Tag: Film

Es fängt alles ganz harmlos an: Ein Paar, das bald ein Kind erwartet, macht Picknick in einem idyllischen Bergwäldchen, Blumen blühen, die Luft ist lau, die Erdbeeren sind lecker … und eine Stunde später steckt man in einer epischen Schlacht zwischen Gut und Böse, Katapulte schießen Löcher in Mauern und Helden müssen den Pfad der Dunkelheit betreten, wenn sie siegreich sein wollen …

Dass ich ein Herz für Insekten habe, ist hinreichend bekannt. Zeichentrick- und Animationsfilme liegen mir ebenfalls am Herzen, schon rein berufsbedingt, aber auch, weil sie für mich viel, viel mehr als CGI-gepimpte Realfilme Horte der Fantasie sind, in denen alles möglich ist. Und außerdem gefallen mir clevere Analogien, wenn man Gegebenheiten aus unserem Kosmos in einen ganz anderen überträgt und irgendwie eine runde Sache draus macht. Deswegen stand gar nicht zur Debatte, ob ich mich um die Mittagszeit zusammen mit ein paar Kubikmetern Popcorn zum Familienevent in den Kinosaal begebe, um Die Winzlinge anzuschauen, die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Marienkäfer und einer Ameise, und die Geschichte des Wirbels um eine beim Picknick vergessene Zuckerdose, die letztlich einen Krieg zwischen zwei Ameisenstaaten auslöst.
Nun bin ich vielleicht marginal voreingenommen, wenn es um Käfer geht (die auch noch einen hohen Niedlichkeitsfaktor haben), aber ich bin der Meinung, dass Minuscule – La vallée des fourmis perdues, so der Originaltitel, tatsächlich nicht ganz uninteressant für Liebhaber des Phanastischen ist.

Minuscule ist dem Comickünstler Moebius gewidmet und war vor dem in Frankreich offenbar recht erfolgreichen Kinofilm schon als gleichnamige Fernsehserie für die ganz, ganz Kleinen bekannt, bei der (genauso wie beim Film) Hélène Giraud, die Tochter von Moebius, zusammen mit Thomas Szabo Regie führte. Die Filmchen kombinieren reale Naturaufnahmen mit animierten Insekten, die kleine Abenteuer erleben – eine Episode geht nur wenige Minuten und ist mitunter ganz charmant; als Erwachsener kann man das gut zum Runterkommen vor dem Einschlafen gucken. Im Format eines zweistündigen Films braucht es ein anderes Kaliber von Geschichte, und da funktioniert die altbewährte Heldenreise mit multikultureller Freundschaft ganz hervorragend.

Hierzulande fliegt Minuscule ein bisschen unter dem Radar und hat nach der goldenen Regel deutscher Filmverleihe einen Gaga-Untertitel („Operation Zuckerdose“) spendiert bekommen, aber das ist eigentlich völlig irrelevant, denn jetzt kommt der Clou: In Minuscule wird nicht gesprochen. Im Jahr 2016! Wird zwei Stunden lang kein Wort gesprochen! (Und es ist genial!)
Die Insekten verfügen über eine Geräuschpalette, die wir aus dem Transportwesen kennen, und zur Verständigung tröten, trillern und knarzen sie fröhlich vor sich hin. Außerdem kommt in dieser Konstellation der Filmmusik eine größere Rolle zu – und es ist ein unglaublich mitreißender Score von Hervé Lavandier, der sich in den richtigen Momenten bei seinen Vorbildern (Star Wars und anderen epischen Soundtracks) bedient, genauso wie die Geräuschkulisse korrespondierend zu den Bildern manchmal Herr der Ringe-artige Schlachten heraufbeschwört. Und das sind nicht die einzigen Anspielungen, die den Filmfreund bei Minuscule zum Grinsen bringen. Was muss das für ein Spaß gewesen sein, die Ideen auszubrüten, mit denen augenzwinkernd bekloppte Actionszenen, kultige Szenerien und episches Kampfgewusel nachgestellt wurden!

Das Fehlen der Dialog-Ebene lädt dazu ein, Geräusche, Gesichtsausdrücke, Haltungen und Atmosphäre zu interpretieren und unterstreicht die Distanz zur Insektenwelt. Besonders fällt die Diskrepanz zum sonstigen Wortschwall beim Animationsfilm im direkten Vergleich mit den Stakkato-Sprech-Trailern auf, die vor dem Film laufen und mit flotten Sprüchen und den Stimmen von allseits bekannten Quasselstrippen-Promis werben. Es ist beinahe mutig, unter diesen Konditionen einen „stummen“ Film ins Kino zu bringen, der den (kleinen) Zuschauern zutraut, dass sie das Hineinversetzen durchaus selbst ganz ohne Mittelsmann auf die Reihe kriegen.
Schwierig ist es nicht, denn Minuscule ist eine wunderbare Questen-Reise, die mit skurrilen Nebenfiguren und sogar einem Drachen aufwartet, erzählt mit sehr viel Herz und einem liebevollen Blick für Details. Altmodisch vielleicht sogar, denn der Film ist völlig ironiefrei, ein klassisches Märchen ohne doppelten Boden. Mit dieser Erwartungshaltung kann man guten Gewissens als Filmfan jeden Alters reingehen, wenn man den Trailer charmant findet. Er hält, was er verspricht.

Über den Tellerrand

Für einige ist es zwar sicher ein alter Hut, allen anderen sei dringend der Kurzfilm The Reward ans Herz gelegt, die Abschlussarbeit dreier dänischer Filmstudenten, die sie selbst als “epic, feel good, bromantic roadtrip” einfliegen:

Die von Sword & Sorcery und Rollenspielen inspirierte Abenteuer-Geschichte ist nicht nur ein Ausbund an Ideen, sondern ein beeindruckendes Beispiel dafür, was für ein episches Abenteuer man in gerade mal zehn Minuten und ganz ohne Text erzählen kann.
Inzwischen wurde mit einer Kickstarter-Kampagne auch eine ganze darauf basierende erste Serienstaffel finanziert, wobei mein bleibender Eindruck ist, dass besonders die kurze Form hier den Charme ausmacht. Aber wer weiß, vielleicht brüten Bo Juhl, Mikkel Mainz und Kenneth Ladekjær wieder etwas Kreatives aus, was dem neuen Format gut gerecht wird?

