Damals war das halt so!

Wie oft hat man diesen Satz (mit einer gewissen Variationsbreite) schon gehört, wenn es um Geschlechterbeziehungen in Fantasybüchern ging: „Ja, aber damals war das halt so!“

Eine Aussage, die – ebenso wie die entsprechenden Inhalte – auf akribischer historischer Recherche beruht? Eher nicht. Vielmehr spiegeln sich darin zeitgenössische, kulturelle Vorstellungen über die Geschlechterverhältnisse wider, die nur allzu gerne rückprojiziert werden, um sie zu legitimieren. Die historistische Rechtfertigung tritt auch gerne im Verbund mit biologistischer Argumentation à la “Frauen sind nunmal schwächer und bekommen Kinder, während Männer die muskulös-kampfkräftigen Jäger sind” auf. Ein klassisches Beispiel für die Vermischung der beiden Argumentationslinien samt legitimistischer Rückprojektion sind übrigens die älteren Rekonstruktionen zu den Fußspuren von Laetoli, die die Fußabdrücke ohne weitere Anhaltspunkte geschlechterspezifisch (samt vermeintlicher Rollenverteilung) zuordneten.

Was uns aber tatsächlich an dieser Argumentation stört, ist das Pochen auf Historizität in einer Fantasy(!)welt, die sich ansonsten zumeist eher vage an bestimmten Epochen (wobei das Mittelalter wohl dominieren dürfte) orientiert und keinesfalls durch historische Akkuratesse glänzt. Es wird stattdessen das adaptiert, was passend erscheint, und anderes unter den Tisch fallengelassen. So stößt man etwa bald mal auf Ritter (oder zumindest auf gepanzerte Reiter) in einem Fantasyroman, das dahinterstehende ökonomische, religiöse und gesellschaftspolitische System findet jedoch eher selten Eingang in die entsprechenden Werke, deren Massenschlachten eine mittelalterliche Welt wohl dreimal entvölkern würden. Ähnlich verhält es sich auch beim biologistischen Argument, wo doch gerade die Fantasy mit ihren magischen Geschöpfen auf Ökosysteme pfeift und eine Formen- und Artenvielfalt erzeugt, die jeder Klassifizierung spottet.

Das ist ja nun auch kein Malheur, schließlich geht es ja um Fantasy. Die Welten sprühen im Idealfall vor Einfallsreichtum und sind angereichert mit Magie, alternativen Techniksystemen oder phantasievollen Gesellschaftsformen. Und genau da liegt auch der Hase im Pfeffer, denn bei all dem glänzen die Geschlechterbeziehungen oft durch einen gewissen Konservatismus und spiegeln eher antiquierte Vorstellungen wider, anstatt Alternativen zu entwerfen, die gerade in einer phantastischen Welt jede Möglichkeit hätten, sich zu entfalten. Wo, wenn nicht in der Fantasy wäre Platz für das Experimentieren mit kulturell neu codierten Rollenverteilungen?

Warum also gerade in diesem Bereich eine solche Einfallslosigkeit?

Brian Attebery liefert hierzu einen wichtigen Ansatz. Er schreibt:
The more of our knowledge we can apply to the fantasy, the easier it is to achieve secondary belief. We cannot picture the unknown unless we hear it described in terms of the known. (Attebery, Brian: The Fantasy Tradition In American Literature. from Irving to LeGuin, Bloomington 1951, 35)

Gerade in Fantasywelten ist also strategisch platziertes, scheinbar Vertrautes notwendig, um die LeserInnen in die Welt eintauchen zu lassen. Dabei sollte man sich allerdings bewusst machen, dass es genau das ist: strategisch! Die AutorInnen bestimmen, was sie zu kreativen Alternativen ausgestalten und wo es im Gegenzug traditioneller zugeht. Warum sind das nun wiederum sehr häufig die Geschlechterverhältnisse? Die Vermutung liegt nahe, dass in manchen Punkten von der Leserschaft verstärkt Vertrautes gewünscht ist bzw. Veränderungen wesentlich krasser auffallen. Dies gilt insbesondere für Geschlechterrollen, die – bewusst oder unbewusst, mittelbar oder unmittelbar – unser aller Leben durchziehen und auch unsere eigene Identität mitbestimmen. Würde durch das Aufbrechen der Geschlechterrollen die “Wohlfühlzone” der breiten Leserschaft verletzt, die anscheinend eher auf der Suche nach dem Ewiggleichen als nach innotivativen, originellen Ansätzen ist? Kann man sich dem Reiz fremdartiger Perspektiven nur solange genussvoll hingeben, wie man darin Vertrautes erkennt?

