Tag: Gender

Wenn man sich einmal entschlossen hat, “damals war das halt so” hinter sich zu lassen und nach Gründen für die sexistische Darstellung in Game of Thrones forscht, kommen vor allem zwei Gesichtspunkte zum Vorschein:
Zunächst entsprechen die Darstellung der (Frauen-)Körper, wie sich auch an ihrer modernen Idealisierung zeigt, und die Rollenverteilung einem (angenommenen) ZuschauerInnenwunsch. Dass dieses Sex-sells-Argument ein Stück weit unter die banal scheinende Oberfläche reicht, lässt sich auch aus dem Umstand schließen, dass die in den Romanen von George R.R. Martin häufigen Vergewaltigungsszenen in der Verfilmung größtenteils ausgespart wurden: Man soll beim dargestellten Sex also nicht in die gedankliche Bredouille kommen, sondern es soll eindeutig gefallen, was da gezeigt wird.
Des weiteren dienen sexistische Grundhaltung, Sprache und die häufige Darstellung von Sex und Prostitution (und darüber hinaus natürlich auch die Gewaltdarstellung) dem Konstituieren eines Labels “für Erwachsene”, was wiederum durchaus im Sinne eines Qualitätskriteriums verwendet wird, wie unter anderem Zitate zur geschnittenen Fassung, die im deutschen Fernsehen lief, zeigen* (auch wenn es natürlich höchst unterschiedliche Gründe gibt, gegen eine solche Fassung zu sein).
Die Ursachen sind also – in heutigen Zeiten eigentlich eine Binsenweisheit – bei Marketingüberlegungen und aktuellen Sehgewohnheiten zu suchen, was aber keinen Mitwirkenden daran hindert, zu behaupten, das alles wäre nur für unseren modernen Blick so bedenklich und früher völlig normal gewesen.

Die auf allen Ebenen fehlende Relevanz dieses Arguments – und nicht zuletzt die Tatsache, dass es auch anders funktioniert, wie wir im Vorläufer dieses Beitrags anhand von Hunger Games erläutert haben, oder wie es z.B. auf dem Games-Sektor das herrlich unsexistische Skyrim schafft – führt unweigerlich zu der Frage, weshalb sich MacherInnen und KonsumentInnen (die etwas zum Erfolg führen können oder auch nicht) für den Sexismus entscheiden. Lautet die Antwort auf ZuschauerInnenseite (wie etwa auch bei der Diskussion in unserem Forum häufig gehört), “weil es trotzdem gut ist”, dann sollte die Unmutsbekundung eigentlich heilige KonsumentInnenpflicht sein. Denn dann ist der oben postulierte ZuschauerInnenwunsch tatsächlich nur angenommen, und wir wollen eigentlich schon längst eine andere Geschichte hören als die westlich-patriarchal-heteronormative, die uns mehrheitlich immer noch und immer wieder erzählt wird.
Dazu wäre es allerdings nötig, die Verwendung von Sexismus und traditionellen Geschlechterrollen als konstitutives Element der Erzählung und Teil eines größeren Narrativs (an-)zu erkennen – als etwas, das man genauso wie den Spannungsbogen oder die Dynamik einer Geschichte aus dem konkreten Kontext herauslösen und kritisieren kann, und es nicht als Teil eines kaum hinterfragten Default-Blickwinkels als normal, Geschmackssache oder in seiner universellen Gültigkeit für Erzählkontexte nicht kritisierbar anzusehen.

Genauso sehr sollten wir unsere Definition von “erwachsener Fantasy” einer Prüfung unterziehen. Es grenzt ans Lächerliche, dass Game of Thrones sein Erwachsenengütesiegel aus Sexismus und Gewaltszenen bezieht, während die womöglich wirklich “erwachsenen” Inhalte der Serie, etwa ihre hohe Komplexität, in eben jenen schwülen Sexszenen versteckt werden müssen, um vom anspruchsvollen Publikum überhaupt goutiert werden zu können.

Kann man also die nächste Game-of-Thrones-DVD gar nicht oder nur mit einem schlechten Gewissen in den Player schieben? Das sicher nicht: Das phantastische Genre bietet theoretisch eine riesige Bandbreite an Settings – zwischen Game of Thrones und Hunger Games und auch jenseits der beiden ist jede Menge Platz, und an jedem dieser Orte können gute, erlebenswerte Geschichten stattfinden. Unter der Übermacht sexistischer Settings, die gerade in unserem Genre auffallend ist, lohnt sich aber die Frage, warum uns etwas gefällt, was damit kolportiert wird und welchen Normen sich eine Erzählung beugt – und nicht zuletzt, wo bei der Begründung dieser Normen Nebelkerzen geworfen werden. Und wir sollten überlegen, ob wir unsere Wahrnehmung von erwachsenen Stoffen wirklich an die letztlich nichtssagenden Kriterien des Jugendschutzes koppeln wollen, oder ob wir uns nicht um eine substantiellere Definition bemühen sollten.