Über den Tellerrand

Wem nach dem “Robot” im Titel noch der Schreck in den Gliedern sitzt, den kann ich beruhigen: obwohl der hier vorgestellte Film letztes Jahr erschien und Science-Fiction-Elemente besitzt – weder Will Smith noch eines seiner Kinder spielen irgendeine Rolle. Tatsächlich könnte der US-amerikanische Indiefilm “Robot & Frank” von Regisseur Jake Schreier den herkömmlichen Roboterphantasien nicht ferner liegen.

Robot and Frank

In einer “nahen Zukunft” lebt Frank, ehemaliger Juwelendieb und Fassadenkletterer, in einem beschaulichen Haus im Grünen und verbringt seinen Lebensabend mit Besuchen der Gemeindebibliothek und dem Stehlen geschnitzter Seifentiere. Futuristische Smartphones und der Robotergehilfe der Bibliothekarin Jennifer, der wenig humanoide und eher an einen wandelnden Kopierer erinnernde Mr. Darcy, sind die ersten Hinweise auf den technologischen Fortschritt dieser leisen, sensiblen Zukunftsvision. Von ähnlicher Subtilität ist auch das wahrhaft meisterhafte Spiel von Frank Langella, der behutsam die feinen Risse in die Zukunftsidylle zeichnet: was anfangs als schrulliges Eigenbrödlertum durchgehen mag, entpuppt sich erst für die Kinder des filmischen Franks, dann für die Zuschauer, und später, in unprätentiösen und schmerzhaft ehrlichen Momenten auch für den alten Mann selbst als Verwirrung, als Demenz. “Robot & Frank” ist jedoch nicht nur ein Film über das Älterwerden und die Vieldeutigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen – es ist ein Film, der das Verhältnis von Mensch zur vermenschlichten Maschine mal verschmitzt-komisch, mal leise-traurig zum Thema macht. Denn Franks Kinder – großartig hier übrigens Liv Tyler als philanthropisch-nervige Tochter, die aus Turkmenistan schuldbewusste Videobotschaften sendet – stellen ihrem Vater einen Pflegeroboter zur Seite, der das übernehmen soll, was weder Frank als Vater, noch Hunter oder Madison als Kinder je gut konnten: sich kümmern.

Brokkoli statt Müsli, ein geregelter Tagesablauf, eine Freizeitbeschäftigung, die den Geist auf Trab bringt: es ist nicht verwunderlich, dass Frank wenig begeistert ist von der Technologisierung seiner Betreuung. Doch auch in der Bibliothek stehen die Zeichen auf Umbruch; Printmedien sind wie Frank ein Relikt vergangener Tage, und ein mutimediales Kulturzentrum soll den Bücherstaub ersetzen. Der Film greift an dieser Stelle mit verschmitztem Augenzwinkern eine nur allzu aktuelle Debatte auf, ohne zwischen Schlagworten wie Vorsintflutlichkeit und Fortschrittswahn Stellung zu beziehen.
Es bleibt ein Film der leisen Töne: Die zarte Romanze zwischen der Bibliothekarin und dem ehemaligen Juwelendieb, der immer öfter den Namen seines Sohnes vergisst, entspricht keinen Hollywoodnormen. Und zwischen allen menschlichen Verwicklungen sucht Franks Roboter nun nach einem Hobby, das gleichzeitig zu fordern und zu begeistern vermag. Was nur, wenn sich Schlösserknacken als perfektes Mittel herausstellt, Frank bei Laune zu halten…?

Die Beziehung von Frank zu seinem namenlosen Roboter ist das Herzstück dieses kleinen Filmjuwels. Schnell deutet Frank – und der Zuschauer – Humor und Emotion in die Handlungen der Maschine hinein, und es trifft beide gleichermaßen, wenn der Roboter wiederholt betont, dass er keine Persönlichkeit besitzt. Und an beide ist es auch gerichtet, wenn er dieser Feststellung ein “I know you don’t like it” voranstellt. Es sind Bilder, die aus einem Nachbartal des Uncanny Valley stammen, wenn der Roboter in zenartiger Gelassenheit den Garten umsorgt, dessen Pflege eigentlich Franks (bewegungs- und kognitionsfördernde) Aufgabe ist; und wenn der ausgeschaltete Roboter in die ausgebreiteten Arme des alten Mannes sinkt, der ihn schließlich doch als Freund und Partner bezeichnet, dann ist dies ein melancholisches, aber dennoch verräterisch tröstendes Zerrbild einer Umarmung. Ein Mann, der vergisst, und eine Maschine, die nicht vergessen kann: “Robot & Frank” ist weder ein reines Drama, eine reine Komödie, noch eine Science-Fiction-Vision. Mit seinem feinsinnigem Humor, dem nie kitischigen, nie nur traurigen Portrait einer Familie und der klugen Studie der Sehnsucht nach Vermenschlichung bewegt sich dieser Film vielleicht schwerfällig, wenn es um eine Genreeinteilung geht, aber umso leichtfüßiger, wenn man sich auf die Diebestour mit Roboter einlässt. Denn dass Fassadenkletterei unter die Definition “körperliche Betätigung” fällt, leuchtet auch dem Roboter ein – dessen Ethikprogramm ihn eindeutig auf nicht alle Situationen vorbereitet hat.