Eine Rolle spielt womöglich ebenfalls die Angst der AutorInnen davor, durch Veränderungen in diesem Bereich, als “feministisch” abgestempelt zu werden. Ein Label, das inzwischen eine dermaßen negative Konnotation aufweist, dass es niemand mehr tragen will.

Fakt ist außerdem, die Fantasy ist ein Genre, das häufig auf traditionelle und nostalgisch geprägte Stoffe und Motive zurückgreift. Und dort gibt es feste Erzählmuster, die oft tatsächlich nur unter bestimmten Bedingungen zu funktionieren scheinen. Männergeschichten erfüllen sich anders als Frauengeschichten, und spätestens bei einer Liebesgeschichte ist der Bedarf an traditionellen Rollenbildern groß: Der Vampir, Dämon oder Werwolf der aktuellen Paranormal Romance ist nichts anderes als ein Übermann, vor dem auch eine sonst ganz toughe Frau ohne Gesichtsverlust niederknien kann. Offen bleiben muss dabei wohl, ob AutorInnen und LeserInnen bewusst ist, dass gerade diese Überwindung einer sonst starken und kriegerischen Frau durch einen (potentiellen) männlichen Sexualpartner ein uraltes Motiv ist und es der scheinbar so “modernen” Heldin auch nicht besser ergeht als einer Penthesilea, Atalante oder Brunhild.
Wenn Literatur aber nur lange Bärte noch ein bißchen länger macht und sich fraglos an uralten Motiven bedient, verzichtet sie auf ihre größten Stärken, die ganz besonders in der Fantasy ausgespielt werden könnten: Das Ausloten, wo und wie man Regeln auflösen, mit Stereotypen arbeiten und das Publikum bewegen kann.

Ein neuer Blick auf Geschlechterrollen erfordert vor allem drei Dinge: Den Mut, mit den Traditionen zu brechen – auch im Jahr 2011. Den Willen, sich die Arbeit zu machen, die es braucht, um lang gehegte Klischees und Rollenmuster in Geschichten aufzubrechen und sich auf neue Ansätze einzulassen.
Und LeserInnen, die den Weg mitgehen.

21 Kommentare zu Damals war das halt so!

  1. Johannes sagt:

    Schöner nachdenkenswerter Artikel! Danke.

    Johannes

  2. Kah-thurak sagt:

    “Ein neuer Blick auf Geschlechterrollen erfordert vor allem drei Dinge: Den Mut, mit den Traditionen zu brechen – auch im Jahr 2011. Den Willen, sich die Arbeit zu machen, die es braucht, um lang gehegte Klischees und Rollenmuster in Geschichten aufzubrechen und sich auf neue Ansätze einzulassen.”

    So ein Quark. Heute bekommt ein Autor doch allerhöchstens für “traditionelle” Rollenverteilungen Kritik. Ich habe noch nie irgendwo gelesen, dass es doof ist, das bei Steven Erikson Frauen ganz selbstverständlich Machtpositionen einnehmen, während z.B. Peter Brett für sein etwas gurkiges Verhältnis der Geschlechter ziemlich vernichtende Kritik auf sich zieht.

    Generell ist es ja erstmal eine unausgesprochene Behauptung dieses Artikels, dass das traditionelle Rollenbild in der Fantasy überhaupt furchtbar dominant ist. Ich kenne z.B. kein einziges Rollenspiel, in dem Frauen regelmechanisch einen niedrigeren Stärkewert als Männer hätten. Im prominentesten deutschen System (DSA) ist die Gleichstellung ziemlich vollständig (nur auf In/Innen zusätze verzichtet man in den Regelwerken (hoffentlich immernoch)).

    Nimmt man einmal willkürlich Wheel of Time, Malazan Book of the Fallen und Song of Ice and Fire als möglicherweise prominenteste Beispiele von High Fantasy Reihen hat man einmal eine traditionelle Frauenrolle bei Martin, völlige Gleichstellung bei Erikson und die eher matriarchalische Welt von Robert Jordan. Das gibt zunächsteinmal ein ziemlich ausgeglichenes Bild.