_____

  • *”Wenn Ihr mich fragt, sind das alles so kleine Szenen, die einen riesengroßen Teil an Flair und Charme der Serie ausmachen. Irgendwie, wenn man sich die deutsche geschnittene Version anschaut, wirkt Game of Thrones “kindlicher” als “hemmungslos brutal” und erwachsen. Was die Serie zweifelsohne ist, oder zumindest laut Roman Autor George R.R. Martin sein soll, “Game of Thrones ist Fantasy für Erwachsene”.” [aus einem Schnittbericht auf serien-load.de]

Reaktionen Über den Tellerrand

Die HBO-Serie Game of Thrones (basierend auf der Romanreihe Das Lied von Eis und Feuer von George R.R. Martin), deren ersten Staffel inzwischen auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, hat mit ihrem auffallend präsenten Sexismus und der offenen Misogynie schon für einige Kontroversen gesorgt.
In dem feudalen, durch patriarchale Strukturen geprägten Setting von Game of Thrones ist die Darstellung von weiblichen Körpern durch den männlichen Blick auf diese geprägt, besonders sichtbar wird dies u.a. in einer Szene, in der Daenerys vor ihrer Hochzeit von ihren Leibdienerinnen anschaulich im Liebesspiel unterrichtet wird. Sowohl durch die gesellschaftlichen Hierarchien als auch durch die simple Betonung der Physis und Herrschaft des Stärkeren können Männer über weibliche Körper verfügen. Ein eindeutig misogynes Klima wird immer dann hervorgekehrt, wenn diese Verfügungsgewalt nicht nur visuell unterstrichen, sondern auch verbal geäußert wird – und tatsächlich spielt sich kaum eine Szene ab, in der nicht von Huren, Bordellbesuchen, einschlägigen Scherzen und männlich dominierten “Angeboten” die Rede ist. Die Sexszenen selbst dienen häufig einer ansprechenden Verpackung offenbar sonst zu langweiliger Hintergrundinformationen, so erfährt man etwa die Familienhistorie der Targaryens, während sie beim Akt mit einer Dienerin im Bad vom derzeitigen Familienoberhaupt deklamiert wird.
Einzelne starke Frauenrollen, die eindeutig aus der Norm fallen, wie etwa Arya, die als Tomboy der Familie Stark das Fechten erlernen darf, verhärten das System vielmehr, als dass sie es aufbrechen, eben weil sie als krasse Ausnahmen sofort erkennbar sind.

Game of Thrones Season 1Genauso sicher wie zur Kritik an diesen in der epischen Fantasy häufigen Erzählmustern kommt es zu ihrer Verteidigung durch die Fans, die letztlich immer auf “damals war das halt so” hinausläuft. Darüber hinaus beruft man sich auch oft darauf, dass sich einzelne Frauen wie eben erwähnte Arya oder auch Königin Cersei oder Daenerys dennoch ermächtigen können, selbst in einer “harten” Welt, in der sich der Stärkere durchsetzt und Frauen als körperlich unterlegen zu den Verlierern gehören und zwangsläufig Unterdrückung erfahren.
Auf die (vermeintlichen) Tatsachen, die die Biologie schafft, folgen nach dieser Deutung entsprechende Umstände: Auf den Feldern, die gesellschaftlich relevant sind, können Frauen aufgrund ihrer Physis nicht punkten, sie können es aber durchaus in bestimmten Domänen, die ihnen zugewiesen sind, also weiblich besetzten Feldern wie Verführung und Intrige. Ein echtes Ausbrechen aus der gesellschaftlich vorgesehenen Rolle ist allerdings nur unter dem Verlust der Weiblichkeit möglich, wie es auch das Beispiel der Ritterin Brienne illustriert, die als Kämpferin brillieren kann, aber als Frau (aufgrund ihrer Hässlichkeit) versagen muss.
Game of Thrones scheint also in der Tat zunächst als eine perfekte Umsetzung dessen, was “damals halt so war”, nutzt den Spielraum innerhalb der so gesetzten Grenzen und präsentiert ein prall-buntes Abbild patriarchaler, feudaler Strukturen.

Doch selbst wenn man außer Acht lässt, dass Game of Thrones sich als Fantasy auf kein reales “damals” berufen kann, wird die Verteidigung relativ rasch ausgehebelt, wenn man genauer hinschaut.
Sowohl die Darstellung der Geschlechterrollen in Game of Thrones, als auch das Argument „Damals war das halt so“, mit dem diese legitimiert wird, beruhen weniger auf historischer Akkuratesse oder biologischen Gegebenheiten, sondern auf einer gesellschaftlichen Konstruktionsleistung, die darin zugleich reproduziert wird. Damit haben wir uns auch schon in diesem Blogartikel auf allgemeinerer Ebene auseinandergesetzt.