Über den Tellerrand

Peter Jacksons Hobbit-Verfilmung ist erst kürzlich auf DVD erschienen, aber man hat dennoch den Eindruck, dass die allgemeine Begeisterung schneller nachgelassen hat als bei den Herr-der-Ringe-Filmen und anderen Franchises und Blockbustern. An den kommerziellen Erfolg der vorausgehenden Trilogie wird sie wohl schon allein aufgrund der Ausmaße anknüpfen, mit denen sie auf allen Kanälen präsent ist; der zweite und dritte Film werden es zeigen.
The Hobbit. An Unexpected JourneyEines ist jedoch bereits jetzt klar: Die allergrößte Freude, die Peter Jackson den Fans gemacht hat, ist zugleich das größte Problem der Hobbit-Verfilmung. Es gibt beim Hobbit in erster Linie mehr von Peter Jacksons Mittelerde zu sehen, eine Rückkehr zum Herr der Ringe und ein Fest von Anspielungen auf die Trilogie, die nicht nur in den direkten Verknüpfungen (etwa durch die Rahmengeschichte mit Frodo) offenbar werden. Monumentale Minen, angeschmutzte, aber edle Helden, ätherische Elbenheime, der Zwergenwitz in zwölffacher Ausführung – sie sind alle wieder da, sogar noch ein bisschen größer und glänzender als zuvor. Konnte man beim Herr der Ringe durchaus von einem Gesamtkunstwerk sprechen (ob es in allen Aspekten gelungen ist, ist eine andere Frage – aber ohne Zweifel hat die Trilogie den Fantasy-Film maßgeblich beeinflusst), brüht der Hobbit schlicht ein zweites Mal auf, was erprobt ist und beim Publikum ankommt.
Das Traurige an der Tatsache, dass Peter Jackson den Hobbit einfach als ein weiteres episches Mittelerde-Heldenstück ausgeführt hat, für das keine neue Bildsprache und Erzählweise vonnöten waren, ist die Allgegenwart seiner Interpretation, die durch den Hobbit so zementiert wurde, dass Mittelerde für Künstler nun vermutlich jahrelang verbrannte Erde sein wird.

Betrachtet man dagegen die Vielzahl an künstlerischen Interpretationen, die in der Vergangenheit allein nur der Hobbit angeregt hat, erkennt man, dass Mittelerde viel mehr hergibt als den hyperrealistischen, häufig zwischen bierernst und albern changierenden Stil von Peter Jackson.
Aber wer kann sich jetzt noch von den omnipräsenten Filmbildern freimachen? Wer eigene, neue finden (oder sich noch an die alten erinnern, die man vor den Filmen hatte)?
Ganz besonders bedauerlich ist, dass wir von Guillermo del Toros Interpretation wohl so gut wie gar nichts zu Gesicht bekommen. Vielleicht hätte sein Einfluss dem Hobbit die dringend nötige Eigenständigkeit und jene spielerisch-zauberhafte, aber auch leicht unheimliche Atmosphäre angedeihen lassen können, auf die Peter Jackson zugunsten einer realistischeren und mit aufgeblasener Dramaturgie aufgemotzten Darstellung verzichtet hat. Hellboy (vor allem der zweite Teil) und Pans Labyrinth wären auf jeden Fall Hausnummern gewesen, nach deren Beispiel man sich auch einen anderen Hobbit gut hätte vorstellen können.

So aber weiß Mittelerde eigentlich nicht mehr zu überraschen, auch nicht im Aufbau, der ohne Rücksicht auf Verluste bewährte Muster abspult. Wohl auch der Aufspaltung in drei Filme geschuldet wird nicht einmal der Versuch unternommen, die allmähliche und fast unmerkliche Steigerung vom beschaulichen Hobbitdasein über erst eher burleske bis groteske Abenteuer bis hin zur Katastrophe der epischen Schlacht nachzuzeichnen. Nicht zuletzt durch die Einführung bedrohlicher und durchaus ernstzunehmender Dauergegner in Gestalt von Azog und seinem Gefolge herrscht in Peter Jacksons Filmfassung schon früh fast durchgehend munteres Kampfgetümmel, das unabhängig vom kurzfristigen Unterhaltungsfaktor Figurenzeichnung und Gesamtaussage in sehr konventionelle Bahnen verschiebt.
Der in diese Rachefehde eingebundene Thorin ist von seiner Buchvorlage ohnehin ein gutes Stück entfernt, da es ihm weit weniger auf die Rückgewinnung des Schatzes (die ja erst die Mitnahme eines vorgeblichen Meistereinbrechers auf die Queste motiviert) als auf den patriotischen Kampf um die verlorene Heimat anzukommen scheint. Kein Wunder, dass Bilbo sich bemüßigt fühlt, einem solchen Ersatz-Aragorn seine Heldenqualitäten zu demonstrieren und sich mit seiner hochdramatischen Rettungstat einen Respekt zu verdienen, der in dieser Version von Mittelerde anscheinend nur arg stereotypen echten Kerlen gebührt. Wie Thorin aus dieser Konstellation heraus noch glaubwürdig zu seiner Erkenntnis gelangen soll, dass man das Kind des freundlichen Westens vielleicht gerade für seine unkriegerischen Seiten würdigen sollte, erschließt sich nicht ganz, und so wird zumindest in diesem ersten Teil eine potentiell differenzierte Geschichte einem recht beliebigen Actionspektakel geopfert. Dagegen können auch liebevolle Anspielungen und seelenvolle Zwergengesänge nur sehr begrenzt ankommen.

Es drängt sich (wie bei vielen Blockbustern) der Verdacht auf, das Überbemühte, das jedes Haar im Zwergenbart sichtbar macht und eine dramaturgische Formel umsetzt, die das Publikum dort abholt, wo es gerade zu eigenen Überlegungen ansetzen könnte, soll nur einen Mangel an Charme und Phantasielosigkeit übertünchen. Wo ideenreicher und risikofreudigerer visueller Zauber Mittelerde als lebendiges und vielseitiges Setting hätte vertiefen können, ist lediglich solides Handwerk herausgekommen, ebenso wie erzählerisch das gewünschte “more of the same” geliefert wurde. Was der Hobbit letztlich in keiner Form aufweist, ist eine künstlerische Vision, und damit wird Mittelerde, das in der Vergangenheit so viele zu eigenen Geschichten, Bildern und Musik inspiriert hat, zu einem Kontinent der Einfallslosigkeit.

