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Das wandelnde Schloss von Studio Ghibli2004 erschien im Studio Ghibli, welches auch durch Filme wie Chihiros Reise ins Zauberland oder Mein Nachbar Totoro bekannt ist, ein weiterer Animationsfilm: Das wandelnde Schloss (ハウルの動く城 /Hauru no Ugoku Shiro)

Auf dem Weg zu ihrer Schwester wird die junge Hutmacherin Sophie von zwei Soldaten in einer Gasse belästigt. Aus dem Nichts taucht ein Mann auf, der sie aus der Situation befreit, indem er vorgibt, ihr Begleiter zu sein. Doch die Rettungsmission ist nicht ganz uneigennützig, denn der Mann wird verfolgt und möchte sich in Sophies Begleitung verbergen. Für Sophie bleibt die Begegnung nicht ohne schwerwiegende Folgen, denn eine eifersüchtige Hexe belegt Sophie mit einem Fluch und verwandelt sie kurzerhand in eine alte Frau.

Auf äußerst humorvolle Weise zeigt der Film Sophies relativ nüchterne Reaktion auf die veränderte Situation und ihre beinahe fröhliche Akzeptanz der Tatsache, eine steinalte Frau geworden zu sein. Da sie ihren Zustand jedoch vor ihrer Familie geheim halten will, macht sich Sophie auf in das Tal der Furchen, wo bekanntermaßen nur Zauberer und Hexen hausen, doch als alte Dame (die bereits verflucht ist) fürchtet sie nichts mehr. So kommt es, dass Sophie eine sehr lebendige Vogelscheuche trifft und ein wandelndes Schloss entert, in dem Feuerdämon Calcifer, der vorlaute Zauberlehrling Markl und Zauberer Hauro hausen, der die Herzen schöner Mädchen verspeist. Sie quartiert sich dort eigenmächtig als Putzfrau ein und sorgt für mehr Wirbel und Sauberkeit, als das Schloss und seine bequemen Bewohner vertragen.
Das alles bildet den Nährboden für viel Witz, Wortgefechte zum Tränen lachen und Abenteuer – vor allem, da die alte Dame mehr Elan an den Tag legt, als sie es als junge Frau je gewagt hätte. Doch der näher rückende Krieg lässt auch Grund zur Sorge aufkommen. Obwohl man die Details des Krieges nicht kennt und auch nicht so richtig erfährt, wer da mit wem warum im Streit steht (der Strang wirkt insgesamt auch etwas notdürftig in die Handlung hineingezwängt), bietet er die Möglichkeit, sich mit der tragischen Natur des Krieges auseinander zu setzen. Hauro, der sein Möglichstes versucht, um den Krieg zu beenden, büßt dabei immer mehr seiner magischen Kräfte und seiner Menschlichkeit ein, bis nur noch Sophie ihn retten kann. Doch dazu gilt es mehr als nur den eigenen Fluch zu brechen und die miteinander verwobenen Geheimnisse mehrerer Beteiligter zu lüften.

Fachwerkhäuser, Dampfmaschinen, ein französisch anmutendes Stadtbild samt musikalischer Untermalung und eine bunte Vielfalt bei der Ausarbeitung der Kulissen zeichnen das Bild einer kunstvollen Industrielandschaft des ausklingenden 19. Jahrhunderts, die sich im Umbruch befindet. Wie man es von Regisseur und Studio gewohnt ist, trumpft Das wandelnde Schloss mit surrealen Ideen, einer zauberhaften Farbwelt und vielen liebevollen Details auf. Auch die Charakterzeichnung ist optisch wie inhaltlich ein herrlicher Genuss.
Der Zuschauer beobachtet nicht nur, wie auf zauberhafte Weise aus der unscheinbaren Sophie eine selbstbewusste und mutige Persönlichkeit wird, sondern auch den Meister Hayao Miyazaki einmal mehr bei seinem schöpferischen Talent.