Dass es auch anders geht, beweist der aktuelle Kinofilm Die Tribute von Panem – The Hunger Games, die Verfilmung des ersten Bandes (The Hunger Games/Tödliche Spiele) der gleichnamigen Trilogie von Suzanne Collins. Das post-apokalyptische Setting (mit einer weit zurückliegenden Apokalypse) steht mit seinen krassen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen der mächtigen und hoch entwickelten Metropole Kapitol und den (großteils deutlich ärmeren) Distrikten Hunger Games Filmplakatsowie den Lebensbedingungen in ebendiesen Distrikten der pseudo-mittelalterlichen Welt von GoT in nichts nach. Und auch die namensgebenden Hunger-Spiele, in denen aus jedem Distrikt jeweils ein Mädchen und ein Junge zwischen 12 und 18 in eine Arena entsandt werden, um so lange gegeneinander anzutreten, bis nur ein Gewinner oder eine Gewinnerin (sprich Überlebender/Überlebende) übrig ist, sind in ihrer Grausamkeit und ihrer zynischen Doppelfunktion als Herrschaftsinstrument und Medienspektakel weit entfernt von dem, was man einem Coming-of-Age-Roman zutrauen würde.

Mit Katniss Everdeen steht nichtsdestoweniger eine junge Erwachsene im Zentrum der Handlung, die sich angenehm von konventionellen Rollenzuschreibungen abhebt. Nicht nur versorgt sie ihre seit einem Minenunfall vaterlose Familie als Jägerin mit Essen und kümmert sich liebevoll um ihre jüngere Schwester, sondern behält auch in der Arena der Hunger-Spiele und gegenüber ihrem Leidensgenossen aus Distrikt 12, Peeta, ihre starke Frauenrolle bei. Andere Erzählungen hätten wohl spätestens hier die männliche Figur in den Vordergrund gedrängt, damit sie sich im Kampf beweisen, die Frau beschützen und daran wachsen (sprich „Männlichkeit“ erlangen) kann, zumal sich die eher sensible und scheue Figur des Peeta für diese konventionelle Charakterentwicklung angeboten hätte.
Damit unterläuft die Konstellation Katniss-Peeta die klassisch-dichotomen Zuschreibungen, indem beide Figuren Eigenschaften besitzen, die „männlich“ oder „weiblich“ konnotiert sind.

Die Inszenierung der Hunger-Spiele als Medienspektakel erlaubt nicht nur das Spiel mit den Erwartungen der Zuseher und Zuseherinnen (und Erzählkonventionen), indem die sich anbahnende Romanze zwischen Katniss und Peeta eher aus Kalkül begonnen wird, um Sponsoren für sich zu gewinnen, die ihnen Ausrüstungsgegenstände in die Arena schicken können. Sondern gerade von der Inszenierung der pseudo-archaischen Hunger-Spiele (die WettkämpferInnen dürfen nur mit traditionellen Waffen wie Schwert, Bogen, Speer, etc. gegeneinander antreten), die ein bedeutendes Handlungselement des Films ist, ließe sich unter einem anderen Gesichtspunkt auf Game of Thrones zurückkommen.

Denn auch in Game of Thrones ist die Darstellung von Geschlechterrollen sowie weiblichen und männlichen Körpern Teil einer strategischen Inszenierung. Schon allein aus ökonomischen Gründen wird die Handlung im Hinblick auf die Erwartungen moderner ZuschauerInnen aufbereitet und so ist auch der Einsatz historisierender Elemente ein strategischer. Daran offenbart sich die Schwäche des „Damals war das halt so“-Arguments im Hinblick auf die Geschlechterrollen am deutlichsten, denn die dargestellten Körpernormen sind keinesfalls mittelalterlich-historische, sondern zutiefst westlich-moderne.
In diesem Spagat zwischen historisierten Geschlechterrollen und Sexyness des Dargestellten offenbart sich die Reproduktion einer westlichen, patriarchalen und damit auch heteronormativen Erzähltradition, die einerseits die Darstellung selbst, andererseits aber auch die Erwartungen der KonsumentInnen prägt. Wir rechnen – absurderweise auch in von der Realität mehr oder weniger entkoppelten Fantasy-Settings – durch diese Erzähltraditionen mit einer “historisch korrekten” Wiedergabe der Verhältnisse, doch unser Wunsch nach Authentizität geht natürlich nicht so weit, dass wir uns von unseren Körperidealen verabschieden wollen würden, dass wir behaarte Frauenbeine, schlechte Zähne, ungeschönte körperliche Proportionen (z.B. nach ein paar Geburten) in Kauf nehmen würden.

Selbst wenn man sich also auf das ohnehin schon im Ansatz fragwürdige “Damals war das halt so”-Spielchen einlässt, lässt es sich relativ schnell als ein halbgarer Erklärungsversuch entlarven – noch dazu, wenn andere Erzählmuster wie in Hunger Games nicht weniger gut funktionieren. Welche Fehlschlüsse das unhinterfragte Darstellen der männlich-westlichen Erzähltradition als immer richtig mit sich bringt (was übrigens nicht heißt, dass sie immer falsch sein muss!) und welche Fragen man stellen kann, gerade wenn man Game of Thrones (trotzdem) mag, stellen wir in Teil II des Artikels übermorgen zur Debatte.

Reaktionen Über den Tellerrand

Bloggerin Sady Doyle hat sich A Song of Ice and Fire vorgenommen und kommt unter Genderaspekten zu einer vernichtenden Kritik. Entschiedene Reaktionen darauf bleiben natürlich nicht aus, so etwa von E.D. Kain oder von Alyssa Rosenberg.