Reaktionen Über den Tellerrand

Der heutige Blick über den Tellerrand richtet sich auf die Zeichentrickserie Avatar: Der Herr der Elemente (Avatar: The Last Airbender). In den drei Staffeln, „Bücher“ genannt, Wasser, Erde und Feuer verfolgt man die Abenteuer des Jungen Aang sowie seiner Gefährten, die sich im Verlauf der Serie um ihn scharen. Als Aang in der ersten Folge von dem Geschwisterpaar Sokka und Katara aus einem Eisberg befreit wird, muss er feststellen, dass er 100 Jahre Weltgeschichte darin „verschlafen“ hat. Dabei hätte ihn die Welt gerade jetzt dringend gebraucht, denn er ist die neue Reinkarnation des Avatar, des einzigen Menschen, der alle vier Elemente (Erde, Luft, Wasser, Feuer) beherrschen („bändigen“) kann. Bis vor hundert Jahren hatten die verschiedenen Gesellschaftssysteme, die die BändigerInnen jeweils eines Elements und NichtbändigerInnen aufgebaut hatten, friedlich koexistiert, doch dann startete die Feuernation einen gnadenlosen Expansionskrieg, der immer noch wütet. Unter diesen schwierigen Bedingungen muss Aang lernen, seine Rolle als Avatar zu erfüllen, um den Frieden wiederherzustellen.

Die Serie holt aus dieser Startkonstellation ein Maximum an erzählerischer Tiefe heraus.
Das liegt nicht nur daran, dass man im Verlauf der Staffeln die Welt näher kennenlernt und der scheinbare Elemente-Determinismus in einer Vielfalt von Lebensphilosophien und Gesellschaftsformen aufgelöst wird, sondern vor allem daran, wie viel Wert auf eine tiefe Figurenzeichnung gelegt wird und wie viel Raum der Entwicklung der Pro- wie Antagonisten gegeben wird. Der Figurenzeichnung ist auch zuträglich, dass Avatar: Die Legende von Aang keineswegs davor zurückschreckt, tiefschürfende Themen (von der Frage, ob der Krieg jedes Mittel rechtfertigt über Geschlechterrollen bis hin zu Vergebung) anzusprechen. Durch die enge Verknüpfung des jeweiligen Stoffes mit den auftretenden Figuren schafft die Serie zudem den schwierigen Spagat sowohl jugendliches als auch erwachsenes Publikum anzusprechen. Einerseits bleibt die Darstellung so stets lebendig und schreckt erstere nicht durch „graue Theorie“ ab, andererseits bietet sie für Jugendliche wie Erwachsene genug Anknüpfungspunkte, sich selbst damit auseinanderzusetzen. Die zum Teil erstaunlich leichtfüßige, aber keineswegs seichte Präsentation von Figurenentwicklung und Themen ist aber auch dem wohldosierten Einsatz von Humor geschuldet.

Das Setting selbst ist stark von fernöstlichen Kulturen geprägt, von den Schriftzeichen bis hin zur Philosophie der Kunst des “Bändigens”, die viele Anleihen bei fernöstlichen Lehren aufweist und bei der jedes Element spirituell und optisch einer Kampfkunst zugeordnet ist. Technologisch und gesellschaftlich ist die Welt sehr vielfältig, während man großteils den Eindruck einer (nach unserem Verständnis) mittelalterlichen Welt hat, gibt es auch Anzeichen einer beginnenden Industrialisierung und neben kleineren Dörfern besuchen unsere Helden und Heldinnen auch beeindruckende Metropolen.
Die Serie selbst macht jedoch auch eine deutliche Entwicklung durch, die sich in mutigeren Erzählweisen äußert, sodass das Episoden-Portfolio schließlich ernste, von Rückblicken geprägte und westernhafte ebenso wie herrlich komische und selbstreferentielle Folgen umfasst. Leider wirkt das Finale angesichts der geschilderten Qualitäten sehr hastig und abrupt, schließt die Serie in der letzten Episode aber doch passend ab.

Inzwischen läuft zudem die Fortsetzung Die Legende von Korra (The Legend of Korra), die 70 Jahre nach „Der Herr der Elemente“ angesiedelt ist und nicht nur einen neuen (weiblichen) Avatar, Korra, zu bieten hat, sondern auch ein faszinierend weiterentwickeltes Setting mit Steampunk-Flair sowie ein verändertes erzählerisches Konzept, dessen Vor- und Nachteile sich jedoch erst im Verlauf der weiteren Staffeln erweisen werden – bisher ist lediglich „Buch 1: Luft“ erschienen. Lasst euch also von „Avatar: Die Legende von Aang“ begeistern, für Nachschub ist bereits gesorgt! Für alle, deren Neugier nun hoffentlich geweckt ist: Auf der Website von Nickelodeon kann man sich die erste Episode im Stream anschauen.

Über den Tellerrand

Die Oscars sind vergeben, alte weiße Männer freuen sich und eine stolpernde Gewinnerin schreibt Boulevardgeschichte. Nebenbei interviewt ein Reporter eine Nominierte für die Auszeichnung „Beste Hauptdarstellerin“ und scheitert daran, ihren Namen auszusprechen. Was für eine Nacht!

Quvenzhané Wallis: so der Name der neunjährigen Hauptdarstellerin des Spielfilmdebuts von Benh Zeitlin. Kwuh-VEN-zhuh-nay: So die phonetische Herausforderung des Abends, die gestandene Journalisten in die Knie zwingt (und doch nur 4 Silben hat.). Beasts of the Southern Wild: der Name des Films, den eine Jury aus Mitgliedern von Bibliotheka Phantastika heute auszeichnen möchte.

Beasts of the Southern Wild ist ein Film, der sich an der magischen Grenze von Realität und Phantasie bewegt und, anders als sein Fantasy-Oscar-Konkurrent Der Hobbit, durch leise Töne und traumgleiche Bilder besticht. Quvenzhané Wallis spielt Hushpuppy, ein sechsjähriges Mädchen, das mit ihrem schwerkranken Vater Wink jenseits des Dammes lebt, der die vom Klimawandel geflohene Zivilisation von Sumpf und Meer trennt. Wink, seine Tochter und die anderen Bewohner von Bathtub, der Siedlung in den verlassenen Sümpfen Louisianas, kämpfen täglich um ihr Überleben, und dieser Kampf findet auf dem Schlachtfeld einer unkontrollierbar entfesselten Natur statt. Doch wann immer sich ein verlässliches Feind- oder Freundbild im Film ankündigt, kommt die Ernüchterung auf dem Fuße: In der Welt der Southern Wild sind auch diese Kategorien nichtig. Darf man um einen Vater trauern, der sein Kind schlägt? Können verwahrloste Säufer zu verlässlichen Verbündeten werden? Im Sumpf von Louisiana sind Menschen hilflos wie Säuglinge, und Kinder werden über Nacht erwachsen. Doch was heißt „erwachsen“ in dieser Welt, die sich nach der Klimakatastrophe weiterdrehen muss?

