Die meisten dieser Geschichten sind nichts für junge Leser. Mal abgesehen von fließendem Blut und dem leise mitschwingenden Horror, der alle Geschichten vereint, finden hier teils sehr deutliche sexuelle Handlungen statt, die von Nekrophilie über die Erinnerungen eines Vergewaltigers bis zu den detaillierten Aktivitäten eines Sukkubus reichen. Meistens schaffen es die AutorInnen dabei, nicht ins Fremdschämen abzudriften – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Qualität der Geschichten schwankt. Manche AutorInnen beherrschen ihr Handwerk besser als andere oder haben vielleicht auch einfach nur ein mal besseres, mal schlechteres Händchen für die Kunst, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Manches lässt einen als LeserIn einfach nur verwirrt zurück, anderes wirkt, als habe der/die AutorIn sich schwer getan, seine Ideen in Zaum zu halten, und macht viele Sprünge, um all die Ansätze irgendwie in Kurzform zu bringen.

Hier eine Übersicht und ggf. Eindrücke der einzelnen Geschichten:

Painted Love – Rob Thurman
Der Weltreisende Doodle schließt sich für eine Weile dem Zirkusangestellten Bartholemew an und beobachtet dessen Alltag. Bartholemew ist ein waschechter Psychopath und hat sich gerade sein nächstes Opfer ausgesucht, was Doodle in eine schwierige Lage bringt. Einerseits sieht er sich selbst als reinen Beobachter, andererseits empfindet er eine gewisse Zuneigung für das nächste Opfer.
Die Geschichte funktioniert nur bedingt, da Doodles Figur wenig Zugangsmöglichkeiten bietet. Die Idee dahinter ist durchaus nicht schlecht, die Ausführung teils aber zu blass.

The Three Lives of Lydia – Delilah S. Dawson
Diese Geschichte gehört zu einer Buchreihe (Blud Series) und greift das Setting eines im viktorianischen Zeitalter angesiedelten Universums auf. Die Atmosphäre ist düster und steampunkig und die Wendungen überraschend. Lydia erwacht nackt auf einem leeren Feld, das von Zirkuswagen umkreist ist, trifft später auf Vampire und Werwölfe, die im Zirkus angestellt sind und nicht alle gute Absichten für sie hegen.
Eine stimmungsvolle Geschichte mit überraschendem Ende, die auch ohne Kenntnis der eigentlichen Buchreihe gut funktioniert.

The Demon Barker of Wheat Street – Kevin Hearne
Teil der Buchreihe The Iron Druid Chronicles. Die Geschichte findet zeitlich nach dem 4. Band statt (und nach der Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow), kann aber gut für sich gelesen werden.
Druide Atticus und Lehrling Granuaile besuchen einen Zirkus und geraten dabei in die Fänge eines Dämons, der seine Attraktion zur Ernte ahnungsloser Seelen benutzt und sie geradewegs auf einen Trip in die Hölle schickt.
Witzig und im wahrsten Sinne höllisch gefährlich.

The Sweeter the Juice – Mark Henry
Post-Apokalyptisches Szenario, in dem Zombies allgegenwärtig und ihre Angriffe an der Tagesordnung sind. Die transsexuelle Jade Reynolds geht einen Handel ein, um sich ihre/seine Geschlechtsumwandlung leisten zu können, und soll für die behandelnde Ärztin eine neu zirkulierende Droge finden.
Diese Geschichte ist mehr im Horrorbereich zuhause, stopft aber so viele (teils eklige) Ausführungen in einen Sack, dass es für mich schwierig war, am Ball zu bleiben, und wurde dementsprechend abgebrochen.

Werewife – Jaye Wells
Nach dem Besuch einer Zirkusvorstellung verwandelt sich die Ehefrau in einen Werwolf, was sich als recht unkomfortabel für den Ehemann erweist. Als der selbe Zirkus nach einem Jahr in die Stadt zurückkehrt, überredet der Gatte seine Frau, erneut dorthin zu gehe,n um den Fluch aufzuheben, doch was sie dort erwartet, ist mehr als eine unschöne Erkenntnis.
Diese Geschichte ist aus Sicht des Ehemanns erzählt und bis auf das etwas überstürzte und nicht ganz überzeugende Ende sehr unterhaltsam.

The Cold Girl – Rachel Caine
Die sechzehnjährige Kiley besucht mit ihrem Freund einen Zirkus und vertauscht dabei versehentlich ihre Telefone. Als sie die Inhalte auf dem Telefon ihres Freundes sieht muss sie erkennen, dass der Junge, den sie liebt, eine schockierende Seite verbirgt, für die sie bisher blind war – obwohl andere die Anzeichen längst bemerkt haben.
Spannend, ergreifend und verstörend, ist dies eine der sehr gut gelungenen Geschichten der Anthologie.

A Duet With Darkness – Allison Pang
Teil der Abby Sinclair Series. Mel kann Noten und Melodien farblich wahrnehmen. Sie ist ein musikalisches Ausnahmetalent und hält sich für die beste in ihrer Band. Sie kann offenbar die Wilde Magie anzapfen, was bei einem geplanten Auftritt der Band die Aufmerksamkeit von jemandem erweckt, dem sie nicht gewachsen ist. Ihr Freund, ein gefallener Engel, versucht sie vor den Folgen ihres Stolzes zu bewahren, doch einer muss den Preis bezahlen.
Liest sich etwas wie ein Jugendbuch, ist nur inhaltlich nicht ganz jugendfrei. Die Welt und die Figuren sind aber gut beschrieben und durchaus interessant.

Recession of the Divine – Hillary Jacques
Die Versicherungsermittlerin Olivia untersucht den Brand in einem Zirkus, und es ist schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Als die Angestellten merken, dass Olivia in die Erinnerungen anderer eintauchen kann, wird sie entführt und mit einem Bann ihrer eigenen Erinnerung beraubt, um sie angekettet als Wahrsagerin arbeiten zu lassen. Der Leser erfährt früh, dass sie eine Göttin in Menschengestalt ist, ihre Entführer lernen es auf die harte Tour.
Diese Geschichte war verwirrend, da die Autorin zahlreiche Zeitsprünge macht und eine eher weitreichende Handlung in einen so kurzen Text zu pressen versucht. Zeitsprünge erschweren das Ganze ebenso wie die Tatsache, dass nicht immer klar ist, was wessen Erinnerung ist oder was gerade doch real.

Parlor Tricks – Jennifer Estep
Teil der Serie Elemental Assassin Series. Detective Bria Coolidge bittet ihre Schwester, die Assassinin Spider, um Hilfe bei der Suche eines verschwundenen Mädchens, das zuletzt gesehen wurde, als es einen Zirkus besuchte. Als die beiden Frauen die Hintergründe ihres Verschwindens aufdecken, braucht es alles an Elementarmagie, was Spider zu bieten hat.
Die Figur der Spider, aus deren Perspektive erzählt wird, ist nur schwer zugänglich und so springt der Funke bei dieser Geschichte nicht recht auf die Leserschaft über. Ist vielleicht anders, wenn man die Buchreihe dazu kennt.

Freak House – Kelly Meding
Teil der noch im Entstehungsprozess befindlichen Buchreihe Strays Series, die recht viel Potential haben dürfte, wenn man diese Kurzgeschichte als Indikator nehmen darf.
Shiloh ist halb Djinn und hat jüngst erfahren, dass ihr Vater von einem Schwarz-Magier gefangen gehalten und als Zirkusattraktion ausgestellt wird. Zusammen mit zwei unerwarteten Verbündeten, von denen einer ein Werwolf ist, der andere ein pensionierter Soldat, und ausgestattet mit ihrem eigenen magischen Erbe, schleicht sie sich in die geschlossene Veranstaltung ein und findet weitere Gefangene vor. Für Shilo und ein paar andere zeichnet sich ein neues Ziel ab.
Interessantes Konzept, das neugierig auf mehr macht.

The Inside Man – Nicole Peeler
Teil der Jane True Series. Die drei Inhaberinnen der Triptych Agentur bekommen Besuch vom größten Gangsterboss der magischen Szene und werden “gebeten” herauszufinden, weshalb seine Schwester und alle anderen Bewohner ihrer Stadt ihre Erinnerungen und ihre Ambitionen verloren haben. Ihre Ermittlungen führen sie in die Fänge eines dämonischen Clowns, der ganze Städte heimsucht und nichts alle leere menschliche Hüllen zurücklässt.
Spannende Charaktere mit interessanten Hintergründen und ordentlich Frauenpower. Hier wird nicht lange gefackelt und gleich kurzer Prozess mit Dämonen wie menschlichen Bestien gemacht … Da lohnt sich wohl ein Blick in die Buchreihe.

A Chance in Hell – Jackie Kessler
Teil der Buchreihe A Hell on Earth. Die frühere Sukkubi Jezebel ist inzwischen menschlich und auf der Flucht vor dem Höllenfürst, um die Apokalypse zu verhindern. Ihre Mitbewohnerin soll Jez beibringen, was Menschlichkeit bedeutet, und nimmt den unmotivierten Ex-Dämon mit zu einem Zirkus. Der Tag verschlechtert sich deutlich, als Jez dort einem hochrangigen Dämon der Gier begegnet, der nichts lieber täte als Jezebels blitzblanke neue Seele in seine Finger zu kriegen.
Teilweise humorvoll, mit viel Erotik garniert.

Hells’s Menagerie – Kelly Gay
Teil der Buchreihe Charlie Madigan. Die zwölfjährige Emma, Tochter von Charlie Madigan, marschiert in Charbydon (Hölle) ein, um die entführten Welpen und das Weibchen ihres Höllenhundes Brim zu retten. Dabei riskiert sie lebenslangen Hausarrest, den Rauswurf aus der Schule und selbstverständlich ihr eigenes Leben, wie auch das ihres Begleiters, dem Djinn, der im Körper ihres dahingeschiedenen Vaters steckt.
Obwohl die Ansätze gut waren, habe ich diese Geschichte letztlich nur quer gelesen. Die Protagonistin war mir zu jung und die Rettung von Hundewelpen hat meinen Toleranzbereich für Niedlichkeiten gesprengt.

Daughter of the Midway, the Mermaid, and the Open, Lonely Sea – Seanan McGuire
Ada ist im Zirkus der Miller Familie geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist die Hauptattraktion: eine echte Meerjungfrau, die als junge Frau schwanger Zuflucht im Zirkus gesucht hat. Nach beinahe zwanzig Jahren kommt der Zirkus an den Ort zurück, von dem Adas Mutter einst geflohen ist, und prompt wird das Mädchen von ein paar der Stadtbewohner entführt und gefangen gehalten. Ada entdeckt, dass es ein düsteres Geheimnis im Leben ihrer Mutter gab, die sich freiwillig entschieden hat, alles zu vergessen, indem sie sich dem Wasser hingab und ihre unvermeidliche Verwandlung in eine Meerjungfrau vollzog. Der Zirkus mag die Freakshow haben, doch die Monster leben außerhalb.
Eine Geschichte, die mit etwas mehr Tragik gefüllt ist und leider viele Aspekte der Charaktere nur andeutet, von denen mehr zu wissen spannend gewesen wäre.

The Charwoman's Shadow von Lord DunsanyDer junge Ramon Alonzo wird von seinem Vater, dem verarmten Lord of the Tower and Rocky Forest, zum Haus eines Magiers tief im Wald geschickt, um dort die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Dort als Lehrling aufgenommen, erfährt Ramon Alonzo gleich am ersten Abend die Geschichte der alten Scheuermagd: einst gab sie dem schwarzen Magier ihren Schatten im Tausch für ein ewiges Leben, aber seitdem ist sie an dessen Haus gebunden. Ramon Alonzo schwört sich, ihren Schatten zu retten und sie zu erlösen. Doch der Magier verlangt auch von Ramon Alonzo eine Bezahlung für das erteilte Wissen.

-Picture a summer evening sombre and sweet over Spain, the glittering sheen of leaves fading to soberer colours, the sky in the west all soft, and mysterious as low music, and in the east like a frown. Picture the Golden Age past its wonderful zenith, and westering now towards its setting.-
Chapter 1 – The Lord of the Tower Finds a Career for His Son

The Charwoman’s Shadow (Der Schatten der Scheuermagd) ist eine relativ kurze Geschichte, was nicht heißt, dass man sie schnell gelesen hätte. Man muss sich viel Zeit nehmen, um die Sprache nachzuvollziehen und auf sich wirken zu lassen. Das englische Original ist leider nur etwas für wirklich gute Englisch-Leser. Nicht so sehr wegen schwerer Vokabeln, sondern mehr aufgrund komplexer Satzstrukturen, für deren Erfassung man ein wenig Muße benötigt. Anfangs hatte ich beim Einlesen große Probleme, doch wenn man das Buch ganz in Ruhe (und vielleicht ein zweites Mal) angeht, kann das Geschriebene einem den Atem rauben.

Man verliert sich im Spanien am Ende des Goldenen Zeitalters mit seinem Spiel aus Licht und Schatten – dafür sorgt allein schon der erste Satz. Eine konkrete, besonders schöne Textstelle ist zum Beispiel, wenn der Zauberer seinen Schüler in das größte Mysterium seiner Magie einführt: das Lesen. Darüber hinaus beruht diese Magie sehr auf der mittelalterlichen Alchemie mit Lebenselixieren und der Herstellung von Gold. Und ähnlich wie im Mittelalter wird diese Magie mit dem Teufel in Verbindung gebracht; demgegenüber steht die Kirche, die beim einfachen Volk großen Einfluss besitzt, und deren Vertreter das Gute verkörpert.

Angesichts der Sprache und Atmosphäre spielt es dann keine Rolle mehr, ob uns die Geschichte selbst einfach erscheint: der Held tritt gegen den schwarzen Magier an, um ein unschuldiges Opfer zu retten. Viel spannender ist dabei, dass der Held selbst weniger durch Scharfsinn denn Beharrlichkeit und Großmut auffällt, und dass das unschuldige Opfer eine hässliche, alte Scheuermagd ist. Und die eigentlich interessanteste Figur ist Ramon Alonzos wesentlich intelligentere Schwester Mirandola: obwohl sie den reichen, unsympathischen Nachbarn heiraten soll, verfolgt sie unauffällig ihre ganz eigenen Hochzeitspläne.

Cover von Circes Rückkehr von Libba BrayGemma versucht weiterhin ihr Schicksal zu verfolgen und die Magie des magischen Reichs wieder an den Orden zu binden. Sie und ihre Freundinnen sind plötzlich in der Lage, die Magie dieser anderen Welt mit in ihr viktorianisches London zu holen, wo sie die Weihnachtsferien bei ihren Familien verbringen. So gerne Gemma das Chaos der magischen Welt für eine Weile vergessen würde, so akut ist jedoch die Bedrohung durch Circe, und die Mädchen begeben sich auf die Suche nach dem verlorenen Tempel, dem Schlüssel zur Kontrolle der Magie. Unterdessen ist Gemma hin und her gerissen zwischen dem exotischen Rakshana Kartik und dem attraktiven, aber nicht sehr tiefgründigen Lord Denby, der ihr den Hof macht.

– “Verbirg deine Absicht vor ihr. Gewinne ihr Vertrauen.” Und nach einer Pause: “Wenn nötig, mach ihr den Hof.”
Ich dachte an das selbstbewusste, eigensinnige Mädchen, dem ich auf Schritt und Tritt gefolgt war. “Sie lässt sich nicht so leicht den Hof machen.” “Jede Frau lässt sich gerne den Hof machen. Man muss es nur richtig anstellen.” –
Kapitel 1, S. 18

Zu Circes Rückkehr liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der Clan der Magier von Roger ZelaznyMysteriöse Dinge geschehen in London. In einer etwas abgelegenen Gegend vor den Toren der Stadt finden sich einige merkwürdige Gestalten ein: der große Doktor zum Beispiel, über dessen Haus stets eine düstere Gewitterwolke hängt, oder der Graf, dessen morbide Schlafstätte sich unter einer alten Ruine befindet. Zusammen mit ihren tierischen Gehilfen spielen diese seltsamen Gesellen ein grausiges Spiel. Wird es gelingen, das Tor zur Hölle zu öffnen?
Der Wachhund Snuff, Gehilfe eines der Spieler, erzählt in seinem Tagebuch von den aufregenden Geschehnissen und Abenteuern, die er während des Monats Oktober in diesem Spiel erlebt, erzählt von Verrat und Intrigen, von Mord und Freundschaft.

– Ich bin ein Wachhund. Mein Name ist Snuff. Mit meinem Herren Jack lebe ich mittlerweile außerhalb von London. Doch ich liebe Soho bei Nacht mit den Nebeln voller Gerüche in seinen dunklen Straßen. Immer ist es still und wir machen lange Spaziergänge. Auf Jack lastet ein uralter Fluch und er muss den größten Teil seiner Arbeit Nachts erledigen, um noch Schlimmeres zu verhindern. Ich passe auf, während er damit beschäftigt ist. Wenn jemand kommt, heule ich. –

Roger Zelazny erzählt in Clan der Magier (A Night in the Lonesome October) eine abenteuerliche, bizarre Geschichte voller Humor und Charme. Durch die erfrischend einfache, freundliche Art des Protagonisten Snuff gelingt es ihm, den Leser stets zu fesseln und zu begeistern. Die bodenständige Erzählweise und unkomplizierte Schreibweise gestatten einen vorzüglichen Textfluss, das Buch liest sich leicht und angenehm.

Auch der Ansatz des Autors, die Geschehnisse aus der Sicht der tierischen Helfer, der eigentlich Handelnden, über den Umweg der Tierfantasy, zu schildern, erweist sich hierbei als äußerst probates Mittel: so rückt die eigentliche Handlung in den Hintergrund, verliert an Schärfe, entwickelt sich zusehends zur Groteske. Die ohnehin comichaft überzeichneten, prototypischen (menschlichen) Charaktere glänzen in ihrer ganzen Absurdität hervor.
Zwar bietet die Geschichte keinen großen “Aha-Effekt”, enthält keine wirklich neuen Erkenntnisse oder Überraschungen, nichtsdestotrotz aber bietet sich Der Clan der Magier (A Night in the Lonesome October) als erfrischend heiteres Werk dar, wie geschaffen dafür, ein sonniges Schmunzeln auf die Gesichter der Leser zu zaubern, in den grauen Tagen des “lonesome October”.

Unbestritten ist Zelazny eine feste Größe auf dem Gebiet der Funtasy und steckt auch mit diesem – wenngleich nicht seinem besten – Buch so manchen seiner Kollegen in die Tasche.

Clan Rathskeller von Kevin HearneOh du fröhliche … Druidenzeit! Während die Bürger von Tempe sich im milden Winter auf das Weihnachtsfest vorbereiten, befinden sich waschechte Geschöpfe der keltischen Mythologie unerkannt unter ihnen. Getarnt als Weihnachtselfen in einer Shopping Mall, trachten die letzten Gnome des Clans Rathskeller einem diebischen Kobold nach dem Leben. Atticus und sein irischer Wolfshund Oberon stolpern unfreiwillig nicht nur in konsumwütige Shopper, sondern auch in eine Verfolgungsjagd, die das Chaos perfekt macht.

Oberon stopped and cocked his head to one side. <You’re telling me those are gnomes pretending to be dwarfs pretending to be elves? Are you trying to play Six Degrees of Bilbo Baggins again?>

Oh, Atticus, es geht doch nichts über eine charmante kleine Geschichte, um daran zu erinnern, warum du so umwerfend (witzig) bist.

Clan Rathskeller ist wie A Test of Mettle eine Kurzgeschichte von Kevin Hearne, die zu der Buchreihe The Iron Druid Chronicles gehört und kostenlos zum Download angeboten wird. Die Geschichte spielt chronologisch betrachtet zehn Monate vor Band 1 (Hounded/Die Hetzjagd) und ist zwar nicht handlungsrelevant für die Reihe, dafür aber ein köstlicher Happen Humor für zwischendurch, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Da die Charaktere hier nicht näher vorgestellt bzw. ausgearbeitet werden, ist es für Neueinsteiger vielleicht trotzdem ganz ratsam, nicht gleich mit Clan Rathskeller in die Iron Druid Chronicles einzusteigen. Es könnten sonst doch einige Dinge Fragen aufwerfen, die erst durch die Bücher erklärt werden und dem Leser das nötige Grundwissen vermitteln.

Wer nun schon die Freude hatte, mindestens Hounded gelesen zu haben, der wird Clan Rathskeller als sehr unterhaltsamen Zusatzstoff empfinden, mit einem typischen Atticus, bei dem es viel zu lachen gibt. Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte könnte man es auch nennen, schließlich wird hier ein böser Kobold von Santas Elfen verfolgt. Allein die Vorstellung lässt einen schon albern kichern.
So richtig witzig wird es aber natürlich erst, wenn man tatsächlich die Geschichte selbst liest und sich die teils urkomisch gezeichneten Bilder vor dem geistigen Auge ausmalt. Oberon kann auch im Angesicht einer ernsten Lage nur an mit Schinken umwickelte Steaks denken, Atticus muss mal wieder blank ziehen (ja hier darf gesabbert werden, liebe LeserInnen), eine Emo-Fee macht außerdem Bekanntschaft mit einem Kühlergrill und wer dachte, Gnome und Stöckelschuhe passen nicht so richtig zusammen … der hatte recht.

Kurz gesagt: Clan Rathskeller, ein Titel, der einen leicht auf eine falsche Spur führen kann, ist eine schrecklich amüsante Ergänzung zu den Büchern, mit liebenswert schrulligen Figuren und mindestens einem Beweis mehr, dass Autor Kevin Hearne für jede Lage passende Querverweise zu Musik, Film und Literatur auf Lager hat. Überhaupt ist es erfrischend, wie dieser Autor es schafft, einen alle zwei Minuten lachen oder grinsen zu lassen, ohne dabei platt oder Slap-Stick-artig zu werden. Bitte mehr davon!

A Conspiracy of Kings von Megan Whalen TurnerSophos, der eher gelehrsame als machtbewusste Neffe und Erbe des Königs von Sounis, wird verschleppt und gerät in die Sklaverei. Kaum ist er dieser misslichen Lage mit knapper Not entronnen, sieht er sich mit Schwierigkeiten eines ganz anderen Kalibers konfrontiert: Sein Onkel ist während seiner Abwesenheit ums Leben gekommen, und die Herrschaftsübernahme in dem von inneren Wirren geplagten Land gestaltet sich äußerst problematisch, zumal die allgegenwärtigen Meder natürlich wie gewohnt die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen trachten. Aus eigener Kraft kann Sophos sich schwerlich halten, doch die angebotene Hilfe aus dem Ausland hat ihren Preis…

– The king was visible now, sitting upright in the carriage beside the queen. The carriage drew closer. The young man clinging to the street marker took his aim, waited for the right moment, and with a concentrated puff of air, fired the shot. –
Prologue

Es wird dem vierten Teil der Attolia-Reihe bis zu einem gewissen Grade zum Verhängnis, dass er zu einer Serie gehört: Als Einzelroman würde er einen vorbehaltlos begeistern, doch im direkten Vergleich mit seinem furiosen Vorgängerband fällt er ein wenig ab und weist auch mehr typische Jugendbuchzüge auf. In hohem Maße ist dies sicher der Wahl des zeitweise als Ich-Erzähler fungierenden Helden geschuldet, denn der schon aus dem ersten Band bekannte Sophos ist nicht nur für einen klassischen Entwicklungsroman geradezu prädestiniert, sondern von vornherein weitaus konventioneller angelegt als die in den anderen Büchern zentralen Gestalten.

Dennoch ist er ein sympathischer Protagonist, mit dem sich besonders jüngere Leser sicher identifizieren können, und Turner schildert durchaus überzeugend, wie die freundliche Naivität ihres Helden Stück für Stück der Erkenntnis weicht, dass Rücksichtslosigkeit bis hin zur Missachtung völkerrechtlicher Vorschriften und nicht zuletzt ein furchteinflößender Ruf sich als Schlüssel zum Erfolg erweisen können. Manch eine moralisch fragwürdige Tat ist dabei wirkungsvoll in Szene gesetzt – wahrscheinlich ist man selten in so großer Versuchung wie hier, einem dreisten Ignorieren diplomatischer Immunität Beifall zu zollen.

Turner erliegt allerdings nicht der Faszination der Skrupellosigkeit und Gewalt: Anders als in vielen anderen zeitgenössischen Fantasyromanen werden Werte als Richtschnur menschlichen Handelns nicht lächerlich gemacht oder für unbedeutend erklärt. Das Ringen darum, sich auch unter ungünstigen Bedingungen wenigstens ein Mindestmaß an Anstand zu bewahren, spielt auch hier wieder eine Rolle, wie überhaupt die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren fein ausgelotet werden. Trotz aller ernsten oder gar tragischen Aspekte bringt einen dabei wieder manch ein gelungener Dialog zum Schmunzeln.

Die Welt, in der Sophos seine Abenteuer erlebt, ist liebevoll ausgestaltet und wartet mit ungewohnten Perspektiven auf. Hat man bisher vor allem das Leben der Eliten an den verschiedenen Königshöfen verfolgt, steht hier in der Anfangsphase der Alltag der Sklaven auf dem Lande im Vordergrund, der mit seinen Hierarchien, Nöten und kleinen Freuden differenziert geschildert wird. Vielleicht spiegelt sich hier Turners erklärte Vorliebe für Rosemary Sutcliffs Werke wider, in denen das Heranreifen eines ursprünglich aus besseren Verhältnissen stammenden jungen Mannes in der Sklaverei (oder zumindest in einer untergeordneten Dienerrolle) ein wiederkehrendes Motiv ist.

Neben dieser möglichen äußeren Inspiration ist A Conspiracy of Kings aber vor allem ein Roman, in dem viele Rückbezüge auf die bisherigen Bände der Reihe zu entdecken sind. Turner führt hier ihre Technik der nachträglichen Umdeutung auf eine buchübergreifende Ebene: Viele scheinbar nebensächliche Einzelheiten aus The Thief erscheinen einem in der Rückschau wie gezielte Vorausverweise auf Entwicklungen, die sich erst hier vollziehen. Handlungsmäßige Parallelen ergeben sich dagegen vor allem zum zweiten Band. Wer sich noch an die Vorgehensweise der Königin von Attolia bei ihrer Thronbesteigung oder an die Intrigen des Meders Nahuseresh erinnert, wird hier viele altvertraute Plotelemente vorfinden, die zwar mit Verve zum Einsatz gebracht werden, aber den Reiz des Neuen ein wenig verloren haben.

Auch insgesamt wirkt Turner diesmal bestrebt, eher von langer Hand Vorbereitetes auszuarbeiten, als große Überraschungen zu bieten. Eine politische Entwicklung, die seit dem ersten Band zumindest als Möglichkeit im Raume stand, tritt tatsächlich ein, und auch manche Veränderung im Beziehungsgeflecht der Hauptpersonen kommt nicht unerwartet. So scheint mit dem Ende des Bandes ein vorläufiger Schlusspunkt erreicht zu sein; eine Fortsetzung müsste sich ein wenig von den mittlerweile ausgetretenen Pfaden wegbewegen, um interessant zu bleiben.

Dennoch ist A Conspiracy of Kings ein solider Teil einer alles in allem überdurchschnittlichen Buchreihe und wird Fans durchdachter, ohne Effekthascherei erzählter Geschichten sicher nicht enttäuschen.

The Coyote Road von Terri Windling und Ellen DatlowThe Coyote Road ist eine Anthologie, in der Genre-Autoren verschiedenen Trickster-Figuren nachspüren, überlieferten rund um die Welt wie Anansi, Coyote oder Kitsune, und neuen, die frische Interpretationen der Erzählmuster von Trickstergeschichten zulassen.

-You’ve probably seen those shoes by the side of the road. Just a shoe, lying in the dust just off the roadway. Not two shoes together. One odd shoe.-
One odd Shoe, Pat Murphy

Trickster treten in fast jeder Kultur in der einen oder anderen Form auf und sind faszinierende Figuren, weder gut noch schlecht, sondern einfach außerhalb der moralischen und gesellschaftlichen Kategorien und schon allein aufgrund dieser Position mächtig, aber meist nicht mit klassischen Formen der Macht ausgestattet – sie müssen sich durchmogeln. Mythen-Expertin Terri Windling erklärt im Vorwort der von ihr gemeinsam mit Ellen Datlow herausgegebenen Anthologie die verschiedenen Gestalten und Traditionen der Trickster-Figur, und damit ist man bestens gerüstet für die 22 Geschichten und 4 Gedichte, die darauf folgen.

Von den verschiedenen Zeiten, Stilen und Settings, in denen die Trickster in The Coyote Road auftreten, funktionieren die Geschichten mit modernem Hintergrund oft am besten – der Trickster ist eine Figur, die sehr stark mit dem Milieu arbeitet, und das kann ein Autor wie Charles de Lint beispielsweise bravourös in The Crow Roads heraufbeschwören, wo ein mysteriöser Fremder die Ödnis eines kleinen kanadischen Städtchens aufbricht, oder Pat Murphy mit der Eröffnungsgeschichte, die im amerikanischen Westen augenzwinkernd eine Frage aufklärt, die beinahe so spannend ist wie die nach den Einzelsocken in der Waschmaschine. Ebenfalls sehr stark in ihrem Milieu verwurzelt ist Delia Shermans The Fiddler of Bayou Teche, das die klassische Geschichte vom Pakt mit dem Teufel mit sumpfigem Südstaatenflair (und -slang) und Werwölfen neu belebt.
Die historisch angehauchten Geschichten sind zwar alle solide, aber ihnen fehlt häufig der Pfiff, der die Trickster in den moderneren Settings richtig schillern lässt – in alten Zeiten treten sie eher als Götter auf, unverständlich in ihren Motiven und den Menschen recht fern.

An sich sind Trickster ein famoser Kurzgeschichtenstoff, weil sie nicht bleiben. Sie ziehen durch, sind Momenterscheinungen – Glück oder Unglück, das je nach Perspektive über die Menschen hereinbricht und ihren Alltag ausschaltet. Dort lösen sie manchmal wie im Mythos Probleme, mit denen die Gesellschaft allein nicht fertig wird: Ein mysteriöser Fuchs hilft in Realer than You von Christopher Barzak einem entfremdeten Jungen beim Einleben in einem neuen Land, die Cat of the World von Michael Cadnum beschäftigt sich schon seit Jahrhunderten damit, das Leben für Katzen (und manchmal auch Menschen) besser zu gestalten.
Andere Trickster sind wie ein Sturm, der über die Menschen herfällt und sie häufig zum Vergnügen, selten mit richtig ernsten Absichten, wie Spielfiguren herumschiebt. Nur ganz selten gibt es eine Geschichte aus der Sicht eines der Trickster: Richard Bowes’ A Tale for the Short Days wirft einen Blick aus den Augen eines vielseitigen Diebesgottes auf die Welt, und im herrlich rätselhaften und bildgewaltigen Black Rock Blues von William Shetterly muss man sich erst einmal erarbeiten, wer warum in so großen Nöten ist und welche Rollen die auftretenden Figuren bekleiden. Häufig begegnen wir auch menschlichen Trickstern, etwa bei Patricia McKillip, oder die Trickster werden ausgetrickst wie bei Holly Blacks groteskem Besuch im Kosmos der Fresswettbewerbe. Ein weiteres prominentes Thema sind Trickster, die sich vergessen haben und sich quälen, bis ihr funkelndes Ich wieder durchbricht.

Neben Shermans, de Lints und Shetterlys Geschichten ist Kelly Links The Constable of Abal ein Highlight der Anthologie, das einen prächtigen Kosmos aus dekadenten, skurrilen Städten ausbreitet, durch den eine mehr als dysfunktionale kleine Familie mit einem nicht ganz fassbaren Geheimnis zieht. Theodora Goss trägt mit How Raven Made His Bride ein fesselndes Erzählgedicht bei, das lose auf nordamerikanischen Mythen aufbaut. Kij Johnson packt das Tricksterthema mit einem beinahe akademischen Ansatz an und seziert mit The Evolution of Trickster Stories Among the Dogs of North Park After the Change nicht nur den Archetypus, dem sich die ganze Anthologie widmet, sondern auch unser Verhältnis zu Tieren. Und auch Jeffrey Ford hat in The Dreaming Wind die Essenz des Tricksters herausgefiltert und lässt ihn völlig körperlos als urtümliche, verändernde Kraft auftreten, als die Kreativität selbst.

Da The Coyote Road eigentlich keine Ausfälle hat und die besten Geschichten die Facetten des Tricksters sehr gründlich einfangen, ohne ihm seine Unerklärlichkeit zu nehmen, kann man die von Charles Vess liebevoll ausgestattete Anthologie uneingeschränkt allen empfehlen, die sich diesen ambivalenten Figurentypus und sein Changieren zwischen erhabenem Mythos und Profanität näher anschauen wollen.

Cover von Die Dame vom See von Andrzej SapkowskiMit der Flucht Ciris durch das Portal des Schwalbenturms kann die Geschichte natürlich noch nicht zu Ende sein, und tatsächlich ist sie so vom Regen in die Traufe gekommen. Geralt dagegen scheint vom beschaulichen Touissant gar nicht mehr wegzuwollen, was seinen Gefährten zunehmend sauer aufstößt, kann doch ihre schwierige Mission nicht zwischen Weinbergen zu Ende gehen …

-“Mich”, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, während er die Ärmel hochkrempelte, “wie ich leider eingestehen muss, zieht es schrecklich zur Herrschaft. Das ist trivial, ich weiß, aber ich will ein Herrscher sein.”-

Die Dame vom See (Pani Jeziora) ist ein mehr als würdiger Abschluss für Andrzej Sapkowskis Geralt-Zyklus, denn es bringt nicht nur die Geschichte rund um Ciri und den Hexer zu einem wunderbar passenden Ende, sondern führt dem Leser/der Leserin nochmal alle Stärken der Reihe vor Augen. Das beginnt schon beim eher gemächlichen Einstieg, der einerseits ein schlaglichtartiges „Was bisher geschah“ mit starkem Eigencharakter ist, andererseits einige Zeitebenen miteinander verknüpft und bei dem in den Geralt-Passagen wieder das alte Flair der Kurzgeschichtenbände aufkommt. Die intelligent-witzigen Dialoge, die Monsterhatz und das Techtelmechtel entfalten eine fast nostalgische Wirkung.

Der Rückverweis auf die Kurzgeschichten geschieht nicht ohne Grund, knüpft Sapkowski doch im Zuge eines der Finale, die in der zweiten Romanhälfte dicht aufeinander folgen, an seine Erzählungen an und schlägt so tatsächlich einen Bogen zum Anfang des Hexer-Zyklus. Hat der Autor in seinen Kurzgeschichten so manches Märchen durch den Kakao gezogen, so scheut er sich nicht, im finalen Band ein klassisches Erzählmuster auf die Schippe zu nehmen, dessen er sich selbst bedient, und gibt einem der Höhepunkte so eine erfrischend selbstironische Note. Zudem ist auch der abschließende Band wieder reich an intertextuellen Bezügen und historischen Anspielungen.

Aber Sapkowski wäre nicht Sapkowski, ließe er seine Reihe mit den großen, dramatischen Auflösungen enden, stattdessen geht die Geschichte noch weiter und gewährt in der dem Autor eigenen Art einen Blick auf die weiteren Folgen der Ereignisse auf die politische Landschaft, auf die Gesellschaft und auch auf die Haupt- und Nebenfiguren. Der Wechsel zwischen retrospektiven, narrativen und „mittendrin“-Passagen macht einen nicht geringen Teil des Charmes des Romans und der Reihe aus. In diesem letzten Abschnitt des Romans geht es Sapkowski nicht nur um die von ihm erschaffene Welt, sondern er flicht darin auch seine scharfe Beobachtungsgabe unserer Welt ein. Denn die spezifisch modernen (insofern, als dass man sie in direkten Bezug zu unserer Gegenwart setzen kann) Aspekte von Sapkowskis Welt treten in Die Dame vom See erneut stärker hervor, sind dabei aber so geschickt „verkleidet“, dass sie sich wunderbar in das Setting einfügen. Seien es nun die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik oder – und dieses Thema hat im abschließenden Band wie auch in der gesamten Reihe eine prominente Position inne – der Überlegenheitsdünkel gegenüber den „Anderen“, wobei die Fluidität dieser Kategorie von Sapkowski scharfsinnig aufgezeigt wird, jeder kann dem zum Opfer fallen. Bei aller Unterhaltsamkeit und aller Spannung ist es vor allem diese Ebene, die dem Geralt-Zyklus seine große Bedeutung verleiht.

Darkness on the Edge of Town von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– According to the Bible, here’s how it all went down. You’ve got the word and the darkness and not much else. The two of them are just sort of hanging out together. The word and the darkness, chilling together in the void. And then the word says, “Let there be Light” and there was. And things continued just fine after that, for the most part.
Then, millennia later, some asshole comes along and fucks it all up.” –
One, S. 7

Darkness on the Edge of Town (Am Ende der Straße) ist das hinterlassene Notizbuch des Protagonisten Robbie Higgins. In Form rückblendender Aufzeichnungen schildert er dem Leser die Ereignisse, die mit der Ankunft der Dunkelheit begonnen haben. Die Art dieser Notizen und die gelegentlich direkte Ansprache des Lesers zielen einerseits auf ein unmittelbares Nacherleben ab, als würden die Aufzeichnungen just in diesem Moment gemacht, und andererseits erwecken sie den Eindruck, man habe als Leser Robbies Tagebuch gefunden.

Es gibt verschiedene kleine und große Ansätze philosophischer, religiöser und heidnischer Erklärungsversuche bis hin zu einem kritischen Blick auf die moderne Gesellschaft, in der keiner mehr seinen Nachbarn kennt und sich jeder nur noch für sich selbst interessiert. Verstärkt und beschleunigt durch den Einfluss der Dunkelheit, die im Weiteren nicht näher beschrieben wird, brechen daher in Walden die letzten verbliebenen moralischen Werte innerhalb von Stunden zusammen, Folter, Mord und Vergewaltigung werden zu einer alltäglichen, kaum beachteten Tagesordnung. Daneben sind die üblichen Ladenplünderungen schon zu vernachlässigen.

Was nun zunächst einmal gar nicht so schlecht beginnt und eine mysteriöse Endzeit-Geschichte mit Gruselfaktor versprechen mag, entpuppt sich als langweiliger Klon hundertfach erzählter Geschichten, ein bisschen Stephen King, ein bisschen Nebel des Grauens etc. – wäre es wenigstens eine gut durchdachte, spannende Erzählung, so könnte man den Roman sicher trotzdem genießen, so jedoch ist Darkness on the Edge of Town eine große Enttäuschung und leider auch eine Beleidigung für das Horror-Genre.
Der sprachliche Stil ist sehr einfach, man könnte auch sagen: zum Erbrechen simpel und stellt eine Ansammlung von Slang, Schimpfworten und gerauchten Joints dar. Die Handlung wirkt stark konstruiert und in sich nicht konsequent, es geschehen immer wieder die gleichen Dinge, dieselben Formulierungen tauchen regelmäßig auf, bestimmte Tatsachen werden zur Genüge wiederholt, auf dass der Leser sie auch wirklich zwischendurch nicht vergesse. Ein Widerspruch jagt den nächsten und weitere zahlreiche Ungereimtheiten tummeln sich unter dem Mantel des Mystery-Horrors.
In jedem Satz spürt man die Bemühung des Autors, etwas von der Furcht und dem Horror zu vermitteln, von dem der Ich-Erzähler in allzu gelangweilter, emotionsloser Manier berichtet, er scheitert dabei entsprechend auf ganzer Linie, trotz der eingangs erwähnten guten Ansätze. Auch der Versuch, einen Running-Gag einzubauen, muss vor der erzwungenen Komik der Sache kapitulieren.

Von den Charakteren kann man leider ebensowenig erwarten wie vom Rest dieses schmalen Romans. Sie bleiben bis zum Schluss blass und vermögen es nicht, den Leser in irgendeiner Form zu beeindrucken. Falls sie etwas anderes als uninteressant sind, dann kann man wohl nur sagen dumm und unglaubwürdig, zumindest verhalten sie sich häufig so, wenn sie nicht gerade wieder eine Bong mit Mariuhana rauchen.
Es mag eine Frage des persönlichen Geschmacks sein, doch es gab schon deutlich besser funktionierende Anti-Helden oder auch völlig normale Alltagsmenschen, die sich im Mittelpunkt einer hoffnungslosen Situation wiederfinden.

Was bleibt abschließend über diesen Roman zu sagen? Nachdem man sich schließlich fast 190 Seiten lang durch diese trockene Erzählung gekämpft hat, in der Hoffnung, die letzten Seiten würden einen für das Durchhalten entschädigen, schließt Darkness on the Edge of Town mit einem offenen Ende ab, welches noch einmal einen letzten kläglichen Versuch unternimmt, ein “Ende-der-Welt” Gefühl aufkommen zu lassen.
Eine insgesamt gute Idee, die leider völlig laienhaft umgesetzt wirkt und wohl eher als notdürftiger Lückenfüller taugt. Schade.

Cover des Buches "Das magische Herz" von Donna BoydIm alten Ägypten werden Han, Akan und Nefar im Hause des Ra zu Magiern ausgebildet. Rasch erkennen sie, dass sie die Welt beherrschen können, wenn sie ihre magischen Kräfte gemeinsam einsetzen. Nachdem die drei im Haus des Ra eine Katastrophe ausgelöst haben, gelingt es ihnen tatsächlich, die Macht in Ägypten an sich zu reißen, doch gleichzeitig beendet ein Verrat ihre Freundschaft. Von diesem Zeitpunkt an geht Han jahrhundertelang seinen eigenen Weg, an dessen Ende ein aufsehenerregendes Verbrechen steht.

-Selbst jetzt hatte er das Bild vor Augen: die Blutfontäne, die in einem hohen Bogen aus der Halsschlagader schoss und sich anmutig gegen den sonnendurchtränkten Himmel wölbte, wo sie einen Moment lang wie erstarrt in Zeit und Raum verharrte, feucht glänzende Tropfen des Lebensflusses, die wie geschmolzenes Gold in einer zähen Suspension wirbelten und tanzten, ehe sie in einem weichen, sanften Sprühregen Gesicht und Haut und Haare benetzten.-
NEW YORK GEGENWART

Obwohl -oder vielleicht gerade weil- die Autorin eine Vielschreiberin ist, die schon mehr als fünfzig Bücher veröffentlicht hat, wirkt Das magische Herz (The Alchemist) als hätte sie sich beim Verfassen dieses Romans genau an das Handbuch für den hoffnungsvollen Fantasyautor gehalten:
1. Zu Beginn mache man den Leser neugierig, indem man ein möglichst grausames Verbrechen schildert.
2. Danach lasse man einen mysteriösen Fremden auftreten, der von sich behauptet, er lebe schon seit ewigen Zeiten und der seine Geschichte einem Normalsterblichen des 20./21. Jahrhunderts erzählt. Am besten geeignet ist die Konstellation “Vampir/Journalist”, sollte Ihnen jemand diese Idee unverschämterweise gestohlen haben, bevor Sie mit dem Schreiben ihres Romans angefangen haben, behelfen Sie sich mit einem ägyptischen Magier und einer Psychotherapeutin.
3. Um zu verhindern, daß der Leser sich langweilt, schildern Sie in regelmäßigen Abständen ein schreckliches Ereignis, das eines der folgenden Szenarien beinhaltet: Ein verheerendes Feuer, einen Mord, bei dem unbedingt Blut spritzen muß oder jemand verspeist ein lebenswichtiges Organ eines anderen. Gegebenenfalls kann man diese Vorgänge beliebig miteinander kombinieren.

Auf gewisse Weise funktioniert dieses Konzept sogar. Die Geschichte ist einigermaßen spannend, Han, Akan und Nefar sind so gestaltet, daß der Leser ihr Schicksal mit Interesse verfolgt und es gibt einige gut geschriebene Szenen, z.B. die, in der die drei entdecken, daß sie fliegen können. Die Freude, die sie dabei empfinden, springt direkt auf den Leser über. Andererseits merkt man dem Roman zu sehr an, daß er schnell dahingeschriebenes Unterhaltungs-Fast-Food ist.

Donna Boyd hat sich wenig Mühe mit der Schilderung des Umfeldes gegeben. Die Orte, an denen die Handlung spielt, sind, wenn überhaupt, nur durch wenige Worte charakterisiert. Ägypten erkennt man hauptsächlich daran, daß die Begriffe “Pharao”, “Wüste” und “Ra” vorkommen. Diese marginale Charakterisierung ist nicht dazu geeignet, vor dem geistigen Auge des Lesers die reiche Kultur des alten Ägyptens entstehen zu lassen.
Ganz unglaubwürdig wird die Geschichte, wenn der mysteriöse Fremde erzählt, daß sie an elektronische, mit Solarstrom betriebene Verkehrsmittel (dachten). Auch wenn er dies in der Gegenwart erzählt und wenn die drei die mächtigsten Magier des alten Ägyptens waren, dann wäre es weitaus stimmiger, wenn sie daran gedacht hätten Wagen zu bauen, die durch die Kraft der Sonne angetrieben würden.Boyds Wortwahl ist unpassend und zu häufig anachronistisch. Erstaunt ist der Leser auch, wenn Han, Akan und Nefar mitten in Ägypten darüber nachdenken, in ein anderes Land zu reisen und zwar nach Afrika (!!!).
Der zweite Teil des Buches trägt die Überschrift Zeitalter der Entdeckungen Venedig 1586. Zeit und Ort sind hier völlig willkürlich gewählt und austauschbar. Die Episode könnte genauso 1498 in Madrid oder 1743 in Paris spielen.

Ein wenig mehr Mühe hätte sich die Autorin schon machen dürfen, so ist der Roman zwar durchaus lesbar und unterhaltsam, wirkt aber lieblos dahingeschludert.

Day of the Minotaur von Thomas Burnett SwannKreta wird von Feinden aus dem Norden überfallen, und die beiden Königskinder Thea und Icarus werden gefangen genommen und, nachdem sie sich tatkräftig gegen die Feinde zur Wehr gesetzt haben, in die Höhle des gefürchteten Minotauren geworfen, auf daß er sie verspeisen möge. Doch alles kommt anders: Eunostos, der letzte Minotaur, hat wenig Interesse an Menschenfleisch, vielmehr dagegen an der Schönheit der Prinzessin Thea – allerdings ist er ein eher schüchterner Zeitgenosse. Kurzerhand nimmt er die beiden jungen Königskinder mit in seine Behausung im Zauberwald und bietet ihnen dort Schutz.
Als die Angreifer das erfahren, ist ihnen der Zauberwald mit seinen Dryaden, Zentauren und vielen anderen Fabelwesen ein Dorn im Auge …

-My history belongs to the princess Thea, niece of the great king Minos, and to her brother Icarus, named for the ill-fated son of Daedalus who drowned in the sea when his glider lost its wings.-
Chapter 1: The Wooden Wings

Wer in seiner Jugend einmal mit Begeisterung die Sagen des klassischen Altertums gelesen hat, wird wohl aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er sich von Thomas Burnett Swann in dessen Version der antiken, mythischen Welt entführen läßt. Auf eine ganz eigene Art beschwört der Autor den Zauber einer vergangenen Zeit herauf, bringt die Geschehnisse anschaulich vor das innere Auge, ohne aber auf eine Art Schleier zu verzichten, der den Leser niemals die paar tausend Jahre vergessen läßt, die zwischen ihm und der von Swann beschriebenen Zeit liegen. Eine Gratwanderung zwischen Fremdem und Vertrautem, die der Autor hauptsächlich anhand von poetischer Sprache und einem vermittelnden Erzähler – Eunostos, dem Minotauren selbst – meistert.

Ein gelungener Vorspann soll der Erzählung einen historischen Kontext verleihen – ein alter Kniff, der hier aber sehr schön eingepaßt ist und der Geschichte einen Rahmen gibt. Hat man dann erst einmal den erzählenden Minotauren kennengelernt, muß man den bescheidenen, ruhigen Muskelprotz mit der poetischen Ader, der sein Licht gerne unter den Scheffel stellt, von der ersten Seite an ins Herz schließen. Im Verlauf der Geschichte ergeht es ihm ohnehin nicht besonders gut: Mit den beiden flüchtenden Königskindern, die er bei sich aufnimmt, bringt er Ärger in sein Haus und seinen Wald. Anfangs ganz harmlos, fängt die liebreizende Thea an, den ursprünglichen und naturverbundenen Minotauren zu domestizieren: Sie räumt sein Haus auf, schneidet die Blumen aus seinem geliebten Kraut- und Rübengarten ab und steckt sie in Vasen und rümpft die Nase über seine rustikalen Freunde, die Dryade Zoe und den Zentauren Moschus. Als dann auch noch der wilde Ajax mit seinen Kampfgenossen den Wald angreift, weil er der beiden Königskinder habhaft werden will, wird langsam klar, daß die Zeit der Fabelwesen von der Zeit der Menschen abgelöst wird. Auch das ist ein alter Topos der Fantasy – das Schwinden des Zaubers aus der Welt. Das Ende der Erzählung, bei deren letzter Kapitelüberschrift The Passing of the Beasts man schon schlimmstes fürchtet, steht dem Ende eines Herrn der Ringe (The Lord of the Rings) diesbezüglich in nichts nach: meisterhaft werden Melancholie und Trost miteinander verbunden, wobei die versöhnlichen Elemente für die Charaktere überwiegen, die Welt aber “gemindert” zurückbleibt.

In nicht einmal 200 Seiten sollte man sich aber von Day of the Minotaur (Die Stunde des Minotauren) keine komplexe Handlung erwarten; die Gechichte plätschert eher dahin, aber nicht als langweiliger Strom, sondern eher als hübsch anzusehender, munterer Bach. Der poetische, gewitzte und manchmal auch anzügliche Stil allein ist schon ein Vergnügen, und nur in dieser gekonnt umgesetzten archaischen Atmosphäre kann man beispielsweise von den gefürchteten swelling breasts lesen, ohne gleich “Kitsch, lass nach!” zu stöhnen. Auf dem kleinen Raum sind auch die Charaktere liebevoll dargestellt, und die Atmosphäre lebt von den Fabelwesen, die gerade klischeemäßig genug sind, um vertraut zu wirken, aber kein Quentchen mehr. Märchenhaft-poetische Fantasy in einer antiken Umgebung kann man sich nach der Lektüre dieses Romans kaum mehr anders vorstellen.

Ein deutlicher Stilbruch in diesem so gekonnt ausgearbeiteten Rahmen ist das Titelbild – ein muskelbepackter Minotaur mit der falschen Haarfarbe, eine halbnackte Frau, ein Held im Hintergrund, ein reißerischer Schriftzug. Man betrachte einmal das Bild und vergleiche mit folgendem Zitat von Eunostos, als er erstmalig auf die schöne Thea trifft, und urteile selbst:

I stood awkwardly, shifting my weight from hoof to hoof, and wondered what I could say to reassure her. »He’s right,« I blurted. »I want to be your friend, and you won’t have to pleasure m-m-me.«

Death Masks von Jim ButcherDas Grabtuch von Turin wurde aus dem Vatikan gestohlen, und Harry soll es finden. Was anfangs nach einer einfachen Aufgabe klingt, wird schnell brenzlig, als Harry es mit Auftragskillern, gefallenen Engeln, einer kopflosen Leiche mit zahllosen Krankheiten und dem Champion des Roten Hofes der Vampire zu tun bekommt. Als wären das noch nicht ausreichend Herausforderungen, taucht auch Susan plötzlich vor Harrys Türe auf und hat einen anderen Mann dabei.

– Some things just aren’t meant to go together. Things like oil and water. Orange juice and toothpaste.
Wizards and television. –
Kapitel 1, S. 1

Ein Vampir, ein Priester und ein Magier gehen in eine Talkshow …
Klingt wie der Anfang eines Witzes? Ist es aber nicht. Zumindest nicht für Harry Dresden, denn wie der geneigte Leser inzwischen gelernt haben dürfte, ist Harry ein Magnet für schwergewichtige Probleme, und davon am besten gleich mehrere an verschiedenen Fronten. In Death Masks (Silberlinge) treffen wir daher auf zwei große Handlungsstränge. Einmal wird der Krieg zwischen den Vampiren und den Magiern wieder aufgegriffen: Harry wird vom Champion der Vampire des Roten Hofs zu einem Duell herausgefordert, dessen Ausgang über den gesamten Krieg entscheiden soll. Um es für Harry auch ganz persönlich schwierig werden zu lassen, taucht Susan plötzlich vor seiner Türe auf, noch immer mit dem Vampirgift infiziert und in Begleitung eines anderen Mannes. Damit ist der Tag für Harry freilich bereits gelaufen, doch Harry wäre nicht Harry, wenn ein solcher Tag nicht noch wesentlich schlechter werden könnte. Damit sind wir auch schon beim zweiten großen Handlungsstrang, der buchstäblich biblische Ausmaße annimmt. Gefallene Engel haben es nicht nur auf das Turiner Grabtuch abgesehen, sondern auch auf Harry selbst. Ein Glück für den Magier, dass Michael und zwei weitere Kreuzritter zur Stelle sind, um ihm den Allerwertesten zu retten.

Die Qualität der Dresden-Bücher schwankt leider immer wieder von “einfach genial” zu “so lala” und diesmal sind wir näher an lala als an genial. Nach dem sehr starken vierten Band Summer Knight (Feenzorn) war zu erwarten, dass Death Masks einen schwierigen Stand haben würde. Schade, denn die Ideen sind durchaus gut, doch es gibt verschiedene Altlasten, die allmählich lästig werden. So wird die Geschichte nunmehr zum fünften Mal damit eingeleitet zu erklären, wer Harry ist und was er macht, wie er lebt, wer Bob und Mister etc. sind … Danke, Herr Butcher, doch nach fünf Bänden weiß die Leserschaft, was sie hier zu lesen gedenkt, und muss es nicht immer wieder gesagt bekommen. Ähnlich ist es mit Harrys altmodischem chevaleresken Gebaren in Gegenwart von Frauen, seien sie gerade auch noch so unfreundlich. Wo bleibt da bloß der gesunde Menschenverstand? Eine Frau mit Waffe muss wahrlich nicht beschützt werden, schon gar nicht, wenn sie damit auf einen zielt. Wirklich störend fällt es vermutlich nur deswegen auf, weil so oft wörtlich betont wird, dass Harry altmodisch und galant ist. Vielleicht fürchtet Butcher, seine Leser hätten die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege, dass er bestimmte Dinge bis zum Erbrechen wiederholen muss, statt einfach Harrys Taten für sich sprechen zu lassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Harry in Death Masks extrem schlecht gelaunt wirkt und der Humor nur schwer durchklingt. Das schwächt den Unterhaltungsfaktor merklich ab und lässt einen verschärft den Blick auf Schwachstellen werfen, wie etwa die etwas seltsame sexuelle Begegnung zwischen Harry und Susan, die eher Bondage-Freunde begeistern dürfte, die eingangs genannten Wiederholungen und auch mal die ein oder andere dumme Entscheidung.

Gut gelungen dagegen sind wie immer der Weltenbau und die Entwicklung der Charaktere, von denen wir auf zahlreiche alte, aber auch etliche neue treffen. Der Leser erhält neue Einblicke in das Leben von Susan, Harry selbst und auch von Michael mit seinen Kreuzrittern. Vor allem mit dem neuen Charakter Archive alias Ivy und dem Auftragskiller Kincaid präsentiert Butcher ein ungleiches Paar, das für all den sonst zu kurz kommenden Humor und die schlechte Laune des Protagonisten entschädigt. Auch werden bereits vorhandene Handlungsstränge aus den vorigen Bänden konsequent fortgesetzt, so dass man auch hier neue Erkenntnisse erlangt. Bloß auf Hausgeist Bob und Ermittlerin Murphy muss man diesmal nahezu verzichten.
Death Masks weist einmal mehr darauf hin, dass es dunkle Geheimnisse in Harrys Familie gibt und er aus einem noch unbekannten Grund deswegen besonders reizvoll für die Denarier – die gefallenen Engel – und deren Anführer Nicodemus ist. Genaues erfährt der Leser leider nicht, die Dinge bleiben rätselhaft und sorgen für genug Neugierde, um auch den Folgeband zur Hand nehmen zu wollen.

Obwohl Death Masks wieder deutlich spröder und weniger unterhaltsam daherkommt als Summer Knight, lohnt es sich, am Ball zu bleiben. Vielleicht ist es auch nur eine Frage des thematischen Fokus. Während sich Summer Knight in der keltischen Sagenwelt bewegte, konzentriert sich Death Masks auf die christliche Mythologie. Doch egal, welche Themenrichtung einem nun mehr zusagt, die Handlungsstränge werden gewohnt temporeich erzählt, und wenn man es mit der Glaubhaftigkeit nicht allzu genau nimmt, dann kann man nach einem Augenrollen auch diesen fünften Roman in der Reihe noch gut genießen.

Degrees of Wrong von Anna Scarlett2053: Nach dem Tod ihrer Eltern lebt Dr. Elyse Morgan ein bescheidenes Leben auf einer kleinen Insel, wo sie die Menschen ihres Dorfes behandelt und recht abgeschottet von den politischen Machtspielen der Außenwelt lebt. Alles ändert sich, als eines Tages die beiden großen gegnerischen Parteien auf der kleinen Insel einfallen um dort ihren Disput auszutragen. Bis klar wird, dass sie beide nur ein Ziel haben: Elyse.
Ehe sich die junge Ärztin versieht, wird sie von den Soldaten der UOC gerettet (gekidnappt) und auf ein Unterwasserschiff gebracht, wo sie die Heilung für den tödlichen Virus findet soll, der auch ihre Eltern getötet hat.

– I was too tired for his charm to be charming. In fact, since I’d already bludgeoned the medical code of ethics today, overdosing him to shut him up seemed an acceptable degree of wrong. –

Degrees of Wrong startet mitten im Geschehen und ohne lange Eingewöhnungsphase mit Dr. Elyse Morgan, die gerade einen vorlauten Soldaten zusammenflickt. Es ist ein mildes Science-Fiction Abenteuer, das einen in die Tiefen der Ozeane entführt und dabei mindestens einmal pro Seite dazu verführt, laut aufzulachen. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die TV-Serie SeaQuest, die in den 90ern lief? Degrees of Wrong erinnert sehr stark an diese Serie und weckt vielleicht auch deshalb nostalgische Gefühle in mir, war ich doch ein bekennender Fan der SeaQuest und wollte fast nichts lieber, als auf diesem Unterwasserschiff durch die Ozeane streifen.

In Degrees of Wrong nun befinden wir uns im Jahre 2053 n.Chr. und die politische Situation hat sich recht umfangreich verändert. Die Nationen haben sich zusammengeschlossen in der Organisation UOC (United Ocean Corps) und den unabhängigen Nationen, die nicht näher benannt werden, aber als Rebellen gelten und terroristische Bio-Angriffe auf die Nationen der UOC verüben. Die schlimmste Erfindung dieser Terroristen ist das Virus HTN 4 – eine der Pest ähnliche Krankheit, die innerhalb von 48 Stunden zum unweigerlichen Tod führt und für die es noch keine Heilung gibt.
Dr. Elyse Morgan ist aufgrund einer ihrer Studien zu diesem Virus auf den Radar der Rebellen gelangt und die UOC greift ein, um Elyse vor der Entführung zu bewahren. Dummerweise müssen die eigentlich helfend gesinnten Soldaten dafür ebenfalls zu Entführern werden, denn unsere Ärztin reagiert auf beide Parteien recht allergisch. Im Nu wird Elyse mit einem Elektroschocker in die Bewusstlosigkeit geschickt und zu ihrer eigenen Sicherheit auf die »Bellator« gebracht, ein Unterwasser-Militärschiff, auf dem nicht nur ein modernes Labor wartet, mit allem, was sie sich nur wünschen kann, sondern auch ein Kapitän, der es sich schon bald zur Aufgabe macht, Elyse für sich zu gewinnen.
An dieser Stelle kommt jene Thematik ins Spiel, die die Hälfte der Leser nun vermutlich in die Flucht schlagen wird: Romantik!

So peinlich es mir vielleicht sein sollte, ich komme nicht umhin zu sagen, dass Degrees of Wrong gerade wegen dieser sich entwickelnden Beziehung zwischen Elyse und Nicoli Marek zu einem Pageturner wurde. Der Handlungsstrang nimmt recht viel Platz ein, man muss also wirklich dafür aufgeschlossen sein, sich einem romantischen Katz-und-Maus-Spiel zu stellen, das seinesgleichen sucht. Es ist einfach zu komisch, wie sich Elyse und Nicoli mit bissigem Witz ebenbürtig begegnen, denn ganz so einfach ist die Lage nicht. Elyses Weigerung, sich trotz ihrer Zuneigung nicht mit dem Kapitän einzulassen, erhält eine verständliche Begründung. Während man als Leser nun mitfiebern darf, ob sie sich am Ende kriegen oder es doch besser sein lassen, wird man mit viel Humor und neckischen Streitereien belohnt, während Elyses mütterliche Freundin zusätzlich regelmäßig Sabotage an deren Standhaftigkeit verübt.

Hiervon einmal abgesehen bietet Degrees of Wrong eine Heldin mit Verstand und messerscharfer Zunge in jeder Lebenslage. Egal ob sie gerade entführt, verhört, becirct, vergiftet oder zurechtgewiesen wird, Elyse kann einfach nicht aus ihrer Haut und kontert alles mit einem frechen Mundwerk – auch wenn sie genau weiß, dass sie dafür noch mehr Ärger bekommen wird. Sie ist selbstbewusst und lässt sich nicht gerne Vorschriften machen. Zum Glück befinden sich gut 40 Kilo Schokolade an Bord, mit denen sich die Nerven beruhigen lassen. Unfehlbar ist sie dabei wahrlich nicht, und das macht sie umso sympathischer.
Nebenrollen gibt es bei diesem Roman nur wenige, die wirken dafür größtenteils recht familiär und bringen ihre eigene Prise Witz mit in die Geschichte ein. Die Wendungen sind oft überraschend und unerwartet und kündigen sich nicht schon 50 Seiten vorher an. Sicherlich, ein zwei Dinge muss man davon ausnehmen.

Der Weltenbau in Degrees of Wrong kommt subtil daher. Man gewinnt ein gutes Gefühl für das Schiff und seine Besatzung und auch für den Grund der Meere, so dass man als Leser den dringenden Wunsch entwickelt, sich in einen der Pods (kleine Transport-U-Boote, um sich zwischen dem Festland und der Bellator zu bewegen) zu setzen und selbst auf Unterwasserabenteuer zu gehen. Unnötig lange Umschreibungen sucht man hier vergeblich, die bestehenden Gegebenheiten werden eher beiläufig und selbstverständlich erklärt. Positiv aufgefallen ist auch die selbstverständliche Vermischung aller möglichen ethnischen Gruppen.

Was man negativ ankreiden könnte, ist, dass die Suche nach der Heilung ein wenig ins Abseits gerät und die Lösung letztlich etwas zu einfach scheint. Denn Degrees of Wrong ist vordergründig eine locker-leichte Romanze für Erwachsene mit Science-Fiction-Hintergrund. Wem also einmal der Sinn nach dieser Kombination steht, der wird mit Degrees of Wrong viele amüsierte Stunden verbringen können.

Cover des Buches "Der letzte Minotaur" von Thomas Burnett SwannDie lebenslustige Dryade Zoe erzählt die Geschichte von Eunostos, dem letzten Minotaur des Zauberwaldes der Tiere auf Kreta.
Der junge Tiermensch ist in die wunderschöne Dryade Kora verliebt, doch diese mag ihn nicht erhören, denn sie träumt einen sonderbaren Traum und will daher warten. Aber warum folgt Saffron, die Königin eines der neu angekommenen Stämme der Thriae, dem Minotaur mit so lüsternem Blick? Als sich schließlich der Paniskus Phlebas, ein Ziegenjunge mit ungewöhnlich kriminellen Charakter, besonders aufdringlich gegenüber Kora verhält, nimmt das Unheil seinen Lauf …

-Ich bin dreihundertsechzig und stolz darauf, daß ich in all dieser Zeit bestimmt gut doppelt so viele Liebhaber erfreuen durfte, wie ich Jahre genoß.-
Erster Teil, Eunostos, 1.

Die Geschehnisse im Zauberwald finden zur Zeit der Minoischen Palastkultur statt, als der legendäre Minos noch König ist und die Archäer zwar schon Überfälle unternehmen, aber noch keine ernste Bedrohung darstellen. Kreta wird von freundlichen, den Augenblick lebenden Menschen bewohnt, auf dem Lande geht es zwar etwas einfacher und zurückhaltender zu, doch in der Stadt Knossos herrscht ein freizügiges und buntes Treiben, welches sich in den farbenfrohen und vielgestaltigen Palästen widerspiegelt; dort hat der weise und gerechte König Minos seinen Herrschersitz.
Doch die Menschen haben einen Pakt geschlossen mit den Tiermenschen Kretas, deren Heimat soll von Menschen nicht betreten werden. Der Zauberwald ist hauptsächlich ein Wald, in dem seine Bewohner sehr angepasst an diesen leben, so sind die Häuser nicht aus dem Wald gebaut, sondern mit dem Wald gebaut. Das Zauberhafte beschränkt sich allerdings auf die Bewohner.

Die Tiermenschen sind der Mythologie Kretas entlehnt, einige, wie der Minotaur, sind sehr bekannt und im stärkeren Maße an die Mythologie angelehnt, andere, wie die Thriae, sind weniger bekannt und mit mehr Phantasie ausgestaltet. Ein Eigenart der meisten Tiermenschenvölker ist es, entweder nur aus Frauen, wie die Dryaden, oder nur aus Männern, wie die Minotauren, zu bestehen. Nur in wenigen finden sich sowohl Frauen als auch Männer, wie bei den Thriae. Die kriegerischen und draufgängerischen Zentauren werden angeführt vom weisen Chiron; die Panisken – vom Äußeren Satyren sehr ähnlich – entwickeln sich nicht weiter als Jugendliche, sie sind stets auf Nonsens aus; die Artemisbärinnen, zur Hälfte Bär, zur Hälfte Frau, sind auf ewig scheue Mädchen; die Telchin sind großartige Handwerker mit der Gestalt einer übergroßen Ameise; die Thriae, die Bienen, sind sehr dünne mit Flügeln versehene menschenartige Wesen, deren Volk aus Königin, Arbeiterinnen und Drohnen besteht; die Dryaden sind schöne Frauen, die sich nicht lange von ihrer Eiche trennen können.

Eunostos, der letzte Minotaur, ist zur Hälfte Bulle, zur Hälfte Mensch, statt Füße hat er Hufe und aus seinem seidigen, roten Haar ragen Hörner heraus. Wenn er erst ausgewachsen ist, wird er eine gewaltige Statur haben. Wie für Minotauren üblich, arbeitet er als Zimmermann. Er ist ein lebhafter und stürmischer junger Bulle, doch kann er auch sehr sanft und poetisch sein. Er ist unsterblich in die Dryade Kora verliebt.
Diese ist eine junge, romantische Dryade, vielleicht die älteste Jungfrau (sie ist schon neunzehn) im ganzen Wald. Sie wirkt durch ihre Zurückhaltung auf viele erhaben, vielleicht ist sie aber einfach nur unsicher.
Saffron ist die Königin eines Thriae-Stammes, sie ist lüstern und arrogant; sie erwartet von anderen, dass diese sich ihr – der schönen Königin! – fügen. Zudem ist sie eitel und gierig.

Zoe, die Dryadin, ist die Erzählerin der Geschichte, sie ist äußerst beliebt und hat sowohl zu Kora und deren Mutter als auch zu Eunostos, mit dessen Mutter sie befreundet war, ein gutes Verhältnis. Eunostos nennt sie Tante Zoe, obgleich sie sich diesen Titel nicht wünscht, da sie heimlich andere Gefühle für ihn hegt. Schließlich ist da noch der menschliche Kreter Aeacus, der Bruder König Minos’. Ihn verschlägt es im zweiten Teil der Geschichte in den Wald – auch er verliebt sich in die schöne Dryade Kora.
Die Charaktere sind einfach, was nicht weiter stört, da die Tiermenschen einfache Geschöpfe sind, doch manchmal agieren sie ein wenig zu typisch. Dieses mag im Konzept so angelegt sein, um die Schlichtheit der Natur besser gegen die komplizierte Zivilisation abheben zu können, nimmt der Geschichte aber ein wenig an Spannung.

Die Geschichte ist in zwei Teile geteilt, die durch die Liebe Eunostos’ zu Kora zusammengehalten werden. Im ersten Teil geht die Bedrohung von der Königin Saffron aus, dieser Teil ist wesentlich humorvoller und handlungsreicher. Während hier Liebe und Lust die Figuren motivieren, sind es im zweiten Teil Liebe und Pflicht. Aeacus ist der Mann in Koras Traum, aber er hätte nicht in das Reich der Tiere kommen dürfen, denn auch wenn er und die Dryade sich lieben, werden seine Kinder doch königlichen Geblütes sein. Hinzu kommt, dass der sanfte Eunostos viel besser mit den Kindern umgehen kann. Wenn Tugend und Laster einander gegenüberstehen, ist ein gutes Ende immer möglich, aber wenn zwei Tugenden sich gegenüberstehen, dann ist eine Tragödie am Ende unausweichlich. So gibt es zwar wiederum komische oder harmonische Episoden, dieser Teil ist aber deutlich melancholischer und dem Leser wird schnell klar, dass am Ende das Leid unvermeidbar sein wird.

Auch wenn die Geschichte eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Märchen Die Schöne und die Bestie von Jeanne Marie Leprince de Beaumont hat, ist Eunostos der Einzige, der seine Physis negativ beurteilt. Auch wenn die Thematik Liebe sehr dominant ist, gibt es doch einige gefahrvolle Momente und überraschende Wendungen zu überstehen in dieser ungewöhnlichen Geschichte. Dieses ist zwar der zweite Teil aus der Minotaurus Reihe, aber er kann völlig unproblematisch nur für sich gelesen werden.

Die Erzählung wird zwar von Zoe erzählt, doch diese gibt bisweilen sogar die Gedanken der Figuren wieder, wie ein antiker Historiograph seinen Protagonisten eine Rede in den Mund legen mag. Die Geschichte ist somit aus einer unüblichen Perspektivenmischung von auktorialer Erzählstruktur und Ich-Erzählsituation dargestellt. Die flüssigen Sätze und die treffende Wortwahl passen gut zu dieser schnellen und frivolen Geschichte.

Der Dieb von Megan Whalen TurnerNur vereint könnten sich die rivalisierenden Staaten Sounis, Eddis und Attolia der Eroberung durch das Mederreich widersetzen – wenn es nach dem Magus des Königs von Sounis geht, unter Führung seines Herrn, dem er mithilfe eines sagenumwobenen Steins die Herrschaft über Eddis sichern will. Um das Artefakt aus seinem Versteck im feindlichen Attolia zu holen, benötigt er einen geschickten Einbrecher. Der Meisterdieb Gen, den seine Prahlerei mit einer besonders dreisten Untat ins Gefängnis gebracht hat, kommt ihm da gerade recht. Mit einigen Begleitern brechen die beiden nach Attolia auf. Doch unter den Gefährten lauert ein Verräter, und auch Götter, an die niemand mehr so recht glauben will, nehmen Einfluss auf den Ausgang des Abenteuers…

– Ich wusste nicht, wie lange ich schon im Gefängnis des Königs saß. Die Tage waren alle gleich, abgesehen davon, dass ich mit jedem schmutziger wurde als zuvor. –
Kapitel 1

Zu Der Dieb liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Percy Jackson: Diebe im OlympPercy Jackson ist ein Problemkind wider willen, denn er gerät von einer seltsamen Situation in die nächste. Kein Wunder, dass er schon von sechs Schulen geflogen ist. Was er und der gewöhnliche Mensch aber nicht ahnen: Percy Jackson ist kein Unruhestifter sondern ein Halbgott und damit in höchster Lebensgefahr. Denn die Schergen des Gottes der Unterwelt haben es auf den Jungen abgesehen, nicht nur weil er im Verdacht steht, den berüchtigten Blitz des Zeus gestohlen zu haben. Die Furien sind ihm bereits dicht auf den Fersen, und die einzige Chance zu überleben scheint das Camp Half-Blood zu sein in dem ein mauliger Dionysus die Leitung hat.

– Ein Halbblut zu sein ist gefährlich. Beängstigend. Meistens führt es zu einem schmerzhaften, scheußlichen Tod. –
Aus purem Zufall lasse ich meine Mathelehrerin in Dampf aufgehen

Zu Diebe im Olymp liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Dinotopia von James GurneyNach einem Schiffbruch werden Arthur Denison und sein Sohn Will an seltsame Gestade gespült: Sie befinden sich im Land Dinotopia, wo Menschen und Dinosaurier friedlich Seite an Seite leben. Sie lernen die Gebräuche der verschiedenen Regionen Dinotopias kennen und fügen sich in die ungewöhnliche Gemeinschaft ein – Will als angehender Bote, Arthur als Forscher.

-Da ich meine sämtlichen Bordtagebücher in dem großen Desaster vor neun Tagen verloren habe, will ich jetzt mit dem Schiffbruch selbst beginnen und von den seltsamen Ereignissen berichten, die darauf folgten.-
Das Tagebuch von Arthur Denison

Dino-Wellen kommen und gehen in der Populärkultur, aber richtig out sind Dinosaurier eigentlich nie. Dafür ist es viel zu interessant, wenn man irgendwann die Entdeckung macht, dass auf der Erde einst ganz andere – und noch dazu optisch so beeindruckende – Wesen gelebt haben. Die Paläontologie steuert auch immer wieder neue Erkenntnisse bei, die sich meist auf nur sehr spärliche Überreste stützen, daher war die Darstellung von Dinosauriern, ihre Rekonstruktion zu zumindest auf Bildern lebendigen Wesen, eigentlich schon immer Fantasy. Und von der Zeit ihrer “Entdeckung” an haben die Dinosaurier Künstler dazu inspiriert, die Urwelt zu interpretieren und wiederauferstehen zu lassen.
In dieser Tradition steht auch James Gurney, der sich an (zum Veröffentlichungszeitpunkt von Dinotopia) aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse gehalten und viel Recherche in den Bildband gesteckt hat, der aber sonst einen Schritt weiter geht und die Dinosaurier in ein phantastisches Setting verfrachtet. Das verborgene Plateau aus Arthur Conan Doyles The Lost World wird hier ein ganzer verborgener Kontinent, auf dem Dinosaurier überlebt, sich weiterentwickelt und gemeinsam mit Schiffbrüchigen eine friedliche Gemeinschaft gegründet haben.

Man lernt diese Welt über die Notizen des Neuankömmlings Arthur Denison kennen, und die Fiktion des Forscherberichts trägt über das ganze Buch hinweg und wird in “handschriftlichen” Erläuterungen, Aufrisszeichnungen und Bemerkungen zur Botanik oder Archäologie lebendig – Arthur Denison ist ein umfassend gebildeter Bürger des 19. Jahrhunderts.
Wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich bei Dinotopia – Das Land jenseits der Zeit (Dinotopia. A Land Apart from Time) um eine Utopie: Die Gemeinschaft aus Mensch und Dinosaurier ist friedlich, harmonisch, größtenteils vegetarisch (fleischfressenden Dinosauriern wird mit Fisch geholfen) und unglaublich sozial. Trotzdem geht es nicht um die Ideologie – das Wie dieses Zusammenlebens bleibt merkwürdig vage, es ist vielmehr eine Kulisse, um die (Traum-)Idee der gemeinsamenen Existenz von Menschen und Dinosauriern (die in der Erdgeschichte zur Enttäuschung vieler Geschichtenerzähler nie möglich war) mit vielen Details und grandiosen Aspekten ausschmücken zu können. Man mag die allgegenwärtige Harmonie irgendwo zwischen Disney, Hippiekommune und Romantik verbuchen, sie stört den Genuss des Hauptarguments, das für Dinotopia spricht, auf jeden Fall nicht.
Dieses Argument sind eindeutig die opulenten Bilder, die meist ganze Seiten, oft auch Doppelseiten zieren und die dinotopische Gesellschaft in einer Farbenpracht und Detailfülle darstellen, die Ihresgleichen sucht. Gurney, der vor Dinotopia für das National Geographic Magazine u.a. Rekonstruktionen von versunkenen Städten gemalt hatte, präsentiert die Dinosaurier geschmückt, bemalt, als riesige Schaukeln, tanzend und als Betreiber von Bibliotheken und Botendiensten. Gurneys Ölgemälde erinnern häufig an die Präraffaeliten (manchmal kippt es auch Richtung Kitsch mit Blumenkindern), aber er beherrscht auch Detailzeichnungen und am beeindruckendsten vielleicht riesige Panoramen, in denen seine Erfahrungen als Hintergrundmaler für Zeichentrickfilme zum Tragen kommen.
Auch seine menschlichen Figuren sind ausdrucksstark und bringen Leben in die erzählerisch etwas behäbige Geschichte, die kindgerecht, relativ harmlos und aufgrund der friedlichen Welt ohne großen Spannungsbogen dahintreibt.

Im Detail macht Dinotopia allerdings großen Spaß, und man wird schnell merken, dass die Geschichte der sich einlebenden Schiffbrüchigen hauptsächlich ein Vehikel ist, mit dem der Leser auf eine Rundreise geführt wird, um die Wunder Dinotopias zu entdecken. Das Dinosaurier-Motiv zieht sich in vielen Einzelheiten durch den Band, von der Klauenschrift über das Spielzeug bis hin zu Architektur und bildlicher Darstellung. Dazu kommen einige charmante Ideen, wie das Alltagsleben sich gestaltet, welche Dinosaurier-Arten in welcher Form präsentiert werden (man nehme zum Beispiel den Oviraptor, der hier als eierumsorgender Brutpfleger auftritt), und ein Reigen an interessanten, exotischen Schauplätzen, der sich einerseits durch den Kulturenmix der Schiffbrüchigen erklärt, andererseits durch die lange dinotopische Geschichte, die Ruinen jeder Epoche zu bieten hat und damit nicht nur das Forschersehnen nach lost worlds, sondern auch nach lost cities bedient.
Für Dinosaurierfreunde ist Dinotopia ohnehin eine Schau, und man merkt jeder Seite das Herzblut an, das ein begeisterter Maler in sein liebstes Sujet gesteckt hat. Auch als Freund von Artbooks, die im Dokumentationsstil gehalten sind, kann man bedenkenlos zuschlagen – nur wegen der darin erzählten Geschichte sollte man Dinotopia nicht unbedingt zur Hand nehmen.

Diving Mimes, Weeping Czars and Other Unusual Suspects von Ken ScholesDie siebzehn Kurzgeschichten führen diesmal auf die Erde nach einem Alien-Angriff, Kolonien auf fernen Planeten, deren Siedler längst die Technik vergessen haben, in die 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ins Herz eines Galaktischen Imperiums, in eine Bar irgendwo im Westen und an etliche andere Orte zu anderen Zeiten.

-Frederico leaned close to smell the poison on his thirteenth wife’s cold, dead lips.-
A Weeping Czar Beholds the Fallen Moon

Auch Ken Scholes’ zweite Sammlung von Kurzgeschichten – eine Form, in der der Autor zu Hause ist wie der Fisch im Wasser – bietet wieder einen kreativen Reigen von vor allem thematisch und durch ihre überbordende Phantasie verbundenen Episoden, die völlig verschiedenen Subgenres zuzuordnen sind und die Tür zu ihren jeweiligen Welten einmal weit aufreißen, um sie nach einem kurzen Blick wieder zu schließen.
Das Nachwort verrät – falls man es sich nicht aus den Texten selbst erschließen konnte – die Zugehörigkeit einzelner Geschichten zu größeren (meist noch ungeschriebenen) Zyklen oder einem gemeinsamen Setting.

Zwei der Geschichten gehören zur Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak)-Reihe, darunter die lange Eröffnungs-Erzählung, die eine gute Ergänzung zum zweiten Band der Reihe darstellt und in eine frühere Ära der Benannten Lande führt. Of Missing Kings and Backward Dreams and the Honoring of Lies ist dagegen ein früher Entwurf für den ersten Band, als dieser noch als Zyklus aus mehreren Kurzgeschichten konzipiert war, und gibt einen guten Einblick in Scholes’ schöpferischen Prozess.
In beiden Geschichten tritt eines seiner großen Talente zutage: Mit der Weltschöpfung auch auf kleinstem Raum mehr zu vermitteln als andere in ganzen Zyklen und dieses Grundkonzept der Fantasy, das Simulieren von großen Welten mit wenigen Worten, damit auf die Spitze zu treiben.
In beinahe jeder Geschichte in Diving Mimes and Weeping Czars kann man staunend davorsitzen, wenn dieser Trick wieder und wieder gelingt, etwa in der knallig bunten und tieftraurigen postapokalyptischen Erde der Four Clowns of the Apocalypse and the Mecca of Mirth, die sich schnell ein neues Bezugssystem aus Mythen und Geschichten zugelegt haben, oder im pangalaktischen Invisible Empire of Ascending Light, das schon etliche Schismen hinter sich hat und in der tragischen Erzählung nur eine Ahnung der Geschichten vermittelt, die sich innerhalb seiner Grenzen abspielen könnten.
Dieses unerwähnt bleibende Mehr, das in vielen Geschichten der Sammlung mitschwingt, ist mitunter Scholes’ größte Trumpfkarte.

Eine andere sind seine Themen: Fast alle Geschichten haben spirituelle, aber auch religionskritische Untertöne, in einigen rücken sie auch in den Vordergrund, wie etwa bei On the Settling of Ancient Scores, wo es Gott und der Teufel in einer Bar austragen wollen, oder The God-Voices of Settler’s Rest, einer melancholischen Rückschau auf ein Leben, das einer ominösen Religion gewidmet war.
Auf verschiedenen Wegen nähert sich Scholes auch dem Umgang mit dem Tod (absurd und tragikomisch, aber psychologisch unfehlbar in Grief-Stepping to the Widower’s Waltz, mit eindeutig durchschimmernder Eigenerfahrung in The Taking Night). Zwei Liebesgeschichten bereiten auch dieses Thema verspielt und geschickt auf: Love in the Time of Car Alarms ist eine niedliche, aber unkitschige Romanze in Scholes’ Superhelden-Universum, There Once Was a Girl in Nantucket reiht die Liebe als ein weiteres Element in eine Parade von surrealen Ereignissen ein.

Viel Vergnügen machen auch zwei Geschichten, die auf den Artus-Mythenkreis zurückgreifen, diesen aber sehr ungewöhnlich umsetzen: eine entpuppt sich als auf schlichte Weise schön und bleibt dicht an ihrem adoleszenten Helden, der in die Fußstapfen von Tom Sawyer und Huckleberry Finn zu treten scheint, die andere tischt ein kurioses, drastisches Setting auf und wird von Scholes’ Inszenierung der Heldenwerdung seiner Figuren getragen – wie schon in früheren Geschichten versteht er es, völlige Außenseiter in diese Rolle zu drängen und ihnen in den richtigen Momenten Pathos zu verleihen.
Nicht nur in dieser Geschichte ist die Zeit nach der Apokalypse ein Thema, zu dem Scholes immer wieder zurückkehrt – er beschreibt Neuanfänge, oft Rückfälle auf niedrigere Entwicklungsstufen, oder eine völlige Veschiebung des gesellschaftlichen Paradigmas, meist weg von der Rationalität, hin zum Glauben oder zu Welten, in denen Mythen und Geschichten Realität stiften.

Diese Mythen zaubert er aus dem Hut, als wären sie im Dutzend billiger – Ähnlichkeiten und gemeinsame Ursprünge lassen sich feststellen, genauso, wie sich nach und nach ein Mosaik aus Geschichten ergibt, die Teil eines größeren Entwurfs sind. Selbst in den kürzesten Geschichten, dem poetischen SF-Action-Kracher (!) The Night the Stars Sang Out My Name und der düsteren und trotzdem warmherzigen Endzeit-Episode What Child is This I Ask the Midnight Clear, scheut sich Scholes nicht, eine Fülle von Hintergründen durchscheinen zu lassen, die auf mühelose Weise authentisch wirkt.
Eines der Highlights der Sammlung, The Second Gift Given, ist dann auch zugleich Schöpfungs- und Zukunftsmythos und kann außerdem gut als Beispiel dafür dienen, dass die anspruchsvollen Konstruktionen des Weltenbaus niemals die menschliche Basis der Geschichten überragen: Es behandelt ein moralisches Thema, mit dem beinahe jeder Mensch irgendwann einmal konfrontiert wird, auf so einfühlsame Weise und gleichzeitig mit einem solchen Weitblick, dass man schon allein für diese eine Geschichte unter siebzehn diese Sammlung ins Regal stellen sollte.

Cover von Der Drache von Jane GaskellFür Cija haben sich die Dinge drastisch gewandelt: Einst war sie als Tochter der Königin eine Göttin, dann war sie eine ehrenvolle Geisel des Feldherren Zerd mit dem dramatischen und patriotischen Auftrag, diesen zu töten. Doch sie konnte es nicht und danach hat sich die ganze Angelegenheit als Farce herausgestellt. Nach langem Leidensweg ist sie die Geliebte Smahils geworden, der ihren Körper liebt und ihre Seele verachtet. Allerdings kann diese Situation nicht lange gut gehen, zumal die Verbündeten Südländer mit den eigenen Nordländern immer häufiger aneinander geraten. Schließlich muß Cija wieder einmal fort und es scheint sie habe endlich einmal Glück, denn der Hohepriester Kaselm führt sie als Göttin am Hof des Gottkaisers der Südländer ein…

-Smahil hob mich in den Sattel und hülte mich fürsorglich in seinen Umhang.-
Das Bett in der Südmetropole

Die Geschichte schließt nahtlos an den Turm der Göttin, den ‘ersten’ Teil, an – kein Wunder, da die Autorin diese ‘zwei’ Teile als einen Roman schrieb und erst viel später getrennt wurden. Wer den ‘ersten’ Teil nicht gelesen hat, wird sicherlich nicht alles nachvollziehen können.

Das Geschehen ist im prähistorischen Südamerika angesiedelt, aber dieses ist dem Leser so fremd, das es genauso gut eine Sekundärwelt sein könnte. Die Nordländer und die Südländer hassen sich, da beides stark chauvinistische Reiche sind – zu dumm, daß die Nordländer mit einer schwachen Armee von unerfahrenen Soldaten mitten unter ihren ‘Verbündeten’ im Südreich stehen. Der Leser erhält Einblick in das Leben am Hofe des Gottkaisers, seine prachtvollen Gebräuche, die dekadenten Adligen und den großen Einfluß der Priesterkaste – Cija würde sich wohlfühlen, wären da nicht ihre Alpträume.
Die phantastischen Elemente sind wieder sehr unaufdringlich, aber dennoch handlungsbestimmend; erst am Ende treten sie deutlicher auf. In diesem Zusammenhang finden auch die vielen Zufälle der Geschichte eine Erklärung – ob sie dem Leser zusagt, steht auf einem anderen Blatt.
Figuren treten wieder sehr viele auf. Wie schon im Vorgänger gibt es kaum klare Positionen, beinahe keine Figur ist einfach gut und keine ist einfach böse; alle haben ihre persönlichen Gründe zu handeln, wie sie es tun. Cija ist kein naives Kind mehr und auch wenn sie zuweilen vermeint frei und glücklich zu sein, haben sich die Mißhandlungen tief in sie eingegraben und so kann sie Ruhe nicht lange ertragen. Nachdem der Mord an Zerd unsinnig geworden ist, irrt sie ziellos weiter, meistens ist sie darum bemüht sich zu verstecken, da sie vielen gegenüber zur Verräterin geworden ist; sie scheut nicht mehr den Tod, sondern das zu Tode gefoltert werden. Cija hat gelernt Gewalt und Demütigungen zu ertragen oder davon zu laufen, so reagiert sie denn auch auf Probleme. Smahil, ihr grausamer Liebhaber, Zerd, der sie ebenfalls begehrt, Kaselm, der Hohepriester, vor dem alle Höflinge Cija warnen, aber auch Ooldra, die Cija so sehr haßte, und einige mehr spielen eine Rolle in Cijas leidenreichen Leben.

Cijas Odyssee ist eine Queste ohne Ziel, sie wird einer Vielzahl von Prüfungen unterzogen, bei denen sie von vornherein keine Chance hat, zu bestehen. Zunächst versucht sie einfach nur Frieden und Ruhe zu finden, doch der freundliche, alte Priester geht ihr nicht aus dem Sinn – als sie diesen erneut trifft, nimmt ihr Leben eine weitere Wendung.
Was ist das eigentlich für Fantasy? Cija nimmt an einem großen Feldzug teil, Schlachten werden geschlagen, Beute wird gemacht, es wird gebrandschatzt und vergewaltigt. Dumm nur, daß sich beide Seiten nichts geben – ein Soldat ist ein Soldat ist ein Soldat, egal ob er dieser oder jener Fahne folgt, am Abend will er Saufen und eine Frau. Dümmer noch, daß Cija kein Soldat ist – sondern eine Frau. Der Leser erlebt Cijas Leid, wie sie permanent der einen oder anderen Form von Gewalt ausgesetzt ist, wie sich ihre Seele immer mehr verformt, bis ihr eine weitere Vergewaltigung gar nicht mehr soviel ausmacht. Der Leser erlebt zunächst ihren sozialen, dann ihren seelischen Verfall – ein ‘Happy End’ kann es da nicht geben. Wer eskapistische Literatur sucht, sollte einen großen Bogen um dieses Werk machen, wer dagegen ein Argument gegen den Eskapismus-Vorwurf gegen die Fantasy braucht, der wird hier fündig. Es ist Heroic Fantasy mit einer sehr düsteren Atmosphäre – aus der Opfer-Perspektive.

Das ist zwar sehr originell, aber leider nicht ohne Fehler. Zum einen erleidet die arme Cija wirklich die Qualen der Welt – mehrfach. Da wäre sicherlich weniger mehr gewesen. Die psychischen Folgen der Mißhandlungen hätten deutlicher herausgestellt werden können, gerade wenn sie in Frieden lebt, sollten diese zum Tragen kommen. Aber statt dessen erleidet sie ein Ungemach nach dem anderen, Zeit zum Reflektieren stellt ihr die Autorin kaum zur Verfügung. Die vielen Zufälle sind ebenfalls störend, auch wenn sie eine Erklärung finden. Diese ist jedoch zu banal und es fehlt ihr ein Clou. Warum muß Cija all das Erleiden? Man weiß es nicht. Ihr Vetter scheint sie einfach nicht zu mögen – wie viel ernüchternder wäre es doch, wenn es keinen besonderen Grund für ihr Leid geben würde? Dann hätte die Geschichte aber auch ohne Zufälle konstruiert werden müssen. Das Ende schließlich wirkt etwas übereilt, so als wenn der Autorin die Puste ausgegangen sei. Was sonst 100 Seiten oder mehr in Anspruch genommen hätte, braucht nur noch einen Bruchteil davon. Neigt die Autorin sonst auch zu langwierigen Beschreibungen, die das Geschehen etwas in die Länge ziehen, so ist es am Ende deutlich zu knapp. Sprachlich ergibt sich kaum überraschend kein Unterschied zum Vorgänger, Gaskell ahmt den Tagebuchstil einer jungen Frau aus gebildeten Verhältnissen, die Erbärmliches durchleiden muß, perfekt nach.

Cover des Buches "Drachennächte" von Roman Sander (Herausgeber)Diese Anthologie enthält zehn Fantasygeschichten verschiedener Autoren. Mehr zum Inhalt findet Ihr in der Buchbesprechung.

-Mit der Dämmerung kam der Sturm.-
Sturmnacht

Die zehn in diesem Buch versammelten Geschichten decken einen großen Teil des Spektrums ab, das die Fantasy zu bieten hat.

Uschi Zietschs Sturmnacht erzählt als etwas pathetisch geratene Horrorversion der Wilden Jagd von der Geburt einer deutschen Sagengestalt.
In Terry Pratchetts Die Trollbrücke trifft Cohen der Barbar auf einen Troll. Doch anstatt zum geplanten Kampf um den legendären Trollschatz, von dem Cohens sprechendes Pferd dem gealterten Barbaren übrigens dringend abgeraten hat, kommt es zu einem wehmütigen und höchst komischen Abgesang auf alte Zeiten.
Ganz anders wiederum ist der Stil der Erzählung Die Sonnwendherrin der russischen Autorin Anna Kashina. Sie beruht auf einer alten Legende ihrer Heimat und gleicht mehr einem Märchen als einer Fantasygeschichte. Ihre Protagonistin, die Sonnwendherrin, erinnert an die starken, selbstbewussten und magischen Heldinnen Angela Carters.
David Case wirft in Das Ungeheuer in der Kluft die Frage auf, was den Mensch zum Menschen macht und welche Rolle Religion und Kirche dabei spielen.
In David C. Smith Geduld ist eine Tugend rächt sich eine misshandelte Frau nach Jahren an ihrem Peiniger. Es ist eine bösartige kleine Geschichte und genau deshalb ist sie so gut.

Auch alle anderen Erzählungen sind lesenswert: Rot auf Silber von Uwe Luserke, Hans Dieter Römers Am Rande, Lucius Shepards Der Mann, der den Drachen Griaule bemalte, Chris Naylors Die Burg am Ende der Welt und das Gemeinschaftswerk des Autorengespanns Marion Zimmer Bradley & Ted White: Geburt eines Phönix.

Cover von Der Drachentöter von Martin ScottPrivatdetektiv Thraxas erhält von der Königstochter den Auftrag, Liebesbriefe zurückzuholen, die sie unvorsichtigerweise einem ausländischen Diplomaten geschrieben hat. Kaum hat Thraxas den Auftrag angenommen, wird er auch schon wegen Mordes verhaftet. Außerdem gerät er in Verdacht das wertvolle Rote Elfentuch gestohlen zu haben. Und das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, die Thraxas meistern muß, um seinen ersten Fall zu lösen.

-Turai ist eine magische Stadt. Von den Hafenanlagen im Stadtteil ZwölfSeen bis zum Park der Mondfinsternis, von den stinkenden Elendsvierteln bis zu den duftenden Gärten des Kaiserlichen Palastes, findet ein Besucher alle Arten erstaunlicher Personen, erstaunlicher Dinge und erstaunlicher Dienstleistungen.-
1. Kapitel

“Ich bin dreiundvierzig, übergewichtig, bar jeden Ehrgeizes, und habe einen fatalen Hang zu ausgedehnten Sauftouren.” Falls Sie jetzt auf eine ausführliche Lebensbeichte des Rezensenten hoffen, muß ich Sie enttäuschen. Dieser Anfall von Selbsterkenntnis stammt von Thraxas, dem Helden des Romans Der Drachentöter (Thraxas). Er ist außerdem geschieden, chronisch pleite und von Beruf Detektiv und Zauberer – ein ziemlich schlechter Zauberer. Der Fall liegt klar: Thraxas ist der typische Verlierer und das macht ihn so sympathisch.
Martin Scott verbindet in seinem Roman ein historisches Ambiente mit sehr gegenwärtigen Problemen. Die Stadt Turai, in der Thraxas ermittelt, ist an das antike Rom angelehnt. In ihr wohnen Menschen, Orgks und Elfen. Zwei Verbrecherorganisationen kämpfen um die Vorherrschaft. Der Handel mit Boah, einer mit Kokain oder Heroin vergleichbaren Droge, blüht. Wer nicht Boah konsumiert, berauscht sich mit Thazis. Die Oberschicht, bestehend aus Königshaus, Adel und Priesterschaft ist korrupt. In den Abwasserkanälen hausen Alligatoren und Frauen haben in Turai ziemlich wenig zu melden. Damit sind wir bei der zweiten sympathischen Figur, die Scott geschaffen hat: Makri. Makri ist ehemalige Gladiatorin und bedient in Thraxas’ Stammkneipe, der Rächenden Axt, in einem kaum vorhandenen Kettenhemd, die Kundschaft. Feministinnen dürfen das Buch dennoch zur Hand nehmen, Makri verdient sich in der Kneipe nämlich nur das Geld für ihre Kurse an der Innungshochschule. Die Universität ist zu Makris äußerstem Mißfallen, ausschließlich Männern vorbehalten. Deshalb unterstützt sie die Vereinigung der Frauenzimmer, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt. Außerdem hilft sie Thraxas schlagkräftig bei der Lösung dieses Falles.