Doyles Kritik ist in der Tat in mancherlei Hinsicht überspitzt und büßt ihre Legitimation vor allem durch die Ausweitung auf ein ganzes Genre ein:

I could talk about how the impulse to revisit an airbrushed, dragon-infested Medieval Europe strikes me as fundamentally conservative — a yearning for a time when (white) men brandished swords for their King, (white) women stayed in the castle and made babies, marriage was a beautiful sacrament between a consenting adult and whichever fourteen-year-old girl he could manage to buy off her Dad, and poor people and people of color were mostly invisible — or how racism and sexism have been built into the genre ever since Tolkien.

Auf Tolkien wird noch unter einem anderen Gesichtspunkt zurückzukommen sein, aber zunächst bleibt festzuhalten, dass ein solcher Rundumschlag natürlich wenig zielführend ist.

Rosenbergs kritische Anmerkung zu Doyles Vorgehensweise ist somit mehr als nachvollziehbar:

It is much, much easier to dismiss an entire genre or way of engaging with culture than to sort through it, to learn about the way people read it and take meaning from it, to identify, for example, the reasons that fantasy literature can be both profoundly meaningful to women and a fulfillment of male fantasies. But declaring something unsalvageable just means that you’re lazy, not that you’re correct.

Problematisch wird ihre Argumentation hingegen dort, wo sie auf Doyles Kritik am nicht unbedingt progressiven Geschlechterrollenverständnis in Martins Welt und an der wiederkehrenden Schilderung von häufig sexuell konnotierter Gewalt gegen Frauengestalten eingeht:

A world where women are perfectly safe, perfectly competent, and society is perfectly engineered to produce those conditions strikes me as one where we can’t tell any very interesting stories about women’s struggles and women’s liberation. If we tell ourselves stories in order to live, it doesn’t strike me that we do ourselves any favors as active feminists by leaching depictions of sexual violence, women making bad decisions, and institutionalized sexism from our fiction, or by dismissing entire swaths of consumers or modes of consuming fiction.

In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Kain:

Sady thinks that because there are dragons and zombies, Martin should be able to stretch the truth and make women equal to men, free from domestic abuse and rape and the other horrors women have always faced.
Would this be a service to women, a victory for feminism?
I don’t think so. Ignoring sexual abuse and pretending violence toward women doesn’t exist does not serve women at all. Quite the contrary. One of the greatest flaws in a lot of fantasy is that women are portrayed as basically sexy warriors. Feudal systems with men and women with equal rights, where all women are just as tough as men and never face any sort of sexism or unwanted sexual advances really is a fantasy, but not one that accurately reflects the world as it is. And that’s what fantasy, for all its dragons and werewolves, is meant to do. Good fantasy creates a world that reflects our own, warts and all.

Der alte Hinweis Damals war das halt so, der immer gern zur Erklärung herangezogen wird, wenn es um problematische Darstellungen von Geschlechterrollen in Fantasywelten geht, erhält damit quasi den argumentativen Ritterschlag: Eine Abweichung von in der realen Welt historisch verbürgten Verhältnissen erweise den Frauen und dem Feminismus einen Bärendienst. Aber trifft das zu?

Mitnichten.

So verdienstvoll die literarische Aufarbeitung eines Ankämpfens gegen restriktive Geschlechterrollen im Einzelfall sein mag, sie leistet immer auch eines: Eine implizite Anerkennung des Status quo als unvermeidlich oder vielleicht gar naturgegeben. Daran ändert auch der von Doyles Kritikern hervorgehobene Umstand nichts, dass George R. R. Martin die Unterdrückung und Misshandlung von Frauen ja nicht als etwas Gutes schildere (wie sehr er umgekehrt eine moralische Verurteilung vornimmt, bleibt offen). Ganz gleich, was die einzelne Gestalt im Endeffekt erreichen mag, ein überkommenes Geschlechterrollenverständnis mit all seinen negativen Begleiterscheinungen wird zunächst einmal  bestätigt und normalisiert.

Dabei könnte es vielleicht hilfreich sein, sich eine andere Normalität zumindest einmal vorzustellen.

Die Erkenntnis, dass gerade auch einer auf den ersten Blick unrealistischen Schilderung durchaus Sprengkraft innewohnen kann, ist nicht neu. So beschreibt etwa J.R.R. Tolkien in seinem bekannten Essay On Fairy Stories ein interessantes Gedankenspiel, das wunderbar die Problematik des Realismusarguments unabhängig vom spezifischen Thema aufzeigt:

Als Beispiel nur eine Kleinigkeit: Wenn man die elektrischen Straßenlaternen, wie sie nach Massenschablonen gefertigt werden, bei gegebenem Anlaß in einer Erzählung nicht erwähnte (oder zumindest kein Aufhebens von ihnen machte), so wäre dies ein Stück “Wirklichkeitsflucht” (…). Vielleicht wurden die Laternen aus der Erzählung einfach deshalb ferngehalten, weil sie als Laternen nichts taugen, und möglicherweise ist ebendies eine der Lehren, die aus der Geschichte zu ziehen sind. Aber schon wird das schwere Geschütz aufgefahren: “Die elektrische Straßenbeleuchtung”, so sagt man, “ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.” (…)
Der Eskapist ist den Launen der Mode nicht so ergeben wie seine Gegner. Er macht nicht Dinge (die man aus ganz vernünftigen Gründen geringschätzen kann) zu seinen Herren oder Göttern, indem er sie als unverzichtbar oder sogar als “unerbittlich” anbetet. Und seine Gegner, so leicht sie bereit sind, ihn zu verachten, haben doch keine Gewähr, daß er es beim Ignorieren bewenden läßt: Womöglich will er die Menschen aufhetzen, die Straßenlaternen niederzureißen.