Da ist es nur konsequent, den Film komplett aus Kindersicht zu erzählen, mitsamt ihrer in sich wunderbar konsistenten Fehlinterpretationen, ihrem nahtlosen Übergang zwischen Natürlichem und Übernatürlichem und der unhinterfragten Annahme, dass das eigene Handeln tatsächlich einen Unterschied macht und sogar dem Wünschen eine nicht zu unterschätzende Macht innewohnt. Als in die ohnehin schon surreale Umgebung von Bathtub dann tatsächlich das Übernatürliche einbricht und Hushpuppy sich ihren Ängsten stellt, ist das nicht nur eine Szene der Emanzipation für Mädchen, Kinder, Menschen, sondern vor allem einer der magischsten Momente, die man in jüngster Zeit im Kino erleben konnte.

Beasts of the Southern Wild ist ein Film über Verantwortung, ein Film über die Phantasie eines Kindes, ein Film über eine zerrissene Familie, die dennoch untrennbar miteinander verbunden ist. Es ist ein Film über den magischsten Ort eines Lebens: ein Film über Heimat, über jenen Ort, der sich nicht durch Kategorien wie Schönheit, Gefährlichkeit, Armut oder Idylle beschreiben lässt. In Beasts of the Southern Wild ist die Heimat ein Ort der Behauptung, ein Fixpunkt und ein Ort des Wachsens. Bathtub ist kein Ort für Familie. Und wenn Hushpuppy zu dem fernen Leuchten am Horizont spricht, um ihrer Mutter nah zu sein, dann wird klar, dass der Ort für Familie ein Ort in uns ist.

Beasts of the Southern Wild ist auch ein Film über Verwundbarkeit. Natur und Mensch tragen Narben, die weit tiefer reichen als sichtbare Makel. Und deshalb ist es zuletzt auch ein Film über Verständigung, die nötig ist, um Brücken über diese Narben zu spannen, die wie Abgründe sind.

Wer also gewillt ist, den Glanz von Hollywood gegen die Authentizität und Eindringlichkeit von Laienschauspielern zu tauschen und leisen Fantasytönen zu lauschen, sei dieser Film sehr ans Herz gelegt. Wir vergeben jedenfalls mit Freuden unsere Trophäe: der sprühende Inspirationsfunke in Gold!

Reaktionen Über den Tellerrand

Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von SchneewittchenLetzten April sind gleich zwei Verfilmungen der Geschichte von Schneewittchen und den 7 Zwergen in den Kinos erschienen. Einmal war da dieser Streifen mit der ausdrucksstarken (Achtung Sarkasmus!) Twilight-Heldin Kristen Stewart, neben Charlize Theron und dem aktuell männlichen Sahnestück Chris Hemsworth als “Huntsman” (oder auch Hans-Mähn) und dann war da noch ein Film, der bei der starken Bewerbung seiner Konkurrenz etwas untergegangen ist. Völlig zu unrecht, wie ich nun feststellen musste, denn Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen ist ein Streifen, der mit optischer Finesse und Witz Bella – Verzeihung – Snow White, locker in den Schatten stellt.

Als mich Spieglein Spieglein, mit Julia Roberts (böse Königin) und Lily Collins (Schneewittchen) in den Hauptrollen, im Techno-Laden meines Vertrauens dieser Tage unschuldig anlächelte, überkam mich die Neugier und ich packte gleich die Blueray ein – wagemutig, ohne mehr als den kurzen TV Trailer zu kennen. Schon nach den ersten Minuten aber kam Überraschung auf. Diese Farben! Diese liebevollen Details! Die pompöse Gestaltung der Kulissen! Die Kostüme!
Kurzum, ich war sprachlos und konnte kaum fassen, was ich hier sah: einen Film des indischen Regisseurs Tarsem Singh, der auch für Filme wie Krieg der Götter 3D oder The Fall verantwortlich ist und ein Händchen für Augenschmaus hat.

Spieglein Spieglein ist entsprechend eine optisch überwältigende Schönheit von Film geworden, mit intensiven Farben und prächtiger Gesamtaufmachung. Doch damit nicht genug, auch die Handlung ist gelungen. Mit leichten Abweichungen von dem vertrauten Märchen ist dies eine grandios unterhaltende Umsetzung, die gleichzeitig immer wieder Themen anschneidet, die in der Traumfabrik Hollywoods ungerne genannt werden. Angefangen beim Jugend- und Schönheitswahn über die Behandlung von Minderheiten und “Andersartigen”, und nicht zuletzt wird auch die Disney-Mentalität mit ihren lächerlich romantischen Klischees ordentlich aufs Korn genommen.

Vermutlich scheiden sich an Julia Roberts die Geister, doch niemand wäre für die durchgeknallte böse Königin so gut geeignet gewesen wie sie, und man muss es einfach sagen: sie ist der heimliche Star dieses Films. Wer bisher dachte, eine böse Königin habe einfach nur böse zu sein und das reicht, der hat diese Königin noch nicht kennengelernt. Sie ist fies, sie ist launisch, sie ist eitel und theatralisch und hat dabei immer ein süffisantes Lächeln auf den Lippen. Diese Figur ist völlig irre und trägt einen Großteil dazu bei, dass Spieglein Spieglein seine satirischen Tiefschläge so gut platzieren kann. Jeder sollte dringend einmal das Pflegeprogramm dieser Königin gesehen haben und dann versuchen, dabei nicht zu lachen. Nicht etwa, weil es einfach nur slapstick-komisch wäre, sondern weil es so wahr ist, was Frauen alles mit sich machen, um “schön” zu werden. Dieser Charakter ist ulkig ohne Ende und bereichert den Film sehr.
Schneewittchen dagegen erleben wir zunächst als wohlerzogene, brave und unterwürfige junge Frau, die am Tag ihres 18. Geburtstag die Rebellin in sich entdeckt. Als sie es wagt, der Königin zu sagen, sie selbst sei eigentlich die rechtmäßige Thronerbin, schickt die Königin sie kurzerhand zum Sterben in den Wald, wo eine schreckliche Bestie haust. Die Figur entwickelt sich im Verlaufe der Handlung weiter, kann es aber letztlich nicht mit der Darstellung der Königin aufnehmen.

