Von Geschlechterrollen und Straßenlaternen

Bloggerin Sady Doyle hat sich A Song of Ice and Fire vorgenommen und kommt unter Genderaspekten zu einer vernichtenden Kritik. Entschiedene Reaktionen darauf bleiben natürlich nicht aus, so etwa von E.D. Kain oder von Alyssa Rosenberg.

Doyles Kritik ist in der Tat in mancherlei Hinsicht überspitzt und büßt ihre Legitimation vor allem durch die Ausweitung auf ein ganzes Genre ein:

I could talk about how the impulse to revisit an airbrushed, dragon-infested Medieval Europe strikes me as fundamentally conservative — a yearning for a time when (white) men brandished swords for their King, (white) women stayed in the castle and made babies, marriage was a beautiful sacrament between a consenting adult and whichever fourteen-year-old girl he could manage to buy off her Dad, and poor people and people of color were mostly invisible — or how racism and sexism have been built into the genre ever since Tolkien.

Auf Tolkien wird noch unter einem anderen Gesichtspunkt zurückzukommen sein, aber zunächst bleibt festzuhalten, dass ein solcher Rundumschlag natürlich wenig zielführend ist.

Rosenbergs kritische Anmerkung zu Doyles Vorgehensweise ist somit mehr als nachvollziehbar:

It is much, much easier to dismiss an entire genre or way of engaging with culture than to sort through it, to learn about the way people read it and take meaning from it, to identify, for example, the reasons that fantasy literature can be both profoundly meaningful to women and a fulfillment of male fantasies. But declaring something unsalvageable just means that you’re lazy, not that you’re correct.

Problematisch wird ihre Argumentation hingegen dort, wo sie auf Doyles Kritik am nicht unbedingt progressiven Geschlechterrollenverständnis in Martins Welt und an der wiederkehrenden Schilderung von häufig sexuell konnotierter Gewalt gegen Frauengestalten eingeht:

A world where women are perfectly safe, perfectly competent, and society is perfectly engineered to produce those conditions strikes me as one where we can’t tell any very interesting stories about women’s struggles and women’s liberation. If we tell ourselves stories in order to live, it doesn’t strike me that we do ourselves any favors as active feminists by leaching depictions of sexual violence, women making bad decisions, and institutionalized sexism from our fiction, or by dismissing entire swaths of consumers or modes of consuming fiction.

In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Kain:

Sady thinks that because there are dragons and zombies, Martin should be able to stretch the truth and make women equal to men, free from domestic abuse and rape and the other horrors women have always faced.
Would this be a service to women, a victory for feminism?
I don’t think so. Ignoring sexual abuse and pretending violence toward women doesn’t exist does not serve women at all. Quite the contrary. One of the greatest flaws in a lot of fantasy is that women are portrayed as basically sexy warriors. Feudal systems with men and women with equal rights, where all women are just as tough as men and never face any sort of sexism or unwanted sexual advances really is a fantasy, but not one that accurately reflects the world as it is. And that’s what fantasy, for all its dragons and werewolves, is meant to do. Good fantasy creates a world that reflects our own, warts and all.

Der alte Hinweis Damals war das halt so, der immer gern zur Erklärung herangezogen wird, wenn es um problematische Darstellungen von Geschlechterrollen in Fantasywelten geht, erhält damit quasi den argumentativen Ritterschlag: Eine Abweichung von in der realen Welt historisch verbürgten Verhältnissen erweise den Frauen und dem Feminismus einen Bärendienst. Aber trifft das zu?

Mitnichten.

So verdienstvoll die literarische Aufarbeitung eines Ankämpfens gegen restriktive Geschlechterrollen im Einzelfall sein mag, sie leistet immer auch eines: Eine implizite Anerkennung des Status quo als unvermeidlich oder vielleicht gar naturgegeben. Daran ändert auch der von Doyles Kritikern hervorgehobene Umstand nichts, dass George R. R. Martin die Unterdrückung und Misshandlung von Frauen ja nicht als etwas Gutes schildere (wie sehr er umgekehrt eine moralische Verurteilung vornimmt, bleibt offen). Ganz gleich, was die einzelne Gestalt im Endeffekt erreichen mag, ein überkommenes Geschlechterrollenverständnis mit all seinen negativen Begleiterscheinungen wird zunächst einmal  bestätigt und normalisiert.