Wenig überraschend hat sich aber leider auch bei diesem Film die deutsche Synchronisation einmal mehr nicht mit Ruhm bekleckert. Neben den ewig gleichen, teils schläfrig anmutenden Stimmen die einem in scheinbar jedem eingedeutschten Anime begegnen, zieht vor allem die junge Sophie ein bitteres Los. Die 1958 geborene Sprecherin Sunnyi Melles schafft es ganz hervorragend, die alte Sophie zu präsentieren und ihrer Figur Leben einzuhauchen, doch so gut wie ihr das hier gelingt, so unsagbar schlecht funktioniert die Stimme bei einer jungen Frau von etwa 18 Jahren. Es schüttelt mich immer wieder, wenn ich den Film einlege und die junge Sophie zu sprechen beginnt.
Ganz schön wäre es außerdem gewesen, wenn man sich bei den Namen der Figuren mehr ans englische Original gehalten und die durch die japanische “Silbensprache” bedingten Namensänderungen (aus Howl wird Hauro, aus Michael wird Markl, etc.) wieder ausgeglichen hätte.

Buchvorlage:
Das wandelnde Schloss ist die Verfilmung des Romans Howl’s Moving Castle (Sophie im Schloss des Zauberers) von Diana Wynne Jones. Die Autorin führte neben Hayao Miyazaki ebenfalls Regie bei der Umsetzung des Films.
Inhaltlich unterscheiden sich Buch und Film in verschiedenen Punkten, doch die wichtigsten und lustigsten Inhalte wurden übernommen, sodass Fans des Buches den Film durchaus genießen und gleichzeitig neu entdecken können.

Über den Tellerrand

Da ich letztens die Gelegenheit hatte, einen meiner alten Lieblingsfilme im Kino zu sehen, gibt es heute eine wilde Verknüpfung zweier Blogkategorien – der Nostalgie-Nagelprobe und des Blicks über den Tellerrand in Filmgefilde.
In den frühen 70ern gab es eine kurze Welle von SF-Filmen mit ökologischem und gesellschaftskritischem Hintergrund, und in diese Zeit fällt auch Silent Running*, die Geschichte der letzten Wälder, die auf riesigen Raumschiffen für eine Zukunft bewahrt werden, in der die verwüstete Erde wieder begrünt werden soll, und so lange durchs All schweben, bis der Regierung das Geld ausgeht und die Schiffe wieder kommerziellen Zwecken zugeführt werden sollen. Freeman Lowell, der von Anfang an die Wälder und ihre tierischen Bewohner gehegt und gepflegt hat, kann die Entscheidung nicht akzeptieren und geht schließlich bis zum Äußersten.