Neben den beiden Hauptdarstellerinnen trifft man auch auf etliche Nebenrollen, die es ebenfalls in sich haben und alle einen wohlverdienten Platz ausfüllen. Der Prinz verliert permanent seine Hosen an Zwerge, die Zwerge sind Riesen, die Riesen Zwerge, eine unfreiwillige Küchenschabe, die einmal der oberste Speichellecker war, wird von einem Grashüpfer genötigt und der Liebestrank für Hunde landet im falschen Kelch …
Klingt zusammenhanglos und verwirrend? Keine Sorge, es ergibt alles Sinn, wenn man den Film gesehen hat, versprochen!

Zum Abschluss gibt es noch eine überraschend gelungene Tanzvorstellung (jawohl, sie tanzen und singen!) die ich mal als mittelalterliches Bollywood mit Märcheneinschlag bezeichnen möchte. Diese Mischung – man muss es gesehen haben!
Wirklich, dieser Film ist zum schießen komisch und selbst wenn einem der Humor und die gut versteckte Kritik an der Gesellschaft nicht hundertprozentig zusagt, dann geht doch nichts über diese umwerfenden Bilder einer malerischen Kulisse, wie sie kaum noch produziert wird. Hier ist es ausnahmsweise einmal bedauerlich, dass ich den Film nicht auf großer Leinwand genießen konnte (mangels nicht zu überzeugendem Freundeskreis, der lieber in den Konkurrenten gegangen und sichtlich enttäuscht wieder heraus gekommen ist – oh yeah! Hans-Mähn!).

Fazit: Unbedingte Filmempfehlung für jeden Märchen-, Komödien- und Fantasyfan, der opulente Kulissen, Kostüme und intensive Farben liebt.

Über den Tellerrand

Wenn man sich einmal entschlossen hat, “damals war das halt so” hinter sich zu lassen und nach Gründen für die sexistische Darstellung in Game of Thrones forscht, kommen vor allem zwei Gesichtspunkte zum Vorschein:
Zunächst entsprechen die Darstellung der (Frauen-)Körper, wie sich auch an ihrer modernen Idealisierung zeigt, und die Rollenverteilung einem (angenommenen) ZuschauerInnenwunsch. Dass dieses Sex-sells-Argument ein Stück weit unter die banal scheinende Oberfläche reicht, lässt sich auch aus dem Umstand schließen, dass die in den Romanen von George R.R. Martin häufigen Vergewaltigungsszenen in der Verfilmung größtenteils ausgespart wurden: Man soll beim dargestellten Sex also nicht in die gedankliche Bredouille kommen, sondern es soll eindeutig gefallen, was da gezeigt wird.
Des weiteren dienen sexistische Grundhaltung, Sprache und die häufige Darstellung von Sex und Prostitution (und darüber hinaus natürlich auch die Gewaltdarstellung) dem Konstituieren eines Labels “für Erwachsene”, was wiederum durchaus im Sinne eines Qualitätskriteriums verwendet wird, wie unter anderem Zitate zur geschnittenen Fassung, die im deutschen Fernsehen lief, zeigen* (auch wenn es natürlich höchst unterschiedliche Gründe gibt, gegen eine solche Fassung zu sein).
Die Ursachen sind also – in heutigen Zeiten eigentlich eine Binsenweisheit – bei Marketingüberlegungen und aktuellen Sehgewohnheiten zu suchen, was aber keinen Mitwirkenden daran hindert, zu behaupten, das alles wäre nur für unseren modernen Blick so bedenklich und früher völlig normal gewesen.

Die auf allen Ebenen fehlende Relevanz dieses Arguments – und nicht zuletzt die Tatsache, dass es auch anders funktioniert, wie wir im Vorläufer dieses Beitrags anhand von Hunger Games erläutert haben, oder wie es z.B. auf dem Games-Sektor das herrlich unsexistische Skyrim schafft – führt unweigerlich zu der Frage, weshalb sich MacherInnen und KonsumentInnen (die etwas zum Erfolg führen können oder auch nicht) für den Sexismus entscheiden. Lautet die Antwort auf ZuschauerInnenseite (wie etwa auch bei der Diskussion in unserem Forum häufig gehört), “weil es trotzdem gut ist”, dann sollte die Unmutsbekundung eigentlich heilige KonsumentInnenpflicht sein. Denn dann ist der oben postulierte ZuschauerInnenwunsch tatsächlich nur angenommen, und wir wollen eigentlich schon längst eine andere Geschichte hören als die westlich-patriarchal-heteronormative, die uns mehrheitlich immer noch und immer wieder erzählt wird.
Dazu wäre es allerdings nötig, die Verwendung von Sexismus und traditionellen Geschlechterrollen als konstitutives Element der Erzählung und Teil eines größeren Narrativs (an-)zu erkennen – als etwas, das man genauso wie den Spannungsbogen oder die Dynamik einer Geschichte aus dem konkreten Kontext herauslösen und kritisieren kann, und es nicht als Teil eines kaum hinterfragten Default-Blickwinkels als normal, Geschmackssache oder in seiner universellen Gültigkeit für Erzählkontexte nicht kritisierbar anzusehen.

Genauso sehr sollten wir unsere Definition von “erwachsener Fantasy” einer Prüfung unterziehen. Es grenzt ans Lächerliche, dass Game of Thrones sein Erwachsenengütesiegel aus Sexismus und Gewaltszenen bezieht, während die womöglich wirklich “erwachsenen” Inhalte der Serie, etwa ihre hohe Komplexität, in eben jenen schwülen Sexszenen versteckt werden müssen, um vom anspruchsvollen Publikum überhaupt goutiert werden zu können.