Dabei könnte es vielleicht hilfreich sein, sich eine andere Normalität zumindest einmal vorzustellen.

Die Erkenntnis, dass gerade auch einer auf den ersten Blick unrealistischen Schilderung durchaus Sprengkraft innewohnen kann, ist nicht neu. So beschreibt etwa J.R.R. Tolkien in seinem bekannten Essay On Fairy Stories ein interessantes Gedankenspiel, das wunderbar die Problematik des Realismusarguments unabhängig vom spezifischen Thema aufzeigt:

Als Beispiel nur eine Kleinigkeit: Wenn man die elektrischen Straßenlaternen, wie sie nach Massenschablonen gefertigt werden, bei gegebenem Anlaß in einer Erzählung nicht erwähnte (oder zumindest kein Aufhebens von ihnen machte), so wäre dies ein Stück “Wirklichkeitsflucht” (…). Vielleicht wurden die Laternen aus der Erzählung einfach deshalb ferngehalten, weil sie als Laternen nichts taugen, und möglicherweise ist ebendies eine der Lehren, die aus der Geschichte zu ziehen sind. Aber schon wird das schwere Geschütz aufgefahren: “Die elektrische Straßenbeleuchtung”, so sagt man, “ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken.” (…)
Der Eskapist ist den Launen der Mode nicht so ergeben wie seine Gegner. Er macht nicht Dinge (die man aus ganz vernünftigen Gründen geringschätzen kann) zu seinen Herren oder Göttern, indem er sie als unverzichtbar oder sogar als “unerbittlich” anbetet. Und seine Gegner, so leicht sie bereit sind, ihn zu verachten, haben doch keine Gewähr, daß er es beim Ignorieren bewenden läßt: Womöglich will er die Menschen aufhetzen, die Straßenlaternen niederzureißen.

Zugegeben, Tolkien weist im weiteren Verlauf seines Essays auch auf die möglichen Gefahren einer solchen Konstellation hin, doch seine zentrale Beobachtung bewahrt ihre Gültigkeit: Scheinbarer oder tatsächlicher Eskapismus kann durchaus eine Wirkung auf die Realität entfalten und mithin in manchen Fällen konstruktiv sein.

Gerade unter diesem Aspekt wäre es durchaus wünschenswert, wenn die Leserschaft nicht immer wieder ausgerechnet im heiklen Bereich der Genderproblematik einer ständigen Selbstbeschränkung der Fantasy auf einen vermeintlich löblichen „Realismus“ das Wort reden würde.

8 Kommentare zu Von Geschlechterrollen und Straßenlaternen

  1. moyashi sagt:

    Sehr schöner Beitrag, Wulfila!

    Ich tue mich in der Regel schwer damit Kommentare bei solch heiklen Themen zu hinterlassen und werde es daher auch kurz belassen. 😉
    Für mich ist vor allem der letzte Absatz wichtig, auch weil ich noch nie ein Fan von “Damals war das halt so” oder “Das haben wir schon immer so gemacht” war.

    Ich sehe es eigentlich so: Würde sich die Menschheit zu jeder Zeit auf den “Realismus” berufen, dann gäbe es keinen Fortschritt. Letzterer erfordert doch das (gedankliche) Ausbrechen aus bestehenden Normen und Tatsachen. Das muss nicht bedeuten, dass man die Realität verneint oder aus ihr zu entfliehen versucht, lediglich, dass man sich erlaubt sich andere, bessere Möglichkeiten vorzustellen und diese Ideen mit anderen teilt. Im besten Fall erreicht es jemanden der diese Idee aufgreift und seinerseits weitergibt. Daher kann ich mich deinem Wunsch nur voll und ganz anschließen! 🙂