Scott zeichnet originelle Charaktere; Turai ist glücklicherweise nicht die siebenhundertsechsundreißigste Version einer mittelalterlichen Stadt; mit der Schlacht im Feenhain schildert Scott eine der schönsten und niedlichsten (!) Kampfszenen im Fantasy-Bereich; und außerdem verfügt der Autor über Sprachwitz. Das merkt der Leser aber erst, wenn er beschlossen hat, über die Mängel des Buches großzügig hinwegzusehen: Die Namensgebung im Roman zeugt von Holzhammer-Humor oder von dem übermäßigen Konsum von Asterix-Heften. Der Fischhändler heißt Iglox, die Prostituierte Nitribix, der Mafiaboß Corleonaxas, die Prinzessin Du-Lackai und wer weiß, ob das Schlagerduo Cindy und Bert glücklich damit ist, daß ihm der Übersetzer mit den fahrenden Sängern Cimdy und Bertax ein Denkmal gesetzt hat. Überhaupt scheint die Übersetzung manchmal auf wackeligen Füßen zu stehen, so ist z.B. die Anspielung auf den “Superbowl” im Deutschen völlig daneben gegangen. Das Cover ist eine Geschmacklosigkeit sondergleichen und veranlaßt den Rezensenten, die Redaktion zu bitten, eine Seite mit einer Bastelanleitung für Buchumschläge aus marmoriertem Papier einzurichten. Auch bei der Wahl des Titels sind die Wege des Verlages wieder einmal unergründlich. Im Original lautet der Titel des Buches aus gutem Grund einfach nur “Thraxas”.

Cover von The Books of the South von Glen CookNach der Niederlage in Dejagore ist die Lady plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Die Black Company ist entweder zerschlagen oder harrt in der von den Schattenmeistern belagerten Festung Dejagore aus. Von Rachegelüsten getrieben, macht sie sich daran, eine neue schlagkräftige Truppe aufzubauen und findet dabei unerwartete Unterstützung von den Anhängern eines finsteren Kultes. Doch diese fragile, von jeder Seite aus Eigennutz geschlossene Allianz birgt mindestens genausoviele Gefahren wie die Ränke, die eine andere ebenfalls auf Rache sinnende Macht gegen die Lady und die Black Company schmiedet.

-Croaker’s fault. His weakness. […] For all his cynicism about motives he’d believed that in every evil person there was good trying to surface. I owe my life to his belief but that doesn’t validate it.- S. 249/250

Dreams of Steel ist der zweite Band der Books of the South und wirkt tatsächlich etwas eigenständiger als der Vorgängerband. Das liegt zum Großteil daran, dass sich die Handlung nach der missglückten Schlacht bei Dejagore fast ausschließlich um die Lady und ihren Rachefeldzug gegen die Schattenmeister dreht. Das bringt durchaus willkommene Abwechslung von den alten Bekannten mit sich, an deren Stelle nun neue teils dubiose, teils durchaus sympathische Nebenfiguren treten. Ebenso gelungen ist es, die Lady als neue Erzählerfigur auftreten zu lassen. Denn in ihrer Mischung aus kaltblütiger Berechnung – die zu teils etwas gar drastischen Maßnahmen führt – und immer wieder durchschimmernder Menschlichkeit bleibt sie die spannendste, weil ambivalenteste, der präsentierten Figuren. Außerdem böten ihre Methoden, die neue Truppe, die sie nun unter ihrem Kommando aufbaut, zusammenzuschweißen und an sich zu binden (gezielte Traumatisierung, Abgrenzung von der Außenwelt), durchaus Stoff, den auszuloten sich lohnen würde, der aber leider nicht weiter thematisiert wird.

Auch Taglios wird nun ausführlicher ausgestaltet und die Anleihen sowohl beim populärkulturellen Bild von Indien als auch beim historischen Indien sind deutlicher zu erkennen. Diese reichen vom dunklen, im Hintergrund agierenden Kult à la Indiana Jones samt farbenprächtig-groteskem mythologischen Hintergrund, in den auch die Black Company verwickelt ist, bis hin zur patriarchalischen Gesellschaft samt Witwenselbstverbrennung. Die selbstbewusste (und auch etwas selbstherrliche) Art der Lady muss in diesem Umfeld für Konflikte sorgen, deren „Lösung“ sehr zum insgesamt deutlich düstereren und brutaleren Eindruck von Dreams of Steel beiträgt, der aber auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass die Lady die deutlich ernstere Erzählerfigur ist. Zugleich stellt die entsprechende Szene auch den traurigen Höhepunkt des bereits im Vorgängerroman von jeder Figur gepredigten Priesterhasses dar.

Es empfiehlt sich Dreams of Steel – Cliffhanger am Ende des Vorgängers und Sammelband zum Trotz – nicht gleich im Anschluss an Shadow Games zu lesen, denn dann fällt die Tatsache, dass das erste Drittel des Buches erneut dem Aufbau einer schlagkräftigen Truppe gewidmet ist, weniger negativ auf. Danach sorgt das verstrickte Intrigenspiel, in dem jede der darin verwickelten Parteien mehr als ein Ziel verfolgt, für ausreichend Spannung, sofern man darüber hinwegsehen kann, dass es dem Roman auch hier an wirklich Neuem mangelt. Denn gefährliche Ränke begleiten die Black Company seit dem ersten Band und die Person, die auch in diesem Fall die Fäden zieht, kennt man schon genausolange.
Während die größeren der schwelenden Konflikte, etwa jener zwischen der Lady und ihren kultischen Mitstreitern, eher gemächlich vonstattengehen, wirken andere (Figuren-)Entwicklungen etwas überstürzt, so etwa die zurückkehrenden magischen Fähigkeiten der Lady oder die unglückliche Rolle Mogabas in Dejagore. Die Books of the South enden zwar mit dem vorliegenden Band, die Handlung endet allerdings in einem Cliffhanger, der wohl direkt zu den Books of the Glittering Stone überleiten soll.
Ob Glen Cook in den Folgebänden die vielen verschiedenen Konfliktherde, die sich allein in diesem Roman mindestens verdoppelt haben, zu befriedigenden Enden führt oder eher noch mehr ihrer Art eröffnet, wird wohl darüber entscheiden, ob die Reihe doch noch einmal zu einem gelungenen Abschluss findet, der in The White Rose eigentlich schon vorhanden gewesen wäre, oder ob sie zu lange fortgesponnen wird.

Cover von Das Durchdrehen der Schraube von Henry JamesEin Mann liest seinen Freunden aus dem Manuskript vor, das ihm eine Freundin vermacht hat. Darin erzählt sie eine Geschichte, die sie in ihrer Jugend erlebt hat: Die junge Frau wurde damals als Erzieherin für zwei junge Waisen, Flora und Miles, eingestellt. Als die Gouvernante ihre Stellung antritt, kann sie ihr Glück kaum fassen. Die Kinder leben in einem schloßartigen Anwesen, sie sehen aus und benehmen sich wie kleine Engel. Die junge Frau freundet sich mit der Haushälterin Mrs. Grose an. Doch die Idylle währt nicht lange. Plötzlich der ehemalige Kammerdiener und die letzte Gouvernante der Kinder wieder auf. Schnell wird klar, daß die beiden versuchen, einen fatalen Einfluß auf Miles und Flora auszuüben. Die Erzieherin und Mrs. Grose setzen alles daran, die beiden Kinder zu schützen.

-Die Geschichte hatte unserer Runde am Kaminfeuer wohl hinreichend den Atem verschlagen, doch außer der naheliegenden Bemerkung, daß sie schaurig gewesen wäre, wie das am Weihnachtsabend in einem altertümlichen Haus für eine außergewöhnliche Geschichte unerläßlich sei, erinnere ich mich nichtsdestoweniger keiner Äußerung dazu, bis schließlich jemand beiläufig feststellte, dies sei der einzige ihm bekannte Fall, in dem ein Kind von einer derartigen Heimsuchung betroffen wurde.-

Oscar Wilde sagt über diese Erzählung sie sei “Eine höchst wunderbare, grausige, giftgetränkte kleine Geschichte.” Besser kann man es nicht ausdrücken. Diese Geschichte ist nichts für Leser, die leises Grauen erst dann empfinden, wenn axtschwingende Untote kreischende halbnackte Blondinen zerstückeln. Das Grauen, das sich beim Lesen von Das Durchdrehen der Schraube (The Turn of the Screw) einstellt, ist von völlig anderer Art. Es schleicht sich wie ein langsam wirkendes Gift in die Seele des Lesers -wenn er für diese Art von Schrecken empfänglich ist. Man muß sich die Zeit vergegenwärtigen, in der die Geschichte spielt -ungefähr in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, also im viktorianischen Zeitalter. Zu dieser Zeit galten völlig andere moralische Standards als heute. Da verstößt es gegen die guten Sitten, wenn ein fremder Mann einer jungen Dame aufdringlich hinterher starrt, Kinder werden für ein Verhalten von der Schule gewiesen, das heute niemanden mehr aus der Fassung bringt und es gibt Dinge, über die spricht man nur in Andeutungen. Letzteres macht die Faszination der Geschichte aus. Die Spannung entsteht dadurch, daß etwas Irrationales geschieht. Mit der Rückkehr von Quint und Miss Jessel bricht das Böse in die Idylle ein, aber objektiv gesehen geschieht gar nichts. Die beiden sind einfach nur anwesend, es ist nicht so, daß sie die Kinder angreifen oder verbal bedrohen würden. Aber der Leser weiß durch die Gespräche, die die Erzieherin mit Mrs. Grose führt (und er weiß es nur aus diesen Gesprächen), daß etwas Furchtbares im Gange ist, doch er erfährt nicht, was genau geschieht. So entsteht zwischen dem Leser und der Gouvernante eine Interaktion. Dadurch, daß das Unaussprechliche nur angedeutet wird, bleibt dem Leser Raum, seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln, was das Böse wohl sein mag, das versucht, Macht über die Kinder zu gewinnen. Oder hat es tatsächlich Macht über die Erzieherin gewonnen? Henry James’ Schachzug, aus dem Leser die ureigensten Ängste hervorzulocken, anstatt ihm explizit zu erklären, was in diesem Haus geschieht, macht diese Geschichte zu einem Klassiker der phantastischen Literatur.

James verzichtet auf eine Erklärung der Vorgänge und so wurde das Buch zu einem der meistinterpretierten Bücher der Literaturgeschichte. Tun sie sich einen Gefallen und verzichten sie auf eine Interpretation. Sie würden damit nur die Faszination der Geschichte zerstören. Damit meine ich nicht, daß Sie nicht darüber spekulieren sollen, was nun eigentlich geschehen ist. Jedem der diese Geschichte liest, drängen sich Vermutungen auf, wer der Auslöser der Ereignisse ist. Vermeiden Sie es aber, eine bestimmte Deutung als die einzig wahre anzusehen. Diese Geschichte lebt von der Vielfalt der möglichen Erklärungen und von dem offenen Ende.

Die Sprache ist in Ordnung, für jemanden, der noch nie ein Werk aus dieser Epoche gelesen hat, aber wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig. Wie Karl Ludwig Nicol im Nachwort schreibt, ist es richtig, daß versucht wurde, den literarischen Sprachstil des neunzehnten Jahrhunderts beizubehalten. Die Sprache muß die Atmosphäre dieser Zeit widerspiegeln. Hätte man ein moderneres Deutsch gewählt, würde die Geschichte nicht funktionieren. Trotzdem klingt die Übersetzung des Titels “The Turn of the Screw” im Deutschen unglücklich. Man muß dem Übersetzer zugute halten, daß es äußerst schwierig ist, den Titel adäquat und wohlklingend ins Deutsche zu übertragen, wenn “Das Drehen der Schraube” als nicht eindeutig genug empfunden wird. Mein Sprachgefühl hätte sich in diesem Fall für “Das Anziehen der Schraube” entschieden.

Wenn Sie der englischen Sprache mächtig sind, genießen Sie das Original.

Cover von Elric von Michael MoorcockIn The Dreaming City kehrt Elric als rechtmäßiger Thronanwärter in die letzte verbliebene Stadt des einst mächtigen Reiches von Melniboné zurück. Allerdings nicht um den Thron zu beanspruchen, sondern an der Spitze einer Seeräuberarmada und von Rachedurst getrieben. In While the Gods Laugh begibt sich Elric auf die Suche nach einem Buch der Alten Götter, um mehr über die Götter und sein Schicksal in der Welt zu erfahren. Dabei stellen sich ihm nicht nur allerhand phantastische Ungeheuer in den Weg, sondern er lernt auch seinen künftigen Side-kick Mondmatt (im Original Moonglum) von Elwher kennen. Rachsucht treibt den Prinzen von Melniboné in Stealer of Souls dazu, sich einem Komplott gegen den Händler Nikorn anzuschließen, denn dieser beherbergt einen Zauberer, mit dem Elric noch eine Rechnung zu begleichen hat. In Kings in Darkness begeben sich Elric und Mondmatt ins Reich der körperlich und geistig versehrten Orgians, wo sie sich auch noch mit Untoten herumschlagen müssen, dabei aber eine ganz besondere Bekanntschaft machen. In The Caravan of Forgotten Dreams wird Elrics lang ersehnter Friede durch eine sengende Barbarenhorde gestört, deren Anführer sich für einen mächtigen Zauberer hält. In Stormbringer schließlich entspinnt sich der alles entscheidende Kampf zwischen den Mächten der Ordnung und des Chaos.

-Then he realized that he and the sword were interdependent, for though he needed the blade, Stormbringer, parasitic, required a user – without a man to wield it, the blade was also powerless. ‘We must be bound to one another then,’ Elric murmured despairingly. ‘Bound by hell-forged chains and fate-haunted circumstance. […]’- S. 34

Elric von Melniboné ist wohl eine der bekanntesten Heldengestalten der Fantasy, kein Wunder also, dass ihm auch ein Band der Fantasy Masterworks-Reihe gewidmet ist. Ob dieser jedoch geeignet ist, den in den 1960er Jahren entstandenen Helden auch modernen LeserInnen nahezubringen? Der Sammelband umfasst dabei nicht sämtliche Erzählungen, in denen der Prinz von Melniboné eine Rolle spielt, liefert aber dessen ursprüngliche Geschichte. Elric vereint nämlich fünf Erzählungen, als da wären The Dreaming City, While the Gods Laugh, The Stealer of Souls, Kings in Darkness und The Caravan of Forgotten Dreams, sowie den Roman Stormbringer in sich. Dabei liefern die Erzählungen Vorwissen für Stormbringer, in dem Elrics Geschichte in einem großen Finale mündet, gleichzeitig ist in diesem „Kanon“ genug Spielraum für die später verfassten Abenteuer Elrics. Alle diese Geschichten rund um den schicksalsgeplagten Albino sind Anfang der 1960er Jahre entstanden, und man muss sagen, dass nicht alle gut gealtert sind. Hierbei sollte aber auch erwähnt werden, dass diese Erzählungen ursprünglich als Fortsetzungsgeschichten erschienen sind, woraus sich ihr manchmal etwas zergliederter und auch pulpiger Eindruck erklärt.

Eine Schwierigkeit, die sich bei vielen übermächtigen Helden ergibt und die auch Moorcock nicht immer ganz gelungen meistert, ist, wie man diesen vor erzählerisch spannende Probleme stellt. So schwanken Elrics Fähigkeiten eher dramaturgisch als logisch nachvollziehbar von Erzählung zu Erzählung, dabei sind seine übermächtigen Zauberfähigkeiten fast problematischer als seine Schwächen, denn während für letztere mit seiner körperlichen Abhängigkeit von Sturmbringer (im Original Stormbringer) eine immer wieder einsetzbare Erklärung vorhanden ist, bleibt der einmalige Einsatz mancher Fähigkeiten unerklärt.

Auch das Frauenbild ist eines, das zutiefst den historischen Umständen verpflichtet ist, denn in seinen Frauenbeziehungen erinnert Elric mehr an James T. Kirk als an eine tragische Heldenfigur, liegen ihm doch die wenigen Damen, die in den Geschichten eine Rolle spielen, stets zu Füßen. Ebenso verfällt ihm Zarozinia nach nur acht Seiten so sehr, dass sie Elric ehelichen will – nach einer Dialogszene und einer Liebesnacht …
Aber nicht nur die Frauen, auch die übrigen Figuren werden zumeist eher pragmatisch, das allerdings gekonnt, charakterisiert. Mondmatt etwa bleibt stets das willkommene Gegengewicht zum grüblerischen, selbstmitleidbeladenen Prinzen von Melniboné und bringt etwas Humor in die eher bedrückenden Geschichten.

Was Elric zu einem Klassiker der Fantasyliteratur gemacht hat, funktioniert allerdings auch heute noch, und das ist die Figur des Elric selbst. Denn ihn zeichnen an sich weder seine Kampf- und Zauberfertigkeiten noch seine Frauengeschichten besonders aus, sondern sein Außenseiterdasein und sein Potenzial zum Antipathieträger. Körperlich schwach ist er abhängig von seinem schwarzen Runenschwert Sturmbringer, das ihm jedoch nicht nur Kampf- und Zauberkraft verleiht, sondern auch (bösartig) in seine Geschicke eingreift. Diese ambivalente Beziehung spielt in jeder der enthaltenen Erzählungen eine prominente Rolle und wird gelungen in Stormbringer beendet. Das Hadern mit seinem eigenen Schicksal und der (Un-)Ordnung der Welt, sein Hang zum Rachedurst sowie zur Theatralik (auch in Sachen Selbstmitleid) machen ihn zu einer spannend gebrochenen Heldenfigur. Gleichzeitig weist er auch schon beinahe liebenswert banale Schwächen (Höhenangst) und Schrulligkeiten auf.
Auch der Weltenbau ist voller interessanter Aspekte und atmosphärisch-archaischer Szenen und Schauplätze. Gerade in Stormbringer entfaltet sich das Potential der Figur Elric und seiner Welt, das in den Erzählungen nicht immer ganz zum Vorschein kam, voll. Ein größerer Handlungsrahmen, mehr Figurenzeichnung und ein gelungenes Finale entschädigen für so manche Schwäche auf den vorangegangenen Seiten.

Elrics Abenteuer bieten also keinen gänzlich ungetrübten Genuss, die genrehistorische Bedeutung dieser Heldenfigur wird aber dort, wo ihr etwas mehr Raum neben actionorientierten Abenteuern zugestanden wird, offenbar und kann euch heute noch ihre Wirkung entfalten.

Cover von Embassytown von China MiévilleAvice Brenner Cho ist in Botschaftsstadt auf dem Planeten Arieka aufgewachsen. Umgeben von einer Luftblase, um die Menschen vor der für sie giftigen natürlichen Atmosphäre des Planeten zu schützen, bildet Botschaftsstadt eine kleine Kolonie, die vor allem in linguistischer Hinsicht einzigartig ist. Denn die insektioden Ariekei sprechen mit zwei Stimmen gleichzeitig, können nicht lügen und nur mit Lebewesen kommunizieren, die selbst mit zwei Stimmen sprechen. So hat sich in Botschaftsstadt eine eigene Hierarchie rund um die “Botschafter” gebildet, Beinahe-Klone, geschaffen, um wie ein Wesen mit zwei Stimmen zu wirken. Als jedoch das imperiale Zentrum Bremen einen neuen Botschafter entsendet, gerät Avice’ Welt plötzlich aus den Fugen …

-The miab splits, sending blades of hull matter viciously airborne. Something from the immer comes out. […] It was put down quickly. They hammered it with sometimes-guns, that violently assert the manchmal, this stuff, our everyday, against the always of the immer.- S. 22/23

Wer schon einmal Leseerfahrungen mit China Miéville gesammelt hat, der ahnt wahrscheinlich schon, dass einen wieder ein ganzer Strauß phantastischer Vorstellungen, Szenarien und Kreaturen erwartet. Denn auch wenn sich Embassytown relativ deutlich einem Genre – nämlich der Science Fiction – zuordnen lässt, was ungewöhnlich ist für Miéville, so finden sich darin doch viele Tugenden und Motive wieder, die typisch sind für den britischen Autor. Zwar ist Embassytown ein SF-Roman und bietet in der ersten Hälfte und am Schluss sehr viel Entdeckergeist und Raumfahrerflair, der Großteil des Buches ist jedoch bestimmt von Miévilles Faszination für das Urbane und so bildet die namensgebende Stadt auch den wichtigsten Handlungsschauplatz. Die fremdartigen, faszinierenden und monströsen Aspekte von Botschaftsstadt sowie der sie umgebenden Ariekei-Stadt zu erforschen, die sich darin abspielenden Machtspielchen zwischen verschiedenen Fraktionen und wechselnden Allianzen kennenzulernen, macht einen Großteil des Reizes von Embassytown aus. Denn Miéville versteht es erneut, seine Welt mit einzigartigen Geschöpfen zu füllen und die Fähigkeit der Ariekei organische Materie und Technologie zu chimärenartigen Maschinen, Waffen oder auch Gebäuden zu verschmelzen sowie die ganze sich daraus ergebende Ökonomie sorgen für unfassbar eindrückliche Szenen.

Aber dieses Kennenlernen der Welt passiert quasi im Vorbeigehen, während man in zwei verschiedenen Zeitsträngen einerseits die Ereignisse nach dem Eintreffen des neuen Botschafters verfolgt und andererseits mehr über Avice, ihre Kindheit in Botschaftsstadt, ihre Jahre als Weltraumreisende und ihre Rückkehr in ihre Heimatstadt erfährt. Dieser Art Exposition hat Miéville viel Platz eingeräumt, was dem Roman sehr gut tut. Zwar schreitet dadurch die eigentliche Handlung längere Zeit weniger rasch voran, es halten einen jedoch sowohl das Setting – etwa Miévilles eher philosophische als physikalische Lösung für intergalaktische Reisen durch den zeitlosen Raum des “immer” -, als auch die Heldin selbst bei der Stange, die eine der zugänglichsten ProtagonistInnen ist, die Miéville bisher erschaffen hat.

Das Faszinierendste an Embassytown und zugleich dasjenige, das Lesern und Leserinnen wohl am meisten Kopfzerbrechen bereiten dürfte, ist das Hauptthema des Romans, nämlich Sprache oder konkreter “die Sprache” (im Original: “Language”, im Gegensatz zu jeder anderen “Sprache”, “language”) der Ariekei. Dass sie gleichzeitig mit zwei verschiedenen Mündern in zwei unterschiedlichen Tonlagen sprechen, ist dabei noch das herkömmlichste an der Sache. “Die Sprache” ist nämlich nicht wie jede andere durch Signifikant (das Bezeichnende), Signifikat (das Bezeichnete) und die Beziehung zwischen den beiden bestimmt, sondern sie kann nur das ausdrücken, was in der Welt ist. Das heißt auch, dass die Ariekei nicht lügen können. Durch die Ankunft der Menschen verändert sich diese Beziehung der Ariekei zu ihrer Umwelt jedoch langsam aber nachhaltig und wird schließlich durch den neuen Botschafter erschüttert. Welche dramatischen Folgen dies zeitigt und wie damit umgegangen wird, macht den eigentlichen Plot des Romans aus, der besonders im letzten Drittel des Romans rasant zulegt und trotz des sprach- und gesellschaftsphilosophischen Themas nichts an Spannung vermissen lässt. Dabei vermeidet Miéville gekonnt Exotismen, sondern spielt sogar mit dem Bild vom “edlen Wilden”, so wie der immer mal wieder aufblitzende große Rahmen eines galaktischen Imperiums gewisse Parallelen zur Endphase des Imperialismus im 20. Jahrhundert aufweist und Raum für weitere Romane in diesem Universum böte.

Natürlich ist auch Miévilles idiosynkratischer und neologismenreicher Schreibstil wieder mit von der Partie, der die passenden Wortungetüme zu den fiktiven Monstrositäten liefert. Dieser Roman ist damit sowohl für Miéville-Kenner, als auch für solche, die es noch werden wollen, zu empfehlen, besonders aber jenen, die sich gerne mit Sprache befassen.

Das Erste Horn von Richard SchwartzDer alte Recke Havald, der beschlossen hat, sich für den Winter – oder gar seinen Lebensabend – in einem abgelegenen Gasthof einzuquartieren, gerät mit den Gästen enger aneinander, als er sich gewünscht hat: Alle Anwesenden werden während eines heftigen Schneesturmes eingeschneit. Mit Havald sind etliche Handwerker, Söldner, Händler, eine Dunkelelfe und die magiebegabte Maestra Leandra eingeschlossen. Havald befürchtet schon das Schlimmste für die Stimmung der unfreiwilligen Dauergäste, da erschüttert ein grausamer Mord die Moral. Havald als Ritter sieht sich gezwungen, mit der Maestra an der Aufklärung zu arbeiten, das Misstrauen der Gäste untereinander und ihre Gereiztheit erschweren diese Aufgabe zusätzlich.

-Die Frau verstand es, einen Auftritt hinzulegen: erst der Blitz, welcher die dunkle Gaststube durch die Ritzen der Fensterläden erhellte, dann der Donner, der die Erde vibrieren ließ. Dass sie in diesem Moment die Tür zur Gaststube aufstieß und ein kalter Luftzug die Hälfte der rauchigen Talgkerzen in der Stube erlöschen ließ, war sicherlich Zufall.-
1. Die Maestra

Der Debut-Roman von Richard Schwartz ist ein gelungenes kleines Kammerspiel, das sich wie Peter S. Beagles Klassiker Es kamen drei Damen im Abendrot komplett auf einem Gasthof abspielt, mit dem Unterschied, dass sich das Wirtshaus “Zum Hammerkopf” zu einer engen, eisigen Falle entwickelt, als die Temperaturen draußen sinken und sich Eiswände vor Fenstern und Türen türmen.
Dieses Ambiente, das sich ganz hervorragend im warm geheizten Stübchen genießen lässt, weiß der Autor meisterhaft zu einzufangen: Die beklemmende Stimmung, das langsame Abgleiten der Gäste in Gereiztheit und Ängste, die Eiseskälte, die einem direkt aus den Seiten entgegenwehen will. Da fliegen die Zeilen nur so dahin, vor allem, da sich Richard Schwartz bzw. sein aus der Ich-Perspektive berichtender alternder Held Havald als guter Erzähler entpuppt, dessen Geschichte man gerne lauscht. Mit Klischees Marke Altherrenwitz übertreibt Schwartz es allerdings, und man mag nicht immer die Augen zudrücken, nur weil es vielleicht zur Figur passt, denn jegliches Gegengewicht fehlt.

Schon der Aufbau der Geschichte – Mord im Gasthaus – erinnert ein wenig an ein Rollenspielabenteuer, und von der ersten Seite an werden auch munter und relativ unreflektiert diesbezügliche Stereotypen aufgefahren: Dunkelelfen, Mithril-Rüstungen und andere magische Artefakte erinnern deutlich an das Inventar einer allumfassenden Standard-Fantasy-Welt. Und auch andere Elemente der Handlung erscheinen etwas wahllos aus den üblichen Versatzstücken zusammengeschustert, etwa die obligatorische Liebesgeschichte, und die magielastige Lösung des Falles. Dennoch bekommt man vor allem gegen Ende des Bandes ein wenig Ausblick auf den Hintergrund der Welt und hin und wieder ein paar ganz eigene Einsprengsel, so dass man gespannt abwarten kann, ob sich im zweiten Band in dieser Richtung noch mehr entwickelt, wenn die Geschichte das eingeschränkte Areal des Gasthofes verlässt.

Sprachlich ist Richard Schwartz ein angenehmer Erzähler, der Stimmungen hervorragend vermitteln kann, nur ab und an knirscht es ein wenig – vor allem der Anglizismus “Sinn machen” stößt in der sonst ganz dem alten Erzähler angepassten Sprache sauer auf, und das alle paar Seiten wieder.
Leichte Enttäuschung bereitet auch das etwas simpel gestrickte Ende, denn man hätte sich nach so viel herrlichem Ambiente vielleicht ein wenig mehr Hintergrund und ein wenig mehr Ausführlichkeit erwartet. Als Auftakt und zum Einstieg in eine neue Serie ist Das Erste Horn aber definitiv eine Empfehlung wert, denn es lädt dazu ein, einen Blick in den nächsten Band zu werfen und ist eine vergnügliche, wenn auch etwas unoriginelle Unterhaltungslektüre, die vor allem durch die eisige Atmosphäre und eine größtenteils sehr angenehme Erzählstimme besticht.

Dr. Die ersten Menschen auf dem MondCavor, englischer Wissenschaftler par excellence, erfindet einen Stoff, welcher der Schwerkraft trotzt und es ihm ermöglicht, ein Raumschiff zu bauen, das ihn zum Mond trägt. Gemeinsam mit Bedford, einem gescheiterten Geschäftsmann, betritt er als erster Mensch den Mond. Doch schon bald wird klar, dass weder die unbarmherzige Atmosphäre, noch die absonderliche Vegetation oder die fremden Bewohner des Erdtrabanten die größten Gefahren für diese beiden englischen Gentlemen und ihre Mission sind: es sind sie selbst.

“Was haben Sie denn da?”, fragte ich.
“Haben Sie denn nichts zu lesen mitgenommen?”
“Mein Gott! Nein.”
“Wir werden in dieser Kugel den Weltraum durchfliegen und absolut nichts zu tun haben.”
– Im Inneren der Kugel, S. 56

So manche Zukunftsvision wird unsanft von der Realität eingeholt und offenbart entweder visionäre Weitsicht, naiv-optimistischen Fortschrittsdünkel oder – im besten Falle – eine von der Realität losgelöste poetische Kraft, die der (Zukunfts-)Realität immer einen Schritt voraus ist. Die Geschichte um die erste Mondlandung der beiden englischen Gentlemen Cavor und Bedford erschien erstmals im Jahre 1901 unter dem Titel The First Men in the Moon, ganze 68 Jahre, bevor Aldrin und Armstrong 1969 die Mondoberfläche betraten. Wie wir heute wissen, trafen sie weder Mondkühe noch Seleniten an, noch war es ihnen möglich, den Sonnenaufgang auf dem Mond so zu erleben, wie Bedford und Cavor es mit ehrfürchtigem Erstaunen taten. Die zahlreichen Verschwörungstheorien um die Mondlandung mögen Ausdruck dafür sein, dass unser nachbarlicher Trabant die Phantasie der Menschen auch in Zeiten von Google Moon noch beflügelt. Kein Zweifel: so beeindruckend die Geschichte der menschliche Mondfahrt ist, so ungleich schauervoll-aufregend ist die Fiktion von H.G. Wells.

Protagonisten der zeitlosen Wells’schen Mondlandung sind zwei Männer, die in ihrer Motivation, den Mond zu bereisen, nicht unterschiedlicher sein könnten. Bedford ist ein gescheiterter Geschäftsmann, der sich, auf der Flucht vor seinen Gläubigern, aufs Land zurückzieht, um ein Theaterstück zu schreiben. Zweifelsohne würde er auch daran scheitern, wenn nicht das zerstreute Pfeifen eines spazierenden Mannes erst seinen Ärger, die darauffolgende Bekanntschaft mit Cavor sein Interesse und die Entwicklung des Cavorits seine Gier entfachen würde. Die schriftstellerischen Ambitionen sind bald vergessen, als Cavor, ein exzentrischer Wissenschaftler, wie er im Buche steht, das Cavorit entwickelt. Der Stoff, der den Namen seines Meisters trägt, sprengt die Fesseln der Schwerkraft – oh, gravity, thou art a heartless bitch no more – und ermöglicht den Männern zunächst geistige Höhenflüge: Bedford, der ohne Verständnis den wissenschaftlichen Ausführungen seines Geschäftskollegen zuhört, um sich durch sein vermeintliches Interesse einen festen Platz im Mondgeschäft zu sichern, träumt schnöde vom großen Reichtum, während Cavor gänzlich vom ungetrübten, wissenschaftsromantischen Forscherdrang beseelt ist. Doch Erkenntnis um ihrer selbst willen ist nichts, was die Mägen mit Essen, die Gläubiger mit Zufriedenheit und die Börsen mit Geld füllt, und so starten die beiden Männer wenn auch nicht als Freunde, dann als Unternehmer ihr buchstäbliches Himmelfahrtskommando. Wells beweist sein Können als Satiriker besonders im prälunaren Teil seines Romanes: da auch sein Erbauer nicht weiß, wie lange die Reise mit der Cavorit-Kugel dauern wird, wählt Cavor vorsichtshalber die gesammelten Werke Shakespeares als Reiselektüre für seine Mondfahrt, um seine Bildung zu vervollständigen – wofür er vorher, vor lauter Nachdenken, nie die Zeit fand. Es gibt einfach zu viele Dinge zwischen Himmel und Erde.

Wells ist kein Visionär – zu einfach sind manche Lösungen wissenschaftlicher Probleme, zu makellos die Theorie; vielmehr ist er ein außerordentlicher Phantast und genauer Beobachter der menschlichen Natur. Der satirische, leichte Ton der ersten Buchhälfte verkehrt sich mit der Ankunft auf dem Mond in einen extraterrestrischen Grusel, der kunstvoll gezeichnet das Bild einer, wie die beiden Protagonisten bemerken, völlig anderen, aber dennoch unheimlich ähnlichen Welt entwirft. Der Versuch, Unbekanntes zu erfassen, indem man bekannte Parameter des Begreifens anwendet, muss jedoch zwangsläufig scheitern. Cavor erkennt dies als erstes und sucht nach einem gemeinsamen Nenner, der intelligente Wesen vereinen muss. Weder auf Sprache, auf Gesten, noch auf Mimik können sie sich verlassen, und letztlich landet Cavor bei der euklidischen Geometrie.

Bedford und Cavor sind gezeichnet als satirische Gestalten, die nie aus ihrer Rolle entfliehen können. Der Moment der Ausgelassenheit und der unschuldigen Kindlichkeit, der beide gestandenen Männer in der dünnen Mondatmosphäre wie junge Lämmer über die Mondoberfläche hüpfen lässt, hat für beide furchtbare Folgen. Beim Zusammentreffen mit den Seleniten nähert sich Wells der Frage, wie die menschliche Antwort auf das Unbekannte lautet. Mit Bedford und Cavor streiten sich zwei Seelen, ach, auf dem Mond: Pectus und Ration, Angst und Neugier, Verdammen oder Verstehen. Wells’ Antwort auf diese Dichotomie ist so phantasievoll wie beklemmend und von einer außergewöhnlichen Imaginationskraft geprägt, sodass unsere Realität beinah farblos wirkt. Wells’ Version des „ersten Kontaktes“ lässt das Leserherz vor Spannung und Erstaunen schneller schlagen, und der Wissenschaftsaffine wird seine wahre Freude am Roman haben. Der Autor studiert pointiert nicht nur die Bewohner des Mondes, sondern in erster Linie den Erdenbewohner, der nun auch die Weiten des Weltalls zum Schauplatz seiner gefühlten Großartigkeit macht.
Über den Ausgang der Mondfahrt sei hier nichts verraten, nur eines ahnt man schon: letztlich verkörpert Bedford den Grund, weshalb man Extraterrestriern zu einer großräumigen Umfahrung der Erde raten möchte – denn der Mensch ist nicht nur des Menschen Wolf.

Cover von Die Erzählungen und Märchen von Oscar WildeWie die Titelseite so treffend verrät, sind in diesem Buch Märchen und Erzählungen versammelt, die Oscar Wilde geschrieben hat. Außerdem beinhaltet der Band noch sechs Gedichte in Prosa. Die Titel lauten: Der junge König, Der Geburtstag der Infantin, Der Fischer und seine Seele, Das Sternenkind, Der Glückliche Prinz, Die Nachtigall und die Rose. Der eigensüchtige Riese, Der ergebene Freund, Die bedeutende Rakete, Das Gespenst von Canterville, Die Sphinx ohne Rätsel, Der Modellmillionär, Der Lehrer der Weisheit, Das Haus des Gerichts, Der Künstler, Der Mittler, Der Meister, Der Schüler.

Hoch über der Stadt stand auf einer mächtigen Säule die Statue des Glücklichen Prinzen. Sie war über und über mit dünnen Goldblättchen bedeckt, statt der Augen hatte sie zwei glänzende Saphire, und ein großer roter Rubin leuchtete auf seiner Schwertscheide.
Der glückliche Prinz

Es sind traurige Märchen, die uns Oscar Wilde hier erzählt. Die meisten Menschen, die dem Leser begegnen, sind so hartherzig, daß es einen frösteln läßt. Die Kälte der zwischenmenschlichen Beziehungen in den Geschichten überträgt sich auf den Leser. Natürlich gibt es auch warmherzige Charaktere, die zu Mitgefühl fähig sind, aber diese werden auf Erden nur selten belohnt. Oft gehen sie an ihrer Umwelt zugrunde und erst nach ihrem Tod erfahren sie durch ein göttliches Zeichen Gerechtigkeit.
In Der Glückliche Prinz sind eine Statue und eine Schwalbe mitleidvoller und barmherziger als die Einwohner der Stadt.
In Die Nachtigall und die Rose opfert sich eine Nachtigall für die Liebe.
Der Geburtstag der Infantin erzählt von der Kälte und Gefühllosigkeit am spanischen Hof.
Im Märchen Der junge König hat außer der Titelfigur niemand Mitleid mit den im Elend lebenden Arbeitern, noch nicht einmal der Bischof.
Die Märchen stimmen den Leser melancholisch, jedoch ohne ihn zu deprimieren, denn Oscar Wilde verteilt auch im traurigsten Märchen noch ironische Seitenhiebe auf die gute Gesellschaft, selbstgerechte und von sich eingenommene Menschen, Dünkelhaftigkeit und besserwisserische Kritiker (was den Rezensenten besonders amüsiert hat). Aus manchen Sätzen Oscar Wildes spricht kaum verhüllte Selbstironie, auch diese Stellen gehören zu denen, die man mit Vergnügen liest.
Ist der Tenor der Märchen trotz mancher humorvoller Einschübe überwiegend traurig, so ist es in der berühmten Geschichte Das Gespenst von Canterville umgekehrt. Zwar hat diese Erzählung ein bewegendes Ende, aber bis dahin amüsiert sich der Leser königlich über das englische Gespenst, das unter den nüchternen, pragmatischen und respektlosen Amerikanern so sehr leidet, daß es beschließt, nicht öfter zu spuken als es seine heilige Pflicht ist.
Der Ton der Erzählungen und der Prosa-Gedichte ist naturgemäß nüchterner als der, der in sehr poetischer und ausschmückender Sprache verfaßten Märchen. Trotzdem klingen die Märchen niemals kitschig oder schwülstig. Allerdings scheint die Übersetzung nicht ganz treffsicher zu sein. Über einen jungen Mann schreibt Wilde angeblich: Er war alle Monate an die Börse gegangen; aber was sollte ein Schmetterling unter Stieren und Bären. Das fragt sich der Rezensent auch, verkörpern doch Bulle und Bär das Auf und Ab an der Börse.
Dafür sind die Illustrationen passend, die von dem berühmten Jugendstilmaler Heinrich Vogeler stammen.

Etwas endet, etwas beginnt von Andrzej SapkowskiEtwas endet, etwas beginnt ist der dritte bei dtv erschienene Kurzgeschichtenband von Andrzej Sapkowski, in dem auch zwei Erzählungen mit Bezug zum Hexer Geralt enthalten sind. Die Geschichten sind allesamt phantastisch, spielen aber in sehr unterschiedlichen Welten.

– „Aber dass der Sommer zu Ende geht, macht mich traurig. Ich mag keine Enden. Das Ende ist der Schluss der Geschichte. Mir aber gefallen an der Geschichte die Episoden.“ –
Tandaradei!

Der Kurzgeschichtenband enthält acht Erzählungen, die jeweils von einer Anmerkung des Autors zu Hintergrund und Entstehungsgeschichte eingeleitet werden. Diese einführenden Kommentare sind wirklich erhellend und zum Teil amüsant zu lesen.

Die in diesem Buch gesammelten Geschichten leiden etwas darunter, dass es keine großen Zusammenhänge oder Gemeinsamkeiten gibt, die als Verbindung dienen könnten, so wie das in den Geralt-Kurzgeschichten der Fall ist. Man merkt deutlich, dass die Geschichten unter verschiedenen Voraussetzungen und zu unterschiedlichen Zeiten in Sapkowskis Laufbahn entstanden sind. Die als Auftragsarbeiten entstandenen Erzählungen kommen im Schnitt etwas weniger einfallsreich daher.

Für nahezu alle Erzählungen benötigt man spezielles Hintergrundwissen oder muss das verarbeitete Original kennen, um sich komplett an der Kurzgeschichte erfreuen und die Anspielungen schätzen zu können. Dies ist zum Teil auch in den anderen Werken des Autors der Fall, in dieser Sammlung jedoch besonders auffällig. Sapkowski verarbeitet beispielsweise Alice im Wunderland, Tristan und Isolde und Personen aus dem Geralt-Zyklus … Freunde der Phantastik und der mittelalterlichen Literatur sind hier sehr im Vorteil. Wer die Anspielungen versteht, muss sicher einige Male öfter schmunzeln.

Zum Glück gibt es aber auch sonst genug Anlass zum Schmunzeln. In fast jeder Geschichte herrscht der typische Schreibstil des Autors – intelligent-humorvoll und mit kleinen satirischen Seitenhieben. Auch die handelnden Personen werden wie gewohnt lebendig und glaubwürdig dargestellt.

Meine hohen Erwartungen wurden beim Lesen nur teilweise erfüllt. Ich bin bekennender Sapkowski-Fan, und seine zwei Geralt-Kurzgeschichtenbände hatten mich besonders überzeugt. Die Zusammenstellung in diesem Buch fand ich aufgrund der fehlenden Gemeinsamkeiten jedoch nicht so gelungen, und es waren auch mehrere Geschichten dabei, die mir nicht gefallen haben – Im Bombentrichter war sehr langatmig, Die Musikanten unnötig verwirrend. Auch die beiden Geschichten mit Bezug zu Geralt sind für Fans kein Muss. Insgesamt ist die Sammlung von Kurzgeschichten noch ein gutes Buch, aber der Lesegenuss bei den einzelnen Erzählungen schwankt ziemlich stark.

Feenzorn von Jim ButcherIn Harrys neuem Abenteuer trifft der Leser auf einen ausgebrannten und niedergeschlagenen Mann ohne Hoffnung. Die Körperhygiene des Detektivs hat merklich gelitten, seine Wohnung ist ein heruntergekommener Saustall, er hat seine Arbeit vernachlässigt, die unbezahlbaren Rechnungen stapeln sich. Doch am schlimmsten steht es um Harrys seelischen Zustand. Am Tiefpunkt seines Daseins angekommen tun sich nun nicht etwa Silberstreifen am Horizont auf, im Gegenteil. Es beginnt Kröten zu regnen, und um die Probleme noch zu verdoppeln, wollen nicht nur die Vampire des Roten Hofs Harry weiterhin tot sehen, sondern auch seine eigenen Leute vom Weißen Rat. Doch es kommt noch härter, in seinem Büro wartet jemand auf ihn, der tödlicher ist als jeder Vampir: die Winterkönigin der Sidhe.

– An dem Tag, als der weiße Rat in die Stadt kam, regnete es Kröten. –
Kapitel 1

Zu Feenzorn liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Flesh and Spirit von Carol BergValen, ein Magier, der seit Jahren seiner Familie und den Häschern entflieht, die entlaufene „Reinblütige“ jagen – wird nach einer Schlacht vor den Mauern des Klosters Gillarine schwer verletzt zurückgelassen. Die Mönche retten Valen und gewähren ihm Asyl. Valen verschweigt allerdings seine magischen Fähigkeiten und eine damit einhergehende Erkrankung, die ihn in eine Abhängigkeit von den Nivat-Samen getrieben hat. Der Krieg der drei Prinzen um das Land Navronne macht aber auch vor den Klostermauern nicht halt, und Valens Buch, das er von seinem Großvater geerbt hat und das ins Land der Engel führen soll, scheint dabei eine Rolle zu spielen.

-On my seventh birthday, my father swore, for the first of many times, that I would die face down in a cesspool.-
Chapter 1

Flesh and Spirit steht und fällt damit, ob man sich mit dem Protagonisten anfreunden kann oder nicht. Wie andere Romane von Berg ist es vor allem eine Charaktergeschichte, und Valen, Ich-Erzähler und unfreiwilliges Zentrum der Handlung, ist anfangs keine Identifikationsfigur und niemand, den man auf Anhieb mögen wird.
Anders als Seyonne (aus den Rai-Kirah-Romanen) oder Seri und Karon (aus der Bridge of D’Arnath-Reihe) ist Valen keinesfalls ein Held – und er entwickelt auch kaum heldenhafte Züge. Er ist ein Opportunist (anfangs auf eine liebenswert-lustige Art, später, wenn sein Opportunismus hauptsächlich auf seine von einem masochistischen Ritual geprägte Drogenabhängigkeit zielt, weniger einnehmend). Gegen Ende des Romans zeichnet sich ein Charakterwandel ab, aber nahezu auf der ganzen Strecke hat er neben seiner persönlichen Freiheit nur wenige Prinzipien. Valen ist zwar ein nachvollziehbarer, aber keinesfalls ein positiver Charakter. Nebenfiguren, die sich als Ersatz-Lieblinge anbieten, gibt es im ersten Band der Reihe nicht, was auch aus der wieder sehr gelungenen Ich-Perspektive resultiert.
Die Nebenfiguren sind abgesehen davon typisch für Berg (und daher möglicherweise auch leicht zu durchschauen): Wie in jedem ihrer bisherigen Romane gibt es wieder Böse, die sich als ganz nette Zeitgenossen entpuppen, und besonders gute und freundliche, die dann doch gar keine so edlen Motive haben. Leider hat das inzwischen einen stereotypen Charakter.

Sprachlich ist der Roman etwas elaborierter als Bergs bisheriges Werk, und sowohl sprachlich wie inhaltlich wird es gleichzeitig auch derber. Ob dies an „grim & gritty“-Trends anknüpfen soll oder ein Zugeständnis an die mondäne Natur des Erzählers ist, sei dahingestellt.
Die Welt, beschränkt auf Navronne bzw. seine drei Provinzen, ist nur angezeichnet. Sie ist deutlich ans Mittelalter angelehnt, und zwar ein Mittelalter, in dem düstere Prophezeiungen vom Ende der Welt, Kälte, Dunkelheit, Hunger, Pest sich bewahrheiten. Die Aurellian, von denen die Magier abstammen, und ihre Sprache (oftmals Latein-Derrivate) und Errungenschaften (z.B. Aquädukte) lassen diese Anlehnung noch deutlicher scheinen.
Vor allem das Klosterleben wird detailreich und kompetent geschildert, und da zu Beginn ein Mord hinter den Klostermauern das spannungstreibende Moment ist, kommt einem durchaus Der Name der Rose in den Sinn.

Der Endzeitaspekt gewinnt im Verlauf der Handlung immer mehr Gewicht und trägt zur Atmosphäre von Flesh and Spirit bei. Treibende Kräfte sind die Entfremdung des Menschen von der Natur (durch Städte und die Kultivierung des Landes) und eine kultische Gruppe, die eine pervertierte Naturordnung aufbauen will. Anfangs entwickeln sich die Dinge langsam – ein widerspenstiger Protagonist muss neugierig gemacht und ins Zentrum der Handlung geschoben werden. Hier sind das Klosterleben, das Einfügen des Protagonisten, sein Versteckspiel mit den Magierhäschern und die wenigen Puzzlestücke für die Hauptgeschichte die Motoren der Handlung. Später verschiebt sich die Spannung etwas auf das Schicksal Navronnes, allerdings bleiben immer Valens persönliche Fährnisse und sein drogenbedingt unzuverlässiger Charakter das mitreißendste Moment.
Nach und nach gewinnt die für einen Zweiteiler recht komplexe Geschichte Zugkraft. Nachdem die Handlung einmal ins Laufen gekommen ist, manövriert die Autorin ihren Protagonisten geschickt von einem Dilemma ins nächste.

Zumindest im Zusammenspiel mit den restlichen Berg-Veröffentlichungen lässt sich aber eine gewisse Vorhersehbarkeit nicht leugnen, und der von Sucht und Selbsthass zerfressene Valen aalt sich unerfreulich lange in seinem Elend. Wer eher an Abenteuer und Abwechslung interessiert ist, wird vielleicht enttäuscht sein, dass sich die Geschichte doch ganz auf Valens Schicksal konzentriert und seine Anteilnahme an der restlichen Welt über weite Teile des Romans nicht groß ist. Die zauberhaften Aspekte der Welt, die durchaus vorhanden sind, zeigen sich in Flesh and Spirit erst spät und nur in Ansätzen und kommen erst im zweiten Band Breath and Bone zur Entfaltung.

Der Fluch des Titanen von Rick RiordanBei dem Auftrag, ein Geschwisterpaar von Halbgöttern sicher ins Camp zu bringen, wird Annabeth von einem uralten Feind entführt, der mit Kronos im Bunde steht. Doch das ist nicht Percys einziges Problem. Neben Annabeth verschwindet auch die Göttin Artemis, die den Olymp als einzige überzeugen kann, sich gegen die drohende Gefahr durch die Titanen zu wappnen. Percy, Halbgöttin Thalia, Satyr Grover und zwei von Artemis’ Jägerinnen machen sich auf den Weg, um Annabeth und Artemis zu finden und zu befreien. Doch die Gefahren sind größer denn je und Verluste scheinen unvermeidlich.

– Am Freitag vor den Winterferien packte meine Mom mir eine Reisetasche und ein paar tödliche Waffen zusammen und fuhr mich zu einem neuen Internat. –
Meine Rettungsoperation schlägt gewaltig fehl

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Cover des Buches "Flucht ins Feenland" von Hope MirrleesDas Feenland – ein magischer Ort gleich hinter der Grenze – ist den wackeren Bürgern von Dorimare seit Jahrhunderten ein Dorn im Auge. Gefährliche Früchte gelangen von dort nach Dorimare, doch der Schmuggel lässt sich nicht unterbinden. Wer davon kostet, verwandelt sich auf wundersame Weise, hängt wirrköpfigen Gedanken nach und stellt eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar – er wird empfänglich für die Wunder der Welt und rebelliert gegen Tradition und Anstand. Dorimare droht im Chaos zu versinken.
Was bleibt dem armen Bürgermeister übrig, als aufzubrechen in die verwunschenen Regionen “jenseits der Hügel” und das Unmögliche zu wagen: das Traumreich der Feen zu versöhnen mit der Realität der Alltagswelt …

-“Ihr verfügt über Phantasie? So ist es für Euch stets ein Abenteuer, einen Laubengang entlangzuspazieren. Ihr betretet ihn kühnen Schritts, doch bald wünscht Ihr Euch, Ihr wäret draußen geblieben – es ist keine Luft, die Ihr hier atmet, es ist Schweigen, das fast greifbare Schweigen der Bäume. Und die kleine runde Öffnung in der Ferne soll der einzige Ausgang sein? Ach, es wird Euch nie gelingen, Euch dort hindurchzuzwängen! Ihr müßt umkehren… zu spät! Die breite Pforte, durch die Ihr eingetreten seid, ist ebenfalls zu einer kleinen runden Öffnung zusammengeschrumpft.”-
1. Kapitel – Meister Nathan Hahnenkamm

Was die Besonderheit dieses Werkes ausmacht, verrät das Nachwort: “Das Buch beginnt als Reisebericht oder als historischer Roman, wird zu einer Pastorale, einem Schwank, einer Gesellschaftskomödie, einer Geistergeschichte und dann zu einer Detektivgeschichte. Und dennoch handelt es sich hier nicht um krude zusammengeschusterte Einzelteile, sondern um die ineinander verwobenen Stränge einer einzigen gewundenen Erzählung.”

Im Mittelpunkt der Handlung von FLucht ins Feenland (Lud-in-the-Mist) steht Meister Nathan Hahnenkamm, der sich im Laufe der Geschichte vom spießbürgerlichen Antihelden zu einer mutigen, starken Persönlichkeit mausert.
Wer Schlachten, Waffengeklirr, wilde Horden und böse Herrscher erwartet, ist hier sicherlich auf dem falschen Dampfer. Noch lange vor dem übermächtigen Einfluss Tolkiens geschrieben, hat Flucht ins Feenland keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Herr der Ringe – außer vielleicht, dass die Bewohner Dorimares für den einen oder anderen Leser leicht “hobbitisch” anmuten.
Wer aber neugierig auf anspruchsvolle Fantasy der etwas anderen Art ist und auch vor teilweise leicht archaischer, blumiger Sprache nicht zurückschreckt – oder wie ich vielleicht sogar eine Vorliebe dafür hat  – für den gilt: LESEN! Im Anschluss an den eigentlichen Roman findet man ein ausgezeichnetes, ca. 70seitiges Nachwort von Michael Swanwick, in dem man eine Menge über die Autorin selbst und über mögliche Interpretationen ihres einzigen Fantasyromans erfährt.

Das Flüstern zwischen den Zweigen von Markolf HoffmannDie acht Kurzgeschichten dieser Sammlung führen nicht selten in den Wald, immer in eine ferne Welt und Zeit, und ihren Heldinnen und Helden steht eine Begegnung mit dem Fremden und Unbehaglichen bevor: mit Dämonen, Elfen, Druiden und nicht zuletzt menschlichen Abgründen.

-Die Jagd liegt meiner Familie im Blut. Mein Urgroßvater, so steht es in den Chroniken, zog mit dem Speer durch die Wälder und erlegte Bären und Wölfe.-
Meine Jagd

Fantasy-Kurzgeschichten finden in den großen Verlagen so gut wie gar nicht statt und haben außerdem mit einer Menge Vorurteile zu kämpfen, die ihnen jegliche Wirkmacht absprechen, wenn sie sich erzählerisch nicht in epischer Breite entfalten können. Die Kurzgeschichten-Sammlung Das Flüstern zwischen den Zweigen ist dagegen nicht nur ein starkes Argument, sondern fährt auch sämtliche Tricks und Kniffe auf, um die Probleme, die bei klassischer Fantasy in kurzer Form vielleicht entstehen könnten, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
An erster Stelle steht dabei ein sein Handwerk spürbar beherrschender Erzähler – Markolf Hoffmann, einer der wenigen deutschen Fantasy-Autoren, die man gut im Auge behalten sollte, präsentiert nicht nur dramaturgisch hervorragend konstruierte Geschichten, in denen kein Wort zu viel steht, sondern findet sich auch mühelos in die formal und stilistisch unterschiedlichen Herangehensweisen ein, am häufigsten in verschiedene Ich-Erzähler. Die Sprache ist dabei insgesamt ein wenig zurückgenommener als in Hoffmanns Zyklus Das Zeitalter der Wandlung, dafür gibt es jedoch großartige Sätze, von denen man bisweilen einen nach dem anderen als funkelnd-schönes Zitat markieren möchte.

Der thematische Schwerpunkt der Sammlung liegt auf dem Wald, und auch wenn sie hin und wieder von dort abschweift wie in den alles andere als romantisierten Räubermemoiren Am Strand, kreisen die Geschichten meistens doch um den Konflikt zwischen Natur und Kultur, die Ablösung von Altem, Lebensrhythmen und das Zurückdrängen des Ursprünglichen (das sich aber häufig ohne moralische Einordnung einfach als fremder erweist, nicht unbedingt als besser).
Damit stellt Hoffmann ein mindestens seit Tolkien bewährtes Fantasy-Narrativ auf den Kopf, das sogenannte “Thinning”, bei dem die Magie und das ursprüngliche Wesen der Welt schwinden und nur eine verminderte, profanere Realität zurückbleibt. Und dabei bleibt es nicht, denn Das Flüstern zwischen den Zweigen bedient sich etlicher vertrauter Motive und Strukturen, die in der düsteren, hoffnungslosen Welt, die das gemeinsame Setting der meisten enthaltenen Geschichten bildet, uminterpretiert werden.
Elfen, Faune, Feen, Dryaden und andere Waldbewohner stehen für die düstere, verrottende Seite des Waldes; harmlose Ausgangslagen, die jedem Rollenspieler wohlbekannt sein dürften, wie etwa die Schatzjagd, die in Die Kerker von Abîme führt, verkehren sich rasch in etwas Zwanghaftes und Ungewolltes. Die unvorhersehbaren Folgen des eigenen Handelns führen immer wieder in die Katastrophe, bei wohlmeinenden Aktionen wie in der hervorragenden titelgebenden Geschichte ebenso wie bei pragmatisch-egoistischen Ansätzen wie in der ebenfalls grandiosen Eröffnungserzählung Meine Jagd, was auch vordergründig moralisch überlegene gute Absichten auf bitterböse Weise entlarvt.

Positive Enden wird man hier eher nicht finden, Schweigen und Weitermachen ist vielleicht das Beste, was man erwarten kann – genauso wenig, wie “echte” Helden auftauchen, denn sogar diejenigen, die es in den Augen der Leser und Leserinnen vielleicht sein könnten, wie der naive, aber gutherzige Ludger, der in Feenholz eine richtige Entscheidung treffen möchte, werden letztlich nicht unbedingt belohnt.
Das finstere, von neu interpretierten alten Bekannten bewohnte Setting, das ein wenig an die Geralt-Geschichten von Andrzej Sapkowski erinnert, verweist auf eine unbekannte Vorzeit, in der der Mensch den Wald schon ein Stück weit verdrängt hat, aber auch auf Ruinen zurückbleibt – Das Flüstern zwischen den Zweigen ist also alles andere als Wohlfühl-Fantasy. Da Schaudern und Spannung stets gut Hand in Hand gehen, sollte das kein Hinderungsgrund sein, in die abwechslungsreichen Waldwelten Markolf Hoffmanns einzutauchen.

In seinem Vorwort zur Sammlung liefert Jakob Schmidt bereits einige analytische Ansätze, um sie dann gleich wieder abzuwehren, deshalb soll es nun auch bei einer letzten Beobachtung bleiben: Mit Fabelwesen, RPG-Zutaten und Motiven aus der Fantasy-Tradition, die aber stets weiterentwickelt und verändert werden, fügt Markolf Hoffmann in Das Flüstern zwischen den Zweigen dem (allzu?) Vertrauten wieder das Unbehagliche hinzu und erzählt Geschichten mit den äußeren Kennzeichen der klassischen Fantasy im Modus der Phantastik, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Fremdheitsgefühl und dem Ausgesetztsein. Das ist ein effektiver Kniff, um der Fantasy Kürze angedeihen zu lassen, vor allem bei einem talentierten Erzähler wie Markolf Hoffmann.

Fool Moon von Jim ButcherHarry Dresden, Magier und Privatermittler in Chicago, bekommt es mal wieder mit übernatürlichen Morden zu tun – noch bevor die Nachwirkungen seines letzten Falls gänzlich verklingen konnten. Nach Monaten ohne jeden Kontakt meldet sich Lieutenant Karin Murphy bei dem Magier und hält eine bizarre Mordserie bereit: jeden Monat zur Vollmondszeit sterben Menschen auf bestialisch entstellte Weise und die Spuren deuten auf eines ganz besonders hin: Werwölfe

– I looked up through the window at the rounded silver shape of the almost-full moon.
»Oh, hell,« I breathed. »Oh, hell.« –
Kapitel 2, S. 18

Fool Moon (Wolfsjagd) ist nicht nur ein herrliches Wortspiel, sondern auch ein Titel, der dem zweiten Band der Dresden Files alle Ehre macht. Autor Jim Butcher beweist hiermit in gewohnt sarkastisch-humorvoller Weise, dass sein Debütroman Storm Front (Sturmnacht) kein einmaliges Kunststück war. Im Gegenteil, Fool Moon übertrifft seinen Vorgänger in vielen kleinen Aspekten von der Charakterzeichnung, über die interessantere Story bis zu der Anzahl an Lachern und Spannungsmomenten. Wer außerdem denkt alles über Werwölfe zu wissen, wird feststellen, dass es da noch mehr gibt als Silberkugeln und Vollmondrausch.

Zu Beginn wirkt die zweite Story um den altmodischen Detektiv Harry Dresden noch recht wenig beeindruckend und braucht eine Weile bis sie an Fahrt gewinnt. Dann entpuppt sich Fool Moon aber doch als wahrer Pageturner. Das ist zum Einen den wieder einmal wunderbar gezeichneten Charakteren zu verdanken, die in diesem Roman noch stärker auf ihre Kosten kommen und deutlich lebendiger wirken. Zum Anderen strotzt dieser Roman nur so vor Witz und spannenden Entwicklungen. Es gibt auch in der ausweglosesten Situation noch sarkastische Sprüche von Harry oder Murphy und eine ganze Reihe von Kapiteln, die mit einer Nahtod-Situation enden. Letzteres verhindert erfolgreich, dass man als Leser pünktlich ins Bett kommt, denn an einer derart spannenden Stelle muss man mindestens noch eine Seite mehr lesen als geplant. Ehe man sich versieht, ist man schon wieder am Ende des nächsten Kapitels und hat die nächste spannungsgeladene Situation vor Augen – und wieder denkt man “nur noch diese eine Seite…”.
Zugegeben, bei dem dritten Kapitel in Folge, das mit einem Cliffhanger und so-gut-wie-Tod Status endet, fragt man sich schon, ob das jetzt nicht langsam albern wird. Doch der Erfolg dieser Taktik lässt sich nicht leugnen und so verschlingt man das letzte Drittel des Buches praktisch ohne Pause und verflucht jeden Umstand, der einen zu einer Unterbrechung der Lektüre zwingt.

Kurzum: Fool Moon setzt die Reihe wunderbar fort, greift alle guten Eigenschaften seines Vorgängers auf und macht alles richtig, was man sich von einem Folgeband erhoffen kann. Hut ab, für solch einen spannenden wie witzigen Lesegenuss, der – das ist besonders erfreulich – ein erwachsenes Publikum zum Ziel hat.

Die Fuchsfrau von Kij JohnsonUnter einem verlassenen Herrenhaus lebt eine Fuchsfamilie. Aber eines Tages kehren die Besitzer des Hauses aus der Hauptstadt zurück – denn Kaya no Yoshifuji, der Hausherr, ist am Hof in Ungnade gefallen; auf dem Land hofft er, Frieden zu finden. Seine Frau Shikujo aber hasst die wilde Natur und das Leben fern der Stadt.
Eine Füchsin verliebt sich in Yoshifuji, obwohl alle anderen Füchse die Menschen fürchten, und sie setzt alles daran, ihn für sich zu gewinnen. Sie reißt ihre ganze Familie mit in den Strudel, um eine Magie zu üben, mit der ein Fuchs in einen Menschen verwandelt werden kann. Yoshifuji indessen entwickelt eine Art Besessenheit von den Füchsen, die seine Frau mit Sorge betrachtet …

-Tagebücher werden von Männern geführt: kräftige Pinselstriche auf glatten Blättern aus Maulbeerbaumpapier, die von einem Band zusammengehalten und in einem lackierten Kasten aufbewahrt werden.-
Kitsunes Tagebuch

Mit Die Fuchsfrau (The Fox Women) betört Kij Johnson ihre LeserInnen gleich auf mehreren Ebenen: Allein schon die Atmosphäre, die sie in ihrem Roman schafft, kann jeden verzaubern, der auch nur einen Hauch von Interesse an der Kulturgeschichte des historischen Japan hat. Unmittelbar davon inspiriert ist die Welt der Fuchsfrau, und Kij Johnson hat offensichtlich keine Mühen gescheut, um ein authentisches Bild dieser Zeit zu vermitteln – und das nicht nur auf dem handwerklichen Sektor, wofür Die Fuchsfrau im Tagebuchstil der Tradition der Kopfkissenbücher folgt, sondern auch auf der Ebene der Erzählung: Man wird in eine hochartifizielle Welt entführt, in der jede Geste, jeder Gegenstand, jedes Ereignis mit Bedeutung beladen ist. Für jeden der drei Protagonisten, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, hat Johnson eine eigene Stimme gefunden. In den kurzen Abschnitten lesen sich auch Wiederholungen aus jeweils verschiedenen Sichtweisen mit Vergnügen, denn allein sprachlich ist der Roman schon ein Genuss, allerdings werden die Dinge trotz der lyrischen Qualitäten stets beim Namen genannt, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Die simple Handlung besteht eigentlich nur aus einem nicht einmal sehr komplizierten Liebesmärchen, und man fühlt sich letztendlich an die Geschichten erinnert, in der schöne Männer in Elfenreiche entführt werden, denn die Füchse schaffen es mit ihrer Magie, die künstliche Lebenswelt der Menschen noch zu perfektionieren und zu übertreffen, mit Illusionen, die an den glamour der Elfen erinnern. Besonders die Szenen, in der die Realität durch den Schein hindurchschimmert, wissen zu faszinieren. Doch trotz ihrer magischen Begabung fürchten die Füchse, zu scheitern – obwohl Kitsune, wie sich die Füchsin als Mensch nennt, bereit ist, alles für ihre Liebe zu opfern. Das Verständnis von Poesie, den Füchsen fremd, steht dabei im Mittelpunkt und zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Die Fuchsfrau ist der erste Band einer Trilogie, die mit Motiven der japanischen Mythologie spielt, und dabei nacheinander die Themen Liebe, Krieg und Tod verarbeiten soll. Vordergründig wird in diesem Band die Geschichte der Füchsin Kitsune erzählt, doch im Grunde geht es um (zwischen)menschliche Verwirrungen und die ganze Bandbreite von Gefühlen im Dunstkreis der Liebe, und um die Scheinwelten, die die Liebe und die Liebenden aufbauen. Kitschig wird es dabei niemals, wer aber von einem Happy End für zumindest einen der Protagonisten träumt, wird enttäuscht werden: Ganz konsequent mit der Entwicklung der Figurenist das Ende der Geschichte vollkommen offen.
Wer ein anspruchsvolles Märchen voll von Poesie und Exotik lesen will, das sich weitab von den Standardpfaden der Fantasy bewegt und einen tiefen Einblick in Kultur und Seele gibt, ist mit Die Fuchsfrau bestens beraten.

Die Furcht des Weisen von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit und seine musikalische Begabung nutzen, um einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Der Morgen nahte. Das Wirtshaus zum WEGSTEIN lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. –
Prolog, Eine dreistimmige Stille

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Anmerkung: Der Roman wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschen Bände Die Furcht des Weisen 1 und Die Furcht des Weisen 2.

Cover von Die Gärten der Löwin von Hans BemmannEine junge Studentin erzählt ihrem Geliebten aus ihrer Vergangenheit. Dabei greift sie auf die Märchen zurück, die ihr Großvater einst erzählt hat. Die Heldin dieser Märchen ist die Königstochter Herod, mit der sich die Studentin immer mehr identifiziert, bis Realität und Phantasie zusammenfließen.

-Das Bild, mit dessen Beschreibung ich meine Geschichte anfangen will, zeigt den Ausschnitt einer Landschaft.-
Gärten und Wälder

Hans Bemmann erzählt in einer sehr schönen poetischen Sprache das Märchen von der Königstochter Herod, die eines Tages den Hof ihres Vaters verläßt und auf ihrer Reise viele Abenteuer bestehen muß. Sie trifft auf Riesen, Menschenfresser, vielköpfige Ungeheuer und böse Zauberer, aber auch immer wieder auf sprechende Tiere, die ihr hilfreich zur Seite stehen. Wie die junge Studentin kann auch der Leser mühelos in diesem Märchen versinken und sich in die Figur der Herod hineinträumen.
Die Erzählerin benutzt in der Realität diese Geschichten, um sich über das Wesen der Menschen klar zu werden und um ihrem Geliebten ihre Gefühle zu offenbaren. Und da ist der Haken des Romans. Sobald sich die Geschichte der Realität zuwendet und die Botschaft sich nicht mehr hinter den Bildern des Märchens verbirgt, sondern die junge Frau ganz offen über die Beziehung zwischen den Geschlechtern und über die Menschen philosophiert, merkt der Leser sehr schnell, daß sich hinter der Ich-Erzählerin keineswegs eine junge Studentin verbirgt, sondern ein älterer Herr, dessen Frauenbild aus den Fünfzigern stammt und der eine Abneigung gegen den Feminismus hegt. Bemmann möchte seine allen Gefahren trotzende, unabhängig denkende Herod nicht als frühe Emanze mißverstanden wissen und macht dies gleich am Beginn der Geschichte klar, indem er die Ich-Erzählerin sagen läßt, daß ihr Großvater sie ermuntert hat, “meine weibliche Eigenart… durchzusetzen… Und diese Erinnerung hat mich stärker beeindruckt als jene viel später aufgenommenen, von Frauen geäußerten feministischen Parolen.” Obwohl Die Gärten der Löwin zum ersten Mal 1993 veröffentlicht wurde, ist die reale Welt in diesem Roman die Welt der fünfziger Jahre, dies merkt man auch daran, wie der Autor das Land Italien beschreibt. Man tritt mit falschen Erwartungen an diese Geschichte heran, wenn man glaubt, einen Schlüsselroman über eine junge Frau der Gegenwart in der Hand zu halten.
Wenn man aber im Blick behält, daß Hans Bemmann tatsächlich ein älterer Herr war als Die Gärten der Löwin veröffentlicht wurde, dann wirkt der Roman authentisch und vermittelt einen liebenswerten altmodischen Charme.

Die Gefährtin des Lichts von N.K. Jemisin10 Jahre nach der Befreiung der Götter hat sich in Sky einiges verändert: durch den wachsenden Weltenbaum haben die Bewohner an dessen Fuße nicht mehr viel vom Sonnenlicht, weshalb das Viertel, in welchem die Heldin des Romans ihr Dasein fristet, kurzerhand in Shadow unbenannt wurde. Oree Shoth, eine blinde Maroneh, die mit dem Traum vom besseren Leben in die Stadt kam, verkauft billigen Tand an gütige Pilgerer und lebt davon mehr schlecht als recht. Gut, dass sie zum einen keineswegs so hilflos ist, wie es ihre Blindheit suggeriert, und zum anderen ist es ebenso hilfreich, einige Freunde unter den Godlings – den geringeren Götter – zu haben. Und Hilfe hat sie bitter nötig, als jemand damit beginnt, Godlings zu töten und sie bald selbst unter dringendem Verdacht steht.

– Es waren tausend Stimmen, die gleichzeitig erklangen. Das Lied war kaum hörbar. Sein Text bestand aus einem einzigen mächtigen Wort, das die ganze Welt mit seiner Kraft erschütterte. –
Prolog

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Das Geheimnis der schönen Fremden von Cecilia Dart-ThorntonImrhien, das einst namenlose Findelkind im Turm der Sturmreiter, ist weiterhin auf der Suche nach ihrer Herkunft und ihren Erinnerungen. Nun, da sie mit Hilfe der Carlin ihre Stimme und ihr Gesicht wieder hat, möchte sie auch dieses letzte Geheimnis endlich lüften und begibt sich in die Residenzstadt des Hochkönigs nach Caermelor. Um unentdeckt zu bleiben, nimmt sie einen falschen Namen an und begibt sich unter das Adelsvolk, wo sie hofft Antworten und einen Hinweis auf den Dainnin Dorn zu finden, der ihr Herz gestohlen hat. Doch was sie zunächst findet, sind Intrigen und eine Spur, die in ein längst vergangenes Zeitalter führt.

– Die junge Frau, die bei der Carlin in White Down Rory Unterschlupf gefunden hatte, fühlte sich wie neu geboren. Sie mußte sich unentwegt in Erinnerung rufen, daß die wunderbare Heilung ihrer Stimme und ihres entstellten Gesichts tatsächlich stattgefunden hatte. Ständig starrte sie in den Spiegel, berührte die makellosen Züge und die zarte Haut und murmelte mit rauher Kehle: »Ich kann reden! Ich kann reden!« –
Kapitel 1, White down Rory

Das Geheimnis der schönen Fremden (The Lady of the Sorrows) beginnt so zauberhaft und lyrisch, wie man es schon aus dem ersten Band der Feenland-Chroniken gewohnt ist. Die Sprache vermag auf Anhieb erneut zu fesseln und besitzt auch wieder die Fähigkeit, eine wahrhaft märchenhafte Welt zu erschaffen, die man sofort vor dem geistigen Auge sieht. Kleinigkeiten in der Aufmachung des Buches wie kleine Gedichte, Liedtexte und Zeichnungen zieren wie schon im ersten Teil die Kapitelüberschriften und unterstützen die märchenhafte Atmosphäre. Zum Einstieg findet der Leser außerdem eine kurze Zusammenfassung des ersten Bands, die es erleichtert, sich auch nach längerer Pause wieder problemlos in die Geschichte einzufinden.

Die eigentliche Handlung ist nicht gerade spannend. Wer Spannung sucht, der wird sie am Anfang und dann erst wieder im letzten Teil des Buches finden. Der Teil dazwischen ist im Grunde genommen nur ein langes Warten darauf, dass es endlich losgeht. In epischer Länge und Breite werden da immer wieder Sagen und Mythen keltischen und angelsächsischen Ursprungs nacherzählt, die viele Leser z.B. schon aus irischen Volksmärchen kennen dürften. Wer sie in diesem Buch das erste Mal erwähnt findet, hat Glück und kann sich der allgemein durchaus schönen Geschichten erfreuen, für den geübten Fantasy-Fan dagegen ist hier nichts Neues zu entdecken, und so harrt man der Dinge, die da hoffentlich bald folgen mögen. Erschwerend kommt hinzu, dass all diese eingeschobenen Erzählungen die Handlung weder vorantreiben, noch einen ernst zu nehmenden Einfluss auf sie haben. Erst gegen Ende des Buches werden diese Geschichten abseits der eigentlichen Haupthandlung noch einmal kurz aufgegriffen und sorgen für kleinere Aha-Effekte, die über den langatmigen Mittelteil ein wenig hinwegtrösten. Dennoch, ganz so ausufernd hätten die Erzählungen, seien sie sprachlich auch noch so schön umgesetzt, nicht sein müssen.
Während der erste Band, Im Bann der Sturmreiter (The Ill-Made Mute), wirklich zu begeistern wusste und nicht viele Wünsche offen ließ, scheint die Autorin diesmal häufig etwas ziellos an den Roman herangegangen zu sein. Das zeigt sich sowohl an den Figuren, deren Persönlichkeiten manchmal seltsame Bocksprünge machen, als auch an den vielen sinnlosen Reisen zwischen denselben zwei Orten. Derweil hat die Protagonistin schon den dritten neuen Namen angenommen, und am Ende folgt gar noch ein vierter.

Auch wenn es nach diesen Schilderungen kaum den Anschein erwecken mag, bleibt dieses Buch trotz seiner Schwächen dennoch interessant zu lesen und macht – zumindest, wenn man eine romantische Ader hat – Lust auf den dritten Band. Denn hat man den lahmenden Mittelteil samt seiner übrigen Schwächen erst einmal überstanden, nimmt das letzte Drittel noch einmal große Fahrt auf. Einige Geheimnisse werden endlich gelüftet und lang erwartete Erkenntnisse tun sich auf. Nachdem man so lange mitgefiebert und ausgeharrt hat, wird die Neugier gestillt, und man kann Imrhiens Entwicklung mit Erleichterung und Freude verfolgen. Doch gerade wenn man denkt, die gewonnene Erleichterung könne sich ausbreiten, endet auch dieses Buch mit einem bösen Cliffhanger, und man will – nun endlich von der Spannung erneut gepackt – sofort zum letzten Band der Reihe greifen.

Der Geist des Speers von Alan Dean FosterIn der Nähe eines kleinen Küstendorfes werden die Leichen von hellhäutigen Fremden an den Strand gespült. Einer der Männer lebt noch und richtet seinen letzten Wunsch an den Dorfbewohner Etjole Ehomba: Eine Dame muss gerettet werden, eine Seherin, die von einem finsteren Zauberer entführt wurde. Etjole, der mit seiner Frau und seinen Kindern zufrieden als Hirte lebt, hat zwar kein großes Interesse an edlen Damen und abenteuerlichen Questen, doch für ihn ist es Ehrensache, den letzten Wunsch eines Sterbenden zu respektieren, und daher zieht er aus ins Ungewisse.

– Es geschah am Morgen nach dem sinnlichen zweiten Frühlingsmond von Telengarra, dem Vorboten des Frühlingsregens.-
I

Etjole Ehomba, der Hirte vom Volk der Naumkib, der ohne irgendein Eigeninteresse (sei es nun Gier, Abenteuerlust oder eine andere Art von Suche) nur aufgrund der letzten Worte eines Fremden Frau und Kinder zurücklässt und um die halbe Welt reist, um eine Seherin zu befreien, die ihm nichts bedeutet, hat sich einen ganz besonderen Platz in der Riege der unfreiwilligen Helden verdient. Auch im Angesicht der größten Gefahren und bezauberndsten Wunder der überbordend phantastischen Welt, die Alan Dean Foster in seiner Katechisten-Trilogie entwirft, bleibt er stets die Ruhe selbst (was nicht heißt, dass ihn die Umstände unbeeindruckt lassen, aber Etjole ist eher ein Mann stiller Freude) und zieht im richtigen Augenblick den richtigen Gegenstand aus seinem unerschöpflichen Repertoire an eigentlich ganz gewöhnlichen Reiseutensilien. Ist es nicht vernünftig, ein Säckchen Erde aus der Heimat mitzunehmen, um ihren Duft nicht zu vergessen? Oder den primitiven Jagdspeer, dessen Klinge aus dem Zahn eines ausgestorbenen Tieres besteht?
Etjole beharrt darauf, nicht mehr zu sein als ein einfacher Hirte, und schon gar kein Magier, auch wenn es der Leserschaft immer schwerer fällt, das zu glauben, genauso wie seinem späteren Reisegefährten, dem Schwertkämpfer Simna ibn Sind, der in allem Etjoles vollkommener Gegenpart ist – laut, geschwätzig, prahlerisch und immer zuallererst im eigenen Interesse (mehr Frauen, mehr Schätze, mehr Ruhm) unterwegs. Deus ex machina? Etjole hat sie zu Dutzenden in der Tasche.

Damit wird nicht nur klar, dass Leser und Leserinnen, die mit solchen Kniffen ein grundsätzliches Problem haben, mit Der Geist des Speers (Carnivores of Light and Darkness) wohl nicht glücklich werden, sondern vor allem, dass ein verwickelter Plot, bei dem man sich die Nägel abkaut, nicht das ist, was den Roman ausmacht. Er lebt vielmehr von seiner hochmagischen, prallbunten Welt, in der man mit Tieren sprechen kann, Kaninchen mit Riesenwuchs und Mauern mit Beinen auftreten und das Land Naturphänomene mit eigenem Bewusstsein hervorbringt. Das vage an Afrika angelehnte Setting ist erfreulich frei von problematischen Exotismen und bringt vielmehr durch überschäumenden Ideenreichtum das Phantastenherz dazu, schneller zu schlagen. Zwischen den Buchdeckeln von Der Geist des Speers macht man so viele umwerfende Entdeckungen, dass man sich angesichts der aktuellen Zurückgenommenheit (sprich: des Realismus) der epischen Fantasy nach Autoren und Autorinnen wie Alan Dean Foster sehnt, die Bizarres und Wunderbares wagen.
Die einfache Erzählstruktur kommt diesen Stärken entgegen: Der Geist des Speers ist eine episodenhafte Abenteuerreise, die sich über viele Hindernisse hinweg langsam auf ein fernes Ziel zubewegt, und jedes Kapitel enthält ein neues Abenteuer, bei denen nicht selten bekannte Märchen- und Sagenmotive anklingen. Alan Dean Foster scheut dabei auch nicht vor verspielten Experimenten zurück – ein Kapitel wird etwa komplett aus der Sicht eines Baumes erzählt und kann durchaus als skurriler Höhenflug des Genres gewertet werden.

Doch bei aller Schrulligkeit kippt der Roman eigentlich nie ins Alberne. Wie bei jedem guten Märchen steht hinter jedem Abenteuer auch eine Erkenntnis, und wenn Etjole vielleicht auch kein Magier ist, so ist er doch wenigstens ein Philosoph, denn obwohl er dem Muster des simplen Helden folgt, der durch sein unschuldiges, reines und einfaches Denken alle Ziele erreicht, stellt er immer die richtigen Fragen und versucht auch die absurdesten Probleme erst einmal auszudiskutieren.
Damit man bei so viel Gelassenheit und Einsicht nicht einschläft, müssen aber natürlich dennoch immer wieder die Schwerter gezogen werden, und Etjole kann sich in herrlichen Gesprächen an den Gefährten reiben, die er unterwegs aufsammelt – neben dem egoistischen Simna rettet er auch die große Katze Einlöward (im Original Ahlitah – und das ist nicht der einzige Eigenname, der sich beim Übersetzen ein wenig sperrt), die fortan etwas widerwillig, aber doch aus freien Stücken eine Lebensschuld bei Etjole abträgt.

Von Der Geist des Speers muss man sich in erster Linie überraschen lassen und sich darauf einlassen, dass der Roman von der ungewöhnlichen Hauptfigur und den Reiseabenteuern getragen wird – hier ist eindeutig der Weg das Ziel, und etwas anderes sollte man auch nicht erwarten, wenn man mit Genuss von Ameisen, die Geschenke bringen, engagierten Affenanführern und aufgeblasenen Winden lesen will – und einer Fantasy-Welt, in der man es mit Freundlichkeit und Beharrlichkeit weit bringen kann.

Gemmas Visionen von Libba Bray1895 – Gemma Doyle, ein launischer und verwöhnter Teenager, feiert ihren sechzehnten Geburtstag, als sie zum ersten Mal von einer Vision heimgesucht wird, die ihr bisheriges Leben völlig verändert. Gemma sieht, wie ihre Mutter sich selbst tötet, um einem Schattenwesen zu entkommen, das sie zu verschlingen droht. Gemma, die ihr Leben in Indien verbracht hat, wird zu ihrer Familie nach London geschickt, wo sie ein Pensionat für junge Damen besuchen soll. Niemand ahnt etwas von ihren Visionen, die nur der Anfang eines viel größeren Geheimnisses sind.

– Ich starre einer Kobra in die Augen. –
1. Kapitel

Zu Gemmas Visionen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Ghost Planet von Sharon Lynn FisherDie Therapeutin Elizabeth Cole möchte ein neues Leben beginnen und verlässt daher die Erde, um auf Ardagh 1 zu arbeiten. Ardagh 1 ist ein besonderer Planet, denn dort erhält jeder menschliche Kolonist aus unerklärbaren Gründen einen “Geist” aus seiner Vergangenheit – eine eigentlich verstorbene Person, die ihrem Menschen überall hin folgt. Elizabeth kennt die Protokolle auf Ardagh 1, wonach eine Interaktion mit diesen Aliens streng untersagt ist. Doch es dauert nicht lange, bis Elizabeth feststellen muss, dass sie eine unerwartet enge Verbindung zu den Geistern hat, die ihr eigenes Leben und das ihrer Sympathisanten in Gefahr bringt.

The tarmac was deserted. Foggy and disoriented, I wondered how long I’d been standing there, listening to the evergreens groan in the wind and dreading my first encounter on this new world. Would it be human or alien?
– Murphy’s Ghost

Ein wichtiger Tipp vorweg: wer Interesse entwickelt, Ghost Planet auf den Leseplan zu setzen, der sollte es in jedem Fall vermeiden die offizielle Buchbeschreibung/ den Klappentext zu lesen. Er verrät leider zu viel. Über das Cover sprechen wir besser auch nicht, das hätte mich beinahe vom Kauf abgehalten …

Aber nun zum Buch!

Ghost Planet spielt in einer nicht genau definierten Zukunft, in der die Erde schon sehr verunreinigt ist und Lungenkrankheiten zum normalen Leben zählen – ebenso die hohe Anzahl ausgestorbener Pflanzen- und Tierarten. Es existiert offensichtlich ein recht schnelles Transportmedium um von der Erde zu anderen Planeten zu gelangen, darüber hinaus gibt es aber nur sehr wenige Science-Fiction Elemente in Ghost Planet. Der Roman ist eher als Kolonialisierungsroman zu betrachten, der ohne viel Technologie auskommt und sich dafür sehr viel stärker auf Kolonisten und Geister konzentriert. Auf Ardagh 1 nun entdecken die Kolonisten, dass der Planet vermutlich auf die Bedürfnisse der Besucher reagiert, und so findet sich dort bald Flora und Faune, die auf der Erde längst ausgestorben ist. Mit den Vorteilen kommen aber leider auch die Nachteile, und das sind die eingangs genannten “Geister”.

Wer die Jugendromane His Dark Materials (Der Goldene Kompass) gelesen hat, der erinnert sich sicherlich an die kleinen Begleiter der Menschen, die Daemonen, die an ihre Menschen gebunden sind. Schlägt man Ghost Planet auf, hat man irgendwie sofort das Gefühl, das hier ist der Daemon-Level für Erwachsene ohne sprechende Tiere.
Auf Ardagh 1 werden Menschen lebendig, die verstorben waren. Sie sind an ihre Menschen gebunden und verspüren körperliche Schmerzen (bis hin zum erneuten, wenn auch nur kurz andauernden Tod), wenn sie sich zu weit von ihnen entfernen. Für die Kolonisten auf Ardagh 1 ist das ein psychologisches Problem, denn die Geister, die einen soliden und lebendigen Körper haben, reißen durch ihr plötzliches Auftauchen alte Wunden auf. Wem würde es nicht schwer fallen, plötzlich dem verstorbenen Ehepartner, Kind, Verwandten oder engstem Freund gegenüber zu stehen? Oder gar jemandem, der einem Gewalt angetan hat? Da die Geister nicht verschwinden und nicht beseitigt werden können, wurde das Geist-Protokoll geschaffen. Jede Interaktion mit ihnen ist verboten, um das Leben der Kolonisten so wenig wie möglich zu erschweren, und das scheint eine ganze Weile zu funktionieren. Die Geister werden zu stummen Schatten und fristen ein trostloses, unbeachtetes Dasein.

Die Idee dieser Mensch-Geist-Bindung ist einfach faszinierend, eindringlich, manchmal erdrückend, und die Autorin schildert wunderbar die Problematik dieser beiden Spezies, die zwangsweise in einer unausgeglichenen Symbiose miteinander auskommen, ohne miteinander zu agieren. An diesem Punkt ist vor allem die Protagonistin Dr. Elizabeth Cole die tragende Handlungsgeberin, die mit ihrem Widerstand zum Geist-Protokoll und ihrem starken Willen die Machthaber auf Ardagh 1 verärgert. Elizabeth ist als Charakter recht solide und leicht zugänglich, auch ihre Hintergrundgeschichte lässt sie realistisch und sympathisch wirken.
Ihr gegenüber gesetzt ist Dr. Grayson Murphy, der als Mitbegründer des Geist-Protokolls einer der größten Widersacher für Elizabeths Ideen ist. Da sie allerdings miteinander arbeiten müssen, entsteht hier schnell eine angespannte Dynamik, bei der ein Kompromiss unausweichlich ist. Für den Leser sind die sehr unterschiedlichen Standpunkte durchaus nachvollziehbar und die Entwicklungen hinterlassen teilweise einen bitteren Geschmack. Manchmal scheinen die Fortschritte und Entdeckungen der beiden etwas zu einfach, das stört letztlich aber nicht.

Ghost Planet ist eigentlich ein Roman, den man nur schwer aus der Hand legen kann. Er hält die Neugier konstant aufrecht, hält einen zuweilen in Atem und wartet mit überraschenden Wendungen auf. Das einzige Problem ist, etwa ab der Mitte des Buches packt die Autorin die Hormone aus und packt sie danach nicht wieder ein. Es gibt ein paar deutliche Sexszenen, was eigentlich nicht so dramatisch wäre, wenn sie nicht so aufgesetzt wirken würden und in den unpassendsten Situationen stattfänden. So richtig Stimmung kommt in diesen Momenten daher nicht auf, da es oft einfach nur falsch bis albern wirkt und man sich eher an die Stirn fassen möchte … nunja, man muss da einfach ein bis zwei Augen zudrücken, es wäre schade um den Rest!
Da die eigentliche Thematik und Handlung des Romans viel zu bieten hat und sich stetig weiter entwickelt, gibt es eine klare Leseempfehlung, wenn man Wert auf eine spannende Idee legt. Angereichert wird das alles mit einer Prise sarkastischem Humor und etwas Charme.

Cover von Glas von Stephen KingDer Vorgänger Tot entließ den Leser mit einem Cliffhanger, der seinesgleichen suchte. Glas setzt exakt an diesem Punkt an, Jake hat den rettenden Einfall, mit dem das Ka-Tet ihre Wette gewinnt und Blaine (wenn auch widerwillig) zum Anhalten gebracht wird. Roland und die anderen machen sich zu Fuß auf ihren weiteren Weg, und unterwegs beschließt Roland, seinen Kameraden von seiner Vergangenheit und seiner großen Liebe zu erzählen …

-Am Ende schrie er kein Wort mehr, nicht einmal “nein”, er heulte wie ein waidwundes Tier, und seine Hände blieben mit der Kugel verschmolzen, die wie ein gehetztes Herz pochte.–
Teil 2, Kapitel 10: Unter dem Dämonenmond (III)

Die Absicht, die der Autor mit diesem Buch verfolgt, scheint klar. Die mythisch-stilisierte Figur des Revolvermanns soll gleichsam vermenschlicht, fast schon entzaubert werden. Dafür muss King weit zurückgehen, zu den Erlebnissen, die den jungen Roland in den harten und innerlich abgestorbenen Mann machten, den wir aus drei Vorgänger-Bänden kennen.
Man mag King vorwerfen, wiedereinmal unverhohlen nach großen Vorbildern zu schielen (die von Anfang an unter keinem guten Stern stehende Liebe von Roland und Susan trägt deutliche Züge von Romeo und Julia), doch seine schiere sprachliche Gewalt fegt dieses Mal jeden Zweifel hinweg. Obwohl die Entwicklung der Beziehung vorhersehbar zu sein scheint, ist sie doch in jedem Moment glaubwürdig, wirken die zur Schau gestellten Gefühle niemals aufgesetzt oder verkitscht. Im Gegenteil, durch die behutsame Annäherung Kings an seine beiden Adoleszenten wird die Tragik der Ereignisse beinahe fühlbar.

Dennoch ist Glas weit davon entfernt, ein Liebesroman zu sein. Wie King schon früher andeutete, ist Rolands Mittwelt an den klassischen Western angelehnt und gemischt mit Mittelalter-Elementen (die monarchisch anmutenden Herrschaftsstrukturen, der “Revolvermann” als Pendant zum Ritter, etc.) – dass dies beim Leser gewisse Erwartungen weckt, ist dem Autor bewusst. In erster Linie sind Roland und seine Freunde nämlich trotz ihrer Jugend Revolvermänner, und so entwickeln sich die Ereignisse in Mejis recht schnell zu einem düsteren, unkontrollierbaren Mahlstrom, in dessen Verlauf etliche Menschen umkommen werden und nichts mehr so wie vorher sein wird. Durch die abwechselnde Schilderung der beiden Erzählstränge kann King beide Spannungsbögen auf einem hohen Niveau halten. Auch sprachlich findet King in Glas genau das richtige Mittelmaß zwischen “modernen” Formulierungen und der “alten Sprache von Mittwelt”.

Pluspunkte kann der Roman auch durch seine Nebenfiguren für sich verbuchen. Personen wie Sheemie Ruiz oder Eldred Jonas hätten bei anderen Autoren wohl nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, was aber mit einem deutlichen Verlust an Dreidimensionalität verbunden gewesen wäre. Dadurch, dass die Handlungen/Denkweisen auch von Personen außerhalb des Zentrums beleuchtet werden, entsteht eine gewisse Vertrautheit, wodurch für den Leser auch ungewöhnliche oder abwegige Handlungen nachvollziehbar werden.
Schade, dass King hier zum letzten Mal einen größeren Ausflug in Rolands Vergangenheit unternimmt. Gerne hätte ich noch mehr über ihn erfahren, oder über seine Freunde Alain, Jamie und Cuthbert, sowie (vor allem) die Schlacht am Jericho Hill. Rückblickend wird man zudem etwas wehmütig, dass viele neugierig machende Dinge und Personen (z.B. Rhea vom Cöos, Maerlyns Regenbogen) in den Nachfolgebänden nicht den Raum einnehmen, den man sich gewünscht hätte.

Cover von The Golem's Eye von Jonathan StroudNach den Ereignissen um das Amulett von Samarkand sind zwei Jahre vergangen, zwei Jahre, in denen aus Nathaniel immer mehr John Mandrake, ein ehrgeiziger, gewissenloser Zauberer wurde. Er ist nun mit der Aufgabe betraut worden, die Resistance zu zerschlagen, aber Anhaltspunkte hat er wenige: Er war vor zwei Jahren Kitty, Stan und Fred begegnet. Dann aber richtet etwas Mächtiges großen Schaden in London an – die Verantwortlichen entscheiden, daß es in Mandrakes Ressort fällt, dieses aufzuklären. Aber auch die Resistance um Kitty steht vor einem großen Problem, denn die gegenwärtige Strategie ist ausgereizt. Da teilt ihr Anführer mit, er habe einen Plan, nach dessen Erfolg London in den Grundfesten erschüttert werden könnte…

-At dusk, the enemy lit their campfires one by one, in greater profusion than on any night before.-
Prologue. Prague, 1868

Das Geschehen in the Golem’s Eye (Das Auge des Golem) findet hauptsächlich in London statt, aber es gibt auch kurze Ausflüge nach Prag. Die Herrschaft des von einer Clique machtgieriger, arroganter und hartgesottener Zauberer kontrollierten Britischen Empire zeigt erste Risse: Die Yankees der nordamerikanischen Küste streben nach Unabhängigkeit, das vor 150 Jahren zerschmettere Tschechische Kaiserreich beginnt sich wieder zu rühren und daheim in London agiert die Resistance gegen das Diktat der Zauberer.

In vielen Punkten scheint es die Moderne zu sein: Die Zauberer fahren in dunklen Limousinen, lassen Fotokopien machen und fliegen mit Flugzeugen. Doch dann gibt es eigenartige Rückständigkeiten: Die Schiffahrt wird mit Windkraft betrieben, Soldaten tragen bunte, klimpernde Uniformen und benutzen keine vollautomatischen Waffen. Die Geschichte spielt zwar ausschließlich in Städten, aber ein Gefühl der Urbanität wird nicht vermittelt. Die magischen Elemente dominieren die Geschichte. Da sind die Zauberer, die von ihnen kontrollierten Dämonen, beide sprechen Zaubersprüche und die Mitglieder der Resistance, die alle eine gewisse Resistenz gegenüber Magie besitzen, haben häufig noch eine weitere magische Fähigkeit. Echte nicht-magische Leute und Gegenstände treten nur sehr am Rande auf und haben fast keine Bedeutung. Insgesamt bleibt unklar, welche Zaubersprüche nur Dämonen sprechen können und welche auch von Zauberern genutzt werden können. Dann ist nicht klar, was sich mit Zaubersprüchen alles anfangen läßt oder welche Dämonen über welche Fähigkeiten verfügen: Irgendein kleiner Foliot kann sich unsichtbar machen und Bartimaeus nicht – warum? An diesem Kritikpunkt hat sich also seit dem ersten Band nichts verändert.

Figuren treten zwar nur drei zentrale auf, doch daneben gibt es eine ganze Anzahl weiterer: Kittys Eltern, die anderen Mitglieder der Resistance, ein alter Freund, dann zahllose Zauberer aus den unterschiedlichen Ministerien und “Dämonen”. Einige haben allerdings so kurze Auftritte, daß man sich fragt, warum die überhaupt einen Namen erhalten haben. Vielfach neigen die Figuren leider dazu, sehr ähnliche Charaktere zu haben: Alle Zauberer sind machtgierig und gewissenlos, die meisten “Dämonen” neigen zu einer fatalistischen Sklavenhaltung. Interessant und gelungen dagegen sind die Gewöhnlichen (inklusive der Resistance), hier finden sich Kollaborateure, zögerliche Regimegegner und aktive Widerständische mit vielen unterschiedlichen Motivationen. Die drei zentralen Figuren sind Kitty, Nathaniel und Bartimaeus. Kitty ist seit drei Jahren ein Mitglied der Resistance. Zunächst will das Mädchen einfach nur Rache, aber langsam entsteht ein Einsehen, daß diese Haltung zu nicht viel führen wird. Nathaniel, der sich John Mandrake nennt um seinen wahren Namen zu schützen, ist der Assistent von Mr. Tallow, dem Vorsitzenden der Internen Angelegenheiten. Nathaniel will einerseits Rache für die Demütigung, die er vor zwei Jahren von der Resistance erlitten hatte, und andererseits mehr Macht. Auch wenn er mehr und mehr John Mandrake wird, ist da noch ein Rest vom idealistischen Nathaniel. Bartimaeus schließlich ist ein uralter Djinn, der mehr oder minder widerwillig die Befehle seines Meisters – Nathaniel – ausführt. Mit einem sarkastischen Kommentar ist er allerdings schnell bei der Hand.
Die Geschichte besteht aus zwei Plotsträngen, die nach und nach zusammengeführt werden – allerdings nicht so, wie man meinen könnte. In einem Strang geht Nathaniel den sonderbaren Geschehen in London nach und muß sich immer wieder Gedanken über die Resistance  machen. Dieser Strang erinnert an eine hardboiled Detektiv-Geschichte – nur nicht so “hard”. Nathaniel und Bartimaeus ziehen umher, sammeln Hinweise und geraten in gefährliche Situationen. Hinzu kommt noch ein bißchen Intrigengerangel und viel Korruption. Der andere Strang ist auf Kittys Entwicklung fokussiert – quasi eine Entwicklungsgeschichte. Hier werden ihre wichtigsten Erfahrungen geschildert – warum sie schlecht auf Zauberer zu sprechen ist, wie sie zur Resistance kam und wie sie bemerkte, daß es so nicht weitergeht, bis hin zum großen Coup – und was daraus wird. Hätte es nicht eine so starke Anbindung an die Politik und die Moderne, dann wäre diese Abenteuerhandlung klassischer Sword & Sorcery mit dem vielen Verstecken, Schleichen, Stehlen, Kämpfen und Flüchten sehr ähnlich.