Die ersten Szenen des Films – Naturidyll mit hoppelnden Kaninchen, kriechenden Schnecken und ätherischer Musik – stimmen darauf ein, dass die Science Fiction, die nun folgt, andere Akzente setzt als im Genre üblich. Raumschlachten, Aliens, Actionhelden und dergleichen mehr tauchen auch später nicht auf, und spätestens wenn die Hauptfigur ins Bild kommt, wird sich entscheiden, ob man den Film liebt oder hasst: Vorstellen kann man es sich heute eigentlich gar nicht mehr, dass ein Film tatsächlich von einem Weltraumgärtner getragen wird, dessen pazifistischer Attitüde eine zu harte Prüfung bevorsteht.
Filmplakat Silent RunningZu Beginn muss man noch das ein oder andere Auge zudrücken, denn 1972 war die Ökobotschaft noch nicht so weit verbreitet wie heute und ist dementsprechend dick aufgetragen. Silent Running entwickelt allerdings sehr schnell seine wahren Stärken in der feinen Charakterisierung der Hauptfigur in einer Extremsituation, was auch nicht zuletzt einer großartigen Schauspielleistung von Bruce Dern zu verdanken ist. Auffallend sind auch die für heutige SF-Sehgewohnheiten völlig ungewohnten künstlerischen Akzente in der Bild- und Metaphernsprache des Films, die die One-Man-Show spannend und atmosphärisch dicht werden lassen, aber vor allem offen für Interpretationen. Dadurch bleibt es den ZuschauerInnen überlassen, die Ereignisse und die Figur zu bewerten. Die inneren Kämpfe des Helden muss man stets mitdenken, nichts wird vorgekaut oder ist bereits fix und fertig festgelegt. Dadurch und durch die Interaktion mit den drei Robotergefährten nähert man sich (wie in vielen guten SF- und allen guten Robotergeschichten) dem Menschlichen an.
Die drei Drohnen (später Huey, Louie, Dewey – also Tick, Trick und Track) sind ohnehin eines der am liebevollsten umgesetzten Details des Films – da hat bestimmt George Lucas sehr genau hingeschaut, ehe er sich an die Schöpfung von R2D2 gemacht hat. Ebenso detailverliebt und überzeugend ist der Soundtrack (u.a. mit Songs von Joan Baez – muss man nicht mögen, aber in seiner Gesamtheit trägt der Soundtrack einiges zur melancholisch-gravitätischen Atmosphäre des Films bei).
Weniger genau schaut man am besten bei den Fragen der Technik hin, denn diesbezüglich hat Silent Running sicher nicht das beste aller Drehbücher. Wenn es dagegen dem radikalen Ende entgegen geht, einem weiteren Element, das in einem aktuellen SF-Film nahezu undenkbar wäre, bleibt an der Klasse und am Klassikerstatus nichts mehr zu rütteln – vor allem nicht nach dem starken Schlussbild, bei dem man von allen Waldwelten der Fantasy und SF träumen möchte.

Ist Silent Running also ein naives Stück SF-Geschichte, ein vergessener Auswuchs aus einem kurzlebigen Subgenre? Vielleicht in der Grundaussage, im Rettet-die-Wälder-Apell, aber nicht in der Ausführung. Es bietet mehr Tiefgang als das meiste, was man in letzter Zeit an SF zu sehen bekommen hat, hat künstlerisch um einiges mehr versucht und geht mit den wenigen Andeutungen auf eine verheerte Erde, die kein Grün mehr nötig hat, auch heute noch unter die Haut. Wer Angst vor Ökokitsch hat, wird damals wie heute enttäuscht sein von diesem Vorläufer von so unterschiedlichen Filmen wie Wall-E oder Moon. Wer dagegen auch nur ein wenig Resonanz spürt bei dem Gedanken, die letzten Wälder lautlos durchs Weltall schweben zu sehen, dem sei versichert, dass diese Saite gehörig zum Schwingen gebracht wird: Staub runterpusten und unbedingt anschauen!

*Silent Running, dt. Lautlos im Weltraum (1972); Regie: Douglas Trumbull (zum Film bei imdb)

Über den Tellerrand

City of Ember ist ein dystopischer Science Fiction Film aus dem Jahr 2008, welcher hierzulande leider nicht den Weg in die Kinos fand, sondern gleich auf DVD/Blueray erschien. Dabei hat diese Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jeanne DuPrau (dt. Lauf gegen die Dunkelheit) einiges zu bieten: eine wundervoll stimmige Farbgebung und wirkungsvolle Kulisse, eine klassische Abenteuerqueste, die jedem Jules Verne-Fan das Herz höher schlagen lässt, sehr gute Schauspieler und richtig viel Steampunk!