Zugegeben, Tolkien weist im weiteren Verlauf seines Essays auch auf die möglichen Gefahren einer solchen Konstellation hin, doch seine zentrale Beobachtung bewahrt ihre Gültigkeit: Scheinbarer oder tatsächlicher Eskapismus kann durchaus eine Wirkung auf die Realität entfalten und mithin in manchen Fällen konstruktiv sein.

Gerade unter diesem Aspekt wäre es durchaus wünschenswert, wenn die Leserschaft nicht immer wieder ausgerechnet im heiklen Bereich der Genderproblematik einer ständigen Selbstbeschränkung der Fantasy auf einen vermeintlich löblichen „Realismus“ das Wort reden würde.

Reaktionen

Dieses Video auf Collegehumor.com hat den Anlass geliefert, uns anzuschauen, wie es um die „Kettenbikinis“ in der Fantasyliteratur bestellt ist:

Der Kettenbikini und seine Verwandten sind – vielleicht, weil eine Beschreibung in Worten seine Absurdität doch zu sehr enthüllen würde? – vor allem ein Phänomen der bildlichen Darstellung. Games, Filme, Comics, Pen&Paper-Rollenspiele (insbesondere die frühen Dungeons&Dragons-Ausgaben mit Werken von Larry Elmore) und Buchcover glänzen mit diesen Schmalspurrüstungen. Ein literarisches Motiv scheint der Kettenbikini dagegen nicht zu sein, denn selbst in den damit so eindringlich (oder aufdringlich?) illustrierten Werken tritt er meistens gar nicht in Erscheinung. Heute würde man die Cover aus der Hochzeit des Kettenbikinis als Fanservice bezeichnen, ein Marketingargument für eine angenommene hauptsächlich heterosexuelle, männliche Leserschaft. Diese “goldene Zeit” des Kettenbikinis (die 1980er Jahre) ist erfahreneren Genre-LeserInnen sicher noch in lebhafter Erinnerung:

Cover von Die Burg der Verräter von Mercedes Lackey/Josepha ShermanTore ins Chaos von C. J. Cherryh

Gerne würde man die 1980er für diese Cover belächeln, aber leider finden sich derartige klischeehafte Darstellungen immer noch. Heutzutage sind es vor allem Computerspiele, die auf den sex-sells-Faktor von halbnackten Frauen setzen. Man nehme etwa die unterschiedlichen Rüstungsdesigns aus World of Warcraft:

Rüstungsvergleich World of Warcraft
Plattenhose und Oberteil sind jeweils dasselbe Modell an einem weiblichen und einem männlichen Zwerg. Bei Menschen- und Elfenfrauen schrumpfen sie noch ein Stück weiter.

Cover von The Frozen God von Richard KirkEs wird deutlich, dass Kleidung für Frauen in diesen Medien vor allem einen Zweck erfüllen soll: strategisches Enthüllen. Zugleich wird damit aber auch die Geschlechtsneutralität der Klassenwahl (und damit der Rollenverteilung in einer Fantasywelt) untergraben, indem das kämpferische Element bei weiblichen Figuren deutlich in den Hintergrund tritt – praktisch wie optisch. Man betrachte dazu auch das Cover von The Frozen God, auf dem sich die Schwertmeisterin Raven in mehr als eindeutiger und alles andere als kriegerischer Pose befindet. Die Idee, kämpfende Frauen stark zu sexualisieren und wenn möglich nackt darzustellen, ist nicht neu (siehe etwa Rubens’ Amazonenschlacht) und war häufig mit Mythen über die letztendliche Überwindung der sexuell attraktiven, kämpfenden Frau durch einen männlichen Kämpfer verknüpft (z.B. Achill und Penthesilea, hier in der Interpretation von Tischbein). Abseits phantastischer Medien ist natürlich ebensowenig Schluss mit der zusammenhanglosen Zurschaustellung weiblicher Körper, man werfe nur einen Blick auf die Werbung oder die Bekleidungsvorschriften für Beach Volleyball.

Natürlich tauchen auch halbnackte Männer auf den Covern auf (durchaus bis heute), zumeist übernatürlich muskulöse Barbaren. Anders als die leicht bekleideten Kriegerinnen stellt dies aber weniger eine Erotisierung mit sex-sells-Funktion dar, als vielmehr das Zelebrieren einer (Hyper-)Maskulinität.