Kann man also die nächste Game-of-Thrones-DVD gar nicht oder nur mit einem schlechten Gewissen in den Player schieben? Das sicher nicht: Das phantastische Genre bietet theoretisch eine riesige Bandbreite an Settings – zwischen Game of Thrones und Hunger Games und auch jenseits der beiden ist jede Menge Platz, und an jedem dieser Orte können gute, erlebenswerte Geschichten stattfinden. Unter der Übermacht sexistischer Settings, die gerade in unserem Genre auffallend ist, lohnt sich aber die Frage, warum uns etwas gefällt, was damit kolportiert wird und welchen Normen sich eine Erzählung beugt – und nicht zuletzt, wo bei der Begründung dieser Normen Nebelkerzen geworfen werden. Und wir sollten überlegen, ob wir unsere Wahrnehmung von erwachsenen Stoffen wirklich an die letztlich nichtssagenden Kriterien des Jugendschutzes koppeln wollen, oder ob wir uns nicht um eine substantiellere Definition bemühen sollten.

_____

  • *”Wenn Ihr mich fragt, sind das alles so kleine Szenen, die einen riesengroßen Teil an Flair und Charme der Serie ausmachen. Irgendwie, wenn man sich die deutsche geschnittene Version anschaut, wirkt Game of Thrones “kindlicher” als “hemmungslos brutal” und erwachsen. Was die Serie zweifelsohne ist, oder zumindest laut Roman Autor George R.R. Martin sein soll, “Game of Thrones ist Fantasy für Erwachsene”.” [aus einem Schnittbericht auf serien-load.de]

Reaktionen Über den Tellerrand

Die HBO-Serie Game of Thrones (basierend auf der Romanreihe Das Lied von Eis und Feuer von George R.R. Martin), deren ersten Staffel inzwischen auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, hat mit ihrem auffallend präsenten Sexismus und der offenen Misogynie schon für einige Kontroversen gesorgt.
In dem feudalen, durch patriarchale Strukturen geprägten Setting von Game of Thrones ist die Darstellung von weiblichen Körpern durch den männlichen Blick auf diese geprägt, besonders sichtbar wird dies u.a. in einer Szene, in der Daenerys vor ihrer Hochzeit von ihren Leibdienerinnen anschaulich im Liebesspiel unterrichtet wird. Sowohl durch die gesellschaftlichen Hierarchien als auch durch die simple Betonung der Physis und Herrschaft des Stärkeren können Männer über weibliche Körper verfügen. Ein eindeutig misogynes Klima wird immer dann hervorgekehrt, wenn diese Verfügungsgewalt nicht nur visuell unterstrichen, sondern auch verbal geäußert wird – und tatsächlich spielt sich kaum eine Szene ab, in der nicht von Huren, Bordellbesuchen, einschlägigen Scherzen und männlich dominierten “Angeboten” die Rede ist. Die Sexszenen selbst dienen häufig einer ansprechenden Verpackung offenbar sonst zu langweiliger Hintergrundinformationen, so erfährt man etwa die Familienhistorie der Targaryens, während sie beim Akt mit einer Dienerin im Bad vom derzeitigen Familienoberhaupt deklamiert wird.
Einzelne starke Frauenrollen, die eindeutig aus der Norm fallen, wie etwa Arya, die als Tomboy der Familie Stark das Fechten erlernen darf, verhärten das System vielmehr, als dass sie es aufbrechen, eben weil sie als krasse Ausnahmen sofort erkennbar sind.

Game of Thrones Season 1Genauso sicher wie zur Kritik an diesen in der epischen Fantasy häufigen Erzählmustern kommt es zu ihrer Verteidigung durch die Fans, die letztlich immer auf “damals war das halt so” hinausläuft. Darüber hinaus beruft man sich auch oft darauf, dass sich einzelne Frauen wie eben erwähnte Arya oder auch Königin Cersei oder Daenerys dennoch ermächtigen können, selbst in einer “harten” Welt, in der sich der Stärkere durchsetzt und Frauen als körperlich unterlegen zu den Verlierern gehören und zwangsläufig Unterdrückung erfahren.
Auf die (vermeintlichen) Tatsachen, die die Biologie schafft, folgen nach dieser Deutung entsprechende Umstände: Auf den Feldern, die gesellschaftlich relevant sind, können Frauen aufgrund ihrer Physis nicht punkten, sie können es aber durchaus in bestimmten Domänen, die ihnen zugewiesen sind, also weiblich besetzten Feldern wie Verführung und Intrige. Ein echtes Ausbrechen aus der gesellschaftlich vorgesehenen Rolle ist allerdings nur unter dem Verlust der Weiblichkeit möglich, wie es auch das Beispiel der Ritterin Brienne illustriert, die als Kämpferin brillieren kann, aber als Frau (aufgrund ihrer Hässlichkeit) versagen muss.
Game of Thrones scheint also in der Tat zunächst als eine perfekte Umsetzung dessen, was “damals halt so war”, nutzt den Spielraum innerhalb der so gesetzten Grenzen und präsentiert ein prall-buntes Abbild patriarchaler, feudaler Strukturen.

Doch selbst wenn man außer Acht lässt, dass Game of Thrones sich als Fantasy auf kein reales “damals” berufen kann, wird die Verteidigung relativ rasch ausgehebelt, wenn man genauer hinschaut.
Sowohl die Darstellung der Geschlechterrollen in Game of Thrones, als auch das Argument „Damals war das halt so“, mit dem diese legitimiert wird, beruhen weniger auf historischer Akkuratesse oder biologischen Gegebenheiten, sondern auf einer gesellschaftlichen Konstruktionsleistung, die darin zugleich reproduziert wird. Damit haben wir uns auch schon in diesem Blogartikel auf allgemeinerer Ebene auseinandergesetzt.