Die Stadt Ember wurde vor beinahe 250 Jahren weit unter der Erde erbaut, um die Menschheit zu retten – dazu wurden seinerzeit 200 Menschen in die unterirdische Stadt evakuiert. Warum genau kann man als Zuschauer nur erahnen, denn das Wissen um die Vergangenheit ist inzwischen längst verloren gegangen. Ebensowenig wissen die Menschen von Ember, wie man Elektrizität und Feuer richtig nutzen kann, oder wie sie ihre inzwischen marode gewordene Stadt und den immer öfter ausfallenden Generator, der ihre Stadt künstlich erhellt, reparieren können. Bei einem Ausfall wird die Stadt in vollkommene Dunkelheit getaucht und die Bewohner Embers fürchten, dass der Generator eines Tages ganz ausfallen wird.
In dieser Zeit machen die beiden Schüler Lina und Doon ihren Schulabschluss und bekommen per Los ihre zukünftigen Jobs zugewiesen. Da sie beide einen Beruf gezogen haben, der ihnen missfällt, dem jeweils anderen aber gefällt, tauschen sie kurzerhand und werden im Verlauf der Handlung zu Verbündeten.
Die verwaiste Lina, die ein Nachkomme des siebten Bürgermeisters von Ember ist, findet in dem Haus ihrer Großmutter eine alte Metallbox, die von ebenjenem Bürgermeister einst entwendet wurde, der damit auch die ursprünglichen Pläne für Ember verloren gehen ließ. In der Box findet Lina nun die schlecht erhaltenen Anweisungen der “Erbauer”, die 200 Jahre nach Embers Bezug hätten umgesetzt werden sollen. Zusammen mit Doon macht Lina sich daran, die Geheimnisse dieser Box zu lüften und die zerfallende Stadt zu verlassen. Selbstverständlich stellen sich ihnen hier einige Hürden in den Weg, wie etwa ein korrupter Bürgermeister, ein sich in den Tunneln herumtreibendes schneckenähnliches Monster, die Entdeckung alter Mechanik, reißende Flussströmungen und die spannende Enträtselung bruchstückhafter Hinweise, die vielleicht ins Nichts führen.

City of Ember überzeugt dabei durch eine wundervoll schmutzig-braune Farbwelt, die von wenigen leuchtenden Farben geprägt ist. Gaslichtatmosphäre wartet überall, eine eindeutig nostalgische Typographie, ebenso wie spannende Konstruktionen maroder Technik, Rost und Flickwerk. City of Ember: Flucht aus der DunkelheitSelbst die immer wieder neu und grob zusammengehaltene Kleidung der Menschen zeugt von den Jahren einer reinen Nutzgesellschaft, die nie gelernt hat selbst etwas herzustellen und von den Hinterlassenschaften der Erbauer lebt. Wer das Computerspiel Bioshock zufällig kennt, wird die Optik des Films am ehesten mit diesem Spiel vergleichen können.

Was den Film zusätzlich so sympathisch macht, ist, dass er sich nicht unbedingt an Kinder richtet, sondern durchaus sozialkritische Aspekte aufweist, ein logisch durchdachtes Konzept für eine unterirdisch existierende Stadt abliefert und mit überzeugenden Darstellern besetzt ist, die den Verfall und die Probleme Embers wunderbar präsentieren können.
Mein einziger Kritikpunkt an diesem Film, der mich bestens unterhalten hat und daher unbedingt empfohlen wird, war das etwas abrupte Ende. Da die Romanvorlage allerdings aktuell aus vier Bänden besteht, wollte man sich wohl auch bei der Filmadaption die Option eines Nachfolgers offen halten. Wer ein Herz für klassische Abenteuerqueste und Steampunk bzw. Gaslichtwelten hat, wird City of Ember mögen.

Über den Tellerrand

Vater und Sohn marschieren durch eine verwüstete Landschaft – die ehemaligen USA. Eine nicht näher beschriebene Katastrophe hat die Welt an den Rand des Untergangs geführt. Was dafür verantwortlich war, spielt auch eine verhältnismäßig geringe Rolle im Vergleich zu den Auswirkungen: graue Wolken verdecken die Sonne, die Temperaturen sind deutlich gesunken, Pflanzen und Tiere sind so gut wie ausgerottet und mit der Umwelt ist auch die Bevölkerung in einen Abgrund getrudelt. Wer noch nicht umgekommen ist oder sich das Leben genommen hat, muss gegen die lebensfeindlichen Bedingungen und die übrigen Überlebenden ankämpfen, denn längst wurde das Sprichwort „Jeder ist sich selbst der Nächste“ zum obersten Prinzip erhoben. Durch diese Welt also marschieren Vater und Sohn auf dem Weg nach Süden, wo die Bedingungen besser sein sollen …

The Road ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Cormac McCarthy, den ich aber bisher nur angelesen habe. Es geht hier also nicht um die Werktreue, zumal mich der Film unabhängig von seiner Vorlage als feinfühliger Blick auf die Folgen der Katastrophe, anhand der Erlebnisse von Vater und Sohn überzeugen konnte.