Die Geschichte hat Schwächen am Anfang: Einiges wirkt zu gewollt; Bartimaeus kann man bei seinem schnellen Einknicken seine Wut kaum abnehmen, ausgerechnet Nathaniel soll die Resistance zur Strecke bringen, etc. Auch kommt die Geschichte nur langsam in Fahrt, erst nach knapp hundert Seiten geht es im Hauptplot voran, Kittys Vorgeschichte zieht sich sogar noch etwas länger hin. Dann aber wird es spannend und spannender, es gibt einige echte Überraschungen und ein Ende, das auf die Fortsetzung gespannt macht.
Die Geschichte ist der zweite Teil der Bartimaeus-Trilogie. Zwar ist sie im Großen und Ganzen abgeschlossen, doch es gibt auch einige Fäden, die aus dem ersten Teil stammen und einige Fäden, die noch am Ende offen bleiben.
Es werden drei Erzählperspektiven genutzt. Kittys und Nathaniels Kapitel werden jeweils aus der personalen Perspektive erzählt, Bartimaeus tritt dagegen als Ich-Erzähler auf. In Bartimaeus’ Kapiteln wird häufig von Fußnoten Gebrauch gemacht, um die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens zu symbolisieren. Leider tendiert der Autor dazu Action-Szenen durch Fußnoten massiv an Geschwindigkeit – und damit an Spannung zu nehmen. Während seine Kapitel vor Ironie und Sarkasmus sprühen, sind die der beiden Anderen deutlich ernster. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Grabesruh von Jim ButcherIm dritten Fall von Privatdetektiv Harry Dresden spukt es heftig. In ganz Chicago tauchen randalierende Geister auf, die das Leben der Menschen bedrohen. Harry Dresden und sein befreundeter Kollege Michael machen sich daran, die Ursache für die plötzlich aggressiven Verhaltensmuster der Geister herauszufinden. Die Antwort führt sie allerdings weit weg von der Welt der Geister und treibt sie unweigerlich in die Arme nach Rache dürstender Vampire.

– Irgendwo sang jemand. Eine Frauenstimme, sanft und lieblich.
»Schlaf, Kindchen, schlaf! Dein Vater hüt’ die Schaf!«
Ein letzter Blick über die Schulter zu Michael, dann huschte ich durch die Tür. Sehen konnte ich nichts mehr, aber ich bin nicht umsonst ein Magier.-
Kapitel 2

Zu Grabesruh liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Grau von Jasper Fforde„Ich muss mich in Demut üben“: nach einem kleinen Scherz muss Eddie Russett diesen Anstecker tragen und in einem Dorf nahe der Gesindel-Grenze ebendieses tun, indem er eine Stuhlzählung durchführt – dabei hat er als Mensch mit einer exzellenten Rotwahrnehmung Zuhause beste Aussichten auf eine Prestige- und Farbtonreiche Heirat. Doch als in einer Filiale der NationalColor-Gesellschaft, die für die synthetische Colorierung der wohlhabenden Teile der Welt zuständig ist, ein Bürger unter mysteriösen Umständen stirbt, nehmen Ereignisse ihren Lauf, die Eddie nicht ignorieren kann. Und dann ist da auch noch Jane, die stupsnasige Schönheit, die versucht, ihn umzubringen…

2.4.16.55.021: Männer haben sich auf Interkollektivreisen nach Kleiderordnung Nr. 6 zu richten. Hüte werden ausdrücklich empfohlen, sind aber nicht vorgeschrieben. –
Ein Morgen in Zinnober, S. 5

Eddie Russett sieht rot. Was bei unsereins nur in Ausnahmefällen passiert – vielleicht wenn unser Lieblingsbuch out-of-print geht oder der 42. Band von Die Zwerge zum Bestseller wird –, ist für den jungen Protagonisten des neuen Romans von Japser Fforde ein Urteil von einer Tragweite, die der Leser erst nach und nach begreift. Ist die Bestimmung der Farbwahrnehmung eines Menschen einmal vollzogen, gleicht das Leben einem wohlbekannten Buch: man weiß genau, was passiert. Dieser Initiationsritus, Ishihara genannt, macht aus Kindern Erwachsene, was in Grau jedoch keinen großen Unterschied macht.

Jasper Fforde schafft mit seinem Roman eine Zukunftsvision, die trotz aller Farbenprächtigkeit und der Bemühungen von NationalColor düster erscheint. Ungefähr 500 Jahre in der Zukunft regelt eine Zentrale alle Bereiche des Lebens, immer ausgehend davon, welche Farbe ein Mensch wahrnehmen kann. Die handelnden Figuren bleiben dabei zum größten Teil so monochrom wie ihr Sehvermögen, wobei jeder durch ausgesuchte Boshaftigkeit immer aufs Neue zu überraschen weiß. Diskriminierungsgründe glaubt der Mensch viele zu kennen, und keiner ist so bequem und schnell bei der Hand wie die Farbe. In der Welt des Eddie Russett, wo Vorurteile sich als Regeln tarnen, wird nichts so ausführlich zelebriert wie die Unterwürfigkeit auf der einen und unverrückbare Dominanz auf der anderen Seite. Das daraus resultierende Gefühl der Stagnation zieht sich wie ein Faden durchs Buch, der aufgrund seiner Farbe scheinbar von niemandem außer dem Leser wahrgenommen werden kann. Doch Eddie ist nicht umsonst ein Roter, und so begeht er eine Ungeheuerlichkeit: er beginnt, Fragen zu stellen.

Denn alle Regeln werden grundsätzlich befolgt, ohne hinterfragt zu werden. Soziale Beziehungen werden ausschließlich aufgrund von Kosten-Nutzen-Rechnungen gepflegt; Freundschaften sind limitiert und werden ganz im Stile unserer sozialen Netzwerke angeboten: Die Frage „Freundschaft?“ kann formal abgelehnt oder angenommen werden; dabei spielt weniger Sympathie, sondern Berechnung eine Rolle und treibt die Tendenz zur Sinnentleerung des Begriffes auf die Spitze.
Sinnentleert sind übrigens viele Regeln, die Munsell, eine Art Prophet, einst formulierte und nach deren Wortlaut die Gesellschaft handelt und funktioniert. Zahlreiche Tabus beengen jeglichen Handlungs- und Gefühlsspielraum, und der Leser kann nicht anders, als die mit Postleitzahl und Barcode klassifizierten Bürger als Gefangene ihres eigenen Systems zu begreifen.

Fforde führt den Leser behutsam an seinen Weltentwurf heran und lässt den Einstieg farbenfroh erscheinen. Als Leser erfreut man sich zunächst an den skurrilen Rückbezügen zu unserer heutigen Zeit und an den faszinierenden (Hierarchie-)Strukturen einer chromatischen Diktatur. Gemeinsam mit Eddie Russett begreift man schließlich mehr und mehr Facetten von Grau, bis einem das Lachen ab und an im Halse stecken bleibt. Denn so witzig die Absurditäten einer bis ins kleinste Detail von Regeln durchflochtenen Gesellschaft sind, so weiß man auch: man selbst möchte um keinen Preis in der Haut einer Fford’schen Romanfigur stecken. Die Unbeschwertheit seiner Zukunftsvision verliert sich im Laufe der Kapitel zwangsläufig mit Eddies schrittweiser Erkenntnis – zurück bleibt der gewohnte Fford’sche Humor und eine ordentliche Portion Unbehagen. Während Eddie Farbschicht um Farbschicht abträgt, um der Wahrheit unter all der Fassade näherzukommen, bekommt er es mit Nachtangst, Apokryphen und einer Menge Gesindel innerhalb der eigenen Dorfgrenzen zu tun. Und mit Jane.

Ja, Grau ist auch eine Liebesgeschichte, die zwangsläufig ohne rosaroten Kitschglanz auskommen muss. Denn Jane ist eine Graue, gehört also der niedrigsten gesellschaftlichen Schicht an und ist zudem das, was man als militante Freidenkerin bezeichnen könnte. Ihre Ideale sind losgelöst von jeder Farbwahrnehmung und bar jedes pazifistischen Gedankens. Das “Greater Good” verlangt Opfer, zu denen auch Eddie von Zeit zu Zeit zählt. Wenn dieser nicht gerade umgebracht werden soll, entwickelt er sich vom ahnungslosen, aber ungefährlichen Naivling zum Feind Eurer Farbenprächtigkeit. Dass die farbenprächtigsten Bewohner des Dorfes nicht imstande sind, menschliche Facetten abseits ihres schwarz-weißen Barcodes wahrzunehmen, ist bezeichnend für Ffordes Gespür für Ironie. Und nicht zuletzt beweisen die letzten Kapitel, die einer Erkenntnisexplosion gleichkommen, wie erschreckend gut der Autor seine Welt durchdacht hat. Radikaler als Thursday Next und mit hochaktuellen Themen, ist Grau nicht nur ein witziges Absurditätenkabinett, sondern eine rasante Dystopie, von der man mit Sicherheit eines sagen kann: von Schwarz-Weiß-Malerei ist sie weit entfernt.

Grave Peril von Jim ButcherIm dritten Fall von Privatdetektiv Harry Dresden spukt es heftig. In ganz Chicago tauchen randalierende Geister auf, die das Leben der Menschen bedrohen. Harry Dresden und sein befreundeter Kollege Michael machen sich daran, die Ursache für die plötzlich aggressiven Verhaltensmuster der Geister herauszufinden. Die Antwort führt sie allerdings weit weg von der Welt der Geister und treibt sie unweigerlich in die Arme nach Rache dürstender Vampire.

– I heard singing. A woman’s voice. Gentle. Lovely.
Hush little baby, don’t say a word. Mama’s gonna buy you a mockingbird.
I glanced back at Michael, and then slipped inside the door, into total darkness. –
Kapitel 2, S. 10

Die Handlung von Grave Peril (Grabesruh) beginnt zunächst vielversprechend. Geister erheben sich aus ihren Gräbern, treiben in der Stadt ihr Unwesen, gefährden das Leben der Menschen und keiner kann sich ihr ungewöhnliches Auftauchen und ihr bedrohliches Verhalten erklären. Harry Dresden findet schließlich heraus, dass die Geister wie Marionetten von jemandem kontrolliert werden, und damit beginnt der Abstieg dieses interessanten Auftakts. Denn gerade als man denkt, es wird nun richtig geisterhaft, vielleicht ein bisschen gruselig, aber auf jeden Fall spannend, flaut die Story merklich ab und die Erzählung tropft eine Zeit lang zäh vor sich hin. Die Handlung selbst entwickelt sich außerdem plötzlich in eine gänzlich andere und nicht recht nachvollziehbare Richtung.

Inhaltlich ist es ab und an schwer, den vielen verschiedenen Ansätzen des Autors zu folgen. Er hat sich in Grave Peril viel vorgenommen – zu viel. Besonders Verweise auf vergangene Ereignisse, die für den Leser nicht stattgefunden haben und lediglich im vorliegenden Band als Tatsachen präsentiert werden, lassen einen immer wieder im Lesefluss stolpern. Man fragt sich unweigerlich, ob einem in den beiden Vorgängerbänden etwas entgangen ist oder ob man sich gar vergriffen hat und statt Band drei vielleicht Band vier oder fünf in Händen hält. Vieles, was in Grave Peril als gegeben angesehen wird, kommt für den Leser völlig unvorhersehbar und ohne erklärende Herleitung. Es gibt unzählige verschiedene Handlungsstränge, die in diesem Roman aufgebaut werden und zwar einiges an Material für kommende Bücher liefern und einem den Mund wässrig machen, in ihrem geballten Auftreten aber zu viel für die Möglichkeiten eines einzigen Bandes sind. Bis zur Buchhälfte bleibt dementsprechend vieles sprunghaft; die Fülle an neuen Informationen verhindert eine Entwicklung der Handlung und erschwert es, das Buch genießen zu können.
Die zweite Buchhälfte dagegen nimmt schließlich doch noch Fahrt auf und konzentriert sich etwas mehr auf den eigentlichen Plot von Grave Peril, auch wenn die Story nicht mehr ganz so ansprechend ist, wie sie eingangs zu werden versprach.

Die Charaktere sind solide und gut gezeichnet wie auch in den beiden Vorgängern schon, vermögen aber in der Interaktion gelegentlich ebenfalls zu verwirren. Es werden außerdem verschiedene neue Charaktere eingeführt die bisher unerwähnt geblieben sind und sich nun etwas zu schnell in das bisher bekannte Bild einfügen, während Murphys Charakter in Grave Peril kaum auftaucht und eher zu Randfigur degradiert wird.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Grave Peril im Vergleich zu seinen Vorgängern einige Schwächen aufweist und die Handlung stellenweise stark konstruiert und erzwungen wirkt. Trotzdem macht das Buch unter dem Strich Lust auf weitere Bände, in denen die vielen nebensächlich angedeuteten Handlungsstränge hoffentlich weiter ausgebaut werden und das etwas tragische Ende vielleicht nur der Anfang von etwas Größerem ist.

A Great And Terrible Beauty von Libba Bray1895 – Gemma Doyle, ein launischer und verwöhnter Teenager, feiert ihren sechzehnten Geburtstag, als sie zum ersten Mal von einer Vision heimgesucht wird, die ihr bisheriges Leben völlig verändert. Gemma sieht, wie ihre Mutter sich selbst tötet, um einem Schattenwesen zu entkommen, das sie zu verschlingen droht. Gemma, die ihr Leben in Indien verbracht hat, wird zu ihrer Familie nach London geschickt, wo sie ein Pensionat für junge Damen besuchen soll. Niemand ahnt etwas von ihren Visionen, die nur der Anfang eines viel größeren Geheimnisses sind.

– She walks out towards them, an apparition in white and blue velvet, her head held high as they stare in awe at her, the goddess. I don’t yet know what power feels like. But this is surely what it looks like, and I think I’m beginning to understand why those ancient women had to hide in caves. Why our parents and teachers and suitors want us to behave properly and predictably. It’s not that they want to protect us; it’s that they fear us. –
Kapitel 8, S. 207

A Great And Terrible Beauty (Gemmas Visonen), der erste Roman aus der Trilogie Gemma Doyle (Der geheime Zirkel), entführt in das ausklingende viktorianische Zeitalter und öffnet gleichzeitig die Tür in eine andere Welt, die man vielleicht am ehesten mit einem magischen Garten Eden vergleichen könnte. Der Roman spielt mit historischen Elementen der Hexerei, Mythologie, phantastischen Zwischenwelten, Dämonen und anderen mystischen Einflüssen, bleibt dabei aber bodenständig und relativ realitätsnah. Der Handlungsort wechselt zwischen Indien, England und den magischen Landen, wodurch auch Themen wie Klassengesellschaft und der Umgang mit anderen Völkern angesprochen werden.

Anfangs kommt der Roman nur schwer in Fahrt und konzentriert sich eher auf Ortsbeschreibungen und die Schilderung gesellschaftlicher Zustände als auf die Anstoß gebenden Visionen der Protagonistin. Die magischen Lande werden nur kurz besucht und erkundet, der Aufenthalt dort wiederholt sich ein paar Mal ohne große Änderungen. So wird die eigentliche Handlung erst zur Buchmitte hin wirklich spannend, liefert einem dann aber ein altes Tagebuch mit dunklen Geheimnissen, eine Spur scheuer und verbotener Romantik und heranwachsende Frauen mit einem ausgeprägten Hang zu Abenteuern, Entdeckungstouren und anderen, verbotenen Dingen. Auf folgsame, unterwürfige Frauen, die einen Beschützer suchen, braucht man in diesem Roman nicht zu warten, denn es geht hier recht feministisch zu. Da sich die Autorin insgesamt an die realen Zustände jener Zeit hält und ihre Gesellschaft entsprechend formt, zeichnet A Great And Terrible Beauty ein aus heutiger Sicht bedrückendes Bild viktorianischer Mädchen und Frauen, die zu gerne aus den vorbestimmten Bahnen ausbrechen würden. Dabei wirkt die Handlung nicht überzogen, nicht zu modern feministisch, es bleibt der Zeit angemessen glaubwürdig und verbindet alles mit dieser magischen Welt des Gartens. Die phantastischen Elemente halten sich aber doch stark zurück, so dass der Roman mehr zu einem nostalgischen Mystery-Abenteuer mit viel erzählerischem Ausbau wird.
Tragische Ereignisse und Enttäuschungen bleiben ebenfalls nicht außen vor, denn dieser Roman ist nicht darauf ausgelegt, eine schillernde, softe Heldinnenreise zu beschreiben.

Sich als LeserIn mit den Hauptcharakteren zu identifizieren, gestaltet sich anfangs schwierig. Gemma ist ein launischer, verwöhnter Teenager von sechzehn Jahren. Zickig, ein bisschen hochnäsig und verantwortungslos. Im Laufe des Romans entwickelt sie sich langsam weiter, bleibt aber insgesamt sprunghaft und ignoriert Dinge, die ihr unliebsam sind. Neben ihrem jugendlichen Verhalten denkt sie allerdings recht emanzipiert und ist keine Freundin der herrschenden Geschlechterrollen, was eine erfrischende Abwechslung zu den zahlreichen Jugendbüchern mit sehr klischeehaften Rollenbildern bietet.
Auch Gemmas Freundinnen sind keine großen Symphatiträgerinnen. Die Mädchen begegnen sich mit Hass und intrigantem Verhalten und schließen sich mehr aus der Not heraus zusammen denn aus echter Freundschaft. Keine kann die Andere so richtig leiden und sie trauen einander auch nicht. Nach und nach wird aber deutlich, dass jedes der Mädchen, so unsympathisch sie einem zunächst bleiben, ein ernüchterndes Geheimnis hat, sich alle vor der Zukunft fürchten und sich als Frauen mehr Wertschätzung wünschen. Es sind halbwüchsige Teenager an der Schwelle zum Erwachsensein, mit all den Fehlern, Launen, rebellischen Gedanken und Dummheiten. Sie sind auf der Suche nach sich selbst und einem Sinn für ihr Leben. Erst mit Einbruch einer Katastrophe realisieren sie allmählich, dass ihr oft überstürztes und nicht durchdachtes Handeln sie von ihren Zielen und Wünschen immer weiter entfernt.

Es gibt viele gegensätzliche Impulse in A Great And Terrible Beauty. Neben der vorhandenen emanzipierten Denkweise träumen die Mädchen manchmal auch einfach nur von ihrem Traumprinzen oder vielmehr einem Ideal der wahren Liebe. Sie lernen gerade erst mit der veränderten Wahrnehmung von Männern und Frauen umzugehen und auch mit den damit verbundenen sexuellen Empfindungen – in einer Zeit, in der ein unbedeckter Fußknöchel bereits als skandalös gilt. Verdeutlicht wird dieses Spiel mit den Gegensätzen z.B. anhand einer der wenigen männlichen Figuren des Romans. Kartik, der von seiner Bruderschaft, den Rakshana, damit beauftragt wurde, Gemma zu bewachen und sie von den magischen Landen fern zuhalten, tritt gleichzeitig auch als ihr Beschützer auf. Er ist abwechselnd herrisch und fürsorglich, unsicher, wie er sich richtig verhalten muss. Es führt dazu, dass zwischen Kartik und der selbstbewussten Gemma eine offensichtliche Rivalität und gleichzeitig naive Unsicherheit herrscht. Ähnlich wie es Gemma nicht möglich ist eine klare Entscheidung zu treffen, weiß man als LeserIn ebenfalls lange nicht, ob Kartik Freund oder Feind ist, ob man ihn begehren oder zum Teufel schicken soll. Um die Dinge möglichst kompliziert zu gestalten, ist natürlich auch beides gleichzeitig möglich – es lebe die Pubertät mit ihren verwirrenden Auswirkungen. Libba Bray zeichnet in ihrem Debütroman keine Teenager mit einem unrealistisch erwachsenen Denkmuster oder utopischen Vorstellungen von der ersten und einzig wahren, ewig existierenden Liebe. Sie liefert Jugendliche auf der Suche nach dem eigenen Weg ins Erwachsensein und dem Erkennen des Unterschieds von Wunsch und Realität.

Dieses Buch wird durchaus nicht jedem gefallen, denn man muss sich auf wirklich launische und nicht immer vernünftig handelnde Heranwachsende einlassen können. Was aber klar für diesen Roman spricht, ist ein komplex verflochtenes Netz verschiedener, schwieriger Themen, seine viktorianisch-elitäre Atmosphäre und seine überzeugende Darstellung, die einen an die eigene, manchmal schwierige Jugendzeit erinnert.

Sprachlich ist A Great An Terrible Beauty keine große Herausforderung. Das Buch sollte für halbwegs geübte Leser auch im englischen Original mühelos verständlich sein.

The Grimoire of the Lamb von Kevin HearneAls ein ägyptischer Hobbykoch den weiten Weg nach Arizona unternimmt, nur um ein uraltes Rezeptbuch aus Atticus Sammlung zu erwerben, ahnt der Druide bereits, dass hier etwas im Argen liegt, und lehnt den Verkauf ab. Sein Besucher erweist sich prompt auch als Hobbydieb und klaut Atticus das Buch vor der Nase weg. Grund genug, die Verfolgung aufzunehmen und eine Reise ins Land der Pharaonen zu anzutreten.

– People today think ancient Egypt was ineffably cool. I blame this misconception on hieroglyphics and (to a lesser extent) on the Bangles. –

Grimoire of the Lamb (IDC #0.4) ist ein Buch über ein Buch! Jawohl, liebe Leseratten, eine doppelte Versuchung! Einziger Wermutstropfen ist, dass diese neuerliche Kurzgeschichte nur als eBook erhältlich ist und nicht auf raschelndem Papier erscheint. Das tut dem genussvollen Inhalt aber keinen Abbruch, also auf in das nächste Abenteuer von Druide Atticus!

Wir sind zurück in Tempe, Arizona (pre-Hounded, dem ersten Band der Iron Druid Chronicles) und gleich vorweg: es ist nicht empfehlenswert, schon hier mit der Buchreihe einzusteigen, auch wenn es die chronologisch korrekte Abfolge wäre. Wie schon bei Hearnes anderen Kurzgeschichten fehlt es, ohne die Buchreihe nicht wenigstens teilweise schon zu kennen, an Hintergrundwissen beim Leser. Der Autor schreibt hier ganz klar für die Kenner seiner Bücher, nicht für Neueinsteiger.
Kenner der Iron Druid Chronicles werden schnell wieder in die neue Handlung hineingezogen. Das »Grimoire of the Lamb« enthält angeblich bloß ein paar harmlose Rezepte zur Zubereitung von Lamm, und als Atticus es seinerzeit selbst aus der Bibliothek in Alexandria stahl, geschah das doch nur aus Versehen. Komisch bloß, dass ca. zweitausend Jahre nach Atticus’ unrechtmäßigem Erwerb plötzlich ein wenig freundlicher Anhänger des ägyptischen Krokodilgottes derart großes Interesse dafür zeigt und sich das Buch zurück klaut. Schnell ist daher klar, dass es sich bei dem angeblichen Kochbuch in Wahrheit um eine der gefährlichsten Sammlungen blutiger Rituale handelt und Atticus die Verfolgung nach Ägypten aufnehmen muss.
Wie gewohnt geizt Autor Kevin Hearne nicht mit humorvollen Ideen, popkulturellen Zitaten, Anspielungen auf Film und Fernsehen und taucht in den Mythos der Pharaonen und alten ägyptischen Götter ein. Man fühlt sich ein wenig wie im Jäger des verlorenen Schatzes zu Gast, kreuzt die Klingen mit der Mumie, entdeckt Sarkophage, schleicht durch unterirdische Opferkammern und findet blutige Wahrheiten. Außerdem erfahren wir, wie sich eine Horde stalkender Katzen auf lautlosen Pfoten auf die Gesundheit auswirkt. Bücher stehlen zahlt sich ganz offensichtlich nicht aus, vor allem nicht, wenn die einstige Besitzerin Katzengöttin Bast ist und nur zu froh darüber scheint, den diebischen Druiden wieder auf ihrem Jagdgrund zu wissen.
In Grimoire of the Lamb sind eine Menge hin und her gestohlener Bücher im Umlauf, und das sorgt für die ein oder andere zusätzliche Ironie.

Fans der Buchreihe um Atticus O´Sullivan werden Grimoire of the Lamb wieder in vollen Zügen genießen können, obwohl einem die später eingeführten Figuren doch deutlich fehlen. Außerdem scheint Hearne in seinen Kurzgeschichten etwas mehr Freiheiten zu haben als bei den Romanen, vielleicht ist es aber auch nur Zufall, dass Grimoire of the Lamb blutiger, böser und insgesamt weniger »entschärft« wirkt. Wartet man gerade ungeduldig auf die Veröffentlichung des nächsten Bandes, so kommt einem die Kurzgeschichte mehr als recht und sollte nicht auf dem Leseplan ausgespart bleiben.

The Guild of Xenolinguists von Sheila FinchAls die Menschheit entdeckt, dass es Aliens gibt, ist eine der ersten Prioritäten, die Sprachbarriere zu überwinden. Dazu wird die Gilde der Xenolinguisten ins Leben gerufen – und im Laufe der Zeit gewinnt sie an Bedeutung für die Zivilisationen des Universums, denn es stellt sich heraus, dass der menschliche Stimmapparat besser als alle anderen dafür ausgestattet ist, die Lautäußerungen unterschiedlicher Spezies zu erlernen. Als ›Lingsters‹ sind die Gildenmitglieder begehrte und teure Experten, die nicht selten an vorderster Front eingesetzt werden und mit dem Verständnis der Sprache auch zwischen den Kulturen vermitteln sollen. Doch all das hat einen Preis …

-He was drowning in sound, so many years of alien tongues – nasal, guttural, sibilant. The cacophony of language washed over him till he slid beneath its surface. He pressed tired fingers to his skull.
»Tomas. More sojyk?«-
Babel Interface

Sprachwissenschaftler und Dolmetscher als Helden des Tages! Endlich ein Zukunftsentwurf, in dem Philologen und Übersetzer nicht kurzerhand durch einen Translator in der Hand oder einen Fisch im Ohr ersetzt werden!
Das, so lernen wir von der Autorin Sheila Finch, natürlich selbst eine Linguistin, ist ohnehin die unwahrscheinlichste aller Wendungen. Die Idee hinter den Xenolinguisten fußt auf der Sapir-Whorf-Hypothese, also verkürzt gesagt der Annahme, dass unterschiedliche Sprachen zu unterschiedlichen Denkstrukturen führen, dass die Sprache das Denken bestimmt. Für die Gilde, die es mit den absurdesten Aliens zu tun hat, bedeutet das, dass das Verständnis der Sprache nur möglich wird, wenn auch ein Verständnis für ein fremdes Sein in der Welt vorhanden ist, und diese Bewusstseinsveränderung erreichen die Lingster über Drogen.
Haben sie sich dann aber einmal auf die fremde Denke und Sprache eingelassen, greifen die strikten Gildenregeln, die diesem empathischen Ansatz geradezu entgegenstehen und die Integrität der Gilde wahren sollen: Nicht von Emotionen leiten lassen! Weder den Sender noch die Botschaft moralisch beurteilen! Der Linguist ist lediglich der Kanal, durch den die Botschaft fließt!

Solche Regeln funktionieren in der Theorie hervorragend – in der Praxis allerdings … werden die besten Geschichten aus den Fällen, in denen diese Vorgaben an ihre Grenzen stoßen.
Und genau dort setzen auch die elf Geschichten an, die in The Guild of Xenolinguists versammelt sind. Der größte Teil davon ist zwischen 1988 und 2007 bereits in anderer Form erschienen – die Lingsters begleiten Sheila Finch schon eine ganze Weile. Für diese Sammlung wurden die Geschichten aus dem stetig wachsenden Lingster-Universum chronologisch angeordnet, nicht nach ihrem Erscheinungsdatum, so dass sich vor allem aus den ersten Kurzgeschichten eine grobe Gilden-Chronologie ergibt, ähnlich wie z.B. bei Clifford D. Simaks City.

Die Geschichten sind häufig Varianten des Human-Alien-Encounter-Themas, die moralischen Implikationen sorgen aber dafür, dass diesem alten Hut nichts Unschuldiges mehr innewohnt, auch wenn viele bewährte Rezepte anklingen. Trotz der Abgeklärtheit der meisten Protagonisten schimmert hin und wieder Entdeckerfreude durch, allerdings wird ein Lingster nur selten aus reinem Forscherdrang gerufen: In Communion of Minds ist es etwa eine wohlbekannte Notsituation (Gemetzel auf einer Forschungsstation mit einem Überlebenden), deren grusliger Ansatz überraschend aufgelöst wird. In No Brighter Glory, einer der besten Geschichten der Sammlung, ein kleines Problem, das einem wissenschaftlichen Experiment im Wege steht. Wie etliche andere spielt sie auf einer Wasserwelt, wodurch ein weiteres wohlbekanntes SF-Element ins Spiel kommt: Delfine und Wale als Sprachvermittler und in diesem Fall auch Lehrer für die Linguisten.

Sheila Finch benutzt in The Guild of Xenolinguists verschiedene Erzählformen und Perspektiven – nicht immer ist es ein Lingster, der das Geschehen vermittelt, es gibt auch eine biographisch anmutende Erzählung und eine Mission auf einem fremden Planeten, die an Shakespeares Der Sturm angelehnt ist und einen bezaubernden Protagonisten bietet, der einen neuen Blick auf die Gilde ermöglichst. So stehen auch längst nicht in allen Geschichten linguistische Theorie und Praxis im Mittelpunkt, manchmal ist die Gilde nur der Rahmen, in dem die Handlung stattfinden kann. Doch mit ihren spezifischen Talenten, ihrer exponierten Rolle und der Tatsache, dass Sprache und Kommunikation bei Konflikten jeder Art eine zentrale Rolle spielen, finden sich die Lingsters häufig an Orten wieder, wo die Möglichkeit oder gar Notwendigkeit besteht, etwas Großes zu vollbringen.
Nur selten sind es junge, enthusiastische Gildenmitglieder, die vor dieser Entscheidung stehen, sondern eher müde, enttäuschte, desillusionierte Veteranen, für die sich die Verheißungen, die sie einst mit ihrer Berufung und der Gilde verbanden, nicht erfüllt haben. Sie möchten aufhören, hadern mit den Gildenregeln, bezahlen für ihr Talent häufig mit Drogenabhängigkeit, weil die Gilde die Last, die ihr heilige Neutralität zu vertreten, dem Einzelnen aufbürdet. Und von so manch einem fordert ihre Arbeit am Ende wirklich alles.

Auch wenn man fast schon geneigt ist, den Translator dann doch für die humanere Variante zu halten, lassen der Variantenreichtum, mit dem Finch das Thema darstellt, und die vielen Aspekte der Gilde das Gefühl eines wimmelnden, merkwürdigen und grenzenlosen Universums zurück, in dem die Lingster die Chance haben, einen Blick auf Wunderbares zu erhaschen.
Angst haben, dass ein von einer Linguistin geschriebenes Buch mit Linguistenhelden zu verkopft oder gar von Fachtermini oder komplizierten Zusammenhängen überflutet wird, braucht man übrigens nicht: Sprachlich ist es eher einfach gehalten, und sprachwissenschaftliche Theorien stehen abgesehen vielleicht von der Eröffnungsgeschichte First Was the Word eher als Prämisse im Raum, als thematisiert zu werden.
Nicht nur für Spezialisten also, auch wenn es vermutlich ein gewisses Interesse an Geschichten abseits des Mainstreams braucht, um diese feine Sammlung ins Regal aufzunehmen.

Über Haltung und Pflege von Elfen von Holly Black und Toni DiTerlizziSimon Grace wendet sich in einem persönlichen Brief an die beiden Chronisten der Spiderwick Chronicles. Darin schildert er seinen Beitritt in eine Organisation namens International Sprite League, die sich mit der artgerechten Aufzucht und Pflege von Elfen befasst. Auf seine Bitte, ein Handbuch für die Mitglieder dieser Organisation zu erstellen, legen die beiden Autoren DiTerlizzi und Black nun ebenjenes vor.

– Ein Elf erinnert uns ständig an alles Zauberhafte auf der Welt. Diese winzigen Elfen, herrliche Wesen und vielgestaltig in Form und Farbe, sind oft kleiner als ein Zahnstocher. Sie können nicht nur Blumen zum Blühen bringen, sondern auch erstaunlich fest zubeißen, wenn sie sich bedroht fühlen. –
Der wundervolle Elf, S. 7

Zu Über Haltung und Pflege von Elfen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Hammered von Kevin HearnePackt die Wintermäntel aus, es wird kalt im neuen Abenteuer von Druide Atticus! Thor, der nordische Donnergott, hat sein Spiel zu weit getrieben und nun sind ein Vampir, ein Werwolf, ein alter Zauberer und eine Horde Frostriesen hinter ihm her. Druide Atticus hat allerhand zu tun, um am Leben zu bleiben. Denn egal wie er sich entscheidet, eine echte Wahl bleibt ihm in diesem Kampf nicht …

– Once you’re facing a giant bloody squirrel the size of a cement truck, they lose the majority of their charm. –
Chapter 1

Long story short: in Hammered gibt es nicht viel zu Lachen. Das ist nicht nur Oberons Abwesenheit, sondern auch einigen ernsten und tragischen Entwicklungen zu verdanken. Die Handlung lastet schwerer auf den Protagonisten als bisher, vor allem auf Atticus, der sich in einer schwierigen Situation ohne echten Ausweg befindet.
Das Buch kommt dabei allerdings auch langsamer in die Gänge. Atticus ist zunächst ohne Begleitung unterwegs, und seine Monologe sind nur halb so unterhaltsam wie seine Dialoge mit anderen. Außerdem hat er sich diesmal wohl ein Beispiel an Kollege Harry Dresden genommen, dessen zweite Natur es zu sein scheint, permanent mehr tot als lebendig zu sein. Hat man sich aber erst einmal eingewöhnt, entdeckt man in Hammered andere Qualitäten, die vor allem den Figuren zugute kommen. Neben der Einführung neuer Charaktere erfahren wir endlich, weshalb Vampir Leif Helgarson einen solchen Groll gegen Thor hegt, wie Werwolf Gunnar da rein passt und im Zuge der Männerfreundschaft gibt es auch noch ein paar unterhaltsame Geschichten anderer Thor-Geschädigter.

Der nordische Donnergott, der derzeit als sympathischer Held und Beschützer der Menschen durch die Kinos zieht, zeigt sich in Hammered dabei von einer ganz anderen Seite. Als wahres Ar… äh … als verantwortungsloser und grausamer Gott, dem seine Macht zu Kopf gestiegen ist, hat er sich einiges zuschulden kommen lassen und den Rachewunsch wirklich alter Individuen auf sich gelenkt – vom chinesischen Zauberer bis zum russischen Donnergott (der wohl versucht, sein Gewicht in Vodka zu vertilgen), marschieren die Geplagten mit Atticus’ Hilfe in Asgard ein und stellen Ragnarok in den Schatten.
Nicht verwunderlich, dass es in Hammered daher vor allem blutig und schonungslos wird. Gerade erst hat man den ein oder anderen Charakter näher kennengelernt, vielleicht sogar ins Herz geschlossen, da muss man sich auch schon von ihm verabschieden.

Gänzlich auf Humor verzichten muss man dabei zum Glück nicht, doch geeignete Momente für Lacher und nerdige Sprüche sind limitiert. Hammered ist daher insgesamt etwas schwächer, was den Unterhaltungswert angeht, baut dafür aber stärker an Handlung auf und endet nun, im Gegensatz zu den beiden Vorgängern, auch mit offenen Fragen. Nach den Ereignissen dieses Romans dürften da im Nachfolger Tricked einige Veränderungen auf Druide und Leser zukommen.
Auch wenn Hammered nicht so humorvoll ist wie Hounded und Hexed, lohnt es sich doch am Ball zu bleiben.

Bonus:
Zeitgleich zu den Ereignissen in Hammered erlebt Granuaile ein eigenes ungeplantes Abenteuer. Nachzulesen in der Kurzgeschichte A Test of Mettle, die vom Autor kostenlos auf seiner Website zum Download angeboten wird.

Heldenwinter von Jonas WolfDer Halbling Namakan ist das älteste von etlichen Ziehkindern des Menschenpärchens Lodaja und Dalarr, die zurückgezogen in den Immergrünen Almen leben. Als Namakan mit Dalarr, einem Schmiedemeister, von der Suche nach seltenen Erzen zurückkehrt, sind die gefürchteten Skra Gul, Krieger in Weiß aus dem fernen Tristborn, eingefallen und haben ein Gemetzel angerichtet. Dalarr legt einen Racheeid ab, und Namakan folgt seinem Ziehvater und Meister, um einen König zu töten.

-In einer Stimme dunkel und kräftig wie Paukenschläge hob Dalarr zu einer Melodie an, die in Namakans Kopf Bilder von trostlosen Weiten und sich in ferne Meere wälzenden Strömen heraufbeschwor.-
1

Heldenwinter – das klingt ein wenig nach wagnerianischem Pathos, nach einem harten Einzelkämpfer, der seine beste Zeit schon hinter sich hat, nach Schneegestöber und grauen Haaren; und so, als hätte der Einworttitel-Generator für Fantasyromane ein besonders wohltönendes Ergebnis ausgegeben, klingt es auch.
An all diesen Assoziationen ist etwas Wahres dran. Der erste Roman von Jonas Wolfs Skaldat-Reihe aus locker verbundenen Einzelabenteuern beginnt klassisch mit einem Racheschwur. Die beiden Helden Dalarr und Namakan, nicht nur in der Statur als Mensch und Halbling höchstverschieden, sondern auch in Gemüt und Lebenserfahrung, ziehen auf diese Queste aus, zwischen ihnen und dem Ziel steht ein langer Reiseweg voller Abenteuer, neuer Gefährten, mächtiger Waffen und unerwarteter Entdeckungen. Damit fällt Heldenwinter in die Sparte epischer Fantasy, die in letzter Zeit ein wenig selten geworden ist. Die im ausführlichen Nachwort genannten Vorbilder Tolkien und Howard (inclusive Film-Conan) finden sich in den Figuren, der Welt und der Handlung vielfach zitiert, von der augenzwinkernden Anspielung bis hin zur unverhohlenen Inspirationsquelle.
Deshalb verwundert es nicht, dass in der Weltschöpfung das ganze Repertoire klassischer Fantasy auftaucht. Elfen, Zwerge, Reiternomaden und Riesenraubvögel, um nur einige zu nennen, bekommen allerdings durch einen kleinen Dreh hier und da einen eigenständigen Anstrich, ohne dass die Wurzeln gekappt würden, und das Ensemble wird durch eigene, durchaus gelungene Ideen ergänzt.
Glanzpunkt der Figurenriege, die im Großen und Ganzen der Regel “mindestens einer aus jedem Volk und Metier” folgt, ist die Hexe Morritbi, die über ihre Nebenrolle als Love interest des Protagonisten schnell hinauswächst und zu einer erfreulich unkonventionellen Frauenfigur wird.

Auch erzählerisch folgt Heldenwinter den klassischen Questenpfaden: einer an sich einfachen, geradlinigen Handlung, die ganz dem einleitenden Eid gewidmet ist. Die Fantasy-Tradition allerdings, von den Figuren selbst immer wieder Geschichten aus der Vergangenheit und dem Hintergrund der Welt erzählen zu lassen, wird bei Jonas Wolf zu einem zentralen Handlungselement. Die Gegenwartshandlung, die voller Rätsel ist, offenbart sich erst, wenn man die einzelnen Mosaiksteinchen der Vergangenheit kennt und zusammensetzt, wenn man in den vielen kleinen Geschichten die eine große sieht. Fast jede Figur trägt Geheimnisse mit sich herum, die mal mehr, mal weniger schnell offenbart werden. Die Fragen der Herkunft, der Zugehörigkeit und der Stimmigkeit des gewählten Lebensentwurfs stehen im Mittelpunkt. Zu diesem Thema setzt vor allem der verschmitzte Epilog einen schönen Kontrapunkt zu den sonst doch recht erwartungsgemäßen Abläufen.
Der dicke rote Faden, der sich eigentlich sehr prägnant durch den Roman zieht, weist durch diese Geschichten in der Geschichte einige Schlingen auf, obwohl er sich nie in mehrere Stränge teilt.
Trotzdem erweist sich Jonas Wolf als erfahrener, solider Erzähler, bei dem auch die verschiedenen Erzählebenen flüssig gewechselt werden. Die einzelnen Kapitel sind relativ in sich geschlossen, sie enthalten häufig ein Sub-Abenteuer oder sind auf eine Hintergrundgeschichte fokussiert, die eine eigene Struktur hat, und wenn allzu lange am Lagerfeuer gesessen und erzählt wird, kann man sich darauf verlassen, dass der nächste Kampf nicht auf sich warten lässt.
Die leisen kritischen Untertöne an der Rachemission gegen König Arvid, die im Laufe der Queste anklingen, fallen allerdings im Zuge der zielstrebigen Auflösung des Konflikts unter den Tisch – eine verschenkte Gelegenheit, der Frage nachzugehen, wie das Wohl des Einzelnen und das Wohl von Vielen gegeneinander abzuwägen sind. Der Fokus von Heldenwinter liegt allerdings auch an keinem anderen Punkt auf den tiefergehenden Themen, sondern bleibt vor allem auf der Abenteuerhandlung.

Die unterschiedlichen Erzählebenen meistert Jonas Wolf stilsicher: eine Geschichte des derben Schmiedes Dalarr klingt anders als eine der ehemaligen Klosterschülerin Ammorna. Alle gemein haben sie allerdings einen nicht zu überlesenden Hang zu blumigen Begriffen für alles, was sich unter der Gürtellinie abspielt.
Aus dem sonst unauffällig-flüssigen Stil stechen die Aphorismen in den Kapiteleinleitungen hervor, aber auch die Lieder, die (mitsamt einer altnordischen Version) im Text wiedergegeben sind, und sorgen für das Ambiente einer lebenden Welt.
Dieser Eindruck verfestigt sich jedoch im eigentlichen Erzähltext nicht, dort wirkt die Welt ein wenig dünn. Nur an wenigen Stellen lässt sich ein größeres Ganzes erahnen oder kommt das Gefühl auf, nur einen Bruchteil der Wunder gesehen zu haben, die die Welt des Skaldat bietet, und auch der Eindruck einer “alten” Welt mit eigener Geschichte will sich nicht recht einstellen. Zu zweckmäßig sind dazu alle erzählten Binnengeschichten in die Haupthandlung eingebunden, und es gibt nicht viel, was über das Erzählte hinausreicht.
Trotz der Anspielungen auf Klassiker und der Betonung des Geschichtenerzählens entsteht dadurch der Eindruck einer kompakten, aber etwas schnörkellosen Geschichte, was auch daran liegen mag, dass Heldenwinter mit einer Tradition der epischen Fantasy bricht: Nach einem Band ist es zu Ende erzählt, und es führen auch keine einzelnen Fäden mehr in eine Fortsetzung hinein.

Heroes Die von Matthew Woodring StoverMillionen von Zuschauern sind dabei, wenn der Schauspieler Hari Michaelson seine Rolle “Caine” spielt, einen grimmigen, brutalen Kämpfer, der in die andere Welt Overworld – einen Planeten mit feudalen Strukturen und Fantasy-Völkern – befördert wird und dort seine Abenteuer erlebt. Auf Overworld allerdings weiß kaum einer, daß er zum Setting der irdischen Unterhaltungsindustrie gehört.
Auf der Erde lebt Hari in einem unterdrückenden Kastensystem; und als seine Frau, ebenfalls eine Schauspielerin, auf Overworld vermißt wird, hat das Studio endlich ein Druckmittel in der Hand, mit dem es Caine zu seinem größten Abenteuer zwingen kann: Er darf seine geliebte Frau retten, wenn er ein ungeheuerliches Attentat begeht. Zähneknirschend wetzt Caine die Messer …

-With my hand on the doorjamb, some buried-alive instinct thumps within my chest: this is going to hurt.-
Prologue, 1

Heroes Die ist ein düsteres Heldenepos, das ganz der Figur Haris/Caines gewidmet ist, einem egoistischem Haudrauf, der zwischen seiner unterdrückten Existenz als Hari und seinem überragenden Helden-Alter-Ego Caine gefangen ist, einem Charakter, der mit seiner äußerst aufdringlich-virilen Präsenz zwar nicht gleich sympathisch ist, aber von der ersten Seite an mitzureißen vermag.
Man findet sich auf einer Erde der nahen Zukunft wieder, mit einem rigiden Kastensystem, in dem Privilegierte sich die Zeit damit vertreiben, Schauspielern zuzusehen, sogar ihre Rollen zu verkörpern, wenn diese auf der dank fortgeschrittener Technik erreichbaren Welt Overworld Abenteuer erleben, und zwar nicht die kuschelige Sorte aus dem Kinderfernsehen, sondern die blutdurchtränkte Realität einer feudalen Welt, in der das Faustrecht herrscht. Diese Gewalt kommt auch ungefiltert beim Leser an, und dadurch werden nicht nur die Kampfszenen schön realistisch, sondern auch die letzte Mahlzeit im Magen rebellisch. Der Brutalitätsfaktor schwingt sich in diesem Roman in ungeahnte Höhen auf, und fast könnte man glauben, die Gewalt sei ein reiner Selbstzweck, ein voyeuristischer Aufsehens-Erreger.
Aber die Anwendung und Instrumentalisierung von Gewalt ist auch ein zentrales Motiv der Handlung: Stover stellt eine Gesellschaft dar, die an ihren größten Stars schätzt, daß man durch ihre Augen brutalste Tötungen erleben kann – in der vielleicht nur vordergründig archaischeren Gesellschaft auf Overworld, in der Gewalt das vornehmliche Machtmittel ist (verkörpert in dem in jeder Hinsicht gewaltigen und gewalttätigen Herrscher Mael’Koth) – und er stellt nicht zuletzt die Frage, zu welchen Zwecken Gewalt eingesetzt wird und wie sie im Menschen, vor allem seinem Helden Caine, verankert ist. Dennoch gibt es gerade in der ersten Hälfte des Buches Szenen, deren Sinn bzw. deren Härte man hinterfragen muß, und Caine erscheint anfangs als roher Typ, der nach seinen “Helden”taten auch noch witzige Sprüche auf den Lippen hat. Konsequenterweise geht die Gewalt in der zweiten Hälfte des Romans auch deutlich zurück, als Hari immer mehr mit seiner Rolle Caine interagiert.

Overworld, ein äußerlich relativ gewöhnliches Fantasy-Setting, in dem Stover auch Elfen und Zwerge untergebracht hat, wird in all seinem Dreck und seiner Brutaltität gezeigt – Szenen voller Helden-Pathos schließt das zwar absolut nicht aus, und die Ereignisse im Fantasy-Kontext können sich in der Größenordnung durchaus mit den Highlights der Sword & Sorcery messen, aber Caines zynisch-egoistische Art erdet jegliche Hochstimmung recht schnell wieder.
Overworld selbst erscheint im Vergleich zu anderen Settings etwas blaß, ebenso die meisten Charatkere abseits von Caine – allerdings sind es meist universelle Archetypen, so daß man die Lücken leicht selbst füllen kann. Und sie erfüllen innerhalb des Roman-Kosmos’ vornehmlich die Aufgabe der Kulisse und der Statistenrollen – nur eine Ebene, auf der Text- und Leserrealität sich überlappen.

Die Beziehungen zwischen Overworld und der Erde sind vielschichtiger, als es den Anschein hat, und ein idealer Ausgangspunkt für Caines verschachtelte Pläne, um das Unmögliche, das das Studio von ihm verlangt, umzusetzen. Entsprechend clever ist auch die Auflösung, und über die Handlung hinweg verteilen sich etliche Dreh- und Angelpunkte, an denen sich wieder neue Blickwinkel einstellen. Dazu trägt auch der überlegte Einsatz verschiedener Erzählperspektiven bei: Caine zum Beispiel berichtet in der Ich-Perspektive, wenn er “auf Sendung” ist und man ihm wie seine Zuschauer über die Schulter blickt, und die Perspektive schwenkt zwischenzeitlich auch zu einer Hand voll weiterer Protagonisten des Abenteuers. Dies macht sich Stover mitunter für den Spannungsaufbau zunutze und enthält dem Leser mit distanzierteren Perspektiven  Informationen vor.

In die actionreiche Handlung sind eine Reihe moralischer Spielereien und Fragen eingebettet, die allerdings nicht für den Leser beantwortet werden, sondern nur für den eingeschränkten und nicht gerade moralisch integren Standpunkt der Charaktere, und selbst da bleiben viele Fragezeichen stehen. Noch unbequemer wird es, wenn der Leser selbst angesprochen und als Zuschauer – die treibende Kraft hinter Caine – in sein Abenteuer mit einbezogen wird.
Auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Anspruch bleibt Stover dabei auf der ganzen Strecke der Handlung sehr sicher, aber es ist in keiner Weise ein Sandkastenspaziergang.
Wenn man die Brutalität auf sich nehmen will, ist Heroes Die eine absolute Empfehlung, ein vielschichtiger, verschachtelter Roman, der neben jeder Menge Action und interessanten Ideen auch einen erstaunlich gefühlvollen Blick auf Zwischenmenschliches erlaubt.

Herr Apropos von Nichten von Peter DavidApropos ist das Produkt der Vergewaltigung seiner Mutter durch einen der angeblich ach so edlen Ritter, und er hasst den in seinen Augen verlogenen Stand aus ganzem Herzen. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, und da er ein verkrüppeltes Bein hat, ist es meistens seine spitze Zunge, die ihn aus brenzligen Situationen befreit. Aber körperliche Gebrechen und niedere Geburt hindern ihn nicht daran, über viele Umwege dennoch zum Knappen aufzusteigen und letztendlich von König Runzibel für eine besondere Mission ausgewählt zu werden – insgeheim ist er aber immer auf der Suche nach seinem unbekannten Vater und nach Rache für seine Mutter.

-Wie ich so mit dem Schwert in der Hand da stand und es von der Klinge nur so tropfte, fragte ich mich doch, ob dieses Blut wirklich von meinem Vater stammte.-
Kapitel eins

Peter David lässt in diesem Anti-Ritter-und-Questen-Roman Herrn Apropos selbst seine Abenteuer schildern, dessen spitze Zunge aber letztlich nicht so spitz ist, wie ständig beteuert wird – aber über den ein oder anderen Witz kann man durchaus schmunzeln. Die klassische Ritterwelt wird dabei recht respektlos durch den Kakao gezogen, wobei sich der Autor immer einer leicht anachronistischen Sprache bedient und gerade eben die Kurve kriegt, nicht zu flapsig zu werden. Immerhin gibt Apropos selbst zu, dass er manchmal ganz schöne Kalauer hinlegt.
Einige der (auch im Original oftmals mauen) Sprachwitze, wie etwa Apropos’ Namensgebung, gehen im Deutsch ein wenig verloren, andere sind aber äußerst pfiffig gelöst.

Zunächst wird der Werdegang des Apropos in Rückblenden erzählt, was an dieser Stelle vielleicht ein etwas langer Ausflug abseits der Haupthandlung ist, der sich allerdings im weiteren Verlauf noch auszahlt. Wir lernen einen feigen und egoistischen Protagonisten kennen, der auch seinen besten Freund für seine guten Taten verachtet und hauptsächlich vom (mit seinen Zeugungsumständen verbundenen) Hass auf den Ritterstand getrieben wird.
Apropos’ Weg zum Knappen ist zwar ungewöhnlich, aber dennoch vorhersehbar, und auch als Knappe erlebt er typische Ritterabenteuer: Turniere, Schäferstündchen mit holden Maiden und derlei mehr. Apropos holde Maiden: Vor allem zu Beginn des Romans kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor das weibliche Geschlecht im Allgemeinen für geistig minderbemittelt hält, und es gibt eigentlich im ganzen Buch auch nur eine Ausnahme (und die ist ebenfalls fragwürdig). Ja, ein lustiger Ritterroman braucht vielleicht Klischees, aber muss dazu wirklich nahezu jede auftretende Frau ein williges Dummerchen sein? Die Schenkelklopfer ziehen den ohnehin lauen Humor des Romans auf ein wahrhaft unterirdisches Niveau.

Ungefähr zur Hälfte des Romans beginnt dann Apropos’ große Aufgabe und Peter David macht nahezu eine Kehrtwendung von einer selten wirklich witzigen Parodie zu einem klassischen Abenteuer mit vielen überraschenden Wendungen. Es bleibt zwar nach wie vor komisch, aber Apropos wandelt sich vom eher unsympathischen, egoistischen und feigen Tropf zu jemandem, der immerhin hin und wieder eine gute Tat in Betracht zieht. Allerdings gibt es zum Ende hin zweimal einen sehr harten und ungemütlichen Aufprall auf Tatsachen, die sich in einem ernsteren Buch besser gemacht hätten und so gar nicht zur locker flockigen Umgebung passen wollen (König Meanders Geschichte und der eigentliche Clou am Ende des Buches).
Bei allen liebenswerten Figuren, die mitunter am Rande des Weges auftauchen, und den hin und wieder gelungenen Lachern bleibt Herr Apropos von Nichten damit irgendwo zwischen Parodie und Antiheldenreise stecken.

Die Hetzjagd von Kevin HearneAtticus O’Sullivan, vermutlich der letzte echte Druide, hat die letzten 2000 Jahre damit zugebracht vor einem recht aufgebrachten keltischen Gott zu flüchten, dem er das magische Schwert Fragaragh – The Answerer entwendet hat. Nachdem sich der Druide in der Wüste Arizonas niedergelassen und einen okkulten Buchladen eröffnet hat, dauert es nicht lange, bis ebenjener Gott ihn aufspürt und dem Druiden das Leben schwer macht. Atticus wäre jedoch nicht Atticus, wenn er neben seinem Charme und seinem Sinn für Humor nicht auch ein paar ordentliche Kräfte zur Verteidigung hätte.

Zu Die Hetzjagd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Hexed von Kevin HearneKaum hat sich Atticus von seiner letzten Auseinandersetzung erholt, wird er von einem tödlichen Fluch getroffen, als er sich gerade einen ruhigen Abend mit Vampir Leif auf der Veranda eingerichtet hat. Nur Atticus’ magischem Amulett ist es zu verdanken, dass der letzte Druide nicht sofort in Rauch aufgeht. Doch nicht nur dieser Angriff eines neuen Hexenzirkels hält Atticus auf Trab, es treibt sich auch ein gefallener Engel in Tempe herum, der gerne auf Teenagern herumkaut, und eine Horde lüsterner Töchter des Bacchus ist auf dem Weg, um die Stadt ins Chaos zu stürzen und die Macht an sich zu reißen.
So bleibt dem Druiden nichts anderes übrig, als eine schwierige Allianz zu knüpfen und ein paar mächtigen Gegnern kräftig in den Hintern zu treten.

– Turns out that when you kill a god, people want to talk to you. Paranormal insurance salesmen with special “godslayer” term life policies. Charlatans with “god-proof” armor and extraplanar safe houses for rent. But, most notably, other gods, who want to first congratulate you on your achievement, second warn you not to try such shenanigans on them, and finally suggest that you try to slay one of their rivals – purely as a shenanigan, of course. –
Kapitel 1, S.1

In Hexed, dem zweiten Teil der Iron Druid Chronicles, geht es im wahrsten Sinne des Wortes verhext zu. Atticus muss sich nicht nur mit dem örtlichen Hexenzirkel gut stellen, er muss sich auch gegen ein paar schlecht gelaunte und schlecht gekleidete deutsche Hexen verteidigen, die ihm so mir nichts dir nichts einen Fluch an den Hals jagen. Mehrfach. Genauer betrachtet hat es unser Schwerenöter insgesamt nicht leicht mit den Frauen. Nicht nur, dass die Versuchung überall lauert, ohne konkret zu werden, Hexen, Bacchantinnen und keltische Göttinnen scheinen es sich außerdem zum Ziel gesetzt zu haben, dem letzten Druiden möglichst viel Feuer unter dem Hintern zu machen, teilweise darf man das sogar wörtlich nehmen. Doch Atticus wäre nicht Atticus, wenn er dass nicht mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und druidischer Schlagkraft beantworten würde; und so wird die Fortsetzung dieser Buchreihe nicht nur konsequent und stimmig weitergeführt, sondern auch um noch mehr Lacher bereichert, als es schon in Hounded der Fall gewesen ist.

Sprecherziehung für altmodische Vampire, ein Wolfshund, der sich den Hippie Wavy Gravy zum Vorbild genommen hat, absolut nerdige Anspielungen auf eine Vielzahl bekannter Kult-Filme und -Bücher, richtig fiese Hexen, eine alte Witwe, die gerne mal einen Blick auf den entblößten Hintern unseres knackigen Druiden wirft, und wenn die Morrigan in ihrer Leidenschaft über Atticus herfällt, kann er einem fast schon Leid tun …
Die Charaktere in Hexed sorgen für ein turbulentes Lesevergnügen voller Sympathieträger, und auch Figuren, denen man gerne selbst mal einen beherzten Tritt verpassen würde.

Es gibt eigentlich fast nichts, was man an Hexed nicht mögen kann. Lediglich zwei kleinere Abzüge gibt es für wieder vorhandene Wiederholungen und die etwas gewöhnungsbedürftige Sache mit den deutschen Sätzen. Wobei letzteres natürlich nur deswegen so stark auffällt, weil man als deutschsprachiger Leser wohl ein extra scharfes Auge auf die betreffenden Sätze wirft. Meistens funktioniert es sogar fehlerfrei, doch wenn im Text z.B. immerzu von den “hexen” die Rede ist, dann kommt man nicht umhin sich eine Shift-Taste für Gedrucktes zu wünschen.
Ansonsten gibt es aber nichts zu bemängeln. Autor Kevin Hearne bleibt sich und seiner Buchreihe treu.

Wer sich mal wieder so richtig schön in Dialog- und Situations-Komik ergehen will und Gefallen am ersten Band gefunden hatte, der sollte auch bei Hexed beherzt zugreifen. Es ist wieder eine kurzweilige und unterhaltsame Geschichte mit Lachgarantie, die man schon allein wegen Oberons unschlagbar komischen Dialogen dringend weiterverfolgen muss.

Cover von Hexensturm von Sean StewartIn Hexensturm erzählt die Ich-Erzählerin Toni Beauchamps, was im Verlauf des Jahres geschah als ihre Mutter starb und sie selbst eine Tochter zur Welt brachte. Tonis Mutter Elena verfügte über die Gabe des Hellsehens und mußte dafür einen hohen Preis zahlen. Sie besaß ein Schränkchen mit sechs Puppen, die verschiedene Geistwesen symbolisierten, die von Zeit zu Zeit in Elena fuhren und sie besessen machten. Toni haßt diese Wesenheiten und das, was sie aus ihrer Mutter gemacht haben. Als ihre Mutter stirbt, ist Toni fest entschlossen, diese Puppen keine Rolle in ihrem Leben spielen zu lassen. Aber es kommt anders: Elena vererbt Toni das Schränkchen mit den Puppen und damit auch die zeitweise Besessenheit.

-Wenn du auf dem Boden der Flasche angelangt bist, wie meine Mutter zu sagen pflegte, dann erzählt diese Geschichte, wie ich Mutter geworden bin.-
Eins

Sean Stewart hat vor Hexensturm schon “richtige” Fantasyromane geschrieben und über eines dieser Bücher sagte dann wohl jemand es “Erinnert an die besten Romane von Le Guin und an Tolkien“. Wahrscheinlich findet sich dieser Werbespruch seitdem auf jedem Buch von Stewart wieder und hat sich so auch auf die Rückseite von Hexensturm verirrt. Jedenfalls ist er hier so fehl am Platze wie die Bemerkungen “Erinnert an die besten Gebrauchsanleitungen für Waschmaschinen” oder “Noch besser als das St.Petersburger Telefonbuch”. Hexensturm hat mit keiner dieser Feststellungen auch nur im entferntesten irgend etwas zu tun.
Diese ebenso gedankenlose wie falsche Werbung ist zwar mittlerweile gang und gäbe, aber hier ist sie besonders ärgerlich, denn es bringt ein gutes Buch um seine Leserschaft. Bücherfreunde, die einen tolkienähnlichen Roman erwarten, werden Hexensturm nach ein paar Seiten enttäuscht aus der Hand legen und Leser, die solche Bücher lieben, werden es aufgrund des Vergleichs mit Tolkien und Le Guin wieder ungelesen ins Regal zurückstellen.
Tonis Geschichte spielt nicht in einer Fantasywelt, sondern in Houston, Texas, und je weiter man der Handlung folgt, um so realer scheint sie zu sein. Stewart beschreibt beklemmend und eindringlich, wie eines der Wesen sich in Tonis Kopf festsetzt. Niemand, der dies liest, kommt als erstes auf die Idee, hier läge ein Fall von magischer Besessenheit vor, es klingt vielmehr so, als beschreibe ein Patient einem Psychiater seinen ersten Anfall von Schizophrenie oder den Beginn einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Noch erschreckender ist der Gedanke, daß diese Wesen verschiedene Seiten einer normalen Persönlichkeit sein könnten, wie sie in jedem von uns stecken. Tonis “Reiter”, wie sie sie nennt, sind eine leichtlebige und sexuell freizügige Frau namens “Schätzchen”, ein höchst moralischer Priester, eine barsche Witwe, ein Pierrot, der grausame Späße treibt, Herr Kupfer, der eine Vorliebe für Geld hat und eine “Spottdrossel”, die nur nachplappert, was andere sagen. Außerdem hat Elena immer von einem kleinen verlorenen Mädchen erzählt, das von ihrer Mutter verstoßen wurde und nun verzweifelt versucht, wieder nach Hause zu finden. Das klingt wirklich als wären Elena und später Toni Fälle für die Psychiatrie und das Buch erzähle von Tonis Kampf, mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen und nicht völlig dem Wahnsinn zu verfallen. Andererseits ist das Buch viel zu humorvoll geschrieben als daß diese Version zutreffend erscheint und die Anfälle von Besessenheit in Tonis Leben sind relativ selten, im Großen und Ganzen handelt die studierte Mathematikerin und Aktuarin nüchtern und überlegt. Außerdem macht Stewart klar, daß Dinge geschehen, die wirklich magisch sind: Elena konnte definitiv die Zukunft vorhersagen, Candy kann es teilweise und die Geistwesen existieren auch außerhalb von Tonis Kopf. Stewart bewegt sich mit seiner Geschichte auf der dünnen Linie, die man Realität nennt und die die Grenze darstellt zwischen Wahn und Magie. Der Leser hat dabei die Rolle des Beobachters, der darauf wartet, daß die Geschichte zur einen oder anderen Seite hin kippt. Allen rätselhaften Vorgängen zum Trotz nimmt die Realität einen großen Raum in diesem Buch ein und erstaunlicherweise heißt hier das zentrale Thema Mutterschaft. Stewart muß lange Gespräche mit seiner Ehefrau geführt haben, um so lebensnah und überzeugend den Mutter-Tochter Konflikt zwischen Elena und Toni zu beschreiben und um so eindrucksvoll die Ängste zu schildern, die Toni während ihrer Schwangerschaft durchmacht.
Stewart ist ein großartiger Erzähler, er schreibt lebendig, witzig und lebensnah. Das einzig Unbefriedigende an Hexensturm ist, daß er am Ende zu viele Erzählstränge offen und den Leser so in der Luft hängen läßt. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, warum Candy vorhergesehen hat, wie ausgerechnet der unsympathische Bill mit Tonis Baby spielt und wie lange die Ehe von Candy und Carlos hält, der einen Leichenwagen fährt, mit Geistern sprechen kann und Angst vor seiner toten Schwiegermutter hat.
Noch eine Warnung am Schluß: Bei der Lektüre dieses Romans könnten Sie unbändige Lust bekommen, Warentermingeschäfte zu tätigen. Mit Sicherheit werden Sie ihr ganzes Geld verlieren, wenn sie es versuchen, also lassen Sie es lieber bleiben…

Cover von Hokus Pokus Hexenschuss von Mike AshleyDiese Anthologie beinhaltet 32 humorvolle Geschichten verschiedener Autoren, die auf völlig unterschiedliche Weise an das Thema Fantasy herangehen.
In den Geschichten tauchen Hänsel und Gretel ebenso auf wie Helden, die diverse Schwierigkeiten mit ihren Schwertern haben oder Außerirdische, die der Erde einen Besuch abstatten.

-Voller Stolz präsentiere ich hiermit einen weiteren Band mit humorvollen Fantasy-Geschichten. Oh, Mist, nicht noch so eine blöde Einleitung! Wie bitte? Wer zum Teufel liest schon Einleitungen? Was soll das heißen? Die Leute sind an deinem Geschwafel gar nicht interessiert. Sie wollen gleich mit dem Buch anfangen!
Noch so eine blöde Einleitung

Mike Ashley hat in dieser Sammlung 32 Geschichten von hohem Niveau zusammengetragen, die von erstklassigen Autoren verfaßt wurden. Die Autorenangabe auf dem Cover ist willkürlich, wahrscheinlich hat der Verlag die beiden Autoren ausgewählt (John Cleese und Tom Holt), von denen man annahm, daß sie den meisten deutschen Lesern bekannt sind. Aber auch die Geschichten aller anderen Verfasser lohnen sich zu lesen. Ashleys Verdienst ist es, daß er auch zu Unrecht vergessenen Schriftstellern und ihren Geschichten einen Platz in dieser Anthologie einräumt. Die älteste Story ist 1907 zum ersten Mal erschienen, die meisten sind aber neueren Datums und dreizehn Geschichten wurden extra für dieses Buch verfaßt.
Da in der englischsprachigen Welt der Fantasy-Begriff nicht so eng ausgelegt wird, gibt es hier viele Geschichten aus den Bereichen Märchen, Science Fiction, Phantastik und auch abgedrehte Krimi-Parodien. Diese Bandbreite macht es so schwierig, etwas über das Buch als Ganzes zu sagen. Eigentlich müßte man jede Geschichte einzeln besprechen. Allen gemeinsam ist außer der hohen Qualität, die sich im Stil, in der Sprache, und dem Einfallsreichtum der Autoren äußert, nur die Skurrilität.
Hier ein paar Häppchen, um Appetit auf mehr zu machen: In “Der Auftritt der Charlie Chaplins” löscht ein Außerirdischer auf ebenso heimtückische wie originelle Weise halb Nebraska aus. Todesfälle häufen sich auch in “Der bleiche Assassine”. Wer diese Story liest, wird nur noch zu Hause essen. “Ferdie” erzählt die anrührende und traurige (hähä) Geschichte eines kleinen Alraunen, der die Gesellschaft von Menschen sucht. In “Der Besuch des Handlungsreisenden” erfährt der Leser, daß Engel auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren. “Ein Barbar auf dem Broadway” wirft sich die Frau, die er liebt einfach wie ein Sack Mehl über die Schulter, was diese nicht so recht goutiert. Und “Einer geht noch” beschreibt, welch schreckliche Folgen es haben kann, beliebt zu sein.

Zur Übersetzung: Da mir die englische Fassung nicht vorliegt, kann ich nichts darüber sagen wie originalgetreu die Übersetzungen sind. Man merkt vielen Geschichten aber an, daß die Übersetzer Spaß an ihrer Arbeit hatten. Eine besondere Erwähnung verdient Barbara Röhl, die es doch tatsächlich geschafft hat, in einer der von ihr übersetzten Geschichten eine Hommage an Herbert Görgens (Ingolf Lücks alter ego in der Wochenshow) unterzubringen und die damit für einen Extra-Lacher gesorgt hat.

Hounded von Kevin HearneAtticus O’Sullivan, vermutlich der letzte echte Druide, hat die letzten 2000 Jahre damit zugebracht vor einem recht aufgebrachten keltischen Gott zu flüchten, dem er das magische Schwert Fragaragh – The Answerer entwendet hat. Nachdem sich der Druide in der Wüste Arizonas niedergelassen und einen okkulten Buchladen eröffnet hat, dauert es nicht lange, bis ebenjener Gott ihn aufspürt und dem Druiden das Leben schwer macht. Atticus wäre jedoch nicht Atticus, wenn er neben seinem Charme und seinem Sinn für Humor nicht auch ein paar ordentliche Kräfte zur Verteidigung hätte.

– I have been around long enough to discount most superstitions for what they are: I was around when many of them began to take root, after all. But one superstition to which I happen to subscribe is that bad juju comes in threes. –
Kapitel 3, S. 24

2011 erschien mit Hounded (Die Hetzjagd) der erste Teil der Iron Druid Chronicles von Debütautor Kevin Hearne – und was für ein gelungenes und unterhaltsames Debüt er hier abgeliefert hat! Mit seinem Beitrag zur Urban Fantasy kommt frischer und gleichzeitig uralter Wind in das Genre, denn wir bewegen uns mit Druide Atticus O’Sullivan auf den Pfaden keltischer Mythologie. Die Gottheiten anderer Religionen und Kulturen werden am Rande ebenfalls erwähnt, einige davon kommen auch zu einem kurzen Auftritt. Ebenso dabei sind Menschen unterschiedlichster Herkunft. Polen, Russen, Iren, Inder, Dänen, Isländer, Indianer, Norweger, Mexikaner … und zur Freude aller ohne rassistische Vorurteile. Ähnlich erfreulich zeigen sich auch die Geschlechterrollen in Hounded, vornehmlich dadurch, dass es keine nennenswerten Unterschiede gibt. Im Fantasy-Genre heißt es gerne “Damals war das halt so”, womit ein überdominantes Rollenbild des Mannes und eine chronische Opferrolle der Frau in modernen Romanen und TV-Produktionen gerechtfertigt wird. Kevin Hearne scheint da andere Ansichten zu haben. Denn wie Atticus gleich zu Anfang betont, stammt er aus der Eisenzeit, wo man, anders als heute, auch als Mann besser kleine Brötchen backte und einer Frau mit ebensoviel Respekt begegnete wie einem Mann. Sonst konnte es passieren, dass man(n) ruckzuck durch weibliche Hand das Zeitliche segnete, denn die klischeehaften Rollenbilder von starkem und schwachem Geschlecht gab es zu seiner Zeit noch nicht (Gesetze gegen Selbstjustiz auch nicht). Auf diese Weise wird aus “Damals war das halt so” mal ein positives Argument statt einer billigen Ausrede und der Roman zu einer wirklich angenehmen Abwechslung.

Hounded ist auch sonst ein wunderbar gelungener Roman mit seinem Mix aus Moderne, Mythologie und Humor. Druide Atticus versteht es, gleichzeitig aus Star Wars und Shakespeare zu zitieren. Anders als in der ähnlich aufgebauten Buchreihe um den Magier Harry Dresden stellt die Technik für Atticus auch kein Problem dar – im Gegenteil. Er hat sich die Errungenschaften der Moderne zunutze gemacht, besitzt ein Mobiltelefon, führt einen Online-Shop, und in seinem okkulten Buchladen, wo er Heilkräuter mischt und magische Utensilien verkauft, ist eine Video-Überwachung angebracht. Kevin Hearne schafft es insgesamt sehr gut, unsere moderne Welt mit der alten, mythologischen Welt zu kombinieren ohne merkwürdige Ausflüchte finden zu müssen, um die Mystik zu bewahren. Hounded wirkt in sich rund, gegenwärtig und überzeugend. Man hat zu keiner Zeit das Gefühl, dass sich der Autor bemüht haben muss um bestimmte Details zusammen zu bringen.

In dieser sehr lebendig gezeichneten Welt existieren alle von Menschen erdachten Götter gleichzeitig. So kommt es, dass nicht nur eine Gottheit des Todes oder nur eine Gottheit der Liebe etc. herum streifen, sondern so viele davon, wie es verschiedene Religionen gibt. Hast du als charmanter Druide einen vorteilhaften Deal mit der keltischen Göttin des Todes abschließen können, schützt dich das noch lange nicht vor dem christlichen Tod … Erfreulicherweise ziehen es die meisten Götter vor, ihre Sphäre nicht zu verlassen – was zu herrlich absurden Momenten führt, wenn sie es doch einmal tun und feststellen müssen, dass sie nicht ganz auf dem aktuellen Stand der herrschenden Gepflogenheiten und Erfindungen sind. Die Gefahr, in einen Gott hineinzurennen, ist allerdings eher gering, zumindest solange, bis einer dieser Götter beschließt, sich ein Schwert zurückzuholen, das ihm vor verdammt langer Zeit abhanden gekommen ist – und damit plötzlich eine ganze Schar Gottheiten sich veranlasst sieht, dem letzten Druiden einen Besuch abzustatten.
Zu der Schar Götter gesellen sich außerdem auch noch Hexen, Ghoule, Vampire, Werwölfe, Riesen und ein paar Höllendämonen.

Die Gottheiten in Hounded sind besser mit Vorsicht zu genießen. Sie haben durchweg interessante Persönlichkeiten, die von undurchschaubar über listig bis hin zu soziopathisch reichen. Völlig egal wie menschlich die Götter einem ab und an dabei erscheinen, sie brauchen nur Sekunden, um zu beweisen, dass sie tickende Zeitbomben für den normalsterblichen Bürger sein können und eigentlich nur sich selbst im Kopf haben. Sie sind allerdings so naiv gleichgültig, dass man sie trotz einer harschen Urteilsweise als Leser ins Herz schließen muss.
Atticus dagegen, der einem mit seinen 2100 Jahren eigentlich auch schon göttlich vorkommen müsste, ist fest in der irdischen Welt verwurzelt, achtet als Druide die Natur, hat ein liebenswertes Wesen und kennt die Götter gut genug, um sie mit Respekt zu behandeln, ihnen aber auch auf recht lockere, freundschaftliche Art zu begegnen. Noch dazu ist er ein sexy Schwerenöter, lässt sich gerne mal von den keltischen Göttinnen sagen, wo der Hase lang läuft, und flirtet sich mit all seiner jugendlichen Ausstrahlung in die Herzen der Protagonistinnen und die der Leser, ohne dabei zum oberflächlichen Macho zu werden. Um seine Figur noch sympathischer zu machen, gesellt sich auch sein Sinn für Humor dazu, der am besten in Verbindung mit seinem liebsten Gesprächspartner, dem irischen Wolfshund Oberon, funktioniert. Oberon, dessen Instinkte sich im wesentlichen auf sein Fressen und französische Pudeldamen konzentrieren, ist einer der amüsantesten Charaktere dieses Buches. Im Team sind er und Atticus unschlagbar unterhaltsam.

Den einzigen Punktabzug, den man geben kann, gibt es dafür, dass sich der Autor gelegentlich wiederholt und seine Scherze manchmal ein wenig zu konstruiert wirken. Vermutlich ein Anfängerfehler, der jedoch nicht weiter ins Gewicht fällt bei der sonst so überzeugenden Arbeit, die er mit Hounded abgeliefert hat. Als abschließendes Urteil gilt daher: höchst empfehlenswert für jeden, der Urban Fantasy lesen möchte und ein Herz für keltische Mythologie hat.

Sprachlich ist Hounded eher den etwas geübteren Englisch-Lesern zu empfehlen. Das Vokabular besticht öfter durch weniger gängige Begriffe und die nicht wenigen Einsprengsel irischer Namen, Sprichwörter und Bezeichnungen könnten ungeübte Leser durchaus aus dem Lesefluss bringen. Mit verschriftlichtem Akzent ist ebenfalls zu rechnen. Im Vorwort gibt es allerdings auch ein paar Tips, wie die irischen Namen und Orte betont werden (wenn einen das interessiert) und eine kurze Erläuterung ihrer Bedeutung.

The Hounds of Ash von Greg KeyesFool Wolf, ein von seinem Stamm ausgestoßener verhinderter Schamane, der sich nun als Krieger, aber vor allem als Betrüger durchschlägt, hat ein Problem mit seiner Totemgöttin: Wann immer er die unberechenbare Chugaachik anruft, übernimmt die wilde Göttin seinen Körper und richtet gegen seinen Willen verheerende Blutbäder und Übleres an. Obwohl Chugaachik ihn unüberwindbar macht, ist Fool Wolf darauf aus, sie loszuwerden, doch das gestaltet sich schwierig und führt ihn von einem Abenteuer ins nächste, zu wunderschönen Frauen, bösen Zauberern, zu Riesen und Dämonen, wobei er nicht immer vermeiden kann, in brenzligen Situationen auf Chugaachiks Hilfe zurückzugreifen.

-Fool Wolf glared angrily at the ghost of his father.
“Quit telling Yellowhammer what to do”, he snapped, trying in vain to turn his horse’s head back the way it had pointed.-
Wakes the Narrow Forest

Einen Schamanen-Versager namens Fool Wolf, der sich, verfolgt vom Geist seines ehrgeizigen Vaters, mehr schlecht als recht durch die Welt schlägt, muß man sich natürlich unbedingt näher ansehen, sobald er am Lese-Horizont auftaucht. Doch es kommt ganz anders und nicht halb so vordergründig komisch, wie vielleicht erwartet: Fool Wolf ist eigentlich ein schlaues Kerlchen und könnte direkt einer Geschichte von Fritz Leiber entsprungen sein – der Möchtegern-Schamane von den Mang, einem halbnomadischen Reitervolk der Prärie, ist unterm Strich eher Dieb, Betrüger und charmanter Frauenheld, dem das Schicksal in Form seiner abgrundtief bösen Totemgöttin übel mitgespielt hat. Sie weiß sein Glück so effektiv zu verhindern, daß ihm nichts anderes übrig bleibt, als auszuziehen und zu versuchen, die unerwünschte Verbindung zu lösen, und dieser Zweck heiligt fast alle Mittel, denn Fool Wolf ist sich immer selbst der Nächste. Daß dieser Antiheld das Herz trotzdem am rechten Fleck hat, zeigt die Tatsache, daß er die beeindruckende Macht der Gottheit niemals wollte – er kennt ihren Preis zu gut.

Über diese und noch einige Hintergründe mehr wird man in der ersten Geschichte Wakes the Narrow Forest aufgeklärt, die gleichsam eine Einführung in Figuren und Situation ist und vor allem mit leisen Zwischentönen glänzt.
Außerdem lernt man hier auch die Prinzipien des ausgesprochen phantasievollen Settings kennen, eine Art alternatives präkolumbisches Amerika, in dem die Götterwelt mit ihren großen und kleinen Gottheiten und Dämonen gleich unter der Oberfläche lauert, und der Held durch seinen Sonderstatus eigentlich stets schon mit einem Fuß mitten in diesem (Alp-)Traum-Reich steht. Greg Keyes, um den es in letzter Zeit sehr still geworden ist (er ist momentan wohl ausschließlich im Bereich der Game-tie-ins tätig), hat sich mit diesem phantastischen Amerika ohne koloniale Einflüsse einem Lieblingsthema zugewandt, das er schon in seinem ersten Roman The Waterborn (dt. Aus Wasser geboren) behandelt hat, und man merkt dem prächtigen Entwurf an, daß der Autor mit Herz und Seele bei der Sache ist (und als Anthropologe auch weiß, was er tut).

Diese Kurzgeschichten-Sammlung entführt in weite, unbekannte Teile der Waterborn-Welt: Das Prärieland von Fool Wolfs Stamm lernt man dabei nur noch als ferne Erinnerung kennen, denn die Abenteuer führen ihn erst in den düsteren Norden, dann in den farbenprächtigen Süden seines Kontinents. Von einer Karl-May-Idylle könnten Fool Wolfs Jagdgründe nicht weiter entfernt sein – hin und wieder kommen Anklänge an meso-amerikanische Kulturen auf, aber Vieles ist auch völlig eigenständig, oder hat man schon einmal von indigenen Völkern gehört, die Wolkenkratzer bauen? Menschenleere Wälder stehen neben lebendigen Metropolen, deren Existenz sich in dieser magiedurchwirkten Welt nicht selten auf einem Handel mit einem der vielen Götter gründet, und damit auf tönernen Füßen steht, sobald Fool Wolf mit seiner nicht ganz unbedeutenden Göttin seine Aufwartung macht.

Die Geschichten selbst sind abenteuerliche, kleine Juwelen, vom Geist der Sword & Sorcery durchweht, in denen sich Fool Wolfs ganze trickreiche Brillanz offenbart, aber auch die Abgründe seines Totems deutlich werden, bis es in der dreiteiligen, fast schon als Novelle durchgehenden Finalgeschichte The Hounds of Ash dann richtig zur Sache geht, indem alle vorherigen Figuren und Ereignisse zu einem großen, beeindruckenden Mosaik zusammengebracht werden.
Neben vielen Überraschungen und Wendungen in jeder Geschichte sorgt vor allem der launige Humor für Abwechslung – auch in übelsten Lagen ist Fool Wolf nie um einen trockenen Spruch verlegen, und trotz seines bedrückenden Totems verliert er kaum je die Zuversicht und ist allzeit bereit für aberwitzige Rettungsversuche und unkonventionelle Lösungen. Ein Glanzstück, das den schmalen Grat zwischen Düsternis und Heiterkeit hervorragend meistert, ist The Fallen God, in dem Fool Wolf in einer Stadt mit einem grausamen Blutkult den edlen Helden Uzhdon trifft, den “Opal von Nah”, der mit seiner unumstößlichen Rechtschaffenheit zur Heldenkarikatur und zum leichten Opfer für den Trickster-Helden wird.

The Hounds of Ash und die restlichen Geschichten von Fool Wolf sind eine vergnügliche, kurzweilige Lektüre, nach deren Beendigung man sich eigentlich nur wünschen kann, Greg Keyes würde noch viele Male zu seinem unbekümmerten Antihelden zurückkehren, denn er weiß offenbar sehr wohl, wie man die Totemgötter der Pulp- und Abenteuer-Literatur beschwört.

Cover des Buches "Huguenins Frau" von Matthew Phipps ShielDas Buch enthält sechs phantastische Erzählungen von Matthew Phipps Shiel: Vaila; Huguenins Frau; Elendes Los eines gewissen Saul; Die Braut, Der bleiche Affe, Der Primas der Rose. Außerdem gibt es eine vom Autor geschriebene Einleitung und im Anhang eine von ihm verfaßte, kurze, Selbstbiographie mit dem Titel Was mich betrifft. Javier Marías, der diese Kurzgeschichtensammlung herausgibt, hat ein Vorwort geschrieben und im Anhang findet man die von ihm verliehenen Titel und Ämter des (halb) fiktiven Königreiches Redonda. Näheres zum Inhalt erfahrt ihr in der Buchbesprechung.

-Vor vielen Jahren stand ich als junger Student in Paris dem großen Corat nahe und wurde an seiner Seite Augenzeuge mehrerer jener Fälle von Geisteskrankheit, die er mit unvergleichlicher Meisterschaft analysierte .-
Vaila

Wahnsinn, Tod, Rache und die Unerbittlichkeit des Schicksals sind die beherrschenden Themen in Shiels Kurzgeschichten.
Vaila ist eine von hohen Felsen umgebene, nördlich von Großbritannien, inmitten gefährlicher Strudel gelegene, sturmumtoste Insel, und der Stammsitz derer von Harfager. Als seine Mutter im Sterben liegt, bitte Haco von Harfager seinen alten Studienfreund, den Ich-Erzähler der Geschichte, ihn zu besuchen.
Schon die Überfahrt erweckt in dem Freund den Eindruck, als führte unsere Fahrt ins Jenseits dieser Welt und was ihn auf Vaila erwartet, könnte schlimmer nicht sein. Harfagers Mutter ist tot und wartet im offenen Sarg auf ihre Beerdigung. Haco selbst ist vorzeitig gealtert und wirkt verwahrlost. Er leidet unter Halluzinationen und der fixen Idee, dass ein alter Fluch das Haus und das Leben der letzten Harfangers -seines und das seiner Schwester- bedroht. Ein grauenhaft entstelltes Faktotum kümmert sich um das Haus, und die Insel scheint sich auf unerklärliche Weise zu drehen.
Jede Zeile dieser Geschichte atmet Verfall und Bedrohung und die Szenerie ist unheimlich.  Dennoch geht Vaila dem Leser nicht wirklich unter die Haut. Allzu deutlich erinnert die Erzählung an Poes Untergang des Hauses Usher, allzu genau erfüllt sich die Erwartung des Lesers, die durch die Erwähnung von Wahnsinn, Tod und einem alten Fluch geschürt worden ist, und zu artifiziell ist das Gebilde, von dem die Bedrohung ausgeht – ein riesiges Stundenglas. Ein Stundenglas, auch wenn es in absehbarer Zeit seinen Dienst einzustellen droht, wirkt nicht so angsteinflößend, wie z.B. ein beständig unaufhaltsam näherrückendes Pendel wie in Poes Geschichte Die Grube und das Pendel, und schließlich darf der Leser eines von einem Ich-Erzähler verfaßten Berichtes immer darauf hoffen, daß die Geschichte wenigstens für einen der Protagonisten gut ausgeht. Dies alles trägt dazu bei, dass der Leser trotz der unheimlichen Atmosphäre eher in die Rolle eines stillen Beobachters gedrängt wird, als in die, eines unsichtbaren, mitleidenden und sich ängstigenden Beteiligten. Dennoch ist Vaila zweifellos die beste der hier versammelten Geschichten.
Die zweite Erzählung, Huguenins Frau, beginnt ähnlich wie die erste. Der Ich-Erzähler erhält den verzweifelten Brief eines alten Freundes, der allein mit zwei Dienern, die ihn beharrlich zu meiden scheinen, in einem riesigen Haus auf der griechischen Insel Delos lebt und sich nach menschlicher Nähe sehnt. Diesmal geht die Gefahr von einem schrecklichen Ungeheuer aus, das auf geheimnisvolle Weise mit Huguenins verstorbener Frau in Verbindung zu stehen scheint. Auch hier wieder findet man viel Poe, vermischt mit ein wenig griechischer Sagenwelt.
In Elendes Los eines gewissen Saul gibt es sogar zwei Ich-Erzähler. Der erste, in der Rahmenerzählung, gibt den Bericht des mittlerweile lang verstorbenen James Dowdy Saul wieder, den er in einer Manuskript-Truhe der Cowling-Bibliothek gefunden hat.
Der zweite Erzähler, Saul, erzählt um 1601 im Alter von 60 Jahren kurz, aber eindrucksvoll, von seinen Abenteuern auf See und zu Land. Er berichtet, wie er 1571 auf Hispaniola in die Hände der Spanischen Inquisition fällt, auf ein Schiff verfrachtet und während eines Sturms in einem Faß über Bord geworfen wird. Das Faß sinkt rasch mit seiner lebendigen Fracht. Saul macht alle Qualen eines Ertrinkenden durch und gelangt schließlich in eine mit Luft gefüllte Höhle, in der sich auch ein Süßwassersee befindet. Nahrung bieten ihm die Tiere und Früchte des Meeres.
Dies ist keine Horror-Geschichte im Stile Poes. Elendes Los eines gewissen Saul ist eine Abenteuergeschichte und wäre der Autor unbekannt, könnte man die Theorie verfechten, dies sei eine von Jules Verne verfaßte Version von Robinson Crusoe.
“Die Braut heißt Rachel Evans.”, teilt Walter Teeger dem Standesbeamten mit, als er sein Aufgebot bestellt. Dies ist die reine Wahrheit, der Beamte weiß allerdings nicht, daß es zwei Schwestern gibt, die beide nach ihrer Großmutter “Rachel” heißen.
Die eine, “Annie Rachel” wird “Annie” gerufen, die andere, “Mary Rachel”, “Rachel”. Walter liebt Annie, aber Rachel liebt Walter und zeigt ihm dies überdeutlich, obwohl zu dieser Zeit von Frauen Zurückhaltung im Ausdruck ihrer Gefühle erwartet wurde. Walter ist von Rachels so offensiv zur Schau getragener Leidenschaft berückt und gebannt und kann sich nicht entscheiden, welche von beiden er nun heiraten soll. Da entscheidet das Schicksal für ihn, – um dann seinen unvermeidlichen Lauf zu nehmen. Wieder finden sich eindeutige Anklänge an Poe.

Der bleiche Affe spukt angeblich im Hause Sir Philip Listers, in das eine Gouvernante kommt, um die zwölfjährige Esmé, Vollwaise und Nichte Sir Philips, zu unterrichten. Das Mädchen behauptet steif und fest, es habe den Geist eines riesigen Affen gesehen, der früher zusammen mit den anderen, noch lebenden Affen in einem Käfig nahe eines Wasserfalls lebte. Um die Spannung nicht zu verderben, soll hier nur so viel gesagt werden, daß Shiel sich ganz offensichtlich an einen berühmten Roman der Weltliteratur anlehnt.
In Der Primas der Rose hat der verheiratete E.P.Crooks ein Verhältnis mit der 25 Jahre alten Minna Smyth, deren Bruder Crichton er kennt. Crichton erzählt Crooks von einem exklusiven Geheimbund, der eine geheimnisvolle Wohnung in London unterhält, von der nur das Oberhaupt, der sogenannte Primas der Rose weiß, wo sie sich befindet. Crooks beschwatzt Crichton, ihm den geheimnisvollen Raum zu zeigen. Der stimmt nach langem Zögern zu, besteht aber darauf, Crooks die Augen zu verbinden, damit er den Weg nicht wiederfinden kann. Schließlich steht Crooks allein in dem ominösen Raum und nimmt die Binde von den Augen…
Was mich betrifft ist Shiels kurze, mit Selbstironie gespickte Lebensbeschreibung, in der er auch sehr warmherzig über seinen Vater spricht.
Die Auflistung der von Javier Marías verliehenen Titel und Ämter des Königreiches Redonda ist eher ein Insidergag zwischen Marías und den Genannten, von denen nur wenige so bekannt sind wie Pedro Almodovar, Antonia Susan Byatt, John Michael Coetzee und Francis Ford Coppola.
Redonda ist ein fiktives Königreich auf der gleichnamigen unbewohnten Antilleninsel. Shiel wurde im Jahr 1880 von seinem Vater zum ersten König dieser Insel gekrönt. Der vierte König ist nun Javier Marías, der dafür die Erinnerung an das Königreich, die Legende und die früheren Könige wachhalten muß und dafür die Rechte an Shiels Werk geerbt hat und so viele Ämter und Titel verleihen darf, wie er möchte. Sehr viel mehr sagt er über Redonda nicht, denn wie Javier Marías in seinem Vorwort Nur Luft und Rauch und Staub mitteilt, hat er das schon in seinen Romanen Alle Seelen und Schwarzer Rücken der Zeit getan und gedenkt nicht, sich zu wiederholen. Dieses “Fischen nach Lesern” für seine eigenen Werke hat Marías eigentlich nicht nötig und es ist für den Leser nur ärgerlich.
Fazit: Auch wenn die Erzählungen häufig an Poe und andere berühmte Schriftsteller erinnern, und das schreckliche Ende oft vorhersehbar ist, so sind die Geschichten doch höchst unterhaltsam und decken ein breites Spektrum der Phantastik, von der Horrorgeschichte (Vaila), über den Schauer”roman” bzw. die Prosaversion einer Ballade (Die Braut) bis hin zur Entdeckung fremder, außergewöhnlicher Welten (Elendes Los eines gewissen Saul), ab. Außerdem hat Shiel sich nicht nur von berühmten Autoren inspirieren lassen, sondern hat unzweifelhaft auch anderen als Vorbild gedient. Für Freunde der Phantastik sind Shiels Erzählungen ein Muss – lesenswert sind sie allemal.

Hunted von Kevin HearneWer es sich mit den richtigen Göttern verscherzt, nimmt besser die Beine in die Hand! Gerade erst sind Atticus und Granuaile den lästigen Bacchus los geworden, da schicken sich die nächsten Götter an, die beiden Druiden quer durch das moderne Europa zu jagen. Artemis und Diana, die Göttinnen der Jagd, sind wenig begeistert von der Gefangennahme Bacchus’ und nur zu gewillt, die beiden Druiden endlich ins Jenseits zu befördern.

– When the blurred shape of Atticus fell in front of me, at first I thought he’d simply tripped and I almost laughed, because pratfalls have been amusing since the Stone Age. Then I heard the belated crack of a rifle to the south and Oberon’s startled cry: »Atticus!« –

Hunted schließt nahtlos an das Ende von Trapped an und man wird als Leser direkt in die Jagd bzw. Flucht hinein geworfen. Wenn man zwei Göttinnen der Jagd auf den Fersen hat, bleibt nicht viel Zeit für Verschnaufpausen oder entspanntes Geplänkel. Besonders dann nicht, wenn man es mit wirklich unsterblichen Göttern des Olymp zu tun hat. Da muss man auch als Druide tief in die Trickkiste greifen, um sich aus der Affaire zu ziehen. Leicht ist das nicht, denn man weiß nicht, wem zu trauen ist. Noch immer treibt sich ein Verräter in Tír na nÓg herum, die Dunkelelfen liegen ebenfalls auf der Lauer, Loki ist unterwegs um neues Unheil zu stiften, Scharfschützen kontern mit modernen Waffen, Seemonster haben Entscheidungsprobleme bei der Fütterung und die Vampire sind auch nicht fern.

Die Dialoginhalte wirken diesmal an machen Stellen etwas erzwungen und vor allem mit dem Humor tut sich der Autor da schwerer als sonst. Vielleicht liegt es aber auch an der eher ungünstigen Kombination von Humor und Überlebenskampf, dass die Witze diesmal nicht so richtig zünden. An der Situationskomik ändert das wenig, die beschriebenen Szenen wirken weiterhin, nur in den Dialogen passen die scherzhaften Kommentare nicht unbedingt zum Geschehen. Hunted bleibt unterhaltsam und steuert einiges zur Charakterentwicklung bei, das lustigste Buch der Reihe ist es aber nicht, da es thematisch eben doch etwas ernster zur Sache geht.

Eine kleine Besonderheit gibt es diesmal noch oben drauf: wechselnde Erzähler. Teile des Buches werden aus der Sicht von Granuaile erzählt, und erfreulicherweise verleiht ihr der Autor auch eine eigene Stimme, die nicht wie eine Modifikation von Atticus wirkt. Granuailes Gedanken wirken etwas ernster, sortierter und sie bilden einen angenehmen Kontrast zu der sonst üblichen Erzählperspektive von Atticus. Es ist auch interessant zu sehen, wie unterschiedlich die beiden Charaktere ihre Bindung an die Erde zelebrieren. Während Atticus natürlich schon vieles akzeptiert hat, ist Granuaile noch voller Erstaunen und Ehrfurcht für ihre neuen Gaben und Fähigkeiten, was sich in ihren Gedanken immer wieder ausdrückt. Dadurch erhält der Leser jenes Maß an druidischem Flair, das in der sehr modernen Umgebung bisher recht kurz kam. Auch Oberon überrascht stellenweise mit ungewohnt tiefgängigen Gedanken.

Der einzig wirklich bittere Beigeschmack bei Hunted ist wohl, dass es auf Dauer doch etwas ermüdend wird, den Protagonisten immer und immer wieder auf der Flucht beizuwohnen. Während die übergeordnete Handlung um Loki und Ragnarök eher spärlich dahintröpfelt, passiert auch sonst nicht viel mehr. Es bahnen sich weiterhin an allen Ecken potentielle Konflikte an, leider kommt bisher nichts davon in Gang, und die ständigen beinahe-tot-Momente verlieren, genau wie bei Kollege Harry Dresden, irgendwann ihren Reiz. Bleibt abzuwarten ob Kevin Hearne mit Shattered wieder etwas mehr zielgerichtete Bewegung in die Geschichte bringen wird, statt sich um möglichst viele Dramen zu bemühen.

I Am Not A Serial Killer von Dan WellsJohn Wayne Cleaver ist fünfzehn Jahre alt und studiert mit Vorliebe das Verhalten von Serienmördern, denn John ist ein Soziopath, der gegen seine Neigungen ankämpft, um nicht selbst zum Killer zu werden. Dazu hat er zahlreiche Regeln für sich selbst aufgestellt. Doch als ein echter, praktizierender  Serienkiller in seiner Stadt Einzug hält, beginnen Johns mühsam errichtete Regeln zu zerfallen und der Killer in ihm drängt immer weiter an die Oberfläche. Als John erkennt, dass der Serienkiller kein Mensch ist, sieht er seine Chance gekommen, seiner mordlüsternen Phantasie nachzugeben unter dem Deckmantel dabei etwas Gutes zu tun.