Cover von Der dunkle Thron von Chris Bunch

Wie gerade das letzte Cover zeigt, stehen die Darstellungsformen “entblößte Frau” und “hypermaskuliner Mann” in Zusammenhang und bekräftigen eine Geschlechterhierarchie, die durch die kämpfende Frau zumindest potentiell bedroht war. Denn gleichzeitig werden über den Kettenbikini – wie es auch im Video angesprochen wird – geschlechtsspezifische Zuschreibungen bestärkt bzw. als Grund für die Schmalspurrüstung vorgeschoben, wobei die geringere Körperkraft von Frauen das Hauptargument darstellt. Ein weiteres schönes Beispiel dafür liefert uns Red Sonja, deren Kettenhemd zwar an den richtigen Stellen Sonjas Kurven nachgab, aber ursprünglich immerhin den ganzen Körper bedeckte, was sich allerdings bald änderte, sodass auch die moderne Red Sonja mehr Schwert schwingendes Pin-up denn Kriegerin ist.

Red Sonja bei ihrer Einführung in Conan the Barbarian #'s 23-24, Quelle: Diversions of the Groovy Kind

Das Klischee der spärlich bekleideten Kriegerin hat also inzwischen auf so vielen Ebenen Eingang in die Popkultur gefunden, dass problemlos in parodistischer Form darauf Bezug genommen werden kann (z.B. in Pratchetts Scheibenwelt-Romanen oder Esther M. Friesners Anthologiereihe Chicks in Chainmail). Der Frage, ob vor den Parodien jemals literarische Originale standen oder ob sie ihren Stoff alleine aus den Bildwelten beziehen, wird Bibliotheka Phantastika vielleicht demnächst in einem weiteren Feature zum Kettenbikini nachgehen.

______________

Das Bild zur ursprünglichen Red Sonja stammt aus diesem Artikel auf Diversions of the Groovy Kind.

Metaflöz Scriptorium

Die Erwähnung und kurze Diskussion des unter FeministInnen wohlbekannten Bechdel-Tests bei Molos Wochenrückblick No. 57 hat mich dazu angeregt, mir Gedanken zu machen, wie man den Test auf (phantastische) Literatur übertragen könnte – und ob diese Probe überhaupt eine sinnvolle Perspektive ist.

Der Test nimmt eigentlich Filme ins Visier. Er sagt im Grunde rein gar nichts über ihre Qualität aus, und auch nicht einmal darüber, ob ein Film grundsätzlich feministisch angehaucht ist oder nicht. Was er aber sehr wohl tut, und deshalb mag ich ihn trotzdem, ist es, offenzulegen, wie absurd und festgefahren unsere Rollenbilder im Hinblick auf (filmisches) Erzählen sind. Es werden lediglich drei Kriterien getestet, die für jeden männlichen Filmhelden ein Klacks wären, für Frauen aber immer noch die Ausnahme darstellen:

1. Es treten mindestens zwei Frauen (mit eigenem Namen) auf,
die sich 2. miteinander unterhalten,
und zwar 3. nicht über Männer.

Wer nun meint, das sei lachhaft und komme am laufenden Band vor, teste ein paar populäre Filme durch – man wird feststellen, dass eine Menge davon durchfallen, die das Kriterium “aber da sind doch irgendwie wichtige Frauen mit von der Partie” auf den ersten Blick erfüllen: Mehr ist es nämlich meistens auch nicht.
Der Bechdel-Test ermittelt weniger den Frauenanteil eines Films, sondern geht der Frage auf die Spur, ob diese Frauen letzten Endes wirklich eigenständige Handlungsträger sein können oder doch nur Objekt und Plotelement zur Profilierung, Motivation oder Satisfaktion des Helden.
Falls noch ein paar Beispiele vonnöten sind – in diesem Video gibt es eine lange Liste von durchgefallenen Filmen:

Also schnell den Bechdel-Test auch an Fantasyliteratur ausprobiert, die in ihren beliebtesten Werken auch nicht gerade durch ein modernes Frauenbild besticht. Wird man ein ähnlich desolates Bild vorfinden? Und lässt sich der Test überhaupt 1:1 übertragen?
Dazu zunächst folgende Überlegungen:
– Der Literaturmarkt ist insgesamt vermutlich deutlich weniger männlich dominiert als die (Hollywood-)Filmindustrie, es gibt eine Menge Autorinnen, die auch die Geschichten von Frauen erzählen. Roman-Protagonistinnen sind dadurch häufiger anzutreffen als Filmheldinnen, die wirklich einen Film tragen, was zumindest im Blockbuster-Bereich so gut wie nie das ist, worauf Filmproduzenten setzen (und nicht vergessen: auch Tomb Raider fällt durch den Bechdel-Test!).
– Außerdem unterscheidet sich filmisches Erzählen natürlich von literarischem Erzählen, und das hat Auswirkungen auf den Test: Figuren bekommen schneller Namen als im Film, weil sie immer dann, wenn sie gezeigt werden, auch benannt werden müssen. Die Chance ist groß, dass eine unwichtige Figur nicht nur “die Frau” oder “die Dienerin” heißt, wenn sie mehr als nur einmal durchs Bild huscht. Anders als im Film ist im Buch eine Namensträgerin also nicht gleich mit einer potentiellen Handlungsträgerin gleichzusetzen.
– Des weiteren bieten Romane – je dicker der Schinken, desto eher – mehr Raum für Dialogszenen als Filme. Daher ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich bei einem großen Figurenensemble auch mal zwei Frauen unterhalten, z.B. übers Wetter oder den Eintopf und nicht nur über den wackeren Helden. Das verleiht ihnen erzählerisch allerdings keine gleichwertige Präsenz.
– Auch die manchmal starken ErzählerInnenfiguren der Literatur haben einen Einfluss auf das Ergebnis; so wird sich ein Roman mit männlichem Ich-Erzähler logischerweise schwer tun, mit einer Szene aufzuwarten, in der sich zwei Frauen unterhalten.