Dabei glänzt der Film vor allem durch seine facettenreiche Charakterzeichnung, die gerade bei den dramatischen Konsequenzen für die Familie der beiden Geschlechterstereotype umschifft und einfühlsam die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt. Szenen, in denen Viggo Mortensen und Charlize Theron erneut ihre schauspielerischen Qualitäten zeigen.
Neben diesem in Rückblenden erzählten Konflikt zwischen Vater und Mutter, der sich durch den gesamten Film zieht und einen wichtigen Beitrag zur Charakterisierung des Vaters leistet, steht natürlich der namensgebende Weg nach Süden samt seiner Abenteuer und Ereignisse im Mittelpunkt des Films. Dabei bahnt sich zunehmend ein Konflikt zwischen den beiden Protagonisten an, als der Junge seine unterschiedliche Auffassung vom Umgang mit der Katastrophe und anderen Überlebenden nicht mehr der Autorität des Vaters unterwerfen will und man langsam einen Erwachsenen in dem Kind erkennt.

Der Film schafft es, die bedrückende Atmosphäre und die in mehrerer Hinsicht kalte, postapokalyptische Welt einzufangen, dabei überwiegen trotz einiger (drastischer) Actionpassagen (mit deutlichen Horrorelementen) jene Abschnitte des Films, die sich mit den Figuren und ihrem Umgang mit dieser neuen und den Erinnerungen an die alte Welt auseinandersetzen.
Das Ende ist wahrscheinlich die größte Schwäche von The Road, das den komplexen Film auf eine allzu simple Art abschließt und ihm damit nicht gerecht wird.

Über den Tellerrand

Mit einer schamlos bei Arte geklauten Aktion unterbrechen wir das laufende Programm und präsentieren euch: einen Kurzfilm.

Genauer gesagt handelt es sich um The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore von William Joyce und Brandon Oldenburg aus dem Jahr 2011, nominiert für den diesjährigen Oscar in der Kategorie “Best Animated Short Film”.

Jedem Bücherfreund müsste bei diesem netten kleinen Filmchen eigentlich das Herz auf gehen. Ganz zu schweigen vom Buster-Keaton-Freund. Und dem Hurricane-Freund. Soll es ja auch geben.
Aber in erster Linie geht es um Bücher. Um die Liebe zu ihnen und auch die Liebe, die sie einem zurück geben, wie sie einem Halt in schweren Zeiten geben, wie sie dem grauen Alltag Farbe verleihen… ach, schaut einfach selbst:

Zettelkasten

Chihiros Reise ins Zauberland von Studio GhibliChihiros Reise ins Zauberland (千と千尋の神隠し/Sen to Chihiro no kamikakushi) ist einer der bekanntesten japanischen Animationsfilme aus dem Studio Ghibli mit seinem Regisseur Hayao Miyazaki. 2001 feierte das Fantasy-Abenteuer seine Premiere und begeistert seither Kinder wie Ewachsene gleichermaßen. Nicht nur in Japan gilt er daher als der bisher erfolgreichste Film Japans überhaupt, auch international räumte Chihiros Reise ins Zauberland mehrere Auszeichnungen ab und schlug mit unerwartet großem Erfolg ein.