Dass es auch anders geht, beweist der aktuelle Kinofilm Die Tribute von Panem – The Hunger Games, die Verfilmung des ersten Bandes (The Hunger Games/Tödliche Spiele) der gleichnamigen Trilogie von Suzanne Collins. Das post-apokalyptische Setting (mit einer weit zurückliegenden Apokalypse) steht mit seinen krassen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen der mächtigen und hoch entwickelten Metropole Kapitol und den (großteils deutlich ärmeren) Distrikten Hunger Games Filmplakatsowie den Lebensbedingungen in ebendiesen Distrikten der pseudo-mittelalterlichen Welt von GoT in nichts nach. Und auch die namensgebenden Hunger-Spiele, in denen aus jedem Distrikt jeweils ein Mädchen und ein Junge zwischen 12 und 18 in eine Arena entsandt werden, um so lange gegeneinander anzutreten, bis nur ein Gewinner oder eine Gewinnerin (sprich Überlebender/Überlebende) übrig ist, sind in ihrer Grausamkeit und ihrer zynischen Doppelfunktion als Herrschaftsinstrument und Medienspektakel weit entfernt von dem, was man einem Coming-of-Age-Roman zutrauen würde.

Mit Katniss Everdeen steht nichtsdestoweniger eine junge Erwachsene im Zentrum der Handlung, die sich angenehm von konventionellen Rollenzuschreibungen abhebt. Nicht nur versorgt sie ihre seit einem Minenunfall vaterlose Familie als Jägerin mit Essen und kümmert sich liebevoll um ihre jüngere Schwester, sondern behält auch in der Arena der Hunger-Spiele und gegenüber ihrem Leidensgenossen aus Distrikt 12, Peeta, ihre starke Frauenrolle bei. Andere Erzählungen hätten wohl spätestens hier die männliche Figur in den Vordergrund gedrängt, damit sie sich im Kampf beweisen, die Frau beschützen und daran wachsen (sprich „Männlichkeit“ erlangen) kann, zumal sich die eher sensible und scheue Figur des Peeta für diese konventionelle Charakterentwicklung angeboten hätte.
Damit unterläuft die Konstellation Katniss-Peeta die klassisch-dichotomen Zuschreibungen, indem beide Figuren Eigenschaften besitzen, die „männlich“ oder „weiblich“ konnotiert sind.

Die Inszenierung der Hunger-Spiele als Medienspektakel erlaubt nicht nur das Spiel mit den Erwartungen der Zuseher und Zuseherinnen (und Erzählkonventionen), indem die sich anbahnende Romanze zwischen Katniss und Peeta eher aus Kalkül begonnen wird, um Sponsoren für sich zu gewinnen, die ihnen Ausrüstungsgegenstände in die Arena schicken können. Sondern gerade von der Inszenierung der pseudo-archaischen Hunger-Spiele (die WettkämpferInnen dürfen nur mit traditionellen Waffen wie Schwert, Bogen, Speer, etc. gegeneinander antreten), die ein bedeutendes Handlungselement des Films ist, ließe sich unter einem anderen Gesichtspunkt auf Game of Thrones zurückkommen.

Denn auch in Game of Thrones ist die Darstellung von Geschlechterrollen sowie weiblichen und männlichen Körpern Teil einer strategischen Inszenierung. Schon allein aus ökonomischen Gründen wird die Handlung im Hinblick auf die Erwartungen moderner ZuschauerInnen aufbereitet und so ist auch der Einsatz historisierender Elemente ein strategischer. Daran offenbart sich die Schwäche des „Damals war das halt so“-Arguments im Hinblick auf die Geschlechterrollen am deutlichsten, denn die dargestellten Körpernormen sind keinesfalls mittelalterlich-historische, sondern zutiefst westlich-moderne.
In diesem Spagat zwischen historisierten Geschlechterrollen und Sexyness des Dargestellten offenbart sich die Reproduktion einer westlichen, patriarchalen und damit auch heteronormativen Erzähltradition, die einerseits die Darstellung selbst, andererseits aber auch die Erwartungen der KonsumentInnen prägt. Wir rechnen – absurderweise auch in von der Realität mehr oder weniger entkoppelten Fantasy-Settings – durch diese Erzähltraditionen mit einer “historisch korrekten” Wiedergabe der Verhältnisse, doch unser Wunsch nach Authentizität geht natürlich nicht so weit, dass wir uns von unseren Körperidealen verabschieden wollen würden, dass wir behaarte Frauenbeine, schlechte Zähne, ungeschönte körperliche Proportionen (z.B. nach ein paar Geburten) in Kauf nehmen würden.

Selbst wenn man sich also auf das ohnehin schon im Ansatz fragwürdige “Damals war das halt so”-Spielchen einlässt, lässt es sich relativ schnell als ein halbgarer Erklärungsversuch entlarven – noch dazu, wenn andere Erzählmuster wie in Hunger Games nicht weniger gut funktionieren. Welche Fehlschlüsse das unhinterfragte Darstellen der männlich-westlichen Erzähltradition als immer richtig mit sich bringt (was übrigens nicht heißt, dass sie immer falsch sein muss!) und welche Fragen man stellen kann, gerade wenn man Game of Thrones (trotzdem) mag, stellen wir in Teil II des Artikels übermorgen zur Debatte.

Reaktionen Über den Tellerrand

Heute zeigen wir euch ein Video, eine Studentenarbeit zum Thema gedruckte Bücher, entstanden im April diesen Jahres. Das Schöne an diesem Video: es ist in gewisser Weise eine Liebeserklärung an gedruckte Bücher in Zeiten des technologischen Wandels, mit einer Botschaft der Ko-Existenz von Print- und Onlinebuch. Der Film beleuchtet die Tradition der Herstellung eines Buches, die Empfindung, ein Buch zu verschenken, die robuste Technologie “gedrucktes Buch” und das Gesamtkunstwerk Buch. Vom Buchhändler über den Drucktechniker bis hin zum Designer, alle, die an der Herstellung und Verbreitung des Buches beteiligt sind, melden sich hier zu Wort und erklären, warum sie eine Welt mit gedruckten Büchern nicht missen möchten, warum sie der Meinung sind, dass E-Book und Print-Book gemeinsam existieren können und müssen.

Für Buchwürmer, wie sie in der Bibliotheka Phantastika anzutreffen sind, ist dieser Film Pflicht”lektüre”. Trotz der Länge lohnt es sich daher auch, den Film wirklich komplett zu genießen, also nehmt euch eine halbe Stunde Zeit und lasst euch verzaubern!

Reaktionen