– In coming here, I was digging at the foundations of something larger and deeper, scratching tiny lines in a wall I dare not breach. There was a monster behind that wall, and I had built it strong to keep the monster at bay; now it stirred and stretched, restless in its dreaming. There was a new monster in town, it seemed – would its presence awaken the one I kept hidden? –
Kapitel 2, S. 30

I Am Not A Serial Killer (Ich bin kein Serienmörder) ist ein Buch, das unter die Haut geht und dort langsam und unheimlich unter der Oberfläche herum kriecht. Es laufen einem mitunter eiskalte Schauer über den Rücken, der Roman ist also nicht unbedingt etwas für Zartbesaitete. Im klassischen Sinne handelt es sich bei dieser dreiteiligen Buchreihe auch nicht gerade um waschechte Fantasy, vielmehr ist es ein Psychothriller mit einem Dämon in der Nebenrolle. Soviel vorweg gesagt, auf ans Eingemachte!

Der Debütroman des Autors Dan Wells schlägt eine sehr ungewöhnliche Richtung ein, indem er seine Geschichte aus der Sicht eines potentiellen Serienmörders erzählt. John Cleaver hat es bisher geschafft, seine dunklen Gelüste zu kontrollieren, doch der Leser bemerkt schon von den ersten Sätzen an, dass der Junge eine tickende Zeitbombe ist, die jeden Moment explodieren könnte. In seiner Freizeit hilft er leidenschaftlich gerne im Bestattungshaus seiner Mutter aus, seine Schulreferate drehen sich immer um Serienmörder. Nach außen hin wirkt John trotzdem fast wie ein normaler Teenager, doch in seinem Inneren herrscht ein unerbittlicher Kampf zwischen Gut und Böse. Es ist insbesondere dieser immer gegenwärtige Kampf mit sich selbst und der ungewöhnliche Einblick in den Geist eines Menschen, der davon träumt, jemanden zu töten, was I Am Not A Serial Killer so eindringlich macht. Man erlebt düstere Gedanken darüber, wie John im Geiste mit einer erschreckend analytischen und gut informierten Routine die Funktionen und Schwachpunkte des menschlichen Körpers durchgeht, wie er lauernd auf den richtigen Moment wartet und seine Anspannung aufspart. Der Junge weiß, wie er morden kann, aber auch, dass er nicht morden darf. Hin- und hergerissen zwischen Wunsch und Rechtsbewusstsein, fesselt der Protagonist den Leser auf diese Weise an das Buch, seien seine Schilderungen auch noch so “alltäglich”. Was für John zum normalen Tagesablauf gehört, wirkt auf den normalen Leser meist doch ziemlich erschreckend.

Als Antiheld tritt John nun einem Dämon gegenüber, der in vielen Belangen wesentlich menschlicher erscheint in seinem Handeln und seinen Beweggründen als der Junge. Trotzdem ist John ein Charakter, den man nicht hassen kann und dem man wünscht, dass er irgendwann einfach “gesund” werden kann. Der Dämon selbst wird dabei fast zur Nebensache, denn der Hauptgegner bleibt immer Johns eigene unterdrückte Seite. Nichtsdestotrotz bekleidet der Dämon eine wichtige Position in diesem Roman, denn er ist es, der Johns Tätigkeiten und Gedanken beflügelt. Alles wird von einem sarkastisch-zynischen Unterton des Protagonisten begleitet, der Galgenhumor als eine Option sieht, mit seinem inneren Ich zurechtzukommen. Das macht dieses Buch nicht nur extrem spannend, sondern auch sehr unterhaltsam, und stellenweise lockt es dem Leser ein böses Lachen über die Lippen.

I Am Not A Serial Killer ist ein Pageturner von der unheimlichsten Sorte, da er soviel realistische Möglichkeiten beleuchtet. Die Erzählung wirkt sehr glaubhaft konstruiert und nachvollziehbar. Zumindest für Leser, die weder Soziopathen noch Therapeuten sind, dürfte es sehr überzeugend erzählt sein und eine buchstäblich unheimliche Wirkung entfalten.
Wer sich neben Fantasy auch gerne mal in die Welt der Krimis und Thriller begibt und mit wenig phantastischen Elementen zufrieden ist, der wird John Cleaver garantiert lieben. Für eher schwache Nerven und Freunde klassischer Phantastik ist das Buch dagegen nicht zu empfehlen.

Ich bin kein Serienkiller von Dan WellsJohn Wayne Cleaver ist fünfzehn Jahre alt und studiert mit Vorliebe das Verhalten von Serienmördern, denn John ist ein Soziopath, der gegen seine Neigungen ankämpft, um nicht selbst zum Killer zu werden. Dazu hat er zahlreiche Regeln für sich selbst aufgestellt. Doch als ein echter, praktizierender Serienkiller in seiner Stadt Einzug hält, beginnen Johns mühsam errichtete Regeln zu zerfallen und der Killer in ihm drängt immer weiter an die Oberfläche. Als John erkennt, dass der Serienkiller kein Mensch ist, sieht er seine Chance gekommen, seiner mordlüsternen Phantasie nachzugeben unter dem Deckmantel dabei etwas Gutes zu tun.

– Hinten in der Leichenhalle war niemand außer mir und Mrs Andersons Leiche. –
Eins

Zu Ich bin kein Serienkiller liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Ich und die anderen von Matt RuffAndrew Gage ist zwei Jahre alt und arbeitet als Hausmeister in einer Firma für Virtual Reality Projekte. Für einen Zweijährigen eine ungewöhnliche Beschäftigung und es wäre sicher aufgefallen, wenn sein Körper nicht bereits achtundzwanzig Jahre alt gewesen wäre.
Dennoch könnte man sagen, Andy führt ein normales und relativ ereignisloses Leben mit seiner Familie. Doch Andys Familie ist eine Besonderheit, denn sie alle wohnen in einem imaginären Haus in seinem Kopf.

-Mein Vater rief mich heraus.
Ich war sechsundzwanzig, als ich aus dem See kam, was manche Leute wundert, die sich fragen, wie ich ein Alter haben konnte, ohne eine Vergangenheit zu haben. Aber auch ich wundere mich: Die meisten Leute, die ich kenne, können sich an ihre Geburt nicht erinnern, und – das ist das erstaunlichste – es stört sie gar nicht, dass sie sich nicht erinnern.-
Seite 9

Obwohl das Buch nicht mit Matt Ruffs Erstlingswerk Fool on the Hill zu vergleichen ist, schreibt Ruff hier wieder eine fantastische Geschichte auf realem Boden mit realen Problemen. Mit diesem Buch beweist er einmal mehr, dass seine Werke in keine Genre-Schublade passen. Sie sind ein wenig fantastisch, aber zu real um gänzlich Fantasy zu sein. Vielleicht zeigt das auch nur, wie viel Phantastik in unserer Welt verborgen liegt.

Dennoch: Dieses Buch ist schwere Kost. Nicht im sprachlichen Sinne und auch nicht was seine Verständlichkeit angeht. Nein, Ich und die anderen (Set This House In Order) bleibt hängen und windet sich für eine ganze Zeit fest um die Seele, melancholisch, traurig, ein wenig hoffnungsvoll, auf jeden Fall ernüchternd. Wer aber glaubt, ein Buch um das Thema multiple Persönlichkeit müsse zwangsläufig ausschließlich ernst und trocken aufgezogen sein, um dem Thema respektvoll zu begegnen und Humor habe darin keinen Platz, der täuscht sich. Neben den durchaus ernsten und bedrückenden Schicksalen der Hauptpersonen kommt der Humor keinesfalls zu kurz. Dieser Roman steckt nämlich voller Überraschungen und ist so wandlungsfähig, dass es einen so unvorbereitet trifft, wie ein Schlag mitten ins Gesicht.

Gerade die erste Hälfte des Buches animiert zum Schmunzeln und auch mal zum lauthals Auflachen. Bis zum Schluss ahnt man so nicht im Geringsten, wohin dieser Roman seinen Leser führt. Manchmal ist das Buch so spannend, fantastisch und komisch, dass man es kaum zur Seite legen kann und dann wieder so bedrückend, dass man es eine Weile zur Seite legen muss, um die geschilderten grausamen Ereignisse erst einmal verdauen zu können. Eben jene Ereignisse, von denen an dieser Stelle nichts verraten wird, haben zur Spaltung von Andy Gages Psyche geführt und damit wiederum eine ganz andere, für den Leser charmante Situation erschaffen, die auch für einen fantastischen Roman ungewöhnlich ist.
Ich und die anderen beginnt mit einer absurden Komik und wunderbar gezeichneten, starken, teilweise imaginären, Charakteren, nur um in einer vollkommen unerwarteten Ernsthaftigkeit zu gipfeln, die dem Buch zu seinem wahren Erinnerungswert verhilft, den Leser aber auch ausgesprochen unsanft in die Realität zurück holt. Es lässt die Krankheit dabei weniger als Krankheit erscheinen sondern vielmehr wie eine alternative Lebenseinstellung.

Dieses Buch spielt mit Gegensätzen, die auch Wochen später immer noch beschäftigen. Es fällt selten so schwer ein Buch angemessen zu beschreiben, da man Ich und die anderen viel mehr erfühlt als begreift und nur schwer in Worte fassen kann. Die nachhaltige Wirkung dieses Romans geht über das normale Begreifen des Verstandes hinaus und zwingt den Leser zu einer emotional erfühlten Bewertung des Gelesenen und der letztendlichen Frage, ob man im realen Leben einen an MP erkrankten Menschen mit derselben liebevollen Sympathie begrüßen würde, wie man es bei der Lektüre über Andy und seine Hausgemeinschaft beinahe selbstverständlich macht.

Empfehlenswert für alle, die nicht zu zartbesaitet sind und nicht nur seichte Unterhaltung oder Fantasy nach Schema F suchen.

Cover von Im Land der Affenmenschen von Jane GaskellNachdem Cija durch eine lange Seereise aus Atlantis flüchtete, kommt sie in einer unbekannten Stadt an. Der Kapitän des Schiffes beschließt, die Bordkasse etwas aufzubessern und Cija in ein Bordell zu verkaufen, aber der Schiffsjunge Aal hilft ihr zu entkommen und bringt sie im Bordell seiner Mutter unter. Cija erkennt schnell, daß Prostitution sie endgültig zerstören würde. Doch sie hat Glück im Unglück, denn ihr erster Freier ist ein romantischer Junge, der ihr zusammen mit seinen Kumpels eine weitere Flucht ermöglicht und seine Mutter davon überzeugt, sie und ihre Tochter im Haushalt aufzunehmen. Dort lebt sie für eine Zeit zufrieden, bis sie feststellt, daß sie in ihrer Geburtsstadt angekommen ist und ihr Vater, der Hohepriester, verzweifelt nach ihr sucht – um sie zu töten…

-Ein hochgewachsener Seemann trug mich auf die Uferstraße.-
Das kalte kleine Freudenhaus

Das Geschehen trägt sich ausschließlich in der namenlosen Stadt von Cijas Geburt und dem umliegenden Dschungel zu. Im Gegensatz zu den Vorgängerbänden wird die Umgebung kaum geschildert. Die Stadt ist heruntergekommen, denn in den letzten Jahrzehnten wurde sie wiederholt geplündert und seitdem der König des Nordreiches Zerd ausschickte, wurde es besonders schlimm. Die Stadt hatte niemals viele Steinbauten, aber nach den letzten Besetzungen besteht sie fast nur noch aus Holz- und Strohhütten. Dominiert wird die Stadt im doppelten Sinne vom Tempel – zum einen ist da das monumentale Bauwerk und dann die omnipräsente Priesterschaft. Sie ist verhaßt – aber auch so sehr gefürchtet, daß die meisten Opfer ohne Gegenwehr mitkommen. Und Opfer gibt es viele, denn die Götter verlangen danach. Ganze Plätze sind mit den Überresten von unliebsamen Bewohnern, die den Opfertod starben, übersät. Aber nicht nur die Gewalt der Priester verunsichert die Stadt – Adlige feiern Orgien, bei denen die auf der Straße gefangenen Frauen schlimmstes zu erwarten haben; Kriminelle, Bordellwirte und Sklavenhändler sind keineswegs zimperlicher. Die Gesellschaft erinnert entfernt an die der Azteken. Die Schilderungen lassen bisweilen ein leichtes Gefühl von Urbanität aufkommen.

Die magischen Elemente sind offensichtlicher und gewöhnlicher als früher. Cija hat einen Schutzzauber gelernt, die Priester nutzen zuweilen welche, eine Unsterbliche demonstriert ihre Macht, es gibt Affenmenschen, Geister und Dinosaurier. Gaskell bietet eine bunte Palette; es paßt zwar alles zum Setting, wirkt z.T. unausgereift und aus bloßem Selbstzweck eingeworfen – etwas uninspiriert, wenn auch mit einigem Geschick umgesetzt.
Cija ist wieder die zentrale Figur; die ehemalige Göttin ist weit herum gekommen und heruntergekommen. Sie will keinen Mann mehr, sie will keine Intrigen in feinen Palästen mehr, sie will nur noch in Frieden ein einfaches Leben führen und sich um ihre Tochter Seka kümmern (wenngleich es Cija nicht besonders stört, als sie diese bei ihrer Pflegefamilie zurücklassen muß). Das ist alles ohne weiteres nachvollziehbar – wenn man ihre Vorgeschichte kennt. Ein paar mehr Erläuterungen wären hier hilfreich gewesen. Cija ist ein wenig aktiver als in den Vorromanen, aber immer noch eine ungewöhnlich passive Figur – da aber die Handlung rascher voranschreitet, bemerkt man dieses nicht so sehr. Es treten ein paar bekannte Figuren – wie Zerds stumme Tochter Seka, Cijas inzestuöser Halbbruder und Liebhaber Smahil und Cijas göttliche Mutter – und einige neue Gesichter – wie Bronza und Urga, die kecken Schwestern des romantischen Jungen, der Cija aus dem Bordell rettet, und der Rest ihrer bodenständigen Familie, der einfache Affenmensch Ung-g, bei dessen Stamm Cija eine Zeit lang lebt, und der mächtige und korrupte Hohepriester, Cijas Vater, der sie dringend töten will – neben etlichen anderen auf. Insgesamt sind die Figuren einfacher, aber kräftiger charakterisiert – Cijas Verhältnis zu Smahil wird z.B. auf deren Liebesbeziehung reduziert.

Cija führt ihr Tagebuch weiter, aber die alltäglichen Einträge sind mittlerweile fast komplett verschwunden. Rasant gerät die junge alleinerziehende Mutter von einem Abenteuer ins andere. Auch wenn sie immer das potentielle Opfer ist, kann sie häufig vor dem Schlimmsten durch eigenes Handeln oder fremde Hilfe fliehen.
Die thematisierte Sexualität ist allerdings etwas befremdlich; im Bordell wird darüber diskutiert, ob es das kalte Bett unter dem Fenster oder ob es “[…] der Fick mit dem Esel [war], der [die Prostituierte] so fertiggemacht hat.” (S. 346) Später hat Cija Sex mit einem der Affenmenschen. Auch Zwangsprostitution wird angerissen. Doch die Themen werden nicht tiefer behandelt und scheinen eher grelle Aufhänger als ernsthaft behandelte Phänomene zu sein. Es fehlt ihnen sehr stark an eindringlicher Schilderung, um so verstörend wie die Vorgänger zu sein.
Im Land der Affenmenschen ist der 4. Band des Zyklus’ um Cija, und man merkt es sehr deutlich. Die Erzählstränge, die aus den ersten drei Bänden in diesen hineinreichen, werden kaum erläutert, vielfach fehlt es so an Tiefe: Es sollte ein Schock sein, wenn sich herausstellt, daß die namenlose Stadt Cijas Heimatstadt ist – wie soll sich dieser aber ohne das Vorwissen einstellen? Es lohnt sich nur diesen Band zu lesen, wenn man wissen will, wie es mit der kleinen Göttin weitergeht, denn einige Stränge werden hier zuende gebracht, andere bleiben allerdings noch offen. Sonst wird man von einer halbtrivialen, halbverstörenden Abenteuergeschichte aus der Opferperspektive “unterhalten.”
Gaskells Stil ist rund und poliert, die Geschichte läßt sich flüssig lesen und die Wortwahl ist zumeist treffsicher, wenngleich sie bisweilen zum Vulgären neigt. Aber der Stil unterstützt die Tagebuch-Fiktion überhaupt nicht mehr.

Cover von Im Reich der Atlantiden von Jane Gaskell Cija ist die Gemahlin des Feldherren Zerd, der mit einem Heer unerwünschter Bürger des Nordreichs auf eine Selbstmordmission geschickt wurde. Er ist der Renegat, dem es gelang sich auf den Thron von Atlantis zu setzen. Cija ist nun seine Kaiserin, doch schon zu Friedenszeiten ist deren Beziehung problematisch. Als aber das Heer des Nordreichs mit Sedili, Zerds erster Gemahlin, an der Spitze und dann das Heer der Waldmenschen unter der Führung Laras, Zerds zweiter Gemahlin, in Atlantis landen, gegen die Zerd nur noch die Reste seines alten Heeres setzen kann, muß Cija aus dem Weg – zumal sie einen Bastard gebar, der Zerd so unähnlich sieht…

-Als ich zwanzigtausend einsame Meilen weit gewandert war, hörte ich hinter mir den Reiter.-
Die Straße

Das Geschehen findet auf dem prähistorischen Kontinent Atlantis statt, welches Zerd im Band Der Drache “erobert” hatte. Atlantis selbst hat zwei Gesichter: Zum einen ein Gewöhnliches mit einsamen Herbergen in der Wildnis, die als Bordell fungieren, Bauern, die Rüben anpflanzen, umherstreunenden Wegelagerern und gefährlichen Tieren in den weiten Wäldern – diese Seite unterscheidet sich nicht wesentlich vom Nord- oder Südreich. Der Alltag ist überall vom sozialen Stand abhängig, sonst aber gleich. Die Darstellung Atlantis’ erinnert mich vage an die minoische Palastkultur.
Daneben existiert aber noch ein altes, mystisches Atlantis: Die Tiere in den Wäldern sind nicht bloß tumbe Dinosaurier oder Mastodonten, es gibt auch gewaltige Wölfe, die etwas Geheimnisvolles an sich haben und Teil einer größeren Gemeinschaft sind, es gibt Atlantiden, die besser unterrichtet sind, als es scheinbar möglich ist, einige haben sonderbare Fähigkeiten, so tritt der Flötenspieler wieder auf und eine Hexe weiß über Tränke gut bescheid. Diese magischen Elemente sind nur schwer zu greifen und niemals genau einzuschätzen – eine originelle und durchaus gelungene Darstellung. Von der alten, fortschrittlichen Wissenschaft ist nicht mehr viel geblieben, es tritt aber ein alter Gelehrter auf, der Frankensteins Monster zu schaffen vermag. Diese Passagen sind zwar unangenehm zu lesen, das Vorbild ist aber zu deutlich zu erkennen.

Als Autorin des Tagebuchs, in dessen Form die Geschichte verfaßt ist, steht Cjia erwartungsgemäß im Mittelpunkt. Sie ist keine aktive Figur; zumeist reagiert sie nur auf veränderte Umstände, selten zeigt sie echte Initiative – die dann für gewöhnlich schnell scheitert. Ihr Verhalten paßt dazu: Entweder versucht sie zu flüchten oder sie bemüht sich anzupassen, die Lage zu ihren Gunsten zu verändern versucht sie nie. Viel Raum wird dem Gefühlsleben Cijas gewährt, welches bisweilen recht verwirrend ist. Zu Beginn taucht ihr Halbbruder Smahil kurz auf. Ihre Gefühle ihm gegenüber sind zwiespältig – sie erinnert sich an die inzestuöse Geborgenheit, welche die Beiden teilten und liebt ihn dafür, gleichzeitig verabscheut sie ihn, sich und das Kind, das aus dieser Beziehung hervorgeht, dafür. Auf die vielen Grausamkeiten, die er ihr antat, wird kaum Bezug genommen. Eigenartig ist auch, wie sie ihr feindlich gesonnenen Leuten noch in den absurdesten Situationen  gefällig sein will – Cija, so scheint es, hegt niemals Rachegedanken. Nun gibt es derartige Personen wohl, aber es gelingt der Autorin nur begrenzt, dieses nahezubringen. Ihr Gemahl Zerd, der Kaiser von Atlantis in prekärer Situation, den sie zugleich liebt und verabscheut; ihre zwei Kinder Nal, der Sohn Smahils, und Seka, die Tochter Zerds, die sie beide auf distanzierte Weise liebt; Wahnsinnsfaust, ein atlantischer Räuber, den sie irgendwie anziehend findet, Narbe, ein Strolch aus ihrem Gefolge, den sie verabscheut und Sedili, Zerds erste Gemahlin, die sie zugleich verehrt und haßt, neben weiteren. Die Figuren sind alle ambivalent, keiner ist bloß gut oder böse – dieses läßt sie aber nicht immer plausibel handeln. Hier sei ein Wort der Warnung gesagt: Cija ist eine unzuverlässige Erzählerin, je nach Stimmung bewertet sie die Dinge unterschiedlich. Manchesmal mag das unplausible Verhalten auch dem Unvermögen Cijas die Personen richtig einzuschätzen geschuldet sein.

Von einem Plot läßt sich in dieser Geschichte nur begrenzt sprechen, da Cija eine ungewöhnlich passive Figur ist, die für gewöhnlich bloß auf veränderte Umstände reagiert. So wird sie schließlich von den Handlungen Anderer und zufälligen Ereignissen umhergetrieben. Es ist eine Odyssee durch die Schattenseiten von Atlantis aus der Opferperspektive. Nur wer die Darstellung des massiven Leidens von Hauptfiguren schätzen kann, sollte sich hier herantrauen – wem Frodos Qualen zu penetrant waren, der sollte einen großen Bogen um Cija machen – sie wird verprügelt, vergewaltigt und immer wieder gedemütigt. Die Zufälle nehmen einen ähnlich großen Raum wie in der ersten Geschichte ein, nur wird dieses Mal Cijas Göttlichkeit nicht bemüht – eine bessere Aufklärung gibt es aber auch nicht. Es mangelt deutlich an plausiblen Verknüpfungen der Ereignisse. Das offene und unbefriedigende Ende paßt zur Geschichte. Der Leser bleibt oftmals im Unklaren, manches Mal ist das vorteilhaft – wie bei den magischen Elementen, vielfach jedoch eher lästig. So fragt sich der Leser, warum das erste Kapitel von Narbe erzählt wird oder was aus Juzd geworden ist. Es bleibt im Dunkeln. Ärgerlich ist auch, das der dritte Teil nicht sauber an den zweiten anknüpft. An dessen Ende hatten Zerds Soldaten der mächtigen Reiche im Norden und Süden bezwungen, am Anfang dieses Teils aber ist das Südreich plötzlich bedeutungslos geworden, dafür droht die Armee der Waldstämme, die vormals sehr unorganisiert waren, und die des Nordreiches Zerd zu besiegen.

Wer nun die geteilte erste Geschichte kennt, wird sich fragen, warum er diese Fortsetzung lesen sollte; auch wenn die Handlung schneller voranschreitet, ist die Geschichte nicht spannender, während es in den Vorgängern auch lange Erläuterungen gab, hielten diese den Verlauf nicht auf – hier schildert die Erzählerin sich in einer lebensgefährlichen Situation befindend schon einmal über eine Seite das gepflegte Äußere der Feindin. Auch endet die erste Geschichte deutlich runder. Nur wer ein Interesse an Cija entwickelt hat oder eine werdende bzw. junge Mutter durch ihre Leiden begleiten mag, braucht die Fortsetzung zur Hand nehmen.
Der Stil ist immer noch gut und angemessen, aber viel zu poliert – er klingt weniger nach Tagebuch als nach Roman.

Im Zeichen der Weide von Sharon ShinnDer junge, äußerst talentierte Magier Aubrey will seine Kenntnisse in der Zauberei vervollständigen und die Kunst des Gestaltwandelns erlernen. Sein Lehrmeister weigert sich allerdings, sie ihm beizubringen und verweist ihn an einen Meister dieser Disziplin.
Aubrey macht sich auf in die einsame Gegend mitten im Wald, die der berühmte Magier Glyrenden bewohnt – und trifft in dessen Haus auf allerlei seltsame Gestalten. Ihn fasziniert vor allem Glyrendens junge Frau, die ihren Mann offensichtlich haßt und dennoch an der Seite des charismatischen Magiers bleibt. Während Glyrenden Aubrey ausbildet, entdeckt dieser nach und nach das dunkle Geheimnis das Magiers.

Zu Im Zeichen der Weide liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Imagon" von Michael Marrak Poul Silis ist Geophysiker und hasst den Winter, den Schnee und besonders die Kälte. Doch ausgerechnet er wird nach Grönland ins ewige Eis beordert, um mit einer Gruppe von Wissenschaftlern einen mutmaßlichen Meteoriteneinschlag zu untersuchen. Zahlreiche Menschen wollen das grelle Licht eines Himmelskörpers gesehen haben, und es befindet sich auch ein riesiger Krater im Eis. Von einem Meteoriten aber gibt es keine Spur. Stattdessen werden Schrecken lebendig, die älter als die Erdgeschichte sind.

-Abscheu und Neugier. Grauen und Faszination.
Ich stand vor dem Aqunaki und kam nicht umhin, ihn unverhohlen anzustarren, im Sternenlicht jede Hautfalte zu studieren, jede seiner Bewegungen zu verfolgen und jedes Geräusch wahrzunehmen, das diese bizarre Kreatur erzeugte.-
Kap. 15., S. 271

Imagon aus der Reihe “H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens” ist ein phantastischer Horrorroman, der in der von Lovecraft geschaffenen Welt des Cthulu Mythos spielt.
Der erste Satz beginnt mit: “Ich hasse den Winter”, und schon ist der Einstieg geschafft. Die darauffolgenden Seiten saugen den Leser förmlich in die Person Pouls und ziehen ihn mit in den Strudel der Ereignisse.
Poul ist eine angenehme Identifikationsfigur, und man leidet um so mehr mit ihm, als daß er eine ganz normale Person ist und aus seiner Sicht alles richtig macht, aber dennoch nicht seinem Schicksal entfliehen kann.

Marraks Schreibstil ist flüssig und in seinen Beschreibungen sehr lebendig. Insbesondere die plastische Darstellung der Örtlichkeiten entführt den Leser mit Leichtigkeit an die verschiedenen Handlungsorte. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die in Lovecrafts Tradition schreiben, versucht er nicht, dessen Stil zu kopieren. Auch die Handlung ist nicht nur ein einfacher Austausch von Personen und Orten, sondern zeugt von eigener Kreativität. Die Handlungsstränge sind komplex, enthalten überaschende Wendungen und sind nicht linear aufgebaut. Selbst wenn man Lovecrafts Werke gut kennt, lassen sich die Geschehnisse kaum erahnen.
Wer allerdings noch nie mit der Welt der Alten Götter und von Cthulu in Berührung gekommen ist, kann schon ein wenig von den verschiedenen Wesen und ihren Beziehungen zueinander verwirrt werden. Besonders die Auflösung verlangt vom Leser höchste Aufmerksamkeit und geistige Flexibilität.

Insgesamt hat Marrak einen sehr spannenden Phantastikroman geschrieben, der es wert ist, in die Reihe der Lovecraftwelt aufgenommen zu werden. Mit den rund 400 Seiten ist er gerade lang genug, um in die dargestellte Welt einzutauchen und sich mit der Hauptperson zu identifizieren, aber kurz genug, um Längen zu vermeiden.

Der Kampf des Rabenprinzen von Cecilia Dart-ThorntonTahquil ist die Einzige, die den Schlüssel zu den geheimen Toren zwischen dem Reich der Menschen und dem der Feen besitzt. Der Rabenprinz, dessen Plan einst scheiterte und ihn selbst in die Welt der Menschen verbannte, ist nun auf der Jagd nach Taqhuil, um vor seinem Zwillingsbruder, dem Hochkönig Angavar, zurückzukehren, die Herrschaft an sich zu reißen und seinen Bruder zu töten. Doch der Rabenprinz ahnt noch nichts von dem Geheimnis, welches Taqhuil und Angavar teilen, und davon, dass dieses Geheimnis seinen Sieg endgültig vereiteln könnte.

– Die Qual der Langothe wuchs Tag für Tag. Sie raubte Tahquil zunehmend den Appetit und den Schlaf, die Kraft und die Lebensfreude – und würde ihr letzten Endes das Leben selbst rauben. Dazu kam eine weitere unstillbare Sehnsucht, die sie unerbittlich dem Wahnsinn entgegentrieb, ein aus verzweifelter Liebe geborener Schmerz. Die Gedanken an den einen, der sie verzaubert und in seinen Bann geschlagen hatte, ließen sie Tag und Nacht nicht los, und die Ungewissheit, ob er noch unter den Lebenden weilte, wurde unerträglich. –
Kapitel 3 – Lallillir, Seite 153

Mit Der Kampf des Rabenprinzen (The Battle of Evernight) befördert die Autorin ihre Buchreihe leider endgültig völlig ins Aus. Alles, was den ersten Band sprachlich und storytechnisch so lesenswert und bezaubernd machte, ließ bereits im zweiten Band häufig zu wünschen übrig, aufgrund einer vermehrt dahinschleichenden Handlung und einem leicht erhöhten Schnulzenfaktor. Dieser finale Roman übertrifft darin nun leider nicht nur seinen Vorgänger, sondern auch so manchen Groschenroman – um Längen.

Wer sich noch an die scheinbar endlosen Wanderungen aus Das Geheimnis der schönen Fremden erinnert, der wird in Der Kampf des Rabenprinzen doppelt viel Freude damit haben. Es ist schwer, etwas über die Handlung dieses Romans zu sagen, denn es dauert extrem lange, bis überhaupt irgendetwas Nennenswertes passiert. Das geht los mit einer völlig sinnlosen Wanderung, die mal eben 200-250 Seiten schluckt, nur um dann darin zu gipfeln, dass man die Suche abbricht, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Zäh und nahezu ohne Spannungsmomente wirkt auch die Hauptfigur mit ihren ständig wechselnden Namen die inzwischen so gut wie keine Eigeninitiative, keine Entschlossenheit und auch keine Willenskraft mehr zeigt, und von der ersten bis zur letzten Seite an der herzzerreißenden Langothe leidet – der schrecklichen Krankheit, die den Menschen befällt und unweigerlich zum Tod führt – oder ihrer noch schrecklicheren Sehnsucht nach ihrem Geliebten Dorn. Es ist fast schon wieder amüsant, wie die eine leidvollere Sehnsucht unsere Protagonistin davor bewahrt, an der anderen zu sterben. Schlimmer ist, dass dabei so wenig Stimmung aufkommt, dass einen dieses schier unmenschliche Leiden eigentlich nicht berührt. Die Sätze zeigen keine Wirkung, außer der, dass man auf die Uhr schaut, um die persönliche Langothe mit diesem Buch zu beenden. Unser männlicher Held Dorn legt derweil auch eine zweite Identität an den Tag, und schon wieder hat man jemanden mit drei Namen/Identitäten mehr im Buch. Welche Wonne!

Sicher, die Autorin beherrscht ihr Handwerk und vermag es noch immer, wunderschöne, lebendige Bilder mit ihrer Sprache zu erschaffen, doch das Gesamtergebnis wirkt in diesem Roman wie ein missglückter und bruchstückhafter Textbausatz. Häufig kommt das Gefühl auf, hier wurden Szenen eingesetzt, die in sich wunderschön geschrieben sind, aber auch nur deswegen noch irgendwie in die Handlung hinein gequetscht wurden. Die Charaktere sind stupide geworden, haben völlig überzeichnete Eigenschaften angenommen oder legen restlos unglaubwürdige Reaktionen an den Tag. Die Figur Dorn wird außerdem zu einer zusätzlichen Probe für die eigenen Nerven. Es lässt sich kaum zählen, wie oft erwähnt wird, wie das makellose Gesicht Dorns von den glänzenden Locken seiner schwarzen Haare eingerahmt wird, wie das Haar ihm in sanften Wasserfällen locker über die perfekte Schulter fällt, wie Imrhien/Taqhuil/Rohain/Ashalind vor Begierde zu zittern beginnt und seiner Anziehungskraft nicht widerstehen kann. Das Ganze wiederholt sich wirklich unerträglich oft!
Auch anfängliche Ideen wie das Metall Sildron z.B., welches eine faszinierende Basis für viele interessante technische Entwicklungen hätte sein können, gerät in diesem letzten Band schließlich völlig in Vergessenheit, und man fragt sich, wozu es ursprünglich in die Handlung eingeführt wurde.
Gegen so viele schwere Mängel kommt letztlich auch die lyrische Sprache der Buchreihe nicht mehr an.

Wer noch nicht gänzlich davon überzeugt ist, die Finger von diesem bedauernswerten Buch zu lassen, dem sei noch ein wenig zum längst erwarteten Endkampf gesagt (keine Spoiler): Es gibt selten Momente, in denen ein finales Aufeinandertreffen zweier Kontrahenten derart sanft verpufft wie in diesem Fall. Nach all den langen Schilderungen und dem Aufbau eines bösen Gegenspielers erwartet man natürlich wenigstens einen fulminanten Schluss, sofern man bis hierher überhaupt durchgehalten hat. Von den ca. zwei Seiten, die dieser Kampf in Anspruch nimmt, muss man locker nochmal eine halbe Seite für die fallende Haarpracht und entsetzliche Sehnsüchte abziehen. Nichts mit heroischem Endkampf, statt dessen kindische Rangelei gefolgt von 100 Seiten höfischem Geplänkel, Händchen halten, Liebesbekundungen, noch ein Dinner, nochmal Händchen halten, nochmal Liebesbekundung. Wer meint, damit aber müsse nun endlich das Ende von Der Kampf des Rabenprinzen erreicht sein, der irrt schon wieder.
Nachdem doch noch alles höchst dramatisch im letzten Moment gescheitert ist, um dann auf fünf weiteren Seiten alles aus den drei Büchern der Feenland-Chroniken noch einmal schnell passieren zu lassen, endet das Ganze in einem krönenden Epilog, der ein dermaßen unbefriedigendes Leseerlebnis zurück lässt, dass man das Buch auf der Stelle zerreißen und in einen offenen Kamin werfen möchte.

Dieses Buch ist von A bis Z gähnend langweilig und bietet einem nichts als Entschädigung. Ein trauriges Ende für einen so vielversprechenden Anfang, wie es Im Bann der Sturmreiter war.

Kartiks Schicksal von Libba BrayDie Lage ist ernst. Der Kampf um das magische Reich und die Magie spitzt sich zu, auch das Verhältnis zwischen Gemma und ihren Freundinnen ist angespannt. Jeder möchte die Magie kontrollieren und Gemma notfalls dazu zwingen, sie abzugeben. Die junge Frau muss sich entscheiden, wem sie die Magie überlässt und welchen Pfad sie in ihrem Leben einschlagen will. Doch wird sie lange genug leben, um diese Wahl zu treffen? Und wird sie mit ihrer Entscheidung das drohende Unheil verhindern oder entfesseln?

– Es gibt einen speziellen Kreis der Hölle, der in Dantes berühmtem Buch nicht erwähnt wird. Er heißt Benehmen und er existiert in allen Schulen für junge Damen landauf und landab im ganzen englischen Königreich. –
Kapitel 1

Zu Kartiks Schicksal liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Ein Kind von Licht und Schatten von Guy Gavriel KayVon allen verlassen, gejagt, gehasst oder gefürchtet, begibt sich Darien, das Kind von Licht und Schatten, auf die Suche nach seiner Bestimmung. Doch für ihn gibt es im Webmuster Fionavars keinen Faden – und so muss er selbst entscheiden, welchen Weg er einschlagen möchte. Er ahnt, dass von seiner Entscheidung das Wohl und Wehe Fionavars und all seiner Bewohner abhängig sein wird. Kriege, Zweifel und Verrat lassen scheinbar keinen Platz für Hoffnung – doch noch immer streiten Kimberley, Jennifer, Dave und Paul für das Licht und wandeln dabei auf dunkelsten Pfaden.

Einen Augenblick später rannte er durch die Ebene, seine Geschwindigkeit war schneller, als die des Slaug jemals hätte sein können, er rannte so schnell er konnte nach Westen, vergessen war die Schlacht, der Krieg, fast vergessen.
Nach Westen, wo die Lichter brannten und jemand im Raum stand, in jenem Raum, der einst Lisen gehört hatte.
Teil I: Das letzte Kanior

Alle Fäden, die Autor Guy Gavriel Kay in den ersten beiden Bänden der Fionavar-Trilogie so meisterhaft wob, bilden in diesem letzten Buch endlich das finale Muster und lassen den Leser teilhaben am Ende der Geschichten von Dave, Kim, Paul und Jennifer. Mit den einfach bis anstrengend gestrickten Charakteren des ersten Bandes haben die Vier nicht mehr viel gemein: alle haben sich zu Persönlichkeiten weiterentwickelt, die durch phantastische Gaben und Fähigkeiten brillieren und sich durch Zweifel, Angst und Unsicherheit immer weiter wandeln. Und das ist auch bitter nötig: keiner zweifelt mehr an der Existenz von furchterregenden, göttlichen oder verdorbenen Gestalten, denn in mannigfaltiger Form begegnen sie den vier „Fremden“ in Fionavar immerzu; und man kann gestrost annehmen, dass es Dave nicht bis in den 3. Band geschafft hätte – wäre er nicht zu einem Anderen geworden. Die Charaktere sind die große Stärke von Kays Roman: sie bleiben menschlich, auch wenn sie mit Macht beladen sind, und sie sind einer ständigen Entwicklung unterworfen. Selbst Jaelle, die kalte Tochter der Göttin, kommt im Laufe der Handlung nicht umhin, sich selbst im Frage zu stellen und aufgrund neuer Selbsterkenntnisse weitreichende Konsequenzen zu ziehen.

Und so sind Entscheidungen und Veränderungen die beiden Motive, die sich wie rote Fäden durch das kunstvolle Bild Fionavars ziehen. Sind wir frei genug, um wahrhaftig eine Entscheidung zu treffen, oder ist selbst die Entscheidung vorgezeichnet? Mit dieser Frage nähert sich Kay einer uralten und zur gleichen Zeit sehr modernen Problematik: die Natur des freien Willens. Der Autor lässt seine Figuren die Frage mit einem entschiedenen „Ja!“ beantworten, wobei jedoch auch deutlich wird, dass die Abkehr vom Schicksalsglauben einen hohen Preis fordert. Und genau dies beeinflusst die Grundstimmung des Werkes entscheidend: keine Seite wird gewendet, ohne dass dem Leser unaussprechliche Traurigkeiten, tiefste Miseren und schwierigste Entscheidungen offenbar werden. Mit dem Gewicht vom Curdardhs Hammer drücken die Ungerechtigkeiten und Unfassbarkeiten auf das Gemüt eines jeden, der ihnen ausgesetzt ist – da geht es Figuren wie Lesern. Jede kleine Handlung ist derart mit Bedeutung angereichert, dass es dem Leser bald die Sprache verschlägt: wandelt denn niemand auf Fionavars Boden, der nicht reinkarniert oder seit tausend Jahren von Seelenschmerz gezeichnet ist? In diesem Band vernachlässigt Kay leider einen wichtiger Aspekt, der die beiden vorhergehenden Bücher auszeichnet: eine gewisse Leichtigkeit und eine Schönheit der Sprache, die nicht erdrückend wirkt.

Man kann es den Bewohnern Fionavar jedoch wahrlich nicht verübeln, dass ihnen der Spaß gründlich vergangen ist: im andauernden Schlachtgetümmel – auf den Felder Fionavars und im Inneren von hin- und hergerissenen Seelen – beschränkt sich sogar der schillernde Prinz Diarmuid auf lahme Scherze, die ihm der Leser nicht mehr so recht abnehmen mag.

Die Einflechtung der Arthussage erreicht in diesem Band ihren Höhepunkt sowie ihre überraschende Auflösung. Das Trio Guinevere, Lancelot und Arthus ficht, ungeachtet der allzu weltlichen Dinge wie Raum und Zeit, auf Fionavar seinen letzten Kampf aus, um der unsterblichen Liebe willen. Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, weshalb in diesem fundamentalen Kampf zwischen Gut und Böse jedes Fass aufgemacht wird, dessen Bodensatz nach Pathos riecht. Scheinbar endlos wird die Liste der Traurigkeiten, will man sie alle aufzählen. Endlos ist jedoch nicht die Aufnahmefähigkeit des Lesers, und so kommt es, dass gebrochene Herzen zur Lesegewohnheit werden und humorige Passagen zum ungläubigen Zweimallesen anregen.

Was als Urteil allzu vernichtend klang, soll jedoch nicht als einziges Bewertungskriterium herangezogen werden. Für seine Geduld belohnt Kay den Leser mit feinfühlig und differenziert gezeichneten Figurenkonstellationen und ausdrucksstarker, sprachlicher Bildlichkeit. Und an Ideen mangelt es dem Autor wahrlich nicht: furchterregende, beeindruckende Wendungen in der Handlung lassen den Leser in eifriger Hast weiterlesen. Erwähnt seien hier die nächtliche Meerfahrt auf einem Schiff, dass bereits vor tausend Jahren sank, oder die Enthüllung des Geheimnisses vom Kristallsee – und der Gesang der Paraiko, der nicht nur die weißhaarige Kimberley tief berührt.

Trotz allem Ideenreichtums möchte ich Isaac Asimov mit seiner Bewertung „Tolkienesk“ zustimmen: einige Motive kommen dem geneigten Tolkianer sehr bekannt vor, sei es das entrückte Land im Westen oder das lichterfüllte Gründervolk, welches in raren friedlichen Zeiten den Abendstern huldigt. Kay interpretiert diese motivischen Traditionen jedoch oft in erstaunlicher oder erschreckender Art und Weise neu, sodass dem Leser viele neue Facetten eines Stoffes gewahr werden – so auch des Artusstoffes.

Zum Schluß kommen endlich auch Freunde der blutreichen Kampfszenen auf ihre Kosten; auf den letzten 50 Seiten entscheiden sich – oder enden – recht abrupt etliche Schicksale, die den Leser in tiefer Trauer zurücklassen. Doch nicht ohne Hoffnung: auf den letzten Seiten entwickelt sich erneut ein heiterer Unterton in der Erzählung, der das Abschiednehmen des Lesers von Fionavar und seinen Bewohnern von seiner allumfassenden Tragik und Dramatik zumindest für einen Moment befreit und damit versöhnlich stimmt – wenn man nicht vorher durch einen Tränenschleier gehindert wird, bis zum Ende der Geschichte zu lesen.

Cover von Die Klippen des Heute von Dave DuncanIm Jahr 1917 erscheint Edward mitten in einer Schlacht auf der belgischen Ebene – nackt, verletzt und orientierungslos. Er hat drei Jahre auf Nebenan verbracht und ist dabei nicht gealtert.
Unter dem Verdacht der Spionage wird er in ein Landhaus in England gebracht, das als Lazarett dient. Dort entdeckt ihn sein Schulfreund Smedley, der beschließt, Edward zur Flucht zu verhelfen. Es beginnt eine Flucht vor den “Quälgeistern”, die verhindern wollen, dass Edward seine Bestimmung erfüllt. Es wird vor allem erzählt, was sich in den vergangenen drei Jahren auf Nebenan ereignet hat.

-Inmitten des Chaos des ersten Weltkrieges wird ein Mann im Schatten der Schlachtfelder gefunden: zerschunden an Leib und Seele, nackt und hilflos – und er hat eine unglaubliche Geschichte zu erzählen.-
Klappentext

Auch in Die Klippen des Heute (Present Tense), dem zweiten Teil der Reihe Das große Spiel, zeigt sich die Vorliebe des Autors für einen zweigeteilten Handlungsstrang: während Edward nach drei Jahren auf Nebenan auf die Erde zurückkehrt und sich durch die Wirren des immer noch andauernden Ersten Weltkrieges kämpfen muss, erzählt er in Rückblicken, was in diesen drei Jahren passiert ist. Fast nach jedem Kapitel wechselt die Geschichte wieder zum anderen Handlungsstrang, trotzdem ist es für den Leser einfach, der Handlung zu folgen. Duncan schafft es, den Roman ohne Verlust des “roten Fadens” zu erzählen und dabei durchaus noch Spannung reinzubringen.

Neben dem Helden gibt es noch viele interessante Nebencharaktere, die der Autor mit viel Mühe darstellt und entwickelt. Natürlich wird die dichte Atmosphäre aus dem ersten Band übernommen und mit bedrückenderem, dunklerem Touch versehen: Aus dem Blitzkrieg wurde eine bereits drei Jahre andauernde, nervenaufreibende Todesmaschine, halb Europa ist verwüstet und immer noch lassen jeden Tag tausende junge Männer ihr Leben auf dem Schlachtfeld. Die Begeisterung für den Krieg aus dem ersten Teil weicht dem Schrecken davor und genau diesen Wandel fängt Duncan gelungen ein. Fakten mischen sich gelungen mit Fiktion, was mich durchaus beeindruckt hat.

Wirklich schade ist das Fehlen einer Übersichtskarte. Der Autor bemüht sich zwar durch genaue Beschreibungen zu erklären, wohin es den Helden verschlägt, aber ein richtiges Bild ergab sich bei mir nicht. Leider kommt es auch in der Sprache bzw. Übersetzung zu häufigen Wiederholungen von Redewendungen, die dem deutschen Leser seltsam vorkommen. Wenn z.B. Edward als “verrückt wie eine besoffene Fledermaus” beschrieben wird, dann mag es in England vielleicht ein gängiges Sprachbild sein, hierzulande wirkt die Übersetzung aber arg konstruiert. Das stört leider den Lesefluss und fällt immer wieder ins Auge, obwohl die Übersetzung an sich gut gelungen ist.

Cover von Die Königin der Träume von Patricia A. McKillipAls Talis in einem versteckten Winkel der Zaubererschule von Chaumenard ein Buch mit magischen Anleitungen entdeckt, ahnt er noch nicht, dass es unberechenbare Kräfte in sich birgt. Als er dies erkennt, ist es zu spät und er ist bereits in den Bann der Königin des Waldes geraten, die ihn darum bittet, ihr bei der Suche nach ihren Angehörigen zu helfen, die vor zwanzig Jahren durch einen mächtigen Zauberbann in Talis’ Welt geraten sind …

-Er ließ die Feder fallen und stand auf. Bevor er sich bewegen konnte, hörte er im Nachbarzimmer Schritte auf ihn zukommen. Murehtrhekrev, sagte eine fremde Stimme. Und der Nachtjäger vom Jägerfeld stand auf der Schwelle.-
Kapitel 6

Als erstes: Punktabzug für die deutsche Übersetzung des Buchtitels. Die geht nämlich am Kern der Sache gründlich vorbei und die “Königin”, die hier gemeint ist, regiert mitnichten über irgendwelche Träume sondern über eine Art Feenreich, das durch die verquere Magie des Magiers Arun Wulf in eine andere Welt “geknotet” wird. Hätte man dem Buch einfach den Titel “Das Buch des Arun Wulf”, also gleichsam die 1:1-Übersetzung des englischen Originals gegeben, wäre der Sache mehr gedient gewesen. – Denn genau darum geht es in dieser Geschichte: Um das “Magie-Lehr-Buch” von Arun Wulf, das ein dunkles Geheimnis in sich trägt … denn alle Zaubersprüche, die in diesem Buch aufgeschrieben wurden, gehen entweder “nach hinten los” oder es kommt etwas ganz anderes dabei heraus. Die Magie dieses Buches ist “verdreht” und warum das so ist, ist die Handlung der Geschichte, in der die “Königin” zwar eine tragende und wichtige, aber keineswegs die ausschließliche Hauptrolle spielt.
Die drei wichtigsten Personen im Buch sind der bebrillte Prinz Talis, des Reiches von Pelucir und Chaumenard mächtigster Magier Arun Wulf und eine Topfwäscherin namens Trawa, die schlussendlich eine Schlüsselposition in der Handlung einnimmt.

Das Buch dreht sich wieder um Patricia McKillips Lieblingsthema Magie: Hier ist die Handlung allerdings gleichsam in zwei Teile geteilt. Der eine Handlungsstrang befasst sich mit den Versuchen des Prinzen Talis mit dem Buch Arun Wulfs. Diese Teile des Romans sind in der für Patricia McKillip typischen, kryptischen Sprache verfasst, die ein wenig Mitdenken und Aufmerksamkeit erfordert.
Der andere Teil spielt sich in der Schlossküche von Pelucir ab, in der das einfache Volk zu Wort kommt. Hier wird getratscht und geschwatzt, gelästert und gestritten. Diese Teile sind eine Erholung im Handlungsablauf, denn sie sind, eben weil das einfache Volk hier die Bühne betritt, auch in einfacher, klarer Sprache geschrieben.

Diese beiden Handlungsstränge gehören zusammen, was man aber nicht gleich auf den ersten Blick bemerkt. Sie werden im Lauf des Romans immer weiter miteinander verwoben und man versteht immer mehr, wie eigentlich alles zusammengehört. Am Ende der Geschichte wird buchstäblich alles “Verstrickte” (Königreiche und Magie) aufgelöst und “verkehrt herum” wird wieder “richtig herum”, wenn auch zu einem hohen Preis …

Des Königs Meuchelmörder von Robin HobbNach Veritys Hochzeit erholt sich Fitz nur langsam, während die Red Ships weiterhin die Küste terrorisieren, bis der Prinz befürchtet, sein Land werde den nächsten Sommer nicht überstehen. So faßt er den Plan, sich auf die Suche nach den legendären Elderlings zu machen, und sie um Hilfe zu bitten. Er läst seine Frau zurück, um über seinen Thron zu wachen. Regal erkennt seine Chance und lässt nichts unversucht, um während der Abwesenheit von Verity Kettricken in Verruf zu bringen. Als Fitz wieder erstarkt, ist es an der Zeit, daß er als “Royal Assassin” dafür sorgt, daß der rechtmäßige Thronerbe bei seiner Rückkehr auch noch ein Königreich hat, in das er zurückkehren kann …

– Der älteste Hinweis auf die Uralten in der Bibliothek von Bocksburg findet sich in einer brüchigen Schriftrolle. –
Kapitel 3

Zu Des Königs Meuchelmörder liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Krishna - A Journey Within von Abhishek SinghUnter einem Baum umgeben von Wasser, inmitten einer Idylle aus Stille und unberührter Natur sitzt ein Mann. Er beobachtet das Leben vom kleinsten Tierchen an. Er trägt eine Pfauenfeder im Haar und seine Haut hat die Farbe frischer Gewitterwolken. So heißt es in hinduistischen Erzählungen, die von dem Gott Krishna bekannt sind, und so beginnt auch diese Geschichte voller Verluste, philosophisch abschweifender Gedanken und nicht zuletzt Hoffnung.

– When the wind whispered the lament of the sky with the flowers I sang. When unremembered dreams stood still in silence I, like a swan, carried them on my wings. It’s been more than a century and I finally await an end to my journey. Why do we exist? What do we desire? Life and its many questions. At times their weight felt heavy but I glided through the world of man on the wings of their answers. My story is the way of life because it’s not a story about me. It’s a story about hope. –
Krishna

Willkommen zu einem visuellen 5-Sterne-Festmahl! Krishna – A Journey Within ist ein farbgewaltiger und detailreich gezeichneter Comic, der mit seiner Optik überwältigt. In jedem Panel stecken derart viele liebevolle Kleinigkeiten, dass man sich Ewigkeiten darin verlieren könnte, ehe man alles entdeckt hat. Bei all dem herrschenden Gewimmel wirkt dennoch nichts daran überladen, sondern brodelnd lebendig und voller Herzblut angefertigt.
Zeichner Abhishek Singh verzaubert mit feinsten Linien, organisch wirkenden, fließenden Formen, leuchtenden Farben und stimmungsvollen Licht- und Schattenspielen. Auch die ausdrucksstarke Darstellung von Mimik und Gestik trägt zu der magischen Atmosphäre bei.

Krishna - A Journey Within von Abhishek Singh

Inhaltlich startet der Comic mit einer älteren Version Krishnas, die mit melancholischer Erzählstimme auf verschiedene Abschnitte seines Lebens zurückblickt und im Ganzen den Verlust der Unschuld des Menschen schildert. Es beginnt mit einem Blatt, das auf die Wasseroberfläche trifft, und den Folgen, die diese winzige Begebenheit auf den nächststehenden Organismus hat. Unweigerlich fällt einem bereits hier, am Anfang der Geschichte von A Journey Within,  der Schmetterlingseffekt ein. Alles ist verbunden und selbst die kleinste Begebenheit hat eine ganze Kette von Reaktionen zur Folge. Manches wirkt so unscheinbar auf uns, dass es unbemerkt vorüber zieht, anderes schlägt so große Wellen, dass es Geschichte schreibt.
Gott Krishna führt uns durch sein Leben als Mensch, als Kind, als erwachsener Mann, als Schlichter, als Ehemann und vor allem als Inkarnation der Hoffnung. Dieser Comic ist seltsam faszinierend in seiner nicht linearen Erzählweise. Manchmal ist er entzückend humorvoll, wenn wir als LeserInnen auf den kleinen Kind-Gott Krishna blicken, der zusammen mit seinen Freunden eine Räuberleiter bildet, um der Mutter leckere Köstlichkeiten stibitzen zu können. Die Unbekümmertheit des Kindes hält freilich nicht lange an, denn das Leben bietet nicht nur verlockende Naschereien, sondern auch Verluste, Kämpfe und Gewalt, doch ebenso auch Liebe, Freundschaften und Mut. All diese emotionalen Erfahrungen ändern Krishna auf seiner Reise des Lebens, motivieren seine Handlungen und prägen sein Herz. Die großen Themen in Krishna – A Journey Within sind daher, wenig verwunderlich, die von Leben und Tod, Gut und Böse, Licht und Schatten, Hass und Liebe. Für Krishna gehören diese Gegensätze zusammen und er selbst ist Teil davon, so wie jeder und alles Teil von etwas ist.
Krishna - A Journey Within von Abhishek SinghEs ist wirklich keine Geschichte, in der es besonders spannend oder abenteuerlich zuginge, das ist wohl auch nicht das Ziel dieses Comics. Zeichner Singh verarbeitet hier vielmehr philosophische und spirituelle Gedanken und Fragen in Bezug auf den Kreislauf des Lebens und die große Verbundenheit von allem, was existiert. Wie so oft bei derart grüblerischen Ansätzen, ist es nicht immer leicht, den Gedanken des Erschaffers zu folgen. Vielleicht spielt auch die sprunghafte Erzählweise eine Rolle oder das möglicherweise fehlende Detailwissen über die hinduistische Religion – wie es von der einen Episode zur nächsten kommt, ist jedenfalls nicht immer wirklich klar. Immerhin werden Eigennamen und andere aus dem Hinduismus stammende Begriffe im hinteren Teil erläutert, so dass man zumindest die wichtigsten Bausteine der Handlung zu verstehen lernt.

Es geht hier schwer nachdenklich zur Sache. So versucht uns Singh auch manch »bösen« Charakter als Mensch mit leidvollen Erfahrungen nahezubringen. Angesichts mancher Ereignisse und Taten fällt es einem als LeserIn allerdings alles andere als leicht, tatsächlich das Mitgefühl zu empfinden, das hier aufkommen soll. Doch unabhängig davon, ob man die Erzählung zugänglich findet oder nicht, sind es letztlich ohnehin die beeindruckenden Bilder, die diesen Comic so einzigartig machen und zum wiederholten Verweilen anregen. Wirklich schade ist nur, dass die Druckqualität des Comics eher bescheiden ausgefallen ist. Das Papier ist recht dünn und bringt die Bilder nicht so gut zur Geltung, wie sie es verdient hätten. Auch die Bindung und Positionierung der Zeichnungen scheinen hier und da nicht richtig durchdacht worden zu sein, so dass oft Trennungen an ungünstigen Stellen entstehen und diese Teile wichtiger Szenen verdecken. Gerade bei dunkleren Bildern verwaschen auch schnell mal die vielen Details auf dem minderwertigen Papier. Dennoch, wer die Gelegenheit findet, sollte sich Krishna – A Journey Within unbedingt einmal ansehen (oder zweimal, oder dreimal …).

Das Kristallhaus von Ralf LehmannFernd, den der Alte Niemand zu seinem Erben bestimmt hat, ist eigentlich alles andere als ein Abenteurer und schon gar kein Einzelkämpfer. Von den Ereignissen dennoch zu einem Alleingang gezwungen zieht er eher widerstrebend aus, um das legendäre Kristallhaus zu suchen, in dem der entscheidende Hinweis zur Überwindung des Schwarzen Prinzen verborgen sein mag. Obwohl er unterwegs immer wieder Helfer und neue Freunde findet, verlangt die Reise ins Ungewisse ihm alles ab, denn schon bald erweist sich, dass von äußeren Bedrohungen wie den dämonischen Gifalken, die ihm im Auftrag des Schwarzen Prinzen auf der Spur sind, gar nicht die größte Gefahr ausgeht, der er sich stellen muss …

“Das Holzland ist ein Teil Araukariens und dem Alten Reich als einzige Provinz bis zum Untergang treu geblieben. Die Holzländer, wie sie sich selber nennen, haben dem Born gern Tribut gezahlt – in der Gewisstheit, dass er sie dann meist in Ruhe lässt. Deswegen hat diese Gegend immer eine ziemliche Eigenständigkeit bewahrt.”
(1. Im Holzland)

Mit Das Kristallhaus legt Ralf Lehmann einen stimmigen Abschluss seiner Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen vor. Wie schon in den ersten beiden Bänden erschüttern Ausgangsidee und Plot das Genre nicht gerade in seinen Grundfesten, aber die liebevoll ausgearbeitete, in oftmals poetischen Wendungen heraufbeschworene Welt überzeugt mit ihrer Fülle ansprechender Handlungsorte weiterhin, unter denen das titelgebende Kristallhaus, eine Bibliothek aus Eis, sicher einer der originellsten und eindrucksvollsten ist.
Ohnehin ist es wieder einmal das Setting mit seiner Verknüpfung von Naturgewalten und Sagen, das die Geschichte trägt, wenn etwa der winterliche Frost personifiziert über eine abgelegene Siedlung hereinbricht oder die aus dem Eingangsband bekannten Tanzenden Berge noch einen unerwarteten Auftritt bekommen. Auch die übrigen Landschaften, die Fernd durchwandert, sind mit ihren naturräumlichen Gegebenheiten und den Eigenarten ihrer Bewohner so detailverliebt geschildert, dass man den Verdacht nicht abschütteln kann, dass Lehmann immer wieder Kenntnisse aus seinem Beruf als Erdkundelehrer in den Weltenbau einfließen lässt. Dieses spürbare Wissen um geographische Zusammenhänge hebt Araukarien und die umliegenden Gebiete über die oft abziehbildartigen Kulissen manch anderer Fantasyromane hinaus.
Zudem steht mit dem verträumten Fernd in diesem Buch ein ganz anderer Figurentypus im Mittelpunkt als der praktisch veranlagte Bolgan oder der abenteuerlustige Hatib, so dass die Wendung ins Innerliche, die seine Queste trotz aller äußeren Fährnisse und Kämpfe nimmt, folgerichtig und glaubhaft wirkt. Entsprechend anders sind auch die Freundschaften, die er schließt, etwa mit dem ähnlich phantasiebegabten Gaetan, der ein weit traurigeres (und realistischeres) Schicksal erleidet, als es bei Hals über Kopf ins Abenteuer ausziehenden Jugendlichen in der Fantasy sonst der Fall ist. Trotz aller amüsanten bis tragischen Begegnungen mit solch gelungenen Nebenfiguren ist Fernd jedoch letzten Endes auf sich selbst zurückgeworfen, was nicht nur darin sinnfällig zum Ausdruck kommt, dass die beiden anderen Helden Bolgan und Hatib zum entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr in Lage sind, aktiv auf den Fortgang der Ereignisse einzuwirken. Die durchaus nicht uninteressante Schwerpunktsetzung, die sich daraus ergibt, lässt einen die ansonsten klassische Handlung um den militärischen wie magischen Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner gespannt bis zum Ende verfolgen.
Trotz aller positiven Aspekte muss man freilich auch weiterhin mit einigen Schwächen leben, die schon in den ersten beiden Bänden deutlich waren. So bleibt etwa Fernds Beziehung zu seiner großen Liebe Reika weiterhin sehr blass und wenig fassbar, mag sie auch noch so oft als Motivation des jungen Mannes beschworen werden, und manch einem Nebenhandlungsstrang hätte man vielleicht eine ausführlichere Auflösung anstelle knapper Andeutungen gewünscht.
Doch das sind im Grunde Kleinigkeiten. Alles in allem bleibt ein positiver Leseeindruck, gepaart mit leisem Bedauern darüber, dass Das Buch des Schwarzen Prinzen anscheinend bisher Ralf Lehmanns einziges (veröffentlichtes) Werk geblieben ist.

Kushiel's Dart von Jacqueline CareyDas Volk der D’Angelines hat das Engelblut in den Adern, das sie mit überirdischer Schönheit ausstattet. Phèdre ist eine von ihnen, sie steht im Dienste der Ahngöttin Namaah, deren Anhänger die Kunst der Liebe zelebrieren. Der Adlige Delaunay erkennt an einem Makel in ihrem Auge, dem Zeichen des Engels Kushiel, dass Phèdre eine Anguisette ist – sie erfährt Lust durch Schmerz. Er kauft das Mädchen und bildet sie zusammen mit seinem anderen Schüler in Sprachen, Künsten und Spionage aus, damit sie ihm als Konkubine dient, die bei ihren Freiern Staatsgeheimnisse ausspioniert. Tatsächlich gibt es Verschwörungen, die das ganze Land Terre D’Ange gefährden.

-Lest anyone suppose that I am a cuckoo’s child, got on the wrong side of the blanket by lusty peasant stock and sold into indenture in a shortfallen season, I may say that I am House-born and reared in the Night Court proper, for all the good it did me.-
One

Mit über 900 Seiten ist der Auftakt der Reihe Kushiel’s Legacy ein dicker Brocken, und Aufmachung und Ausgangslage lassen einen ordentlichen Schmachtfetzen vermuten. Diese Vermutung mag man anfangs einerseits bestätigt finden, denn Jacqueline Carey ergeht sich in Beschreibungen von Kleidung, Zierrat, Kleinigkeiten, ausführlichen Figurenbeziehungen, und die Ausbildung der Protagonistin zur Konkubine gibt dem Argwohn Stoff. Der Stil allerdings, in dem Carey erzählt, verschlungen, manchmal fast lyrisch, und häufig mit barockem Überschwang, ohne geschmacklos zu werden, gibt einen Hinweis, dass mehr in der Geschichte steckt.
Anfangs allerdings ist der gemächliche Aufbau so ermüdend, dass man Kushiel’s Dart (Das Zeichen; Neuauflage) mitunter an die Wand klatschen will. Man erfährt alles über Phèdres Aufwachsen, ihre Ausbildung, und vor allem auch ihre besondere Fähigkeit als Konkubine, ohne dass die Handlung groß weiterkommt. Ein paar Rätsel um den natürlich mysteriösen Gönner Phèdres, den Adligen Delaunay, sind alles, was an Material zum Weiterdenken anfällt. Und gerade die besondere Fähigkeit der Protagonistin als Anguisette dürfte nicht jedermanns Sache sein: Immer wieder gehen Schläge, Peitschen, Schürhaken und ähnliches auf die Heldin nieder – und auch wenn in diesen Szenen harte Pornographie mehr oder weniger elegant umschifft wird, sind sie doch sehr ausführlich beschrieben.

Trotzdem lohnt sich das Durchbeißen, denn urplötzlich, nach etwa 300 Seiten, wird aus der bisher zwar angenehm erzählten, aber nur vor sich hindümpelnden Handlung eine Fantasy-Geschichte, die alles hat, was man sich nur wünschen kann: Wunderbar gezeichnete Hauptcharaktere, die in glaubwürdigen Beziehungen zueinander stehen, jede Menge Action und Abenteuer, herzzereißende Szenen und eine sehr schöne Erzählstimme, nämlich die der liebenswerten Protagonistin, die im Großen und Ganzen zu einer überraschend starken Frauenfigur wird. Sie erzählt ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive, lange Zeit, nachdem die Ereignisse stattgefunden haben, und wenn man den Wahl des Erzählers hier kritisieren wollte, dann vielleicht nur, weil etwas zu oft eine Vorwegnahme der Geschehnisse als Stilmittel zum Einsatz kommt, vor allem zu Beginn des Romans.

Angesiedelt ist die Handlung in einem alternativen spätmittelalterlichem Europa, was sich auch an der Karte unschwer erkennen lässt, und gerade die Gesellschaft der D’Angelines ist sehr detailreich ausgearbeitet, vor allem auch die religiösen Aspekte. Phèdres Volk mit seinem untrüglichen Sinn für alle Formen der Schönheit hat durchaus etwas Faszinierendes, interessant ist außerdem die Beschreibung einer Gesellschaft, in der Prostitution komplett integriert und institutionalisiert ist. Diesbezüglich ist Kushiel’s Dart durchaus provokant, wenn auch nicht immer zu Ende gedacht, wobei die besten Szenen dennoch außerhalb der Betten und auch jenseits der höfischen Intrigen stattfinden. Immerhin ist die Geschichte, von einigen Szenen abgesehen, in denen auf die Tränendrüse gedrückt wird, nicht halb so kitschig, wie man sich vielleicht vorstellen mag. Ob man sich für die gelungene Abenteuerhandlung durch das Vorgeplänkel arbeiten möchte, hängt wohl davon ab, wie viel man den in der Fantasy ungewöhnlichen Konzepten abgewinnen kann, mit denen Carey arbeitet.

Das Labyrinth der träumenden BücherGelockt von einem geheimnisvollen Manuskript, kehrt Hildegunst von Mythenmetz 200 Jahre nach seiner Flucht aus Buchhaim zurück in die Stadt der träumenden Bücher. Denkfaul und träge geworden, gleicht die Echse eher einem verwöhnten Balg als einem ehemals ormdurchströmten Schriftsteller, und dennoch begibt er sich auf die Reise. Und obwohl sich das nach dem verheerenden Feuer wiederaufgebaute Buchhaim von einer völlig neuen Seite zeigt, schafft es die Stadt bald, den Schriftsteller in seinen Bann zu ziehen und ihm neuen Schreibmut zu schenken. Und, wer weiß – vielleicht wartet ja irgendwo auch das Orm?

– Unter allem vibrierte das unverwechselbare Grundgeräusch, der Kammerton jeder größeren Stadt, der sich aus tausenden durcheinanderplappernden Stimmen speist und wie das anhaltende Raunen eines Publikums klingt. Ich war angekommen. –
Die neue Stadt, S. 41

Rauchverbot, Latte Macchiato mit oder ohne Milchschaum, Regenbogenpresse – Willkommen im Buchhaim des 21. Jahrhunderts. Eingeholt von Fortschritt und Entwicklung präsentiert sich die Bücherstadt von ihrer modernen Seite, und während die Stadt der träumenden Bücher aus der Asche wiederauferstand, befindet sich Hildegunst von Mythenmetz, der unselige Protagonist des Romans, am Tiefpunkt seines künstlerischen Schaffens. Die Echse badet eitel im großen Schaumbad des schnellen Erfolges und pflegt ihre einmalig erworbenen Lorbeeren mit größerem Eifer als ihre eingerostete Schreibfeder. In seiner dramatisierten Großartigkeit ist er trotz Schuppenkleid und Klauenhand den Akteuren des realen Literaturbetriebes oft sehr ähnlich. Und wahrlich: an Seitenhieben auf unseren deutschen Büchermarkt mangelt es nicht. Während buchhaim’sche Insider die Verdrängung des papierenen Wortes durch das revolutionäre Wurstbuch heraufbeschwören, erstickt so mancher Kritik verachtende Autor, trotz offensichtlichen Unvermögens, in Fanpost. Klingt bissig? Treffend? Pointiert?
Nichts liegt dem Roman ferner. Die parodistischen Elemente sind nach starren Regeln strukturiert: das Humor-Reportoire des Autors beschränkt sich in diesem Buch zumeist auf die fleißige Anagramm-Bildung und die kulturgeschichtliche Anspielung durch Namensverfremdungen. Nicht nur die Lettern von Schriftstellernamen werden munter gemischt, auch die der Größen der klassischen Musik. Kenner entdecken den Walkürenritt, ebenso wie Freude schöner Götterfunken. Keine Kunstepoche ist sicher vor der schablonenhaften Verfremdung, kein gesellschaftliches Phänomen gefeit vor einer zamonischen Entsprechung. Moers hat mit Das Labyrinth der träumenden Bücher ein Gagfeuerwerk erschaffen, welches partout nicht zünden will. Seine Einfälle funktionieren als kurzweilige Pointe – wie die Werbeausgabe des Zamonischen Kuriers oder die Alles-in-Fraktur!-Zwerge beweisen -, doch durch die konsequente Wiederholung der Lachstrickmuster wird der moers’schen Absurdität der genussvolle Stachel des Unerwarteten genommen. Auch sprachlich reflektiert Moers mit seinem Roman die schriftstellerische Verfassung seiner Hauptfigur – erfolgsverwöhnt und mit dem unerschütterlichen Glauben, dass der geneigte Leser jeden Lapsus, jede handlungsarme Durststrecke für einen Geniestreich hält.

Der Klappentext verspricht einen Beitrag zur  “Kulturgeschichte” Zamoniens, und einzig das möchte man ihm zugestehen. Voller Unglaube verfolgt der Leser eine repetitive Handlung, die aus dem Vorgängerband Die Stadt der träumenden Bücher hinreichend bekannt ist. Allein die 200 Jahre Unterschied können als Anlass gewertet werden, diese Geschichte niederzuschreiben. Bizarrer Höhepunkt des Wiederholungsreigens ist das moers’sche “play within a play”: Hildegunst wohnt einer Theateraufführung bei, die seine Abenteuer aus Die Stadt der träumenden Bücher erzählt. Der geneigte Leser kennt vielleicht das unangenehme Gefühl, von einem begeisterten Freund die Handlung eines kürzlich gesehenen Filmes nacherzählt zu bekommen: während der Erzählende, noch tausende Bilder vor Augen, begeistert die Handlung nachvollzieht, vergeht das lauschende Gegenüber vor Langeweile. Und nun stelle man sich eine 20-Seitige, begeisterte Nacherzählung einer bereits bekannten Geschichte vor, die nichts von der Begeisterung transportieren kann und zur bloßen Inhaltsangabe verkommt. Lässt Moers hier den selbstverliebten Mythenmetz auf quälende Art und Weise schwadronieren? Ist die Szene ein lebendiges Zeichen für den charakterlichen und schriftstellerischen Niedergang seiner Figur, eine Meta-Ebene des Qualitätsverlustes? Oder ist es tatsächlich ein Zeichen dafür, dass Moers in seinem Roman keinerlei nennenswerte Handlung unterzubringen vermag, sondern sich an dem Glanz seines bereits erschienenen Werkes erfreut?

Auch die kulturgeschichtlichen Abhandlungen über den aufkommenden Puppetismus – professionelles Marionettenspiel –  in Buchhaim sind nur ein schwacher Abglanz jenes Zaubers, den eine moers’sche Schilderung über die Katakomben von Buchhaim heraufzubeschwören vermochte. Seine Versuche, ein lebendiges Bild einer künstlerischen Gemeinschaft zu schaffen, scheitern. Die Aufzählungen zahlreicher wunderlicher Details erschaffen ein Bild, welches an eine kaputte Marionette erinnert: es mag zu Zeiten durchaus lebendig wirken, doch gewiss nicht im jetzigen Zustand. Einzig die gewohnt phantasievollen, aber rar gesäten Illustrationen geben dem Leser einen Einblick in das neue, touristisch erschlossene Buchhaim, dessen Zauber nicht verflogen ist, sondern sich nur verlagert hat (so zumindest versichert es uns Mythenmetz).
Mit dem Prädikat „Mythenmetz’sche Ausschweifungen“ tarnt Moers bodenlose Langeweile – nichts erinnert an den Kitzel des Bizarren, der jede Ausschweifung zur willkommenen Abwechslung machte. Und als die Handlung schließlich Fahrt aufnimmt, endet der Roman. Einen Blick in das sagenumwobene und titelgebende Labyrinth der träumenden Bücher zu werfen, ist dem Leser nicht vergönnt.

Erst das Nachwort des Autors vermag es, dem ungläubigen Leser und Liebhaber des zamonischen Universums eine Erklärung für die Enttäuschung zu präsentieren: der vorliegende Roman wurde laut Moers publiziert, weil er vertraglich dazu verpflichtet war, eine Frist einzuhalten. Das erklärt so einiges: Das Labyrinth der träumenden Bücher ist keinesfalls ein fertiges Buch, allenfalls eine kürzungswürdige Ouvertüre zu einem größeren Roman. Der zweite Teil ist, laut Autor, in Arbeit, was das Kopfschütteln über das ausgefeilte Marketing für den Roman im Voraus nur noch vehementer ausfallen lässt. Nirgendwo verrät uns der Verlag, dass wir einen „Teil 1“ eines unvollendeten Werkes lesen; und entgegen der Klappentext-Ankündigung könnte kein Buch ungefährlicher sein.
Und so bleibt dem Leser nur das altbekannte Flehen: liebe Verlage, lasst euren Autoren Luft zum Atmen und Zeit zum Schreiben. Und – lieber Herr Moers: wir warten gerne länger. Zeigen Sie uns den Weg ins Labyrinth der träumenden Bücher!

Das Land ManGlaubtEsKaum von Norman MessengerDer Erzähler legt mit seinem Boot an einer merkwürdigen Insel an und macht sich auf Erkundungstour – seine aufgezeichneten Entdeckungen lassen sich in diesem Bilderbuch nachlesen.

-Als ich das Land Manglaubteskaum entdeckte, segelte ich gerade gemütlich mit meinem Boot übers Meer.-
Einführung

“Manglaubteskaum” findet man vermutlich im gleichen Atlas wie Dinotopia, die Quinookta-Insel und Translunarien: Es sind Phantasie-Länder, zu denen mehr oder weniger interessante fiktive Forschungsberichte vorliegen.
Das Land Manglaubteskaum richtet sich dabei an ein eher junges Publikum, das machen die mehr als harmlose Handlung, die gänzlich satirefreien erfundenen Wesen und Orte und auch der geringe Umfang des Buches deutlich: Auf 12 Farbtafeln begleitet man den Erzähler über die Insel, die aus dem Nichts aus dem Meer auftaucht und genauso wieder verschwindet, wenn man ihr nur einmal kurz den Rücken zukehrt, um im Boot nach dem Rechten zu sehen. Die Farbtafeln laden jedoch zum Verweilen ein: Es wimmelt von phantasievollen Naturdarstellungen in einem gedeckten Farbspektrum, man kann auch noch Seitenteile ausklappen und entweder neue Blickwinkel oder etwas völlig anderes sehen, viele Details entdecken und manchmal sogar wie bei einem Vexierbild nach versteckten Kleinigkeiten suchen.
Die Texte sind dagegen kurz und sehr simpel gehalten und zeichnen sich vor allem durch die inflationäre Verwendung des Ausdrucks “man glaubt es kaum” aus, womit wir wieder bei der angepeilten Zielgruppe des Buches wären.

Diese macht sich auch beim Einfallsreichtum in Sachen Inselflora und -fauna bemerkbar: Es gibt Bäume, an denen Buchstaben wachsen, einen Vogel, der Gummistiefel trägt, Gemüse, das im Vergleich zu unserem Gemüse vertauschte Farben hat (wird es damit interessanter oder noch grusliger für Kinder?). Nach der inneren Logik eines vorlesenden Bücherbergs und Bäumen mit Schiffsrümpfen sollte man auch nicht suchen – die unheilvoll durchhöhlten Spukberge oder die zwischen Pflanze und Tier oszillierenden Meereslebewesen verbreiten schon mehr Atmosphäre, vor allem, weil der Stil der Illustrationen sich äußerst gelungen an historischen naturwissenschaftlichen Darstellungen wie etwa von Maria Sibylla Merian orientiert. Geländequerschnitte, eine isometrische Landkarte und Detailzeichnungen von Muscheln, Samen, Federn tragen zum ästhetischen Gesamtbild bei.

Als FantasyleserIn stellt man vielleicht auch einfach etwas größere Ansprüche an fiktive Kreaturen und Länder, denn man hat ja schon einiges gesehen und gehört. Deshalb: Als reines Artbook gelungen, denn das visuelle Konzept weiß zu überzeugen und die Ausstattung tut ein Übriges. Als fiktiver Forschungsbericht zu lahm (und kurz). Als Kinderbuch ziemlich große Klasse, denn die Mash-up-Tiere und –Pflanzen regen garantiert zum Weitererfinden und –forschen an, und die Klappseiten mit den vielen Kleinigkeiten machen sogar entdeckerfreudigen Erwachsenen Spaß.

Die Landkarte der Zeit von Félix J. PalmaSie planen eine Zeitreise? Besser, Sie packen eine passende Landkarte ein! Zeitparadoxa sind in diesem Roman vorprogrammiert und laden den Leser dazu ein, sich irgendwo in der Zeit zu verlieren.
In drei Episoden folgt man einem jungen Mann, der seine Geliebte an Jack the Ripper verloren hat und in die Vergangenheit reist, um das Verbrechen zu verhindern; dann trifft man auf Claire, die sich in ihrer Gegenwart des 19. Jh. fehl am Platz fühlt und sich ins Jahr 2000 flüchtet, wo sie sich unerwartet verliebt; zuletzt begleitet man Inspektor Garrett bei der Jagd nach einem Mörder, dessen Waffe noch gar nicht erfunden wurde – und alles läuft zusammen bei H.G. Wells höchstpersönlich …

– Andrew Harrington wäre gern mehrere Tode gestorben, wenn er sich unter all den Pistolen, die sein Vater in den Vitrinen des Salons aufbewahrte, nicht für eine einzige hätte entscheiden müssen. Entscheidungen waren nicht seine Stärke. Genau besehen erwies sich sein Dasein als eine Kette von Fehlentscheidungen, deren letzte ihren langen Schatten bis in die Zukunft zu werfen drohte. Doch mit diesem wenig beispielhaften Leben voller Fehlgriffe war jetzt Schluss. –
1

Die Landkarte der Zeit (El mapa del tiempo) ist kein leicht zu rezensierendes Buch, denn es steckt voller Gegensätze. Autor Félix J. Palma spielt mit den Erwartungen seiner Leser, führt sie bewusst hinters Licht, nur um sie dann mit der nächsten Wendung zu überraschen. Manchmal macht er das sehr geschickt, dann wieder sehr bemüht, manches ist entweder ein schlauer Kniff oder eine bittere Enttäuschung. Das Buch ist außerdem Liebesroman, Science Fiction, Krimi, Historischer Roman und Drama in einem. Der ein oder andere wird jetzt vielleicht schon ahnen, dass Die Landkarte der Zeit die ausgeprägte Fähigkeit besitzt, Meinungen zu spalten.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Jeder davon hat andere Hauptfiguren und erzählt eine eigene Geschichte, die in sich abgeschlossen ist. Es gibt dabei aber Charaktere, die in allen Teilen auftauchen und eine interessante Verstrickung der Geschichten offenbaren. Nebenfiguren werden zu Hauptfiguren und umgekehrt, je nachdem, wessen Geschichte man gerade folgt. Dabei ist dieser Roman recht intelligent aufgebaut und ab und an blitzt auch der köstliche Humor des allwissenden Erzählers durch, der an den (Film-)Erzähler von Per Anhalter durch die Galaxis erinnert.

Weltenbau und Charaktere sind ebenfalls allesamt sehr lebendig gezeichnet mit einer deutlichen Liebe fürs Detail. Es ist ein Leichtes, sich das viktorianische Setting der Erzählungen vorzustellen – die schmutzigen Gassen Whitechapels, die prachtvollen Herrenhäuser Londons, die feinen Teesalons, die massiven Heldenstatuen, die Zeitmaschine von H.G. Wells … Gerüche und Figuren werden lebendig, hier erweist sich auch der spielerische Umgang mit der Sprache als großer Vorteil.

Auf der anderen Seite gibt es oft Längen und Monologe, in denen man das Gefühl hat, der Autor hört sich einfach gerne selbst reden. Jene Monologe sind besonders deswegen so störend, weil sie in der Regel nur 1:1 nacherzählen, was kurz vorher erst geschehen ist oder geschichtliche Ereignisse werden unnötig genau zusammengefasst – als rechnete man mit plötzlicher Amnesie oder eklatanten Bildungslücken beim Leser. Manches ist dabei auch zu leicht vorhersehbar, was die Stärken des Romans leider ab und an in den Schatten stellt. Durch diese starken Gegensätze von intelligenter Unterhaltung und langweiligen Seitenfüllern schwankt der Lesegenuss öfter mal vom einen ins andere Extrem und am Ende weiß man nicht, ob man dieses Buch mag oder nicht.

Die Landkarte der Zeit ist auch ohne die erwähnten Längen kein spannungsgeladenes Buch. Es ist eine ruhige Geschichte mit kniffligen Verknüpfungen und teils abenteuerlichen Entwicklungen. Wer Zeitreisen sucht, muss sich vor allem ihren theoretischen Möglichkeiten stellen und sich darüber im klaren sein, dass es kein Zukunftsroman ist und die Haupthandlung 1896 stattfindet. Vielmehr ist Die Landkarte der Zeit daher ein Buch für Nostalgiker, die gerne durch die Vergangenheit schlendern und hier und da ein paar Schlenker durch die Zeit schlagen wollen.

Wer gefallen an der Erzählung findet, kann sich mit Die Landkarte des Himmels außerdem über eine Fortsetzung freuen. Dieser erste Band ist aber in sich abgeschlossen und besteht auch problemlos als Einzelband.

The Last Olympian von Rick RiordanDie finale Schlacht ist gekommen und der Krieg um die Herrschaft beginnt. Mit seiner gewaltigen Armee zieht Kronos auf Manhattan zu, um den Olymp und die Götter zu zerstören. Während die olympischen Götter außerhalb gegen Titanen kämpfen müssen, wurde die Stadt in tiefen Schlaf versetzt und von der Außenwelt abgeschottet. Es bleiben nur noch die wenigen Halbgötter des Camp Half-Blood als letzte Verteidigung für den Olymp – vierzig gegen vierhundert. Doch das Camp ist nicht nur in der Unterzahl, die Häuser sind auch gespalten und ein Verräter bewegt sich unerkannt unter ihnen. Nicht zuletzt ist außerdem die Zeit für Percy Jacksons vielleicht letzte Entscheidung gekommen.

– The end of the world started when a pegasus landed on the hood of my car. –
I go cruising with Explosives, S.1

The Last Olympian (Die letzte Göttin) ist der wohl stärkste Teil dieser Reihe. Autor Rick Riordan hat sich mit jedem neuen Buch ein gutes Stück gesteigert, doch in diesem fünften Band holt er noch einmal alles raus und liefert den Lesern ein triumphales Finale.

Der letzte Roman um Percy Jackson startet ohne viel Vorspiel mit einem Kampf und dem plötzlichen Tod eines Freundes. Das gesamte Camp befindet sich im Kriegszustand, die Emotionen sind angespannt, Hoffnung ist kaum noch vorhanden und zu allem Überfluss herrschen auch innerhalb der Gruppe von Halbgöttern Streitereien. Die Kinder des Olymp sind praktisch auf sich allein gestellt, denn ihre göttlichen Eltern kämpfen, mit wenig Erfolg, an anderer Front gegen Titanen, die auf den Olymp zu marschieren. Campleiter Chiron ist ebenfalls fort, um Hilfe zu suchen, doch die Rückmeldungen von beiden Parteien klingen ziemlich aussichtslos. Die Chancen stehen also erbärmlich schlecht und entsprechend schwer sind die Gedanken unserer Helden, denn es geht von Anfang bis Ende um mehr als nur das eigene Überleben.

Wer nun fürchtet, The Last Olympian biete einen deprimierenden Lesegenuss, der irrt. Angesichts der Lage geschehen einige tragische Dinge, die an den Protagonisten durchaus nagen und auch den Leser nicht kalt lassen. Doch mit einem neuen Höchstmaß an Sarkasmus und Galgenhumor sorgen Percy und seine Freunde auch immer wieder für unerwartet humorvolle Einlagen, die zeigen, dass unsere Halbgötter noch lange nicht am Ende sind. Auch Gott Apollo gibt wieder kleine Spezialitäten zum Besten, nahezu preisverdächtig ist seine jüngste Auswahl an Fahrstuhlmusik. Wer bisher noch nicht von diesem Hitzkopf hingerissen war, der wird Apollo nach der Lektüre dieses letzten Bandes lieben.

Wie eingangs erwähnt, hat Rick Riordan in seinem finalen Aufgebot der Percy-Jackson-Reihe Höchstform gezeigt. Mehr beschreibende Details kreieren eine plastische, lebendige Welt, und zusätzlich kommen die Götter und ihre Gegenspieler viel häufiger zum Zuge und sorgen für echte mythologische und antike Stimmung. Unter den vielen Charakteren, die beinahe beiläufig, aber wirkungsvoll weiter ausgebaut werden, fällt vor allem der junge Nico sehr positiv auf. Der Sohn des Hades, der bei seinem ersten Auftritt in The Titan’s Curse (Der Fluch des Titanen) noch wie ein naiver, aufgeweckter Junge ohne Sorgen wirkte, hat sich bis in den finalen Band zu einem wirklich interessanten und düsteren Charakter entwickelt. Umso erfreulicher, dass er im fünften Band eine wichtige Rolle einnimmt, in der lange nicht klar ist, für welche Seite der Junge tatsächlich kämpft.

Am Ende von The Last Olympian hat man etliche Verluste erlebt, den Mut und die Hoffnung nicht verloren, ist an den Erlebnissen gewachsen und mit ihnen erwachsen geworden. Man hat auch gelernt, dass junge Frauen im Kriegszustand verflucht Angst einflößend sein können, und man hat unheimlich viel zu lachen und zu bangen gehabt. The Last Olympian macht eigentlich alles richtig und übertrifft die Erwartungen an dieses Finale. Glücklicherweise verzichtet der Autor auf einen kitschigen Epilog, der das Leseerlebnis nachträglich hätte trüben können.

Wer nun noch immer nicht genug bekommen hat von Halbgöttern und olympischen Bewohnern, dem könnte die ähnlich konstruierte, aber mit neuen Charakteren besetzte Folgeserie The Heroes of Olympus gefallen.

The Legend of Sleepy Hollow von Washington Irving und Gris GrimlyIchabod Crane ist ein armer Schlucker von Dorflehrer, der sich ausgerechnet in die hübsche Tochter eines reichen Mannes verliebt. Während er mit seiner stillen und etwas unbedarften Art versucht, seiner Angebeteten höflich den Hof zu machen, hat er gegen die auftauchende Konkurrenz, einen grobschlächtigen Muskelprotz, keine Chance. Als er eines Nachts später als geplant von einem Kaffekränzchen mit älteren Damen aufbricht, wird er schließlich auch noch von der alten Legende des kopflosen Reiters heimgesucht.

– In the bosom of one of those spacious coves which indent the eastern shore of the Hudson lies a small market town, or rural port, which is known by the name of Tarry Town. –

The Legend of Sleepy Hollow gehört im englischsprachigen Raum wohl zu einer der Geschichten, die alle Kinder irgendwann als Gruselmärchen erzählt bekommen. Hierzulande dürfte den meisten wohl eher die Verfilmung von Tim Burton mit Johnny Depp als etwas schrulligem Ermittler bekannt sein.

Wenn man sich nun die Vorlage von Washington Irving ansieht, dann wird schnell klar, dass es sich hier um eine völlig andere Geschichte handelt und die Enttäuschung folgt bei manch einem Leser auf dem Fuße. Es gibt einen kopflosen Reiter und auch einige Namen stimmen überein, aber das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Keine Hexen, keine böse Stiefmutter, keine Albträume von verstorbenen Eltern, keine okkulten oder magischen Symbole unter dem Bett, keine Autopsien und keine Liebesgeschichte.
The Legend of Sleepy Hollow ist leider alles andere als spannend oder gar unheimlich. Es ist die Erzählung über einen schlecht verdienenden Lehrer von schmächtiger Statur und unattraktivem Äußeren, der sich in eine schöne reiche Tochter verguckt und mit einem ebenso reichen starken Kerl  konkurrieren muss. Unnötig zu erwähnen, wer da wohl das Rennen macht, zumal die Rollenbilder der damaligen Zeit natürlich heute deutlich antiquiert wirken und andere Botschaften transportierten, als man es als moderner Leser gewohnt sein sollte. Der kopflose Reiter? Nur eine Geschichte in einer Geschichte, die Schreckphantasie eines ohnehin schon wunderlichen Mannes.

The Legend of Sleepy Hollow illustriert von Gris GrimlyAuch die herrliche Illustrationskunst von Gris Grimley, der sich gerne an solch alten Texten austobt, vermag die Wirkung der Geschichte daher leider nicht zu heben. Möglich ist natürlich, dass The Legend of Sleepy Hollow, wie viele Klasiker der Literatur, einfach nicht mit dem modernen Verständnis von Grusel und Horror mithalten kann. Im 19. Jhrd. sah das vielleicht völlig anders aus – schließlich galt da auch Dracula als höchst unheimliche Lektüre – während sie heute mehr aus rumsitzen und Tee trinken zu bestehen scheint und man von dem “Bösen” nicht wirklich viel bemerkt. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob Washington Irving überhaupt so stark auf handfesten Grusel aus war oder ob er nicht eher darauf abzielte, die schaurigen Geschichten, die im Zuge der Gothic Novel und der Romantik populär waren, zu ironisieren. Dies würde auch die irdisch-profane Deutung des “Spuks” in der Geschichte erklären. So oder so, Kinder, die noch nicht so abgeklärt sind wie Erwachsene, dürften die Geschichte um den kopflosen Reiter sicher anders wahrnehmen als ein Erwachsener mit größerer Leseerfahrung.

Diese kleine Lektüre ist letztlich durchaus gut geschrieben und die altmodische Sprache bleibt dabei nicht nur recht gut verständlich, sie besitzt auch einen gewissen Charme. Bloß vermag sie es nicht, eine Atmosphäre jedweder Form aufzubauen. Allein wegen der Illustrationen lohnt es sich für Freunde der Optik aber dennoch, dieses Büchlein zur Hand zu nehmen und die vielen kleinen Details und die ganz eigene Art des Künstlers zu erkunden. Die tollen Ergebnisse, die Gris Grimly mit einer begrenzten Farbpalette, klassischer Tusche- und Aquarelltechnik erzielt und wie er die stark überzeichneten Charaktere mit Sympathie und Leben füllt, sind für sich betrachtet unterhaltsam genug.

Percy Jackson: Die letzte GöttinDie finale Schlacht ist gekommen und der Krieg um die Herrschaft beginnt. Mit seiner gewaltigen Armee zieht Kronos auf Manhattan zu, um den Olymp und die Götter zu zerstören. Während die olympischen Götter außerhalb gegen Titanen kämpfen müssen, wurde die Stadt in tiefen Schlaf versetzt und von der Außenwelt abgeschottet. Es bleiben nur noch die wenigen Halbgötter des Camp Half-Blood als letzte Verteidigung für den Olymp – vierzig gegen vierhundert. Doch das Camp ist nicht nur in der Unterzahl, die Häuser sind auch gespalten und ein Verräter bewegt sich unerkannt unter ihnen. Nicht zuletzt ist außerdem die Zeit für Percy Jacksons vielleicht letzte Entscheidung gekommen.

– Das Ende der Welt begann damit, dass ein Pegasus auf der Motorhaube meines Wagens landete. –
Ich gehe mit einer Ladung Sprengstoff auf Kreuzfahrt

Zu Die letzte Göttin liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Percy Jackson – The Lightning ThiefPercy Jackson ist ein Problemkind wider willen, denn er gerät von einer seltsamen Situation in die nächste. Kein Wunder, dass er schon von sechs Schulen geflogen ist. Was er und der gewöhnliche Mensch aber nicht ahnen: Percy Jackson ist kein Unruhestifter sondern ein Halbgott und damit in höchster Lebensgefahr. Denn die Schergen des Gottes der Unterwelt haben es auf den Jungen abgesehen, nicht nur weil er im Verdacht steht, den berüchtigten Blitz des Zeus gestohlen zu haben. Die Furien sind ihm bereits dicht auf den Fersen, und die einzige Chance zu überleben scheint das Camp Half-Blood zu sein in dem ein mauliger Dionysus die Leitung hat.

– Being a half-blood is dangerous. It’s scary. Most of the time, it gets you killed in painful, nasty ways. –
I Accidentally Vaporize My Math Teacher, S. 1

The Lightning Thief (Diebe im Olymp) ist der erste Roman aus der Jugendbuchreihe Percy Jackson & The Olympians. Wie der Reihentitel schon erahnen lässt, dreht sich die Handlung um Figuren und Sagen aus der griechischen Mythologie. Percy Jackson wird oftmals auch als griechischer Harry Potter bezeichnet. Mit seinem Helden schafft es Autor Rick Riordan, trotz einiger Parallelen dennoch eine eigenständige Geschichte mit einer gänzlich anderen Atmosphäre zu erschaffen. Dementsprechend wäre niemandem damit gedient, sich von Percy Jackson einen zweiten Harry Potter zu erhoffen, aber es gibt natürlich trotzdem jede Menge Magie, gefährliche Monster, schwammige Prophezeiungen eines ganz schön ausgedörrten Orakels und natürlich eine gefährliche Queste für unsere drei jungen Helden.

Percy Jackson, Sohn des Meeresgottes Poseidon und titelgebender Held dieser Reihe, gilt als Legastheniker und chronischer Unruhestifter mit einem diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom – dabei ist sein Gehirn einfach nur auf antikes Griechisch gepolt, was freilich niemand, nicht einmal er selbst, ahnt. Mit dieser Diagnose erklärt sich der Junge die seltsamen Dinge, die in seiner Umgebung geschehen, und kommentiert sie mit viel zynischem Humor. Entsprechend amüsant gestalten sich nicht nur Dialoge mit anderen Charakteren, sondern auch die Erzählung insgesamt, die aus der Perspektive eines schlagfertigen Percy geschildert wird.
Für weiteren Witz sorgen der Satyr Grover, dem in besonders heiklen Momenten nicht nur Schuhe und Hosen verloren gehen, sondern auch mal ein Blöken entweicht, und die strategisch denkende Annabeth – Tochter der Göttin Athene – die sich gerne mal mit der rivalisierenden Tochter des Ares in den Wettkampf begibt. Überhaupt ist auffällig, dass die größten und gefürchtetsten Raufbolde in diesem Roman Mädchen sind. Es hüte sich, wer auf dem Schulhof an Zöpfen ziehen möchte …

Dass The Lightning Thief aber auch ernsthafte Seiten hat, beweisen u.a. die Opfer, die Percys Mutter bringt, und das schwierige Verhältnis von Percy zu seinem Vater Poseidon, der sich nicht sicher ist, wie er zu seinem Sohn steht. Da ist einerseits Poseidons willentliche Bekenntnis zur Vaterschaft und andererseits seine Schuldgefühle darüber, durch Percys Zeugung eine wichtige Abmachung mit seinen Brüdern Zeus und Hades gebrochen zu haben. Außerdem scheint es allen Halbgöttern bestimmt zu sein, ein tragisches Schicksal bis hin zu brutalen Toden zu erleiden. Auch das nagt an dem Gott der Meere, der nur wenige eigene Auftritte in diesem Roman hat.
Während man als Leser also doch die ganze Zeit auf ein glückliches Zusammenkommen von Vater und Sohn hofft, die sich beide wie unsichere Boote umschiffen, bleibt Riordan realistisch und arbeitet bis zum Schluss konstant mit dem Zwiespalt seiner Figuren. Auch an anderen Fronten scheinen die familiären Beziehungen eine wichtige Rolle für den Autor zu spielen. Sie bereichern diesen phantastischen Roman um allzu real existierende Probleme, die sowohl junge und ältere Leser zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Lebens kennengelernt haben dürften. Darum bleibt es häufig auch nur bei Anspielungen und Anzeichen, die man erst mit einem gewissen Erfahrungswert sofort zu erkennen weiß. Leicht genug für junge Leser zu verstehen und durchs Hintertürchen auch derb genug, um ältere Leser unterhalten zu können. Dieses Spiel mit Andeutung und gezielt ausgelassener Information funktioniert in The Lightning Thief sehr gut und macht den Roman für alle Altersgruppen zu einem interessanten Lesevergnügen.