Der Film erzählt die Geschichte von Chihiro Ogino, einem zehnjährigen Mädchen, welches gerade mit ihren Eltern in eine neue Stadt zieht. Auf dem Weg in diese ländliche Gegend verfährt sich die Familie und stoppt vor den Toren eines verlassenen Freizeitparks. Chihiros Vater besteht darauf, den Ort zu erkunden, das Mädchen schließt sich ihren Eltern schließlich widerwillig an. Obwohl weit und breit keine lebende Seele zu sehen ist, dampfen leckere Köstlichkeiten in allen Restaurants, und die Eltern schlagen sich hemmungslos den Bauch damit voll. Chihiro, die nichts essen will, da sie die verlassene Stadt gruselt, wandert derweil umher, bis ein mysteriöser Junge sie entdeckt und ihr eindringlich klar macht, dass sie die Stadt unbedingt vor Einbruch der Nacht verlassen muss. Umgehend rennt Chihiro zurück zu ihren Eltern und stellt fest, dass es bereits zu spät ist. Die Sonne verschwindet hinter dem Horizont und das Mädchen muss mit ansehen, wie sich ihre Eltern aufgrund ihrer eigenen Gier buchstäblich in Schweine verwandeln, während um Chihiro herum die Geisterwelt zum Leben erwacht und sich der Park mit Monstern füllt. Um ihre Eltern zu retten und in die Welt der Menschen zurückkehren zu können, muss Chihiro im Badehaus der Hexe Yubaba arbeiten. Die jedoch hat alles andere als noble Absichten mit dem Mädchen.

Chihiros Reise ins Zauberland ist ein absolut zauberhafter Film mit einer ansprechenden, nicht zu kindischen Story, einer farbgewaltigen, magischen Bildsprache und einem unglaublichen Reichtum phantasievoller Ideen, die ihre Wurzeln größtenteils in der japanischen Mythologie haben. Auf ihrem Weg trifft Chihiro wundersame Gestalten wie das Ohngesicht (Kao Nashi), Kamaji mit seinen sechs spinnenartigen Armen, eine Schar Rußmännchen – die manchem Zuschauer schon aus Mein Nachbar Totoro bekannt sein dürften -, göttliche Kreaturen, Drachen, Riesenbabys, körperlos agierende Köpfe und etliches mehr. Auch die musikalische Untermalung (im Trailer unnötigerweise durch irgendeinen langweiligen Charts-Titel ersetzt) ist sehr stimmungsvoll und eindringlich. Obwohl es schon genug wäre, sich einfach nur an dieser faszinierenden und unwirklichen Bild- und Tonwelt von Chihiros Reise ins Zauberland zu erfreuen, ja sich darin zu verlieren, bedarf es zusätzlich keiner Vorkenntnisse der mythologischen Welt Japans, um den Film auch inhaltlich zu verstehen und genießen zu können. Sowohl der recht naturgetreue Zeichenstil der umgebenden Objekte und Architektur, als auch die erschaffenen Charaktere und ihr eindeutiges Verhalten verstehen es, den Zuschauer sofort zu verzaubern und ihre Funktion auf überraschend simple Weise deutlich zu machen. Die passend gewählte Musik trägt außerdem zum emotionalen Verständnis bei.

Typisch für die Filme aus den Ghibli-Studios ist ein nicht durchweg unterhaltender und ausschließlich positiver Erzählweg. Die Handlung wird auch in Chihiros Reise ins Zauberland von einer leichten Melancholie begleitet, behandelt auf subtile Art das Thema Umweltschutz und auch ein wenig japanische Wirtschaftsgeschichte (was vor allem durch den von Menschen verlassenen Freizeitpark verkörpert wird). Er liefert auch ein nicht eindeutiges Ende, welches Raum für die eigene Vorstellung von einem perfekten Ende lässt. Der moralische Zeigefinger lässt sich gewiss nicht leugnen, kommt aber auf die charmantest mögliche Weise zum Einsatz und selbst die vermeintlich bösen Geister und Monster sind nicht einfach nur schlecht. Vielmehr werden alle Charaktere von einer hin- und hergerissen Natur erfüllt, keiner ist vollkommen böse oder vollkommen gut. Selbst die Welt, in der sie leben, wirkt häufig obskur und die Regeln unbeständig, wechselhaft. Chihiros Aufgabe ist daher auch weniger das Bezwingen eines Antagonisten, sondern das Zurechtfinden in einer komplizierten, launischen Welt, die mitunter schwierige Aufgaben bereithält und verantwortungsvolle Entscheidungen verlangt. Trotzdem kommen auch Humor und Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz, vielmehr handelt es sich um eine perfekte Mischung, die Groß und Klein in ihren Bann ziehen kann.