    Warum man Romane, die sich von der Realität unserer Vergangenheit in diesem Punkt nicht unterscheiden jetzt negativ bewerten sollte ist mir persönlich nicht klar. Es sei denn man meint auch im Hobbybereich eine politische Agenda verfolgen zu müssen, was ich persönlich anstrengend und unsympahtisch finde.

  3. Fremdling sagt:

    “Alles ist Politik”, dieser Ausspruch ist nicht umsonst inzwischen zu einem geflügelten Wort avanciert. Die Trennung in einen öffentlichen, politischen und einen privaten, unpolitischen Bereich ist eine Fiktion, denn auch, wenn nicht immer von einer “politischen Agenda” gesprochen werden kann, ist der politische Inhalt implizit oder explizit, bewusst oder unbewusst doch stets vorhanden. Übrigens impliziert dein letzter Satz, dass nur diejenigen eine politische Agenda verfolgen, die keine “traditionellen”/”historischen” Geschlechterverhältnisse entwerfen, die anderen jedoch nicht, was ich für äußerst fragwürdig halte.

    Und dann noch zu den Rollenspielen: Gleichbehandlung der beiden Geschlechter an ihren Charakterwerten festzumachen, ist schon eine herrlich oberflächliche Argumentation. Das ist ca. so als würde man sagen: “Frauen können Managementpositionen einnehmen, wir haben also schon die volle Gleichberechtigung erreicht.” Es geht ja darum, wie Frauen- und Männerfiguren in den Geschichten entwickelt werden und das beschränkt sich beileibe nicht auf die Charakterwerte. Mal abgesehen davon, dass sich das Beispiel mit den Charakterwerten ohnehin nicht auf die Masse der Fantasyliteratur übertragen ließe. Wie schaut es denn da mit weiblichen und männlichen Körperattributen aus? Auf die leidige -In/-Innen-Diskussion möchte ich mich eigentlich gar nicht einlassen, aber es sei doch mal darauf verwiesen (nur mal als Anregung), dass man doch in Zukunft einfach ständig -in/-innen schreiben könnte, da ist die männliche Form nämlich sogar tatsächlich im Wort enthalten.

    “Heute bekommt ein Autor doch allerhöchstens für “traditionelle” Rollenverteilungen Kritik.” Der Satz hat nicht nur eine fragwürdige Konnotation (darf ich jetzt “traditionelle” Rollenverteilung nicht kritisieren? Ist es schlecht, wenn das kritisiert wird?), sondern ist wohl auch eher Wunschdenken als Realität.

  4. TeichDragon sagt:

    @Kah-thurak:

    “[…] Peter Brett für sein etwas gurkiges Verhältnis der Geschlechter ziemlich vernichtende Kritik auf sich zieht.”

    Nein, der hat von mir vernichtende Kritiken bekommen bezüglich seiner Darstellung von Frauen als im Grunde genommen paarungswillige und von-Männern-dominiert-werden-wollende Personen. Nicht bezüglich der Aufteilung der Rollen in einem sozialen System.

    “Im prominentesten deutschen System (DSA) ist die Gleichstellung ziemlich vollständig (nur auf In/Innen zusätze verzichtet man in den Regelwerken (hoffentlich immernoch)).”

    LOL! Wann hast Du das letzte Mal in einen Blick in ein DSA-Regelwerk (!) geworfen? Gerade das Grundregelwerk treibt da recht seltsame Stilblüten in der Richtung. Ritter / Ritterin, Schwertgeselle / Schwertgesellin, Schützin, Artilleristin, Stammeskrieger / Stammeskriegerin, usw…
    Schau mal bei den Professionen. 🙂

  5. Kah-thurak sagt:

    @Teichdragon
    Bei DSA wird bei jeder Profession abwechseln eine geschlechtsform für die Beschreibung gewählt. Kein SchwertgesellInnen. Zumindest war das in der letzten Version so, die ich gelesen habe.

    Warum du Brett kritisierst oder nicht ist aber eher uninteressant. Fakt ist, dass er unter anderem für seine Darstellung von Frauen und deren Rolle in der Gesellschaft kritisiert wurde. Mehr habe ich nicht gesagt.