Müssen also die Kriterien für Literatur eventuell anders lauten?
Ein erster Testlauf ist relativ ernüchternd: Dauerbrenner wie Der Herr der Ringe oder auch Osten Ard [Nachtrag dank Nala: bei Tad Williams unterhalten sie sich doch] fallen gnadenlos durch – doch das Phänomen beschränkt sich nicht auf die eher traditionell erzählten Klassiker: Auch Der eiserne Rat des der Rückständigkeit unverdächtigen China Miéville erfüllt die Kriterien nicht, und sogar Steven Erikson, in dessen Spiel der Götter etliche starke und wichtige weibliche Figuren auftreten, kann wohl erst in späteren Bänden punkten, da er seine Frauen mit Vorliebe in einem männlichen Umfeld agieren lässt.  Das Lied von Eis und Feuer müsste dagegen aufgrund seiner extrem in die Breite gehenden Erzählweise und der schieren Menge an Figuren schnell durchkommen – wenn Gespräche mit Leibdienerinnen zählen …
Ganz irrelevant scheint der unveränderte Bechdel-Test auch für Literatur nicht zu sein – die Romane, die ihn bestehen, sind in der Unterzahl. Sollte man auch noch angepasste, strengere, erweiterte Kriterien anwenden, sähe es wohl ebenso düster wie beim Film aus.

Dass ein so formalisierter Test im Bereich des Films, der schneller und ökonomischer erzählen muss als ein Roman, eindeutigere Ergebnisse bringt, versteht sich von selbst. Doch selbst da zeigen die unzähligen Filmdiskussionen auf bechdeltest.com, dass ein gewisser Interpretationsspielraum bleibt, und dass solche Tests einem vielfältigen Medium nur ungenügend gerecht werden können.
Ich schlage deshalb auch nicht vor, jeden Film standardmäßig zu testen; viele meiner Lieblingsfilme rasseln mit Pauken und Trompeten durch (und beileibe nicht nur die älteren Streifen). Ich will sicher auch nicht jeden Roman diesem Test unterziehen oder, noch schlimmer, daraus eine Wertung ableiten: Durchgefallene Werke können hervorragend sein, und es gibt Romane, die bestehen den Test und sind trotzdem Schrott. Eine valide Betrachtungsweise ist er jedoch allemal, und seine Ergebnisse treffen eine Aussage über die populäre Erzählkultur.
Der Bechdel-Test ist ein grobes Instrument, kann aber ein Augenöffner sein – es lohnt sich, ihn hin und wieder anzusetzen und damit unsere in ihrer ganzen Absurdität weitläufig akzeptierten Erzähltraditionen zu hinterfragen.

Deswegen zum Abschluss ein Auftrag an unsere LeserInnen: Testet doch mal die letzten drei Romane, die ihr gelesen habt, und verratet uns das Ergebnis.

Hier die Liste mit den letzten fünf von mir rezensierten Romanen:
Eiserne Dämmerung – durchgefallen trotz Heldin
Das Tor von Ivrel – durchgefallen
Hounds of Ash – durchgefallen
Mainspring – durchgefallen
Shadows of the Apt – bestanden

Metaflöz Reaktionen

Wie oft hat man diesen Satz (mit einer gewissen Variationsbreite) schon gehört, wenn es um Geschlechterbeziehungen in Fantasybüchern ging: „Ja, aber damals war das halt so!“

Eine Aussage, die – ebenso wie die entsprechenden Inhalte – auf akribischer historischer Recherche beruht? Eher nicht. Vielmehr spiegeln sich darin zeitgenössische, kulturelle Vorstellungen über die Geschlechterverhältnisse wider, die nur allzu gerne rückprojiziert werden, um sie zu legitimieren. Die historistische Rechtfertigung tritt auch gerne im Verbund mit biologistischer Argumentation à la “Frauen sind nunmal schwächer und bekommen Kinder, während Männer die muskulös-kampfkräftigen Jäger sind” auf. Ein klassisches Beispiel für die Vermischung der beiden Argumentationslinien samt legitimistischer Rückprojektion sind übrigens die älteren Rekonstruktionen zu den Fußspuren von Laetoli, die die Fußabdrücke ohne weitere Anhaltspunkte geschlechterspezifisch (samt vermeintlicher Rollenverteilung) zuordneten.