Atmosphärisch reiht sich der Roman in eine urbane Fantasywelt ein, in der Technologie und Magie unerkannt miteinander verschmolzen nebeneinander existieren. So gelangt man über bekannte Wahrzeichen wie das Empire State Building in den Olymp oder landet beim Betreten eines Casinos in einem modernen und trügerischen Nirvana. Diese Verschmelzung ist in The Lightning Thief leider nur teilweise gelungen, stellt allerdings auch nicht das Hauptaugenmerk des Romans dar. Denn das liegt eher bei Charakterbildung und Handlung. Etwas dürftig gestaltet sich dementsprechend auch die Erklärung dazu, weshalb wir die Götter der griechischen Mythologie neuerdings in den USA finden. Es wäre fast besser gewesen, diese Erklärung und den damit verbundenen Patriotismus auszusparen, stellt aber nur einen kleinen Fleck auf der sonst sauberen Weste dieses Auftaktromans dar.

The Lightning Thief präsentiert sich also als ein gelungenes Buch für jeden, der es gerne zynisch-sarkastisch-humorvoll mag und ein Herz für die alten Götter Griechenlands hat. Große Sprünge und grandiose neue Ideen darf man von dem Roman nicht erwarten, als solider Vertreter klassischer Fantasy-Erzählungen ist The Lightning Thief aber durchaus zu empfehlen.

Verfilmung:
Filmplakat The Lightning ThiefPercy Jackson & The Lightning Thief (Percy Jackson – Diebe im Olymp) wurde 2010 u.a. mit Logan Lerman in der Hauptrolle des Percy Jackson, Sean Bean als Zeus, Uma Thurman als Medusa und Pierce Brosnan als Chiron unter selbigem Titel verfilmt. Trotz der starken Besetzung bietet der Film aber nicht mehr als leichte Kost für zwischendurch. Die Handlung weicht außerdem in einigen Punkten von der des Buchs ab und erzählt eine teilweise andere Geschichte.

Long Walks, Last Flights von Ken ScholesIn 17 Kurzgeschichten nimmt Ken Scholes seine Leser mit auf Reisen durch die Zeit, in qualmende Ruinen, auf abgelegene Planeten, nach Paris, in eine amerikanische Kleinstadt, in die japanische Mythologie, kreuz und quer durch Fantasy-Welten und sogar in die Hölle …

-Meriwether Lewis stared down at the time-worn scrap of paper, holding it in his hands as if it were a rare butterfly too easily crushed.-
The Man With The Great Despair Behind His Eyes

Ken Scholes, inzwischen mit dem Roman Lamentation als Autor von epischer, post-apokalyptischer Fantasy zu Ehren gekommen, hat seine Karriere mit dem Schreiben von Kurzgeschichten begonnen. Diese erste Sammlung bietet einen guten Überblick über die thematische Bandbreite und das weite Feld von Stilrichtungen dieses ausgesprochen ideenreichen Schriftstellers.
Dabei ziehen sich die Themen Religiosität, Schuld und Mythos quer durch alle Geschichten und werden mehrfach beleuchtet, und Leser, die gerne tüfteln, finden reichlich Anspielungen auf historische Persönlichkeiten, im kulturellen Gedächtnis verankerte Ereignisse und Musik, Literatur und Film.
Psychologisch fein herausgearbeitete Figuren verankern die Geschichten, die verschiedenste Spielarten der Phantastik abdecken, in der Realität. Da lernt man zum Beispiel den Obdachlosen Fearsome Jones kennen, der mit seiner obsessiven Sammelleidenschaft versucht, über sein eigenes Versagen hinwegzukommen und dabei etwas aus dem Müll fischt, das ihn und seine Kumpels in höchste Schwierigkeiten bringt (Fearsome Jones’ Discarded Love Collection).
Oder den einfach gestrickten Trucker Jeb, der mit Hilfe eines geheimnisvollen Mädchens in der Hölle Erlösung findet, als er erkennt, daß ein Großteil der Hölle im eigenen Kopf entsteht (So Sang the Girl Who Had No Name).
Und einen Hibakusha – einen traumatisierten Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Japan – dessen Weg zurück zu sich selbst mit Gruppensitzungen in psychologischer Betreuung einerseits in die Realität Japans nach dem Zweiten Weltkrieg eintaucht, andererseits in die Welt der japanischen Mythologie und sogar der modernen Mythen über Japan in der westlichen Welt führt (Hibakusha Dreaming in the Shadowy Land of Death).

Ein zweiter Besuch in der Hölle aus So Sang the Girl Who Had No Name präsentiert mit Houdini und William Hope Hodgson zwei prominente Protagonisten, die eine Queste durch das symbolisch stark aufgeladene Leben nach dem Tod führt – mit den Mitteln und dem Selbstverständnis zweier Abenteurer des frühen 20. Jahrhunderts (Into the Blank Where Life is Hurled). Scholes’ Hölle mit ihren Monstern, surrealen Landschaften und einem dennoch routinehaften Alltag kann beispielhaft dafür stehen, wie geschickt der Autor mit seinen Settings und Ideen die Aufmerksamkeit des Lesers bindet und seine Neugier immer weiter füttert.
Der Zauberer und der Schriftsteller sind längst nicht die einzigen historischen Persönlichkeiten, die in den Kurzgeschichten auftreten: In The Man With The Great Despair Behind His Eyes begegnet man nicht nur der Expedition zur Pazifik-Küste von Lewis und Clark – die Erzählung ist gespickt mit Anspielungen quer durch die US-Geschichte, so daß man als Europäer mitunter Wikipedia bemühen muß.
Wiederum mit Gestalten des 20. Jahrhunderts spielt Summer in Paris, Light from the Sky, die problematischste Geschichte der Sammlung, in der man das Schicksal von Hemingway, Chaplin und Hitler in einer alternativen Realität verfolgt, in der alle drei aufgrund veränderter äußerer Umstände teils völlig anders verlaufende Lebenswege einschlagen. Scholes arbeitet hier mit dem stärksten vorstellbaren Kontrast zur Realität, um zu vermitteln, daß Monster und Heilige durch Einwirkungen von Außen geschaffen werden – das garantiert der Geschichte eine große Wirkung, verstärkt durch eine Rahmenhandlung, die aus fiktiven Zitaten besteht, wird aber nicht jedermanns Geschmack treffen.

Ein, wenn nicht sogar der Höhepunkt der Sammlung ist Edward Bear and the Very Long Walk, eine Art inverses Winnie-Pu-Abenteuer, in dem es den Spielzeugbären auf einen fremden Planeten verschlägt und der Leser Heldentum durch Stoffbären-Augen erfährt. Eine behutsame Überführung des Kinderbuch-Helden in die Science Fiction, die klassische Themen des Genres aufgreift und eine anrührende, epische Queste erzählt, dabei aber dem Stil der originalen Pu-Geschichten sehr treu bleibt und sie gleichzeitig auf den Kopf stellt. Eine Pflichtlektüre für alle, die noch ein Kuscheltier besitzen – aber Vorsicht: die Geschichte geht ans Herz.
Ebenfalls in ganz klassischen SF-Gefilden bewegt sich A Good Hair Day in Anarchy, das Western und Science Fiction auf eine Weise verbindet, die auch Fans der Serie Firefly zu schätzen wissen dürften. Lässiger Humor, ein schräges Setting in den gesetzlosen Außenbezirken des bewohnten Universums und eine clevere Geschichte machen das Ganovenstückchen um einen Frisör mit Vergangenheit zu einer runden und sehr vergnüglichen Lektüre.

Schon in Edward Bear and the Very Long Walk hat Scholes angedeutet, wie Mythen geboren werden, in The Santaman Cycle treibt er das Konzept auf die Spitze und beschreibt mit eleganter Hand eine nur lose im Bestehenden verankerte Schöpfungsgeschichte einer Welt nach der Apokalypse. Der epische Ton und die verwendeten Bilder funktionieren erstaunlich gut – nach den lediglich drei Seiten ist man fasziniert von den angerissenen Geschichten und der Welt, deren verschwommenes Bild sich vor dem inneren Auge zeigt.
In The Doom of Love in Small Spaces greift Scholes die Mythen aus dem Santaman Cycle noch einmal auf, erzählt aber eine relativ hermetische Geschichte, die kaum Episches anklingen läßt, sondern aufzeigt, daß die Bürokratie mit ziemlicher Sicherheit auch nach der Apokalypse erhalten bleibt.
In ähnlicher Weise funktioniert Of Metal Men and Scarlet Thread and Dancing with the Sunrise. Die Geschichte skizziert auf wenig Raum und mit großartigen Bildern eine Welt, die Scholes inzwischen mit dem auf diesem Ausschnitt basierenden Zyklus The Psalms of Isaak weiter erkundet hat. Das Potential der Figuren und der Welt ist auch in diesem kurzen Streiflicht nicht zu übersehen.

Einen nur leichten bzw. erst im Laufe der Geschichte anwachsenden phantastischen Einschlag hat sowohl das kurze, eindringliche Soon We Shall All Be Saunders, eine Parabel über die Entfremdung vom eigenen Selbst unter den Anforderungen der (Arbeits-)Welt, und That Old-Time Religion, das konsequent das Bild des zürnenden Gottes aus dem Alten Testament in eine amerikanische Kleinstadt transportiert.
Richtige Enttäuschungen wird man in Long Walks, Last Flights and Other Strange Journeys kaum finden, lediglich eine Handvoll Geschichten sind nicht ganz überzeugend durchkomponiert: So ist zwar Ken Scholes’ Ausflug ins Superhelden-Genre für einige Lacher gut und liefert zumindest eine überzeugende Grundidee, der Plot jedoch läßt zu wünschen übrig (Action Team-Ups Number Thirty-Seven), und auch One Small Step und East of Eden and Just a Bit South, beide mit Untertönen aus der Schöpfungsgeschichte, wirken nicht ganz überzeugend.
Abgeschlossen wird die Sammlung mit der Erzählung Last Flight of the Goddess, die vorab auch schon als Kurzroman erschienen war – einer Hommage an das Rollenspiel Dungeons & Dragons und die unsterbliche Liebe. In Rückblenden verfolgt man den Werdegang eines Abenteurer-Pärchens und gleichzeitig den Umgang mit dem Verlust eines Partners. Rollenspieler finden darin einiges zum Schmunzeln, und auch Fans klassischer Abenteuer-Fantasy dürften durch den warmen Erzählton, den augenzwinkernden Humor und die schrägen Ideen auf ihre Kosten kommen, allerdings kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Plot nicht über die ganze Länge trägt und eine Straffung hier und da nicht geschadet hätte.

Die Vielfalt der Geschichten, die Long Walks, Last Flights zu bieten hat, läßt letzten Endes keine Wünsche offen und zeigt eindrucksvoll, wie versiert Scholes in seinen Themen ist – sowohl als Chronist epischer, gewaltiger Ereignisse als auch als Beobachter des Zwischenmenschlichen und der seelischen Vorgänge. Besonders empfehlenswert ist darüber hinaus das Nachwort zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Werke, das die Geschichten gut ergänzt und eine sprühende Kreativität durchblicken läßt, die ansteckend wirkt. Idee und Umsetzung sind fast durchgängig gleichermaßen gelungen, so daß man sich auf weitere Geschichten aus Scholes’ Feder nur freuen kann – er ist ein Meister dieses Fachs.

Die sogenannte „Erste Welt“ ist zugrunde gegangen und es folgte eine Art Dunkles Zeitalter. Die Kriege und das Chaos haben ihre verhängnisvollen Spuren nicht nur auf der Welt hinterlassen, sondern auch in und an den Menschen, die sie bevölkerten. Etwas ging verloren; der Unwirtlichkeit der „Welt“ – wie sie nun im Gegensatz zur „Ersten Welt“ genannt wird – begegnen die meisten nur noch mit fatalistischer Resignation, weshalb sich die verschiedenen Staatsgebilde im Niedergang befinden. Um dem entgegenzuwirken, schmiedet General Toriman aus der Karolinischen Republik einen Plan: Zur Neu-Entfachung des Unternehmungsgeists der Menschheit soll aus den Relikten der Ersten Welt ein Raumschiff gebaut werden, mit dem man zu einem neuen Planeten fliegen könnte …

-»All right, we don’t have to go traipsing off into the Barrens or some other objectionable place looking for enchanted vials with this thing in them. All we have to do is awaken it in the citizenry.«-
Seite 32

Lords of the Starship (Das Sternenschiff) war der Debutroman des damals (1967) 21-jährigen Mark Geston und ist zugleich der erste Band der nur lose miteinander verknüpften Trilogie The Books of the Wars. Diese ist derzeit in einem gleichnamigen Sammelband von Baen (ISBN: 978-1416591528) in englischer Sprache verfügbar, auf Deutsch wurde 1988 der Sammelband Das Schiff veröffentlicht, der allerdings anstelle des dritten Bandes The Siege of Wonder den nicht zur Reihe gehörenden Roman The Day Star enthält.

Die angenehme Überraschung an diesem Roman ist, dass hier eine im Niedergang befindliche Welt nicht durch irgendein verschollenes Objekt gerettet werden kann, sondern es an den Menschen selbst liegt, was sie aus ihrem Schicksal machen. Anstatt einer Queste werden in diesem Band die wahren Hintergründe und die Entwicklung des Plans über 150 Jahre hinweg erzählt. Damit wird aber auch dargelegt, wie die Gesellschaft und die politische Landschaft der Welt mit der Verwirklichung dieses Plans in Wechselwirkung stehen. Gerade diese Aspekte werden dem Leser/der Leserin aber teilweise nur schematisch präsentiert. Es wird trotzdem deutlich, wie die Fokussierung einer Gesellschaft auf ein Ziel diese verändert und dass sich diese Veränderung wiederum auf das Erreichen des Ziels auswirken kann.

Der Reiz des Romans liegt in seinem Setting, in dem sich verschiedene Elemente vermischen. Einerseits gibt es neuzeitlich anmutende bürokratische Strukturen, Wissenschaften und Staatsgebilde, daneben aber ebenso mittelalterliche wie moderne Waffen und die zahlreichen Relikte aus der Ersten Welt, die modern bis zukünftig sind. Die Versuche, diese Errungenschaften nachzubauen, enden in kruden und zumeist dysfunktionalen Konstruktionen, die einen Hauch von Mad Max in die Welt bringen.

Geston gelingt es, dieses Setting in einer ebenso lebendigen wie anschaulichen – teilweise etwas ausufernden – Sprache einzufangen und atmosphärische Szenen zu schaffen, dabei reicht die Bandbreite von der Faszination und Ehrfurcht angesichts der Anlagen der Ersten Welt über brutale (und bizarre) Kämpfe mit Mutanten bis hin zum majestätischen Raumschiff. Geston schafft Szenen, die einem im Gedächtnis bleiben.

Dieses Talent ist auch wichtig, denn es gibt kein festes Set von Protagonisten, zu denen man eine Beziehung aufbauen könnte, vielmehr dienen unterschiedlichste Personen nur dazu, um dem Leser/der Leserin das Verfolgen wichtiger Entscheidungen, Ereignisse oder Veränderungen in der Ausführung des Plans und schließlich in der Welt zu ermöglichen. Schlaglichtartig blitzen diese Personen also auf und verschwinden nach ein bis zwei Kapiteln wieder. Ausgefeilte Figuren kann man daher nicht erwarten, trotzdem gelingt es Geston gut, auch hier Figuren greifbar zu skizzieren, schließlich wird der Anfang der Kapitel auf die Charakterzeichnung verwandt. Hierin liegt aber auch eine Schwäche des Romans – die man auf die historischen Umstände und/oder das Alter des Autors zurückführen kann – denn die einzelnen Point-of-Views stammen allesamt von Männern, Frauen kommen quasi gar nicht vor und wenn, dann in der Rolle der Ehefrau oder Geliebten. Ebenso könnte man dem Roman eine gewisse Eliteaffinität unterstellen – dort finden sich zumeist die lobenswerten Ausnahmen von der allgemeinen Resignation und Antriebslosigkeit. Dieser Eindruck wird allerdings in manchen Szenen gebrochen, so wie Geston überhaupt einige einander widersprechende Weltbilder auftreten lässt, von Technokratie über pathetischen Essentialismus bis hin zu kultischem Erlösungsglauben.

Gegen Ende werden die Fantasyelemente dezent stärker betont, die bis dahin eher im Hintergrund standen, trotzdem bleibt Lords of the Starship ein SF-Roman.

Die Magie des Assassinen von Robin HobbKing Shrewd ist tot. Fitz ist offiziell auch tot. Also machen sich Fitz und Nighteyes auf, um ihren Freund und König Verity zu retten. Dieser ist auf der Mission, die Elderlings zu finden, verschollen. Regal ist nun König der Six Duchies. Fitz fasst den festen Entschluss, erst einmal Regal zu töten, und dann Verity zu retten. Leider entpuppt sich beides als nicht so einfach, zumal niemand weiß, in welchem Niemandsland Verity verschollen ist. Letztendlich gilt es allerdings “nur” die Elderlings zu finden, sie als Verbündete zu gewinnnen und damit die Six Dutchies zu retten.

– Ich erwache jeden Morgen von neuem mit Tinte an meinen Fingern. Manchmal liege ich weit ausgestreckt auf meinem Schreibtisch, inmitten von Schriftrollen und Pergamenten. –
Prolog, Das nicht Erinnerte

Zu Die Magie des Assassinen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der magische Stein von David ZindellVor vielen Jahrtausenden, so sagen es die Legenden der Menschen, brachte Elahad, der König des Sternenvolks, den Lichtstein nach Ea, in die Welt der Menschen. Der Stein verleiht seinem Besitzer unermesslich große Macht, doch ging er vor Jahrhunderten verloren. Und nun sucht Morjin, der Herr der Lügen, den Stein, um mit seiner Hilfe die Welt zu unterwerfen. Doch auch Valashu, Prinz eines der letzten freien Königreiche Eas, macht sich, unterstützt von seinen treuen Gefährten, im Auftrag des Königs von Tria auf die Suche nach dem Lichtstein.

-In klaren Winternächten habe ich manchmal Berge bestiegen, nur um den Sternen näher zu sein.-
1

Sieben mutige Gefährten, ein jeder mit eigenen Fähigkeiten und eigenen Träumen, machen sich auf die lange und gefahrvolle Suche nach einem mächtigen, vor Zeiten verschollenen magischen Artefakt, mit dem die Welt entweder zum Guten oder zum Bösen gewendet werden kann, verfolgt von den grausamen Schergen des finsteren Herrschers, der diesen sensationellen Lichtstein gerne für sich allein hätte. Hach, wie schön, eine klassische Queste! Wie, das hat man schon tausendmal gelesen, in ungefähr jedem zweiten Buch mit dem Label “Fantasy”?
Für alle, die sich dem ersten begeisterten Seufzer nicht anschließen können und die nicht gleich loslesen und Valashu und seine Getreuen auf der Suche nach dem Lichtstein begleiten möchten, gibt es hier ein paar Gründe, weshalb sich der Blick in diese potentielle Ansammlung von Fantasy-Klischees durchaus lohnt:

David Zindell hat eine ganze Menge Inhalt in seinen Roman gepackt – in den über tausend Seiten steckt weit mehr als die Geschichte der Questenreise, die durch etliche Königreiche und die Wildnisse Eas führt. Dabei ist vor allem die innere Entwicklung von David Zindells Helden interessant, allen voran Valashu, aus dessen Sicht die Geschichte in der Ich-Perspektive erzählt wird. Valashu ist ein widerwilliger Held, eher ein Philosoph als ein Schwertschwinger, und sowohl in seine Überlegungen als auch in die “Heilsgeschichte” der Welt Ea hat der Autor eine Menge ethischer Fragestellungen und einen religiösen Hintergrund einfließen lassen, der von vielfältigen Inspirationsquellen spricht und durchaus zum Mitdenken anregt, die Geschichte aber zum Glück nie überrollt, sondern angenehm begleitet. Dabei hat sich Zindell nicht dogmatisch bei einer Lehre bedient, sondern verschmilzt östliche und westliche Weisheiten – der Lichtstein etwa ist ganz klar an den Heiligen Gral angelehnt, wohingegen das Warten der Welt auf den sogenannten Maitreya dem Buddhismus entnommen wurde, um nur wenige Beispiele anzuführen – das ganze Werk ist durchzogen von Anspielungen auf diverse Lehren und Legenden, die allerdings nicht einfach abgespult werden, sondern als essentielle Bestandteile tief in der Haupthandlung verankert sind und in den Figuren wirken.

Trotz der actionreichen Questengeschichte ist die Handlung eher von Ruhe bestimmt, und einige Längen sind nicht zu verleugnen. Zindell lässt so gut wie nichts unerzählt, so beginnt das Buch erst einmal mit einer 200-seitigen Reise durch diverse kleine Königreiche, wo begrüßt, übernachtet und überstürzt am Morgen geflohen wird (weil der Schwerenöter unter den Gefährten sich mit der Schwester/Nichte/Tochter des jeweiligen Burgherren vergnügt hat). Beinahe jede Rast und Mahlzeit darf der Leser sozusagen in Echtzeit miterleben. Das Tempo ändert sich auch später kaum, nur nimmt mit Beginn der Queste auch die Handlung an Fahrt auf, und dann freut man sich über jede Pause zwischen den aufreibenden Ereignissen. Figuren und Welt nach der ausführlichen Einleitung und Vorstellung so gut kennengelernt zu haben, zahlt sich im weiteren Verlauf der Handlung auch aus – es gibt nicht viele Fantasy-Geschichten, bei denen eine ganze, große Gefährtengruppe so intensiv ausgearbeitet wird und jeder auf seine Weise den LeserInnen dauerhaft ans Herz wächst.

Sprachlich lohnt sich Valashus Queste allemal – Zindell versteht es, beinahe poetische Töne anzuschlagen (die auch in der deutschen Übersetzung zu finden sind) und passend zu den oft ins Transzendente reichenden Inhalten kann man sich davon wunderbar bezaubern lassen.
Wer sich also an der fehlenden Originalität nicht stört – denn wie der Hase laufen wird, ist nicht weiter schwer zu erraten – und wer vom Umfang des Buches und der entsprechenden Ausführlichkeit der Erzählung nicht abgeschreckt wird, der sollte Valashus Queste eine Chance geben – mit diesen Voraussetzungen ist das Buch eher eine Offenbarung als eine Enttäuschung.

Die Märchen von Beedle dem Barden von Jonne K. RowlingMärchen gibt es schon seit Urzeiten in jeder Kultur. Auch die Zauberer und Hexen aus dem Harry-Potter-Universum haben ihre eigenen Märchen, die uns Muggles nun ebenfalls vorgestellt werden. Von springenden Zauberkesseln, über spitzfindige Hexen bis hin zum Zauberbrunnen begegnet der Leser allem, was das junge Herz begehrt.

Zu Die Märchen von Beedle dem Barden liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Der Meister und Magarita" von Michail BulgakowMoskau in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts: Berlioz, der Chefredakteur einer Literaturzeitschrift und der Lyriker Iwan Ponyrew, genannt Besdomny, diskutieren auf offener Straße darüber, ob Jesus je gelebt hat. Da mischt sich ein Fremder in das Gespräch, der behauptet, er wisse genau, daß Jesus gelebt hat, denn er sei bei der Passion Christi dabeigewesen, übrigens habe er auch mit Kant gefrühstückt und Berlioz würde noch heute abend der Kopf vom Rumpf getrennt. Offensichtlich haben es Berlioz und Besdomny mit einem Irren zu tun. Doch als am gleichen Abend Berlioz tatsächlich seinen Kopf verliert, weiß Besdomny, daß der Unbekannte keineswegs verrückt ist. Er versucht, die Miliz zu alarmieren, was zur Folge hat, das Besdomny in die Psychiatrie eingeliefert wird, da ihm natürlich kein Mensch glaubt. Dort trifft er auf den Meister, der gerade seinen Roman über Pontius Pilatus verbrannt hat. Währenddessen treibt der Teufel höchstpersönlich sein Unwesen in Moskau und verwandelt die ganze Stadt in ein Tollhaus.

-An einem ungewöhnlichen heißen Frühlingstag erschienen bei Sonnenuntergang auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard zwei Männer.-
Sprechen Sie nie mit Unbekannten

Der Meister und Margarita (Master i Margarita) ist eine phantastische Satire auf das stalinistische Moskau, mit Anspielungen auf Goethes Faust und auf russische Schriftsteller wie Dostojewski oder Gogol.

Dieser Roman spielt auf verschiedenen Ebenen.
Bulgakow schildert einmal, was der Satan in Moskau anrichtet. Er nennt sich “Voland”, tritt im Varieté als Magier auf und entlarvt mit seinen grotesken Zauberkunststückchen die Habgier, die Heuchelei und die Schlechtigkeit der Menschen. Außerdem gibt er einen Frühlingsball, auf dem die Geister verstorbener Sünder erscheinen. Alle, die nähere Bekanntschaft mit Voland schließen, wandern in die Psychiatrie, nur eine nicht: Margarita.

Margaritas Liebesgeschichte mit dem Meister bildet die zweite Ebene des Romans. In die Schilderung des Moskauer Geschehens werden Kapitel aus dem Roman des Meisters eingestreut. Dieser Roman behandelt verfremdet die Passion Christi und das Verhältnis zwischen Jesus und Pontius Pilatus.

Das ist die dritte Ebene des Romans. Die unverhohlenste Kritik an dem real existierenden Kommunismus unter Stalin äußert Bulgakow in der Passionsgeschichte und sagt damit gleichzeitig den Untergang des Sowjetregimes voraus. Jeschua erwidert Pontius Pilatus, der ihn verhört:

“Ich habe ihm unter anderem gesagt, … daß von jeder Staatsmacht den Menschen Gewalt geschehe und daß eine Zeit kommen werde, in der kein Kaiser noch sonst jemand die Macht hat.”

Zwar handelt es sich bei Der Meister und Margarita um anspruchsvolle Literatur, trotzdem ist das Buch leicht zu lesen, auch wenn dem Leser ab und an ein Wort begegnet, das ihm nicht geläufig ist. Um den Roman zu verstehen, ist es aber hilfreich, wenn man eine Vorstellung über das Leben im Moskau der dreißiger Jahre besitzt oder wenn man zumindest Erfahrungen mit der DDR gemacht hat. Sonst wird man kaum nachvollziehen können, warum die Menschen sich wegen einer Wohnung korrumpieren lassen oder warum Devisen eine so wichtige Rolle spielen.

Die Melodie der Masken von Ralf LehmannNach dem Tod des Alten Niemand haben sich die drei Gefährten Bolgan, Hatib und Fernd getrennt, um ihren Kampf gegen den Schwarzen Prinzen fortzusetzen und den Erft zu finden, einen sagenumwobenen, in mehrere Stücke zerteilten magischen Stein, der ihnen gegen den übermächtigen Feind helfen soll. Während Bolgan als Sklave des Schwarzen Prinzen auf eine Gelegenheit lauert, ihm seinen Teil des Edelsteins zu stehlen, und dabei in eine Gefahr gerät, die er niemals hätte voraussehen können, organisiert Hatib den militärischen Widerstand. Er findet neue Freunde und Verbündete, muss aber bald erkennen, dass kämpferische Tugenden allein nicht zum Sieg führen werden …

In den Nördlichen Königreichen regieren Nebel und Wolken. Grüne, sanfte Hügel prägen das Land, so dass die Gegend auf den ersten Blick einen fruchtbaren Eindruck macht, aber das täuscht. Weiß gewaschene Kalksteinblöcke durchbrechen die dünne Bodendecke und machen größeren Ackerbau unmöglich. Wenn Nebel über die Hügel zieht, sehen die Blöcke wie stumme Pilger aus, die sich auf eine unbekannte Suche gemacht haben.
(3. In den Ruinen von Thingal)

Auch im zweiten Teil seiner Trilogie Das Buch des Schwarzen Prinzen wartet Ralf Lehmann inhaltlich auf den ersten Blick mit klassischer Questenfantasy auf, die jedoch bei näherer Betrachtung sehr individuelle und originelle Züge entwickelt. Zwar sind einige Schwachpunkte des ersten Bandes auch im zweiten vorhanden (so scheinen bis auf Fernds Freundin Reika, die keine sehr aktive Rolle spielt, in Araukarien weiterhin kaum Frauen unterwegs zu sein), aber wenn man darüber hinwegsieht, lässt sich der erneute Ausflug in die detailliert und liebevoll ausgearbeitete Welt wieder sehr genießen.
Zum besonderen Charme des Romans trägt in hohem Maße bei, dass der Weltenbau nicht nur für eine ansprechende Kulisse sorgt, sondern untrennbar mit der Handlung verwoben ist: Zum Beispiel gestatten es die spezifischen Eigenschaften der Lande dem Kundigen, Menschen, die durch ihre Naturverbundenheit dafür empfänglich sind, auch aus weiter Entfernung zusammenzurufen. Ohnehin besteht zwischen Übernatürlichem und Naturgewalten ein enges Verhältnis, wie sich etwa an der Gestalt des Tanzenden Todes zeigt, der als mörderisch tobender Sturmwind in Erscheinung tritt, aber in Wirklichkeit ein verfluchter Riese ist. Seine Ursprungsgeschichte, in der auch eine diabolische Hexe und in Berge verwandelte Riesen erscheinen, verrät vielleicht noch stärker als andere Einzelheiten, wie sehr Lehmann sich von kontinentaleuropäischen (Orts-)Sagen inspirieren lässt und damit auf einen Bereich setzt, der, abgesehen von manchen Anklängen in Kinder- und Jugendbüchern, in der Fantasy eigentlich viel zu wenig genutzt wird. Gerade aus dieser unmittelbaren Anbindung an eine gewachsene Tradition außerhalb des Genres gewinnt der Roman jedoch einen Anschein von Authentizität.
Auch erzähltechnisch weicht Lehmann wieder vom Gewohnten ab: Statt sich der heute in der epischen Fantasy so weitverbreiteten Montagetechnik zu bedienen, in der mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden, führt er erst die Geschichte um Bolgan zu einem durchaus packenden vorläufigen Ende, bevor er sich Hatibs Abenteuern widmet, deren Endergebnis man zumindest in Ansätzen schon aus der Schilderung von Bolgans Erlebnissen kennt. Der Reiz besteht also nicht so sehr in der Frage, was aus Hatib wird, sondern darin, zu verfolgen, wie er dort ankommt, wo man ihn auf den letzten Seiten der Geschichte um Bolgan findet.
Hatibs Weg ist dabei recht unterhaltsam geschildert, ganz gleich, ob es ihn nun in ein wahres Spitzwegidyll von Kleinkönigreich verschlägt, das er zum Kampf gegen das bisher unbesiegte Heer des Schwarzen Prinzen motivieren muss, oder seine Reise durch unwirtliches Gebiet führt und zahlreiche Unbilden zu überstehen sind. Mit dem Waldläufer Imril ist ihm eine der lebensvollen Nebenfiguren an die Seite gestellt, die Lehmann fast mehr zu liegen scheinen als seine eigentlichen Helden.
Wie schon Die Legende von Araukarien zeichnet sich Die Melodie der Masken zudem durch wohltuende Unaufdringlichkeit aus; Tod und Verderben werden keineswegs ausgeblendet, doch setzt Lehmann eher darauf, stillere Aspekte auszuloten und sich vor allem auch mit psychischem Leid auseinanderzusetzen, statt vordergründiges Blutvergießen breit auszuwalzen. Gerade aus den Episoden um die Zwangsarbeiter zu Anfang der Bolgan-Handlung bleibt einem in dieser Hinsicht einiges im Gedächtnis, und man hofft, manch eine Gestalt im Folgeband noch einmal wiederzutreffen.
Trotz aller wohlbekannten Elemente sieht man daher am Ende des zweiten Buchs dem dritten mit Spannung entgegen und bedauert, dass Fantasy dieser Prägung es anscheinend in der Lesergunst schwerer hat als formelhaftere und nicht selten auch effekthascherische Werke.

Moon Called von Patricia BriggsMercy ist was Besonderes. Es könnte daran liegen, dass sie Mercedes heißt und eine Volkswagenreparaturwerkstätte betreibt, an ihren Tatoos, an ihren seltsamen Freunden (eine Adoptivfamilie von Werwölfen, ein Undercoverpolizist mit einer besonderen Gabe; ein Gremlin, der in Harvard studiert, und noch mehr) oder daran, dass sie eine Art Gestaltwandlerin ist und sich in einen Koyoten verwandeln kann. Wie auch immer. Als Nachbarskind und pupertäre Neunmalkluge Jesse entführt und deren Vater (der ganz nebenbei der Anführer des örtlichen Werwolfrudels ist) beinahe getötet wird, muss sie beweisen, was in ihr steckt. Dabei hat sie mit arroganten Werwölfen, anmaßenden Ex-Freunden und böswilligen Geschöpfen der Nacht zu tun.

-A werewolf tossed me against a giant packing crate while I was trying to rescue a frightened young girl who’d been kidnapped by an evil witch and a drug lord.-

Die größte Stärke von Moon Called (Ruf des Mondes)ist die Protagonistin Mercedes Thompson alias Mercy. Sie ist ein erfrischender weiblicher Charakter mit Ecken und Kanten. Einerseits heben sich ihre soziale Stellung und äußeres Erscheinungsbild stark von der Norm ab (das Coverbild trifft sie perfekt), andererseits bietet sie hohes Identifikationspotential, da sie eine bewundernswerte Persönlichkeit ist. Mercy ist sexy ohne billig zu wirken, ist stark, kann aber Schwäche zulassen, ist unabhängig und doch eine engagierte Freundin. Sie ist stur, weiß aber, wann sie nachgeben muss, hat Humor, obwohl sie es nicht immer leicht hat und vor allem, sie ist eine Frau, kein Mädchen. Kurz, Mercy ist eine “gewachsene” Persönlichkeit, die man auch im realen Leben gerne kennen würde.
Den zweiten Riesen-Pluspunkt können die Nebencharaktere für sich verbuchen. Normalerweise besteht bei einer derart starken Hauptfigur die Gefahr, dass die Nebencharaktere blass wirken oder ins Stereotypenhafte abgleiten – das Gegenteil ist der Fall. Sie wirken unglaublich real und sind selbst starke Sympathieträger. Als # starb, hätte ich am liebsten geheult, obwohl ich ihn erst seit einigen Seiten kannte. Außerdem gehören Briggs Charaktere den verschiedensten ethnischen und sozialen (Rand-)Gruppen an (und damit meine ich nicht das Feenfolk und andere Zauberwesen). Weiß, männlich und protestantisch bildet hier die Ausnahme von der Regel. Und wenn man sieht, wie vielschichtig und ausbaufähig die Haupt- als auch die Nebenfiguren sind, kann man erkennen, dass der Autorin mehr als nur eine Geschichte unter den Nägeln brennt.
Die Geschichte selbst ist gut und spannend geschrieben, selten vorhersehbar und nebenbei ist auch eine Love-Story am köcheln (Kitschfaktor kleiner gleich Null). Für deutsche Leser besonders amüsant sind die eingebauten dt. Heldensagen und deutsche Konversationsfetzen – einfach süß!
Nur gegen Ende gibt es ein, zwei kleinere Wehwehchen, die wahrscheinlich durch überhastetes Schreiben zustande gekommen sind. Einmal weicht Patricia Briggs vom obersten Gebot der Autorenzunft ab (“show, don’t tell”) und lässt zwei Figuren (Mercy und Christiansen) einander die Handlung samt gegenwärtigem Stand der Verschwörungstheorie erklären. Es reißt den Leser aus dem bis dato flotten Tempo heraus und wirkt etwas unbeholfen. Auch vom eigentlichen Gegenspieler, der die Fäden im Hintergrund zieht, hätte ich mir mehr erwartet als die letztendlich etwas lahme Konfrontation. Aber bitte, bitte, lasst euch nicht von meiner etwas pingeligen Kritik davon abhalten, dieses fantastische Buch zu lesen!

Cover des Buches "Münchhausen erzählt" von Gottfried August BürgerDer Baron Münchhausen, ein passionierter Waidmann und Reisender aus Leidenschaft, erzählt am Abend bei einem Glas von seinen haarsträubenden Abenteuern. So erzählt er, wie er sich selbst am eigenen Zopf samt Pferd aus dem Sumpf zog, wie er auf einer Kanonenkugel ritt um den Feind auszuspähen, wie er von Riesenfischen verschlungen wurde, zum Mond reiste und unzähliges mehr.

-Ich trat meine Reise nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen, Kur- und Livland, welche nach der Beschreibung aller Reisenden fast noch elender sind als die Wege nach dem Tempel der Tugend, und man, ohne besondere Kosten hochpreislicher wohlfürsorgender Landesregierungen, ausbessern müßte.-
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Angesiedelt ist die Erzählung in den verschiedensten Regionen der Erde des späten 18. Jahrhunderts (das zweite Seeabenteuer beginnt 1766). Es werden so unterschiedliche und exotische Gebiete besucht wie das winterliche Russland, Ceylon oder das Osmanische Reich mit Konstantinopel und Alexandria. Doch eingehende Beschreibungen gibt es nicht – ganz explizit sagt Münchhausen, er wolle seine Zuhörer nicht mit derartigen Alltäglichkeiten langweilen. Erst in der zehnten Seereise, in der er zum Mond segelt, und der Reise durch die Erde wird etwas über die Bewohner und Umwelt an sich berichtet, da sie selbst schon Lügen sind. Kurzum: Kein Ding, welches der Leser kennen könnte, wird eingehend beschrieben.

Eine Geschichte im herkömmlichen Sinne gibt es nicht; Münchhausen erzählt seinen Zuhörern eine Reihe von erlogenen Anekdoten, die im besten Falle marginal mit einander verknüpft sind. Münchhausens Abenteuer als kohärente Geschichte ist eine Leistung des modernen Films, eine Konzession an die Sehgewohnheiten der Zuschauer.
Die Lügenmärchen aber haben es in sich: Es sind nicht bloß unglaubwürdige Lügen, sondern Parodien jeglicher Form auf die (damaligen) Verhältnisse und Reiseerzählungen, insbesondere des sprichwörtlich gewordenen “Jägerlateins” und des “Seemannsgarns”. So bekennt ein Begleiter Münchhausens der Sohn einer Prostituierten und des Papstes zu sein oder Münchhausens Hündin wirft (auf der Jagd) natürlich ebenso viele Welpen, wie die verfolgte Häsin selbst Junge wirft – selbstverständlich werden alle gefangen.
Aufgrund dieser extremen Zuspitzung können weder Alltäglichkeiten noch Charaktere beschrieben werden.

Sprachlich ist das Werk ebenfalls sehr gelungen und den Gegebenheiten wunderbar angemessen; manchen mag allerdings dieses altertümliche Deutsch, welches bisweilen reichlich verschachtelt ist, abschrecken. Bürger gelingt es immer wieder bekannte Ausdrücke einzuflechten und dem Stil der volkstümlichen Erzählung anzupassen.
Die Bewertung fällt sehr schwer, da es ein sehr spezielles Werk ist; vieles, was in anderem Zusammenhang negativ zu werten ist, ist hier beabsichtigt. Wer also die Prämissen akzeptieren kann, der wird ein einmaliges Lügenmärchen aufgetischt bekommen. Wer die Prämissen nicht teilen mag, der sollte einen großen Bogen um den Münchhausen machen.

Eine Bemerkung zur Textgeschichte: Die erste schriftliche Fassung dürfte das 1781 in Berlin veröffentlichte Vade Mecum für lustige Leute, enthaltend eine Sammlung angenehmer Scherze, witziger Einfälle und spaßhafter kurzer Historien aus den besten Schriftstellern zusammengetragen, Achter Teil sein. In diesem hatte ein Unbekannter einige Geschichten des berüchtigten (realen) Münchhausen aufgeschrieben. 1785 erschien in England allerdings Baron Munchhausen’s Narative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia, geschrieben hatte es der flüchtige Rudolf Erich Raspe (er hatte eine Münzsammlung gestohlen und verkauft; darauf musste er nach England fliehen). 1786 schon erschien eine zweite Auflage, (von Raspe) erweitert um die Seeabenteuer. Im selben Jahr erschien in Göttingen (London als Druckort war vorgetäuscht) das Werk Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Doch dieses war keineswegs eine bloße Übersetzung; vielmehr hat Bürger dem Text die gelungene Form gegeben und wohl auch etwas erweitert.
Seitdem erfreut sich der Text enormer Beliebtheit und auch andere Herausgeber behandelten diesen nach eigen Gesichtspunkten; Episoden wurden in eine neue Reihenfolge gebracht oder ganz ausgelassen (die Prostituierte und der Papst fehlen häufig), sie wurden nacherzählt und umformuliert, schließlich wurden sie (durch den Film) in einem kohärentem Zusammenhang gebracht; es lassen sich also kaum zwei textidentische Auflagen finden.
Doch das Lügenmärchen hörte durchaus nicht mit Lord Dunsanys Jorkens-Geschichten auf zu bestehen; auch in neuester Zeit finden sich Lügenmärchen. Dem Fantasy-Leser könnten Geschichten wie Wilde Reise durch die Nacht oder Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, jeweils von Walter Moers, bekannt sein.

Wer die Geschichte Online lesen mag, der kann dieses auf den Seiten des “Gutenberg-Projektes” machen; weitere interessante Details finden sich hier: http://www.munchausen.org/.

Cover des Buches "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo PerutzDer verbummelte Student Jakob Meisl erzählt seinem Nachhilfeschüler Geschichten, die sich im alten Prag zur Zeit Kaiser Rudolfs II. zugetragen haben. Diese Geschichten handeln u.a. von seinem Vorfahren Mordechai Meisl, der in der Prager Judenstadt -im Ghetto- lebte, von Wallenstein und von Kaiser Rudolf II.

-Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, dass sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse , die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.-
Die Pest in der Judenstadt

Dieser Novellenroman ist ein Meisterwerk der Erzählkunst und hat seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1953 leider nie die Publikumsresonanz gefunden, die er verdient hätte.
Leo Perutz erzählt in Nachts unter der steinernen Brücke die Geschichte einer verbotenen Liebe. Es kann aber durchaus sein, dass der Leser dies nicht gleich bemerkt, denn diese Liebe nimmt nur wenige Seiten des Romans ein und der Aufbau der Geschichte ist ungewöhnlich.

Dieses Buch enthält vierzehn Novellen, die in sich abgeschlossen sind, die aber nicht chronologisch aufeinander folgen. So glaubt der Leser zunächst, er läse einzelne, eigenständige Geschichten. Während des Lesens fällt auf, dass einige Protagonisten immer wieder vorkommen: Der Kaiser Rudolf, Mordechai Meisl, und Rabbi Loew. Und erst wenn man die letzte Novelle gelesen hat, weiß man, welche Geschichte Perutz eigentlich erzählt und wie kunstvoll er diesen Roman zusammengewoben hat. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, besitzt der Leser am Ende ein vollständiges Bild, wie die Schicksale des Kaiser Rudolfs, des Juden Meisl und des Rabbi Loew miteinander verknüpft sind.

Perutz beschreibt seine Protagonisten sehr detailliert und zeichnet auch die Nebenfiguren so liebevoll, dass jede ihren eigenen individuellen Charakter besitzt.
Die Handlung des Romans umfasst den Zeitraum von 1571 bis 1621. Perutz trifft mit seiner altertümlichen, poetischen, zeitweise magisch anmutenden Sprache genau den Ton dieser Epoche. Eigentlich ist Nachts unter der steinernen Brücke ein historischer Roman, die Hauptcharaktere sind alle historisch belegt und trotzdem wird man die Geschichten, die Perutz erzählt, in keinem Geschichtsbuch finden, z.B. wie Wallenstein an seinen Reichtum gekommen ist.

In seinen Novellen vermischt Perutz Geschichte mit jüdischen Legenden und alten Sagen so kunstvoll, dass es dem Leser völlig natürlich vorkommt, wenn ein Mann plötzlich die Sprache der Hunde versteht, dem Kaiser Dämonen erscheinen, Tote befragt werden oder der Leser folgende Information erhält: In der Woche zwischen dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfest, die man die Bußwoche nennt, in einer Nacht, in der der bleiche neue Mond am Himmel steht, erheben sich auf dem Prager Judenfriedhof die Toten des vergangenen Jahres aus ihren Gräbern, um Gott zu lobpreisen.

An diesem Buch hat Leo Perutz von 1924 bis 1951 geschrieben und zwar nicht nur, weil er zwischendurch seine anderen großen Romane wie “St. Petri Schnee” oder “Der schwedische Reiter” fertig geschrieben hätte, sondern weil es für jüdische Autoren mit Geschichten, die zum größten Teil in der Prager Judenstadt spielen, unter dem Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler keinen Platz mehr gab, zuerst in Deutschland, dann auch in Österreich.
Wie in dem Nachwort zu lesen ist, versicherte der jüdische Verleger Paul Zsolnay Perutz noch 1951 wie sehr er dieses Buch schätze, aber er sähe bei der gegenwärtigen Einstellung der Leser in Deutschland und Österreich keine Erfolgschancen für diesen Roman. Dieser Roman mit seiner wunderbaren Sprache und seinem einzigartigen Erzählstil hat aber jeden Erfolg verdient. Also lesen Sie ihn selbst oder verschenken Sie ihn bei jeder Gelegenheit. Sie werden jedem Literaturliebhaber eine Freude damit machen.

Der Nachtzirkus von Erin MorgensternDer Zirkus erscheint plötzlich. Er ist nur bei Nacht geöffnet und seine Zelte, seine Akteure, alles ist ganz und gar schwarz und weiß. Hellseher, Illusionisten, Zelte, die in die Wolken oder in weiße Gärten aus Eis führen. In seinem Zentrum brennt ein weißes Feuer, das niemals erlischt. Der Nachtzirkus ist anders als jeder normale Zirkus, er ist der Inbegriff der Mystik.
Doch was niemand weiß: er ist das neue Spielbrett zweier sehr alter Magier, die ihre eigenen Schüler gegeneinander antreten lassen – in einem Wettstreit um Leben und Tod. Es gab schon viele Schüler, und nun gibt es zwei Neue: Celia und Marco wachsen getrennt voneinander auf, werden verschieden ausgebildet, gefangen in einem lebenslangen Spiel, dessen Regeln sie nie erfahren.

– Der Zirkus kommt überraschend.
Es gibt keine Ankündigung, keine Reklametafeln oder Plakate an Litfaßsäulen, keine Artikel und Zeitungsanzeigen. Plötzlich ist er da, wie aus dem Nichts. –
Gespannte Erwartungen

Zu Der Nachtzirkus liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der Name des Windes von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

– Es war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum WEGSTEIN lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille. –
Eine dreistimmige Stille

Zu Der Name des Windes liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

The Name of the Wind von Patrick RothfussIn einem Gasthaus wird zwei auserwählten Zuhörern die Geschichte des berühmt-berüchtigten Kvothe erzählt – eines Meisterbarden, großen Magiers, Königsmörders.
Seine jungen Jahre verbringt er in der Gauklertruppe seiner Eltern, sammelt Bühnenerfahrung und lernt die Lieder und Geschichten der Welt kennen, und er findet einen Lehrmeister, der ihm erste Schritte in der Magie beibringt.
Doch Kvothes Welt bleibt nicht so unbeschwert: Als er sich selbst schwört, ein tödliches Rätsel um sagenhafte, dämonische Wesen zu lösen, beschreitet er damit einen Weg, der ihn in ein miserables Dasein als Straßenkind und später an die Schule der Magier und darüber hinaus führt…

-It was night again. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts.-
Prologue: A Silence of Three Parts

Das Fantasy-Genre samt Leserschaft gilt gemeinhin als anachronistisch, rückwärtsgewandt. Dagegen mag man mit Recht protestieren, aber zumindest in den Sphären des Musikbusiness, wo circa alle drei Wochen the next big thing durch die Presse gejagt wird, sind wir tatsächlich noch nicht angekommen. Und so horcht man durchaus auf, wenn ein Raunen durch Blogs und Foren geht, Kritikerstimmen sich zu den allgegenwärtigen Verlagslobeshymnen gesellen, und immer wieder derselbe Name auftaucht: Patrick Rothfuss.
Forscht man der Sache nach, stößt man auf eine jener Geschichten – von Fall zu Fall künstlich generiert oder authentisch anmutend – die den Weg des Schriftstellers in die Veröffentlichung als eine eigene abenteuerliche Queste erscheinen lassen: Sieben Jahre Schreiben, sieben Jahre Überarbeiten – und eine Flut von Absagen, bis auf wunderbaren Umwegen doch noch verlegerische Aufmerksamkeit auf das Werk fällt.
So lernt man Patrick Rothfuss’ Helden Kvothe in dem Roman kennen: Mit einem ganzen Sack voll hoher Erwartungen an ihn und seine Geschichte – und findet einen hochbegabten Gauklerjungen, in Magie und Musik ein Überflieger, eine Berühmtheit schon in jungen Jahren, der in diesem ersten Band nebst einiger anderer Abenteuer die Schule der Magier auf den Kopf stellt. Übermächtige, legendäre Feinde schafft er sich ebenso wie profane, aber gefährliche Schulrivalen – und es ist ein Auf und Ab zwischen Wohlmeinenden und Neidern, Wunderleistungen und finanziellen Nöten, Liebesleid und der ureigenen Queste Kvothes, ein Rätsel zu lösen, das ihn verfolgt, seit er in seinem Leben zum ersten Mal Tragisches durchmachen mußte.

Diese alltäglichen Zutaten sind es also nicht, die The Name of the Wind (Der Name des Windes) zu einem Meisterwerk machen – und dennoch kann man das Buch mehr als zufrieden aus der Hand legen, sich davon begeistern lassen: Man hört einem mit allen Wassern gewaschenem Erzähler zu, der aus anfangs ganz unspektakulären Mitteln eine zwingende Atmosphäre strickt. Dazu benutzt Rothfuss einen alten, aber hier ausgesprochen effektiv umgesetzten Trick: Eine Geschichte in der Geschichte. Eine Rahmenerzählung, wunderbar zart auktorial erzählt, schafft eine greifbare Gegenwart, in der ein mysteriöser Gastwirt die Geschichte des überaus berühmten und berüchtigten Kvothe von Kindesbeinen an berichtet. Diese rückwärts-gewandte Erzählsituation läßt einen an der Geschichte teilhaben, als würde man zufällig lauschen und könne sich ihrem Bann nicht mehr entziehen. Selbst durch im Grunde „belanglose“ Szenen wird ganz subtil die Neugier des Lesers geweckt: In den Rahmenkapiteln bekommt man nebenbei, ohne direkte Hinweise und Erklärungen eine Ahnung, wie „groß“ Kvothe im Laufe seines Lebens geworden ist; Andeutungen von Ruhm und Tragik (die alle auch in diesem ersten Band nicht zu sparsam auftretenden ruhmreichen und tragischen Szenen noch überflügeln) ziehen sich durch den ganzen Text.
Dazu kommt ein hoher Authentizitätsgrad des Erzählers, er berichtet aus einer erhabenen Position mit absoluter Gültigkeit, so daß Beobachtungen des Menschlichen und pathetische Anmutungen bei Weitem nicht nur nach dem Versuch klingen, etwas Geistreiches zu sagen – zu den besten Szenen des Buches gehört beispielsweise auch ein kurzer Bericht Kvothes über die vier Arten, mit Trauer umzugehen.

Aber weshalb leidet und fiebert man eigentlich mit Kvothe mit, einem immer Überlegenen, der ohnehin meistens gewinnt und besser als alle anderen ist, der nicht einmal übermäßig sympathisch dargestellt wird? Es ist die Diskrepanz, die durch die verschachtelte Erzählsituation zwischen den Zeilen hervortritt – zwischen seinem immer wieder bewiesenen Talent und seiner ganz offensichtlichen (wenn auch noch ungeklärten) Tragik und seinem Scheitern.
Nebst diesen erzählerischen Spezialitäten Rothfuss’, anhand derer man versuchen kann, die Besonderheit von The Name of the Wind zu fassen zu bekommen, bietet der Roman auch konventionellere Attraktionen des Fantasy-Genres: Die ganzen profanen Plot- und Welt-Zutaten schaden keineswegs, wenn daraus ein authentisches und mitreißendes Ambiente gestrickt wird, und Rothfuss versteht es, seine fahrende Gauklertruppe, seine typische Ausbildungsitiation, seine Straßenkind-Episode einmalig zu gestalten. Von den ersten Seiten an wird ersichtlich, daß in der Welt viel Detailarbeit steckt – und auch hier ist die Tugend nicht die absolute Aufklärung des Lesers, sondern eine gewisse Selbstverständlichkeit, mit der Begrifflichkeiten eingebracht werden.

Selbst das Magiesystem, das unter anderem auf der Kenntnis des wahren Namens der Dinge beruht, und die in den Text eingearbeiteten Lieder und Gedichte erinnern an die Klassiker des Genres – und in diesem Kontext ist The Name of the Wind auch zu sehen, als eine in der Ausführung durchaus moderne Variante, in Stoff, Aussage und Wirkung aber deutlich näher an Tolkien und Williams als an Martin oder Erikson. Doch – je nachdem, wie die vielen noch ausstehenden und bis in die Erzählgegenwart reichenden Abenteuer Kvothes weiterhin laufen – durchaus in derselben Größenordnung.

The Night Circus von Erin MorgensternDer Zirkus erscheint plötzlich. Er ist nur bei Nacht geöffnet und seine Zelte, seine Akteure, alles ist ganz und gar schwarz und weiß. Hellseher, Illusionisten, Zelte, die in die Wolken oder in weiße Gärten aus Eis führen. In seinem Zentrum brennt ein weißes Feuer, das niemals erlischt. Der Nachtzirkus ist anders als jeder normale Zirkus, er ist der Inbegriff der Mystik.
Doch was niemand weiß: er ist das neue Spielbrett zweier sehr alter Magier, die ihre eigenen Schüler gegeneinander antreten lassen – in einem Wettstreit um Leben und Tod. Es gab schon viele Schüler, und nun gibt es zwei Neue: Celia und Marco wachsen getrennt voneinander auf, werden verschieden ausgebildet, gefangen in einem lebenslangen Spiel, dessen Regeln sie nie erfahren.

– The Circus arrives without warning.
No announcements precede it, no paper notices on downtown posts and billboards, no mentions or advertisements in local newspapers. It is simply there, when yesterday it was not.
The towering tents are striped in white and black, no golds and crimsons to be seen. No color at all … –
Anticipation, S. 3

Erin Morgenstern liefert mit ihrem Debütroman The Night Circus (Der Nachtzirkus) ein ungewöhnliches und nachhallendes Lesevergnügen ab. Zunächst erscheint einem die Entscheidung, im Präsens zu erzählen, sehr gewöhnungsbedürftig, doch nach einer Weile stellt sich dadurch verstärkt der Eindruck ein, das Ganze direkt mitzuerleben. Durch die episodenhafte Aufteilung der Kapitel und einer nicht chronologischen Erzählstruktur, die in der Zeit vor und zurück springt, erfährt man zunächst auch nur die grobe Rahmenhandlung und ist darüber hinaus als Leser ebenso ahnungslos wie die beiden Spielfiguren Celia und Marco. Die Autorin schildert die Welt dabei sehr plastisch und schafft es trotz einer wenig ausgefallenen Sprache, Leben in jedes Zelt und jeden Charakter zu hauchen. Als Freund bildhafter Beschreibungen ist man mit The Night Circus daher gut beraten. Doch auch die Ideen selbst verstehen zu faszinieren, es ist beinahe enttäuschend, dass man als Leser nicht die Chance hat, den Zirkus leibhaftig zu besuchen.

Anfangs bleibt lange unklar, was die eigentliche Handlung dieses Romans ist und was der Zirkus damit zu tun hat. Man entdeckt gerne jedes einzelne Zelt und kann sich als Leser an den wunderbaren Ideen und Beschreibung ergötzen, doch was der Zweck des Ganzen ist, wird nur vage angedeutet. Erst nach und nach setzen sich ab Buchmitte alle Episoden zu einem großen Puzzle zusammen. Die Handlung erstreckt sich über ca. 30 Jahre und wird durch die Sprünge in der Erzählung bereits komplex, doch auch die Beweggründe und das Verhalten der Protagonisten werden erst dann nachvollziehbar, wenn man sich immer mal wieder einen Moment Zeit nimmt, um sich in die Figuren hineinzuversetzen und über ihr Handeln und ihre Reaktionen nachzudenken. Das Buch macht einen traurig und glücklich zur selben Zeit, wenn man versteht, was das alles für die betroffenen Charaktere und ihr Leben bedeutet. Dieses Gefühl spiegelt auch perfekt wider, wie der Nachtzirkus – The Circus of Dreams – auf seine Besucher wirkt, und erklärt, weshalb ihm eine Schar von Menschen rund um den Globus folgt. Er berührt Sehnsüchte nach Geheimnissen, Magie und Mystik in der Welt.
Es erwarten einen hier keine großen Spannungsmomente, keine epischen Schlachten, nicht einmal aufgebauschte Dramatik oder ein fulminantes Finale. The Night Circus schafft es auf ganz alltägliche, sanfte Weise ergreifend und faszinierend zu sein, angereichert mit einem Hauch von Magie, die sich nicht in bombastischen Effekten zeigt, sondern im Erschaffen von Attraktionen. Für den Romantiker wird auch bald ersichtlich, dass … nein, das wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: das Verhältnis zwischen Celia und Marco entwickelt sich auf erwachsene und beiläufige Weise, vermag es aber trotz hintergründigem Ablauf, die Pläne der beiden Wettväter gründlich zu stören und den Wettstreit zu einem noch grausameren Akt zu machen, als er es ohnehin schon ist.

Neben stark gezeichneten Charakteren, die mit jedem Kapitel mehr Persönlichkeit bekommen und einen dazu bewegen, Interesse an ihrem Leben zu entwickeln, ist vor allem die Idee interessant, wahre Magie hinter technischen Konstrukten zu verstecken um sie glaubhaft zu machen. Der Roman spielt in unserer realen Welt um 1870 bis ca. 1900, später wird auch ein noch deutlich neueres Datum angedeutet – das einen von Schmunzeln begleiteten Aha-Effekt auslöst – und so bleiben die Magier selbstbestimmt unerkannt und verbergen ihre Talente hinter dem Scheinbild des Zirkus. Bei allem hat man stets eine gewaltige Welt aus feinen, detaillierten Scherenschnitten vor Augen, sobald man den Zirkus betritt, was sicherlich der reduzierten Farbgebung und künstlerischen Beschreibung zu verdanken ist.

The Night Circus ist keine schnell zu verschlingende Lektüre. Daher die Warnung: wer leichte Kost für zwischendurch sucht, wird mit diesem Roman sicher nicht glücklich werden. Allen, die Bücher vor allem emotional erleben und erfühlen wollen, ist dieser faszinierende, ruhige Roman dagegen dringend zu empfehlen. Ansonsten verhält es sich mit The Night Circus wie mit der Farbgebung der Zelte in schwarz oder weiß: Entweder man liebt es oder man hasst es, dazwischen dürfte es kaum Graustufen geben.

The Ocean at the End of the Lane von Neil GaimanEin Mann mittleren Alters kehrt zum ersten Mal seit Jahrzehnten an den Ort zurück, an dem er aufgewachsen ist. Von einem Gefühl getrieben findet er sich auf dem Bauernhof der Hempstock-Frauen wieder und langsam kehren die Erinnerungen an seine Kindheit zurück. An den einen Sommer, als die Hempstocks seine Nachbarn waren, als er mit der jüngsten der drei Frauen, Lettie, auszog, um einem unbenannten Bösen das Fürchten zu lehren. Und an den Preis, den er für seine Neugier bezahlen musste. Denn Magie fordert immer ihren Preis und hinterlässt ihre Spuren, wo man sie nicht erwartet. Und manchmal findet sie sogar ihren Weg an den Ort, an dem man ihr lieber nicht begegnen würde …

-Lettie Hempstock said it was an ocean, but I knew that was silly. She said they’d come here across the ocean from the old country. Her mother said that Lettie didn’t remember properly, and it was a long time ago, and anyway, the old country had sunk.-

Neil Gaiman zeichnet in The Ocean at the End of the Lane mit sparsamen Strichen eine schaurig-schöne Geschichte. Das Motiv – das unschuldige Kind im Kampf gegen mystische Kräfte jenseits seiner Vorstellung – ist klassisch, Gaiman erzählt jedoch keineswegs nach, sondern gibt diesem Motiv einen neuen dunklen Anstrich. Als Leser ist man nie sicher, ob die ganze Sache noch eine gute Wendung nehmen kann.

Während die drei Hemsptock-Frauen zwar den Archetypen “Mother, Maiden, Crone” (Mutter, Jungfrau, alte Frau) entsprechen, sind sie in ihrer Darstellung sehr lebendig und keine farblosen Schablonen.
Die dichte Atmosphäre und die gestraffte, Gaiman-typische Erzählweise machen das Buch zu einem wahren Page-Turner, ich konnte kaum aufhören. Die Erinnerungen sind zwar die eines Erwachsenen, die Erzählstimme ist allerdings ein (wenn auch sehr reifes) Kind – und um dieses Kind, den Bücherwurm, der an Magie glaubt, dreht es sich auch, der erwachsene Erzähler stellt lediglich die Rahmenhandlung.

Sprachlich ist das Buch ganz wunderbar, aber das sollte niemanden überraschen – erzählen kann der Mann schließlich wie der Teufel. Trotz der kindlichen Sicht der Dinge wirkt die Geschichte an keiner Stelle kindlich oder gar kindisch.
Und für meinen Teil wundert es mich auch nicht, dass bereits über Filmrechte verhandelt wird – ich denke, wenn der richtige Regisseur dafür gefunden wird, kann man sich auf einen düsteren, phantastischen Film freuen – die Bilder, die in meinem Kopf während des Lesens entstanden, sprechen jedenfalls dafür.

Cover von Das Paradies der Schwerter von Tobias O. MeißnerEine Flugschrift erreicht die sechzehn Kämpfer und Hauptfiguren in Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter und bringt sie alle, nach unterschiedlichen Vorgeschichten und Biographien, in der Hölzernen Arena zusammen, wo sie Mann gegen Mann auf Leben und Tod ein grausames Turnier bestreiten.

– Großes Kampfturnier in der Befestigten Stadt! Sechzehn Teilnehmer streiten auf Leben und Tod um einen goldenen Stirnreif. Wert: Eintausend neue Taler. Kommt, um teilzunehmen! Kommt, um zu schauen! Eintritt nur fünf neue Taler. Das Turnier findet statt am Achten des Achten, ab morgens um acht. –
Flugschrift

Die Tendenz in moderner Fantasy zu düsteren, mittelalterlichen Welten, die von Intrigen, Egoismus, Machtgier und Herrschaftssucht gezeichnet sind, – als Beispiel seien hier George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer oder auch Markolf Hoffmans Zeitalter der Wandlung genannt – greift Meißner spielerisch auf und erhebt dieses Prinzip sogar zur Regel.
Wobei “Regel” in diesem Fall mehr als wörtlich zu verstehen ist, immerhin erschuf Meißner alle 16 Kombatanten in einem dem Rollenspiel ähnlichen Verfahren, bestimmte durch das Los die Kampfpaarungen und schlussendlich erwürfelte er ebenso das Schicksal seiner Protagonisten. Eben jene jedoch sind von solch schauerlicher Mensch- und Unmenschlichkeit, Tragik und Traurigkeit, dass der Leser immer zwischen Depression und Delirium gefangen gehalten wird. In der ersten Hälfte des Buches erfahren alle Mitstreiter eine mehr oder weniger ausführliche Vorstellung. Dieser expositorische Teil des Werkes zeigt Meißners schriftstellerische Kreativität.

Die eigentliche Welt, in der Meißners Roman spielt, bleibt eine Skizze und ist auch historisch nur schwer einzuordnen. Krieg herrscht im Land, es gibt nur wenige große Städte und überall verspürt man eine depressive und gewalttätige Stimmung. Dennoch erscheinen die Charaktere gar nicht wie skizzenhafte Stereotype. Die Bandbreite an Waffen und Kampfstilen ist dabei so groß wie die Verschiedenheit ihrer Hintergrundgeschichten, ihrer Motive und Triebfedern. Geltungssucht, Selbstbestätigung, Schicksal, Suche, Armut, Lebensmüdigkeit und Geldgier finden neben Hass, Verehrung und Brüderlichkeit alle durchaus auch mehrfach ihr Pendant in den durchweg interessanten und moralisch oftmals fragwürdigen Figuren.
Dieser Vielfalt an Protagonisten ist es auch zu verdanken, dass das Paradies der Schwerter nicht bloß zur Allegorie über Zufall und Schicksal wird oder lediglich eine harsche Kritik an Voyeurismus und Gladiatorenspielen (respektive wohl auch modernerer Unterhaltung: reality TV) bleibt, sondern auch das tragische Schicksal der Gladiatoren mitfühlen und -fiebern lässt. Ohne diese Beziehung zu den Charakteren, die durch deren Vorgeschichte aufgebaut wurde, wäre man wohl ebenso wie das Publikum in der Hölzernen Arena. Denn Meißners Sprache in den Kämpfen ist eindringlich, der ständige Wechsel der Erzählerperspektive führt zu einem beinahe filmhaften Erlebnis.
Das eigentlich abstoßende und zugleich faszinierende Element ist aber doch die unübertroffene Spannung, die durch die Unvorhersehbarkeit der Kämpfe aufkommt. Man spürt als Leser das Kribbeln eines ungewissen Kampfes, man setzt unwillkürlich auf den eigenen Favoriten und weiß doch immer, dass man keinen haben sollte.

Neben der sprachlichen Eindringlichkeit der Kämpfe verspürt man aber auch im restlichen Geschehen, dass Meißner ein Experiment geglückt ist. Mal sind die Vorgeschichten der Kämpfer anekdotenhaft, dann wieder kommt eine kühle Distanz durch paragraphenhafte Beschreibung auf oder man verfällt in den Rhythmus des jungen Daimiyo Kriegers, wenn Meißner staccatohaft und präzise seine Bewegungen und Kampffiguren beschreibt.
Mal erklärt ein Bewusstseinsstrom die Gedanken eines Kämpfers und dann weisen nur aphoristische Phrasen auf das Schicksal eines Kämpen hin. Diese Vielschichtigkeit bewahrt sich das Buch, ohne unleserlich zu werden; letztlich bleibt die Lesefreude und das Grübeln über das Geschehene die Hauptaufgabe des Lesers. Ebenso wie das Werk sprachlich ansprechend ist, die dramatis personae überzeugend skurril auftritt, beweist das Buch aber auch interpretatorischen Spielraum.
Die existenzialistische Idee, dass man das eigene Sein gerade in Grenzerfahrungen stärker wahrnimmt, wird ebenso beleuchtet, wie die Psychologie der Masse, die Günstlinge erwählt, nach Blut lechzt und irgendwann saturiert oder frustriert von dannen zieht.
Denn Meißners Hölzerne Arena hat ihren Zenit bereits überschritten, sie ist die letzte Bastion einer ausgehenden Ära von ehrenhaftem Kampf, wie der Arenabesitzer Gillet mehrfach betont. Diese paradoxe Perversität, dieses Ehrverständnis von Kampf auf Leben und Tod wird besonders deutlich, wenn man einen kleinen Kommentar mit einbezieht, der besagt, dass das Paradies der Schwerter in Tobias O. Meißners Roman Neverwake unter dem Titel Rakuen ein berühmter Bestseller wird. Neverwake handelt von einer Welt der Computerspiel-Ligen und von virtuellem (deswegen moralisch hochwertigerem?) Kampf.

Die Hölzerne Arena ist ein Auslaufmodell für die Welt von Neverwake, vielleicht eine dystopische Zukunftsvision für unsere Realität, vielleicht auch ein mahnender Zeigefinger oder einfach nur ein verdammt spannendes Buch über “Kampf, Zufall und das Gegenteil von Nichts”.

Cover des Buches "Phönix" von Steven BrustVlad sitzt im Keller eines Holzgebäudes in Süd-Adrilankha und versucht, nicht von drei finsteren Kerlen, die er nicht einmal sehen kann, umgebracht zu werden. In dieser ausweglosen Lage schickt er ein Stoßgebet zu seiner Schutzgöttin Verra – und wird erhört. Diese hat diesen Überfall nur inszeniert, um Vlad einen Auftrag erteilen zu können. Er soll König Haro auf der Insel Grünewehr ermorden. Zwar ist die Insel vor Zauberei geschützt, aber trotzdem ist der Auftrag für einen Berufsmörder nicht besonders schwierig auszuführen. Dumm nur, dass Vlad bei der Auftragserledigung über einen mysteriösen Trommler stolpert und sich nun beide in Gefangenschaft befinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wird Vlads Frau Cawti in der Heimat als Rebellin verhaftet.

-Ständig fragen die Leute mich: “Vlad, wie machst du das? Warum bist du so gut darin, Leute umzubringen? Was ist dein Geheimnis?” Ich antworte: “Es gibt kein Geheimnis. Das ist genauso wie alles andere auch. Manche verputzen Wände, andere machen Schuhe, ich lege Leute um. Man muß eben sein Handwerk erlernen und üben, bis man gut genug ist.”-
Prolog

Die Stärke dieses Buches ist der Ich-Erzähler Vlad Taltos, der seine Abenteuer mit trockenem, lakonischem Humor zum Besten gibt, dabei aber nie albern wird oder in Gefahr gerät, im Klamauk zu enden. Für Komik sorgt auch Vlads Helfer Loiosh, ein kleiner Flugdrache, dessen Benehmen Ähnlichkeit mit dem der tierischen kleinen Helfer der Helden in den Disneyfilmen aufweist, die meist von Otto synchronisiert werden.
Außerdem gibt es Vlads Frau Cawti, mit der er sich zwar gerade nicht allzu gut versteht.  Trotzdem möchte er nicht, dass sie im Imperialen Gefängnis eingekerkert bleibt. Cawti allerdings möchte das schon – obwohl sie begnadigt wurde, weigert sie sich strikt das Gefängnis zu verlassen, so lange ihre Freunde nicht ebenfalls freigelassen werden. Sture Ehefrauen können ein richtiges Problem sein, da spielt es dann auch keine größere Rolle mehr, dass jemand ein Kopfgeld auf Vlad ausgesetzt hat und er Gefahr läuft, selbst ermordet zu werden.

Da wir gerade über Familienangehörige sprechen: Großväter stellen ein weiteres Problem dar. Vlads Großvater findet den Beruf seines Enkels überhaupt nicht gut. Seit Vlad das weiß, plagt ihn das schlechte Gewissen, weil er sich bezahlen lässt, um Menschen das Leben zu nehmen und vor dem Mord an Haro bekommt er eine moralische Krise.
Das ist alles überhaupt nicht witzig!
Komisch ist es allerdings schon und so wird glücklicherweise verhindert, dass Vlad Taltos der erste Auftragsmörder der Literatur ist, über dessen Schicksal der Leser vor Mitleid in Tränen ausbricht, was politisch überaus inkorrekt wäre.

Aber Phönix (Phoenix) bietet noch mehr als trockenen Humor, es bietet auch Lebenshilfe.
Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, auf wie viele verschiedene Arten Sie sterben können? Vlad erzählt davon: Jedes einzelne ihrer lebenswichtigen Organe kann auf hundert verschiedene Arten versagen, unzählige Krankheiten warten darauf, Ihnen den Garaus zu machen, sie können von Tieren gerissen werden, sie können das Opfer von Naturkatastrophen werden, kleine Missgeschicke, tragische Unfälle lauern bei jedem Schritt, den Sie machen und haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen es darauf abgesehen haben, Sie absichtlich um die Ecke zu bringen…

Wie alt sind Sie? Siebzehn, achtundzwanzig oder sogar schon über vierzig und Sie leben noch???? Wenn Sie diesen Abschnitt des Buches gelesen haben, dann werden Sie nie wieder morgens muffelig im Bett liegen und den Tag verfluchen, weil Sie einer langweiligen Arbeit unter einem miesen Chef nachgehen müssen. Sie werden fröhlich aus dem Bett springen, das Fenster aufreißen, den Tag begrüßen und glücklich sein, dass Sie LEBEN. Was kann man von einem Buch mehr verlangen???

P.S. Spannend ist Phönix natürlich auch. Sie werden nie darauf kommen, welches Geheimnis sich hinter dem Trommler verbirgt.

The Pirate's Wish von Cassandra Rose ClarkeAnanna und Naji sitzen noch immer auf der geheimnisvollen Insel fest und sind durch den Fluch aneinander gebunden. Mit Hilfe einer unerwarteten Verbündeten gelingt es ihnen, die Insel schließlich zu verlassen und sich auf die Suche nach Wegen zu machen, die drei unmöglichen Aufgaben zu erfüllen. Die Lage zwischen den beiden ist angespannt und wird nicht leichter, denn beide werden von alten Feinden verfolgt.

– When it comes to dealing with people who think of themselves as important, it’s usually best to keep your mouth shut. –

The Pirate’s Wish setzt The Assassin’s Curse erfolgreich fort und macht vieles noch besser als im Vorgänger. Es gibt noch mehr Piratenatmosphäre, Abenteuer auf See und darunter, Wüstenstädte, Verfolger aus allen Richtungen, unterhaltsame Dialoge und außergewöhnliche Bündnisse. Besonders hervorzuheben neben einer interessant gezeichneten, exotischen Welt, sind die Charaktere.

Ananna ist, mehr noch als Naji, die Hauptfigur dieses Romans und mit ihr kann man den Charakter der jungen, selbstständigen Frau in einem Jugendbuch endlich einmal ernst nehmen. Mit ihren siebzehn Jahren ist sie nicht immer auf der Spur der vernünftigsten Entscheidung, aber wer ist das schon? Die Autorin zeichnet Ananna als selbstbewusste junge Frau, die ihren Zielen treu ist, ungeachtet der Ablenkungen, die ihr auf ihrem Weg begegnen.
Durch den Fluch gebunden, ist die Piratin widerwillig in der Rolle der Damsel in Distress gerutscht, was sie nur hinnimmt, um Naji körperliche Schmerzen zu ersparen, die er jedesmal erfährt, wenn sie sich in Gefahr befindet. Es hält sie jedoch nicht immer davon ab, auch einmal selbst zum Schwert zu greifen oder auf dem Rücken eines Mantikor wie eine wilde Furie in die Schlacht zu reiten. Eine der positiven Eigenschaften von The Pirate’s Wish ist die, dass sich Ananna und Naji ähnlich oft regelmäßig gegenseitig retten und beschützen und beide Stärke beweisen. Naji ist dabei weder ein übertrieben unfehlbar gezeichneter Traumprinz, noch ein mit Muskeln bepackter Schönling, bei dem Frau sofort in die Knie gehen möchte und sich bereitwillig retten lässt. Er hat Schattenseiten, Makel, Gelüste und gegensätzliche Emotionen die er, man mag es “typisch Mann nennen”, eher selten nach außen hin zeigt.
Was die Genderfrage angeht, schafft es Cassandra R. Clarke sehr authentisch wirkende Personen zu schreiben, die weder völlig utopisch erscheinen, noch in die Formen gängiger Klischees gepresst werden. Ananna und Naji wirken wie zwei Menschen von nebenan. Normal. Durchwachsen.
Die wenigen Nebenfiguren bleiben teilweise etwas blass hinter den beiden Hauptfiguren, sind aber solide aufgebaut und verstehen den Leser an den richtigen Stellen zu packen. Sie sorgen für Überraschungen, wenn man es nicht erwartet, und verhindern oft, dass der Roman eine reine Romanze wird.

Womit die Autorin ganz klar einen weiteren Sack voller Sympathiepunkte gewinnt, ist ihr offener Umgang mit der Sexualität ihrer Figuren. Ohne wirklich in Details zu gehen, werden hier Themen angesprochen, die in fast allen anderen Jugendbüchern dieser Tage zugunsten einer altbackenen Prüderie und unerfüllbaren romantischen Vorstellung von Beziehungen vermieden werden. Sex vor der Ehe, Sex mit verschiedenen Partnern im Leben, ja gar die Möglichkeit sexueller Selbstbefriedigung werden ohne falsche Scham angesprochen. Es ist schlicht erfrischend, mal zu lesen, dass beinahe volljährige (oder bereits eindeutig volljährige) Charaktere auch menschliche Eigenschaften, Bedürfnisse und Phantasien haben dürfen, die in der heutigen Zeit ein ganz normaler und gesunder Teil des Erwachsenwerdens sein sollten.
Frau Clarke überschreitet dabei nie die Grenze zum Abstoßenden oder nicht Jugendfreien. Sie erwähnt Möglichkeiten, deutet manches mal mehr, mal weniger an, überlässt die Details jedoch der Phantasie des Lesers und bricht ihre Schilderungen an der entsprechenden Stelle ab. Wer es leid ist, sich andauernd mit den Boyfriend-Issues einer flachen Protagonistin in Nöten und unwirklichen Männerfiguren, die zur Rettung angeeilt kommen, konfrontiert zu sehen, sobald man ein Jugendbuch aufschlägt, der wird von The Pirate’s Wish positiv überrascht. Wenn man Vorbildfiguren suchen sollte, dann lieber Ananna & Naji als Bella & Edward und andere weinerliche Pseudo-Paare.
In The Pirate’s Wish ist die Liebe eine Möglichkeit und eine Entscheidung, aber nicht die einzige Option, für die alles andere unwichtig wird. Wenn einen dieser Roman etwas lehrt, dann, dass alles möglich ist, wenn man bereit ist, Kompromisse einzugehen, um Liebe und persönliche Lebensziele unter ein Dach zu bringen.

The Pirate’s Wish macht von Anfang bis Ende Spaß. Es gibt vielleicht eine Stelle, die etwas mehr Kritik ertragen muss, doch die tut dem Lesegenuss keinen Abbruch. Die Magie bleibt wie in The Assassin’s Curse eher subtil im Hintergrund und das Ende kommt bittersüß, aber sehr passend daher. Entsprechend gibt es für diese Duologie eine klare Leseempfehlung.

Cover von Der Prinz und der Feuervogel von Patricia A. McKillipDer Feuervogel ist ein prächtiges Wesen voller magischer Kräfte. Mit einem Schrei, der so schrecklich ist, daß kein menschliches Ohr ihn erträgt, verwandelt er alles, was ihm in die Quere kommt, in Gold und Edelsteine. Als aber der Mond über den Mauern von Ro Haus aufgeht, verwandelt sich dieser seltsame Vogel in einen jungen Mann, auf dem ein dunkler Fluch lastet. Fast zur selben Zeit stört noch jemand den Frieden von Ro Haus: Ein fremder Magier, der die Gestalt eines weißen Drachen annehmen und die Zeit anhalten kann. Er benötigt einen Schlüssel, der in Ro Haus versteckt gehalten wird, und will ihn unbedingt an sich bringen. Dazu entführt er Meguet, die Wächterin des Jungen Schwans, in seine Heimat, wo unsichtbare Drachen das Land beherrschen.

-“Ja”, flüsterte er. “Der Vogel schreit um Hilfe – er verwandelt seine Schreie in Edelsteine, Gold, in irgend etwas Wertvolles, das ins Auge fällt.” “Woher wußtest du, daß du hier Hilfe finden kannst?” “Der Vogel wußte es.”-
Kapitel 3

Man könnte den Roman Der Prinz und der Feuervogel (The Cygnet and the Firebird) durchaus unabhängig vom ersten Teil des Cygnet-Zyklus Die Zauberin und der Schwan (The Sorceress and the Cygnet) lesen. Die beiden Bände hängen nur relativ lose miteinander zusammen, und man dürfte kaum Verständnisschwierigkeiten haben, wenn man den ersten Band nicht gelesen hat.
Für den Lesegenuß und das Verständnis ist es jedoch besser, die chronologische Reihenfolge einzuhalten.
Die Geschichte wird vom englischen Originaltitel The Cygnet and the Firebird (“Der Junge Schwan und der Feuervogel”) wesentlich besser umrissen, der verwendete deutsche Titel ist etwas irreführend. Die kurze Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches ist ebenfalls verdreht und bringt Patricia McKillips poetischen Roman erheblich durcheinander. Genau genommen stimmt eigentlich gar nichts von dem, was da zusammenfassend auf der Buchrückseite vom Verlag geschrieben wurde, und man hat, wie auch beim ersten Teil, das Gefühl, dass dieser Band wohl eher für den Bahnhofsverkauf konzipiert wurde. Diese Ausgabe dürfte auch kaum von einem Lektor mit großem Aufwand nachbearbeitet worden sein, denn es häufen sich auch hier zum Teil gravierende Rechtschreibfehler. Darüber hinaus wurde qualitativ schlechtes Papier verwendet und auch das nicht eben gelungene Cover vervollständigen den Eindruck einer lieblosen Produktion.
So wenig das Äußere dieses Taschenbüchleins zum Schmökern und Lesen einlädt, so schade wäre es, ließe man es sich entgehen:
Die Handlung des zweiten Teils spielt in einem Land, das von seinen Gegebenheiten ein wenig an den vorderen Orient erinnert, und seine magische Natur, die sich vollständig von jener in Ro Holding unterscheidet, ist das zentrale Thema dieses Buches:
Es ist ein Roman voller Exotik, und dem Zauber, den eine Kultur auf einen fremden Besucher ausüben kann, nämlich die des Landes Saphier und der Wüste Luxour, in der immer wieder Schatten von Drachen beobachtet werden. Die geisterhafte Anwesenheit dieser legendären Geschöpfe macht die Luxour zu einem Ort voller traumgleicher, geheimnisvoller Magie.
Patricia McKillip beschreibt das Wesen der Drachen auf eine neue und eigentümliche Weise. Ihre Drachen sind keine “greifbaren” Geschöpfe, wie sie sonst in den Märchen, Sagen und Legenden der Welt vorkommen. Man ahnt hier lange Zeit nur ihre Präsenz, man glaubt zum Beispiel “aus dem Augenwinkel” hier mal eine Flügelspitze zu entdecken oder dort mal ein Auge oder eine Klaue aufblitzen zu sehen. Sie tauchen in den Träumen einiger weniger auf und hinterlassen geheimnisvolle Botschaften. Bei manchen ist es eine unbestimmte Sehnsucht – bei anderen eine namenlose Furcht. Bei McKillip sind sie sehr mächtige magische Wesen, die nicht eindeutig gut oder böse sind, und die sich nicht für die armseligen menschlichen Begierden und Leidenschaften interessieren oder gar benutzen lassen.
Auch das mystisch-mythische Moment der menschlichen Protagonisten bleibt in diesem Teil des Romans erhalten, so dass man die typisch menschlichen Regungen nach wie vor fast vergebens sucht. Viele Figuren bleiben unnahbar und deren Beweggründe für ihre Handlungsweise sind genauso selten wirklich zu verstehen, wie das bei den meisten Figuren des ersten Teils der Fall war.
Patricia McKillip versteht es, ihre Romane so zu schreiben, als erzähle sie einen Traum: Ihre menschlichen Figuren sind meist halb feenhafter Natur mit Fähigkeiten, die weit jenseits unseres alltäglichen Erfahrungshorizontes liegen, und ihre Drachen sind keine unförmigen, häßlichen und grünbeschuppten Ungeheuer. Ihre Drachen sitzen nicht Jungfrauen verspeisend, Feuer spuckend und Angst und Schrecken verbreitend groß und plump auf irgendwelchen unermesslichen Schätzen, sondern sie schafft es mit ihrem magisch-poetischen Stil, sogar solche riesigen und beeindruckenden Wesen wie die Drachen in gleichsam nebelhafte Magie zu verwandeln …

Cover des Buches "Prinzessin der Haie" von Thomas Burnett Swann Als Charlie auf einen Schlag Mutter und Bruder verliert, verfällt er in eine tiefe Depression. Damit endet sein bisher so glückliches und behütetes Leben. Er verlässt die Universität und bewirbt sich für eine Stelle als Hauslehrer auf einer einsamen Karibikinsel.
Dort findet er nicht nur einen guten Freund und seine erste große Liebe, sondern er begegnet auch dem seltsamen Mädchen Jill und Curk, einem mysteriösen Fremden, der der eigentliche Herr der Insel zu sein scheint. Während Charlie versucht, Jill ein wenig Benehmen und klassiche Bildung zu vermitteln, gerät er in große Gefahr.

-Ich richte meine Geschichte nicht an meine Mitdelphine, obwohl ich sie natürlich, wie es bei meiner Rasse üblich ist, immer und immer wieder meinem erstgeborenen Sohn erzählen werde, bis er sie, Wort für Wort, einmal an seinen Erstgeborenen weitergeben kann.-
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In Prinzessin der Haie (The Goat without Horns) wendet sich Thomas Burnett Swann von der klassischen antiken Mythologie ab und verarbeitet Elemente aus der Sagenwelt der Karibik und der Seefahrt.
Gleich zu Beginn lernt der Leser “Grübler”, den Erzähler, kennen. Dessen Perspektive wechselt im Laufe der Geschichte mehrfach: so gehen Passagen, die in der ersten Person erzählt werden, nahtlos in Kapitel über, in denen Grübler eine reine Beobachter- oder Nacherzählerstellung einnimmt. Diese für Swann typische Art des Erzählens schafft eine fast authentische Atmosphäre, da sie das Gefühl vermittelt, die Geschichte von einem direkt Beteiligten zu hören.
Und wie für Swann auch typisch, ist Grübler nicht einfach ein Mensch, sondern diesmal lässt er die Geschichte von einem Delphin erzählen. Ähnlich wie Charlie, die Hauptperson der Erzählung, hat Grübler vor kurzem seine Mutter verloren und hat sich von seinen Artgenossen zurückgezogen. So ist es nur logisch, dass die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung einen Seelenverwandten im jeweils anderen finden und sofort Freundschaft schließen. Nachdem Grübler kurz erzählt hat, wie er selber zur Insel “Oleandra” kam und den Leser bei dieser Gelegenheit mit der Welt der Delphine vertraut gemacht hat, wendet er sich bald Charlie und dessen Geschichte zu.

Charlie wirkt, aus Grüblers Sicht beschrieben, wie der perfekte Held einer romantischen Geschichte: gutaussehend, sportlich, empfindsam, bescheiden und klug. Auf Grund des Erzählstils wird aber schnell klar, dass Grübler ein sehr junger Delphin ist. So relativiert sich die beschriebene Perfektion zur Schwärmerei eines Jugendlichen, dessen fehlende Lebenserfahrung einen Großteil seines Urteilsvermögens ausmacht. Genauso unerfahren kommt auch Charlie auf die Insel. Bis zum gleichzeitigen Tod seiner Mutter und seines Zwillingsbruders wohlbehütet aufgewachsen, in einer Atmosphäre der Liebe und Harmonie, begegnet er seiner Umwelt mit einer Selbstgerechtigkeit, die nahezu kindlich wirkt und den Leser eher nachsichtig lächeln lässt, als dass er Charlies Verhalten übel nimmt.
Sicher trägt auch Swanns leichte und poetische Sprache zu diesem Lächeln bei, die gerade in den Begenungen Charlies mit Elisabeth, seiner Arbeitgeberin, so weit aufblüht, dass sie fast ironisch wirkt.

Elisabeth, um einiges älter als Charlie, doch in ewiger Jugend erstarrt, ist die Frau, in der Charlie seine erste große Liebe findet. Beide schwärmen für die gleichen Dichter und nehmen ihre Umwelt durch einen romantisch verklärten Schleier der Melancholie wahr. So erschafft Swann mit Elisabeth einen Charakter, der für Charlie tröstende Mutter, geheimnisvolle Fremde und romantische Geliebte zugleich sein kann.
Ihre Tochter Jill ist so ganz anders als Elisabeth. Ihre direkte, forsche Art des Auftretens, frei von jeglicher Konvention, wirkt fast brutal in diesem Umfeld und lässt Charlie anfangs heftig erschrecken. Da ihre Mutter gesundheitlich stark angeschlagen ist, wurde Jill von Curk erzogen.
Dieser wiederum ist ein Eingeborener, der fest in den Werten und Mythen seines Volkes verankert ist. Er besetzt für Jill die Vaterrolle und Elisabeth kann seiner kraftvollen und düsteren Ausstrahlung wenig entgegensetzen. Da erstaunt es den Leser wenig, dass Jill mit einer Art Geringschätzung auf ihre Mutter herabschaut und Curk nahezu vergöttert.

Erscheint Curk dem Leser geheimnisvoll und stark, so kommen seine Stammesgenossen gar nicht gut weg. Sie werden durchgehend als böse, faul und degeneriert dargestellt. Ob Swann mit dieser Art der Beschreibung provozieren wollte, ob er der Meinung war, dass diese Darstellung einer richtigen Abenteuergeschichte angemessen ist oder ob er wirklich in dieser typisch kolonialen Sichtweise gefangen war, muss wohl jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Auch verlangt die Erzählung die Bereitschaft, sich auf die Idealisierung des viktorianischen Frauenbildes einzulassen: wunderschön, gebildet aber auch zurückhaltend und wohlerzogen soll SIE sein. Zwar wird dieses Idealbild zwischendurch gebrochen – erst durch die Grenzüberschreitung Elisabeths wird die Romanze zwischen ihr und Charlie möglich, und auch Jill fasziniert diesen anfangs mit ihrem betont “unweiblichen” Auftreten – doch am Ende unterwerfen sich beide Protagonistinnen wieder dem klassischen Frauenbild ganz bewusst und nahezu begeistert: “Auf dem Schiff werde ich mein Haar wachsen lassen. Es wächst sehr schnell. In ein paar Monaten müßte ich eigentlich präsentabel aussehen.” (Jill, Kap. 12) und können nur dadurch wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.

So begegnet dem Leser hier also eine Erzählung, die nicht frei von Ecken und Kanten ist. Doch hier ist es nun wieder Grübler, dessen ganz eigene Sicht auf das menschliche Verhalten die Ecken abmildert, der Geschichte ihre Unschuld bewahrt und ihr einen heiteren Nebenton verleiht. Grüblers jugendliche, ja fast kindliche Sicht auf die Geschehnisse, gepaart mit Swanns schon erwähntem blumigen Schreibstil und einem fast schwülen kolonialen Setting, machen aus Prinzessin der Haie das, was es ist: eine unterhaltsame Geschichte für Liebhaber poetisch-melancholischer Abenteuer mit einem Hauch Mystik.

Raven die Schwertmeisterin von Richard KirkDie junge Sklavin Su’uan schafft es eines Nachts, aus der Sklaverei des Kriegsherrn Karl Ir Donwayne zu fliehen, der sie vergewaltigt hat und für den abscheulichen Tod ihrer Mutter verantwortlich ist. Auf ihrer Flucht wird sie von blutrünstigen Sklavenhunden verfolgt und der Tod scheint ihr sicher, als ihr plötzlich ein riesiger schwarzer Vogel zu Hilfe kommt, der die Hunde in die Flucht schlägt. Der Gefahr entronnen, gerät sie jedoch schon wenige Stunden später erneut in Gefangenschaft, bis sie schließlich in die Hände einer Horde von Kriegern und Dieben fällt, unter denen sich der Magier Spellbinder befindet. Dieser eröffnet Su’uan, dass sie Raven ist, die auserwählte Kriegerin, die das Chaos bringen und die Welt verändern wird.

– Das Mädchen duckte sich auf die mondbeschienene Sandfläche und lauschte dem Kläffen der Sklavenhunde. Das unterirdische Heulen schien sich dem angestrengten Heben und Senken ihrer Brüste anzupassen, die sich gegen den fadenscheinigen Stoff ihres Gewandes wölbten. –
Kapitel 1, S.12

Nun, um es auf den Punkt zu bringen: dieser Klassiker wird seinem Cover gerecht. Man stelle sich eine junge Frau vor, um nicht zu sagen ein Mädchen, das gerade vergewaltigt wurde, deren Mutter regelrecht zu Tode ge… ja… wie drückt man das jetzt jugendfrei aus? Sie wurde von derart vielen Soldaten nacheinander genommen, wie es in dem Buch alle Nase lang heißt, bis sie dabei, vermutlich vor Erschöpfung, gestorben ist.
Selbiges Mädchen flüchtet also nun in die Wüste, wo sie von einem neuen Sklavenhändler gefunden wird, der, welch Überraschung, ihr gerne an die Wäsche will. Glück im Unglück, wird sie vorher von einer Karawane Gesetzloser gefunden, deren Anführer, nochmal Überraschung, ihr an die Wäsche will. Bevor dieser soweit kommt, eilt der Held herbei und erklärt, dieses Mädchen sei nicht dazu bestimmt (jetzt kommt es wieder) genommen zu werden. Na, wenn das mal vorher einer gesagt hätte!
Besagter Held ist seines Zeichens Magier und belegt die junge Dame mit einem Zauber, der sie die vergangenen Erlebnisse zunächst vergessen lässt, damit sie sich voll auf ihre Ausbildung zur Schwertmeisterin konzentrieren kann. Daraufhin verschwindet er. Ein Jahr später taucht er wieder auf und mit ihm auch die Erinnerungen unserer Heldin. Man halte nun mal kurz fest: Ihre Erinnerungen sind gerade derart frisch, als wäre ihre Schändung erst wenige Tage zuvor passiert, trotzdem entdeckt sie plötzlich ihre unstillbare Libido, springt in des Helden Bett und hat auch gleich (Zitat:) die Leidenschaft von zehn Frauen, die sie im Verlaufe des Buches immer wieder einbringt. Es geht hier um 180 Seiten, auf denen es zu zwei Drittel nur um ihre oder die Wollust anderer geht.

Im großen und ganzen kann man sich über Raven die Schwertmeisterin (Raven Swordsmistress of Chaos) herrlich kaputt lachen und amüsieren. Spätestens, als sie auch noch ihre Lust auf das eigene Geschlecht entdeckt, ist so ziemlich alles an erotischen Klischees bedient, was man sich vorstellen kann. Von dem eher intelligent-mächtigen Zauberer, über den nicht ganz so intelligenten, aber dafür sehr muskulösen und tatkräftigen Piraten, bis hin zur sinnlichen Königin, die sich vor Begierde nach unserer Heldin kaum gerade auf den Beinen halten kann.
Hin und wieder wird das romantische Treiben unterbrochen von einer Reise, einer Suche oder auch mal einem Schwertkampf. Am Ende darf die Heldin sogar ihrem ursprünglichen Peiniger Karl Ir Donwayne mit dem Schwert gegenüber treten. Wie das ausgeht, sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten, nur so viel: es fallen eine Menge Kleider.

Sprachlich ist der Roman solide geschrieben, der Weltenbau ist zwar bei den wenigen Seiten nicht umfangreich, jedoch gut genug auf den Punkt gebracht, so dass man sich alles bildlich vorstellen kann, die Charaktere wirken zwar teilweise stark konstruiert, dabei aber wenigstens geradlinig. Inhaltlich ist es eine einfache Queste nach bekannten Schemata. Heldin wird geboren, Bösewicht taucht auf, ein magischer Gegenstand muss zu seiner Bekämpfung gefunden werden, Showdown. Einzig der Sinn der Handlung wollte sich nicht ganz erschließen lassen. Da hatte es den Eindruck, man brauchte noch etwas Fantasy um das erotische Geplänkel herum. Letzteres stellt dann auch das große Manko des Romans dar. Das zeigt allzu deutlich, dass Raven von einem Mann konzipiert wurde. Eigentlich waren das in diesem ersten Band sogar zwei Männer (Robert Holdstock und Angus Wells), die in den Folgebänden abwechselnd unter dem gemeinsamen Pseudonym Richard Kirk an den Raven-Romanen geschrieben haben. Das ganze ist auch eher ein feuchter Männertraum als die Geschichte einer starken Heldin.  Selbstbewusst und emanzipiert wie Raven sein soll, ist sie eigentlich keines von beidem, denn am Ende verhält sie sich genauso, wie es sich für eine stereotype weibliche Heldin gehört.
Leider ist Raven die Schwertmeisterin damit auch ein deutliches Beispiel dafür, weshalb dieses Genre dauernd als Schmuddelgenre beschimpft wird.

Wer also gerne einen klassischen Roman lesen möchte, bei dem es auch immer wieder um das Eine geht, der wird an Raven sicher seine Freude haben. Wem es gefällt, der kann sich auf vier weitere, in sich abgeschlossenen Bände mit entsprechend spannenden Coverbildern freuen. Ein Sammelband aller fünf Geschichten ist ebenfalls erschienen.