    @Fremdling
    Ich halte dieses “geflügelte Wort” ehrlich gesagt schlicht für dummes Zeug. Ich habe mehrere Hobbys und in keinem davon will ich von Politik belästigt werden. Die ist schon da wo sie hingehört nervtötend genug.

    Warum gehst du im übrigen nicht darauf ein, dass ich schreibe, dass bei DSA die Gleichstellung der Geschlechter fast absolut ist, schmierst mir aber aufs Brot, dass Regelmechanik ja ein schlechtes Beispiel sei? Diese Art der Argumentation ist unsauber und macht eine Diskussion im Grunde wertlos.

    Im übrigen darf man alles mögliche kritisieren. Die Frage ist nur, ob das auch Sinn ergibt. Eine traditionelle Rollenverteilung in einer Fantasywelt ist nunmal denkbar und man kann in einem solchen Setting großartige Geschichten erzählen. Jede neu erdachte Welt entfernt sich unterschiedlich weit von der Realität und kann unabhängig davon gut oder schlecht sein. Ich finde es zu kurz gegriffen einen Ansatz aufgrund solch oberflächlicher Kriterien direkt zu disqualifizieren.

    Ein konkretes Beispiel dafür, wo ein Autor dafür angegriffen wurde oder keinen Erfolg hatte, weil er kein traditionelles Rollenbild verwendet, hätte ich aber schon gerne. Wenn man sich Erikson und Jordan ansieht, dann scheinen sie mir ihren wenig traditionellen Ansätzen ja ganz gut gefahren zu sein. Deshalb halte ich die Behauptung, dass man für ein Abweichen vom traditionellen Mut bräuchte eben für Käse. Oder Quark. Mir persönlich gefällt im übrigen der Ansatz den Erikson gewählt hat, nämlich völlig entspannter Umgang mit völliger Gleichberechtigung ohne das politisch auszuschlachten am besten. Das heisst aber nicht, dass Martin nicht auch gut sein kann. Und das er ein fieser Frauenfeind ist heisst es schon garnicht.

  6. TeichDragon sagt:

    “Warum du Brett kritisierst oder nicht ist aber eher uninteressant. Fakt ist, dass er unter anderem für seine Darstellung von Frauen und deren Rolle in der Gesellschaft kritisiert wurde. Mehr habe ich nicht gesagt.”

    Aha… Wenn es Dir egal ist, warum reitest Du nochmal darauf herum?

    Nochmal, ich glaube du verstehst die Kritik an Brett und seiner Frauen-Darstellung falsch. Natürlich wird das Frauenbild an sich kritisiert, aber vielen ging es vor allem um das Gedankenbild der Frau an sich, die Mr. Brett vollkommen in die Tonne tritt.
    Ala “Frauen wollen eh nur genommen werden, ob das von ihnen gewünscht wird oder nicht, ist egal”. Lies dazu nochmal die Threads durch.

    Und Deine Argumentation ist genauso “Käse” oder “Quark” solange Du vollkommen daneben argumentierst. Es geht NICHT darum, dass Autoren nicht erfolgreich sind, weil sie nicht klassischen Denkmustern folgen.

    Es geht darum, dass “Fantasy-Autoren” nicht genug “Phantasie” haben, sich von bestimmten Konzepten trennen können.
    Oder ob ihrer unterschiedlichen Darstellung möglicherweise (!) nicht so erfolgreich geworden sind, wie man es meinen könnte.

    Machen wir doch es mal andersherum: Gib mir mal Beispiele, wo Frauen-Rollen vollkommen anders dargestellt werden. Und ich meine jetzt nicht die typischen Amazonen, Frauen-in-Pseudo-Macho-Rollen, oder das komplette Ignorieren vom Gender an sich, sondern wirklich abweichende soziale Darstellungen wie es z.b. Elizabeth A. Lynn beschrieben hat.

  7. Wulfila sagt:

    @ Kah-thurak:

    “Wenn man sich Erikson und Jordan ansieht, dann scheinen sie mir ihren wenig traditionellen Ansätzen ja ganz gut gefahren zu sein.”

    Inwieweit die Ansätze bei Erikson und Jordan durchgehend so wenig traditionell sind, ist noch die Frage, denn auch da bleibst du (wie TeichDragon es dir schon am Beispiel von Brett zu erklären versucht hat) in deinen Beobachtungen sehr an der Oberfläche, indem du darauf verweist, dass das Gesellschaftssystem dort nominell so und so beschaffen sei, ohne genauer darauf einzugehen, wie bestimmte Dinge im Einzelfall dargestellt werden.

