Das Kaeferl schaut fern: Minuscule – Die Winzlinge

Es fängt alles ganz harmlos an: Ein Paar, das bald ein Kind erwartet, macht Picknick in einem idyllischen Bergwäldchen, Blumen blühen, die Luft ist lau, die Erdbeeren sind lecker … und eine Stunde später steckt man in einer epischen Schlacht zwischen Gut und Böse, Katapulte schießen Löcher in Mauern und Helden müssen den Pfad der Dunkelheit betreten, wenn sie siegreich sein wollen …

Dass ich ein Herz für Insekten habe, ist hinreichend bekannt. Zeichentrick- und Animationsfilme liegen mir ebenfalls am Herzen, schon rein berufsbedingt, aber auch, weil sie für mich viel, viel mehr als CGI-gepimpte Realfilme Horte der Fantasie sind, in denen alles möglich ist. Und außerdem gefallen mir clevere Analogien, wenn man Gegebenheiten aus unserem Kosmos in einen ganz anderen überträgt und irgendwie eine runde Sache draus macht. Deswegen stand gar nicht zur Debatte, ob ich mich um die Mittagszeit zusammen mit ein paar Kubikmetern Popcorn zum Familienevent in den Kinosaal begebe, um Die Winzlinge anzuschauen, die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Marienkäfer und einer Ameise, und die Geschichte des Wirbels um eine beim Picknick vergessene Zuckerdose, die letztlich einen Krieg zwischen zwei Ameisenstaaten auslöst.
Nun bin ich vielleicht marginal voreingenommen, wenn es um Käfer geht (die auch noch einen hohen Niedlichkeitsfaktor haben), aber ich bin der Meinung, dass Minuscule – La vallée des fourmis perdues, so der Originaltitel, tatsächlich nicht ganz uninteressant für Liebhaber des Phanastischen ist.

Minuscule ist dem Comickünstler Moebius gewidmet und war vor dem in Frankreich offenbar recht erfolgreichen Kinofilm schon als gleichnamige Fernsehserie für die ganz, ganz Kleinen bekannt, bei der (genauso wie beim Film) Hélène Giraud, die Tochter von Moebius, zusammen mit Thomas Szabo Regie führte. Die Filmchen kombinieren reale Naturaufnahmen mit animierten Insekten, die kleine Abenteuer erleben – eine Episode geht nur wenige Minuten und ist mitunter ganz charmant; als Erwachsener kann man das gut zum Runterkommen vor dem Einschlafen gucken. Im Format eines zweistündigen Films braucht es ein anderes Kaliber von Geschichte, und da funktioniert die altbewährte Heldenreise mit multikultureller Freundschaft ganz hervorragend.

Hierzulande fliegt Minuscule ein bisschen unter dem Radar und hat nach der goldenen Regel deutscher Filmverleihe einen Gaga-Untertitel („Operation Zuckerdose“) spendiert bekommen, aber das ist eigentlich völlig irrelevant, denn jetzt kommt der Clou: In Minuscule wird nicht gesprochen. Im Jahr 2016! Wird zwei Stunden lang kein Wort gesprochen! (Und es ist genial!)
Die Insekten verfügen über eine Geräuschpalette, die wir aus dem Transportwesen kennen, und zur Verständigung tröten, trillern und knarzen sie fröhlich vor sich hin. Außerdem kommt in dieser Konstellation der Filmmusik eine größere Rolle zu – und es ist ein unglaublich mitreißender Score von Hervé Lavandier, der sich in den richtigen Momenten bei seinen Vorbildern (Star Wars und anderen epischen Soundtracks) bedient, genauso wie die Geräuschkulisse korrespondierend zu den Bildern manchmal Herr der Ringe-artige Schlachten heraufbeschwört. Und das sind nicht die einzigen Anspielungen, die den Filmfreund bei Minuscule zum Grinsen bringen. Was muss das für ein Spaß gewesen sein, die Ideen auszubrüten, mit denen augenzwinkernd bekloppte Actionszenen, kultige Szenerien und episches Kampfgewusel nachgestellt wurden!

Das Fehlen der Dialog-Ebene lädt dazu ein, Geräusche, Gesichtsausdrücke, Haltungen und Atmosphäre zu interpretieren und unterstreicht die Distanz zur Insektenwelt. Besonders fällt die Diskrepanz zum sonstigen Wortschwall beim Animationsfilm im direkten Vergleich mit den Stakkato-Sprech-Trailern auf, die vor dem Film laufen und mit flotten Sprüchen und den Stimmen von allseits bekannten Quasselstrippen-Promis werben. Es ist beinahe mutig, unter diesen Konditionen einen „stummen“ Film ins Kino zu bringen, der den (kleinen) Zuschauern zutraut, dass sie das Hineinversetzen durchaus selbst ganz ohne Mittelsmann auf die Reihe kriegen.
Schwierig ist es nicht, denn Minuscule ist eine wunderbare Questen-Reise, die mit skurrilen Nebenfiguren und sogar einem Drachen aufwartet, erzählt mit sehr viel Herz und einem liebevollen Blick für Details. Altmodisch vielleicht sogar, denn der Film ist völlig ironiefrei, ein klassisches Märchen ohne doppelten Boden. Mit dieser Erwartungshaltung kann man guten Gewissens als Filmfan jeden Alters reingehen, wenn man den Trailer charmant findet. Er hält, was er verspricht.

Ein Kommentar zu Das Kaeferl schaut fern: Minuscule – Die Winzlinge

  1. Timpimpiri sagt:

    Der Film klingt interessant und der Trailer gefällt mir 😉

    Aber wenn ich das richtig sehe, läuft er in unserem Kino nicht. Schade. Aber gut, dann halt irgendwann auf DVD. Freue mich jedenfalls schon drauf.

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