Wer sich Chihiros Reise ins Zauberland bisher entziehen konnte, sollte seinen Widerstand dringend aufgeben und dem Film eine Chance geben. Gerade auch für den erwachsenen Fantasyfan ist dieser Film ein Muss!
Meine persönliche Empfehlung: Schaut euch den Film im japanischen Original mit deutschen Untertiteln an. Denn, obwohl die Synchronisation hätte schlimmer ausfallen können, schaffen es die deutschen Sprecher nur bedingt, an die stimmliche Vielfalt der Originalsprecher heranzukommen.

Über den Tellerrand

Die Erwähnung und kurze Diskussion des unter FeministInnen wohlbekannten Bechdel-Tests bei Molos Wochenrückblick No. 57 hat mich dazu angeregt, mir Gedanken zu machen, wie man den Test auf (phantastische) Literatur übertragen könnte – und ob diese Probe überhaupt eine sinnvolle Perspektive ist.

Der Test nimmt eigentlich Filme ins Visier. Er sagt im Grunde rein gar nichts über ihre Qualität aus, und auch nicht einmal darüber, ob ein Film grundsätzlich feministisch angehaucht ist oder nicht. Was er aber sehr wohl tut, und deshalb mag ich ihn trotzdem, ist es, offenzulegen, wie absurd und festgefahren unsere Rollenbilder im Hinblick auf (filmisches) Erzählen sind. Es werden lediglich drei Kriterien getestet, die für jeden männlichen Filmhelden ein Klacks wären, für Frauen aber immer noch die Ausnahme darstellen:

1. Es treten mindestens zwei Frauen (mit eigenem Namen) auf,
die sich 2. miteinander unterhalten,
und zwar 3. nicht über Männer.

Wer nun meint, das sei lachhaft und komme am laufenden Band vor, teste ein paar populäre Filme durch – man wird feststellen, dass eine Menge davon durchfallen, die das Kriterium “aber da sind doch irgendwie wichtige Frauen mit von der Partie” auf den ersten Blick erfüllen: Mehr ist es nämlich meistens auch nicht.
Der Bechdel-Test ermittelt weniger den Frauenanteil eines Films, sondern geht der Frage auf die Spur, ob diese Frauen letzten Endes wirklich eigenständige Handlungsträger sein können oder doch nur Objekt und Plotelement zur Profilierung, Motivation oder Satisfaktion des Helden.
Falls noch ein paar Beispiele vonnöten sind – in diesem Video gibt es eine lange Liste von durchgefallenen Filmen:

Also schnell den Bechdel-Test auch an Fantasyliteratur ausprobiert, die in ihren beliebtesten Werken auch nicht gerade durch ein modernes Frauenbild besticht. Wird man ein ähnlich desolates Bild vorfinden? Und lässt sich der Test überhaupt 1:1 übertragen?
Dazu zunächst folgende Überlegungen:
– Der Literaturmarkt ist insgesamt vermutlich deutlich weniger männlich dominiert als die (Hollywood-)Filmindustrie, es gibt eine Menge Autorinnen, die auch die Geschichten von Frauen erzählen. Roman-Protagonistinnen sind dadurch häufiger anzutreffen als Filmheldinnen, die wirklich einen Film tragen, was zumindest im Blockbuster-Bereich so gut wie nie das ist, worauf Filmproduzenten setzen (und nicht vergessen: auch Tomb Raider fällt durch den Bechdel-Test!).
– Außerdem unterscheidet sich filmisches Erzählen natürlich von literarischem Erzählen, und das hat Auswirkungen auf den Test: Figuren bekommen schneller Namen als im Film, weil sie immer dann, wenn sie gezeigt werden, auch benannt werden müssen. Die Chance ist groß, dass eine unwichtige Figur nicht nur “die Frau” oder “die Dienerin” heißt, wenn sie mehr als nur einmal durchs Bild huscht. Anders als im Film ist im Buch eine Namensträgerin also nicht gleich mit einer potentiellen Handlungsträgerin gleichzusetzen.
– Des weiteren bieten Romane – je dicker der Schinken, desto eher – mehr Raum für Dialogszenen als Filme. Daher ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich bei einem großen Figurenensemble auch mal zwei Frauen unterhalten, z.B. übers Wetter oder den Eintopf und nicht nur über den wackeren Helden. Das verleiht ihnen erzählerisch allerdings keine gleichwertige Präsenz.
– Auch die manchmal starken ErzählerInnenfiguren der Literatur haben einen Einfluss auf das Ergebnis; so wird sich ein Roman mit männlichem Ich-Erzähler logischerweise schwer tun, mit einer Szene aufzuwarten, in der sich zwei Frauen unterhalten.