    Bei Erikson ist in der Tat eine sehr große Bandbreite von Verhaltensweisen gegeben, aber ich finde es bei ihm (und auch z.B. bei Durham) hochinteressant, dass sie trotz ihrer generellen Offenheit für weniger enggesteckte Geschlechterrollen gerade bei zentralen weiblichen Figuren sehr gern in klassisch “weiblich” besetzte Erzählmuster zurückfallen. Dass sie diese Erzählmuster kongenial umsetzen und im Endeffekt eine überzeugende und gute Geschichte dabei herauskommt, steht auf einem anderen Blatt, aber nimm beispielsweise Felisin Paran oder Corinn Akaran. Da spielen als Ausgangspunkte ganz stark bestimmte Opferschemata und Motive sexueller Ausbeutung eine Rolle, die in der Literatur sehr oft weiblich besetzt sind. Dass so etwas auch bei innovativen Autoren wie Erikson unterschwellig durchkommt, finde ich sehr interessant, weil es sehr viel über die unterbewussten Muster verrät, die in Geschichten einfließen.

    Und Robert Jordan … Nun ja. Der hat es geschafft, seinem Helden unter einer phantastischen Ausrede einen Harem von drei Frauen zu bescheren, egal was für Lippenbekenntnisse zu einer aufgewerteten Frauenrolle bei ihm bestehen mögen. Ein solcher Ansatz kommt mir ehrlich gesagt eher wie manch ein altgriechischer Amazonenmythos vor, in dem eine Machtposition von Frauen nur deshalb geschildert wird, damit der Held kommen und sie umstoßen kann (um so unausgesprochen doch sehr klassische Rollenmodelle zu bestätigen).

    Insofern: Oberflächlicher Weltenbau ist eines, das, was an tatsächlichen Rollenvorstellungen mit einfließt, oft etwas ganz anderes.

  8. Elric sagt:

    Spontan fällt mir zu deiner letzten Frage eindeutig Frau Jemisin ein. 😉 Aber die ist aus meiner Sicht auch eine Ausnahme.
    Wenn ich einfach mal meine Bücher zu Hause durchsehe, dann ist doch eine “klassische Rollenverteilung” zu erkennen. Ob das jetzt Moorcock, Feist, Goodkind oder Cook sind. Nicht alles davon find ich gut, aber es ist doch überwiegend eine männlich dominierte Fantasywelt.
    Als Beispiel, wie sich die Geschlechter-Auffassung ändern kann, würde mir jetzt Daniel Abraham einfallen, bei dem es ja im letzten Band eine ziemliche Änderung gibt – ich will nicht spoilern.
    Abraham hat aber nun nicht wirklich großen Erfolg gehabt.

    Um mal ein Beispiel zu nennen, bei dem der Mann “der Tolle” ist und die Frau “ein Anhängsel” und der Autor wird dafür NICHT kritisiert: Patrick Rothfuss! Hey, “Name of the wind” und “A wise man’s fear” stellen Frauen ja jetzt nicht unbedingt als das starke Geschlecht dar – besonders bei den Erzählungen bei den Ademre zu erkennen.

    Und mal ehrlich: kennt jemand von euch so sehr viele weibliche – nicht amazonische – Helden? (oder muss ich Heldinnen sagen?!)

    Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass die gewünschte Verbindung zur eigenen Welt für den Leser ein Argument ist.

    Nur mal so am Rande von mir…

  9. Kah-thurak sagt:

    @wulfila
    Die zentralen weiblichen Figuren bei Erikson haben für dich also ein traditionelles Rollenverhalten? Bei Feilisin ist das Motiv sexueller Ausbeutung zwar da, aber genauso hast du den Aspekt der Krieger-Prophetin und Revlutionsführerin. “Klassisch” weiblich? DIE zentrale weibliche Figur der Serie ist allerdings Tavore Paran. Und viel weiter vom traditionellen Rollenbild der Frau kommst man vermutlich nicht weg.

    Männer als Opfer von Vergewaltigungen oder generell sexueller Gewalt findest du z.B. bei Rothfuss (da muss man allerdings recht genau lesen) und ziemlich deutlich bei Brent Weeks.