Rebel Angels von Libba BrayGemma versucht weiterhin ihr Schicksal zu verfolgen und die Magie des magischen Reichs wieder an den Orden zu binden. Sie und ihre Freundinnen sind plötzlich in der Lage, die Magie dieser anderen Welt mit in ihr viktorianisches London zu holen, wo sie die Weihnachtsferien bei ihren Familien verbringen. So gerne Gemma das Chaos der magischen Welt für eine Weile vergessen würde, so akut ist jedoch die Bedrohung durch Circe, und die Mädchen begeben sich auf die Suche nach dem verlorenen Tempel, dem Schlüssel zur Kontrolle der Magie. Unterdessen ist Gemma hin und her gerissen zwischen dem exotischen Rakshana Kartik und dem attraktiven, aber nicht sehr tiefgründigen Lord Denby, der ihr den Hof macht.

– »Do not tell her your aim. Gain her trust.« There was a pause . »Woo her, if necessary.«
I thought of the strong, powerful, stubborn girl I’d left behind. »She is not so easily wooed.«
»Any girl can be wooed. It is merely a question of finding the right tool. (…)« –
Kapitel 1, S. 10

Rebel Angels (Circes Rückkehr), der zweite Teil aus der Trilogie Gemma Doyle (Der geheime Zirkel), kommt ähnlich schleppend wie der Auftaktroman in die Gänge. Diesmal verschlägt es den Leser in die High Society Londons, wo so viel Oberflächlichkeit und falsche Loyalität herrschen wie sonst nirgendwo. Freunde viktorianischer Gepflogenheiten werden freilich ihre Freude an dem höflichen Geplänkel bei Tee und Kuchen haben, jedes dezente Kichern hinter vorgehaltener Hand begrüßen und die sauber gepflegten Intrigen der Damen genießen.
Außerhalb der Londoner Gesellschaft trifft der Leser dafür aber auch auf Sagengestalten aus keltischer, griechischer, orientalischer und anderer Mythologie. Rebel Angels, angelehnt an John Miltons Paradise Lost, ist ein wilder Mix durch alle Kulturen, der beinahe beiläufig die Problematik von Rassen- und Geschlechterkonflikten aufgreift. Es ist sehr realistisch geschildert, auf welch subtilen Ebenen diese Dinge existieren und oft ungeplant und unbewusst Einzug in das alltägliche Leben halten. Gorgonen, Nixen, Zentauren … all das und noch viel mehr sind nur schmückende Begleiterscheinung einer allzu vertrauten Welt.

Die Charaktere in Rebel Angels werden weiter ausgebaut, bleiben größtenteils aber so unvorhersehbar, wie sie es schon im ersten Teil waren. Gemma beweist einmal mehr ihre Ignoranz gegenüber Warnungen, vertraut sich leichtsinnig allen möglichen Personen an, geht eindeutigen Hinweisen häufig nicht nach und zu allem Überfluss scheint sie unschöne Wahrheiten auch oft nicht sehen zu wollen. Gemma jagt verschiedenen Ideen hinterher und verfolgt auch mal die ein oder andere Spur, insgesamt sind ihre Entscheidungen aber oft so fahrlässig oder unverständlich, dass man sie für ihre Naivität ohrfeigen möchte. Auf der anderen Seite versucht sie ihre Gabe dann auch mal zu nutzen, um anderen zu helfen, muss allerdings bald lernen, dass gute Absichten nicht immer zu guten, manchmal sogar zu noch schlechteren Ergebnissen führen.
Zwischen Felicity, Ann, Pippa und Gemma herrscht außerdem weiterhin ein eher befremdliches Verhältnis, das wenig mit Freundschaft zu tun hat. Trotz illusorischer Momente echter Freundschaft gibt es auch immer wieder Situationen, in denen man sich als LeserIn fassungslos an die Stirn greifen muss und nicht recht nachvollziehen kann, weshalb die Mädchen einander nicht schon längst den Rücken gekehrt haben. Dem entgegen gesetzt werden Entwicklungen, die das scheinbar inakzeptable Verhalten der Mädchen ein wenig erklären. Manch enthülltes Geheimnis kommt dabei so unerwartet und mit solcher Wucht, dass es einem zunächst die Sprache verschlägt und die beinahe unglaubliche innere Stärke dieser Mädchen erst wirklich zeigt. Einmal mehr verschleiert und verschönert Libba Bray die Härte der Realität nicht und deckt auf, dass hinter noch so edlen Türen schreckliche Dinge geschehen können.

Die Männerwelt muss in diesem Zusammenhang in Rebel Angels einiges an Federn lassen und sich mit ein paar der schlechtesten Aspekte ihres Daseins auseinandersetzen. Etwas relativiert wird dies durch Kartik, der schon im ersten Teil der Trilogie eine zwiespältige Rolle einnahm, hier jedoch zum Lanzenbrecher für seine männlichen Kollegen wird. Als einer der wenigen Charaktere schlüpft er nicht in das sexistische Rollenbild der geschilderten Gesellschaft und erhält den Hauch von Hoffnung auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Mann und Frau aufrecht. Auch Gemmas Vater beweist, dass Männer nicht ausschließlich die starken Machthaber sind, sondern ebenfalls unter der Last ihres Schicksals zerbrechen können und verwundbar sind. Es sind realistische Bilder, die Libba Bray von Mann und Frau zeichnet, beide kommen dabei mal besser, mal schlechter weg. Dennoch bleiben Frauen die heimlichen Herrscherinnen von Brays Welt. Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau. Sie fühlen sich freilich zu Männern hingezogen, lassen ihre Gedanken um ihn kreisen und genießen es auch begehrt zu werden, jedoch erlauben sie sich nicht, ihr Leben allein davon bestimmen zu lassen. Wieder sind es die Charaktere und ihr ambivalentes Verhalten, welche Libba Brays Roman so spannend und lesenswert machen. Fernab magischer Welten gibt es viel Menschliches zu entdecken, zu erfahren und zu erkennen.

Der Roman kommt leider nicht ganz so rebellisch daher wie man es dem Titel nach erwarten würde. Die Jagd nach Circe und die Suche nach dem Tempel stellt ein großes Thema dar und führt durch beide Welten, doch die Autorin legt mehrfach falsche Fährten, die leicht und früh durchschaut werden können. Dennoch liefert auch Rebel Angels wieder eine Geschichte, die den Leser auf schwer erklärbare Weise an das Buch fesselt und dabei neugierig auf die weitere Entwicklung macht. Wem also A Great And Terrible Beauty (Gemmas Visionen) stilistisch gefallen hat, der kann mit Rebel Angels nicht viel verkehrt machen.

Redemption in Indigo von Karen LordPaamas Ehemann Ansige ist eine wandelnde Fressmaschine und sich für keine Peinlichkeit und Unhöflichkeit zu schade, wenn es darum geht, seinen nimmersatten Bauch zu füllen. Nicht einmal, als Paama ihn verlässt und ins Haus ihrer Eltern zurückkehrt, ist Ruhe – denn Ansige versteht solcherlei subtile Hinweise nicht und folgt ihr kurzerhand. In ihrem Heimatdorf Makendha tut Paama alles, um nicht zum Gespött der Leute zu werden, doch längst haben sie und ihr Mann die Aufmerksamkeit der Djombi auf sich gezogen, der gestaltwandelnden, nicht-menschlichen Mächte. Diese nutzen Menschen mitunter gern für ihre eigenen Zwecke …

-Why did Paama leave Ansige?
There are men of violence. There are men who drink. And then there was Ansige, a man with a vice so pathetic as to be laughable. He ate; he lived for his belly.-
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Die Geschichte von Paama und Ansige lässt sich im Band Spielmannsgeschichten der Sahel aus der Sammlung afrikanischer Volksmärchen des deutschen Völkerkundlers Leo Frobenius (die auch im Impressum von Redemption in Indigo angegeben ist) nachlesen, doch für das Roman-Debut der karibischen Autorin Karen Lord war sie lediglich eine Keimzelle, aus der ein raffiniertes Hin und Her zwischen Erzählerfigur und Publikum entstanden ist, das mündliche Erzähltradition, magischen Realismus und metafiktionales Augenzwinkern in einer charmanten kleinen Geschichte vereint.

Redemption in Indigo ist dabei in jeder Hinsicht ein Märchen geblieben: Wo sonst begegnet man Leuten, die ein ganzes Schaf und ein halbes Maisfeld vertilgen und immer noch nicht satt sind? Paama ist wie viele weibliche Märchenfiguren eine sehr häusliche Heldin, eine gewöhnliche Frau mit einem außergewöhnlichen Talent – sie kocht wie keine zweite, und mit den Speisen, die sie im Laufe des Romans auftischt, hätte sie sich bestimmt einen Platz auf dieser Liste appetitanregender Werke verdient. An der Tatsache jedoch, dass sie eine unwahrscheinliche Heldin ist, ändert sich auch nichts, als sie erst mit einem Geschenk der Djombi und später mit dessen rachsüchtigem, unsterblichem Vorbesitzer konfrontiert wird: Inmitten von Angst und Unvermögen ist es letztlich die Stärke, die man im normalen Alltag braucht, mit der sie sich behaupten kann.
Zeitlich und geographisch ist der Schauplatz der Geschichte nicht näher bestimmt, sie verlässt sich eher auf Gemeinplätze wie Stadt und Land, Familie und Dorfgemeinschaft. Technik spielt keine Rolle, dennoch wirkt nicht einmal das kleine Dörflein Makendha altertümlich.
Als dort das Übernatürliche in den beschaulichen Alltag einbricht, geschieht das zunächst auf leisen Sohlen, und die verschiedenen Kräfte, die eigenen Regeln unterliegen, fügen sich nahtlos ins Dorfleben ein, ob es nun sprechende Grashüpfer, wohlmeinende Tutoren, die sich einen Körper borgen müssen, um mit Menschen zu interagieren, oder Spinnen-Trickster sind, die einfach so in einem Gasthaus sitzen und bei einem Bier nicht ganz uneigennützige Ratschläge erteilen.

Damit wäre Redemption in Indigo vielleicht ein charmantes Update einer traditionellen Erzählung geworden, wäre da nicht die dominante Erzählerfigur, die eine Zwischenebene einschaltet, auf der sie ständig mit Lesern und Leserinnen interagiert: Das beginnt mit einer Entschuldigung für erzählerische Mängel, später kommen teils weitschweifige Erklärungen zu den kurioseren Einzelheiten der Handlung hinzu (wie kann eine Spinne mit ihren Kauwerkzeugen ein Bier trinken und plaudern?), mögliche Einwände werden vorweggenommen und diskutiert. Schnell fühlt man sich da ertappt, wenn man am Ende die letztlich recht simple Moral und Lösung aller Probleme für übertrieben hält. Der Stil changiert zwischen märchenhaft und literarisch, es gibt keine äußeren Beschreibungen der Figuren, aber sehr genaue Beobachtungen menschlichen Verhaltens, und die präsente Erzählerfigur tritt nie in den Hintergrund.
Doch trotz aller Bemühungen gelingt es ihr nicht ganz, die Zweifel am ausgesprochen runden Ende, in dem keine Fäden offenbleiben, zu zerstreuen. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Konflikt, der sich aufgebaut hat, ein wenig in sich zusammenfällt und sich in Wohlgefallen auflöst, auf jeden Fall funktionieren die kleinen, dörflichen, verschmitzt kommentierten Szenen besser als die dramatisch-großen. Wenn man sich an den formalen Aspekten der Geschichte erfreuen kann, ist Redemption in Indigo jedoch eine unterhaltsame Abwechslung im erzählerischen Einheitsbrei, auch wenn der reine Plot vielleicht etwas zu sehr dem märchenhaften Moralisieren verpflichtet bleibt.

Cover von Reise zum Mond und zur Sonne von Savinien de Cyrano de BergeracNachdem der Ich-Erzähler mit einigen Freunden über das Wesen und die Funktion des Mondes philosophiert hat, beschließt er auf den Mond zu reisen. Er landet auf dem Mond und zwar genau an der Stelle, an der sich das irdische Paradies befindet. Dort trifft er den Propheten Elias. Die beiden beginnen ein Streitgespräch, in dem Cyrano solch lästerliche und ketzerische Thesen vertritt, daß Elias ihn aus dem Paradies wirft. Cyrano wird von den Mondbewohnern aufgegriffen, die ihn für einen Affen halten, weil er sich nicht wie sie auf allen Vieren fortbewegt und er wird dort zu einem anderen “Affen”, einem Spanier, in einen Käfig gesperrt. Schließlich kommt er auf die Erde zurück, nur um zur Sonne zu reisen und schließlich einiges über die Liebe zu erfahren.

– Es war Vollmond, klarer Himmel, und es hatte neun Uhr abends geschlagen, als wir, vier meiner Freunde und ich, aus einem Haus in Clamart bei Paris zurückkehrten, wo der junge Monsieur de Cuigy, der dort der Grundherr ist, uns bewirtet hatte. –

Eine kurze Inhaltsangabe kann Cyrano de Bergeracs Reise zum Mond und zur Sonne nicht gerecht werden. Cyrano ergreift in seinem mutigen Werk Partei für die Aufklärung und gegen die Kirche und andere Autoritäten seiner Zeit. Nun hält er aber keine Philippica gegen Aberglauben und Volksverdummung, seine Waffen sind Esprit und Witz, Ironie und Satire. De Bergeracs Florett ist die geschliffene Sprache, mit der er für seine Überzeugungen ficht. Auf dem Mond wird Cyrano von den Priestern beim König angezeigt, weil er es gewagt hat zu behaupten, daß die Welt der Lunarier nur ein Mond sei und keine Erde, er hingegen von der Erde käme und nicht etwa vom Mond, wie die Lunarier glauben. Man holt ihn aus seinem Käfig, der Groß-Pontifex hält eine Anklagerede und am Ende wird Cyrano an alle Ecken der Stadt geführt, wo er seine Überzeugung widerrufen muß: “Untertanen, ich erkläre, daß dieser Mond hier kein Mond ist, sondern eine Erde, und daß diese Erde dort keine Erde ist, sondern ein Mond. Das ist, was die Priester für gut erachten, das Ihr glauben sollt.” Die ganze Schilderung ist eine geistreiche Anspielung auf den Prozeß gegen Galileo Galilei.

Köstlich und außerordentlich einleuchtend ist auch die Episode, in der der Dämon des Sokrates Cyrano vor Augen führt, daß Gott den Menschen keineswegs mehr liebt als Kohlgemüse, ja warum ihm wahrscheinlich am Kohl mehr gelegen ist als an den Menschen. Und alle, die noch der Auffassung anhängen, die Sonne drehe sich um die Erde, versucht de Bergerac mit diesem Beispiel zu überzeugen: “Es wäre gerade so lachhaft zu glauben, der große leuchtende Körper drehe sich um einen Punkt, mit dem er nichts zu schaffen hat, als sich vorzustellen, wenn wir eine gebratene Wachtel sehen, man habe, um sie zu rösten, den Kamin um sie herum gedreht.”
Cyrano de Bergerac bezieht sich immer wieder auf philosophische und wissenschaftliche Werke zeitgenössischer Geistesgrößen wie Pierre Gassendi, Hieronymus Cardanus, Tommaso Campanella und anderen, die dem heutigen Leser nicht mehr geläufig sind. In solchen Fällen leistet der hervorragende Anhang mit seinen Anmerkungen ausreichend Hilfe.

Aber nicht nur Cyranos Umgang mit den philosophischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Zeit faszinieren, sondern auch die Tatsache, daß ganz offensichtlich sich andere und dazu völlig unterschiedliche Künstler von ihm haben inspirieren lassen. Die futuristischen Flugmaschinen erinnern an Jules Verne, Swift scheint sich Anregungen für Gullivers Reisen geholt zu haben, in Schillers “Die Räuber” finden sich Gedanken über Vaterschaft, die denen Cyrano de Bergeracs verblüffend ähnlich sind und daß die Herrschaftsverhältnisse umgekehrt werden, die Tiere die Menschen in Käfige sperren und sie als minderwertige Geschöpfe ansehen, hat man unter anderem in Planet der Affen gesehen.
Savinien de Cyrano de Bergerac findet ohne Mühe dreieinhalb Jahrhunderte nach seinem Tod den Weg in die Herzen seiner Leser.

Resenting the Hero von Moira J. MooreDie junge Dunleavy Mallorough ist ein “Shield” – sie kann einen Magier beschützen, während dieser die großen Naturkatastrophen verhindert, die Dunleavys Heimat regelmäßig heimsuchen. Nach ihrer Ausbildung hofft sie, mit einem netten und bescheidenen “Source”-Magier ein Bündnis eingehen zu können, doch zu ihrem Leidwesen ist es der berühmt-berüchtigte Lord Shintaro Karish, ein Angeber und (Frauen-)Held, der sie auswählt. Während Dunleavy noch mit dem Schicksal hadert, schleppt ihr Gefährte sie schon zu ihrer ersten Aufgabe: Sie sind der größten und gefährlichsten Stadt des Kontinents zugeteilt worden. Dunleavy hat allerdings nicht lange Zeit zu murren, denn jemand scheint es auf die Magier der Stadt abgesehen zu haben …

-“Not feeling any uncontrollable urges, are you?” the low voice in my ear teased.
I looked up at the speaker and said, “Huh?”-
Chapter One

Leicht, locker und lustig – das scheint schon das Titelbild von Moira J. Moores Debutroman zu versprechen. Und wenn man sich keinen Terry Pratchett erwartet und eine Portion lustig gegen eine Prise romantische Anflüge austauscht, liegt man damit ganz richtig, hockt allerdings auch zwischen den Stühlen, denn für eine Komödie ist die Sache zu ernst, für eine Romanze herrschen – noch? – die ganz und gar falschen Gefühle zwischen den beiden Hauptcharakteren, und ob die Source & Shield-Reihe Parodie oder doch eher Ernst sein will, läßt sich mit der Lektüre dieses Bandes nicht abschließend klären.

Die aus der Ich-Perspektive berichtende Protagonistin Dunleavy wünscht sich alles andere als einen aufschneiderischen Helden an ihrer Seite, als sie den Dienst beim “Triple S” (Source & Shield Service) beginnt. Triple S schützt mit seinen Magiern die Menschen vor der ihnen feindlich gesonnenen Umwelt – an dieser Stelle klingt ganz leicht ein “Lost Colony”-Thema an: die Menscheheit ist einst mit Raumschiffen auf diesem unwirtlichen Planeten voller Naturkatastrophen gelandet.

Vom ersten Augenblick an vertragen sich Dunleavy und ihr Partner bis ans Lebensende, Lord Karish, in etwa so gut wie Hund und Katz. Da liegt die Vermutung nahe, daß sich die Handlung nun im Zusammenraufen der beiden widerstrebenden Naturen ergeht und sich die Helden am Ende in den Armen liegen werden, aber so einfach ist Resenting the Hero dann vorerst nicht gestrickt, obwohl man zu Beginn recht seifenopernmäßig in die Handlung eingeführt wird. Die kurzen Kapitelchen machen als leichte Lektüre Spaß und lesen sich sehr flott und nach der Einstiegsphase auch spannend, selbst wenn man zu wissen glaubt, wie der Hase läuft. Unterwegs warten einige interessante Wendungen, wenn auch der Schluß samt einem so bösen Fiesling, daß er beinahe zur Karikatur geraten wäre, ein Stück übers Ziel hinausschießt.

Wie es bei der Ich-Perspektive manchmal Fall ist, leidet auch hier die Hauptfigur unter üblen (und konstruiert wirkenden) Fehleinschätzungen und erscheint bisweilen arg begriffstutzig. Insgesamt sind die beiden Protagonisten aber lebendig und menschlich gezeichnet, gerade Dunleavy werden auch negative Seiten zugestanden und ihr Hang zum Egoismus dürfte nicht jedermanns Sache sein.
Da das Büchlein relativ dünn und schnell gelesen ist, gibt es bei den anderen Figuren starke Abstriche, sie bleiben im Hintergrund oder sind sehr formelhaft; und man darf sich gewiß auch keine Wunder an Weltschöpfung und epischer Handlung erwarten, im Gegenteil, der Plot läuft ein wenig ins Leere, als würden der Autorin die Seiten ausgehen. Der “Triple S” bzw. die Magie von Source & Shield ist dagegen eine ganz nette Erfindung, und auch sonst sticht die Welt an einigen Stellen ein wenig hervor (zum Beispiel ist man trotz der eher mittelalterlichen Anmutung  der technisch zurückgeworfenen Kolonisten recht frei in Liebes- und Geschlechterfragen), insgesamt bleibt aber alles eher blaß, worauf schon kreative Ortsnamen wie High Scape oder Middle Reach schließen lassen.

Als niedlich-harmlose Unterhaltung läßt sich Resenting the Hero dennoch lesen – da bleibt nur abzuwarten, ob sich die Dynamik der hadernden Hauptfiguren in den Fortsetzungen verliert, und ob die Autorin sich doch noch auf eine verhinderte Liebesgeschichte einschwingt oder bei einer interessanten Freundschaft bleibt.

Cover von Der Ritter von Gene WolfeEin Junge entdeckt auf einer Wanderung eine Wolke, die die Gestalt einer riesigen Burg hat. Er folgt ihr und landet in einer Höhle in Mythgarthr, einer fantastischen und mittelalterlichen Welt, welche die mittlere von sieben übereinanderliegender Welten ist. Dort sagt ihm eine alte Frau, sein Name sei Able of the High Heart. Able begibt sich auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise, auf welcher er nicht nur mehrere Welten kennenlernt, sondern auch viele Geschöpfe, freundliche wie feindliche, trifft. Eine Liebesnacht mit der Königin der Moosalfar verleiht Able den Körper eines Mannes, schlägt ihn zum Ritter und schickt ihn auf die Suche nach dem Schwert Eterne. Diese führt den jungen Ritter zur Burg des Herzog Marders und schließlich nach Jotunland, wo die Riesen wohnen.

-Und so kam es, daß ich bei Bold Berthold lebte. Er war irgendwie verrückt, und manchmal ist er hingefallen. Aber er war der tapferste Mann, den ich kannte, und er hatte keinen Gram Falschheit an sich.-
Kap. 2, Die zerstörte Stadt

Mit diesem ersten Band der Saga unterstreicht Gene Wolfe seine bemerkenswerte schriftstellerische Klasse, indem er der alten Geschichte vom Ritter auf der Suche nach Ehre und Abenteuern neues Leben einhaucht. Was macht das Buch so außerordentlich? Der Leser wird sofort in den Bann geschlagen von dem ungewöhnlichen, aber zauberhaft leicht anmutenden Erzählstil aus der Sicht des Heldens Able, welcher sich in Form eines Briefes an seinen Bruder Ben richtet. Mythgarthr sowie die anderen Welten sind nach dem Vorbild der nordischen Mythologie erschaffen, wobei es dem Autor gelungen ist, diese sofort vor dem geistigen Auge lebendig werden zu lassen. Dasselbe gilt für die zahlreichen Nebencharaktere, von denen keiner uninteressant oder fehl am Platze wirkt, denn jeder hat eine ureigene magische Wirkung.

Einen zusätzlichen Reiz bekommen die Figuren dadurch, dass der Leser sie (subjektiv) durch die Augen von Able sieht. Gleichzeitig erfährt man viel durch den sehr offen berichtenden Helden: Seine Gedanken und Motive, sein Gebahren und die Auseinandersetzung, sowie die Suche nach Ehre, Liebe und Freundschaft. Es entsteht ein vielschichtiger, auch widersprüchlicher Charakter, der jedoch auch seine Geheimnisse hat (Wer zum Beispiel war er vorher auf der Erde, und was geschah in der Zeit, an die er sich nicht mehr erinnern kann?). Er steht dem Leser sowohl nah als auch distanziert gegenüber. Während der Leser Able auf seinen zahlreichen Abenteuern begleitet, wächst er einem immer mehr ans Herz, doch muss man dabei höllisch aufpassen, nicht aufzuhören, Ables Verhalten moralisch zu hinterfragen. Dies zeigt einem der Autor etwa durch Sätze wie: “Jetzt kommt etwas, worauf ich nicht stolz bin”.
Zusätzliche Spannung wird durch Vorwegnahme von Ereignissen und auftretenden Figuren erziehlt, was einem förmlich zum Weiterschmöckern zwingt. Insgesamt ist Wolfe mit Der Ritter (The Knight) ein sehr überzeugender Roman gelungen, welcher sowohl literarische Ansprüche erfüllt als auch ein ungeheures Lesevergnügen bereitet. Man darf gespannt sein auf den zweiten und abschließenden Band Der Zauberer.

Der Kindgott Si’eh schließt mit den sterblichen Geschwistern Shahar und Dekarta einen Pakt: sie wollen auf ewig Freunde sein. Nach dem Blutschwur ist jedoch nichts, wie es vorher war: Si’eh verfällt in einen langen Schlaf, und als er erwacht, ist er ein Sterblicher, und auch das Reich der Amn sieht sich mit neuartigen Gefahren konfrontiert. Wird der Schwur der drei Bestand haben, um die Zerstörung der Welt aufzuhalten?

– Ein Liebhaber war noch nie genug für einen von uns”, sagte Itempas und lächelte traurig, als ob er wüsste, wie wenig er ihres Verlangens würdig war. –
Kapitel 1, S. 14

Gute Nachrichten für alle Hippies unter uns: Jemisins Elysium ist ein Ort der freien Liebe. Götter im Bett mit Menschen, flotte Dreier, wechselnde Geschlechter je nach Tagesvorliebe, Inzest, Hass als Grundlage für Sex, Liebe als Grundlage für Sex, Väter mit ihren Kindern, Mütter mit ihren Kindern, Frauen mit Katzen, kurz: jeder mit jedem, und da all das noch nicht genug ist, ist der Protagonist ein pubertierender Gott. Der Kindgott Si’eh, der mit dem Erwachsenwerden und seinem Penis konfrontiert wird, und in seiner freien Zeit schmollt oder durch den Palast erigiert, bestätigt eine alte Wahrheit: den Wirrungen der Jugend zuzusehen macht in den seltesten Fällen Spaß.
Der noble Vorsatz, vorurteils- und wertungsfrei für sexuelle Selbstbestimmung einzutreten, muss der Autorin zugute gehalten werden. Gleichzeitig ist das zentrale Thema des Romans auch seine größte Schwäche: erscheint die gnadenlose Übersexualisierung jeder menschlichen Beziehung, Handlung, Geste und Äußerung am Anfang noch verrucht und gewagt, verkommen die erotischen Ausflüge, in denen zwangsläufig alle Begegnungen enden, durch die ständige Repetition des Schema F zur langweilenden Effekt- und Orgasmushascherei. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fehlt völlig, sodass jegliches kritisches, gesellschaftlich relevantes Potential ungenutzt bleibt. Von Jemisin, die sich selbst als „politische Kommentatorin“ bezeichnet, hätte ich mir mehr erwartet.

Der Gegensatz von Liebe und Hass, ein weiteres Grundmotiv des Romans, verkommt ebenfalls zur Plattitüde, da die beiden Gefühle in der Welt von Si’eh & Co. auf das selbe hinauslaufen, und der findige Leser wird schnell erraten, worauf genau. Richtig. Tatsächlich endet oder beginnt beinah jede Szene mit einem Geschlechtsakt, sodass dem Leser nichts anderes übrig bleibt, als sich mit hintergründigen Fragen die Zeit zu vertreiben: fallen sie vor oder nach dem bedeutungsschwangeren Dialog über die Geschicke der Welt übereinander her? Und – wird Si’eh den Akt wieder mit einer pubertären Peinlichkeit ausklingen lassen?

Das Potential der unheimlich interessanten und ambivalenten Figur des Kindgottes nutzt die Autorin in dem dritten Band ihrer Reihe leider nicht aus; zu schnell spult sich auch hier ein Schema ab: entweder Si’eh spielt, oder er tötet. Nachdem dieses Muster einmal präsentiert wurde, bleibt kein Raum für Überraschungen. Wut und Albernheiten wechseln sich ab wie Wolken und Sonne, ernste Szenen werden zwanghaft durchbrochen, und die mangelnde Reife des Protagonisten manifestiert sich mehr als deutlich auf sprachlicher Ebene, die in der deutschen Übersetzung nicht nur nervig-albern, sondern schlicht haarsträubend ist. Jede Andeutung von Atmosphäre wird durch eine sprachliche Unbeholfenheit und Ausdruckssprofanität ins Lächerliche gezogen, grammatische Stolpersteine reihen sich an völlig fehlplatzierte Anglizismen. Die Debatte um die Übersetzung von Eigennamen mag ihre Berechtigung haben, doch wenn ein in Sorge befindlicher Bürger „Bright Vater, hilf uns!“ [sic! S.464] schreit, dann ist klar, dass dem Leser in diesem Roman vieles geboten werden soll – Niveau jedoch nicht. Das wäre kein Problem, wenn unser aller Verstand da sitzen würde, wo Si’ehs Lebens- und Körpermittelpunkt ist, doch der denkende Leser kann nicht anders, als an der Ernsthaftigkeit zu zweifeln, mit der der Verlag seine Leser betrachtet.

Die Autorin bemüht sich durchaus, Spannung aufzubauen und die Handlung voranzutreiben, doch dabei offenbart sich leider die letzte Schwäche des Romans. Durch die bereits angesprochene Sprachprofanität und durch eine das Werk wie ein roter Faden durchziehende Unglaubwürdigkeit der Figuren wird jegliche Spannung genommen. Liebe und Hass, die inflationär als Handlungsmotoren eingesetzt werden, verkommen zu sinnentleerten Begriffen, die alles rechtfertigen: Verrat, Sex, Folter, Krieg, Besitzansprüche. Das Pendel, das zwischen Kitsch und Endzeitstimmung schwingt, verharrt schließlich im rosaroten Bereich, und beinah möchte man rufen: Bright Vater, erlöse uns!

Nach einem herausragenden Auftakt der Reihe mit dem Erstling Die Erbin der Welt (The Hundred Thousand Kingdoms), einem bereits nachlassenden zweiten Band Die Gefährtin des Lichts (The Broken Kingdoms) und diesem enttäuschenden Abschlussband kann man nur empfehlen, Die Erbin der Welt als sprachlich und inhaltlich außergewöhnlichen Einzelband zu lesen, in dem die Magie von Jemisins geschaffener Welt noch ungemindert den Leser zu verzaubern weiß.

Cover von Der rote Tod von P.N. ElrodLong Island, 1773. Der junge Jonathan Barrett wird von seiner chronisch übelgelaunten Mutter nach Cambridge in England geschickt, um Jura zu studieren. Jonathan widmet sich nicht nur seinem Studium, sondern auch der schönen Nora. Als er wieder nach Hause kommt, gerät er zwischen die Fronten des Unabhängigkeitskrieges, was für ihn tödliche Folgen hat.

-“Du bist ein hochmütiger, halsstarriger, undankbarer Schuft!” Solchermaßen sprach -oder besser: schrie- meine Mutter mit mir, ihrem einzigen Sohn. –
Kapitel 1

Der rote Tod (Red Death) ist keineswegs so schlecht, daß er einen Verriß verdient, aber er ist auch nicht so gut, daß er zu Lobeshymnen Anlaß gibt. Besonders am Anfang wirkt die Sprache künstlich und theatralisch, man hat als Leser eher den Eindruck einer nicht besonders guten Theatertruppe zuzuhören, als den Gesprächen realer Menschen zu folgen. Und obwohl die Autorin zu dem Schachzug gegriffen hat, den Ich-Erzähler erklären zu lassen, er benutze bewußt eine moderne Sprache, gibt es einige Ausdrücke, die in einer Geschichte, die während des Unabhängigkeitskrieges spielt, stören. 1773 besucht man Feste oder Bälle und keine Parties, wenn man sich mit seiner Mutter unterhält, dann ist das ein Gespräch und kein Interview. Inhaltlich verbreitet die Geschichte für einen Vampirroman zu wenig Schrecken, es fehlt an (dem Thema angemessener) Grausamkeit. Die Vampire, die in diesem Roman ihr Unwesen treiben, haben die Macht, den Willen von Menschen zu beeinflussen, was zur Folge hat, daß die Menschen, die mit ihnen zu tun haben, sich kaum vor ihnen fürchten. Jonathan, der vor seiner Begegnung mit Nora noch keine Erfahrung mit Frauen hatte, hält es einfach für eine besondere Art des Liebesspiels als sie ihm in den Hals beißt und sein Blut trinkt und ein neugewordener Vampir wird nach einer kurzen Schrecksekunde wieder in den Schoß der Familie aufgenommen und ist nach seiner Verwandlung der gleiche nette Kerl wie vorher. Das ist ein weiteres Manko der Geschichte. Die Vampire sind nicht böse oder wenigstens amoralisch und sie befinden sich auch nicht im Konflikt mit ihrer neuen Natur, auch hier fehlt die Spannung. In diesem Roman gibt es zwar Sexualität, aber keine Erotik. Das Erotische an guten Vampirromanen ist ja gerade, daß Sex nicht beschrieben wird und dafür alles was mit Vampirismus zu tun hat höchst doppeldeutig geschildert wird, so daß die erotischen Bilder im Kopf des Lesers entstehen.
Das letzte Drittel des Romans ist Elrod am besten gelungen. Dieser Teil hat auch komische Züge und man bedauert, daß die Autorin ihre Geschichte nicht mit mehr Humor angereichert hat, denn das scheint eine ihrer Stärken zu sein.
Der Titel Der rote Tod ist für diesen eher gemächlich dahin fließenden Roman zu reißerisch, auch das rotgeflügeltes Ungeheuer, wie es auf dem Titelbild dargestellt wird, erweckt falsche Erwartungen. Dieser Roman ist etwas für Leute, die gerne historische Geschichten lesen, die mit phantastischen Elementen angereichert sind. Wer von einem Vampirroman atemlose Spannung und Gruseleffekte erwartet wird hier nicht auf seine Kosten kommen.

Royal Assassin von Robin HobbNach Veritys Hochzeit erholt sich Fitz nur langsam, während die Red Ships weiterhin die Küste terrorisieren, bis der Prinz befürchtet, sein Land werde den nächsten Sommer nicht überstehen. So faßt er den Plan, sich auf die Suche nach den legendären Elderlings zu machen, und sie um Hilfe zu bitten. Er läst seine Frau zurück, um über seinen Thron zu wachen. Regal erkennt seine Chance und lässt nichts unversucht, um während der Abwesenheit von Verity Kettricken in Verruf zu bringen. Als Fitz wieder erstarkt, ist es an der Zeit, daß er als “Royal Assassin” dafür sorgt, daß der rechtmäßige Thronerbe bei seiner Rückkehr auch noch ein Königreich hat, in das er zurückkehren kann …

-Why is it forbidden to write down specific knowledge of the magics? Perhaps because we all fear that such knowledge would fall into the hands of one not worthy to use it.-
Prologue: Dreams and Awakenings

Robin Hobbs Geschichten beginnen, so sagt sie, mit den Figuren – die Handlung ergibt sich erst später. Diese Vorgehensweise wirkt sich fast auf jedes Wort ihrer Romane aus, und jeder Leser, der Geschichten mag, in denen das Innere gegenüber dem Äußeren dominiert, kann sich von der intensiven Charakterschilderung in Royal Assassin mitreißen lassen.

Im zweiten Farseer-Band wird die Biographie des königlichen Bastards Fitz nahtlos fortgeführt, so daß man auf alle bekannten Figuren des ersten Teils trifft und sogar die Handlung in ganz ähnlichen Bahnen verläuft – immer dann, wenn Fitz brillieren kann, verliert er auch, denn seine Fähigkeiten und Leistungen unterliegen stets der Geheimhaltung, so daß sein Privatleben gehörig in Mitleidenschaft gezogen wird und der Lohn für die Heldentaten gering ausfällt. Langweilig wird es aber nie, denn der Fokus liegt vornehmlich auf Fitz’ Entwicklung statt auf den Ereignissen um ihn herum – wobei beides zusammenhängt und letztendlich doch eine Mischung erreicht wird: Abenteuer und Action kommen also keineswegs zu kurz.

Grundthema ist die Lebenslüge, denn Fitz muß vor allen außer wenigen verbergen, was er wirklich ist, vor allem vor seiner großen Liebe Molly. Darunter lauert eine weitere Schicht, seine Gabe, sich geistig mit Tieren zu verbinden, mit der er abergläubischen Haß auf sich zieht und von der er doch nicht lassen kann. Hin- und hergerissen zwischen seinen Verpflichtungen und seinen eigenen Wünschen nach einem vermeintlich freiem Leben, erlebt der Protagonist kaum einen schönen Augenblick. Er ist schon ein gequälter Bursche, dieser Fitz, und da das Buch auch noch offen und nicht eben gut endet, benötigt man die paar lichten Punkte, die es bietet, äußerst dringend: Da gibt es einmal herrliche Figuren, die trotz der Dominanz des Hauptcharakters als Ich-Erzähler noch viel Raum bekommen und die in allen Facetten angenehm menschlich und unkonstruiert wirken – edle, oder zumindest bodenständig-ehrliche Figuren wie Prinz Verity, Stallmeister Burrich und Fitz’ Ersatzmutter Patience. Jeder, der gerne liest, wie Tiere sich an Figuren binden, wird Fitz’ neues Haustier Nighteyes lieben, das auch einen trockenen Witz in die Geschichte einbringt.
Spannung bezieht Hobb unter anderem daraus, daß sie nach und nach wieder Details und Geheimnisse der vielschichtigen Figuren lüftet, und vor allem eine zwingende Intrigengeschichte erzählt, die eng mit Fitz’ eigener Geschichte und Reifung verknüpft ist.

Gute Recherche über das mittelalterliche (Stadt-)Leben rundet die Geschichte ab und macht daraus eine in vielen Belangen realistisch wirkende, eindringliche und mitreißende Charakterstudie. Wenn nicht alles gar so traurig und düster wäre, würde man das Buch mit einem großen Lächeln im Gesicht ins Regal zurückstellen …

Ruf des Mondes von Patricia BriggsAls Mercy Thompson den jungen Mac als Aushilfe in ihrer Autowerkstätte anheuert, ahnt sie noch nicht, was für einen Ärger sie sich damit aufhalst: Mac, ein junger Werwolf, der offensichtlich sein Rudel verlassen hat, hat gefährliche Feinde. Mercy, selbst nur eine Gestaltwandlerin und weniger stark als ein Werwolf, ist dem Fall bald nicht mehr gewachsen, denn es folgt auch ein Angriff auf das örtliche Werwolfsrudel, wobei die Tochter des charismatischen Anführers entführt wird. Bald sieht Mercy sich gezwungen, alle Register zu ziehen – sie bittet ihren Vampir-Freund um Hilfe und kehrt sogar zu ihren Wurzeln zurück, dem mächtigen Werwolfsrudel, das sie einst aufgenommen hat und an das sie vor allem schmerzliche Erinnerungen binden …

-Mir war nicht sofort klar, dass ich einen Werwolf vor mir hatte.-
1

Mercy Thompson, ihres Zeichens Automechanikerin, ist eine Heldin aus einer Legion von Frauen, die in den letzten Jahren vermehrt das Phantastik-Genre aufmischen, die Werwölfe, Vampire oder Dämonen jagen, mit Werwölfen, Vampiren oder Dämonen ins Bett steigen – oder, wie eben Mercy, versuchen, trotz Werwölfen, Vampiren und anderen Gestalten zurechtzukommen und ein ganz normales Leben zu fristen. Keine Frage, daß das nicht klappt, und Mercy Verwicklungen abenteuerlicher und romantischer Natur erleben muß, denn sie behauptet sich in einer Welt, in der einige Feenwesen sich aufgrund des Mediendrucks offenbaren mußten und in Koexistenz mit den Menschen leben, wohingegen die traditionell organisierten Werwölfe und Vampire sich damit noch zurückhalten und weiter im Geheimen agieren. Hier hat Patricia Briggs geschickt einige Elemente des modernen Alltags zu einer lebendigen Parallelwelt zusammengestrickt, um eine nette, wenn auch in Zeiten der Urban-Fantasy-Schwemme nicht sonderlich originelle Kleinstadtkulisse für Mercys Abenteuer zu bieten.

Immerhin sticht die Heldin aus der Masse ihrer Kolleginnen hervor: Umgeben von mächtigen Werwölfen und Vampiren ist sie nur eine kleine Gestaltwandlerin, die ab und an als Kojote durchs Bild huscht, wenn auch durchaus mit besonderen Kräften ausgestattet. Ganz selbstbewußt und unabhängig steht sie ihre Frau (man ist schließlich Automechanikerin!), umgeben von Männern, deren erstes Attribut immer ihre Attraktivität ist, und von den besonders attraktiven sind auch gleich alle bis auf den Quotenschwulen hinter unserer Heldin im Kojotenpelz her und streiten sich mitunter um sie oder leben ihren Beschützerinstinkt aus (Rollenverhalten wird überhaupt gerne mal auf Instinkt geschoben, der im Werwolfumfeld ganz groß geschrieben wird). Urban Fantasy und Rollenklischees sind offenbar einen fast untrennbaren Bund eingegangen, auch wenn man Mercy Thompson zugestehen muß, daß sie sich im Grunde wacker schlägt, ab und an alles mit einem Augenzwinkern abgemildert wird und in diesem Bereich wirklich Schlimmeres existiert.

Mit dem aus Ich-Perspektive erzählenden Hauptcharakter steigt man schnell in eine Handlung ein, in der die örtlichen Werwölfe – nicht eben Mercys beste Freunde – von einer Verschwörung bedroht werden, in die sie mitten hineinschlittert. Witzige Episoden und Charaktere, vom VW-Bus-fahrenden Vampir bis hin zum Werwolf-Anführer, der keiner Katze ein Haar krümmen kann, sorgen für gute, spannende Unterhaltung, die man locker weglesen kann. Allzu viele Gedanken sollte man dem Plot allerdings nicht widmen, sonst fällt er in sich zusammen wie ein Kartenhaus, vor allem beim konstruiert wirkenden und flott abgehandelten Ende wird deutlich, wie dünn die Handlung war. Die letzte Szene schrammt knapp an einem hochromantischen Ausgang vorbei und mündet stattdessen in das vergnügliche Hickhack zwischen den Charakteren, das im gesamten Roman präsent war.

Mercy als lockere Erzählerin tut ein übriges dafür, daß der Humor nicht zu kurz kommt, allerdings wirkt der Ich-Erzähler gerade anfangs stellenweise plump, wenn allzu offensichtlich Dinge erklärt und Informationen eingestreut werden, die, wenn schon auf diese Art, vielleicht immer noch charmanter mit einer direkten Ansprache des Lesers untergebracht worden wären, statt sie ihm in Monologen der Hauptfigur unterzuschieben, die die Handlung bremsen und wie Fremdkörper wirken. Nachdem man die ersten Erklärungen, die gleichsam Einführung in Mercys Welt sind, hinter sich gelassen hat, steht dem Spaß an der Lektüre allerdings nicht mehr viel im Wege, wenn man sie als das nimmt, was sie ist: Seichte Unterhaltung ohne große Hintergründe – jedoch vergnüglich und solide umgesetzt, und somit eine ideale Entspannungslektüre für alle, die nicht gleich in den wirklichen Untiefen der Urban Fantasy und Romantasy nach Lesefutter angeln wollen, sondern eine größtenteils bodenständige Heldin und Geschichte bevorzugen.

Die deutsche Ausgabe von Moon Called wartet allerdings noch mit einem großen Mangel auf: Einer phänomenalen Dichte an Fehlern – vom Tippfehler über verdrehte Namen bis hin zu nicht zu Ende geführten Sätzen, in einer Frequenz, die das Lesevergnügen durchaus beeinträchtigt.

The Runes of Elfland von Ari Berk und Brian FroudThe Runes of Elfland ist eine Entdeckungsreise in die Welt keltischer/nordischer Runen, ihre Bedeutung und ihren Ursprung. Das Buch bietet einen erzählerischen und künstlerischen Einblick in die alte Welt, mit Texten von Autor Ari Berk und Illustrationen des bekannten Künstlers Brian Froud.

– How to begin? Not hard to answer. Choose a rune, chant the charm, tell the tale, and step across. –
How to begin, Seite 15

Heutzutage bestimmen Klatschnachrichten den Großteil unserer Unterhaltungen. In einer Zeit, in der es weder Boulevardpresse noch Fernsehen gab, erzählten sich die Menschen Geschichten. Geschichten, die sie über Generationen hinweg von den Alten an die Kleinsten weiter gaben. Mit der Zeit gerieten diese Erzählungen immer mehr in Vergessenheit, bis sie schließlich nur noch in vereinzelten Büchern auftauchten und aus dem Alttag der Menschen verschwanden. Vorbei sind die Zeiten von Gedichten, Fabeln und Limericks.
The Runes of Elfland greift einen Bereich dieser alten Erzählkunst auf und befasst sich mit einem Aspekt von vielen, dem Hintergrund von Runen. Das Buch startet mit verschiedenen kurzen Texten über Runen im Allgemeinen, verfasst vom englischen Literaturwissenschaftler Ari Berk.

Anders, als man es sonst gewohnt ist, sind die Runen nicht alphabetisch nach ihrem Namen sortiert, sondern nach ihrer Bedeutung. So beginnt der eigentliche Inhalt mit Berkanaz – der Rune, die stellvertretend für den Neubeginn steht. Wenn man die Runen jedoch nicht nur als Buchstaben betrachtet, stört dieser Umstand nur wenig.
Jedes der 24 Symbole wird auf den folgenden Seiten in The Runes of Elfland mit einer ganzseitigen farbigen Illustration einzeln vorgestellt, begleitet von einem einleitenden Text zur Charakterisierung der Rune und einem kleinen Zauberspruch zu Beginn, gefolgt von einer Erzählung, die auf alten Sagen und Überlieferungen fußt. Einige der erzählten Geschichten werden vielen Lesern zumindest entfernt bekannt vorkommen, andere dagegen sind bis heute so selten von modernen Medien aufgegriffen worden, dass sie beinahe völlig unbekannt geblieben sind.
Insgesamt widmet das Buch jeder Rune vier Seiten. Brian Froud streut dabei auf allen Seiten charmante Hintergrundillustrationen von Elfen oder Goblins ein, die den Text optisch noch ein wenig aufwerten.

Frouds Pinselduktus ist in diesem Buchband weniger fein, als man es vielleicht aus anderen Büchern von ihm kennt. Die Figuren sind etwas schrulliger, die Farben etwas intensiver und alles wirkt insgesamt kantiger und grober. Angesichts der Thematik passt das jedoch auf harmonische Weise sehr gut zusammen.

Wer des Runenalphabets nicht mächtig ist und noch Hilfe bei der Entzifferung benötigt, dem wird auf den letzten Seiten geholfen. Dort findet sich das Runenalphabet samt seiner lateinischen Entsprechung. Da verschiedene Überschriften und Beschriftungen in den Bildern in Runen gehalten sind, empfiehlt es sich daher auch, dem Runenalphabet gleich zu Beginn ein wenig Aufmerksamkeit zu widmen.

Kleiner Abzug: Wer gerne die Namen der einzelnen Runen erfahren hätte, wird in diesem Buch leider nicht fündig. Angesichts der sonst großen Fülle an Informationen, wäre es schön gewesen, auch für dieses nicht unwichtige Detail, einen kleinen Platz zu finden.

Die Schamanenbrücke von Robin HobbNevare Burvelle ist der zweite Sohn einer jungen Adelsfamilie aus dem Osten des Königreiches Gernia. Damit ist er durch die göttlichen Weisungen als späterer Soldat vorherbestimmt, genauso wie sein älterer Bruder das Erbe seines Vaters übernehmen wird und sein jüngerer Bruder eine Ausbildung zum Priester macht. Schon früh in seinem Leben beginnt Nevare die Grundlagen des Soldatenlebens zu lernen, nach seinem 18. Geburtstag macht er sich auf den Weg zur Militärakademie. Doch schon bald wird er in den politischen Konflikt zwischen den alten Herrschaftsfamilien und den neuen Adelshäusern des Ostens hineingezogen, und seine persönliche Zukunft ist in Gefahr.

– Ich erinnere mich noch gut an das erste Mal, als ich die Magie der Flachländer sah. –
1. Magie und Eisen

Zu Die Schamanenbrücke liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der Schatten der Scheuermagd von Lord DunsanyDer junge Ramon Alonzo wird von seinem Vater, dem verarmten Lord of the Tower and Rocky Forest, zum Haus eines Magiers tief im Wald geschickt, um dort die Kunst des Goldmachens zu erlernen. Dort als Lehrling aufgenommen, erfährt Ramon Alonzo gleich am ersten Abend die Geschichte der alten Scheuermagd: einst gab sie dem schwarzen Magier ihren Schatten im Tausch für ein ewiges Leben, aber seitdem ist sie an dessen Haus gebunden. Ramon Alonzo schwört sich, ihren Schatten zu retten und sie zu erlösen. Doch der Magier verlangt auch von Ramon Alonzo eine Bezahlung für das erteilte Wissen.

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Cover von Schatten über Ombria von Patricia A. McKillipNach dem Tod des Fürsten von Ombria setzt sich die machthungrige, alte Hexe Domina Perle als Regentin für den kleinen Thronerben Kyel ein und reißt die Macht über die Stadt an sich. Um den Jungen zu kontrollieren, verjagt sie außerdem alle Menschen, denen wirklich etwas an ihm liegt. Nur Kyels erwachsener Cousin bleibt, doch der scheint ausschließlich mit seinen Kohlezeichnungen beschäftigt zu sein. Dabei entwickelt er eine besondere Faszination für Schatten und zeichnet immer wieder vom Licht vergessene Türen, Fenster und Durchgänge, die alle in die Schattenwelt Ombrias führen. Und auch in dieser Welt leben Wesen, die sich um die Zukunft des kleinen Prinzen und der Stadt sorgen.

-Während der Herrscher der uralten Stadt Ombria im Sterben lag, glitt seine Geliebte, verscheucht vom eisigen Blick der Domina Perle, wie ein Vogel auf einer Welle aus dem Raum, durch Kyel Greves unbewachte Tür, bis sie an sein Bett stieß, wo er mit seinen Puppen spielte.-
Eins- Rose und Dorn

Einfach zu lesen sind Patricia McKillips Geschichten nicht.
Ihre Sprache ist mehr Poesie denn simple Prosa und wie man bei Gedichten mehrmals hinschauen muß, um hinter die Worte zu sehen, so auch bei Patricia McKillips Romanen: Für ihre Bücher sollte man sich Zeit nehmen – man sollte die Worte und Sätze, die heraufbeschworenen Bilder in sich wirken lassen. Ich betone das absichtlich gleich zu Anfang, weil oftmals vor Beginn einer Lektüre das Lesen des Klappentextes steht, aber dieser ist schlicht mißlungen.
Da werden Tatsachen verdreht und es werden Figuren falsch dargestellt. Kaum ein Satz dieser kurzen Inhaltsangabe gibt den sehr poetischen Roman richtig wieder, so daß man sich die Frage stellen muß, ob das Buch vorher vom Verfasser aufmerksam gelesen wurde.

In Schatten über Ombria (Ombria in Shadow) geht es vor allem um Politik – um die häßliche Seite der Politik, die sich wohl überall im Verborgenen und Geheimen abspielt. Hier ist dafür von der Autorin ein recht greifbares Bild geschaffen worden: in Gestalt des Palastes, der sich hoch über der Stadt erhebt.
Es ist ein Gebäude, in das ein zweites hineingebaut wurde: Auf der einen Seite der offen zugängliche Palast, in dem sich das Leben abspielt, welches nach außen gezeigt werden soll. Hier gibt es weite Flure, helle und gepflegte Räume mit großen Fenstern, die auf den Garten oder das Meer blicken. Hier finden offizielle Ratssitzungen, aber auch rauschende Feste statt. Die Autorin versinnbildlicht hier, mit diesem schönen und sichtbaren Teil des Palastes, gleichsam die “Tag- oder Lichtseite” dieser Welt. Auf der anderen der verborgene Palast, dessen Zugänge nur wenigen bekannt sind. Dieser “unsichtbare” Palast, in den das Tageslicht niemals dringt und der nur über versteckte Türen zugänglich ist, stellt gleichsam die “Nacht- oder Schattenseite” dar. Auch die Stadt selbst ist in eine Tag- und Nachtseite, in eine Licht- und Schattenwelt geteilt, die Patricia McKillip mit fein gezeichneter Poesie wunderschön heraufzubeschwören versteht.

Die Geschichte beinhaltet nur einen Handlungsstrang, der sich im Palast, in den Straßen der Stadt bzw. darunter abspielt. Das umliegende Land wird ein ums andere Mal kurz erwähnt, aber die Handlung führt niemals dorthin. Der Roman ist in überschaubare Kapitel eingeteilt, in denen meist jeweils eine der Hauptfiguren im Vordergrund der Ereignisse steht. Die drei wichtigsten, Lydea, Ducon und Mag, begleitet man auf ihren Wegen durch Palast, Stadt und Geschichte. Man begegnet mit ihnen zusammen interessanten, bedrohlichen, gefährlichen und wichtigen Gestalten, die alle mehr oder weniger ihren Teil zum seltsamen Ende der Geschichte beitragen.
Es ist an einem selbst, die Rollen der Figuren zu interpretieren und an die “richtige” Stelle zu rücken. Jeder wird in dieser poetischen Geschichte etwas anderes lesen und jeder Leser wird seine Sichtweise dazu haben, denn es fällt schwer, sich mit einem oder mehreren der Protagonisten zu identifizieren. Einerseits liegt das an der Erzählweise der Autorin: man liest die Geschichte, als würde man einen Film oder ein Theaterstück ansehen. Man ist gewissermaßen nur Zuschauer und betrachtet alles von außen. Zweitens sind einige der Charaktere mit Fähigkeiten und physischen Eigenheiten ausgestattet, die es einem schwermachen, sich die betreffende Person bildlich vorzustellen und last but not least sind einige Vorgänge in der Erzählung einfach schwierig zu (be)greifen.
Licht und Schatten, Tag und Nacht werden als Metapher für zwei Welten gebraucht, die nebeneinander bzw. ineinander existieren, die sich gegenseitig im Gleichgewicht halten, sich aber niemals überschneiden dürfen. Beide Welten durchdringen sich gegenseitig mit Macht und Magie – sie sind davon durchwoben.

Es lohnt sich, Schatten über Ombria mehrmals zu lesen, denn erst dann werden die Poesie und der Sinn hinter den Worten der Geschichte deutlicher. Wenn man manche Konsequenzen im Handlungsverlauf erst einmal nicht verstanden hat, weil man beim ersten Lesen vielleicht ein wichtiges Detail überlesen hat, wird einem das beim zweiten oder dritten Mal eventuell klarer. Dennoch muß man sich die Erklärung für manche Dinge und Ereignisse aus zahlreichen Andeutungen und Anspielungen selbst zusammenreimen.
Das mag vielleicht der einzige Wermutstropfen in dieser wunderbaren Geschichte sein …

Die Schlacht um das Labyrinth von Rick RiordanDie Lage spitzt sich zu. Percy, Annabeth, Grover und Tyson bleibt keine große Verschnaufpause, denn ihr Erzfeind Luke hat einen neuen Plan, um das Camp Half-Blood zu vernichten und so den Weg zur Eroberung des Olymp freizumachen. Mit seiner Armee aus Monstern und Halbgöttern plant Luke durch das unterirdische Labyrinth in das Camp einzufallen. Doch unsere Helden scheuen natürlich wieder keine Gefahren, um Freunde und Götter zu verteidigen, stürzen sich mutig in das sagenumwobene Labyrinth des Minotauren und treffen auf Gegner, die stärker sind als alles bisher da gewesene.

– Nichts kann einen perfekten Morgen so abrunden wie eine lange Taxifahrt mit einem wütenden Mädchen. –
Anruf aus der Unterwelt, S. 28

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Die Schule der Rätselmeister Patrica K. McKillipMorgon ist nach dem Tod seines Vaters der Landerbe von Hed und muß sich um die Belange der Bauern dort kümmern. Allerdings ist er auch einer der berühmten Rätselmeister von Caithnard, und er hat schon verschiedenste schwierige Rätsel gelöst, bis auf eines: Ein Mal aus drei Sternen prangt auf seiner Stirn und verheißt ihm ein besonderes Schicksal – doch Morgon will lieber in Hed bleiben und keine Rätsel mehr lösen.
Allerdings hat er aufgrund eines gelösten Rätsels die Köngistochter Rendel für sich gewonnen, und als er in Begleitung des Harfners Thod zu ihr aufbricht, holt ihn sein Schicksal langsam, aber unerbittlich ein – und es scheint nicht nur ihn, sondern das ganze Land zu betreffen.

-Morgon von Hed begegnete dem Harfner des Erhabenen an einem Herbsttag in Tol, als dort, wie alle Jahre um diese Zeit, die Handelschiffe zum Austausch der Güter anlegten.-
1

Eigentlich passiert gar nicht viel in diesem relativ kurzen Bändchen – Morgon wird immer wieder mit dem Schicksal, das ihm die drei Sterne verheißen, konfrontiert, kehrt ihm den Rücken, wird davon eingeholt oder von anderen auf den Pfad zur Lösung dieses Rätsels gelockt, nur um sich wenig später abermals zur Umkehr zu entschließen. Auf lange Sicht kann er seinem Schicksal nicht entkommen, und da die ganze Welt davon betroffen scheint, stellt das Buch nicht bloß die Frage nach Vorsehung und Eigenbestimmung des Lebens, sondern auch die, ob eine solche Eigenbestimmung noch möglich ist, wenn andere dadurch beeinträchtigt werden.

Interessant ist vor allem die Art, wie die Geschichte erzählt wird. Sie läßt sich langsam und ruhig an, und ist mit der wunderschönen, aber niemals überladenen Bildersprache der Autorin eher auf der märchenhaft-romantischen Seite der Fantasy angesiedelt, obwohl sich durchaus eine Handlung von epischer Breite anbahnt. Uralte Harfen und Schwerter, die Magie der Musik und des Gestaltwandels verleihen der Welt eine ganz eigene Atmosphäre, die einem dennoch vertraut vorkommt – der Rückgriff auf keltische Mythologie ist unübersehbar und bestimmt das Setting des Romans maßgeblich mit. Der Zauber, der dadurch über der Welt liegt, erinnert ein wenig an Tolkien, und tatsächlich ist die Erdzauber-Trilogie auch eines der älteren Fantasy-Werke, dem man deutlich das Streben nach einer Erdung in einem eigenen mythologischen Entwurf statt der bloßen Nachahmung eines erfolgreichen Konzepts anmerkt. Was allerdings vielen anderen Romanen aus den 70ern verwehrt geblieben ist – nämlich heute noch genauso gut lesbar zu sein – schafft McKillip mit ihren wahrhaft zeitlosen Motiven mit Leichtigkeit.

Zentrales Thema des Buches ist das Lösen von Rätseln: Fast jede der Figuren, denen Morgon begegnet, hat ein Geschenk für ihn und führt ihn mit einem neuen Rätsel weiter auf dem Weg zu seinem Schicksal. Der junge Held bleibt während alldem etwas passiv und läßt sich treiben, wirklich große Geschehnisse dürfen erst für die Fortsetzung erwartet werden; aber vor allem die sprachliche Qualität des Buches unterscheidet es von anderen Entwicklungsgeschichten – dafür lohnt es sich, sich die Zeit zu nehmen, die die Gerschichte mit ihrem zögerlichen Helden braucht. Nur die Eigennamen lassen ein wenig zu wünschen übrig – viele davon sind nur einsilbig und einander recht ähnlich; das sorgt nicht nur für Verwirrung, sondern fällt bei der sonst so phantasievollen Welt als eher unschönes Detail auf.

The Sea of Monsters von Rick RiordanEin Jahr ist vergangen, seit Percy Jackson das letzte Mal im Camp Half-Blood war, und nur noch ein einziger Tag trennt ihn davon, ein ganzes Jahr lang nicht von einer Schule geflogen zu sein. Doch selbstverständlich kommt die Freude zu früh und die Monster zerlegen pünktlich zum letzten Schultag mit Feuerbällen die Turnhalle und lassen Percy zusammen mit dem Straßenjungen Tyson zum Camp Half-Blood flüchten. Dort angelangt offenbart sich Percy nicht nur das Sterben von Thalias Baum und ein nunmehr ungeschütztes Camp, sondern auch ein Ersatz für Chiron und ein Halbbruder …

– Last day of school. My mom was right, I should have been excited. For the first time in my life, I’d almost made it an entire year without getting expelled. No weird accidents. No fights in the classroom. No teachers turning into monsters and trying to kill me with poisoned cafeteria food or exploding homework. Tomorrow, I’d be on my way to my favorite place in the world – Camp Half-Blood.
Only one more day to go. Surely even I couldn’t mess that up.
As usual, I didn’t have a clue how wrong I was. –
My best friend shops for a wedding dress, S. 4

Percy Jackson meldet sich nach einem Jahr in der realen Welt wieder zurück und bringt im zweiten Band, The Sea of Monsters (Im Bann des Zyklopen), noch mehr Humor, größere Monster, überraschende Wendungen und eine Jagd nach dem goldenen Vlies mit. Mit dabei sind natürlich auch alte wie neue Freunde und Feinde. Manch einer der Neuen sorgt dabei für mächtig Erstaunen.

The Sea of Monsters lässt auch wirklich kein Auge trocken. Aus jedem Satz sprüht einem der Humor des Autors entgegen, zusammen mit ein paar abenteuerlichen Erklärungen z.B. dafür, weshalb Franchiseketten sich so schnell verbreiten, was die wahre Gefahr eines Muffins ist oder wie man aus Männern Meerschweinchen macht. Die Sagen des alten Griechentums werden dabei, besser als im Vorgänger, mit modernen Legenden verwoben und verlangen dem Leser viele Lachfalten ab. Wie schon in The Lightning Thief (Diebe im Olymp) kommt aber auch der Ernst nicht zu kurz, und so muss sich Percy der Tatsache stellen, dass sein Vater Poseidon nicht nur Percys Mutter schöne Augen gemacht hat, als unerwartet ein Halbbruder von sehr spezieller Natur auftaucht. Obwohl er seinen Halbbruder mag, fühlt sich Percy plötzlich gewöhnlich und von seinem Vater hintergangen, ist eifersüchtig, enttäuscht und einmal mehr im Zwiespalt, was seine Gefühle für Vater und nun auch Bruder angeht.

Die Charakterzeichnung funktioniert wie schon im letzten Band sehr gut, und wer den nörgelnden Campleiter Mr. D. (alias Gott Dionysus) schon mochte, der wird den neuen Trainingsleiter, Tantalus (dt. auch Tantalos), lieben. Ihm verdanken wir allerlei absurd komische Szenen, in denen das Abendessen auf bestmögliche Weise die Flucht ergreift und einen Marshmallow gar kurzerhand in den Selbstmord treibt. Tantalus, der eigentlich auf dem Asphodeliengrund des Tartaros sitzen müsste, hat überhaupt kein Herz für irgendjemanden außer für sich selbst und sollte dadurch zur Hassfigur des Lesers mutieren – könnte man meinen, ist aber nicht so. Tatsächlich stellt er eine der unterhaltsamsten Figuren dieses Romans dar und wird durch die immer gegenwärtige Art seiner Strafe und seiner Versuche, etwas Ess- oder Trinkbares zu erreichen, zum Running Gag.

Mit Aufbruch zur eigentlichen Quest beginnt das Buch dann leider etwas zu schwächeln. Das liegt einerseits an dem abnehmenden Humor angesichts des Ernstes der Lage und andererseits an der Art, wie Rick Riordan diese Questen angeht. Statt etwas Neues aus den alten Sagenfiguren zu machen, spielen die Halbgötter und Monster sehr oft, auf stark vereinfachte Weise, nur das nach, was bereits schon einmal geschehen ist. Wenig glaubwürdig ist es dadurch, dass die einst von Herkules, Perseus, Odysseus und Co. getöteten Monster laut Riordan freilich nicht wirklich sterben, sondern nach einer Weile wieder re-materialisieren. Da stellt sich nicht nur einmal die Frage, weshalb sie dann auf dieselben Tricks hereinfallen, denen sie schon einmal erlegen sind. Derart lernunfähig kann eigentlich auch das dümmste Monster nicht sein. Wem übrigens häufiger mal der Sinn verloren geht oder wer den Ereignissen nicht ganz folgen kann, der sollte sich anhand der Namen ein bisschen mehr zur griechischen Mythologie durchlesen. Dadurch gewinnt man als Leser jene Erklärungen und Beweggründe, die Riordan hier oft auslässt oder nur am Rande streift.
Diese erzählerische Schwäche gutmütig außenvorgelassen, bietet The Sea of Monsters aber ein noch gelungeneres Leseerlebnis, als es The Lightning Thief zu tun vermochte, und weckt Appetit auf mehr. Die Geheimnisse werden langsam größer und ihre Auswirkungen bergen Gefahren, die auf spannende Ereignisse hoffen lassen.

Verfilmung:
Eine Verfilmung von The Sea of Monsters ist derzeit in Arbeit und wird von den bekannten Hauptdarstellern begleitet. Das Erscheinen ist in den USA für März 2013 geplant.

Seaserpents! von Jack Dann und Gardner DozoisSeaserpents! gehört zu einer von Jack Dann und Gardner Dozois herausgegebenen Reihe von Anthologien, die jeweils ein bestimmtes phantastisches Thema oder Motiv behandeln. Sie enthält zehn Geschichten über Seeungeheuer. Alle Geschichten sind vorab schon an anderer Stelle erschienen und werden von einem kurzen Text über den Autor bzw. die Autorin eingeleitet. Eine Liste mit weiterführender Literatur zum Thema schließt die Anthologie ab.

-The moonlight was muted and scattered by the mist above the loch. A chill breeze stirred the white tendrils to a sliding, skating motion upon the water’s surface.-
The Horses of Lir

Wäre ich ein Seeungeheuer, ich würde mich beschweren, dass Nessie mir so schamlos die Show stiehlt. In Seaserpents! ist Loch Ness viel präsenter als das Meer und liefert – direkt oder indirekt – u.a. das Material für die ersten beiden Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf den plumpen Machismo von L. Sprague de Camp in Algy, der Geschichte über ein mutmaßliches Ungeheuer im Lake Algonquin, dem eine (natürlich) schottische Gruppe von Abenteurer nachspürt, die sich dabei überaus männlich gibt und der ortsansässigen Damenwelt nachstellt, folgt mit Lillian Stewart Carls Out of the Darkness eine gefühlsbetonte Geschichte, bei der die Monsterjagd (diesmal direkt am Loch Ness) nur eine Nebenhandlung zu einer Beziehungskrise ist, in der wissenschaftliche und künstlerische Weltsicht aufeinanderprallen. Bei beiden Geschichten ist das Unvermögen zentral, die Existenz des Monsters zu beweisen, aber richtig in Fahrt kommt Seaserpents! mit keiner davon. Das gelingt erst ganz zaghaft mit Leviathan von Larry Niven, der seinen (auch in anderen Geschichten von ähnlichen Aufträgen geplagten) Helden Svetz aus einer fernen Zukunft in die Vergangenheit schickt, um dort Exemplare inzwischen ausgestorbener Spezies einzufangen, in diesem Fall einen Wal. Leider hat die zuständige Behörde eine fatale Tendenz zur Fehlinterpretation der überlieferten Daten – oder läuft etwas ganz anderes schief?

Ein erstes Highlight ist The Horses of Lir von Roger Zelazny, das zeigt, wie Wunderbares (und Schreckliches) im Verborgenen bis in die Gegenwart überdauert haben könnte und was es bedeutet, damit in Berührung zu kommen. Der Schauplatz der Geschichte ist abermals ein schottischer Loch, doch diesmal ist die Atmosphäre einmalig und Zelaznys eleganter Stil macht The Horses of Lir sehr lesenswert.
Mit Gordon R. Dicksons The Mortal and the Monster geht es grandios weiter, auch wenn der Titel, unter dem der Kurzroman ursprünglich veröffentlicht wurde, nämlich The Monster and the Maiden, treffender gewesen wäre – wozu man wissen muss, dass besagte Maid gerne Lachs frisst und ziemlich groß ist. Wir befinden uns wieder einmal am Loch Ness, immerhin sorgt in dieser Geschichte ganz Dickson-typisch ein Perspektivwechsel für Spannung: Man erfährt die Geschichte aus der Sicht des Seeungeheuers. Es ist ein trauriges, aus der Zeit gefallenes Monster, das gleichzeitig jugendlich sprühend wirkt, während sich beim Leser oder der Leserin Melancholie breitmacht, da man die Welt zu gut kennt, durch die die Protagonistin schwimmt. Die Geschichte enthält auch eine bezaubernde Darstellung eines Kommunikationsversuchs zwischen zwei intelligenten Spezies, die in völlig unterschiedlichen Bedingungen leben, und ist rundum gelungen.

In John Colliers Club Story Man Overboard darf man dann endlich Seeluft schnuppern und den gewitzten Ich-Erzähler auf eine Luxus-Yacht begleiten, die nur einem Zweck dient – dem Aufspüren eines Seeungeheuers. Die Geschichte ist klassisches Kurzgeschichten-Material, was man auch von Manly Wade Wellmans The Dakwa behaupten könnte, das allerdings wegen der Nutzung von amerikanischem Sagenstoff und einem schönen Ambiente die Nase weit vorn hat. Hier gelingt auch mühelos, was in der Eröffnungsgeschichte von de Camp gescheitert ist: Männliche Helden tun männliche Dinge … wenn sie nicht gerade im Bademantel herumlaufen, weil sie ein unfreiwilliges Bad mit dem Dakwa, einem ziemlich unheimlichen und bizarren Wassermonster, genommen haben. Wellman beschwört dabei ein phantastisches Nordamerika herauf, in dem man abends in einer einsamen Hütte das Banjo auspackt und hofft, dass die Wesen der Nacht draußen bleiben.
Eine weitere solide Club Story ist The Kings of the Sea von Sterling E. Lanier, in der Brigadier Ffellowes von einem Abenteuer während eines Urlaubs in Skandinavien berichtet. Sie kann mit einem starken Ende und einer bedrohlichen Atmosphäre punkten, während an der Oberfläche eigentlich nur sehr wenig passiert.

Grumblefritz von Marvin Kaye bringt mit nur vier Seiten in Form einer Zeitungsannonce das Format der Kurzgeschichte an seine Grenzen. Das Plädoyer für ein bedrängtes Seeungeheuer von New York ist eine spielerische Satire mit einem wunderbaren Konzept.
Die abschließende Geschichte, The Devil of Malkirk, ist die beste von Charles Sheffields Doctor-Darwin-Geschichten und wirft einige schottische Mythen in den Topf. Die Verortung am Loch Ness und in der Zeit von Erasmus Darwin wirkt aufgrund der sorgfältigen Recherche sehr lebendig. Außerdem gebührt der Geschichte, die zu den besseren dieser etwas durchwachsenen, aber mit sehr starken Höhepunkten ausgestatteten Anthologie gehört, immerhin der Ruhm, den Schlachtruf aller Kryptozoologen einzuführen: »What in the name of Linnaeus is this?«

Cover von The Books of the South von Glen CookNach dem Fall des Dominators macht sich die Black Company auf den Weg nach Süden und damit zu einer Reise in die eigene Vergangenheit – nach Khatovar. Dabei finden sich nicht nur neue Rekruten für die geschrumpfte Truppe, sondern auch neue Herausforderungen. Denn als die Gruppe die Stadt Taglios erreicht, sieht sie sich erneut dunklen Mächten gegenüber, die ihren Weg blockieren. Im Auftrag der Stadt Taglios, mit der die Black Company scheinbar mehr verbindet als ein Vertrag, muss Croaker nun seine Rolle als Hauptmann tatsächlich voll ausfüllen.

-I, of course, replied with the golden tongue of a horse seller >Uh…Uh…But…< . Like that. Master of the glib and facile remark.- S. 26

Shadow Games ist der Auftaktband für die Books of the South und schließt direkt an den Abschluss der Trilogie Books of the North an. Daher sei Neulingen der Reihe angeraten, sich zuerst die Vorgängerromane anzuschauen, auch wenn in dieser Rezension Spoiler so gut wie möglich vermieden werden, ist es kaum möglich, die Ereignisse aus den Vorgängern vollkommen auszuschließen.

Shadow Games bietet vieles, was man bereits aus den Books of the North kennt, und das ist sowohl Stärke als auch Schwäche des vorliegenden Bandes. Croaker ist immer noch derselbe unterhaltsam-hemdsärmelige Erzähler, nicht zuletzt wegen seiner Selbstironie, die selbst das finsterste Setting noch aufhellt. Das ist also die altbekannte Stärke der Serie.

Die Reise von den nördlichen Gebieten des Imperiums der Lady über die See der Qualen bis tief in den Süden des anderen Kontinents liest sich zwar durchaus flüssig, die durchwanderten Regionen werden jedoch nur andeutungsweise geschildert und stecken voller Exotismen, von runzeligen, kleinen Stammesleuten im Dschungel bis hin zu hochgewachsenen dunkelhäutigen Kriegern mit fellbespannten Schilden. Selbst die Stadt Taglios bleibt noch etwas farblos, denn außer der Zersplitterung in zahllose Kulte und der Aversion gegen dieselben und deren Priester, der sämtliche Haupt- und Nebenfiguren mehr oder weniger freien Lauf lassen, erfährt man relativ wenig über die leicht indisch angehauchte Metropole.
Auch tut es dem Roman nicht unbedingt gut, dass sich für die neue Trilogie wieder dasselbe Szenario zu ergeben scheint, wie es schon in den Books of the North der Fall war. Tatsächlich werden im Verlauf der Handlung außerdem Fässer erneut aufgemacht, die man mit der Vorgängertrilogie für längst ver- und abgeschlossen hielt. So gelungen und spannend das Setting der ersten Trilogie war, ein bloßer Aufguss desselben wäre etwas zu viel Altbekanntes.

An sich böte die lange Reise bis Taglios, die doch einen bedeutenden Teil des Buches ausmacht, auch eine gute Gelegenheit, neue Figuren einzuführen oder alte näher kennenzulernen. Es bleiben jedoch sowohl die neuen Personen, die sich zur Black Company gesellen, als auch die bekannten Söldner, abgesehen vielleicht von Croaker und ansatzweise der Lady, (weiterhin) kaum mehr als grob skizzierte Nebenfiguren, die mehr oder weniger dieselben Rollen wie ausfüllen, die sie seit dem ersten Band innehaben.
Der Liebesbeziehung zwischen Croaker und der Lady, die nun (endlich) realisiert werden könnte, wird immerhin viel Platz eingeräumt. Allerdings führt dies dazu, dass sich die beiden in der ersten Hälfte des Buches plötzlich mehr wie pubertierende Jugendliche aufführen, denn wie Erwachsene. Gerade bei der Figur der Lady, der mächtigen, uralten ehemaligen Kaiserin eines enormen Reiches, wirkt dies sehr gekünstelt und zeigt einmal mehr, dass gute Liebesgeschichten nicht einfach zu schreiben sind.

In der zweiten Hälfte kann Cook dann wieder seine Stärken ausspielen, als die Kampagne Croaker in Beschlag nimmt und die Lady sich wieder in die selbstbewusste, starke Frauenfigur verwandeln darf, als die man sie kennt. Auch die Andeutungen bezüglich der Vergangenheit, welche die Black Company mit Taglios verbindet, politische Intrigen und allerhand militärisches Taktieren sorgen dafür, dass der Roman deutlich an Spannung hinzugewinnt, und er endet sogar mit einem Paukenschlag, der trotz aller Kritik dazu führt, dass man wissen will, wie es weitergeht.

Dass Cooks Stärken nicht unbedingt in tiefgründiger Figurenzeichnung liegen, wissen Anhänger der Reihe wohl seit den ersten drei Bänden, aber er hat mit Croaker eine Erzählerfigur geschaffen, die einen immer noch über so manche Schwäche gerne hinwegsehen lässt, davon profitiert auch Shadow Games. So liefert Cook mit Shadow Games erneut einen flüssig zu lesenden und unterhaltsamen Roman, der vor allem in der zweiten Hälfte sehr spannend ist, ob er jedoch aus den Books of the South mehr als eine Variation der Books of the North machen kann und aus dem Setting mehr herauszuholen vermag, muss sich erst erweisen.
Der Roman ist zuletzt gemeinsam mit dem Folgeband Dreams of Steel und dem spin-off The Silver Spike in dem Sammelband The Books of the South (ISBN: 978-0-7653-2066-7) veröffentlicht worden.

Shaman's Crossing von Robin HobbNevare Burvelle ist der zweite Sohn einer jungen Adelsfamilie aus dem Osten des Königreiches Gernia. Damit ist er durch die göttlichen Weisungen als späterer Soldat vorherbestimmt, genauso wie sein älterer Bruder das Erbe seines Vaters übernehmen wird und sein jüngerer Bruder eine Ausbildung zum Priester macht. Schon früh in seinem Leben beginnt Nevare die Grundlagen des Soldatenlebens zu lernen, nach seinem 18. Geburtstag macht er sich auf den Weg zur Militärakademie. Doch schon bald wird er in den politischen Konflikt zwischen den alten Herrschaftsfamilien und den neuen Adelshäusern des Ostens hineingezogen, und seine persönliche Zukunft ist in Gefahr.

-I remember well the first time I saw the magic of the plainspeople.-
One: Magic and Iron

Vorab: Ich bin kein allzu großer Fan der Bücher von Robin Hobb. Die ersten beiden Bände der Farseer-Trilogie waren exzellent, der dritte Band gefiel mir nur noch mäßig. Ähnlich ging es mir mit den Liveship Traders, und die zweite Farseer-Trilogie habe ich bisher nicht angerührt. Shaman’s Crossing erinnert ein wenig an Hobbs ersten Roman, Assassin’s Apprentice. Auch hier verfolgen wir den Werdegang eines Jungen, dessen zukünftiges Leben schon recht bald von “oben” festgelegt wird.
Die ersten 100-140 Seiten des Buches lesen sich noch recht zäh, was auch daran liegt, dass Hobb in kurzer Folge das Leben von Nevare in einzelnen Erlebnissen von seinem achten Lebensjahr bis zu seinem 18. Geburtstag zusammenfasst. Das “richtige” Buch beginnt erst mit Nevares Schiffsreise zur Akademie. Hier bekommen wir dann auch einen etwas besseren und umfassenderen Eindruck von der Welt Gernia, die prinzipiell realistisch angelegt ist, d.h. magische Wesen wird der Leser nur selten zu Gesichte bekommen, und auch die Magie gilt als ein verschollenes Relikt der Vergangenheit. Wie schon bei Martins Das Lied von Eis und Feuer oder Keyes Verlorenen Reichen dreht sich Shaman’s Crossing (Die Schamanenbrücke ) vor allem um zwischenmenschliche und auch politische Konflikte bzw. die Folgen dieser Konflikte für die Mitglieder der Akademie. Auch wer große Actionszenen erwartet, wird enttäuscht werden, denn Hobb verzichtet fast gänzlich auf den Einsatz solcher Spannungsmomente.

Dennoch entwickelt der Roman nach dem eher zögerlichen Beginn immer mehr Spannung, was vor allem durch die Charaktere gefördert wird. Wie bei den meisten Romanen von Hobb ist das Geschehen aus der Ich-Perspektive des Hauptcharakters geschrieben und es ist interessant zu beobachten, wie die einzelnen Charaktere des Buches immer wieder in moralischen Konflikt mit den Regeln der Akademie und auch den Weisungen der Religion geraten. Die Gefangenheit der Charaktere zwischen gesellschaftlichen Normen und politischen Ambitionen ist generell das Thema des Buches. Dabei wird das Ganze durch den geistreichen Stil von Hobb und die Tatsache, dass auch der Humor nicht zu kurz kommt, selten langweilig und bleibt bis zum Ende (das den Band relativ abschließt) unterhaltsam. Am Ende fehlt dem Buch jedoch das letzte Feuer (und vor allem die Komplexität), um es wirklich zu einem der Topromane des Genres werden zu lassen. Dennoch ist es ein schönes Buch für einige Abende, das auch interessante Fragen zum Thema Religion und Tradition aufwirft und damit sicherlich eines der Top-15 Fantasy-Bücher des Jahres 2005 ist.

The Shapechanger's Wife von Sharon ShinnDer junge, äußerst talentierte Magier Aubrey will seine Kenntnisse in der Zauberei vervollständigen und die Kunst des Gestaltwandelns erlernen. Sein Lehrmeister weigert sich allerdings, sie ihm beizubringen und verweist ihn an einen Meister dieser Disziplin.
Aubrey macht sich auf in die einsame Gegend mitten im Wald, die der berühmte Magier Glyrenden bewohnt – und trifft in dessen Haus auf allerlei seltsame Gestalten. Ihn fasziniert vor allem Glyrendens junge Frau, die ihren Mann offensichtlich haßt und dennoch an der Seite des charismatischen Magiers bleibt. Während Glyrenden Aubrey ausbildet, entdeckt dieser nach und nach das dunkle Geheimnis das Magiers.

-Until Aubrey arrived in the village to study with Glyrenden, he had no idea that the great wizard had taken a wife.-
One

Epische Breite, bombastische Action, eine Vielzahl an unterschiedlichen Charakteren und Abenteuern kann The Shapechanger’s Wife (Im Zeichen der Weide) alles nicht bieten – und dennoch ist es ein Kleinod, das es gestattet, sich beim Lesen in eine andere Welt zu träumen. Liebhaber von poetischer, märchenhafter Fantasy liegen mit diesem Buch richtig und werden von der einfachen, kleinen Geschichte nicht enttäuscht werden.
Die sich langsam aufbauende Handlung ist so gut strukturiert, daß man förmlich die finsteren Wolken, die sich allmählich drohend über der anfänglich halbwegs normalen und friedlichen Szenerie zusammenballen, sehen kann. Gewalt und Grausamkeiten finden in diesem Roman hinter verschlossenen Türen statt, treten nur als Ahnungen auf und sind daher umso prägnanter.

Obwohl die Weltschöpfung hier nicht im Vordergrund steht, malt Shinn nach und nach ein schlüssiges und subtiles Bild ihrer Welt und läßt sie vor allem durch die Charaktere leben. Die Konstellation der Hauptfiguren – ein Magier, der selten zu Hause ist, seine frustrierte Frau und sein junger, empfindsamer Schüler – lassen auf eine einfache Liebesgeschichte schließen. Damit liegt man einerseits nicht ganz falsch, andererseits ist von kitschiger Romantik hier nicht einmal ein Echo geblieben. Die Perspektive ist während der ganzen Handlung bei Aubrey, und mit ihm errät der Leser nach und nach die Geheimnisse um Glyrenden und sieht sich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert.

Shinn bedient sich dabei einer schlichten, und doch fast lyrischen Sprache (garniert mit einigen sprechenden Namen) die man mit viel Genuß lesen kann. Auf gut 200 Seiten ist zwar kein riesiges Panorama an Welt und Handlung zu erwarten, aber diese kleine feine Geschichte unterhält hervorragend, gibt einige Denkanstöße und hält außerdem ein sehr liebevoll gestaltetes Ende bereit, so daß sie in der Nachbarschaft der gängigeren mehrbändigen Werke durchaus bestehen und glänzen kann.

Silberlinge von Jim ButcherDas Grabtuch von Turin wurde aus dem Vatikan gestohlen, und Harry soll es finden. Was anfangs nach einer einfachen Aufgabe klingt, wird schnell brenzlig, als Harry es mit Auftragskillern, gefallenen Engeln, einer kopflosen Leiche mit zahllosen Krankheiten und dem Champion des Roten Hofes der Vampire zu tun bekommt. Als wären das noch nicht ausreichend Herausforderungen, taucht auch Susan plötzlich vor Harrys Türe auf und hat einen anderen Mann dabei.

– Manche Dinge passen einfach nicht zusammen, etwa Öl und Wasser, Orangensaft und Zahnpasta.
Das gilt auch für Magier und das Fernsehen. –
Kapitel 1, S. 1

Zu Silberlinge liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Das silberne Einhorn von Max KruseEin König verscherzt es sich mit einer mächtigen Fee, als er es versäumt, sie zum Geburtstagsfest seiner kleinen Tochter einzuladen, und steht fortan unter einem Fluch, der nur gebrochen werden kann, wenn der Fee eines der seltenen – vielleicht gar ausgestorbenen – Einhörner übergeben wird.  Geschieht dies nicht, bleibt der König zu ewiger Traurigkeit verdammt, was sich auch auf sein ganzes Reich äußerst nachteilig auswirkt. Herangewachsen begegnet die Prinzessin wider Erwarten tatsächlich einem silbernen Einhorn und macht sich mit ihm und ihrem Spielkameraden, einem Müllerjungen, zur fernen Insel der Fee auf, um den Bann zu brechen …

Diese Geschichte fängt an wie ein Märchen, das wir alle kennen. Und wie alle Märchen erzählt sie uns etwas über uns, was wir vielleicht noch nicht wissen.
(Die Fee)

Max Kruse dürfte den meisten Lesern wohl vor allem als Kinderbuchautor vertraut sein; seine für Jugendliche und Erwachsene bestimmten Werke (z.B. der historische Roman Hazard der Spielmann) haben nie einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad wie die Klassiker Urmel aus dem Eis oder Der Löwe ist los erreicht. Mit Das silberne Einhorn. Eine Geschichte vom Wünschen richtet Kruse sich abermals an ein erwachsenes Publikum, aber wer mit einem regelrechten Fantasyroman rechnet, wird enttäuscht sein. Die kleine, feine Erzählung ist halb Märchen, halb Parabel und erörtert in scheinbar naiver Form manche Frage des menschlichen Daseins und des Umgangs miteinander.

Als vergleichbares Werk kommt einem noch am ehesten Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz in den Sinn, doch dessen melancholische Grundstimmung fehlt bei Kruse. Er zeichnet eher eine hoffnungsvolle Utopie, die in ihrer Tendenz, selbst lebensbestimmende Konflikte als überwindbar darzustellen, bisweilen fast ein wenig zu optimistisch anmutet. Doch in gewisser Weise ist dieser idealistische Glaube an Lernfähigkeit und Gutwilligkeit des Menschen durchaus subversiv, fühlt man sich doch gerade von dieser Überzeugung zutiefst in eingefahrenen und nicht selten etwas zynischen Denkmustern ertappt. Ist man dann erst einmal zu dem (gerade für den modernen Fantasyleser gewiss nicht immer einfachen) Eingeständnis gelangt, dass eine abgeklärt-pessimistische Weltsicht weder die einzig mögliche noch allein wünschenswerte ist, fällt es leichter, sich auf den Zauber von Kruses Geschichte einzulassen, die nicht zuletzt auch von ihrer poetischen und zugleich einfachen Sprache lebt. Ganz schlichte, aber treffende Wendungen wie “Sie wanderten durch den Sommer”, “Grau wurden die Bäume, grau wurden die Wiesen” oder “Sie waren umgeben von Bläue und Licht” beschwören eine märchenhafte Kulisse für die vordergründig simple Handlung herauf, die ihrerseits den Rahmen für zahllose kleine Einsichten und Erkenntnisse bildet.

Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder die Frage nach Entscheidungsgewalt, Zwang und Freiheit, teilweise auch in Situationen, die unterschwellig schon in anderen Werken Kruses anklingen und womöglich nicht ohne autobiographische Bezüge sind (so spielt z.B., wie in Hazard, ein Sohn, der zunächst die Mitarbeit im Betrieb der Mutter über das Ausleben eigener Träume stellt und sich dann doch unerwartet mit der Welt und der Frage nach seinen eigenen Wünschen konfrontiert sieht, eine zentrale Rolle).

Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch, wie Kruse bekannte literarische Motive adaptiert und seiner eigenen Philosophie gemäß umdeutet. Zu denken ist dabei nicht nur an die leicht dornröschenhafte Ausgangssituation, sondern beispielsweise auch an den Topos der zum Dank für eine Lebensrettung gewährten Wunscherfüllung oder die Fähigkeit des Gestaltwandelns. Auch das titelgebende Einhorn selbst stellt eine interessante Uminterpretation bestimmter Züge des klassischen Fabeltiers dar und ist gleichwohl für ein derart mit Symbolik aufgeladenes Geschöpf erstaunlich niedlich. Dieser Hauch von Individualität, der ein Erstarren der Figuren in der Allegorie verhindert, trägt viel zum Charme der Erzählung bei.

Ihren Reiz für den genreerfahrenen Leser gewinnt sie aber vor allem auch daraus, dass sie einem vor Augen führt, dass sich aus den klassischen Zutaten wie Magie, Fabelwesen und verfluchten Königen auch etwas völlig anderes zusammensetzen lässt als typische Fantasy. Wer auch nur ansatzweise auf diese hofft, sollte sich wohl andere Lektüre suchen, aber wer seinen Spaß an liebenswert verpackten Lebensweisheiten hat und dabei vielleicht auch nicht böse ist, sich einmal in das wohlige Kinderbuchlesegefühl zurückflüchten zu dürfen, dass schon nichts ganz Entsetzliches in der Geschichte geschehen wird, kann die Begegnung mit dem Silbernen Einhorn genießen.

Das Silmarillion von J.R.R. TolkienVon der Schöpfung der Welt, den ersten Kriegen der Valar gegen Melkor und dem Erwachen der Elben und ihrem Schicksal in den westlichen Landen und Mittelerde handelt das Silmarillion in einzelnen, mehr oder weniger abgeschlossenen Erzählungen, die sich zu einer großen, umfassenden Mythologie verbinden lassen.
Der Höhepunkt der Zusammenstellung ist die Geschichte von den Kriegen um die schönsten Edelsteine, die je von Künstlerhand geschaffen wurden: Die Silmaril, mit denen das traurige und verlustreiche Schicksal der Elben in Beleriand verknüpft ist.

-Es heißt unter den Weisen, der erste Krieg habe begonnen, bevor Arda noch ganz erschaffen und ehe noch etwas da war, das wuchs oder ging auf Erden; und lange hatte Melkor die Oberhand.-
I Vom Anbeginn der Tage

Im Silmarillion kann man vieles sehen: Ein Buch mit weiteren Geschichten  aus Tolkiens Welt, inbesondere jenen, die von den Helden des Herrn der Ringe besungen werden. Ein fragmentarisches Werk, nach dem Tod des Autors zusammengestellt und veröffentlicht. Eine Schau von Tolkiens weitläufiger Mythologie, die er für das leidgeplagte Mittelerde oder vielmehr die ganze Welt Arda geschaffen hat, und als halbwegs durchgängige Erzählung, die von der Schöpfungsgeschichte über Zeitalter hinweg die Geschicke der Welt berichtet, am ehesten so etwas wie sein Lebenswerk – das er allerdings niemals zu seiner vollen Zufriedenheit fertig stellte und dessen einzelne Bestandteile in etlichen Versionen vorliegen. Eines ist Das Silmarillion aber nicht: Eine kohärente, kompakte Geschichte, die man wie einen Roman weglesen kann.

Erzählt werden die Mythen der Elben und Menschen vom Anbeginn der Zeit bis hin zur ‘geschichtlichen’ Epoche, die schließlich auch zum Ringkrieg im Hauptwerk des Autors führt. Trotzdem ist Das Silmarillion nur ein Ausschnitt aus Tolkiens umfassender Mythologie.
Schwere Kost also, und auch der Text an sich ist nicht leicht zugänglich. Der Anhang mit  Namensregistern und Stammbäumen zeigt teilweise schon auf, weshalb: Figuren kommen und gehen als Spielbälle des Schicksals, und zu den einzelnen wichtigen Charakteren kann man nur sehr bedingt Bezüge aufbauen. Gerade anfangs sind auch lange Landschaftsbeschreibungen häufig, in denen Ardas Oberfläche dem Leser detailliert vor Augen geführt wird.
Man erfährt die Handlung nicht aus Charaktersicht, sondern aus einer über den Ereignissen stehenden Perspektive im Stil einer Chronik. Generationen vergehen, Kriege werden geführt und das Angesicht der Welt verändert sich. Diese Art des Erzählens ist nicht auf gewohnte Art spannend und auch anders strukturiert, denn erzählt wird die Geschichte einer Welt, in der nur einzelne Stränge abgeschlossen werden, die aber immer im Fluß bleibt.

Wenn man sich aber auf den Stil einläßt, der so gar nicht dem Leitfaden “wie schreibe ich einen Roman” folgt, dann findet man sich in einer Erzählung wieder, die so monumental, archaisch und ausufernd ist, daß man sie eher in eine Reihe mit Homers Epen, Gilgamesch oder der Edda stellen kann, als neben einen anderen Fantasy-Roman. Die für diese Zusammenstellung gewählten Abschnitte ergeben letztendlich ein erstaunlich rundes Bild der Geschichte und sind meistens in sich geschlossen.
Wer mit einer Mischung aus archetypischen Ursprungsgeschichten, Erzählungen von den ersten und den letzten Dingen, monumentalen Schlachten und echtem, nicht aufgesetztem Pathos etwas anfangen kann, sollte einen Versuch mit dem Silmarillion wagen – wer einen ersten Einstieg in die Geschichte Mittelerdes sucht, ist sowieso an der richten Stelle. Es hat auf jeden Fall mehr zu bieten als nur den Herrn der Ringe geschichtlich zu vertiefen, und wie es sich für ein richtiges Epos gehört, klingen etliche Stellen so schön, als seien sie zum lauten Vortragen geschaffen worden.

Sisters Red von Jackson PearceScarlett und Rosie March sind seit dem Angriff eines Fenris-Wolfs in ihrer Kindheit gezeichnet. Ihre Großmutter, die Einzige, die sich je um sie gekümmert hat, wurde bei dem Angriff getötet, während Scarlett bei der Verteidigung ihrer kleinen Schwester schwer verwundet wurde und ihr rechtes Auge verlor. Seit jenem Tag ist sie besessen davon, jeden Fenris-Wolf zu töten. Zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Partner Silas macht sie des Nachts Jagd auf die Monster. Doch dann wird ihre Routine von einem besonderen Ereignis unterbrochen: Die Fenris-Wölfe haben einen Potentiellen gewittert, der zu einem von ihnen gewandelt werden kann. Die drei Jäger setzen alles daran, dies zu verhindern und den Potientellen vor den Wölfen zu finden.

– He’s following me. About time. … I give a fake shiver as a breeze whips through my glossy hair. That’s right … come along, now. Think about how badly you want to devour me. Think of how good my heart will taste. –
Chapter One: Scarlett March

Sisters Red greift lose das Märchen von Rotkäppchen der Brüder Grimm auf (mit einer Prise des Films The Company of Wolfes/Zeit der Wölfe) und verlagert es in eine moderne Zeit. Man darf nun keine direkte Nacherzählung von Rotkäppchen erwarten, denn es wurden nur kleine Details daraus übernommen: eine Großmutter, die in einer abgelegenen Gegend wohnt, Wölfe, die junge Frauen und Mädchen verspeisen und ein – nein, zwei – rote Umhänge. Das sind schon die ganzen Gemeinsamkeiten von Rotkäppchen und Sisters Red. Hier und da tauchen aufgrund der Herkunft der Großmutter noch deutsche Worte und Sätze auf, was man als Indiz auf die Brüder Grimm sehen könnte. Besonders charmant sind viele kleine Details, die einem während des Lesens selbst zunächst vielleicht gar nicht auffallen, mit etwas Abstand dann aber umso deutlicher hervorstechen. Sie sollen an dieser Stelle jedoch nicht verraten werden, denn sie selbst zu entdecken macht diesen Roman sofort vertraut.
Lässt man nun also das Märchen von Rotkäppchen größtenteils hinter sich, erhält man sehr schnell einen recht blutigen, spannenden, actiongeladenen und ernsten Jugendroman, der nicht versucht, das Thema Sexualität möglichst unschuldig zu verkleiden oder gar zu verbergen. Dadurch ist Sisters Red zwar trotzdem noch ein jugendgerechter Roman ohne zu offensichtliche Details, wird dankenswerterweise aber auch für erwachsene Leser nicht zur Nervenprobe.