Was uns aber tatsächlich an dieser Argumentation stört, ist das Pochen auf Historizität in einer Fantasy(!)welt, die sich ansonsten zumeist eher vage an bestimmten Epochen (wobei das Mittelalter wohl dominieren dürfte) orientiert und keinesfalls durch historische Akkuratesse glänzt. Es wird stattdessen das adaptiert, was passend erscheint, und anderes unter den Tisch fallengelassen. So stößt man etwa bald mal auf Ritter (oder zumindest auf gepanzerte Reiter) in einem Fantasyroman, das dahinterstehende ökonomische, religiöse und gesellschaftspolitische System findet jedoch eher selten Eingang in die entsprechenden Werke, deren Massenschlachten eine mittelalterliche Welt wohl dreimal entvölkern würden. Ähnlich verhält es sich auch beim biologistischen Argument, wo doch gerade die Fantasy mit ihren magischen Geschöpfen auf Ökosysteme pfeift und eine Formen- und Artenvielfalt erzeugt, die jeder Klassifizierung spottet.

Das ist ja nun auch kein Malheur, schließlich geht es ja um Fantasy. Die Welten sprühen im Idealfall vor Einfallsreichtum und sind angereichert mit Magie, alternativen Techniksystemen oder phantasievollen Gesellschaftsformen. Und genau da liegt auch der Hase im Pfeffer, denn bei all dem glänzen die Geschlechterbeziehungen oft durch einen gewissen Konservatismus und spiegeln eher antiquierte Vorstellungen wider, anstatt Alternativen zu entwerfen, die gerade in einer phantastischen Welt jede Möglichkeit hätten, sich zu entfalten. Wo, wenn nicht in der Fantasy wäre Platz für das Experimentieren mit kulturell neu codierten Rollenverteilungen?

Warum also gerade in diesem Bereich eine solche Einfallslosigkeit?

Brian Attebery liefert hierzu einen wichtigen Ansatz. Er schreibt:
The more of our knowledge we can apply to the fantasy, the easier it is to achieve secondary belief. We cannot picture the unknown unless we hear it described in terms of the known. (Attebery, Brian: The Fantasy Tradition In American Literature. from Irving to LeGuin, Bloomington 1951, 35)

Gerade in Fantasywelten ist also strategisch platziertes, scheinbar Vertrautes notwendig, um die LeserInnen in die Welt eintauchen zu lassen. Dabei sollte man sich allerdings bewusst machen, dass es genau das ist: strategisch! Die AutorInnen bestimmen, was sie zu kreativen Alternativen ausgestalten und wo es im Gegenzug traditioneller zugeht. Warum sind das nun wiederum sehr häufig die Geschlechterverhältnisse? Die Vermutung liegt nahe, dass in manchen Punkten von der Leserschaft verstärkt Vertrautes gewünscht ist bzw. Veränderungen wesentlich krasser auffallen. Dies gilt insbesondere für Geschlechterrollen, die – bewusst oder unbewusst, mittelbar oder unmittelbar – unser aller Leben durchziehen und auch unsere eigene Identität mitbestimmen. Würde durch das Aufbrechen der Geschlechterrollen die “Wohlfühlzone” der breiten Leserschaft verletzt, die anscheinend eher auf der Suche nach dem Ewiggleichen als nach innotivativen, originellen Ansätzen ist? Kann man sich dem Reiz fremdartiger Perspektiven nur solange genussvoll hingeben, wie man darin Vertrautes erkennt?

Eine Rolle spielt womöglich ebenfalls die Angst der AutorInnen davor, durch Veränderungen in diesem Bereich, als “feministisch” abgestempelt zu werden. Ein Label, das inzwischen eine dermaßen negative Konnotation aufweist, dass es niemand mehr tragen will.

Fakt ist außerdem, die Fantasy ist ein Genre, das häufig auf traditionelle und nostalgisch geprägte Stoffe und Motive zurückgreift. Und dort gibt es feste Erzählmuster, die oft tatsächlich nur unter bestimmten Bedingungen zu funktionieren scheinen. Männergeschichten erfüllen sich anders als Frauengeschichten, und spätestens bei einer Liebesgeschichte ist der Bedarf an traditionellen Rollenbildern groß: Der Vampir, Dämon oder Werwolf der aktuellen Paranormal Romance ist nichts anderes als ein Übermann, vor dem auch eine sonst ganz toughe Frau ohne Gesichtsverlust niederknien kann. Offen bleiben muss dabei wohl, ob AutorInnen und LeserInnen bewusst ist, dass gerade diese Überwindung einer sonst starken und kriegerischen Frau durch einen (potentiellen) männlichen Sexualpartner ein uraltes Motiv ist und es der scheinbar so “modernen” Heldin auch nicht besser ergeht als einer Penthesilea, Atalante oder Brunhild.
Wenn Literatur aber nur lange Bärte noch ein bißchen länger macht und sich fraglos an uralten Motiven bedient, verzichtet sie auf ihre größten Stärken, die ganz besonders in der Fantasy ausgespielt werden könnten: Das Ausloten, wo und wie man Regeln auflösen, mit Stereotypen arbeiten und das Publikum bewegen kann.

Ein neuer Blick auf Geschlechterrollen erfordert vor allem drei Dinge: Den Mut, mit den Traditionen zu brechen – auch im Jahr 2011. Den Willen, sich die Arbeit zu machen, die es braucht, um lang gehegte Klischees und Rollenmuster in Geschichten aufzubrechen und sich auf neue Ansätze einzulassen.
Und LeserInnen, die den Weg mitgehen.

Metaflöz