    @Elric
    Die Adem sind doch sogar eine matriarchale Kultur… das trotzdem die männliche Perspektive dominiert liegt schlicht und ergreifend daran, das Kvothes Perspektive dominiert.

    @Teich Dragon
    Natürlich werden bei Brett auch andere Dinge kritisiert. Aber eben auch das in seinen Büchern dargestellte Frauenbild (das deswegen im übrigen nicht gleich SEINS ist). Ganz im Gegensatz dazu kenne ich kein Buch in dem ein gleichgestellter Ansatz vorhanden wäre und das DESWEGEN kritisiert würde. Das war mein Punkt an dieser Stelle. Mehr nicht.

  10. Colophonius sagt:

    @ Elric: Jemisins Romane sind in dieser Hinsicht interessant, das stimmt. Die weiblichen Hauptcharaktäre schlagen und kämpfen sich selbstbewusst durch die Handlung und sind durchaus in der Lage, sich selbst zu behaupten, und das trotz großer, in Band zwei sogar körperlicher Einschränkungen.
    Andererseits lassen sich ihre Heldinnen regelmäßig mit dem mysteriösen Zwielichtigen ein, der noch so abgrundtief böse sein kann – aber der Sex ist eben richtig gut (und, ich bin mir sicher, irgendwie mögen die Protagonistinnen auch den Charakter ;)). Das ist doch theoretisch eine interessante Umkehrung des Schema-F, zudem die weiblichen Figuren ja auch aktiv daran beteiligt sind, dass diese Männer “zurück ins Licht finden” (ohne spoilern zu wollen).
    Leider (und das war auch mein Kritikpunkt, besonders an Band 2) nimmt man es den Hauptfiguren nicht immer ab, dass sie so tonangebend und dominant sind, wie sie es gern hätten. Die Frauen werde ja schwach, wenn ebendieser mysteriöse Schöne mal kurz mit dem Hintern wackelt…nur um sich dann erneut eine dominante, selbstbewusste und selbstbestimmte Stellung in der Beziehung zu erkämpfen.
    Der Ansatz ist jedoch sehr interessant. Übrigens bezeichnet sich Jemisin selbst als “political/feminist/anti-racist blogger” – was, meiner Meinung nach, in ihren Romanen auch sehr deutlich wird.

    Ich für meinen Teil jedoch warte auf einen Roman mit einer Frauenfigur, deren Weg durch die Geschichte und “nach oben” nicht zwangsläufig an Betten vorbeiführt. 😉

    p.s. Bevor einer meckert: natürlich mag es solche Romane schon geben. Mir geht es eher um sie Selbstverständlichkeit eines solchen Weges.

  11. Fremdling sagt:

    @ Kah-thurak: Ich bin deswegen nicht genauer auf die Geschlechterverhältnisse in DSA eingegangen, weil ich meine Kompetenzen nicht überschreiten wollte. Ich bin kein aktiver Spieler und habe lediglich vor einigen Jahren eine Handvoll Romane gelesen, wo mir diese “fast absolute” Gleichstellung allerdings nicht unbedingt entgegengesprungen ist. Da wurden doch eher klassische narrative Rollen bedient.

    Und zur Politik: Nun, niemand zwingt dich in den Büchern, die mit den Traditionen brechen, Politik zu sehen, die kannst du ja genauso als “besonders einfallsreich” verbuchen wie du die anderen als “historisch beeinflusst” zu begreifen scheinst. Das heißt aber nicht, dass die Bücher damit unpolitisch sind, weder die einen, noch die anderen.

  12. Wulfila sagt:

    @Kah-thurak: “Die zentralen weiblichen Figuren bei Erikson haben für dich also ein traditionelles Rollenverhalten?”

    Wenn du mich so verstanden hast, hast du meinen Kommentar vielleicht nicht genau genug gelesen. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich es interessant finde, inwieweit selbst für nicht-traditionelle Geschlechterrollen offene Autoren geschlechtsspezifisch konnotierte Erzählmuster einsetzen.