Die Charaktere kämpfen in Sisters Red nicht nur mit scharfen Waffen wie Messer, Axt und Beil, sondern auch mit ihren Selbstzweifeln und ihrem Wunsch, das Richtige zu tun. Sie sind hin- und hergerissen zwischen dem, was sie sein könnten, und dem, was sie als ihre Pflicht empfinden: ihrer Verantwortung gegenüber den glücklichen Unwissenden. Diese Problemstellung hat die Autorin sehr ansprechend und glaubwürdig umsetzen können. Das zeigt sich auch in den gegensätzlichen Eigenschaften der Protagonisten. Besonders Scarlett wird durch ihre unerschütterliche Zielstrebigkeit und ihren Kampfgeist zu einer starken Figur des Romans, die erwachsener wirkt, als man es bei ihren 18 Jahren unter normalen Umständen erwarten würde. Angesichts der Vergangenheit der beiden jungen Frauen, die sie zu früh mit der Härte des Lebens vertraut gemacht hat, jedoch nicht verwunderlich. Auch die zwei Jahre jüngere Rosie benimmt sich nicht wie ein naiver Teenager, gleichzeitig wirkt sie aber auch noch nicht so erwachsen, dass ihre Figur unrealistisch erscheint. Sie ist gelegentlich leichter abzulenken als ihre Schwester, findet aber mit Hürden immer wieder den Fokus für ihre Aufgabe. Anders als ihre Schwester Scarlett wünscht sich Rosie jedoch mehr von ihrem Leben als nur die Jagd auf Fenris-Wölfe, wodurch die Handlung von Sisters Red vor allem durch die unterschiedlichen Gefühle der Charaktere bestimmt wird. Gefühle gibt es hier ganz große: einmal zwischen Scarlett und Rosie und dann zwischen Rosie und dem Jäger Silas, der dritten Hauptfigur dieses Romans, die wir jedoch nur aus der Sicht von Scarlett und Rosie kennenlernen. Dieser Roman ist zwar keine stereotype Romantikschmonzette, die vor Kitsch nur so trieft, aber wer generell mit Romantik in Büchern nichts anfangen kann, für den ist Sisters Red vielleicht weniger spannend zu lesen. Denn die sich entwickelnde Beziehung zwischen Rosie und Silas spielt von Anfang an mit und wird mit dem Voranschreiten der Handlung zu einem wichtigen Wendepunkt in Rosies Entwicklung.

Sisters Red wird abwechselnd aus der Sicht von Scarlett und Rosie erzählt. Man erhält jedoch nicht dasselbe Ereignis aus zwei Sichtweisen, nein, jede Schwester knüpft auf ihre eigene Weise dort an, wo das vorherige Kapitel endete. Dadurch lernt man die Blickwinkel beider Schwestern kennen, ohne sich mit Wiederholungen aufhalten zu müssen. Rosie mit ihrer liebevollen und etwas unsicheren Art ist da zwar etwas zugänglicher und schafft es, mehr Sympathie zu erzeugen, Scarlett dagegen wirkt durch ihre stark fokussierte Sicht etwas fremd und kühl, punktet aber mit ihrem Ehrgeiz und ihrer Liebe zu Rosie.

Was man zum Schluss als negativen Punkt anführen könnte, ist eine gewisse Vorhersehbarkeit der Handlung. Mit wenig Leseerfahrung im Fantasybereich sind viele Anhaltspunkte vermutlich weniger offensichtlich, als geübter Leser wird man jedoch einige wohl bekannte Fingerzeige sofort erkennen. Trotz dieser Vorahnungen bereitet einem Sisters Red aber eine große Lesefreude. Es besticht dadurch, das bereits Erahnte gerne bestätigt zu sehen, und man freut sich auf den Moment, in dem die Ahnung schließlich zur Tatsache wird.

Soldat des Nebels von Gene WolfeLatro hat in der Schlacht des Großen Königs eine Kopfwunde erhalten und sein Gedächtnis verloren, und damit seine Identität, seine Freunde und sein bisheriges Leben. Als ob das nicht schon genug wäre, vergißt er auch jeden Tag aufs Neue und muß von vorne beginnen. Aus diesem Grund führt er dauernd eine Schriftrolle mit sich, in die er bei jeder Gelegenheit seine Erlebnisse notiert, um sie wieder nachlesen zu können. Bald stellt er fest, daß er als einziger die Götter sehen und mit ihnen sprechen kann – und er findet heraus, daß ihm vielleicht die Erdgöttin helfen kann, seinen Fluch loszuwerden. Er macht sich auf die Reise, erschwert von seinem ständigen Vergessen, findet einige Freunde – und kann sich dennoch nie sicher sein, ob ihn die Götter nicht doch nur benutzen.

-Ich schreibe auf, was gerade geschehen ist. Der Heiler kam in der Morgendämmerung in mein Zelt und fragte mich, ob ich mich an ihn erinnere.-
Kapitel 1: Lies dies jeden Tag

Für seinen Zyklus um den Soldaten Latro hat Gene Wolfe ein wirklich faszinierendes Konzept verwirklicht: Latro hat sein Gedächtnis verloren und vergißt auch das gerade Erlebte täglich wieder. Da man, wie in der Rahmenerzählung eröffnet, die das Folgende als Inhalt uralter antiker Papyrus-Rollen vorstellt, innerhalb des Romans nichts anderes als Latros sporadische Niederschriften seiner Tage liest, die er anfertigt, um seine Erlebnisse nachlesen zu können, wenn er sie wegen seiner Kopfverletzung vergessen hat, taumelt man beinahe genauso nichtsahnend, verwirrt und zusammenhanglos durch die Handlung wie der Protagonist selbst.
Wie Latro muß man sich beim Lesen darauf verlassen, daß die Niederschriften möglichst vollständig sind, daß Latro keinen allzu großen Fehleinschätzungen aufgesessen ist und daß er alles korrekt notiert hat. Kurzum, Latro ist der unzuverlässigste Erzähler, den man sich vorstellen kann – manchmal hat er vor einem neuen Eintrag das bisher Aufgeschriebene nicht lesen können und interpretiert alles falsch oder neu, manchmal gibt es lange Lücken in der Handlung, wenn Latro keine Zeit zum Schreiben hatte.

Wie die Hauptfigur weiß man nicht, welche Persönlichkeit Latro vor dem Gedächtnisverlust war, aber zumindest der “neue” Latro macht einen liebenswerten Eindruck, und durch Wolfes Stil  – ein vermeintlich ganz einfach gehaltenes Erzählen, das die komplexen Hintergründe recht gekonnt verbirgt – werden die einzelnen Einblicke, die in Latros Suche nach sich selbst gewährt werden, zu einem Lesevergnügen: Da gibt es eher komische Einlagen, mit einem tanzenden Gott oder einem turbulenten Hurenhaus, Verstörendes mit düsteren Göttern, durchaus auch actiongeladenere Kampfszenen und vieles mehr. Latros mit dem Gedächtnisverlust einhergehende Fähigkeit, die Götter zu sehen, beschert ihm immer wieder Begegnungen der besonderen Art, und bald interessieren sich auch mächtige Anführer für den einfachen Soldaten.

So geht es auf einer turbulenten Reise mit wenigen konstanten Freunden – die sich Latro tagtäglich neu erklären müssen – und etlichen Brückenfiguren, die immer wieder einmal auftauchen, durch das antike Griechenland. Wenn man aber Latros Odyssee durchschauen möchte, wird es mit einer rudimentären Kenntnis geschichtlicher und mythologischer Hintergründe schwierig, denn die Bezüge zur antiken Mythologie und Geschichte, die in Massen eingestreut sind, sind nicht nur durch Latros Unwissenheit verschleiert, sondern auch, weil  für Orte und Götter übersetzte Namen verwendet werden, wie Latro sie versteht: So wird aus Sparta Seil, aus Athen Gedanken, und auch die Götter tragen bezeichnende Namen. Dieses gar nicht unisono handelnde Pantheon sorgt für zusätzliche Verwirrung.
Man hangelt sich also an Latros unzuverlässigen Tagebucheinträgen entlang durch unbekanntes Terrain – für ein Gefühl der Fremdheit und Andersartigkeit ist somit durchaus gesorgt.

An Auflösungen, Zusammenhängen und fortlaufenden Handlungssträngen fehlt es allerdings gewaltig, Latros Odyssee scheint vielmehr ein Experiment mit der besonderen Ausgangslage und der resultierenden Erzählform zu sein als eine strukturierte Einheit. Jede Szene ist ein Neubeginn, daran ändert sich bis zum Ende des Buches nichts, und auch, wenn man als Leser dem Text einige Zusammenhänge abringen kann, schwimmt man doch mit Latro im Nebel und kann sich zumindest in diesem Band nur auf die wenigsten Geschehnisse einen Reim machen (da die deutsche Ausgabe nicht mehr fortgesetzt wurde, ist das besonders unbefriedigend). Hinter den meisten Fakten stehen noch große Fragezeichen: Hat Latro einen Göttin verletzt und erleidet nun die Strafe? Spielen die Götter nur mit ihm? Ist er ihr Instrument? Wem kann er trauen? Dieser authentisch  vermittelte Gedächtnisverlust ist faszinierend, kostet die Geschichte aber Schwung und läßt sie etwas richtungslos in Mehrdeutigkeiten schwimmen.
Dennoch hat man aber am Ende  das Gefühl, gleich nochmal von vorne beginnen zu wollen, um weitere Schlüsse zu ziehen – durch  die faszinierenden Konzepte und den raffinierten Stil ist das ein durchaus erstrebenswertes Ansinnen.

Son of Avonar von Carol BergSeri ist eine Dame aus einem der großen Adelshäuser von Leire, aber sie führt ein ärmliches und zurückgezogenes Leben in einem kleinen Dorf. Eines Tages findet sie einen nackten jungen Mann in der Wildnis, der nicht sprechen kann. Fast widerwillig kümmert sie sich um ihn, als sie erfährt, daß er gesucht wird – unter anderem von denselben Höflingen, die ihr einst großes Leid antaten. Sie ist vor Jahren für das schrecklichste Verbrechen bestraft worden: das Verstecken eines Zauberers.
Nach und nach erfährt sie mehr über ihren Schützling, seine Talente und seine Feinde – und statt ihn der Obrigkeit zu übergeben, schützt sie erneut einen Zauberer. Doch was es wirklich mit den magisch begabten Menschen auf sich hat, kann sie nicht annähernd erahnen.

-The dawn wind teased at my old red shawl as I scrambled up the last steep pitch of the crescent-shaped headland the villagers called Rif Paltarre – Poachers Ridge.-
Chapter 1

Bei Carol Bergs drittem Fantasy-Szenario hat sich im Vorfeld vor allem eine Frage gestellt: Hat sie es wieder getan? Die Antwort: Und ob! Wieder einmal sind sämtliche Hauptcharaktere zu Beginn der Handlung gebrochen, haben Schlimmes hinter sich und  sind mit dem Leben fertig – bis etwas in ihren Alltag dringt, das ihre Lebensgeister aufs neue weckt. Man erkennt deutlich, daß die Strukturen von Bergs Romanen große Parallelen aufweisen, und es bleibt auch nicht bei der standardisierten Ausgangssituation, die natürlich für die Charakter- und Plotentwicklung ganz andere Möglichkeiten bietet als ein junger Held an der Schwelle zum Erwachsenwerden.
Trotzdem ist Son of Avonar ein eigenständiger und durchaus mitreißender Roman geworden, der sich durch einen cleveren Aufbau in zwei Zeitebenen, die abwechselnd erzählt werden, wie am Schnürchen liest. Eine lebendige Welt und hervorragende Charaktere sind bei Berg garantiert, und was auch in dieser Reihe besonders hervorsticht, ist der extravagante Zugang zur Magie: Die klaren und stimmigen Formen, die sie in Bergs Welt annehmen kann, machen oft mehr her als der übliche “ich kann alles”-Zauberer der Fantasy.

Hauptfigur und Ich-Erzählerin Seri wächst einem schnell ans Herz, beeindruckt durch ihren scharfen Verstand und ihren Humor selbst in mißlichsten Lagen und handelt für den Leser immer nachvollziehbar, selbst wenn sie Fehler macht. In dem Handlungsstrang, der Seris Vergangenheit aufarbeitet (und dessen Ende durch die Gegenwartshandlung dem Leser bereits bekannt ist), steht weniger die Spannung als eine Liebesgeschichte im Vordergrund, deren Kitsch-Faktor sich durch Seris abgeklärte Erzählstimme in Grenzen hält.

Gegen Ende des Romans ist allerdings vieles vorhersehbar (besonders, wenn man schon einmal gelesen hat, welche Wendungen im Plot und den Figuren die Autorin gerne anbringt) – dennoch gelingt die ein oder andere Überraschung; und auch wenn sich manche Charaktere genauso entwickeln, wie man es erwartet hat, bleiben sie durch ihre einprägsame Ausgestaltung interessant. Zum Glück endet das Buch nicht mit einem Cliffhanger, obwohl auf Charakterebene einiges offen bleibt.
Nach wie vor gilt: Carol Berg ist die Autorin für die Kombination aus High Fantasy und tiefgreifender, schlüssiger Charaktergeschichte, allerdings wäre es schön, wenn sie sich mehr als nur Variationen desselben Themas zuwenden würde.

Song of the Beast von Carol BergEinst galt Aidan MacAllister als Günstling der Götter und bester Musiker seiner Zeit, und seine Lieder hatten die Kraft, die Gemüter der Menschen zu verändern. Doch plötzlich verschwand er spurlos – wegen Verrats am König, seinem Vetter, wurde er eingesperrt. Nach 17 Jahren wird er entlassen, aber das Gefängnis hat ihn gebrochen, sein Talent ist verwirkt. Doch sein Lebenswille erwacht langsam wieder, denn er will herausfinden, warum er jahrelang gefoltert und von der Welt ferngehalten wurde. Die Drachen, Kriegsbestien des Königreiches und Säulen seiner Macht, scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen, aber bevor Aidan mehr herausfinden kann, wird er wiederum von den Häschern des Königs verfolgt.

-The light had almost undone me. I had not been prepared for any of it, dead man that I was, but never could I have been ready for the shattering explosion of sunlight after so many years in the dark.-
Chapter 1

Nach der Veröffentlichung von Carol Bergs Rai-Kirah-Trilogie konnte die Autorin auch diesen – früher verfaßten – Roman veröffentlichen, einen heimlichen Erstling also. Man merkt ihm auch einige ungeschliffene Kanten an, vor allem in der nicht ganz ausgewogenen Handlungskonstruktion, und Themen und Elemente decken sich zum Teil mit dem, was die Autorin später ausführlicher und elaborierter ausgearbeitet hat.
Aber Song of the Beast besticht durch faszinierende Plotideen rund um Götterglauben, Drachen und Musik, eine spannende, treibende Handlung, souveräne Sprache und  gelungene Charaktere. Der abgeschlossene Einzelband bietet zudem eine epische Handlung auf nicht zu vielen Seiten.

An Parallelen zu den drei Vorgängern sticht als erstes der zu Beginn gebrochene und aussichtslose Hauptcharakter ins Auge. Berg weiß allerdings mit ihren Figuren umzugehen, so daß gerade in diesem Bereich nicht so schnell Langeweile aufkommt: es sind durch die Bank keine Neulinge, die sich erst ihren Platz in der Welt suchen und Erfahrungen machen müssen, sondern gestandene Männer und Frauen, die bereits viel durchgemacht haben. Für diesen Hintergrund ist die Ich-Perspektive des Romans die beste Wahl, allerdings wechseln die erzählenden Charaktere, und die Übergänge sind trotz der eindeutigen Zuordnung nicht immer bruchlos von statten gegangen, zumal die sehr ungleichmäßige Verteilung (es gibt nur sehr kurz einen Schwenk zu einer anderen Figur) wie ein strukturell unschöner Notnagel in der Plotkonstruktion wirkt.

Viele Wendungen und Überraschungen lassen die Handlung fast bis zur letzten Seite spannend bleiben – und an den gediegenen Szenen- und Satzkompositionen merkt man trotz der Konstruktionsschwächen, daß hier eine sehr talentierte Erzählerin am Werk ist: Egal, ob bewegend, lustig oder haarsträubend spannend, Carol Berg bewegt sich immer auf sicherem Boden. Nebenbei wird eine Welt präsentiert, die im Detail, auch wenn man nur dedizierte Ausschnitte zu sehen bekommt, sehr lebensecht wirkt – Magie wird man allerdings vergeblich suchen.

Das Besondere an Song of the Beast und der Grund, weshalb man vielleicht trotz  der ungeschliffenen Kanten einen Blick hineinwerfen sollte, sind die Drachen. Selten hat man ein so gelungenes und stimmiges Konzept für diese beliebten Fantasystereotype schlechthin gelesen. Was meistens irgendwie gekünstelt und zusammengeschustert wirkt, läuft hier wie geschmiert: Die Drachen sind viel mehr als nur Tiere, aber meilenweit von einer anthropomorphisierten Darstellung entfernt und strahlen die Erhabenheit aus, die man sich zumindest in diesem Setting von solchen Urmächten erwartet.

The Soul Weaver von Carol BergVier Jahre sind vergangen, seit Gerrick vor den drei Lords von Zhev’na gerettet wurde. Er lebt zusammen mit Seri in Leire, erholt sich aber nur sehr langsam von seinen traumatischen Erlebnissen. Karon dagegen ist in Gondai zurückgeblieben und führt sein Volk im Kampf gegen die Zhid. Nur selten hat er Zeit, Seri zu besuchen, und zu Gerrick findet er kaum einen Zugang.
Als endlich ein erfolgversprechender Plan gegen die Zhid geschmiedet wird, besucht Karon vor Freude überwältigt seine Familie. Kurze Zeit später läßt Verrat seine Pläne scheitern. Für Karon gibt es nur eine Antwort: Sein Sohn  ist immer noch an die finsteren Lords gebunden. Rachedürstig macht er sich nach Leire auf.

-My senses were deafened by Jayereth’s pain. Desperately I fought to maintain my control, to prevent her agony from confusing my purpose.-
Prologue: Karon

The Soul Weaver war ursprünglich als Abschlußband der D’Arnath-Reihe geplant, wird aber nun durch einen vierten Band fortgesetzt. Dennoch macht das Buch einen relativ runden Eindruck, und die meisten Handlungsstränge werden zum Abschluß gebracht.
Gegen die beiden mitreißenden Vorgänger fällt The Soul Weaver in einigen Bereichen leider ab. Im Mittelpunkt des Geschehens steht das turbulente und von Schicksalsschlägen getrübte Familienleben von Seri, Karon und Gerrick. Es gibt einige Schlüsselszenen der drei, die vor allem für diese mittlerweile wohlbekannten Charaktere viel zu pathetisch wirken. Seri ist zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn hin- und hergerissen und verliert dadurch unter anderem die Entschlossenheit, die sie in den Vorgängern als treibende Kraft der Handlung ausgezeichnet hat. Auch Karon und Gerrick wirken manchmal unglaubwürdig und machen Entwicklungen durch, die eher von der Handlung erzwungen als schlüssig erscheinen.
An anderer Stelle brilliert Carol Berg dagegen wieder mit ihrem Talent für stimmige Charaktere – sie braucht wichtige Nebenfiguren wie den wunderaren Ven’dar nur eine halbe Seite lang einzuführen, und schon haben sie Persönlichkeit und nehmen den Leser emotional mit.

Das titelgebende Konzept des Soul Weaver wurde nicht so sehr ausgereizt, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte. Es sorgt zwar für spannende Szenen und Überraschungen, auch mittels der verschiedenen Erzählperspektiven, die die Autorin in diesem Band wieder geschickt kombiniert, bleibt aber an der Oberfläche des Möglichen, wohingegen andere magische Erscheinungen viel Raum einnehmen, ohne einen komplett durchdacht oder verständlich wirkenden Hintergrund zu bekommen.
Daß die Geschichte dennoch überzeugt, liegt unter anderen an den Kleinigkeiten: Nebenfiguren, die man einfach mögen muß, Einzelszenen, die ans Herz gehen, Reinigungsrituale, die Lust auf Baden machen. Da möchte man fast, aber nur fast, über die Schwächen hinweglesen, kann sich aber auch angesichts des angehängten Folgebands des Eindrucks nicht erwehren, daß in diesem dritten von vier nicht ganz dünnen Büchern etwas viel Lärm um nichts gemacht wurde.

Stadt der Fremden von China MiévilleAvice Brenner Cho ist in Botschaftsstadt auf dem Planeten Arieka aufgewachsen. Umgeben von einer Luftblase, um die Menschen vor der für sie giftigen natürlichen Atmosphäre des Planeten zu schützen, bildet Botschaftsstadt eine kleine Kolonie, die vor allem in linguistischer Hinsicht einzigartig ist. Denn die insektioden Ariekei sprechen mit zwei Stimmen gleichzeitig, können nicht lügen und nur mit Lebewesen kommunizieren, die selbst mit zwei Stimmen sprechen. So hat sich in Botschaftsstadt eine eigene Hierarchie rund um die “Botschafter” gebildet, Beinahe-Klone, geschaffen, um wie ein Wesen mit zwei Stimmen zu wirken. Als jedoch das imperiale Zentrum Bremen einen neuen Botschafter entsendet, gerät Avice’ Welt plötzlich aus den Fugen …

– Ich kann die folgenden Ereignisse exakt datieren, da sie am Tag nach meinem Geburtstag geschahen. –

Zu Stadt der Fremden liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Stadt der Heiligen & Verrückten von Jeff VanderMeerDie Stadt der Heiligen & Verrückten ist ein Kompendium der Stadt Ambra. Die Geschichte der Eroberung Ambras wird genauso geschildert wie der Aufstieg der Hoegbottons zur einflußreichsten Familie der Stadt oder die Schicksale einzelner ihrer mehr oder weniger berühmten Bewohner. Außerdem enthält das Buch eine Abhandlung über den Königskalmar, der eine besondere Rolle in Ambra spielt, samt einer ausführlichen Bibliographie zu diesem Thema.

– Dradin, verliebt, unterm Fenster seiner Liebsten, wie er zu ihr hochstarrt, indes die Menge rings um ihn brandet und braust, ihn anrempelt, ihm blaue Flecke verpaßt, allesamt unabsichtlich, die derbgekleideten, leuchtend rot geschminkten Tausende.-
Dradin verliebt

Allein die akribisch zusammengestellte Bibliographie mit ihren 264 (!) Titeln ist schon fünf Sternchen wert. (Die Redaktion von bp interessiert sich brennend für die nur schwer erhältlichen Bücher “Die Folterkalmare mischen ein paar Priester auf”, und “Die Folterkalmare schmoren im Knast”, beide geschrieben von Vivian Price Rogers und erschienen in der Kleine Bücher/Große Träume Verlagsgesellschaft. Rezensionsexemplare bitte an die bekannte Adresse. Danke!) Allerdings werden Leser, die keine besondere Affinität zu Königskalmaren haben, die anderen Kapitel des Buches für spannender halten, z.B. die Geschichte der Eroberung Ambras, dargestellt in “Hoegbottons Führer zur Frühgeschichte der Stadt Ambra”. Dort wird erzählt, wie der Walfänger und Pirat Katten John Manzikert die Siedlung am Mott-Fluß eroberte und was danach geschah. Manzikerts Vorgehensweise ist der der spanischen Eroberer Südamerikas nicht unähnlich, doch muß er einen furchtbaren Preis dafür zahlen, denn wie sich bald herausstellt, wissen die Ureinwohner, die Grauhüte, sich zu wehren und auch wenn sie die Übernahme ihrer Heimat letztlich nicht verhindern konnten, so ist ihr Widerstand auch in der ambraischen Gegenwart nicht gebrochen – ganz im Gegenteil.

Die Geschichte von der Verwandlung des Martin See ist ebenfalls hochspannend und gleichzeitig eine herrliche Satire auf den Kulturbetrieb. Der Maler Martin See erhält die Einladung eines Unbekannten zu einer Enthauptung, mit der Aufforderung kostümiert zu erscheinen. Bis der Künstler zur verabredeten Zeit im Hause seines mysteriösen Gastgebers erscheint, hat er dem Leser die Gelegenheit gegeben, sich über einen arroganten Kunstkäufer und eine blasierte, ignorante und geschäftstüchtige Galeristin lustig zu machen oder sich über den Kampf der Roten und Grünen zu amüsieren. Die Roten betrachten den Tod des kürzlich verstorbenen großen Komponisten Voss Bender als Segen, die Grünen jedoch als Katastrophe. Beide Parteien vertreten ihre Ansichten fanatisch und vehement. Doch als See über die Schwelle des Hauses tritt ist Schluß mit lustig – das “Kostümfest” endet grausam.

Auch Der Käfig enthält Grausamkeiten, die sensible Gemüter dazu verleiten mögen, zeitweise mit vor die Augen geschlagenen Händen weiterzulesen und vorsichtig zwischen den Fingern hervorzuspähen, nur um festzustellen, daß es in dieser Geschichte nicht nur gewalttätig, sondern auch unheimlich zugeht. Hoegbotton kauft das Inventar einer Anwaltsfamilie auf. Der Vater hat sich umgebracht, infolgedessen sind Mutter und Sohn gezwungen ihr Eigentum zu Geld zu machen. Unter anderem erwirbt Hoegbotton einen leeren Käfig und nimmt ihn mit nach Hause. Doch seine blinde Frau ist fest davon überzeugt, daß ihr Mann ihr ein Haustier mitgebracht hat, schließlich kann sie es in dem Käfig ganz deutlich hören…

Dradin verliebt ist eine weniger grausame und unheimliche Geschichte, doch Freunde von Hoffmanns Erzählungen werden ihre Freude daran haben. Sehr religiöse Menschen könnten sich allerdings von dem dort auftretenden lebenden Heiligen vom Orden der Ejakulation unangenehm berührt fühlen.

Falls sich der geneigte Leser jetzt fragt, ob Ambra denn wirklich existiert und ob die in diesem Buch gesammelten Geschichten alle wahr sind, dann möge er Der seltsame Fall von X lesen, danach wird er es auch nicht wissen, denn Jeff Vandermeer spielt virtuos mit Realität, Fiktion und Wahnsinn und zwar nicht nur in dieser Erzählung.

Das Sternenschiff von Mark GestonDie sogenannte „Erste Welt“ ist zugrunde gegangen und es folgte eine Art Dunkles Zeitalter. Die Kriege und das Chaos haben ihre verhängnisvollen Spuren nicht nur auf der Welt hinterlassen, sondern auch in und an den Menschen, die sie bevölkerten. Etwas ging verloren; der Unwirtlichkeit der „Welt“ – wie sie nun im Gegensatz zur „Ersten Welt“ genannt wird – begegnen die meisten nur noch mit fatalistischer Resignation, weshalb sich die verschiedenen Staatsgebilde im Niedergang befinden. Um dem entgegenzuwirken, schmiedet General Toriman aus der Karolinischen Republik einen Plan: Zur Neu-Entfachung des Unternehmungsgeists der Menschheit soll aus den Relikten der Ersten Welt ein Raumschiff gebaut werden, mit dem man zu einem neuen Planeten fliegen könnte …

Zu Das Sternenschiff liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Die Stimme der Finsternis von Tad Williams und Nina Kiriki HoffmanMasrur al-Adan ist Teil eines Soldatentrupps, der eine Karawane seines Kalifen sicher zu ihrem Ziel geleiten soll – einem benachbarten Fürsten im hohen Norden. Die Route wird als sehr gefährlich und unüberwindbar beschrieben, doch dies und auch ein vernichtender Überfall eines Banditentrupps sind nicht das schlimmste, was den Soldaten auf ihrer Reise bevorsteht. Es heißt, ein fürchterlicher, unbezwingbarer Vampir treibe genau in dem Tal sein Unwesen, durch das die Karawane reisen muss, um an ihr Ziel zu kommen. Bald schon ist ihre einzige Chance zu überleben das Erzählen von Geschichten …

-Der flackernde Schatten, den das Geschöpf an die Bäume warf, schien voller böser Absichten. Ich dachte an all die Dinge, die ich noch nie getan, all die Freuden, die ich noch nie genossen hatte. Dann trat das Wesen näher ans Feuer.-
Kapitel 5

Die Stimme der Finsternis basiert auf Williams‘ erster Kurgeschichte und wurde mit Hilfe von Nina Kiriki Hoffman in eine Novelle ausgestaltet. Hierbei wandelte sich der ursprüngliche Fokus weg vom Monster hin auf die Bedeutung des Erzählens von Geschichten. Etwas, das laut Williams der Kern vieler seiner Bücher ist:
„[…], like a lot of my work, storytelling became what the story itself was about.
Die Stimme der Finsternis ist wie eine Lagerfeuergeschichte aus Tausendundeiner Nacht. Damit ist jedoch nicht nur das Setting gemeint, sondern auch der gesamte Aufbau der Novelle. Innerhalb einer kurzen Rahmenhandlung baut sich die eigentliche Geschichte auf, in der noch einige weitere kurze Erzählungen verschachtelt sind. Erzählungen über Liebe, Trauer, Verlust und Fehlbarkeit, meist gekoppelt mit einer zugrunde liegenden Moral – sie sind der eigentliche Kernpunkt des Werkes, wenngleich sie auch erst im letzten Drittel aufkommen.

Die Figuren sind zum Großteil lediglich Namen mit ein oder zwei zugeordneten Attributen, die sich im Laufe der kurzen Geschichte auch nicht ändern oder weiter entwickeln. Man muss sogar sagen, dass der Vampir hierbei am detailliertesten ausgearbeitet ist. Und dieser gleicht zum Glück keinesfalls der modernen Ausprägung des heimlichen Geliebten.
Aber auf die Figuren per se zielt Die Stimme der Finsternis auch nicht ab. Hier geht es lediglich um Geschichten und Erfahrungen, die eine Person gemacht hat und von denen sie vielleicht sogar geprägt wurde. Das Leben schreibt die schönsten und grausamsten Geschichten, doch so oder so, der Mensch wird geformt von diesen Erfahrungen, zieht in weniger schönen Zeiten Kraft daraus, oder genießt es einfach, seine eigenen Erlebnisse im Kreise seiner Freunde oder Familie weiterzugeben oder einfach nur anderen Geschichten zu lauschen.

Bis auf die Rahmenhandlung ist Die Stimme der Finsternis aus der Ich-Perspektive erzählt, wie es jede gute Lagefeuergeschichte auch sein sollte. Doch die damit einhergehende Problematik eines gewissen Spannungsverlustes hinsichtlich der Hauptperson der jeweiligen Geschichte ist auch hier nicht zu vermeiden. Der Makel ist allerdings definitiv verschmerzbar. Der Weg ist das Ziel – es ist nicht eine Frage darüber, ob das Ziel erreicht wird, sondern wie, und das ist die Reise allemal wert.
Die Stimme der Finsternis ist recht einfach und direkt geschrieben – kein Vergleich zu den ausufernden, blumigen Beschreibungen wie z.B. im Osten-Ard-Zyklus von Williams. Während das in den größeren Reihen gut funktionieren mag, hätten seitenweise Beschreibungen der Umgebung hier eigentlich nur geschadet und die Dringlichkeit der Situation abgeschwächt. So kann man sagen, dass die knapp 160 Seiten wie im Flug vorbei gehen. Eine nette, kurzweilige Geschichte für zwischendurch, mit der man mit den richtigen Erwartungen eigentlich nichts falsch machen kann.

Storm Front von Jim ButcherIn einem Hotel in Chicago wird ein Liebespaar ermordet aufgefunden. Im Bett. Noch immer im Akt vereint und mit explodierten Herzen. Eine nach Ansicht der Polizei eher ungewöhnliche und vor allem nicht zu erklärende Todesart. Doch klar ist, es handelt sich um Mord. Einen durch Magie herbeigeführten Mord. Da bleibt den Ermittlern nur eines zu tun: Sie ziehen den einzigen öffentlich praktizierenden Magier der Stadt zu Rate, den Privatdetektiv Harry Dresden, und ehe man sich versieht, steckt man knietief in magischen Formeln und wird von krötenähnlichen Dämonen verfolgt.

– People who know diddly about wizards don’t like to give us their names. They’re convinced that if they give a wizard their name from their own lips it could be used against them. To be fair, they’re right. –
Kapitel 1, S.5

Harry Dresden bedient viele Klischees des abgetakelten Privatdetektivs eines Film Noir. Das kann, je nach Natur des Lesers, entweder ein Plus- oder ein Minuspunkt sein. Für Fans dieses Filmgenres mag das entsprechende Setting in The Dresden Files nicht ganz authentisch wirken oder zu oberflächlich behandelt werden, doch glücklicherweise bietet Storm Front (Sturmnacht) einiges mehr als nur einen weiteren Detektivroman nach Schema F.

Die Hauptmerkmale des Buchs sind schnell erklärt: ein notorisch abgebrannter Magier-Detektiv in einer Welt wie der unseren, mit dem Unterschied, dass Magie real ist und Feen, Trolle, Vampire und andere Gestalten Seite an Seite mit den Menschen leben. Oft gehört, oft versucht, hat mancher Autor ein passables Ergebnis erreicht. Doch Harry Dresden dürfte der Vater aller ermittelnden Magier sein. Der Autor, Jim Butcher, schafft es, aus diesen nicht unbekannten Zutaten ein erstaunlich gut funktionierendes und stimmiges Gefüge zu machen. Zu verdanken ist dies u.a. einer Kombination aus interessanten Charakteren, einem dichten Plot und einem flotten, erfrischend unterhaltsamen Schreibstil. Die übernatürlichen Aspekte des Romans werden zwar mit Liebe zum Detail, aber nicht ausufernd langweilig geschildert. Kurz gesagt: Dieses Buch ist dreckig, blutig, absurd komisch, einfach gestrickt und macht schlichtweg süchtig.

Die Seiten von Storm Front fliegen also nur so dahin, mit viel trockenem Humor, rasanter Action und einem unglaublich sympathischen, fesselnden Hauptcharakter. Harry Dresden möchte eigentlich nur eins: sein Leben leben, seine Rechnungen bezahlen können und seine magischen Kräfte auf legale Weise benutzen. Mit seinen magischen Eskapaden und einer nicht ganz sauberen Vorgeschichte jedoch ist er, trotz seiner gelegentlichen Feigheit, ein Unikat in der Masse der Detektive. Harry ist der altmodische Typ Mann, der die Jungfrau in Nöten vor dem Drachen rettet, der die Unschuldigen vor dem Unheil beschützt, weil er das für seine Pflicht hält, auch wenn er ahnt, dass er dafür keinen angemessenen Dank bekommen wird. Altmodisch sind auch seine Ausrüstungsgegenstände, denn mit der modernen Technik steht er gezwungenermaßen auf Kriegsfuß. Magie und Elektronik, nein, das harmoniert ganz und gar nicht, da brennt auch der beste CD-Player durch.
Was diese Figur so richtig sympathisch macht, ist die Tatsache, dass sie viele gegensätzliche, aber sehr authentische Eigenschaften in sich vereint. Auf der einen Seite ist Harry der absolut selbstbewusste, stolze und gelehrte Magier und auf der anderen Seite ist er in mehrfacher Hinsicht menschlich und fehlbar, ungeschickt, tollpatschig und manchmal einfach nur dumm (und er weiß es in diesen Momenten selbst). Harry Dresden ist als Protagonist komplex genug, um eine ganze Serie an ihm aufzuhängen, mit einem ironischen bis selbstironischen Humor, der dafür sorgt, dass das Buch nicht zu ernsthaft wird. So kommt es auch vor, dass er seine teils durchaus ernsten Konflikte mit köstlichem Galgenhumor kommentiert.
Die Art, wie Dresden seine Welt dabei als Ich-Erzähler beschreibt, erlebt und mit ihr interagiert, ist so selbstverständlich und die Beschreibungen wirken derart gewöhnlich, dass man als Leser keine andere Wahl hat, als ihm zu glauben. Das wirkt trotz der magischen Schwerpunkte echt, lebendig und geradezu natürlich.

Storm Front ist nur der erste Teil einer umfangreichen Serie, das Buch schließt die Haupthandlung aber ohne Beanstandungen ab. Wer nun ein Kribbeln in den Fingern verspürt, sich den ersten Band anzueignen, aber kein Fan von Cliffhangern ist, darf also getrost aufatmen. Storm Front lässt dennoch genügend Geheimnisse offen, um neugierig auf den nächsten Band zu machen. Es mag kein besonders tiefgründiger Roman sein, aber er ist ein großes Lesevergnügen mit Spannung und vielen Lachern.

Cover des Buches "Die Stunde des Minotauren" von Thomas Burnett SwannThea und Ikaros sind die Kinder des Königs von Kreta, welches von einer Invasion der kriegsliebenden Archäer erschüttert wird. Nachdem sich Thea aber nicht von deren Anführer Ajax vergewaltigen lässt, wirft man sie in die Höhle des Minotauren. Doch dieser entpuppt sich aber als ihr Pate und nimmt die beiden bei sich auf. Nach einigen anfänglichen Problemen können die beiden königlichen Flüchtlinge auch den Wald und das Erbe der Tiermenschen akzeptieren, denn ihre Mutter war eine Dryade. Doch werden die gewalttätigen Archäer mit ihren Totengöttern das Tabu einhalten, welches die Große Mutter auf den Wald der Tiermenschen legte, wie die Kretaer es tun?

Diese wahre Geschichte, die ich hier niederschreibe, berichtet hauptsächlich von Prinzessin Thea, der Nichte des großen Königs Minos, und von ihrem Bruder Ikaros, benannt nach dem bedauernswerten Sohn Dädalus’, der im Meer ertrank, als das Wachs seiner Schwingen schmolz.-
1. Die Hölzernen Schwingen

Das Geschehen in Die Stunde des Minotauren (Day of the Minotaur) findet zum Großteil im Wald der Tiere statt, nur die ersten zwei Kapitel spielen im antiken Kreta der minoischen Palastkultur und diese sind sehr handlungsreich, daher spielt die Kultur Kretas nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Der Zauberwald ist in erster Linie nur ein Wald mit ungewöhnlichen Bewohnern. Im Gegensatz zum zweiten Teil (der allerdings später geschrieben wurde) könnte hier die Fremdartigkeit stärker hervorgehoben werden, zumal die Kinder zunächst Fremde aus dem zivilisierten Teil Kretas sind.

Die Bewohner des Waldes sind eng an die antike griechisch-minoische Mythologie angelehnt, wenngleich zuweilen mit einem Kniff versehen.
Es gibt die weisen und kriegserfahrenen Zentauren, angeführt vom mächtigen Chiron; die schönen und frivolen Dryaden, die eng mit ihrer Eiche verbunden sind; die ewig unreifen und frechen Panisken, Wesen zur Hälfte Mensch, zur Hälfte Ziege; die scheuen und ängstlichen Artemisbärinnen und die heimtückischen und kriminellen Thriae, Wesen die viel Ähnlichkeit mit Bienen aufweisen.
Schließlich ist da der letzte Minotaur, der gewaltige Eunostos. Er ist ein sieben Fuß großes Muskelpaket, anstelle von Füßen hat er Hufe und Hörner ragen aus seinen roten Haaren hervor – eine einschüchternde Gestalt, besonders dann, wenn er mit dröhnender Stimme brüllt. Dennoch ist er ein sanftes Wesen, ein Handwerker, der seinen Garten, die Poesie – und Thea liebt.
Sie ist die Tochter von Aeacus, des Königs von Minos, und einer Dryade, daher ist die 16jährige Frau bezaubernd schön, mit leicht grün schimmernden Haaren und spitzen Ohren. Sie fürchtet den Wald und die Tiere, auch wenn sie sich zum Minotauren hingezogen fühlt, will die zurückhaltende Kreterin ihn eher kultivieren als akzeptieren. Ihrem Bruder Ikaros fällt es viel leichter das Erbe ihrer Mutter anzunehmen und schnell wird aus dem Jungen ein junger Mann.
Daneben gibt es noch einige weitere, wie Zoe, die Dryade, eine gute Freundin von Eunostos; Moschus, ein alternder Zentaur und der Liebhaber von Zoe und Pandia, die Artemisbärin, die sich stets in der Nähe des jungen Ikaros aufhält; sie kommt allerdings nicht über den Status des comic-relief hinaus. Auch wenn diesen Figuren nicht viel Raum zugestanden wird, sind es keine bloßen Abziehbilder, denn ihr Verhalten lässt Stärken und Schwächen vermuten – selbst Ajax, der Anführer der Archäer, ist kein Monster.

Auch wenn der Plot mittlerweile nichts ungewöhnliches mehr darstellt – es geht um die unterschiedlichen Möglichkeiten der Menschen mit der Natur umzugehen – so ist die Geschichte doch schwer einzuordnen. Zu Beginn und am Ende gibt es einiges an physischer Action, der Mittelteil ist eher ruhig und gibt Dialogen, inneren Monologen und Beschreibungen viel Raum. Der Spannungsbogen verläuft somit parabelförmig, wobei der Scheitelpunkt zugleich der Tiefpunkt ist.
Im Zentrum des Geschehens steht die Liebe zwischen Eunostos und Thea, doch diese müsste eindringlicher geschildert werden, damit sie ganz wirken kann. Ein anderer Strang ist das Erwachsenwerden von Thea und Ikaros, dieses verläuft aber leider zu sprunghaft – einzelne Augenblicke markieren deutlichen Wandel. Auf der anderen Seite stehen die plündernden Archäer, die möglichst viel Reichtum aus der Beutefahrt schlagen wollen und in ihrer Gier vor alten Tabus nicht halt machen.

Die Geschichte wird von Eunostos aus der Ich-Perspektive erzählt, wenn er anwesend ist, sonst aus der Personalen-Perspektive einer der zentralen Figuren. Die Sätze sind flüssig und die Wortwahl ist treffend, passt aber nicht immer gut zu dieser vielfach langsamen und leicht melancholischen Geschichte.

Die Aufmachung ist – wie für die Terra Fantasy Reihe üblich – sehr spartanisch, es gibt keine Extras außer einem Vorwort von Hugh Walker und auch das ist dieses Mal nicht besonders interessant – Walker fasst kurz die Ereignisse des zweiten Teils der Reihe zusammen (was Swann auch in der Geschichte macht, nur dieser ist etwas ausführlicher) und gibt eine Kurzbiographie hinzu. Das Titelbild ist wieder einmal nicht besonders gelungen – welcher streitlustige Zentaur schleppt wann welche nackte Frau umher? Eine solche Szene gibt es nicht, tatsächlich dreht sie den Impetus der Geschichte sogar um!

Sturmnacht von Jim ButcherIn einem Hotel in Chicago wird ein Liebespaar ermordet aufgefunden. Im Bett. Noch immer im Akt vereint und mit explodierten Herzen. Eine nach Ansicht der Polizei eher ungewöhnliche und vor allem nicht zu erklärende Todesart. Doch klar ist, es handelt sich um Mord. Einen durch Magie herbeigeführten Mord. Da bleibt den Ermittlern nur eines zu tun: Sie ziehen den einzigen öffentlich praktizierenden Magier der Stadt zu Rate, den Privatdetektiv Harry Dresden, und ehe man sich versieht, steckt man knietief in magischen Formeln und wird von krötenähnlichen Dämonen verfolgt.

– Meine Überlebenschancen waren auf der Treppe erheblich höher als in der beengten Aufzugkabine.
Paranoid? Wahrscheinlich. Aber das ist noch lange kein Grund zu glauben, es gäbe keine unsichtbaren Dämonen, die einem im nächsten Moment das Gesicht wegfressen. –
Kapitel 1

Zu Sturmnacht liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Summer Knight von Jim ButcherIn Harrys neuem Abenteuer trifft der Leser auf einen ausgebrannten und niedergeschlagenen Mann ohne Hoffnung. Die Körperhygiene des Detektivs hat merklich gelitten, seine Wohnung ist ein heruntergekommener Saustall, er hat seine Arbeit vernachlässigt, die unbezahlbaren Rechnungen stapeln sich. Doch am schlimmsten steht es um Harrys seelischen Zustand. Am Tiefpunkt seines Daseins angekommen tun sich nun nicht etwa Silberstreifen am Horizont auf, im Gegenteil. Es beginnt Kröten zu regnen, und um die Probleme noch zu verdoppeln, wollen nicht nur die Vampire des Roten Hofs Harry weiterhin tot sehen, sondern auch seine eigenen Leute vom Weißen Rat. Doch es kommt noch härter, in seinem Büro wartet jemand auf ihn, der tödlicher ist als jeder Vampir: die Winterkönigin der Sidhe.

– I was working for the queen of wicked faeries – well, Queen of Winter, of the Unseelie faeries, at any rate –
Kapitel 4, S. 38

Summer Knight (Feenzorn) setzt neun Monate nach den Ereignissen aus Grave Peril (Grabesruhe) an und bringt einen neuen Plot mit, der gleichzeitig an einen der vielen losen Fäden aus Harrys Vergangenheit anknüpft. Auch der Krieg zwischen dem Weißem Rat und dem Rotem Hof ist ein Thema, wird als nun übergeordneter Handlungsstrang jedoch eher beiläufig zu einem Stein, der die aktuelle Handlung ins Rollen bringt. Das zentrale Thema aber ist ein bevorstehender Krieg zwischen den Fae-Königinnen von Sommerhof und Winterhof. Mit der Einführung dieses keltisch verwurzelten Sagenlandes kommen viele märchenhafte und phantastische Figuren und Elemente zum Einsatz: Hochelfen, Feen, Oger, Trolle, Wechselbalge, Einhörner, Satyrn und etliche andere Fabelwesen haben ihren Auftritt in einem gelungen Mix aus Sagenwelt und moderner Realität. Man streift durch Faerie oder dunkle Gassen unterhalb Chicagos und findet verborgene Eingänge in fremde Reiche. In einer wunderbar stimmigen Atmosphäre kommt der Fan von Urban Fantasy mit Summer Knight voll auf seine Kosten.

Neben neu eingeführten Charakteren, die sich neben einigen Mitgliedern des Weißen Rats vor allem aus dem Feenreich der Sidhe rekrutieren, treffen wir auch auf alte Bekannte. Billy und seine Werwolfgang, die Alphas,  aus Fool Moon (Wolfsjagd) beteiligen sich aktiv an Harrys Fall. Dafür muss der Leser auf Michael, der in Grave Peril eine prominente Rolle einnahm, gänzlich verzichten. Was unseren Protagonisten Harry Dresden angeht, so erfährt der Leser einiges mehr aus dessen Vergangenheit und lernt sowohl den Weißen Rat als auch Personen aus seiner Zeit als Lehrling kennen.
Insgesamt ist es sehr schön, wie Summer Knight die oft angedeuteten Begebenheiten aus der Vergangenheit des Magiers aufgreift und weiter ausbaut. Hierdurch gewinnt der Charakter ebenso an Substanz wie auch die Geschichte an Überzeugungskraft. Die Handlung wirkt insgesamt deutlich homogener als der Vorgänger, was nicht zuletzt einem souverän konstruierten Plot zu verdanken ist, der sich auf eine Haupthandlung konzentriert.

Auch der Humor des Autors und seiner Protagonisten ist wieder erfreulich stark präsent und sorgt für zusätzliche Leseanreize. Ein bisschen trocken, ein bisschen schwarz und auch reichlich selbstironisch kommt Summer Knight mit flotten Sprüchen daher. Ein paar Figuren neben Harry verstehen durch bloße Anwesenheit zu amüsieren. Hier sei vor allem der kleine Toot Toot, der zum ersten und letzten Mal in Storm Front (Sturmnacht) einen kurzen Auftritt hatte, hervorgehoben. Was beinahe von der ersten Seite an zu herzhaftem Lachen verführt, steigert sich im Laufe des Buches proportional zu Harrys langsam beginnender seelischer Heilung. Während Grave Peril da insgesamt weniger Gefahren bot, sollte man Summer Knight daher möglichst nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln lesen. Schiefe Blicke, verursacht durch spontanes Auflachen, sind bei diesem Roman vorprogrammiert.

Bei all dem Lob sei darauf hingewiesen, dass auch Summer Knight gelegentlich noch an der ein oder anderen Kinderkrankheit leidet und stellenweise etwas bemüht wirkt. Doch der Roman hat viel zu bieten, was diese kleinen Mängel unwichtig erscheinen lässt. Magie, keltischer Mythos, ein Harry, der sich von ganz unten langsam wieder hocharbeitet, auch seine oftmals überspitzten Leiden kommen ein wenig realistischer daher – so wie Harry Dresden seinen Fokus in diesem Roman wiederfindet, so scheint sich nun auch Jim Butcher in seine Serie eingefunden und eine stabile Linie angepeilt zu haben. Sofern es in diesem Stil weiter geht, darf man von dem Folgeband, Death Masks, nur Gutes erwarten.

The Sweet Far Thing von Libba BrayDie Lage ist ernst. Der Kampf um das magische Reich und die Magie spitzt sich zu, auch das Verhältnis zwischen Gemma und ihren Freundinnen ist angespannt. Jeder möchte die Magie kontrollieren und Gemma notfalls dazu zwingen, sie abzugeben. Die junge Frau muss sich entscheiden, wem sie die Magie überlässt und welchen Pfad sie in ihrem Leben einschlagen will. Doch wird sie lange genug leben, um diese Wahl zu treffen? Und wird sie mit ihrer Entscheidung das drohende Unheil verhindern oder entfesseln?

– There is a particular circle of hell not mentioned in Dante’s famous book. (…) But I can say with all certainty that walking the length of a ballroom with a book upon one’s head and a backboard strapped to one’s back while imprisoned in a tight corset, layers of petticoats, and shoes that pinch is a form of torture even Mr Alighieri would find too hideous to document in his Inferno. –
Kapitel 1, S. 7

Willkommen zum Finale von Gemma Doyle!
Entschuldigung, sagte ich Finale? Willkommen am nervtötenden Ende einer Trilogie, die gut begann, trifft es wohl leider besser. Doch fangen wir vorne an.

Das dritte Abenteuer  der Gemma Doyle-Trilogie The Sweet Far Thing (Kartiks Schicksal) beginnt einmal mehr schleppend langsam, und auch nach 350 Seiten ist noch nichts Nennenswertes passiert, was die Handlung irgendwie vorantreiben würde. Gemma glänzt deutlicher denn je durch blindes Vertrauen, dumme Entscheidungen, nahezu hirnloses Verhalten, ist planlos, sprunghaft und hat sich seit Band 1 kein bisschen weiter entwickelt. Mit beharrlicher Konsequenz ignoriert sie weiterhin sämtliche Warnsignale und vergangenen Ereignisse. Auch die immer wieder betonte drängende Zeit bewegt unsere Heldin nicht dazu, notwendige Entscheidungen zu treffen. Stattdessen ergeht sie sich in sinnlosen Abenteuern und Streifzügen durch die Londoner Society oder das inzwischen stark gefährdete magische Reich, mit einer Gruppe von Freundinnen, bei der noch immer keine der anderen traut (man bedenke noch einmal: wir sind schon im finalen Band drei …) und auch alle sich benehmen wie verzogene, egoistische Gören. Jawohl, Gören. Man möchte sie regelmäßig ohrfeigen und schütteln und einfach nur hassen.

Nach rund 350 Seiten ist dann ein Hauch von Freude beim Leser angesagt. Es tauchen tatsächlich ein paar bekannte Puzzleteile auf, die sich plötzlich zusammenfügen. Spurensuche, Abenteuer und gelüftete Geheimnisse machen einem Hoffnung auf ein ansteigendes Lesevergnügen, doch man muss weiterhin Geduld beweisen und darf nicht zuviel verlangen.
Hat man es dann mit Mühe und Not bis auf Seite 429 geschafft, gut die Hälfte dieses Wälzers, trifft man auf eine Stelle, an der man sich tatsächlich fragt, ob einen die Autorin verhöhnen möchte. Gemma, die gerade selbst ein eher langweiliges Buch konsumieren muss, kommentiert ihr Leseerlebnis folgendermaßen (und drückt damit wunderbar aus, wie es einem bei der Lektüre gerade selbst ergeht):

With a sigh, I resign myself to combing through it page by page, though 502 pages is so many to wade through, and I curse authors who write such lengthy books when a few neat pages of prose would do.

Für diesen tiefschwarzen Sinn für Humor muss man die Autorin fast schon wieder loben.

The Sweet Far Thing spielt sich innerhalb weniger Monate ab, doch durch die extrem langatmige Erzählweise gewinnt man den Eindruck, es zögen Jahre ins Land, in denen wirklich nichts Interessantes passiert. Als Ausgleich ist dafür alles recht vorhersehbar.

Die letzten Kapitel ziehen dann aber doch ordentlich mit der Action an und alles, was man schon die ganze Zeit erwartet oder erhofft hat, kommt endlich in Gang. Wenig überraschend kommt dann aber auch das Ende daher, das einen vor allem frustriert zurück lässt. Nichts von diesem Buch bleibt so deutlich hängen wie das Gefühl, allein zu sein und nirgendwo hinein zu passen, begleitet von dem Schmerz des Verlustes, der Hoffnungslosigkeit, und irgendwie klingt die Botschaft stark nach: “du kannst dich noch so abrackern, am Ende bringt es dir ja doch nichts als Enttäuschung”.
Auch wenn die Mädchen es immerhin schaffen, letztlich ihren eigenen Weg einzuschlagen, und die Möglichkeiten der anbrechenden Zukunft erst einmal positiv klingen, wird das alles von der trägen Erzählweise und dem wenig motivierenden Ausgang dieser Trilogie überschattet.

Um ein ganz eindeutiges Fazit zu ziehen: lasst die Finger davon. Diese Buchreihe, die im ersten Band mit recht vielversprechenden Ideen begann, ist letztlich eine große, Zeit verschwendende Enttäuschung und wird mit jedem Band schlechter. Zu empfehlen sind die Fortsetzungen vermutlich nur jenen, die nach A Great and Terrible Beauty (Gemmas Visionen) schon völlig begeistert von Schreibstil, Charakteren oder was auch immer waren, alle anderen investieren ihre Zeit lieber in Bücher mit der Aussicht auf Unterhaltungswert.

Sweetly von Jackson PearceVor zwölf Jahren sind Ansel und seine Schwester Gretchen im Wald verfolgt und knapp einem Monster, einer bösen Hexe, entkommen. Gretchens Zwillingsschwester hatte weniger Glück und ist seitdem verschollen. Niemand glaubt den beiden die Geschichte von der Hexe, und über die Jahre hinweg ist die restliche Familie zerbrochen, die Eltern im Kummer verstorben. Nun, da beide volljährig sind, setzt die Stiefmutter die beiden kurzerhand vor die Türe und die beiden Geschwister machen sich auf in den Süden, um ein neues Leben zu beginnen. Doch eine Autopanne zwingt sie einen Zwischenstopp einzulegen der sie näher denn je an die Hexe heranbringt …

– They burst from the woods onto their cool lawn. Get inside, get inside. Ansel flung the back door open and they stumbled in, slamming the door shut. Their father and mother ran down the stairs, saw their childen sweaty and panting and quivering, and asked in panicky, perfect unison:
»Where’s your sister?« –
Prologue, S. 6

Sweetly ist der zweite Roman von Jackson Pearce mit einer Märchenneuinterpretation. Der geübte Leser wird natürlich schon erkannt haben, dass die Autorin sich diesmal dem Märchen um Hänsel & Gretel gewidmet hat, und das Ergebnis ist ganz ansehnlich.
Wie schon bei Sisters Red wurden die Kernelemente des Märchens übernommen und zu einer erwachsenen, düsteren Version der Geschichte verarbeitet. An dieser Stelle muss auch wieder das sehr treffende und stimmungsvolle Buchcover gelobt werden, welches die Atmosphäre und Handlung des Romans perfekt einfängt.

Die Charaktere in Sweetly sind beinahe alle von Verlusten und Schmerz geprägt. Ein großes Thema des Romans ist daher, wie dieser durch Ursache und Wirkung mit den Beweggründen und Charakterzügen der Figuren verflochten ist. Anders als in Sisters Red tritt die Action da etwas mehr in den Hintergrund, auch taucht die Hexe selbst nur selten auf. Vielmehr spielt das Buch mit dem Nervenkitzel, wann sie in Erscheinung treten wird, und wenn sie es tut, dann wird es blutig und tragisch.
Gretchen und Ansel haben ein enges Verhältnis zueinander, der Verlust ihrer Schwester in jungen Jahren hat sie zusammengeschweißt. Jackson Pearce schafft ein sehr einfühlsames und realistisches Gefühl dafür, wie es sein muss, im Schatten einer verschwundenen – und vermutlich toten – Schwester aufzuwachsen, einer Tochter, einer Freundin; das ganze bisherige Leben um sich herum zerbrechen zu sehen und mit den psychischen Folgen klarkommen zu müssen. Verständlich, dass dieser Handlungsstrang nicht ohne eine gewisse Melancholie auskommt. Obwohl beide Geschwister sehr für den anderen sorgen und kaum andere Kontakte in ihrem Leben haben, freunden sie sich schnell mit Sophia an, einer Süßwarenbäckerin, die mitten im Wald lebt, als sie mit dem Auto in dem kleinen Städtchen Live Oak liegen bleiben. Beide blühen auf und gewinnen mehr individuellen Spielraum. Vor allem Gretchen, deren Leben sich beinahe nur um die Furcht vor dem Wald und die Frage drehte, warum sie überlebt hat und ihre Zwillingsschwester nicht, durchläuft einen großen Änderungsprozess. Sophia verbirgt jedoch selbst ein dunkles Geheimnis unter ihrem lieblichen Lächeln und macht deutlich, dass die Dinge nicht immer klar schwarz und weiß sind.

Etwas schade ist, dass die Handlung schnell durchschaut ist, während die Protagonisten länger dafür brauchen, zu denselben Erkenntnissen zu gelangen. Das nimmt dem Roman ein wenig den Antrieb. Auf der anderen Seite ist es schön, der Neuinterpretation zu folgen und zu entdecken, was die Autorin aus dem Märchen noch machen wird.

Sweetly ist wie Sisters Red ein in sich geschlossener Roman und kann völlig unabhängig von den weiteren Titeln in dieser Nacherzählungsreihe gelesen werden. Im Verlaufe von Sweetly zeigt sich aber, dass die Bücher zumindest einen gemeinsamen Nenner haben, der sie möglicherweise alle verbindet und ein Gesamtbild zeichnen könnte. Ob dem so ist und wie stark die Verbindung sein wird, dürfte sich sicherlich mit dem dritten Roman Fathomless zeigen.

The Tales of Beedle the Bard von J.K. RowlingMärchen gibt es schon seit Urzeiten in jeder Kultur. Auch die Zauberer und Hexen aus dem Harry-Potter-Universum haben ihre eigenen Märchen, die uns Muggles nun ebenfalls vorgestellt werden. Von springenden Zauberkesseln, über spitzfindige Hexen bis hin zum Zauberbrunnen begegnet der Leser allem, was das junge Herz begehrt.

– There was once a kindly old wizard who used his magic generously and wisely for the benefit of his neighbours. Rather than reveal the true source of his power, he pretended that his potions, charms and antidotes sprang ready-made from the little cauldron he called his lucky cooking pot. From miles around people came to him with their troubles, and the wizard was pleased to give his pot a stir and put things right. –
The Wizard and the Hopping Pot

LeserInnen der Harry Potter-Buchreihe wird The Tales of Beedle the Bard (Die Märchen von Beedle dem Barden) ein Begriff sein. Im siebten und letzten Band von Harry Potter, The Deathly Hallows (Die Heiligtümer des Todes), spielt eines der Märchen von Beedle dem Barden eine wichtige Rolle bei der Lüftung eines Geheimnisses rund um Schuldirektor Albus Dumbledore und ein paar sehr mächtiger, verschollener Gegenstände. Für sich betrachtet ist diese kleine Märchensammlung für heranwachsende Zauberer und Hexen aber gänzlich unabhängig von Harry Potter und seinen Abenteuern.

Man könnte The Tales of Beedle the Bard als magische Übersetzung der Märchen der Gebrüder Grimm und anderer betrachten. Was für uns das Rotkäppchen ist, ist für einen Ron Weasley vielleicht Babbity Rabbity.
Zwar werden hier insgesamt keine uns bekannten Märchen neu erzählt, doch sie erinnern gelegentlich daran und sorgen dadurch für ein vertrautes Leseempfinden. Da gibt es kurze Momente, in denen schießen einem bei Märchen wie The Hairy Heart Namen wie Dorian Gray (zugegeben, das ist kein klassisches Märchen) durch den Kopf, woanders fühlt man sich subtil an den Struwwelpeter oder Der süße Brei erinnert. Obwohl es oft nur wenige Kleinigkeiten sind, die diese Assoziationen auslösen, vermittelt das einen Bezug zu unserer vertrauten Welt und lässt die Märchen von Beedle greifbarer werden.

Wie es für Märchen üblich ist, sind The Tales of Beedle the Bard sprachlich sehr schlicht gehalten, auch für Leser mit wenig englischsprachiger Leseerfahrung kein Problem.  Es handelt sich natürlich auch um kurze Geschichten, die mit einer moralischen Botschaft aufwarten, ganz so, wie wir es von Märchen kennen. Autorin J.K. Rowling kopiert dabei das Wesen traditioneller Märchen sehr gut und baut auch solche Szenen ein, die man heute oft als nicht kindgerecht, brutal und gewaltverherrlichend bezeichnet. Sicherlich ist dies auch als Seitenhieb auf Kritiker alter Märchen gedacht, die der Meinung sind, abgeschnittene Daumen hätten in solchen Geschichten, seien sie auch Teil unseres literarischen Erbes, nichts zu suchen. Deutlich belegt wird dieser Standpunkt in einem Auszug über eine fiktive Autorin, welche die Märchen von Beedle neu erzählt hat – harmlos, zuckersüß, flauschig, kitschig rosa bis babyblau … und unerträglich zu lesen.

Da wir Muggles als nicht-Zauberer und nicht-Hexen aber auch viele erwähnte Namen und Hintergründe nicht ohne weiteres verstehen und die Moral der Geschichte dadurch verloren zu gehen droht, liefert diese Märchensammlung im Anschluss an die jeweilige Geschichte auch gleich eine Interpretation mit, die in Form von Albus Dumbledores persönlichen Notizen dazu daherkommt.
Die Autorin J.K. Rowling tritt in diesem Buch als eine Art Herausgeberin oder Muggle-Korrespondentin auf, die sich nur in Fußnoten zur weiteren Erläuterung einzelner Begriffe zu Wort meldet. So erzeugt sie den Eindruck, diese Sammlung sei von drei Personen zusammengetragen worden. Beedle der Barde, als eigentlicher Erzähler, Albus Dumbledore, als Analyst der Märchen und Rowling selbst, als Vermittlerin zwischen Zauberern & Hexen und uns den Muggle-Lesern.

Wer sich also gerne noch einmal als Kind fühlen und in die Welt der Märchen eintauchen möchte, dem bietet The Tales of Beedle the Bard die Gelegenheit dazu. Ob man solche Märchen nun seinen Kindern ebenfalls vorlesen möchte oder nicht, sei dabei jedem selbst überlassen, genug Anreiz bietet diese Märchensammlung für beide Gruppen, und Alpträume dürften sie keinem bescheren.

Ein Wort zur Aufmachung:
Bei der hier besprochenen Ausgabe handelt es sich um eine limitierte Sonderausgabe, die sehr aufwendig mit Ledereinband, Leseband, Samtbeschichtung und Buchschatulle in Goldschnitt-Manier erstellt wurde. Innenliegend findet sich nicht nur das eigentliche Märchenbuch, mit aus Metall gefertigten Fresken, die Elemente aus den Märchen zeigen, sondern auch eine Sammlung von ca. DIN A4 großen Skizzen der Illustrationen zum Buch. Der Text selbst spielt, dunkelblau auf weiß, mit verschiedenen Typografien, je nachdem, welcher der “drei” Autoren gerade das Wort hat. Die einfachen von Hand gezeichneten Illustrationen von J.K. Rowling zieren zusätzlich die Geschichten und runden das Gesamtbild eines Märchenbuches ab.
Die unten stehenden Angaben und das eingangs abgebildete Cover dagegen beziehen sich auf die handelsübliche Ausgabe, denn die limitierte Edition ist nur noch schwer und teuer zu bekommen. Da es sich aber eindeutig lohnt, die Sonderedition wenigstens einmal gesehen zu haben, hier ein paar bildhafte Eindrücke dazu:
The Tales of Beedle the Bard: Collector's Edition (1)

The Tales of Beedle the Bard: Collector's Edition (2)

A Test of Mettle von Kevin HearneWährend Atticus in Asgard das Gefüge der nordischen Götter ins Wanken bringt, bleibt sein Lehrling Granuaile in Arizona zurück, wo sie der Erdelementaren Sonora helfen will, ein ökologisches Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Unvorhergesehen tauchen jedoch die Tuatha Dé Danann auf und unterziehen Granuaile einem Test, der leicht tödlich ausgehen könnte.

– Already I am made wholly new. Though I probably do not look any different, I feel as if the world must see me in a new way now that I can see the world as it truly is. –

A Test of Mettle ist eine Kurzgeschichte aus dem Zyklus The Iron Druid Chronicles (Die Chroniken des eisernen Druiden). Den Text kann man sich kostenlos auf der Website des Autors herunterladen. Zu beachten wäre hierbei lediglich, dass die Ereignisse zeitgleich zu Hammered (dem dritten Band der Buchreihe) stattfinden, auch wenn sich die enthaltenen Spoiler in Grenzen halten. Um die kleinen Details von A Test of Mettle wirklich genießen zu können, sollte man die Reihenfolge aber beibehalten und dies als Band 3.1 betrachten.

Die Kurzgeschichte kommt anders daher als die Romane. Nicht nur erleben wir diesmal die Ereignisse aus Sicht der Lehrlings-Druidin Granuaile, Kevin Hearne schafft es auch, dieser bisher sporadisch auftauchenden Figur einen eigenen Charakter einzuhauchen. Auf den Humor muss der Leser dabei leider erst einmal verzichten, denn obwohl Oberon mit von der Partie ist, erlebt man von seinen sonst so unterhaltsamen Gedanken nichts. Es gibt hier auch keine flotten Actionszenen oder schlagfertigen Sprüche. Die Geschichte ist anders als Atticus’ Abenteuer, aber nicht schlechter.
A Test of Mettle punktet mit Einsichten in Granuailes Vergangenheit, ihre Reaktionen auf ihre neuen Aufgaben als angehende Druidin und auch einen möglichen Grund für ihren Entschluss, dem Weg des Druiden zu folgen. Was dem Leser hier präsentiert wird, ist eine zunächst unscheinbare Erzählung, die eine tiefgreifende Facette von Granuaile offenbart, die sonst neben Atticus bisher immer eher ein blasser Sidekick war. Was der Autor ihr in diesen wenigen Seiten an Persönlichkeit verleiht, könnte den Grundstein für eine spannende Nebenhandlung kommender Bücher der Reihe darstellen, und man darf gespannt sein, welche Konsequenzen dieser Einblick in Granuailes Leben haben wird.

The Thief von Megan Whalen TurnerNur vereint könnten sich die rivalisierenden Staaten Sounis, Eddis und Attolia der Eroberung durch das Mederreich widersetzen – wenn es nach dem Magus des Königs von Sounis geht, unter Führung seines Herrn, dem er mithilfe eines sagenumwobenen Steins die Herrschaft über Eddis sichern will. Um das Artefakt aus seinem Versteck im feindlichen Attolia zu holen, benötigt er einen geschickten Einbrecher. Der Meisterdieb Gen, den seine Prahlerei mit einer besonders dreisten Untat ins Gefängnis gebracht hat, kommt ihm da gerade recht. Mit einigen Begleitern brechen die beiden nach Attolia auf. Doch unter den Gefährten lauert ein Verräter, und auch Götter, an die niemand mehr so recht glauben will, nehmen Einfluss auf den Ausgang des Abenteuers…

-It’s a funny thing that the new gods have been worshiped in Sounis since the invaders came, but when people need a truly satisfying curse, they call on the old gods.-
Chapter Two

Ein All-Age-Titel, der noch dazu nach allzu klassischer Questenfantasy klingt? Nichts Besonderes, so möchte man meinen, und würde damit dem ersten Band von Megan Whalen Turners Attolia-Reihe bitter unrecht tun.

Allerdings lässt sich ein Teil dessen, was den Reiz des klug aufgebauten Romans ausmacht, kaum ohne größere Spoiler benennen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass der Ich-Erzähler Gen – ein Trickster, wie er im Buche steht – zwar nicht eigentlich unzuverlässig berichtet, aber doch eine Reihe von Äußerungen tätigt, die den Leser in die Irre führen und erst in der Rückschau ihre eigentliche Bedeutung entfalten. Wer gern zwischen den Zeilen liest und aufmerksam Wortwahl und subtile Hinweise verfolgt, wird aber schon früh bemerken, dass nicht alles ist, wie es zu sein scheint.

Ohnehin ist die Bereitschaft, sich auf eine ruhig erzählte, eher durch Feinheiten als durch grelle Effekte wirkende Geschichte einzulassen, eine Grundvoraussetzung, um The Thief (Der Dieb) zu genießen, denn viel Spektakuläres geschieht zunächst einmal nicht. Anders als die meisten Fantasyhelden begegnen die Gefährten des Magus (der noch nicht einmal über Zauberkräfte verfügt) nämlich nicht hinter jeder Wegbiegung einem Ungeheuer, das nur auf sie gewartet zu haben scheint, sondern schlagen sich mit den ganz profanen Tücken des Reisealltags und Spannungen innerhalb der Gruppe herum. Die einzelnen Figuren sind dabei sehr differenziert und menschlich gezeichnet, so dass man ihre Interaktionen gespannt verfolgt, ohne aufregende Gefahren zu vermissen. Dabei lohnt es sich, auch auf Details zu achten: Vieles von dem, was zwischen geruhsamen Mahlzeiten, Reit- und Fechtstunden, Kletterpartien und Abenden am Lagerfeuer scheinbar nur am Rande Erwähnung findet, erweist sich im weiteren Verlauf der Serie (und durchaus nicht allein in diesem Buch) noch als wichtig.

Ganz nebenbei taucht man auch in die liebevoll ausgearbeitete mediterrane Welt ein, deren Städte, Bauerndörfer, Gebirge und Olivenhaine einem bald lebendig vor Augen stehen und mit der ein oder anderen Anspielung auf das reale Griechenland glänzen (so findet man etwa in der Hauptstadt von Sounis Elemente des antiken Athen mit dem Löwentor von Mykene kombiniert). Das Konzept einer an das Altertum angelehnten polytheistischen Welt, die sich gleichwohl bis in die frühe Neuzeit weiterentwickeln durfte (so gibt es z.B. Feuerwaffen), fasziniert auch in Abwesenheit klassischer Fantasyelemente, für deren Fehlen zudem die äußerst authentisch wirkenden Göttersagen entschädigen, die immer wieder eingeflochten werden. Die Gefahr, sich im Zuge dieser Reisebeschreibung nach einem Urlaub am Mittelmeer zu sehnen, ist für Leser mit entsprechenden Vorlieben durchaus gegeben.

Wie weit The Thief dennoch von bloßer Wohlfühllektüre entfernt ist, wird aber spätestens im letzten Drittel der Geschichte deutlich, wenn schlagartig Leid und Tod, vor denen auch liebgewonnene Charaktere nicht gefeit sind, in das bis dahin eher harmlose Abenteuer einbrechen und moralische Fragen aufgeworfen werden, auf die es keine eindeutigen Antworten geben kann. Wenn im Zuge dessen selbst Gen, der sich bisher erfolgreich durchs Leben gemogelt hat, erkennen muss, dass List und spöttische Distanz in manchen Situationen weder weiterhelfen noch überhaupt wünschenswert sind, wirkt diese plötzliche Wahrhaftigkeit wie ein Fanal für die folgenden Bände, in denen – so viel sei hier schon vorab verraten – mit einigen der Protagonisten auch die Themen erwachsener werden.

So sollte man The Thief vielleicht vor allem als charmante erste Begegnung mit einer Welt und einem Figurenensemble lesen, die weit mehr zu bieten haben, als sie in diesem gefälligen Jugendabenteuer zeigen können.

The Titan's Curse von Rick RiordanBei dem Auftrag, ein Geschwisterpaar von Halbgöttern sicher ins Camp zu bringen, wird Annabeth von einem uralten Feind entführt, der mit Kronos im Bunde steht. Doch das ist nicht Percys einziges Problem. Neben Annabeth verschwindet auch die Göttin Artemis, die den Olymp als einzige überzeugen kann, sich gegen die drohende Gefahr durch die Titanen zu wappnen. Percy, Halbgöttin Thalia, Satyr Grover und zwei von Artemis’ Jägerinnen machen sich auf den Weg, um Annabeth und Artemis zu finden und zu befreien. Doch die Gefahren sind größer denn je und Verluste scheinen unvermeidlich.

– Annabeth was kneeling under the weight of a dark mass that looked like a pile of boulders. She was too tired even to cry out. Her legs trembled. Any second, I knew she would run out of strength and the cavern ceiling would collapse on top of her. –
Everybody hates me but the horse, S. 106

Im dritten Band von Percy Jackson wird es allmählich ernst. The Titan’s Curse (Der Fluch des Titanen) startet düsterer als seine beiden Vorgänger The Lightning Thief (Diebe im Olymp) und The Sea of Monsters (Im Bann des Zyklopen), denn die Bedrohung durch die Monster und den Titan Kronos rückt immer näher. Längst vergessene Kreaturen erwachen aus ihrem Schlaf und bedrohen die Herrschaft der olympischen Götter. Die Stimmung ist sowohl unter den Göttern, als auch unter den Halbgöttern angespannt. Obwohl sich die Handlung in erster Linie um die Rettung von Annabeth und Artemis dreht, baut Riordan im vorliegenden Roman den roten Faden der Buchreihe deutlich weiter aus, wirft gleich mehrere Geheimnisse in den Raum, die auch zum Teil zunächst ungelöst bleiben. All das trägt dazu bei, dass der dritte Band an Spannung gewinnt.

Wie auch die beiden Vorgänger kommt The Titan’s Curse aber zunächst nur langsam in Fahrt und auch die ersten Verluste vermögen keine großen Emotionen auszulösen. Doch gerade als man davon überzeugt ist, das Buch präsentiere sich ähnlich distanziert wie seine Vorgänger, wird man eines besseren belehrt.
Die Götter, die zunächst weiterhin unnahbar wirken und sich bisher nicht gerade als Eltern des Jahres gezeigt haben, treten zum Ende hin endlich einmal stärker in Erscheinung. Sie gewinnen merklich an Substanz und Persönlichkeit und man merkt zum ersten Mal, dass sie tatsächlich die Eltern unserer Helden sind. War es anfangs noch schwierig, emotionale Brücken herzustellen oder gar Sympathien für eine der Gottheiten zu entwickeln, werden einem im Verlauf von The Titan’s Curse gleich mehrere zur Auswahl geboten.

Einen besonders charmanten Auftritt geben sich die Göttin der Jagd, Artemis, und ihre ewig Kind bleibenden Jägerinnen, die mit Frauenpower – oder in diesem Fall Mädchenpower – nicht nur den Monstern das Fürchten lehren. Das selbstbewusste Auftreten der Jägerinnen, deren Gruppe ausschließlich und absichtlich nur aus Mädchen besteht, sorgt auch immer wieder für Momente zum Schmunzeln. Als Jägerinnen im Dienste von Artemis haben sie alle der romantischen Liebe abgeschworen und tragen ihre emanzipierte Denkweise gerne und ausgiebig zur Schau. Das sorgt für unterhaltsame Gefechte zwischen ihnen und der männlichen Belegschaft, aber auch mit den Töchtern der Aphrodite lassen sie gerne einmal die Fetzen fliegen. Es ist einfach amüsant, Percys sarkastischen Gedanken zu folgen, wenn die Jägerinnen ihm einmal mehr unter die Nase reiben, dass er als Junge nun wirklich nicht das große Los gezogen hat. Trotzdem artet es nie in ein Frauen-vs.-Männer-Bashing aus, sondern wird zu einem gut ausbalancierten Geflecht weiblicher und männlicher Stärke, die gleichberechtigt miteinander funktionieren.
In diesem Zusammenhang lernt der Leser auch Artemis’ Zwillingsbruder, den Gott Apollo, kennen. Apollo ist das ganze Gegenteil seiner Schwester: großspurig mit einem Ego so groß wie die Welt, ein Charmeur, der die gewählte Enthaltsamkeit seiner Schwester so gar nicht teilt und auch gerne mal einen Flirt mit einer der Jägerinnen versucht. Daneben gibt er mittelmäßige Gedichte zum Besten, fährt einen buchstäblich heißen Wagen und wirkt wie ein Teenager mit zuviel Energie.
The Titan’s Curse lebt daher vor allem durch die gegensätzlichen Charaktere, die sich hier gegenübertreten und für viel Wirbel sorgen. Mit diesen und anderen neu eingeführten Figuren bringt Riordan außerdem gänzlich neue Möglichkeiten und Zweifel beim Leser auf den Plan. Keiner ist so schlicht, wie er im ersten Moment wirkt.

Ein ganz großes Plus des Buches ist die Weiterentwicklung der Mythologie. Wurde in den vorigen Bänden hauptsächlich bereits Bekanntes neu nacherzählt und im Prinzip auf gleiche Weise erlebt, so bewegt sich Riordan diesmal erfreulicherweise aus den Schablonen der Geschichte heraus und erzählt etwas neues mit alten Bekannten. Vorbei das Zähneknirschen, wenn man sich als Leser fragte, ob so ein Monster nicht aus seiner Vergangenheit gelernt haben müsste.

Zusammengefasst lässt sich sagen, The Titan’s Curse stellt den bisher stärksten Band dieser Buchreihe dar. Es lässt nichts an Humor fehlen, gewinnt aber zusätzlich an Spannung, Innovation und Charakterzeichnung – obwohl die Handlung insgesamt ernster ist als in den Vorgängern. Wer sich also von The Lightning Thief und The Sea of Monsters schon gut unterhalten gefühlt hat, der wird mit The Titan’s Curse noch zufriedener sein.

Toad Words von T. KingfisherIn sieben Kurzgeschichten, einer Novella und drei Gedichten begleitet man junge Mädchen in finstere Wälder und bezeugt die Auswirkungen schrecklicher Flüche, kurzum, man befindet sich auf dem vertrauten Gebiet der Märchennacherzählungen. Doch wer mit Altbekanntem rechnet, wird feststellen, dass man den Worten der Kröte vielleicht nicht ganz so viel Vertrauen schenken sollte wie denen eines Frosches.

-It has come to my attention
that people like me
are generally not welcome in fairy tales.-

Es gibt viele Gründe für die Wahl eines klangvollen Pseudonyms – bei T. Kingfisher, keiner anderen als der famosen Ursula Vernon, war es die Notwendigkeit, sich mit ihren Geschichten für Erwachsene von ihren weitaus erfolgreicheren Kinderbüchern abzugrenzen. Das kann man durchaus als Warnung verstehen: Kingfishers Geschichten sprühen zwar vor dem zu erwartenden Humor, scheuen aber nicht davor zurück, einen Blick auf die Düsternis hinter den Kulissen bekannter Märchen zu werfen.
Das erste Gedicht der Sammlung, It Has Come To My Attention, dient als Quasi-Einleitung: fehlender “Märchenglauben” führt Kingfisher dazu, an Märchen ganz andere Fragen zu stellen als die üblichen, und diese Fragen sind es, die ihr einen neuen Blickwinkel verschaffen und es ihr gestatten, im Subgenre der Märchen-Neuinterpretation knapp 35 Jahre nach Angela Carters The Bloody Chamber noch frische Akzente zu setzen.
Dabei kommt ihr zugute, dass sie häufig popkulturelle Ausprägungen der Märchen mit einbezieht – also Arielle statt Andersen, wie etwa im herrlich bildreichen The Sea Witch Sets The Record Straight. Meerhexe Ursula klärt nicht nur darüber auf, wie es wirklich war mit der kleinen Meerjungfrau, sondern liefert auch ein komplettes Unterwasser-Worldbuilding in weniger Text als ein Disney-Song.

Viele der Erzählungen sind derartige Rückblicke oder Bestandsaufnahmen, aus denen sich auf kleinstem Raum eine Geschichte entfaltet. Einzigartig ist dabei immer die Perspektive: Es sind ausschließlich Frauen, die mit ihren Flüchen, Schicksalsschlägen und der falschen Fremdwahrnehmung auf bodenständige, realistische Weise umgehen, so gut sie es vermögen. Sie sind stark, obwohl sie häufig keine klassischen Heldenrollen einnehmen, sondern eher häuslich veranlagt sind – und vor allem ihre Ruhe wollen.
Die Geschichten sind witzig und herzerwärmend – voller eloquenter Hexen, Amphibienretterinnen und ungeliebten Töchtern, die ihr eigenes Glück suchen – und manchmal brechen sie einem das Herz: das robuste Rotkäppchen erfährt etwas über Stalker, die sich als nette Kerle präsentieren (und nicht als Wölfe, wie in der Urform des Märchens), Peter Pan und die Schneekönigin wetteifern in glitzernd kalter Grausamkeit, und das Biest aus die, pardon, der Schöne und das Ungeheuer entdeckt eine schlimmere Komponente seines Fluches als das Monsterdasein.

Bluebeards Wife lässt Leser und Leserinnen mit seiner Erkundung des Monströsen und schwieriger Familienverhältnisse moralisch etwas durchgerüttelt zurück, und Boar & Apples, der längste Text der Sammlung, ist eine Schneewittchen-Interpretation, die mit Neil Gaimans brillantem Snow Glass Apples mithalten kann, auch wenn sie einen völlig anderen Weg beschreitet und den Zwergen deutlich mehr Haare verpasst als das Original.
Die einzige Geschichte, die ein wenig abfällt, ist Night, vor allem, weil sie nicht ganz zum ansonsten überall präsenten Märchenmotiv passt – mit zwei Seiten ist sie aber auch nur ein kurzes Intermezzo.

Alle Texte aus Toad Words sind, mit Ausnahme von Boar & Apples, auch auf dem Blog der Autorin erschienen und können dort nach wie vor gelesen werden. Man kann allerdings nicht viel falsch machen, wenn man sich die komplette Sammlung dieser geerdeten und trotzdem zauberhaften Märchen zulegt, die auf gewisse Weise mit ihrem unmittelbaren und pragmatischen Magieverständnis nicht ganz weit entfernt von den ursprünglichen Volksmärchen wurzeln.

Tor der Verwandlung von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

– Die ezzarischen Propheten sagen, dass die Götter ihre Schlachten in den Seelen der Menschen austragen und dass sie das Schlachtfeld gemäß ihrem Willen neu gestalten, wenn es ihnen nicht gefällt. –
1

Zu Das Tor der Verwandlung liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Transformation von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid  zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

-Ezzarian prophets say that the gods fight their battles within the souls of men and that if the deities mislike the battleground, they reshape it according to their will.-
Chapter 1

Dieses ungewöhnliche Erstlingswerk hat viele Stärken, eine davon ist das an klassische Abenteuerromane erinnernde Wüsten-Setting, in dem das Geschehen angesiedelt ist und das Carol Berg auch gut zu nutzen weiß. Jenseits von allen Elfen-und-Zwerge-Stereotypen wird zwar nicht bis ins Kleinste ausgearbeitet, aber stimmig und überzeugend  eine Wüstenkultur dargestellt; nebst dieser alt-orientalisch angehauchten Umgebung spielt noch ein keltisch anmutendes Volk eine Rolle, das aber so eigenständig entwickelt ist, daß die Ursprünge am ehesten noch in der Namensgebung und einer magielastigen Lebenswelt zu finden sind.

Die Darstellung von Magie folgt in Transformation (Das Tor der Verwandlung) ohnehin einem eigenen Konzept – magische Handlungen sind zweckgebunden und streng reglementiert und definieren sich aus kulturellen und mythologischen Mustern (etwa die Waffen des ‘Wächters’, der Seelen vor Dämonen schützt: Spiegel und Silbermesser).
Diese Magie ist Kern der Handlung und folgt damit keinen ausgetretenen Pfaden – der Sklave entpuppt sich weder als heimlicher König noch als formbarer Held,  sondern ist vielmehr längst nicht mehr der Jüngste und benimmt sich auch dementsprechend sklavenhaft, was dem Leser zu Beginn einen sehr desillusionierten Hauptcharakter beschert, der sich mit trockenem Humor mehr schlecht als recht über Wasser hält. Die Geschichte gewinnt aber schnell an Dynamik und Spannung und schaukelt sich zu einem furiosen Finale auf, das von einem stimmigen Schluß abgerundet wird.

Der Protagonist berichtet seine Abenteuer als Ich-Erzähler , und diese Technik beherrscht Carol Berg so gut, daß selbst eingefleischte Verächter dieses Stils hier zugreifen dürfen. Seyonne erweist sich als vielseitig genug, um Einseitigkeit zu vermeiden. Man erlebt die Ereignisse aus erster Hand, ohne daß die üblichen Schwächen des Ich-Erzählers wie unglaubwürdiger Spannungsaufbau ins Gewicht fallen würden. Die Charaktere sind extrem plastisch, die Entwicklungen, die sie durchmachen, glaubhaft – in der Wandlung der Hauptcharaktere liegt die große Stärke der Autorin.
Bleibt nur zu sagen, daß der Band zwar als erster Teil einer  Trilogie fungiert, aber in sich abgeschlossen ist und duchaus als Stand-Alone gelesen werden kann.

Trapped von Kevin HearneEigentlich sind Atticus’ Ansprüche recht niedrig, möchte er doch nichts weiter als Granuailes Training beenden und ihre Tattoos auftragen, die sie zu einem vollwertigen Druiden machen und ihr die Fähigkeiten verleihen, die sie zum Überleben braucht. Doch bevor Atticus sie an die Erde binden kann, platzt Donnergott Perun in die Szene, dicht gefolgt von Loki. Das russische Götterreich wurde völlig niedergebrannt von dem nordischen Gott der Lügen, der sich zu früh aus seinem Gefängnis befreit hat. Steht Ragnarök nun ein ganzes Jahr früher bevor als gedacht? Und wird es Atticus gelingen, seine Schülerin an die Erde zu binden, bevor er, sie oder beide getötet werden?

– When in doubt, blame the dark elves. –

Im nunmehr fünften Teil der Iron Druid Chronicles wird Atticus von dem Chaos eingeholt, welches er zwölf Jahre zuvor in Asgard verursacht hat. Loki wurde zu früh befreit, Donnergott Perun, seiner Heimat beraubt, sucht Unterschlupf im Reich der keltischen Götter, wo er nichts anbrennen und seinen rustikalen Charme spielen lässt. Irgendwo dort befindet sich vermutlich auch ein Verräter, der oder die gleich mal Attentäter in Form von u.a. Dunkelelfen auf Atticus und Granuaile ansetzt. Dunkelelfen sind nicht nur grundsätzlich zu beschuldigen, sondern auch ernst zu nehmende Gegner, wie Atticus wenig begeistert feststellen muss. Zwerge rasieren sich nebenbei auch noch die Bärte ab und die Vampire sind ebenfalls nicht fern. Wurden die Mörder-Clowns schon erwähnt?

Eines kann man über Trapped gleich sagen: es passiert verdammt viel!

Nicht nur, dass sich nordische, keltische, griechische und römische Mythologie und ihre verschiedenen Götter die Klinke in die Hand geben, es tut sich auch einiges im Bereich Charakterentwicklung. Es gibt tiefe Einblicke in Atticus früheres Leben, Granuaile tritt zum ersten Mal als Druidin auf (und was für eine!) und das keltische Reich Tír na nÓg wird deutlicher in den Mittelpunkt gerückt. Sehr gefallen dürfte auch, dass in Trapped verschiedene lose Handlungsstränge aus den vorherigen Bänden eine würdige Zusammenführung finden. Trotz der vielen Ereignisse in diesem Band hat man dabei erfreulicherweise nie das Gefühl, der Autor überstürze etwas oder arbeite eine Art Einkaufsliste ab. Die Geschichte ist wieder sehr gut gelungen und die gewohnte Portion Humor ist freilich auch mit dabei.

Trapped bietet letztlich alles, was sich der eingefleischte Fan dieser Serie nur wünschen kann. Die Handlung ist stimmungsvoll, glaubhaft, zum Brüllen komisch, ein bisschen sexy, ein bisschen romantisch und außerdem spannend bis zum letzten Moment. Wie der Appetit auf Popcorn außerdem brenzlige Situationen auflösen kann, erfährt man ebenfalls in diesem Band.
Für einen kurzen Moment Panik bei der Leserschaft sorgt eventuell das unerwartet offene Ende, welches unseren Druiden in einer Situation verlässt, die man nur als haarsträubend bezeichnen kann. Manchmal fragt man sich schon, wie viel Steigerung geht da eigentlich noch?
Die Empfehlung zum Schluss lautet also: Legt euch Hunted rechtzeitig als Reserve auf den Bücherstapel!

Sonstiges:
Es ist nicht unbedingt nötig, aber es lohnt sich doch, vor Trapped die Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow gelesen zu haben. Trapped nimmt häufiger Bezug auf die dortigen Ereignisse und fasst sie im Roman nur sehr kurz angebunden zusammen.

Traveller von Richard AdamsNachdem das Pferd Traveller eine schöne Zeit als Fohlen erlebt hat, hört es immer wieder, daß viele Pferde in den Krieg ziehen, und bald auch ist er selbst unterwegs zu diesem seltsamen Ort, den unbedingt alle erreichen wollten. Nach einigen Besitzerwechseln und ersten schrecklichen Kriegserlebnissen geht Traveller endlich in den Besitz seines richtigen “Meisters”, General Robert E. Lee, über und dient ihm treu durch den ganzen amerikanischen Bürgerkrieg hindurch.
Nach dem Ende des Krieges hat er ein schönes Leben im Ruhestand und erzählt dem teilweise im Stall residierenden Kater Tom Beißer seine Erinnerungen an die schreckliche Zeit …

-Die blauen Männer! Die blauen Männer! Sie sind hinter uns gelangt, sie sind da drin unter den dichten Bäumen.-
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Ein Kriegsveteran, der seine Erinnerungen teilen will, gibt sie wohl immer auf ganz subjektive, eigene Art und Weise preis, und so erzählt in Traveller Robert E. Lees gleichnamiges Pferd auch dem Stallkater Stück für Stück seine ganze Lebensgeschichte, berichtet vom Krieg mit dem Verständnis eines Pferdes. Allerdings ist Traveller – auch für ein Pferd, wie man erfährt – eher simpel gestrickt, aber eine durch und durch gute Seele; und er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ist das ein wunderbar lebensnaher Stil – im Original war es wohl tiefster Südstaatenakzent, und die Übersetzung ist ein einfach gehaltener Soziolekt, der ganz hervorragend zu Travellers Charakter paßt.

Zusammen mit Traveller und dessen Herrn, Marse Robert, der für das Pferd das Gute in der Welt repräsentiert und damit sehr liebevoll dargestellt ist, erlebt der Leser den amerikanischen Bürgerkrieg auf der Südstaatenseite. Kaum nötig zu erwähnen, daß sämtliche Details minutiös exakt recherchiert wurden, bei der Fülle an Informationen und Umsetzungen, die zu diesem Thema schon zu haben sind. Wer nun ein blutiges, für Mensch und Tier leidvolles Gemetzel erwartet, liegt nur teilweise richtig. Aus Travellers etwas eingeschränkter Perspektive rauscht das Geschehen regelrecht am Leser vorbei – teilweise auch ohne große Abwechslung mit seitenlangen Wanderungen durch den Matsch und immer wieder aufflackernden Scharmützeln. Die großen Ereignisse werden eher beiläufig berichtet – Traveller versteht die Menschen und ihren Tötungswahn ohnehin nicht – und nur an wenigen Stellen rücken einzelne Grausamkeiten in den Blickpunkt. Allgegenwärtig sind allerdings das langsame Ausmergeln und die Strapazen während des langen Feldzuges.
Das Geschehen ist in viele chronologisch ablaufende Episoden zerpflückt, die Traveller nach und nach Tom Beißer erzählt, und läßt sich daher auch recht gut in Häppchen lesen. Zwischendurch stehen hin und wieder neutrale Passagen, die den genauen Ablauf des Krieges zum Inhalt haben. Und die hat man als Leser – sofern man nicht ohnehin mit der Materie vertraut ist – auch bitter nötig: Traveller, einfach gestrickt und das Pferd, das er nun einmal ist, leidet nämlich an einer katastrophalen Fehleinschätzung der Ereignisse und ist damit ein unzuverlässiger Erzähler, wie er im Buche steht.

Durch die einzelnen Häppchen ist Traveller nicht so sehr für eine spannende, durchgehende Handlung ausgelegt – es handelt sich eher um einzelne Episoden zwischen Mensch und Pferd, erzählt aus einer in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichen Perspektive. Aber aus dem Flickwerk ergibt sich nach und nach ein großes Bild, eine Pferdebiographie, eine halbe Menschenbiographie aus einem neuen Blickwinkel, eine andere Geschichte des Bürgerkriegs und eine enthüllende Betrachtung des Menschbleibens in unmenschlichen Zuständen.
Mythische Aspekte und ein drängendes Tempo fehlen vielleicht in dieser Tierfantasy, Richard Adams’ gewohnte tiefgehende Wärme ist der Geschichte aber erhalten geblieben, und spricht besonders auch aus dem versöhnlichen Ende des Romans.

Tricked von Kevin HearneAtticus’ Auftritt in Asgaard hat dem Druiden mehr als genug Feinde gemacht und ihm und Granuaile bleibt nichts anderes übrig, als unter neuer Identität ein anderes Leben anzufangen. Im Navajo Reservat scheint die nötige Ruhe gegeben, bis Coyote, trickreicher Gott der Navajos, einen Gefallen bei Atticus einfordert. Kaum angekommen sehen sich Atticus, Granuaile und Wolfshund Oberon einer weiteren schlecht gelaunten Gottheit sowie einem Duo von Gestaltwandlern gegenüber, und ein neuer Vampirchef gibt sich ebenfalls die Ehre. Da bleibt nicht viel Zeit für Ruhe und Glückseligkeit.

– The best trick I ever pulled off was watching myself die. –
Chapter 1

Man muss diese Buchreihe aus vielen verschiedenen Gründen einfach lieben. Der Humor, die ungezwungene Leichtigkeit, die rasante Action und selbstverständlich die unvergleichlichen Lacher. Oberons Obsession mit Speck erreicht einen neuen Höhenpunkt, als ihm die Geschichte von Francis Bacon (BACON!) erzählt wird, und die Morrigan lässt keine Gelegenheit ungenutzt, um die Leserschaft beschämt den Kopf schütteln zu lassen.
Positiv hervorzuheben ist an der Stelle auch, dass wir mehr über Atticus’ Vergangenheit erfahren, wie er nach Amerika kam, wie er mit dem Mythos von Big Foot in Verbindung steht und vor allem gibt es nun eine erste nicht abwegige Erklärung dafür, weshalb Atticus selten in Erinnerungen schwelgt oder generell nur wenig in der Vergangenheit lebt und sich lieber dem Zeitgeist anpasst. Hat man 2.000 Jahre erlebt und hinter sich, was Atticus bereits an Erfahrungen gesammelt hat, so ist es vermutlich nicht unrealistisch ein Meister der bewussten Verdrängung zu sein, um sich selbst zu schützen. Man stelle sich all die Verluste im Verlaufe eines so langen Lebens vor!

Doch zurück zum Kern! In Tricked dreht sich die Haupthandlung diesmal hauptsächlich um die indianische Mythologie, die mit interessanten Motiven aufwartet, ein paar neue Charaktere einführt und Gott Coyote in Bestform zeigt.
Nach den verheerenden Zuständen, die Druide Atticus mit seinem Eindringen in Asgaard in Hammered hinterlassen hat, schlängelt er sich nun zunächst etwas zu geschmeidig aus der Misere, indem er mit Hilfe des trickreichen Coyote seinen Tod vortäuscht, und niemand stellt das infrage. Während einem an dieser Stelle erste Zweifel an der Vorgehensweise des Autors kommen, lauert hinter der nächsten Ecke aber schon wieder der Preis für die viel zu leichte Lösung. Denn Coyotes Hilfe kommt den Druiden teurer zu stehen, als dieser erwartet hatte. Im Reservat, wo Atticus lediglich eine Goldader verschieben sollte, tummeln sich Gestaltwandler, mit denen Coyote sich lieber nicht selbst befassen will, und die blutige Drecksarbeit daher Atticus aufzwingt. Angefacht durch Hel, nordische Göttin der Unterwelt, die es sich im gestohlenen Körper einer toten alten Lady bequem gemacht hat, landet da schonmal der ein oder andere knackige Druidenhappen schnell im Magen einer dieser dämonischen Kreaturen. Damit noch nicht genug hat Atticus’ alter Vampirfreund Leif nach seiner annähernden Zerstörung durch Thors Hammer ganz eigene Probleme, die er ebenfalls mit Atticus’ erzwungener Hilfe zu lösen gedenkt und dabei auch zu Mitteln greift, die alles andere als freundschaftlich sind. Die Opfer sind vorprogrammiert und Atticus’ Zorn damit sicher.
Tricked ist, wie der Titel schon sagt, voller Versteckspiele, Verrat, hinterlistigen und eigennützigen Entscheidungen und alle gehen sie auf Kosten von Atticus und derer, die ihm nahe stehen.

Hier und da gibt es sicherlich ein paar Knackpunkte, die bei längerer Betrachtung nicht ganz überzeugend rüberkommen. Die kleinen Mankos werden allerdings von so vielen positiven Faktoren überlagert, dass man gerne weiter darüber hinweg sieht.
Auch die wenigen offenen Enden dienen wohl der Fortsetzung in kommenden Bänden und sind daher positiv zu sehen. Die Serie und ihre Charaktere entwickeln sich stetig weiter und werden zu einem immer besser funktionierenden, sehr unterhaltsamen Gefüge, das man nicht verpassen sollte.