Müssen also die Kriterien für Literatur eventuell anders lauten?
Ein erster Testlauf ist relativ ernüchternd: Dauerbrenner wie Der Herr der Ringe oder auch Osten Ard [Nachtrag dank Nala: bei Tad Williams unterhalten sie sich doch] fallen gnadenlos durch – doch das Phänomen beschränkt sich nicht auf die eher traditionell erzählten Klassiker: Auch Der eiserne Rat des der Rückständigkeit unverdächtigen China Miéville erfüllt die Kriterien nicht, und sogar Steven Erikson, in dessen Spiel der Götter etliche starke und wichtige weibliche Figuren auftreten, kann wohl erst in späteren Bänden punkten, da er seine Frauen mit Vorliebe in einem männlichen Umfeld agieren lässt.  Das Lied von Eis und Feuer müsste dagegen aufgrund seiner extrem in die Breite gehenden Erzählweise und der schieren Menge an Figuren schnell durchkommen – wenn Gespräche mit Leibdienerinnen zählen …
Ganz irrelevant scheint der unveränderte Bechdel-Test auch für Literatur nicht zu sein – die Romane, die ihn bestehen, sind in der Unterzahl. Sollte man auch noch angepasste, strengere, erweiterte Kriterien anwenden, sähe es wohl ebenso düster wie beim Film aus.

Dass ein so formalisierter Test im Bereich des Films, der schneller und ökonomischer erzählen muss als ein Roman, eindeutigere Ergebnisse bringt, versteht sich von selbst. Doch selbst da zeigen die unzähligen Filmdiskussionen auf bechdeltest.com, dass ein gewisser Interpretationsspielraum bleibt, und dass solche Tests einem vielfältigen Medium nur ungenügend gerecht werden können.
Ich schlage deshalb auch nicht vor, jeden Film standardmäßig zu testen; viele meiner Lieblingsfilme rasseln mit Pauken und Trompeten durch (und beileibe nicht nur die älteren Streifen). Ich will sicher auch nicht jeden Roman diesem Test unterziehen oder, noch schlimmer, daraus eine Wertung ableiten: Durchgefallene Werke können hervorragend sein, und es gibt Romane, die bestehen den Test und sind trotzdem Schrott. Eine valide Betrachtungsweise ist er jedoch allemal, und seine Ergebnisse treffen eine Aussage über die populäre Erzählkultur.
Der Bechdel-Test ist ein grobes Instrument, kann aber ein Augenöffner sein – es lohnt sich, ihn hin und wieder anzusetzen und damit unsere in ihrer ganzen Absurdität weitläufig akzeptierten Erzähltraditionen zu hinterfragen.

Deswegen zum Abschluss ein Auftrag an unsere LeserInnen: Testet doch mal die letzten drei Romane, die ihr gelesen habt, und verratet uns das Ergebnis.

Hier die Liste mit den letzten fünf von mir rezensierten Romanen:
Eiserne Dämmerung – durchgefallen trotz Heldin
Das Tor von Ivrel – durchgefallen
Hounds of Ash – durchgefallen
Mainspring – durchgefallen
Shadows of the Apt – bestanden

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