  13. Marengo sagt:

    Dass in der Fantasy gendermäßig nach wie vor ein ziemlicher Traditionalismus dominiert, zeigt sich in meinen Augen gerade daran, dass Autoren, die herkömmliche Rollenbilder kritisch thematisieren oder bewusst aufzubrechen versuchen, sich regelmäßig vorwerfen lassen müssen, sie würden Agenden in die Fantasy eintragen, die dort eigentlich nichts zu suchen hätten. Zu definieren, was irgendwo dazugehört und was nicht, ist m.E. ein eminent politisches Vorgehen.

    Ziehen traditionelle Rollendarstellungen in der Fantasy regelmäßig massive Kritik auf sich? Meiner Erfahrung nach ist das im deutschsprachigen Raum nicht so. Ich wüsste z.B. gerade nicht, wo (außerhalb des BP-Forums) GRRMs Frauenbild ausführlich kritisiert worden wäre. Auch hat, glaube ich, niemand hier behauptet, Fantasies mit traditionellen, vielleicht sogar klischeehaften Rollendarstellungen seien deshalb automatisch schlechte Literatur.

  14. Colophonius sagt:

    Nur ein kurzes Zwischenwort zur Diskussionkultur in der Bibliotheka Phantastika: eine Diskussion mit “So ein Quark” zu beginnen, finde ich weder ‘politisch’, ‘feministisch’ noch ‘traditionell’, sondern schlicht unverschämt und unangemessen.

    Gedenk unseres Anspruches an diesen Blog – niveauvoll informieren, diskutieren, elaborieren – sollte es möglich sein, zu diesem durchaus kontroversen Thema (und auch generell) seine Beiträge so zu formulieren, dass daraus eine frucht-, nicht furchtbare Diskussion entstehen kann. Danke!

  15. »Paula« sagt:

    Sehr guter Beitrag! Ist übrigens einer der Hauptgründe, wieso ich selten Fantasy lese… sehr positiv aufgefallen ist mir jedoch hingegen Mark Anthony’s “The Last Rune”, wo sehr viele starke Frauencharaktere sowie auch homosexuelle Beziehungen vorkommen. Ist ein Mix aus Mittelalter-Fantasy und Gegenwart.

  16. mistkaeferl sagt:

    Dankeschön! 🙂
    Es gibt schon immer wieder mal AutorInnen, die zu dem Thema einen kreativen oder einfach anderen Zugang als üblich wählen. Wir werden da sicher auch noch mal einen Blogeintrag verfassen, wo wir auf solche Beispiele näher eingehen.
    Bis dahin ist vielleicht diese (noch nicht ganz riesige) Liste ein Anfang: Stöbern: Feminismus und Geschlechterrollen

  17. Elric sagt:

    Was ich an deiner Liste sehr interessant finde, Käferl, ist der Aspekt, dass du den vierten Band von Abrahams “Long Price” drin hängen hast. Das ist eine gute Reihe, die mal den Weg in ne ganz andere Richtung macht – von der “Unfähigkeit” der Männer hin zu den Möglichkeiten einer Frau. Der Aspekt, der mir am besten an dieser Reihe gefallen hat. 😀

    nochmals kurz zu oben: @kah: ich meinte ja die Unterhaltungen mit dem Ademre, bei denen “Kvothes” Weltsicht dargestellt wird, ist ein gutes Beispiel dafür, dass Frauen bei ihm in der klassischen Rolle sind – mit ein paar Ausnahmen. (Wobei diese Söldnerin (Hespe?) ja dann auch wieder die “typische Frau” 😉 ist)

  18. Timpimpiri sagt:

    Was würde passieren, wenn es jede Menge Fantasy-Romane gäbe, in denen die Frauen all das sind, was wir unter gleichberechtigt verstehen? Wenn sie frei wären, innerlich und äußerlich stark, von einer inneren Entschlossenheit geleitet, die durch etwas geprägt wird, das außerhalb des irdischen Lebens liegt und auf etwas Höherem gründet? Was würde passieren, wenn wir in eine Welt eintauchen, in der diese Frauen auch noch wirklich glücklich wären – und die Männer dazu?

    Wir würden das Buch zuklappen, in die Realtität zurückkehren und sagen “Sch… welt”. Wir würden feststellen, dass wir in der realen Welt davon noch weit entfernt sind und dass es sehr viele Widerstände geben würde oder gibt, wenn wir anfangen würden, wirklich anders als Frau – oder auch Mann – leben zu wollen.Wir würden uns in dieser Welt nicht mehr zu Hause fühlen oder noch weniger als vielleicht ohnehin schon.