Die Triffids von John WyndhamNach einem weltweit kosmischen Ereignis, bei dem sich der Himmel vorübergehend grün färbte, ist die Zivilisation zusammengebrochen. Jeder, der das grüne Licht beobachtet hat, ist wenige Stunden später erblindet. Glück im Unglück für Bill Masen, der durch einen Arbeitsunfall zum fraglichen Zeitpunkt eine Augenbinde tragen musste und der Erblindung dadurch unfreiwillig entgehen konnte. Als er nach Tagen im Krankenhaus aufwacht und weder Schwestern noch Ärzte auf seine Rufe reagieren, entblättert sich vor ihm eine Welt im Chaos. Doch damit noch nicht genug, die Triffids – fleischfressende, intelligente und lauffähige Pflanzen, die in riesigen Farmen als Nutzvieh gehalten und gezüchtet wurden – sind ausgebrochen und machen Jagd auf die Menschen.

– »Da haben Sie’s. Da haben Sie den Beweis. Sie haben nicht zugeschaut: Sie sind nicht blind. Alle anderen haben zugeschaut« – er schwenkte vielsagend den Arm – »alle stockblind. Hat alles der verdammte Komet angerichtet, sag’ ich.«
»Alle blind?« wiederholte ich.
»Alle. Ohne Ausnahme. Wahrscheinlich auf der ganzen Welt.« Dann besann er sich. »Nur Sie nicht. Sonst alle.« –
Kapitel 1, Das Ende beginnt

Die Triffids (The Day of the Triffids) ist ein kleines Buch mit großem Inhalt. Auf nicht einmal 200 Seiten schafft es der Autor, ein hervorragendes Buch abzuliefern, ohne unnötige Längen oder störende Nebenhandlungen. John Wyndham serviert seinen Lesern hier ein Szenario zum Nachdenken. In flüssiger und betont sachlicher Herangehensweise beschreibt Die Triffids eine Invasion der etwas anderen Art. Nicht Aliens, Zombies oder Vampire fallen hier über die Welt her, sondern semi-intelligente Pflanzen. Dieser postapokalyptische Science-Fiction Klassiker, geschrieben im Jahre 1951, kommt anfangs etwas schwer in Fahrt und wirkt eher zäh und trocken. Hat man diese Hinführung jedoch gemeistert, baut die Handlung stetig Spannung auf und bedient sich dabei bewährter Elemente: eine Katastrophe, welche die Menschheit praktisch über Nacht unfähig macht, für sich selbst zu sorgen, eine Bedrohung, die der Mensch selbst herangezüchtet hat und nun nicht mehr kontrollieren kann, ein Kampf ums Überleben weniger verschont gebliebener Personen und der Einblick in die Charakterstärke und -schwäche des Menschen. Im Zentrum stehen dabei die Menschen selbst, ihre unterschiedlichen Reaktionen auf diese gravierende Umstellung: von Überlebenskampf, Tragik und Hoffnung bis hin zum religiösen Fanatismus. Soll man den Schwachen helfen und vielleicht mit ihnen zu Grunde gehen? Oder kümmert man sich nur um sich selbst, damit wenigstens die Starken eine Chance haben zu überleben? In diesem Szenario sind die Schutzbedürftigen auch einmal nicht per se gut und rechtschaffen dargestellt, sondern haben ebenso niedere Absichten wie unversehrte Menschen.
Der weitgehende Verzicht auf spezifische Angaben zu Architektur oder Technik lässt Die Triffids dabei auch 60 Jahre nach der Entstehung noch zeitlos wirken.

Erzählt wird dieser Roman aus der Sicht von Bill Masen. In seinen persönlichen Aufzeichnungen schildert er die Vorgeschichte der Triffids und seine Erlebnisse in einer plötzlich von Anarchie beherrschten Welt. So wie er selbst bleibt auch der Leser im Unklaren darüber, was wirklich zu der Katastrophe geführt hat, und so teilt man die Ungewissheit, Gedanken und Sorgen dieses lebendig gezeichneten Protagonisten. Die Triffids selbst spielen dabei gar keine so große Rolle, wie es der Titel vermuten lässt. Vielmehr vertiefen und beschleunigen sie nur die Konflikte und Ängste, in denen sich die Überlebenden befinden. Sie zeigen auch, wie schnell der Mensch durch eine solche Katastrophe als Anführer der Nahrungskette abgelöst werden und durch eine dominantere Spezies ersetzt werden kann. Im Roman tauchen die Pflanzen selbst jedoch nur sporadisch auf.

Sprachlich ist dieser Roman vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig. Den insgesamt sehr sachlichen Ton verliert das Buch bis zum Schluss nicht, das ist der Geschichte jedoch eher zuträglich und macht die Ereignisse umso wirkungsvoller. Einstellen muss man sich dagegen auf die Sprachverhältnisse der 50er Jahre, in denen doch deutlich mehr (aus heutiger Sicht) Fremdworte ihren Platz im täglichen Sprachgebrauch hatten und auch Formulierungen so heute nicht mehr gebräuchlich sind und etwas geschwollen oder seltsam wirken. Dessen ungeachtet verdient Die Triffids aber eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle Endzeit-Interessierten.

Verfilmung:
Das Buch wurde bisher dreimal verfilmt. Erstmals 1962 unter dem Titel The Day of the Triffids (Blumen des Schreckens) mit Howard Keel in der Hauptrolle. Unter gleichem Titel erschien 1981 eine sechsteilige Mini-TV-Serie, die in Deutschland jedoch nie ausgestrahlt wurde.
Die jüngste Verfilmung stammt aus dem Jahr 2009, Die Triffids – Pflanzen des Schreckens, und wurde von BBC als Zweiteiler produziert. Die Hauptrolle übernahm diesmal Dougray Scott.

Cover des Buches "Der Turm der Göttin" von Jane GaskellCija ist die Tochter der Königin, deren Geschlecht sich von den Göttern ableitet. Um eine Prophezeiung, die Fremdherrschaft für das Land verheißt, zu verhindern, wurde sie siebzehn Jahre lang in einem Turm fernab der Gesellschaft gehalten, doch nun verlangt der mächtige Feldherr Zerd, der mit seinen Truppen das Land besetzt hält, einige Geiseln, so auch Cija. Sie erhält die Aufgabe ihn zu verführen und dann in der Nacht zu ermorden. Zerd aber scheint zunächst an ihr nicht interessiert zu sein, sein Ziel ist es, das ferne und unerreichbare Atlantis zu erobern. Dazu jedoch benötigt er die Flotte des Südreiches. So macht sich Cija, die Tochter der Götter, auf eine lange Reise in den tiefen Süden, auf der sie in der Gesellschaft immer tiefer sinkt…

-Von keinem anderen Fenster aus kann ich die Dinge so gut sehen.-
Der Turm

Das Geschehen findet wohl in einem prähistorischen Mittel- und Südamerika statt, es könnte aber genauso auf einer Sekundärwelt stattfinden, so wenig hat diese Welt mit der unseren gemein. In Cijas Heimat herrscht eine matriarchalische Dynastie, die allerdings von den Priestern stark unter Druck gesetzt wird. Die Nordländer, deren Feldherr Zerd ist, haben einen sehr militaristischen König als Herrscher, die Südländer einen militaristischen Gottkaiser.

Bei der Beschreibung der Techniken der Kulturen bleibt Gaskell einigermaßen vage: Es gibt Bauern, die Pflüge und künstlichen Dünger benutzen, Brennstoffhändler, die mit Torf und Holz handeln, prachtvolle Steinbauten und Springbrunnen. Großer Reichtum Weniger ist mit allgemeiner Armut gepaart. Die Soldaten nutzen Speere und Schwerter, die Nordländer reiten große straußenähnliche Reitvögel, die Südländer Pferde. Die sehr phantasievoll und prachtvoll herausgeputzten Frauen werden z.T. detailliert beschrieben. Gaskell hat eine sehr originelle Welt geschaffen, die bis heute ungewöhnlich geblieben ist.
Die magischen Elemente sind jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt, z.T. muss der Leser schon genau hinsehen um eines als solches zu erkennen. Einige sind jedoch für den Verlauf der Geschichte nicht unerheblich.

Die phantastischen Elemente, die sich am Feldherrn Zerd manifestieren, gehören zu den weniger bedeutsamen, aber dafür offensichtlicheren, denn seine Mutter entstammt einer dunkel-schuppigen nicht-menschlichen Rasse, nur sein Vater war ein Mensch. Zerd selbst hat ebenfalls eine Haut wie von einer Schlange – daher rührt auch sein Spitzname: Der Drache.
Zerd ist ein begnadeter Feldherr und gewiefter Politiker, auch physisch ist er herausragend, dennoch ist er kein Übermensch – auch er kann nur das Machbare schaffen. Er kann grausam und hart sein, aber auch mitfühlend und freundlich – generell scheinen andere Menschen aber nur Instrumente für ihn zu sein.

Cija ist die Hauptperson, die ihr Tagebuch schreibt. Da sie Gespräche z.T. wörtlich wiedergibt, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen, wenn Cija jemand ihr Verhalten vorwirft. Sie ist feinfühlig und naiv, auch wenn sie  sehr schnell und sehr viel hasst, so wird sie doch eher von ihrem Mitgefühl bestimmt. Sie ist nicht dumm, denn sie hat in ihrer Jugend ihre Bibliothek ausgiebig genutzt. Daher kann sie z.B. erkennen, dass die meisten Männer nur den Körper der Frauen gebrauchen und deren Aussehen relativ egal ist – dennoch will sie Zerd, den sie doch hasst, gefallen und schön für ihn aussehen.
Mal reflektiert sie bewusst über derartige Zwiespältigkeiten, mal nicht. Je nachdem, in welcher Lage sie sich gerade befindet, übernimmt sie passende Ansichten, um sich in der Situationen zurecht zufinden – sie ist auf der Suche nach einer Gemeinschaft, der sie sich anschließen kann, dafür gibt sie viele ihrer alten Positionen auf.

Daneben gibt es noch unzählige weitere Figuren, einige spielen größere Rollen, wie Smahil, der auch eine Geisel ist, die ungewöhnliche Priesterin Ooldra, die kleine Narra, die Cija verehrt oder die Schönste, welche die Konkubine Zerds ist, andere treten nur kurz auf. Alle Figuren wirken glaubwürdig, vielfach streiten kleine Eitelkeiten, das Gewissen und Rationalität der Figuren miteinander. Auch ist es der Autorin gelungen eine ungewöhnliche Bandbreite von Charakteren darzustellen. Die Figuren sind sicherlich eines der Glanzstücke der Geschichte.

Cija beschreibt in ihrem Tagebuch ihren Alltag, der allerdings von Leiden massiv geprägt ist. Auch wenn Cijas Geschichte zunächst einigermaßen geradlinig aussieht, wird sie im Laufe der Zeit doch immer verworrener und zielloser.
Es werden viele unangenehme Themen angeschnitten: Es geht um Gewaltanwendung als Strafmaßnahme und aus Langeweile, es geht um Vergewaltigung und die Stellung der Frau in der Gesellschaft, insbesondere wenn ein feindliches Heer in ein Territorium eindringt, Armut, Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit und Genderbending. Vieles davon erfährt Cija am eigenen Leib, so muss sie sich eine Zeit lang als Junge verkleiden und lernt einen Jungen kennen, der lieber eine Frau wäre. In seinem Heimatdorf würden ihn die Mitbewohner töten, würden sie von seiner “Perversion” erfahren.

Auch wenn es sich vielfach ausgedehnte Beschreibungen gibt, besonders am Anfang, ist die Geschichte doch spannend und der Leser will erfahren, wie es mit Cija weitergeht. Als Manko könnte man aber die vielen Zufälle, die sich ereignen, werten. Der Stil ahmt den eines Tagebuchs tadellos nach, selbst die Wandlungen, denen Cija unterliegt, werden leicht angedeutet.
Jane Gaskell hat The Serpent als einen Roman verfasst, erst später wurde dieser zweigeteilt – in den “ersten” Band The Serpend/Der Turm der Göttin und den “zweiten” Band The Dragon/Der Drache, das Ende ist daher nicht besonders befriedigend – man muss dafür schon den “zweiten” Teil lesen.

Two Ravens and One Crow von Kevin HearneWenn die Morrigan an die Tür klopft und einem sagt »wir verreisen«, dann ist das keine Bitte, sondern eine Aufforderung zu packen. Als sich Atticus mit genau dieser Situation konfrontiert sieht, ahnt er, dass ihm kein Wellness-Ausflug angeboten wird und die Wiederherstellung seiner Tattoos nur eine Ausrede für größere Pläne darstellt, die einmal mehr mit unliebsamen Gefahren einhergehen.

– What would it be like, I wonder, if humans could slobber as freely as dogs? There’s no social stigma for dogs when they slobber and it looks like a lot of fun, so envy them that freedom. –

Wichtige Info vorweg: Diese Kurzgeschichte (IDC #4.5) spielt zwischen den Romanen Tricked und Trapped und enthält eindeutige Spoiler zu ersterem. Außerdem überbrückt sie den recht großen Zeitraum von zwölf Jahren zwischen den beiden Romanen und sollte daher in jedem Fall innerhalb der chronologischen Reihenfolge gelesen werden.

Two Ravens and One Crow setzt sechs Jahre nach den Ereignissen von Tricked an. Atticus steckt mitten in der Ausbildung von Granuaile und hat mit ihr die letzten Jahre unauffällig auf seiner neuen Farm im Navajo-Reservat verbracht. Als die Morrigan ihm einen Besuch abstattet, ändert sich das freilich unverzüglich, denn die hat ein Treffen mit den überlebenden nordischen Göttern vereinbart. Wie man anhand des Titels vielleicht schon erraten kann, trifft man u.a. auf Hugin und Munin, die Raben von Allvater Odin. Ärger vorprogrammiert? – Aber Hallo!
Das ist deswegen spannend, weil einen das Ende von Hammered doch etwas in der Luft hat hängen lassen und die Ereignisse nicht den Eindruck machten schon gänzlich abgeschlossen zu sein. Die vorliegende Kurzgeschichte sorgt nun dafür, dass der Handlungsstrang wieder aufgegriffen wird, und schafft zugleich eine Basis für zukünftiger Bücher.

Die Geschichte liefert wieder sehr viel Humor zum lauthals Auflachen. Die Dialoge zwischen Oberon und Atticus sind zwar in ihrer Anzahl begrenzt, dafür aber von meisterlicher Qualität. In Kombination mit Granuailes wohl platzierten Versuchen ihrem Sensei die Sinne zu rauben wird das Ganze zu einer der bisher herrlichsten Episoden. Insgesamt schwirren in Two Ravens and One Crow eine ganze Menge Hormone durch die Luft, allerdings auf eine unterhaltsame, nicht fingiert wirkende Art und Weise, die man gerne verfolgt.

Während die üblichen Erwartungen an eine Geschichte aus den Iron Druid Chronicles bestens erfüllt werden, gibt es aber auch überraschende Extras. Eines davon ist der tiefere Einblick in den Charakter der Morrigan, die diesmal eine tragende Rolle erfüllen darf und dadurch deutlich an Substanz gewinnt. Sie wirkt gleich menschlicher, etwas weniger berechnend und eiskalt, ja sie weckt glatt Sympathien und man versteht ihre Art zu handeln und zu denken ein gutes Stück besser.
Was Atticus angeht, so wird seine nebulöse Vergangenheit auch in Two Ravens and One Crow weiter aufgedeckt. Man erfährt etwas über die Hintergründe dessen, wie er an das Rezept für seinen Immortalitea gekommen ist, und erlebt ihn zu einer Zeit, da er noch am Anfang seiner Karriere als Druide stand. Wer sich schon die ganze Zeit gewünscht hat, endlich mal ein wenig uralte Luft zu schnuppern, der wird in dieser Kurzgeschichte ein wenig belohnt.

Two Ravens and One Crow ist eine wunderbare Mischung aus Humor und Tiefe, die man als Fan der Buchreihe nicht verpassen sollte. Wer keinen eReader besitzt muss leider dennoch erst einmal auf dieses reine eBook verzichten, wobei »leider« hier sehr groß geschrieben werden sollte. Wer schon immer mit dem Gedanken spielte sich ein solches Gerät zuzulegen, dies wäre die passende Gelegenheit sich einen finalen Ruck zu geben. 😉

Cover von Der Vampir, der mich liebte von Charlaine HarrisSookie Stackhouse, 26 Jahre alt und Kellnerin von Beruf, hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Bill war ihr erster richtiger Freund, außerdem verlief die Trennung unter besonders unerfreulichen Umständen, deshalb fühlt sich Sookie ziemlich mitgenommen. Die Aussichten auf eine neue Beziehung sind eher gering, denn Sookie kann Gedanken lesen und das finden normale Männer eher abschreckend. Bill, den Vampir, hat diese Gabe nie gestört, Gedanken von Vampiren kann sie sowieso nicht lesen. Eigentlich ist Sookies Bedarf an Aufregungen für die nächste Zeit gedeckt. Aber es kommt noch schlimmer. In der Neujahrsnacht läuft ihr Bills Chef, der Vampir Eric, halbnackt und völlig verwirrt vor’s Auto. Er hat sein Gedächtnis verloren und nicht die geringste Ahnung, was mit ihm geschehen ist. Erics Stellvertreterin Pam kann Licht ins Dunkel bringen. Die skrupellose und mächtige Hexe Hallow will mit ihren Getreuen Erics Geschäfte übernehmen, außerdem forderte sie noch eine andere Dienstleistung, die der Vampir so schroff ablehnte, daß Hallow ihn wütend mit einem Fluch belegte. Daraufhin fand sich Eric in diesem derangierten Zustand auf der Straße wieder. Hallow hat für seine Ergreifung ein Kopfgeld ausgesetzt. Der Machtkampf zwischen Hexen und Vampiren hat begonnen. Sookie steckt unfreiwillig mitten drin und wäre dringend auf die Hilfe ihres Bruders angewiesen – doch der ist seit dem Neujahrstag verschwunden…

– Jetzt hätte ich meinen Bruder angerufen, wenn ich gewußt hätte, wo er war. Denn wenn du in deiner Küche ein Blutbad beseitigen mußt, hast du am liebsten die Familie um dich.-
Seite 300, Kapitel 13

Charlaine Harris gehört offensichtlich zu den Autoren, die das Vampir-Genre nicht sooo todernst nehmen. Das ermöglicht ihr, munter draufloszuschreiben und ihre eigene Vampirwelt zu erschaffen. Sie versucht erst gar nicht, berühmtere Kollegen wie Bram Stoker oder Anne Rice zu kopieren und das ist der Grund dafür, daß Der Vampir, der mich liebte (Dead to the World) ein witziger, unterhaltsamer Roman geworden ist und keineswegs eine kitschige Liebesschmonzette, wie der völlig verunglückte Titel vermuten läßt.
Die Geschichte spielt in Louisiana. Vampire leben offen unter den Menschen, seit die Untoten vor ein paar Jahren, am Abend der Großen Enthüllung, überall auf der Welt im Fernsehen auftraten, um von ihrer Existenz zu berichten. Dieser Schritt an die Öffentlichkeit wurde durch die Entwicklung von synthetischem Blut ermöglicht. Seitdem leben sie genauso mehr oder weniger einträchtig mit den Menschen zusammen wie es Menschen untereinander auch tun. Im Allgemeinen geht es friedlich zu, aber es kommt auch schon einmal zu unschönen Zwischenfällen wie z.B. Eifersuchtsdramen, Drogenhandel, Mord und Totschlag und die arme Sookie ist in diese unglückseligen Ereignisse immer wieder verstrickt, obwohl sie sich alle Mühe gibt, Ärger aus dem Weg zu gehen. Es gibt aber auch Angenehmes im Leben der Kellnerin. Der Sex mit Eric ist für sie himmlisch. Ja, der erstaunte Leser muß feststellen, daß es im modernen Louisiana keine doppeldeutige, schwüle Erotik gibt. Keine Frau gerät hier in ekstatische Verzückung, weil ein Vampir mit seinen spitzen Zähnen in ihre Halsschlagader eindringt. Diese Vampire können auch anders, sie besitzen tatsächlich die Fähigkeit, sich anderen weiblichen Körperregionen auf menschliche Weise zu widmen.
Die Sexszenen zwischen Sookie und Eric sind so detailliert beschrieben, daß hier eine deutliche Warnung ausgesprochen werden muß. Es könnte Leserinnen geben, die nach der Lektüre für die Männerwelt verloren sind. Bedenken Sie aber, meine Damen, daß es für Sie äußerst schwierig sein dürfte, einen Vampir wie Eric zu finden, der nebenbei gesagt, weitaus weniger charmant ist, wenn er seine Sinne beisammen hat und nicht gerade unter Gedächtnisverlust leidet.

Außer Vampiren gibt es in Louisiana auch noch andere nichtmenschliche Wesen, die den Schritt an die Öffentlichkeit aber vorerst noch scheuen. Sookie erkennt sie trotzdem. Es sind Werwölfe und andere Gestaltwandler, manchen von ihnen sollte man bei Vollmond lieber aus dem Weg gehen, einigen sogar in gewöhnlichen Nächten. Die meisten von ihnen sind harmlos, aber nicht mit allen ist gut Kirschen essen, vor allen Dingen nicht mit der mysteriösen Sippe, die draußen an der abgelegenen Kreuzung lebt und sich seit Generationen fast ausschließlich durch Inzest erhält – was das für Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben kann, ist ja allgemein bekannt.
Schließlich fällt dann auch noch dieser brutale Hexenclan in den Ort ein und natürlich kommt es zu einem erbitterten Kampf auf Leben und Tod.

Der Vampir, der mich liebte ist sicherlich kein raffiniert gestrickter, gruseliger, traditioneller Vampirroman, in dem die Untoten Menschen jagen, um ihr Blut zu trinken und Menschen Vampire, um sie zu vernichten und in dem von Zeit zu Zeit ein Protagonist der Faszination der jeweils anderen Welt verfällt. Charlaine Harris erzählt ihre Geschichte geradeheraus, in einer modernen Umgangssprache, mit Witz und Augenzwinkern, sie schmeißt viele der gängigen Klischees über nichtmenschliche Wesen über Bord, stattet Vampire wie Werwölfe und Gestaltwandler mit bisher nicht gekannten Eigenschaften aus und spinnt so einen höchst unterhaltsamen Roman.

Vampireology - The true History of the FallenVampireology ist ein weiterer fiktiver Erfahrungsbericht aus der ‘ology-Reihe. Diesmal entführen uns die ebenso fiktiven Autoren Archibald Brooks (verschollen) und Joshua T. Kraik (Brooks auserwählter Nachfolger) in die düster-schaurige Welt der Vampire.

– Moloch is smitten with a shaft of divine lighting and crumbles to ashes. The cowering Belial is lifted by his ankle; his Throat is slit and his Body drained in Bloode. –

In den letzten Jahren, spätestens seit Romane wie Twilight (Bis(s) zum Morgengrauen) das Licht der Buchwelt erblickten, hat das Image des Vampirs eine denkwürdige Wendung vollzogen. Einst als nach Blut dürstende, hungrige Bestie gefürchtet, glitzert er heute im strahlenden Sonnenlicht, verliebt sich in die Menschen, die seine Beute sein sollten und ist allzu keusch, ehrenhaft und sanftmütig geworden. Man möchte diese neuen, höchst anmutigen Vampire beinahe für ihr unverstandenes Wesen und ihren nie enden wollenden und scheinbar hoffnungslosen Kampf gegen ihre ach so grausame Natur bemitleiden. Vampireolgy – The true History of the Fallen besinnt sich nun auf die Ursprünge des Vampirismus, erinnert an die dämonische Seite dieses untoten Raubtiers und schafft damit einen Gegentrend zu den romantischen Schmachtvampiren von heute. Die Stärken und Schwächen dieser “Fallen Ones”, wie sie im Buch genannt werden, werden schamlos beleuchtet und von den handschriftlichen Notizen Joshua Kraiks kommentiert.

Man ahnt es nun vielleicht schon, Vampireology ist, ähnlich wie z.B. Dragonology (Drachologie) aus der selben Reihe, kein klassisches Artbook wie man sie sich üblicherweise vorstellt. Viele Illustrationen werden hier geboten, jedoch auch eine durchgehende Handlung und, das dürfte die große Besonderheit sein, eine haptische Reise für die Hände.
Die gewohnt aufwendige Aufmachung beginnt auch schon mit dem Hardcover-Einband in schwarz-roter Lederoptik, die das Buch zunächst wie ein edles altes Notizbuch wirken lässt, mit einer changierenden Struktur im Hintergrund. Darauf befinden sich, in symbolisch clever gewählter silberfarbener Prägung, Titel und Rahmen nebst einer ersten düsteren Illustration. Diese wird durch zwei rote Glassteine verziert, die thematisch passend an Blutstropfen erinnern.

Schon auf der ersten Doppelseite geht es dann richtig los. Eine Fülle an Informationen sowie die Beweggründe und schließlich auch das Verschwinden des Verfassers (Archibald Brooks) erwarten den Leser auf scheinbar vergilbten, faserigen Seiten, auf denen zahlreiche Notizen zusätzlich eingeklebt wurden. Letztere kann und muss man tatsächlich aufklappen, umklappen und herausziehen, wenn man alle Details kennen will. Die Gestaltung ist ein wahrer Hochgenuss für jeden, der gerne stöbert und erforscht. So viel zusätzliches Material zum Haupteintrag des Verfassers tummelt sich auf jeder Seite, dass allein die Sichtung der ersten Doppelseite schon gute zwanzig Minuten in Anspruch nahm. Dazu sollte man sagen, es ist eine im Vergleich zum späteren Verlauf noch spärlich bestückte Doppelseite.
Das vielfältige Zusatzmaterial besteht hierbei aus schwarzweißen Fotos, wissenschaftlichen Illustrationen verschiedener brauchbarer Pflanzen im Kampf gegen den Vampir (allen voran natürlich der wilde Knoblauch), erklärenden Skizzen, alt wirkenden und wie aus einem Märchenbuch anmutenden, fein ausgearbeiteten Zeichnungen, düsteren Aquarellen im Stil des Covers, eingeklebten Tütchen mit Perlen oder Drachenhaut darin (es gibt Vampire, die das Gestaltwandeln beherrschen) … es sind unzählige Kleinigkeiten, die das Buch so spannend und langlebig machen. Auf einer Seite wurde dem Blatt beispielsweise ein ausgeschnittener Zeitungsartikel hinzugefügt, klappt man ihn um, erkennt man die abgeschnittenen Teile von Suchanzeigen. Der Charme liegt bei Vampireology ganz klar in den unzähligen kleinen Details. So vieles gäbe es über diesen Band noch zu berichten, doch das würde den Rahmen einer Rezension bei weitem sprengen.

Vampireology Innenseite
Quelle: www.ologyworld.com

Trotz der schicken Aufmachung und der großzügigen Anzahl an Spielereien sollte man nicht anfangen zu glauben, es handle sich hier um ein Buch, das eher etwas für die Kleinen ist. Stellenweise geht es in Vampireology wenig beschönigend zur Sache. Da gibt es mythologische Hintergründe zum Ursprung des Vampirs und seinen verschiedenen Erscheinungsformen, ja sogar eine Weltkarte mit dem räumlichen und zeitlichen Verlauf seiner Ausbreitung. Vieles davon dürfte für Kinder noch ein wenig zu anspruchsvoll sein, manches auch nicht kindgerecht.

Insgesamt hat dieses Buch nur 30 Seiten, und man wird im ersten Moment denken, das könne das Geld kaum wert sein, doch diese Seiten sind randvoll mit Informationen. Durch die vielen eingeklebten Schnipsel etc. wächst das Buch gewissermaßen in Ebenen gelagert in die Höhe. Sie machen das Buch nicht nur interaktiv und zu einem fühlbaren Vergnügen, sie dehnen die Lesedauer auch gewaltig aus. Ohne Pausen betrachtet, beschäftigt dieses Buch seine Leser gut und gerne einen ganz Tag lang, wenn nicht noch länger. Dabei lädt es zum wiederholten Stöbern ein, denn man erfasst oft erst bei erneuter Betrachtung, dass man zuvor doch noch einiges übersehen hatte.

Was kann man als Schlussatz nun also zu Vampireology sagen? – Es ist eine rundum gelungene, wunderschöne und faszinierende Gesamtkomposition aus Gestaltung, fiktiven Erlebnissen, aber auch real existierenden Sagen und Legenden aus verschiedenen Kulturen, die einen überraschend lange unterhält.

Die Verschwörer von Megan Whalen TurnerSophos, der eher gelehrsame als machtbewusste Neffe und Erbe des Königs von Sounis, wird verschleppt und gerät in die Sklaverei. Kaum ist er dieser misslichen Lage mit knapper Not entronnen, sieht er sich mit Schwierigkeiten eines ganz anderen Kalibers konfrontiert: Sein Onkel ist während seiner Abwesenheit ums Leben gekommen, und die Herrschaftsübernahme in dem von inneren Wirren geplagten Land gestaltet sich äußerst problematisch, zumal die allgegenwärtigen Meder natürlich wie gewohnt die Situation zu ihren Gunsten auszunutzen trachten. Aus eigener Kraft kann Sophos sich schwerlich halten, doch die angebotene Hilfe aus dem Ausland hat ihren Preis…

– Der König von Attolia durchquerte seine Stadt. Er war auf dem Weg zum Hafen, um Gesandte willkommen zu heißen, die gerade aus fernen Weltgegenden eingetroffen waren. –
Prolog

Zu Die Verschwörer liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Phantastische Reisen: Vom Land der Amazonen zu den Indigo-Inseln von Francois PlaceDie Insel Orbæ ist längst untergegangen, alles, was geblieben ist, ist der Atlas ihrer weltberühmten Kartographen. Er führt ins schneebedeckte Frostland, wo die Waljagd von Walrossreitern unterstützt wird, in die von Riesenkakteen bestandene Donnerwüste, deren felsiges Inneres ein dunkles Geheimnis birgt, auf die menschenleere Insel der Giganten, zu den Gewürzhändlern aus dem Golf Candaa und in viele andere unentdeckte Länder.

-Euphonos überquerte den Fluss am Fuße der Pappeln. Der Zufall wollte es, dass er nach einer langen, ziellosen Reise schließlich in dieser staubtrockenen Landschaft landete. Langsam wankte er voran, sein Reiseumhang drückte ihn wie eine schwere Last nieder.-
Im Land der Amazonen

Schade, daß der Originaltitel der Reihe, Atlas der Geographen von Orbæ, nicht auch in der deutschen Version zum Zuge gekommen ist, denn treffender könnte es kaum sein: Phantastische Reisen ist ein dreibändiger, alphabetisch geordneter Atlas imaginärer Landstriche. Im ersten Teil werden neun Länder vorgestellt, beginnend mit kleinen Karten, die in ihrer Symbolhaftigkeit am ehesten mittelalterlichen Weltkarten nachempfunden sind, dekoriert mit kleinen Menschen, Tieren, Landschaftsformationen und, wenn man genau hinsieht, bereits geschichtenerzählend.
Auf die Karten folgt jeweils eine mit großformatigen Aquarellen und kleinen Vignetten illustrierte Geschichte aus dem vorgestellten Weltteil, und jeder Abschnitt wird von einer Doppelseite in der Manier eines Forschungsberichts abgeschlossen, auf der Tiere, Bräuche, Kleider oder Naturphänomene der Region dargestellt werden (wie das z.B. bei den Amazonen aussieht, kann man hier betrachten).

François Place, der mehrfach ausgezeichnete französische Kinderbuchautor und Illustrator, hat sich für seine Phantastischen Reisen zweifellos vom Zeitalter der Entdeckungsfahrten inspirieren lassen, ist dem Lockruf der Ferne gefolgt und hat mit Stift und Pinsel weiße Flecken auf der Karte erschlossen, die es niemals gegeben hat.
Die Geschichten, die den Hauptteil des Buches ausmachen, changieren zwischen poetischen Märchen, wie man sie vielleicht bei einem Erzähler auf einem orientalischen Basar hören könnte, und Entdeckertagebüchern, zwischen traumartigen Volkssagen und bunten Lebenserinnerungen. Die Qualität ist unterschiedlich: Die bezaubernde Poesie der Eröffnungsgeschichte, in der vom Kampf der wilden Amazonen gegen einfallende Hexenmeister die Rede ist, wird im Nachfolgenden nicht mehr erreicht, dafür gibt es eine charmante Räuberpistole mit einer entführten, widerspenstigen Prinzessin, oder Mythen wie die aus dem Frostland, dessen Inuit-ähnliche Bewohner jedes Jahr in eine Art Winterschlaf fallen.
Bezüge zu irdischen Völkern und manchmal sogar konkreten Ländern sind immer wieder vorhanden, so trifft man auf ein Bergvolk, das von den Inka inspiriert ist, oder einen abenteuerlustigen Schotten, der in ferne Gefilde aufbricht, doch die Beschreibungen haben stets interessante Kniffe und einen eindeutig phantastischen Einschlag. Dabei geht Place auch sehr sensibel mit Exotismen und kolonialer Haltung um: Eindeutig weiße Völker sind hier in der Unterzahl, treten als Exoten auf und sind oftmals auch unterlegen: so vertreiben etwa die “Inka” die Invasoren mit ihren schamanistischen Zaubern zurück übers Meer.

Geschichten, Bilder und die Doppelseiten im Dokumentationsstil ergänzen sich und klären manche Einzelheit erst in ihrem Zusammenwirken auf. Place weiß allerdings auch genau, mit welchen Sehnsüchten er spielt, und läßt der Imagination genug Räume offen, indem er bewußt immer nur einen kleinen Ausschnitt der neu erschlossenen Länder und Völker zeigt und den Leser in Wort und Bild vehement einlädt, die eigene Phantasie auf weitere Forschungsreisen zu schicken.
Seine Aquarellzeichnungen, auf denen man viele Details entdecken kann, eröffnen einen Blick auf die neuen Landstriche, indem jede Region eine eigene Farbkomposition bekommt, jede Geschichte einen eigenen Bildcharakter.
Während diese sich oft erst auf den zweiten Blick erschließende Bilderpracht wohl eher erwachsene LeserInnen anspricht, sind die Geschichten einfach gestrickt und durchaus kindgerecht – es gibt keine großen Überraschungen, keine allzu komplexen Entwicklungen. Das Gesamtwerk besticht auch weniger durch die einzelnen Geschichten als durch seinen gigantischen Ideenreichtum und das Zusammenwirken zu einem riesigen Bilderteppich, aus dem sich eine Welt zusammensetzt, die vielfältiger, magischer, bunter ist als unsere. Jede Seite sprüht vor Kreativität, und nach Erfindungen wie dem Dreihäutemantel dürfte sich mancher Fantasy-Autor die Finger ablecken.

Konsequenterweise endet Vom Land der Amazonen zu den Indigo-Inseln mit einer Geschichte, in der das Fernweh selbst thematisiert wird, die Sehnsucht nach dem “Blau der Ferne”, repräsentiert durch eine unerreichbare Insel, der man niemals näherkommen kann und die doch das Ziel vieler unterschiedlicher Lebensreisen ist.
Allen, die gerne vom Lesesessel aus auf Entdeckungsfahrt gehen oder Sachbücher über imaginäre Welten lesen, kann man den Band nur ans Herz legen – der Atlas der Geographen von Orbæ ist das ulitmative Werk für Romantiker, die sich nach weißen Flecken auf der Karte sehnen.

Waechter der Nacht von Sergej LukianenkoNeben den Menschen gibt es die Anderen – Magier, Vampire, Hexen, Werwölfe – und diese fechten einen ewigen Kampf um die Menschen, auf der guten und der bösen Seite.
Im modernen Moskau hat dieser Kampf mittlerweile etwas Bürokratisches, und Anton, ein kürzlich von der IT zum Außendienst abkommandierter Anderer, geht auf Streife. Er trifft auf eine Frau, die mit einem Fluch belegt worden ist, der ganz Moskau ins Verderben reißen könnte. Als ob das nicht genug wäre, rettet er noch einen Jungen, der ein hohes Potential als Anderer besitzt. Ein Potential, nach dem beide Seiten gieren, sowohl die Wächter der Nacht, Antons Organisation des Guten, als auch die verfeindeten Wächter des Tages …

-Langsam und ächzend kroch die Rolltreppe nach oben. Kein Wunder, so alt wie die Station war. Dafür fegte der Wind durch die ganze Betonröhre, zerzauste ihm das Haar, zerrte an der Kapuze, schlängelte sich unter den Schal und drückte Jegor nach unten.-
Prolog

Fantasy und SF sind in Rußland hochbeliebte Genres – nebst diversen Übersetzungen wird auch einiges an eigener Literatur produziert, und mittlerweile verirrt sich ein Teil davon auf den deutschen Markt. Maßgeblicher Grund dafür ist der Erfolg von Sergej Lukianenkos Wächter der Nacht (Nočnoj dozor), das zum Start des gleichnamigen Films  in Deutschland debütierte.
Lukianenko erzählt in diesem Roman drei locker zusammenhängende Geschichten aus der Perspektive des Nachtwächters Anton Gorodezki, der eher zur heruntergekommeneren Sorte der Streiter für das Licht gehört und auch ein entsprechend flapsiger, aber durchaus interessanter Erzähler ist. Der Kampf zwischen Gut und Böse im modernen Moskau besticht durch allerlei interessante Ideen, die sich wie ein nach Rußland verpflanztes Inventar der üblichen Urban-Fantasy-Welt lesen: Vampire, die das Blutspendewesen vorantreiben, um auf der legalen Seite bleiben zu können; der insgesamt sehr bürokratische Ablauf des ewigen Hin und Hers zwischen Licht und Dunkel, der vor allem auf einem zugunsten der normalen Menschen geschlossenem Pakt beruht. Hier ist Ausgleich angesagt – wenn die eine Seite eine Seele rettet, darf sich die andere eine holen. Die ethischen Bedenken, die ein solcher Pakt in einer dermaßen schwarz-weißen Welt mit sich bringt, sind dann auch Thema der Handlung; allerdings wird die Problematik eher als Motor für die Spannung benutzt, als daß man sich in der Tiefe damit auseinandersetzen würde.

Die strukturierte Welt aus Gut und Böse mit ihren festen Regeln bietet einen wunderbaren Hintergrund für Intrigenspiel, und genau darauf basiert auch die Handlung der drei Geschichten. Die Schachzüge der Beteiligten sind recht elegant und kaum von Anfang an zu durchschauen – manchmal sind diese kryptischen Hintergrundgeschichten auch ein Manko, wenn man erst auf der letzten Seite einer Erzählung erfährt, was wirklich geschehen ist.
Wer sich von Wächter der Nacht – auch aufgrund des vollmundigen Herr-der-Ringe-Vergleichs von der Verlagsseite – eine große epische Handlung erwartet, die den Kampf zwischen Gut und Böse thematisiert, wird allerdings enttäuscht sein. Die drei Geschichten erzählen jeweils von einer Krisensituation, die gelöst werden muß, aber das Chaos bricht niemals aus und der Pakt zwischen Licht und Dunkel wird gehalten. Zusammengehalten wird das Ganze von der jeweils im Mittelpunkt stehenden Hauptfigur Anton und einer Liebesgeschichte. Letztere findet allerdings innerhalb des Romans nicht statt, und wirkt als Triebfeder der Handlung daher nicht immer glaubwürdig.
Mit der ersten der drei Geschichten liest man gleich die Beste, was auch daran liegen könnte, daß man anschließend weiß, wie der Hase läuft, und nicht mehr dermaßen überrascht sein wird. Das Ende des Bandes bietet dann aber statt des üblichen Musters durchaus eine interessante Wendung.

Sehr charmant bindet der Autor auch andere Werke der Phantastik mit ein, und steht damit augenzwinkernd zu seinen vielfältigen Inspirationsquellen von Alice im Wunderland bis Star Wars.
Vor allem aber die Erzählerfigur sorgt dafür, daß man gerne am Ball bleibt – zusammen mit Anton wachsen einem langsam Zweifel, ob “gut” und “böse” nicht einfach nur nichtssagenden Bezeichnungen in einem schmutzigen Kampf sind. Dieser ganz eigene, russische Charme hebt die Wächter der Nacht vom Standard der Urban Fantasy ab und macht sie auch aufgrund ihrer Episodenstruktur zu einer interessanten Ergänzung in der düsteren Phantastik.

Wastelands von John Joseph AdamsKurzgeschichtensammlung über die Welt nach dem großen Knall oder dem schleichenden Niedergang, über kämpferische oder verzweifelnde Überlebende, über eine Gesellschaft am Ende oder einem neuen Anfang.

-I want to tell you about the end of war, the degeneration of mankind, and the death of the Messiah – an epic story, deserving thousands of pages and a whole shelf of volumes, but you (if there are any of “you” later on to read this) will have to settle for the freeze-dried version.-
The End of the Whole Mess

22 mal geht in Wastelands die Welt unter, das Ende ist gekommen und vorüber, die letzten Menschen kämpfen mehr schlecht als recht um die letzten Reste der Zivilisation. Deprimierend? Ja – bei einem Großteil der Geschichten überwiegt die pessimistische Sicht der Dinge: So wie in den meisten Beiträgen der Anthologie menschliche Hybris vor dem Fall stand, sorgen menschliche Schwächen, Vorurteile und fehlgeleitete Ambitionen dafür, daß die Menschheit ihre Fehler wiederholt.
M. Rickert treibt in ihrem Beitrag Bread and Bombs die (in einer zusammengerückten Gesellschaft noch gesteigerte) Furcht vor dem Fremden auf die Spitze, berichtet aus Kindersicht (und mit Blick auf die Grausamkeit von Kindern) von eskalierendem Rassismus mit einem ungewöhnlichen Ende, das viel moralischen Zündstoff bietet, und auch Carol Emshwiller hat sich in Killers einer Weiterführung des Terrorismus-Themas nach einer deutlichen Verschlechterung der Lebensumstände angenommen.
Postapokalyptische Geschichten sind dennoch fast immer Geschichten der Überlebenden, des Neuanfangs, des Aufbäumens der Menschheit nach der Katastrophe, wenn auch häufig von Melancholie druchdrungen – denn was wäre ein Blick auf die Welt nach dem großen Knall, wenn er sich nicht auch mit Grusel auf die verfallenen Ruinen unserer Lebensweise richten würde? Wastelands hat daher auch positive Varianten zu bieten, darunter Tobias S. Buckells Waiting for the Zephyr, das durch seine Aufbruchsstimmung in einer Gesellschaft besticht, die sich verändert, aber gefangen hat, oder etliche Geschichten in einer normalisierten Endzeit-Welt im Mad Max-Stil, in der ein gewisser Alltag eingekehrt ist (das etwas schwächere und von religiösem Hauch durchwehte Salvage von Orson Scott Card, oder das an ein Endzeit-Roadmovie gemahnende And the Deep Blue Sea von Elizabeth Bear).

Kurzgeschichten eignen sich für dieses Subgenre ausgesprochen gut – sie vermögen ein Schlaglicht auf einzelne Fragen und Themen zu werfen (und die Extremsituation des Weltuntergangs ist eine hervorragende Bühne für existentielle Fragen, vor allem danach, was von der Menschlichkeit bleibt, wenn die Zivilisation zerfallen ist), sie erlauben einen Detailblick (bis auf die Spitze getrieben in Richard Kadreys Still Life With Apocalypse, das nur durch eine einzige, handlungslose Ansicht ein Gefühl für den Status einer gefallenen Welt vermittelt), ohne das große Ganze beleuchten zu müssen, was gleichzeitig die Erfahrung von Unsicherheit, Zurückgeworfensein auf den Einzelnen und von Unwissen nach dem Zusammenbruch der Systeme abbildet.

Keine der Geschichten in Wastelands stammt aus der Entstehungszeit des Genres nach dem Zweiten Weltkrieg und im sich aufschaukelnden Kalten Krieg mit seinen Ängsten vor dem atomaren Holocaust, die meisten haben nicht einmal ein nukleares Endzeitszenario zum Thema und sind vielfach in der Zeit nach 2000 entstanden: Durch Krankheiten, Ökokatastrophen, langsame Spiralen der Degeneration und beinahe so viele Szenarien, wie es Geschichten gibt, geht die Zivilisation unter, manchmal auch aus diffusen Gründen, die für die Handlung keine weitere Rolle spielen.
Sehr moderne Szenarien – neben den Terrorismus-Gedankenspielen hauptsächlich Cory Doctorows When Sysadmins Ruled the World, eine (nicht nur humorvolle) Beschreibung der Apokalypse, in der Computersystemexperten überleben, eingeschlossen vor ihren Monitoren in ihren Bunkern, um die Welt anschließend nach ihrem Lebensmodell zu organisieren (der Spaß steigt hierbei proportional zum IT-Wissen des Lesers 😉 ) –, stehen neben Geschichten, die mit der religiösen Aufladung des Endzeitgenres spielen (denn der Prototyp der Apokalypse ist immer noch die Offenbarung des Johannes): Judgement Passed von Jerry Oltion handelt von den Menschen, die bei Gottes letztem Gericht vergessen wurden und mit dieser Tatsache leben (im wahrsten Wortsinn) müssen.

Wastelands ist eine außergewöhnlich gute Anthologie, von den 22 Geschichten sind fast alle überdurchschnittlich, und die AutorInnenauswahl kann sich sehen lassen: Stephen King macht in der Eröffnungsgeschichte The End of the Whole Mess das, was er am besten kann: Den Zauber einer zurückliegenden Jugend beschwören und in Kontrast zu einem bedrückenden Heute zu setzen, in dem man das Ende schon mit großen Schritten und Anklängen an Flowers for Algernon herannahen hört, auch wenn es einer der unwahrscheinlichsten Weltuntergänge der Anthologie ist. George R.R. Martin projiziert in Dark, Dark were the Tunnels auch 1973 schon mit gewohnt ausgeklügelten und spannenden POV-Tricksereien in eine ferne Zukunft mit einer unbewohnbaren Erdoberfläche, um zu erforschen, was aus den Menschen geworden ist.
Ähnlichem geht der inzwischen vielfach mit Lorbeer gekrönte Paolo Bacigalupi in The People of Sand und Slag nach, einer der intensivsten Geschichten der Anthologie, in der die Menschheit sich psychisch und physisch soweit angepaßt hat, daß kaum mehr Bezug zum Leben vorhanden ist und sie von außen an Menschlichkeit erinnert werden muß – ein Exkurs, in dem das Überleben zwar eindeutig gesichert ist, aber zu einem verstörend hohen Preis.
Octavia E. Butlers Klassiker Speech Sounds geht in seiner Betrachtung des Zusammenwirkens von Sprache, Identität und Integrität einem ganz anders gearteten Verfall der Gesellschaft nach, Gene Wolfe ist in Mute gewohnt rätselhaft und liefert kaum Anhaltspunkte für die Deutung seiner Geschichte, die zwar anfangs einen beinahe hypnotischen Zwang ausübt, aber irgendwann in ihrer überladenen Symbolhaftigkeit stecken bleibt.

Aber auch von AutorInnen, deren Namen nicht als Aushängeschild auf dem Cover prangen, stammen spannende Entwürfe und Highlights: James van Pelt stellt in The Last of the O-Forms mit exzellenter Charakterisierung und großem Ideenreichtum einen Profiteur der Apokalypse vor, Nancy Kress liefert mit Inertia gewissermaßen einen weiteren Entwurf zu dem Thema, das King bereits bearbeitet hat, geht dabei aber eher auf die menschliche Reaktion auf Krankheit und die Stellschrauben der Identität ein.
A Song Before Sunset von David Grigg geht voller Melancholie der Frage nach, was mit Talent passiert in einer Welt, die für Kultur keine Verwendung mehr hat, und John Langams Episode Seven: Last Stand Against the Pack in the Kingdom of the Purple Flowers, ist ähnlich gewunden erzählt, wie der Titel andeutet, mit seitenlangen, fließenden Sätzen, die in kurzen Ausbrüchen von Action kulminieren und in einem verstörenden Szenario den Kampf von Überlebenden gegen ein Rudel wilder Hunde beschreiben. Der Faszination und dem Grusel dieser Geschichte kann man sich schwer entziehen, und sie bildet einen würdigen Abschluß der facettenreichen Anthologie.

Meine Empfehlung wäre allerdings trotz der Qualitäten der einzelnen Beiträge, nicht die ganze Anthologie an einem Stück zu lesen – das könnte aufs Gemüt schlagen, denn neben den selten eingestreuten locker-leichten Geschichten bieten die meisten schweren Stoff, den man auch wegen seiner nachdenklich stimmenden Blicke auf das Menschsein erst einmal verdauen muß. Wer trotzdem nicht genug von der Apokalypse bekommen kann, findet im Anhang von Wastelands eine Leseliste mit den wichtigsten Werken – Romanen und Kurzgeschichten – des Subgenres.

Welt aus Stein von Chris WoodingOrna, Elitekämpferin und Attentäterin des Magnaten Ledo, wird in einer tragisch gescheiterten Schlacht von den verfeindeten Eskaranern gefangengenommen und in das berüchtigte, ausbruchsichere Gefängnis Farakza gebracht. Ihre trostlose Situation wird nicht nur von ihren Mitgefangenen durchbrochen, zu denen sie langsam Beziehungen aufbaut, sondern vor allem dadurch, daß sie an Informationen über den fortwährenden Krieg gelangt, die nicht nur ihre Sichtweise umwerfen, sondern ihr offenbaren, in welcher Gefahr ihr ebenfalls als junger Soldat kämpfender Sohn schwebt. Sie entschließt sich zu einem riskanten Gefängnisausbruch …

-Unter meinem Fuß bricht sein Knie zur Seite weg, aber ehe er den Schmerz spürt, habe ich ihn beim Kopf gepackt und ihm das Genick gebrochen.-
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Es gibt Geschichten, die glänzen vor allem an der Oberfläche, wo sie Spannung und Schauwerte bieten, und solche, die eher subtil durch ihre Themen und Strukturen überzeugen. Am besten wird es immer dann, wenn beides zusammenkommt, und das passiert in Welt aus Stein (The Fade).
Wobei Schauwerte an der Oberfläche hier nicht ganz zutreffend sind, denn in Chris Woodings kompaktem Fantasy-Drama steigt man in die Tiefe eines gewaltigen Höhlensytems hinab, eine bunte und imaginative unterirdische Welt, die mit den üblichen Zwergentunneln und Drachenhöhlen der Fantasy nicht viel gemein hat und ökologisch und kulturell weit ausgearbeitet ist: Während die Sonnen der Welt Callespa ein Leben an der Oberfläche unmöglich machen, haben sich unter der Erde Flora und Fauna, eigene Jahreszeiten und vor allem verschiedene Zivilisationen entwickelt – zu modernen Nationen, die sozial und kulturell etwa im Zeitalter des Imperialismus angelangt sind: Drogenhöhlen und Tanzclubs für die Adligen stehen neben Schlachten, die mit Schwert und Dolch ausgetragen werden, Intrigen schmiedet man in seltsamen Höhlengärten oder Palästen, die in die Stämme gigantischer Pilze geschnitzt wurden. Zwei Nationen – eine mit einem rigiden Kastensystem und viel Platz für Laster und Korruption, die andere mit Sklavenhaltung und einem gelehrten, religiös-künstlerischen Ideal – halten sich für die jeweils überlegene Kultur und sind in einen ewigen Krieg verstrickt.

Mitten darin – im Krieg und der Kastengesellschaft – befindet sich die Heldin, eine drahtige kleine Elitekämpferin, die sich das Prädikat ‘tough’ ausnahmsweise wirklich verdient hat. Diese derbe Ich-Erzählerin steckt jede aktuelle Kick-ass-Lady in die Tasche, denn sie bringt zusätzlich zur kämpferischen Qualifikation auch noch die richtige Geisteshaltung für ihren Job mit. Als Killermaschine, Mutter und Liebhaberin läßt sie sich von ihrem miesen Temperament und ihren Vorurteilen in so manche verfahrene Situation treiben.
Während Orna in der Erzählgegenwart im Gefängnis sitzt und aufgrund ihrer Situation gewollt verzweifelt, wird gleichzeitig ihre Vergangenheit aufgerollt. Chris Wooding hat damit eine psychologisch fein ausgearbeitete Heldin geschaffen, deren Verletzungen und Brüche sich nach und nach offenbaren – auch in ihrer fatalen Wirkung auf die Gegenwartshandlung. Konflikte zwischen Mutter und Sohn, Mann und Frau, und in Zweckgemeinschaften, aus denen sich Freundschaft entwickelt, zeichnen Orna in ihrer ganzen, aufrichtigen Widersprüchlichkeit und Selbstbezogenheit, die sie ihre eigene Situation im perfiden Verpflichtungssystem ihrer Gesellschaft nicht zur Gänze erkennen läßt, so daß sie ihren Haß nach außen projiziert und zum Instrument des ewigen Krieges wird.

In Welt aus Stein steckt daher eine Menge Gesellschaftskritik, die auch in der Weltschöpfung immer wieder aufblitzt: die High Society der mondänen, etwas heruntergekommenen Höhlenwelt ergeht sich in Mode-Sperenzchen und ist von gewöhnlichen Lebensproblemen völlig unbeleckt, aber Orna begegnet auch Freiheitskämpfern mit erschreckend wenig Ahnung vom echten Leben, und am anderen Ende der Skala einem schäbigen Giftmischer, der Frau und Kind ernähren muß, und noch größeren Verlierern einer Gesellschaft, die fast nur Verlierer produziert. Wem nicht bereits das an New Weird gemahnende Edward-Miller-Cover aufgefallen ist, der fühlt sich wahrscheinlich spätestens jetzt an China Miéville erinnert, und in diesem Kontext kann man Welt aus Stein durchaus einordnen. Das trifft auch auf die Sprache zu, denn da eignet sich der Roman eher für die Furchtlosen: Es wird ganz angepaßt an die Hauptfigur und ihre Gesellschaft ‘gefickt’ und geflucht, bis die Balken krachen, und wer davor noch nicht zurückschreckt, sollte sich darauf einstellen, daß weite Teile der Handlung im eher ungewöhnlichen Präsens erzählt werden. Im besten Fall verleiht das dem Text eine gewisse (der Action oft angemessene) Atemlosigkeit, aber leider wirkt es auch schnell künstlich und überkandidelt, was dem Autor, der hier Form über Gefälligkeit stellt, des öfteren passiert.
Denn die Präsens-Erzählung und die gleichzeitig eigenwillige Kapitelanordnung (los geht es mit Kapitel 30, Erzählgegenwart im Präsens und abwechselnde Aufarbeitung der Vorgeschichte im Präteritum werden dann jeweils abwärts und aufwärts gezählt) ist nicht nur eine innovative Spielerei, sondern klärt durch die Aufdeckung der Vergangenheit der Heldin über ihr Handeln in der Gegenwart und die tieferen Zusammenhänge auf und wirft immer wieder neues Licht auf ihre Entscheidungen, wie bei einem Mosaik, dessen Bild immer klarer wird, bis man nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte.

Bis man von diesen feineren Themen und der geschickten Konstruktion, die eine große Sogwirkung entfaltet, ganz eingefangen ist, serviert Chris Wooding mit seiner im Gefängnis schmachtenden Heldin aber auch astreine Action und Spannung – ein turbulenter Gefängnisausbruch sorgt für Herzklopfen, und dann ist man auch schon mittendrin in dieser Geschichte von Rache und Mißverständnis, in einem tradierten Krieg, bei dem sich immer mehr die Frage stellt, wer eigentlich davon profitiert, und in der von diesem Strudel gefangenen, zerrissenen Heldin, die ihren eigenen Feldzug führt und dabei so viel zertrampelt, daß man der Geschichte eine gewisse Düsternis nicht absprechen kann, hin und wieder durchbrochen vom sardonischen Humor Ornas.
Ihre faszinierende Anti-Heldenreise durch verschiedene Milieus und Kulturen, ihre in mehrfacher Hinsicht finstere Höhlenwelt, in der sich doch hin und wieder ein glitzerndes Geheimnis findet, und ihre innere Werdung und Wandlung sind definitiv einen Blick wert, vor allem für entdeckungs- und experimentierfreudige Leser.

Who Fears Death von Nnedi OkoraforOnyesonwu ist die Außenseitern ihres Dorfes, denn sie ist ein Mischlingskind der beiden verfeindeten Volksgruppen ihrer Heimat, das durch Vergewaltigung entstanden ist und dem Volksglauben nach selbst zur Gewalt neigt. Sie versucht sich mit allen Mitteln in die Dorfgemeinschaft einzufügen, doch ihre Bemühungen sind zum Scheitern verurteilt, weil in ihr obendrein magische Kräfte schlummern: Was damit beginnt, daß sie mit ihrem Gesang Tiere anlocken kann, gipfelt schließlich in der Fähigkeit zum Gestaltwandel und weiterreichenden Kräften. Der Dorfmagier Aro will Onyesonwu trotzdem nicht ausbilden, denn sie ist eine Frau.
Derweil tobt nicht allzu weit entfernt der Krieg weiter, und Onyesonwus brutaler Vater steht im Mittelpunkt …

-My life fell apart when I was sixteen. Papa died. He had such a strong heart, yet he died.-
Chapter 1: My Father’s Face

Who Fears Death, dessen Titel (übrigens die Übersetzung des Namens der Heldin) schon andeutet, daß es sich womöglich um nicht ganz leichte Kost handelt, stellt einen von den ersten Seiten an vor die Herausforderung, daß hier Dinge zusammenkommen, die man in der Regel nicht in einem Roman vereint vorfindet: Erzählt wird eine ganz und gar typische Jugendbuchgeschichte – das Coming of Age, die Initiation in die Welt der Magie, das Finden von Freunden und Feinden und das Kennenlernen der Welt, und schließlich die Queste, bei der mehr als die Ausbildung zum Einsatz kommt und viel auf dem Spiel steht. Das post-apokalyptische und phantastisch-verfremdete Afrika, in dem Who Fears Death angesiedelt ist, wartet allerdings ungeschönt mit ziemlich allen heiklen Themen auf, die im Kontext mit Afrika häufig zur Sprache kommen. Schon die Abstammung der Protagonistin spricht Bände – wer etwas über systematische Vergewaltigungen zur Demoralisierung von ethnischen Gruppen gehört hat, kann sich ungefähr vorstellen, was bei der Lektüre auf ihn oder sie zukommt.
Dieses Thema und viele weitere – Beschneidung von Mädchen, Steinigung, Kindersoldaten und eine Gesellschaft, die vom Mystizismus, aber auch von starken Vorurteilen durchdrungen ist – werden einfühlsam beschrieben, aber weder pathetisch noch reißerisch; sie sind einfach, gehören zur Realität der Protagonistin. Vor allem werden sie, etwa im Falle der Beschneidung, nicht einseitig mahnend und verdammend dargestellt, sondern aus einer Perspektive, die verständlich macht, welche Gründe es für die Beteiligten geben könnte (aber auch diskriminierende und misogyne Aspekte werden keineswegs ausgespart). Je mehr man von Nnedi Okorafors Welt kennenlernt, desto deutlicher wird, daß man nicht nur über “Afrika-Probleme” liest, sondern über die universelle Erfahrung von Diskriminierung und gesellschaftliche Mißstände, über (pseudo-)moralisch legitimierte Gewalt.

Who Fears Death ist ein feministischer Roman, mit einer Heldin, die ganz angry young woman ist, andere ständig vor den Kopf stößt, impulsiv und unerschrocken handelt und gegen einengende Umstände aufbegehrt. Auch dieses Thema wird aus verschiedenen Perspektiven ausgeleuchtet, sei es durch Onyes Freundinnen, die ihre Emanzipation individuell anders (oder gar nicht) vollziehen, sei es durch die feinsinnige Schilderung ihrer großen Liebe, die trotz aller Voraussetzungen, über Diskriminierung und Ungleichheit hinwegzugehen, im Beziehungsalltag (sofern ihnen überhaupt einer gegönnt ist) auf Schwierigkeiten mit der Gleichstellung stößt. An dieser Stelle sollte auch erwähnt werden, daß Körperlichkeit trotz der geschilderten Brutalitäten nicht nur negative Komponenten aufweist, sondern als wichtiger Bestandteil des Soziallebens viel Raum einnimmt.

Als Onyes Sturheit dafür sorgt, daß sie auch als Frau ihre Ausbildung zur Magierin erhält, tritt eine der großen Stärken des Romans hervor: Mythen mischen sich nahtlos mit der harten Realität, die Geisterwelt fließt in den Alltag, ohne grundsätzlich für hochgezogene Augenbrauen zu sorgen – etwa in Form des von allen akzeptierten Versammlungshauses der Ältesten, des Osugbo, das einen starken Eigenwillen besitzt und Besucher mitunter stundenlang herumirren läßt oder gleich wieder ausspuckt.
Gestaltwandel, Geister, die alten Mythen der Wüste und sogar ein afrikanischer Drache tauchen auf, als die Heldenreise Onyesonwus ihren Lauf nimmt, immer mit dem Gefühl, von einer lebenden, vielschichtigen Welt zu lesen und nicht nur puren Exotismus zu bestaunen.
Die Magie deckt dabei die spirituelle und körperliche Ebene ab und arbeitet mit Übertragungen, um beide zu verbinden, wobei sehr erfrischende Effekte zum Einsatz kommen. Spirituelle und kulturelle Begriffe sind größtenteils der Kultur der Igbo entnommen, in der auch die Wurzeln der Autorin liegen.

Achronologische Einschübe stecken Rahmen innerhalb der Erzählung ab, die die Dynamik einer sich immer schneller drehenden Spirale besitzt – Kindheit und Jugend, die die Heldin prägen, werden mit langen ruhigen Passagen erzählt, die trotzdem von Beginn an etwas Zwingendes haben, ihre Ausbildung beschleunigt sich zusehends, und die Queste nimmt als actionreiches, intensives Finale das letzte Stück des Romans ein.
Mit seiner Rahmengeschichte, dem Werdegang der Heldin und der Mythenbildung um die starke und bewußte Ich-Erzählerin, der schillernden Welt mit den realen Problemen und nicht zuletzt Okorafors wunderschönen, teils angemessen knappen und teils lyrischen Sprache ist Who Fears Death tatsächlich so etwas wie ein “afrikanischer” Name des Windes – und eine lohnende, verzaubernde Lektüre, die beim Lesen immer wieder an die Nieren geht.

The Wise Man's Fear von Patrick RothfussKvothe erzählt Chronicler und Bast ein weiteres Stück seiner wildbewegten Lebensgeschichte: Der Konflikt mit seinem in der Thronfolge ein wenig aufgerückten Dauerrivalen Ambrose führt an der Universität zu neuen Verwicklungen, die ein Urlaubssemester ratsam erscheinen lassen. Auf Empfehlung eines Bekannten will Kvothe die Zeit  und seine musikalische Begabung  nutzen, um  einen mächtigen Adligen als Förderer zu gewinnen. Doch auf seiner Reise gerät er von einem Abenteuer ins nächste und sieht sich in seinen Nachforschungen über die Chandrian und den geheimnisvollen Orden der Amyr mit immer mehr Rätseln konfrontiert …

– Dawn was coming. The Waystone Inn lay in silence, and it was a silence of three parts. –
Prologue – A Silence of Three Parts

Patrick Rothfuss ist wahrscheinlich ein zu fähiger Autor, als dass er ein völlig misslungenes Buch vorlegen könnte, aber im Vergleich mit seinem großartigen Debüt The Name of the Wind (Der Name des Windes) fällt The Wise Man’s Fear (Die Furcht des Weisen) enttäuschend aus. Bis zu einem gewissen Grade ist dieser Eindruck sicher der Tatsache geschuldet, dass die Qualität des ersten Romans und die vergleichsweise lange Zeit bis zur Veröffentlichung des zweiten überhöhte Erwartungen geweckt haben, aber auch unabhängig davon weist der Text strukturelle und inhaltliche Schwächen auf, die alles Erzähltalent des Autors nicht ausgleichen kann.

Auf erzählerischer Ebene ist nämlich durchaus manches gewohnt gut: Einige Szenen sind von poetischer Intensität, und das Wechselspiel von Rahmenhandlung und Binnenerzählung ist weiterhin geschickt genutzt. Rothfuss’ sehr bewusster Umgang mit literarischen Techniken schimmert auch an den Stellen durch, die das Erzählen selbst zum Thema machen und fein beobachtet die Umformung von Realität in Geschichten und wiederum deren Einfluss auf die Wirklichkeit schildern. Humor und bitterer Ernst liegen dabei oft nahe beieinander: Schmunzelt man im ersten Augenblick noch darüber, wie Kvothe und Bast sich gegenseitig darin überbieten, eine wilde Lügengeschichte über Chronicler in die Welt zu setzen, ist im nächsten Moment schon die nachdenkliche Überlegung präsent, welche Auswirkungen sich verselbständigende Märchen auf Individuen oder ganze Volksgruppen haben können.

Bestimmte inhaltliche Aspekte liegen Rothfuss dabei erkennbar besonders am Herzen (so übt er etwa wiederholt Kritik an Rassismus und Vorverurteilungen), doch immer wieder steht auch der Akt des Erzählens oder der Informationsvermittlung selbst im Vordergrund, wobei neben den omnipräsenten Mitteln der Sprache und der Musik auch andere Kommunikationsformen ausgelotet werden, die sich dinglicher Symbole oder bestimmter Gesten bedienen.

Rothfuss’ eigener Sprachgebrauch genügt nicht immer den Ansprüchen, die man aufgrund seiner theoretischen Reflexionen an ihn heranzutragen versucht ist. I am no poet. I do not love words for the sake of words. I love words for what they can accomplish, lässt er seinen Helden sagen – und vielleicht trifft das auch auf ihn selbst zu, denn manches, was er hier mit Wörtern zu erreichen versucht, wirkt zu bemüht und gekünstelt. Generell schreibt Rothfuss zwar weiter auf hohem Niveau, doch dort, wo er mit Sprache spielt, ist das Ergebnis bestenfalls durchwachsen. Während der Varianten- und Bedeutungsreigen, den er um den Familiennamen „Lackless“ entwickelt, durchaus funktioniert (und eine gehörige Herausforderung für jeden Übersetzer darstellen dürfte), hat er sich zu viel vorgenommen, wenn er mit ziemlich schlechten Stabreimen arbeitet oder einen Teil der Dialoge in Versform präsentiert. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Letzteres gilt auch für die Fülle von Versatzstücken, aus denen Rothfuss seine weiterhin bunte Welt, sein Panoptikum von archetypischen bis skurrilen Figuren und die über weite Strecken etwas ziellos dahinmäandrierende Handlung zusammenfügt. Die Tempelritter, das Rechtsprinzip des benefit of clergy, eine Fee vom Schlage einer Belle Dame Sans Merci, eine bekannte Anekdote über Schiller und eine schiere Überfülle geläufiger Motive aus dem Fundus der (Fantasy-)Literatur sind alle irgendwie eingeflossen, wirken aber bisweilen recht willkürlich kombiniert.

Zu diesem Anschein von Beliebigkeit trägt sicher bei, dass die übergreifende Geschichte nur sehr langsam vorankommt und letztlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Besonders in der zweiten Hälfte des Buchs kommt einem Kvothe fast wie ein Rollenspieler vor, der auf einer Nebenquest nach der anderen Erfahrungen und Artefakte sammelt, ohne in der Sache große Fortschritte zu machen.

Das wäre sicherlich zu verschmerzen, wenn seine etwas episodisch angelegten Abenteuer wenigstens gute Unterhaltung bieten würden, doch leider hat man spätestens im letzten Drittel des Romans den Eindruck, dass Rothfuss mithilfe seines Helden recht pubertäre Träume auslebt: Von einer lüsternen übernatürlichen Partnerin zum kundigen Liebhaber ausgebildet gelangt Kvothe zu einem Kriegervolk, das ihn nicht nur in Fremden gewöhnlich vorenthaltene Kampfkünste einweiht, sondern auch ein höchst entspanntes Verhältnis zur Sexualität pflegt. Die entsprechenden Schilderungen bleiben zwar dezent, sind aber darum inhaltlich nicht weniger albern. Auch kämpferisch darf Kvothe aktiver als zuvor werden, und anfängliche Gewissensbisse über das ein oder andere Gemetzel an Schurken sind rasch überwunden, mangelt es doch nicht an Gelegenheiten, sich edel und hilfsbereit zu geben und zu fühlen.

Es nützt nur wenig, dass Rothfuss seinen Erzähler hier einiges selbst unter dem Hinweis auf seine damalige Jugend ironisieren lässt oder den Initiationscharakter bestimmter Plotelemente betont. Wäre nicht die Rahmenhandlung, die einem immer wieder die Erzählsituation ins Gedächtnis ruft und vor allem einen auf Menschenmaß zurechtgestutzten Kvothe zeigt, hätte man wahrscheinlich bald genug von dem Wunderknaben und seinen Erlebnissen. So aber bleibt immerhin die Hoffnung, dass es Rothfuss irgendwie gelingt, im letzten Band seiner Trilogie eine überzeugende Hinführung zur tragischen Jetztzeit seines Helden zu finden und zu demonstrieren, dass seine Erzählkunst zu mehr taugt als nur dazu, die Klammer um eine Loseblattsammlung mehr oder minder offenkundiger Entlehnungen zu bilden.

Wolfsjagd von Jim ButcherHarry Dresden, Magier und Privatermittler in Chicago, bekommt es mal wieder mit übernatürlichen Morden zu tun – noch bevor die Nachwirkungen seines letzten Falls gänzlich verklingen konnten. Nach Monaten ohne jeden Kontakt meldet sich Lieutenant Karin Murphy bei dem Magier und hält eine bizarre Mordserie bereit: jeden Monat zur Vollmondszeit sterben Menschen auf bestialisch entstellte Weise und die Spuren deuten auf eines ganz besonders hin: Werwölfe

– Normalerweise achte ich nicht weiter auf den Wechsel der Mondphasen. Daher wusste ich auch nicht, dass es eine Nacht vor Vollmond war, als sich im McAnally’s eine junge Frau zu mir setzt und mic bat, ihr alles über eine Sache zu erzählen, die sie angeblich umbringen konnte. –
1

Zu Wolfsjagd liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der wundersame Dr. Darwin von Charles SheffieldDr. Erasmus Darwin, der Großvater des Evolutions-Theoretikers, ist ein englischer Landarzt, überall gerühmt für seinen scharfen Verstand. Das ist der Grund, weshalb Leute aus allen Regionen Englands ihn zu besonders kuriosen Fällen hinzuziehen, die Darwin dann auch mit höchstem Vergnügen löst.
Darwins oberstes Credo ist dabei die Wissenschaftsgläubigkeit – von übernatürlichen Schnickschnack, Dämonen und Teufeln will Darwin nämlich nichts hören.
Auf seinen Reisen wird der Doktor von seinem Freund Jacob Pole begleitet, der stets auf der Suche nach einem der Schätze dieser Welt ist …

-Der Frühlingsabend war mild und ruhig, und was an Gesprächen aus dem Fenster des Hauses drang, war auf dem Weg noch in einiger Entfernung zu hören.-
Der Dämon von Malkirk

Wie sein berühmter Enkel ist Dr. Darwin den Naturwissenschaften zugetan, er betätigt sich in der Lunar Society, praktiziert aber vor allem als Landarzt und klärt für sein Leben gerne rätselhafte Phänomene auf, die ihm immer wieder zugetragen werden. Die sechs Einzelabenteuer, die in dieser Sammlung vorliegen, sind in keinster Weise aufeinander aufbauend oder miteinander verbunden  – nur die Hauptpersonen Darwin und Colonel Pole sind jedes Mal mit von der Partie, und ab und an begegnet man auch Darwins geschätzten Freunden von der Lunar Society wieder. Die vorherige Veröffentlichung der Erzählungen als Kurzgeschichten führt dazu, daß die Protagonisten in jedem Abenteuer aufs Neue eingeführt und mit fast identischen Worten beschrieben werden – die Geschichten können gut für sich stehen, ergeben aber am Stück kein größeres zusammenhängendes Bild als vielleicht ein Portrait der Zeit vor dem berühmteren Darwin.

Charles Sheffield hat stimmig die Atmosphäre einer Zeit eingefangen, in der Aberglaube und Wissenschaft konkurrieren und die Menschen noch leichter von übernatürlichen als von natürlichen Erklärungen für schwer fassbare Dinge zu überzeugen sind. In diesem Umfeld ermittelt Darwin in Fällen, die von den Betroffenen meist in peinlich berührter Manier als wissenschaftlich unmöglich eingestuft werden. Er entlarvt falsche Dämonen, Scharlatane, angebliche Vampire und vieles mehr, und entdeckt dabei nicht selten zwar logisch erklärbare, aber dennoch kuriose Begebenheiten, die so außergewöhnlich sind, daß sie fast magisch anmuten. Seine Arbeitsweise – erst analysieren, dann alles in die Wege leiten und schließlich den verblüfften Beteiligten die Lösung und seinen Weg dorthin präsentieren – erinnert an etliche klassische Ermittler-Helden, und beim Gespann Darwin-Pole kommen einem unweigerlich Sherlock Holmes und Watson in den Sinn.

Die Struktur der Geschichten, immer einen einzelnen Fall mit der präzisen, aber erst im Nachhinein logischen Vorgehensweise des Doktors zu schildern, baut dieses Ambiente durchaus mit auf.Etliche historische Persönlichkeiten sind in die Handlung eingeflochten, und alle Geschichten sind von Tatsachen inspiriert. Über die genauen Zusammenhänge wird man in einem lesenswerten Nachwort aufgeklärt, in dem Sheffield – selbst Naturwissenschaftler – das Zeitalter der Aufklärung resümiert.
Aber auch die gut recherchierten Geschichten verraten viel über den Stand der Wissenschaften und der Medizin im 18. Jahrhundert.
Sheffields nüchterner Stil läßt Darwin und Pole erst recht als kauzig-liebenswerte Helden hervorstechen. Nach ihrer Analyse bleibt meist nicht mehr viel Magisches an den rätselhaften Begebenheiten, so daß man es vielmehr mit einer Kuriositätensammlung als Phantatik zu tun hat. Ein wenig schade ist auch, daß die Geschichten im Großen und Ganzen immer ähnlich konstruiert sind und man die Richtung der Lösungen, wenn auch nicht ihr ganzes Ausmaß, oft schon voraussehen kann. Für eine unterhaltsame (und durchaus auch lehrreiche) Lektüre empfiehlt es sich also, das Buch auf mehrere Einzelhäppchen zu verteilen.
Einen Rest von Magie gibt es übrigens auch in der streng wissenschaftlichen Welt des Dr. Darwin: Das Ungeheuer im schottischen Loch pflügt auch nach seinem Besuch ungetrübt weiter durch die Wellen…

Yamada Monogatari von Richard ParksLord Yamada, ein gefallener Adliger, hat sich auf die Lösung von übernatürlichen Problemen spezialisiert – er steht mit Schwert, Witz und buddhistischen Sutras bereit, um sich um Oger, Geister und Dämonen zu kümmern, die die Mitglieder des Hofes von Kyoto belästigen, ihre Ehre beflecken oder ihre Bauern fressen. Zwischen den Missionen braucht er allerdings immer mehr Sake, denn mit einem simplen Töten der übernatürlichen Erscheinungen ist es meist nicht getan.

-I was just outside of Kyoto, close on the trail of a fox spirit, when the ghost appeared.-
Fox Tails

Wenn Japan überhaupt Setting für Fantasy-Geschichten ist, dann sind sie meistens in der Edo-Zeit angesiedelt, um vor dem Hintergrund der großen Samurai-Schicht und der Kämpfe zwischen den Provinzherrschern zu spielen. Dass die friedlichere Heian-Zeit erzählerisch weniger hergibt, könnte man aber nach der Lektüre von Yamada Monogatari nicht mehr behaupten: Hinter der Fassade des hochregulierten höfischen Lebens brodelt es, und für jene Fälle, die ein etwas peinliches übernatürliches Problem beinhalten, lässt sich zum Glück Lord Yamada anheuern, der als ehemaliger Adliger einerseits Umgang mit der feinen Gesellschaft pflegen kann, sich andererseits aus akutem Geldmangel aber auch nicht zu schade ist, sich die Finger schmutzig zu machen.
Er ist ein bisschen wie ein fernöstlicher Hexer Geralt, dieser Yamada no Goji: Ein armer Schlucker, den die Gesellschaft braucht, um die Probleme zu beseitigen, derer sie nicht Herr wird, der sich in dieser prekären Lage jedoch eine edle Gesinnung bewahrt hat und viele brenzlige Situationen mit einem guten Schuss Pragmatismus meistert.

Richard Parks hatte aber vermutlich keinen europäische Märchenstereotype verkloppenden Hexer im Sinn, als er Yamada Monogatari konzipiert hat, sondern eher einen japanischen Hardboiled Detective, komplett mit bittersüßer Liebesgeschichte, zu viel Sake und einem enttäuschten Blick auf die Gesellschaft. Die zehn Fälle, die in diesem Sammelband aufgeklärt werden, geben diesem Blick auch recht und verweisen auf einen zweiten Eckpunkt von Parks’ Geschichten: die Gothic Novel. Auch im mittelalterlichen Japan sind die Fälle nur selten so leicht gelöst, wie sich die Auftraggeber das ausmalen (Kopf ab!); meist liegen gute Gründe für die Heimsuchung vor, und es sind schmutzige, ungute Geheimnisse, die durch die Präsenz von Fuchsgeistern, Oni oder Geistererscheinungen an die Oberfläche gespült werden und für die Lord Yamada eine Lösung finden muss.
Damit erklärt sich auch die meist ruhige Erzählweise der Geschichten trotz des martialischen Themas. Nur kurz blitzt hin und wieder eine Actionszene auf, ansonsten liegen die Stärken von Yamada Monogatari in den Dialogen, dem feinen Humor und den gut recherchierten Beschreibungen. Die Lösung wird selten mit dem Schwert erreicht, es kommt auf Witz, das Nutzen der starren gesellschaftlichen Regeln (und ihr Umgehen an geeigneter Stelle) und Menschenkenntnis an.

Die Geschichten sind mosaikartig angeordnet und ergeben nach und nach ein Muster, als Nebenfiguren immer wieder auftauchen und die politische Gesamtsituation sich im Hintergrund weiterentwickelt. Hängt Lord Yamada zwischen den Missionen zu versoffen durch, kann man sich darauf verlassen, dass der Priester Kenji erscheint und ihn aus dem tiefen Tal führt (indem er ihm den letzten Sake wegtrinkt). Am Ende ist sogar eine Art Hintergrundgeschichte abgeschlossen, und wenn man Gefallen an Yamada und seinen Mitstreitern gefunden hat, kann man sich darauf freuen, dass Richard Parks sie damit für eine geplante Romanreihe in Position gebracht hat.

Das Setting profitiert stark von der Präsenz der übernatürlichen Welt, die sich nicht nur in Form von Problemen manifestiert, sondern auch in Alltagserscheinungen wie Mottengeistern, verwunschenen Wäldern gleich um die Ecke der belebten Hauptstadtstraßen und Ahnengeistern. Die – für die Fantasy – ungewöhnlichen Monster und Gesellschaftsregeln werden durch die Tatsache lebendig, dass in Lord Yamadas Zeit das Göttliche und das Dämonische im Grunde akzeptiert werden, aber auch für eine Welt stehen, die im Schwinden begriffen ist, da der Aufstieg der Samurai kurz bevorsteht, der nicht nur das höfische Leben am kaiserlichen Hof bedroht, sondern auch die übernatürliche Welt verdrängt, ganz als würde damit endgültig bewiesen, was Lord Yamada ohnehin längst begreift: Die allerbesten Monster geben immer noch Menschen ab.

Cover von Das Zaubergift von Martin ScottEigentlich möchte Thraxas Ferien machen. Im Sommer ist es in Turai viel zu heiß, um zu arbeiten. Doch dann stürzt ein junger Mann in Thraxas’ Büro, der beschuldigt wird, einen stadtbekannten Bildhauer umgebracht zu haben und der den Privatdetektiv anfleht, seine Unschuld zu beweisen. Ein Hippiemädchen will Thraxas unbedingt engagieren, damit er ein paar Delphinen hilft und zwei Mönche beauftragen ihn, nach einer Statue zu suchen. Was bleibt unserem Helden übrig? Thraxas wirft seine Ferienpläne über Bord.

– Makri betritt die “Rächende Axt” mit dem Schwert an der Hüfte und einem Bündel Notizen aus ihrem Philosophiekurs in der Hand. Der Schweiß rinnt ihr in Bächen den Hals hinunter.-
1. Kapitel

Die englische Originalausgabe trägt den Titel Thraxas and the Warrior Monks. Dieser Titel entbehrt auch nicht einer gewissen Logik, denn der ganze Fall dreht sich um zwei rivalisierende Mönchsorden, die sich nach Art der Shaolin heftig bekämpfen. Wahrscheinlich haben sich aus diesem Grund die europäischen Verlage dazu entschlossen, diesen Titel in der jeweiligen Landessprache beizubehalten. Ob in Frankreich, den Niederlanden, in Rußland oder Polen, in ganz Europa stehen die kriegerischen Mönche auf der Titelseite. In ganz Europa??? Nein!!! Ein kleines starrsinniges Völkchen im Herzen Europas wehrt sich standhaft gegen einleuchtende Titel und verteidigt stur seine eigenartige Auffassung, daß der Titel und das Cover eines Buches mit dem Inhalt nichts, aber auch rein gar nichts, zu tun haben dürfen. Richtig geraten lieber Leser, das kleine aufrechte Völkchen, das sich so energisch der europäischen Einheit verweigert, ist der Blanvalet bzw. Goldmann-Verlag in Deutschland, der sich in seiner unerforschlichen Weisheit dazu entschlossen hat, als Titel des Romans ausgerechnet Das Zaubergift zu wählen. Kein Mensch in diesem Buch hat irgend etwas mit Zaubergift zu tun. Aber ich will nicht lügen: Sarin, die gnadenlose Mörderin, ist wieder am Werk. Sarin ist auch der Name eines Nervengiftes, das im zweiten Weltkrieg entwickelt, aber dann doch nicht als chemische Waffe eingesetzt wurde. Also wenn man es so sieht…

Für die Umschlaggestaltung ist das Design Team München verantwortlich, für die Umschlagillustration Schlück/Maitz. Es wäre interessant zu erfahren, warum man sich auch für ein Cover entschieden hat, das mit dem Roman nichts zu tun hat. Was haben die Drachen und dieser Jung-Siegfried-Verschnitt auf dem Titelbild zu suchen? Um Thraxas kann es sich nicht handeln, denn der ist fett und trägt sein blondes Haar zu einem Zopf gebunden. Und Drachen kommen in dem Buch genauso oft vor wie Zaubergift, eher seltener.

Die Namensgebung hat sich gegenüber dem ersten Band ebenfalls nicht verbessert. Neu sind der ermordete Bildhauer Rodinaax (ja, man bemüht sich auch das Bildungsbürgertum als Leser zu gewinnen), der des Mordes Verdächtige Gesox, die Jugendbande Kuul-Tiens und besonders geschmacklos ist die einmalige Erwähnung des hohen Bonzen des Gaststättengewerbes namens Juhnkar. Dem Fischhändler Iglox ist sein Name mittlerweile anscheinend so peinlich, daß er sich in Tranox umbenannt hat.
Schade, schade, schade. Wenn man das Glück hat, zehn zusammenhängende Zeilen lesen zu können, ohne daß man auf diese ach so originellen Namen stößt, dann merkt man, daß Martin Scott dem Leser eigentlich eine gelungene Parodie auf die alten Detektivromane der Schwarzen Serie bietet. Diese Reihe könnte dem Leser gute leichte Unterhaltung bieten, wenn der Verlag nicht mit aller Gewalt darauf hinarbeiten würde, das Lesevergnügen zu ruinieren.
Nehmen Sie es dem Autor nicht übel, der kann nichts dafür. Wenn es Ihnen möglich ist, lesen Sie das Original (obwohl die englischen Cover auch eine Qual für das Auge sind) und irgendwie habe ich den diffusen Verdacht, daß Sie mit der französischen, niederländischen, polnischen und russischen Ausgabe auch besser bedient sind als mit der deutschen. Deutsche Leser, bildet Euch weiter: Lernt Fremdsprachen!

Das Zauberhaus von Peter S. BeagleAls die Mutter der 13jährigen Jenny erneut heiratet, steht ein Umzug ins ländliche England an. Jenny ist außer sich vor Wut, denn das ohnehin mit sich und der Welt  unzufriedene Mädchen muß New York verlassen, ihre geliebte Katze Herr Kater muß für Monate in Quarantäne und sie hat überhaupt keine Lust auf ein Leben auf dem Bauernhof mit einem Stiefvater und zwei neuen Stiefbrüdern.
Doch kein Wutanfall hilft – Jenny findet sich bald auf dem alten, halb verfallenen Gut wieder. Und obwohl sie gewillt ist, den Rest ihrer Tage zu schmollen, kann sie sich der unheimlichen Magie des alten Anwesens nicht entziehen: Seltsame Dinge geschehen, und alte Sagen von Boggarts, Pookas und Geistern scheinen wahr zu werden…

-Als ich ganz klein war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein. Ich saß im Klassenzimmer und träumte mit offenen Augen davon, so wie andere Kinder davon träumten, Filmstar oder ein berühmter Basketballspieler zu sein.-
Eins

Peter S. Beagle glänzt nach wie vor mit einer der schönsten Erzählstimmen des Fantasy-Genres. Er war allerdings nie ein Vielschreiber, und thematisch hat er sich in den letzten Jahren eher in unserer Welt eingefunden, deren magische Aspekte er wie kein zweiter herausstellen kann, als in anderen Fantasy-Welten. In Das Zauberhaus (Tamsin) ist er wieder auf der Höhe dieser Kunst, und mit seiner jugendlichen Protagonistin wirkt der Roman vielmehr wie eine Anknüpfung an He! Rebeck!, die auch für jüngere Leser von Interesse sein könnte, als daß es Parallelen zu Beagles anderem großen Erfolg Das letzte Einhorn gäbe.
Dennoch kann man wortwörtlich vom ersten bis zum letzten Satz in einer anderen Welt aufgehen – der Welt von Jenny Glücksstein. Mit der Stimme der Protagonistin berichtet Beagle die Ereignisse auf der Stourhead Farm, und mit einer geradezu sensationellen Einfühlungsgabe bringt er dem Leser die Ängste, Leidenschaften, Fehler und Heldentaten einer Dreizehnjährigen nahe, die man schon nach wenigen Seiten persönlich zu kennen glaubt. Das macht vielleicht sogar sehr viel mehr Spaß, wenn man mit einem Augenzwinkern auf die Zeit des Dreizehn-Seins zurückblicken kann. Durch ihren meistens gegen sich selbst gerichteten Humor und vor allem ihre verschämte Ehrlichkeit wächst Jenny dem Leser recht schnell ans Herz.

Die Stourhead-Farm ist ein erstaunlich mystischer Erzählort, der dennoch ganz fest im ländlichen England und seiner Geschichte verwurzelt ist. Ohne Bruch und ganz natürlich tut sich die Welt der Geister auf und zieht Jenny und den Leser in ihren Bann, und die netten (und weniger netten) englischen Fabelwesen sind liebevoll in die Geschichte eingefügt. Wichtige Rollen in diesem Roman sind Themen zugedacht, die auch in Beagles früheren Werken eine Rolle spielen – Katzen, Musik und natürlich Geistern. Eine gute Recherche in der englischen Geschichte und viele Anspielungen auf das Werk Thomas Hardys (die aber keine Voraussetzung zum Verständnis der Handlung sind – über die englische Sagenwelt sollte man dagegen schon das ein oder andere gehört haben) komplettieren die Geschichte um einen Geist, der wegen eines alten Greuels noch an diese Welt gebunden ist. Die Auflösung dieses Fluchs erfolgt Puzzelstück um Puzzlestück.

Daß Beagle seine poetische Sprachkunst auch in den Worten eines jungen Mädchens ausspielen kann, ohne unglaubwürdig zu wirken, ist beeindruckend, dabei springen gerade auch in der deutschen Übersetzung an einigen Stellen geschickte Lösungen regelrecht ins Auge (auch wenn man nach dem Drachen auf dem Cover der deutschen Ausgabe im Text vergeblichen Ausschau halten wird).
Das Ende des Romans sticht noch einmal besonders hervor – es ist sozusagen ein Geschenk an alle Liebhaber erfundener Geschichten und des Märchenhaften im Alltag.

Kushiel: Das Zeichen von Jacqueline CareyDas Volk der D’Angelines hat das Engelblut in den Adern, das sie mit überirdischer Schönheit ausstattet. Phèdre ist eine von ihnen, sie steht im Dienste der Ahngöttin Namaah, deren Anhänger die Kunst der Liebe zelebrieren. Der Adlige Delaunay erkennt an einem Makel in ihrem Auge, dem Zeichen des Engels Kushiel, dass Phèdre eine Anguisette ist – sie erfährt Lust durch Schmerz. Er kauft das Mädchen und bildet sie zusammen mit seinem anderen Schüler in Sprachen, Künsten und Spionage aus, damit sie ihm als Konkubine dient, die bei ihren Freiern Staatsgeheimnisse ausspioniert. Tatsächlich gibt es Verschwörungen, die das ganze Land Terre D’Ange gefährden.

– Damit niemand annimmt, ich sei ein Kuckuckskind, das von lüsternem Bauernvolk unehelich gezeugt und in einem schlechten Erntejahr in die Leineigenschaft verkauft wurde, will ich vorausschicken, dass ich einem der Dreizehn Häuser entstamme und im Nachtpalais selbst großgezogen wurde, auch wenn es mir nicht viel genützt hat. –
1. Kapitel

Zu Das Zeichen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Zentaurengelichter von Glen CookPrivatdetektiv Garrett soll die Erbin eines beträchtlichen Vermögens ausfindig machen. Das gefällt einigen Herrschaften gar nicht und so pflastern bald Leichen Garretts Weg.

-Bamm!Bamm!Bamm! Es klang, als klopfe jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Tür. Ich rollte zur Seite und schlug ein dickes Auge auf.-
1. Kapitel

Wer Philip Marlowe mag oder sein politisch unkorrekteres Pendant Mike Hammer, der wird auch an Detektiv Garrett Gefallen finden. Garrett ist der typische einsame Wolf, hartgesotten, cool, mit einer lakonisch-zynischen Sprache, der so herrliche Macho-Sprüche vom Stapel läßt wie: “Normalerweise schlag ich Frauen nicht den Schädel ein”, erklärte ich dem winzigen Wesen, als ich die Tür öffnete. “Aber in Ihrem Fall könnte ich mal eine Ausnahme machen.”
Vielleicht fragen Sie sich langsam, was das denn nun bitte mit Fantasy zu tun haben soll. Die Antwort ist einfach. Garrett ermittelt nicht in irgendeiner amerikanischen Großstadt, sondern in TunFaire, der Hauptstadt von Karenta. Diesmal verschlägt es ihn allerdings ins Cantard, das ist ein Kriegsgebiet mit einer Stadt namens Full Harbor. Offensichtlich handelt es sich um eine Anspielung auf Pearl Harbour, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Unterstützt bei seiner Suche wird Garrett von Morpheus Ahrm, einem elfischen Killer, drei Grollen, die eine Mischung zwischen Mensch, Troll und dem “Sprechenden Tier” sind und ziemlich schnell die Geduld verlieren und natürlich von dem “Toten Mann”, der tatsächlich so tot ist, wie es nur geht, was ihn aber nicht daran hindert, mit Garrett zu kommunizieren. Seine Gegner sind Einhörner, Vampire und ein Zentaur.

Der Knackpunkt des Romans ist wie so oft die Sprache. Einerseits ist es spaßig, daß Cook genau den Ton seiner Vorbilder trifft, andererseits verhindert dieser lakonisch-zynische Ton, daß Spannung aufkommt. Cook erliegt offensichtlich wie viele andere Fantasy-Autoren dem Irrtum, daß das Hinmetzeln von möglichst vielen Ungeheuern per se spannend ist. Und so witzig ist das Buch nicht, daß die Komik die fehlende Spannung wettmachen würde. Auch die Wahl der Namen könnte bei sensiblen Gemütern zu Zahnschmerzen führen, wenn z.B. ein Riese Lou Latsch genannt wird.

Die Zweite Legion von Richard SchwartzHavald und seine Gefährten beschließen, nach den Ereignissen im Wirtshaus Hammerkopf die magischen Tore zu benutzen, um in das legendäre Reich Askir zu reisen, und dort um Hilfe gegen die Invasoren zu bitten. Doch ein seltsamer Wanderer, der im Gasthaus eintrifft, erzählt Havald, daß die Länder, aus denen Askir bestand, inzwischen uneins sind. Trotzdem bekräftigt er Havald in seinem Vorhaben, in Askir vorzusprechen.
Um eines der Tore benutzen zu können, müssen die Gefährten hoch in das eisige Gebirge reisen, wo ihnen etliche Gefahren drohen – denn schon ist der Feind auf ihrer Spur, ohne daß sie es ahnen …
Nach etlichen Strapazen gelangen sie in das Wüstenreich Bessarein und etliche politische Verstrickungen.

-Ich lehnte mich zufrieden in meinen Stuhl zurück, Eberhard, der Wirt des Gasthofs Zum Hammerkopf, hatte sich in der Küche selbst übertroffen, und ich fühlte mich angenehm gesättigt.-
1. Tore und Steine

Nachdem Das Geheimnis von Askir mit Das Erste Horn im Auftakt als eisiges, atmosphärisches Kammerspiel fesseln konnte, geht es nun aus dem beklemmenden Wirthaus für die Gefährtengruppe hinaus in die weite Welt – die Queste, Verstärkung gegen die einfallenden Feinde zu holen, wartet. Und kaum ist man ein Stück weit unterwegs, präsentiert Richard Schwartz ganz gelassen und selbstverständlich einen actionlastigen Universal-Fantasy-Mischmasch, in dem unsere Helden Unterweltpanther, Riesenkakerlaken, Lindwürmer und eine Spinnenkolonie bekämpfen müssen – als wären im Hintergrund die Würfel unter der Prämisse gerollt, nur ja kein Höhlengewürm auszulassen, das man in einer “best of”-Sammlung eines beliebigen Rollenspiels finden könnte.
Daß das Geschnetzel – verglichen mit ähnlichen Werken – tatsächlich leidlich unterhaltsam ist (und nach der ersten ermüdenden Höhlenpartie sogar einigermaßen mitreißend wird), liegt an Schwartz’ unbestreitbarem Erzähltalent: Die Erzählperspektive des alten Recken Havald geht ihm derart gut von der Hand, daß man auch das knietiefe Waten im Klischeesumpf ertragen kann, und der Stil liest sich flüssig und schön (von ein paar Macken wie einer häufig verschusselten Zeitenfolge, wenn in der Vorvergangenheit berichtet wird, einmal abgesehen). Um den jovial vorgetragenen Sexismus, in dem der Erzähler sich häufig ergeht, zu ertragen, muß man allerdings schon mehr als ein Auge zudrücken.

Die einzelnen Kurzkapitelchen machen meistens Spaß, lesen sich locker und flott und lassen Die Zweite Legion zu einer soliden Unterhaltungslektüre werden, doch aus dem Mittelfeld würde die Reihe nur herauskommen, wenn man in den Ideen in Sachen Setting und Handlung endlich einmal Schwartz’ eigene Hand erkennen würde und nicht das Gefühl hätte, alles wäre etwas lieblos aus Versatzstücken zusammengepinselt. Die Handschrift des Autors in Welt und Ideenfindung gehört mit zur eigenen “Poesie” der Fantasy und ist oft Teil des Lesevergnügens – hier leider mehr als blaß umgesetzt.

Und man muß davon ausgehen, daß dies genau so Absicht ist, denn in anderen Gebieten zeigt sich Schwartz durchaus erfinderisch: Kann man die Ansprüche an Weltenbau & Konsorten etwas herunterschrauben, wird man nämlich prächtig von den humorigen Streitigkeiten innerhalb der Gefährtengruppe unterhalten – in diesem Band hat sich Schwartz besonders der spröden Dunkelelfe Zokora angenommen, deren trockener Humor fast in jedem Kapitel Lacher garantiert. Damit präsentiert der Autor seine Helden auf warme und trotz der Klischees eigene Art, so daß man mit den Schwächen Nachsicht üben kann.
Mag auch die Handlung kein Knüller sein, ebensowenig die Welt, aber die Charaktere und ihre Interaktionen sind meistens ein herrlicher, lebendiger Spaß und sorgen für ein kurzweiliges Lesevergnügen.