    Auch Autoren sind auf tieferer Ebene durch das geprägt, was sie erfahren haben. Geschlechterbeziehungen konstituieren uns in der Tiefe (Stichwort: C.G. Jung), und jede Veränderung im eigenen Denken hat tiefgreifende Folgen. Je mehr man erkennt, wie es sein sollte, sein könnte, desto stärker “leidet” man darunter, wie es ist. Denn die reale Welt ist weit von dem entfernt, was die Fantasy – oder auch die SF – als “gleichberechtigt” inszenieren könnte.

    Mich wundert es nicht, dass die meisten Menschen sich das nicht antun wollen und Welten vorziehen, in denen ein bisschen kritisiert wird, wie es ist, ein bisschen entworfen wird, wie es sein könnte, aber immer von einem sicheren Ort aus, der keine echte Sehnsucht nach Veränderung weckt, keine echten Freiheitsbedürfnisse und Entfaltungswünsche initiiert, die dann doch an der Wirklichkeit zerschellen und scheitern würden – oder die Folge hätten, sich vom bisherigen Leben zu lösen.

    Es ist sicherer, sich im “Opfer-Dasein” aufzuhalten und sich mit unzähligen anderen Menschen einig zu wissen (Männern wie Frauen), dass es ganz und gar schlecht ist, wie es ist (sowohl die Fantasy als auch das Leben;-); oder dass es zwar nicht richtig gut ist, aber ganz so schlecht auch wieder nicht, und man doch dieses oder das bereits erreicht hat.

    Dieses Einig-Wissen konstituiert uns, trägt uns, und hilft uns, uns verstanden zu wissen, was ein erhebliches Bedürfnis des Menschen ist, der genau weiß, dass er allein nicht überleben würde, sondern von anderen, der Gesellschaft, Familie, Freunden, abhängig ist. Der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen, ob er das will oder nicht. Sich zu weit von den Meinungen der “Gruppe”, in der er real lebt, zu entfernen, bringt Irritationen, Ausgeschlossen-Sein und letztlich Leiden mit sich. Und genau deshalb wird seine “Phantasie-Fähigkeit” davon begrenzt, was er sich an Folgen zumuten kann. Denn der “Ruf” der Heldenreise (Campbell)), der nicht nur Geschichten konstituiert, sondern auch unsere eigene Lebensgeschichte, ist nicht mehr folgenlos zu unterdrücken, wenn wir ihn einmal vernommen haben. Und das gilt m.E. für Leser und Autoren (und -innen;-))

    Der Erikson hat meiner Meinung nach den “Vorteil”, dass er zwar eine gleichberechtigte Welt beschreibt oder zur Grundlage nimmt, aber gleichzeitig ist seine Welt so bizarr, sind viele seiner Charaktere so skurril, dass die Bedrohung für das eigene Leben (im Sinne von Sehnsucht-Wecken nach eigener Entfaltung und Entwicklung, nach Ruf hören) nicht so groß ist bzw. leichter abgewehrt werden kann. Ihn auf Abstand zu halten, genau genommen. Man bleibt also – was diesen Aspekt betrifft – in Sicherheit.

  19. Marengo sagt:

    „Was würde passieren, wenn es jede Menge Fantasy-Romane gäbe, in denen die Frauen all das sind, was wir unter gleichberechtigt verstehen? Wenn sie frei wären, innerlich und äußerlich stark, von einer inneren Entschlossenheit geleitet, die durch etwas geprägt wird, das außerhalb des irdischen Lebens liegt und auf etwas Höherem gründet? Was würde passieren, wenn wir in eine Welt eintauchen, in der diese Frauen auch noch wirklich glücklich wären – und die Männer dazu?“

    Äh… ja. Ich bin auch immer richtiggehend glücklich, wenn ich einen dieser bösen Romane zuklappen und in die Realität zurückkehren kann, wo die Frauen unfrei, schwach und wankelmütig, dem Irdischen verhaftet und geprägt von niederen Instinkten sind. Da fühle ich mich gleich viel sicherer.

  20. 'Pingback: Von Geschlechterrollen und Straßenlaternen in der Bibliotheka Phantastika

  21. 'Pingback: Damals war das halt so … in Westeros: Game of Thrones und Hunger Games – ein Vergleich in der Bibliotheka Phantastika

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