  2. Pogopuschel sagt:

    Der Begriff „Realismus“ befremdet mich doch sehr im Zusammenhang mit dem Begriff „Fantasy“. Ich lese gerne auch „realistische“ Sachen (was immer das auch sein mag), aber wenn ich Fantasy lese, dann vor allem, weil ich die (leicht idealistische oder naive) Vorstellung habe, dass phantastische Geschichten keinen Beschränkungen unterliegen. Nur denen, die sich der Autor selber setzt. Insofern begrüße ich es immer, wenn Autoren es schaffen und sich trauen über die ja leider doch sehr traditionellen Genrekonventionen hinwegzuspringen. Leider gelingt das nur sehr selten, und vor allem sehr selten bei solch heiklen Themen wie dem Gender-Thema.
    Gesamtbetrachtet sehe ich die Fantasy (bei aller Liebe zu ihr) doch (leider) als sehr traditionelles und auch ein wenig altmodisches Genre, das sich sehr schwer damit tut, mit der Tradition zu brechen. Dazu gehören auch Gesellschafts- und Frauenbilder abseits der häufig an mittelalterliche und feudale Gesellschaftsstrukturen erinnernde Geschichten.
    Einen Schnittpunkt zwischen Fantasy und unserer Welt sehe ich darin, dass viele Fantasyleser ja auch Mittelalter-Fans sind. Eine Strömung, die mich sehr befremdet, da man ja einer romantisierten und in keiner Weise realistischen Version dieser Zeit anhängt und sich leider sehr unkritisch nach einem Leben in einer frauenfeindlichen Gesellschaft sehnt. Auch erstaunlich viele Frauen tun dies. Aber das sind vor allem meine Vorurteile gegenüber den Mittelalter-Fans. Man kann sich ja auch für bestimmte Epochen interessieren und von bestimmten Aspekten (Musik, Handwerkskunst etc.) fasziniert sein, und trotzdem dabei kritisch bleiben.
    Eine solche Romantisierung findet sicher auch beim Lesen von Fantasybüchern statt. Wie sonst könnten wir mit Genuss Bücher lesen, die vor Gewalt nur so triefen. Auch in „Herr der Ringe“ wird die Gewalt, der Kampf bzw. der Heldenkampf gegen böse Unterdrücker romantisiert.
    Wenn ich ein Buch, das im Mittelalter spielt, lese, dann möchte ich dort keine Figuren sehen, die nach heutigen moralischen Maßstäben agieren, sondern Figuren, die so agieren, wie es nach dem aktuellen Stand der Forschung für damals realistisch scheint. Wenn ich Fantasy lese, sehe ich diese Beschränkung nicht.

  3. Talynne sagt:

    Man/Frau;-) sollte aber auch nicht vergessen, daß gerade in der Fantasy auch immer wieder andere Möglichkeiten der Genderaspekte thematisiert wurden. Man nehme Marion Zimmer Bradley, und ich meine hier nicht die mehr oder weniger grauslichen Nebel, sondern den DarkoverZyklus(klar, ist ne Mischung aus SF/Fantasy), der schon sehr früh mit verschiedenen Beziehungsentwürfen zwischen Mann und Frau, aber auch Homosexualität etc. experimentierte. Oder auch Elizabeth A. Lynn.
    Und auch starke, unkonventionelle Frauengestalten finden sich des öfteren, z.B. bei Glenda Larke, Jacqueline Carey , Carol Berg, Jude Fisher u.a. Wobei ich da auch überlegen muss, ob Wulfilas Formulierung von der “Impliziten Anerkennung des Status quo” auch da zutrifft. Zumindest teilweise bestimmt.
    Ich betrachte mich durchaus als “feministisch” geprägt…hmmmm, wahrscheinlich muss ich mal ernsthaft in mich gehen, warum ich dennoch so gerne auch die “klassische” High Fantasy lese, und auch “grim and gritty”,vor allem den anscheinend so pösen Martin….

  4. Wulfila sagt:

    @ Talynne: Es spricht gar nichts dagegen, klassische High Fantasy oder eben auch George R. R. Martin zu lesen – das tue ich selbst auch und erkenne durchaus an, dass seine Werke trotz aller problematischen Inhalte schriftstellerische Qualitäten verraten.

    Ich störe mich nur daran, dass Fans vielfach in der Form apologetisch tätig werden, wie sie aus den verlinkten Beiträgen von Kain und Rosenberg spricht (denn ähnlichen, m.E. zu kurz gedachten Argumenten begegnet man immer wieder, und nicht nur in Bezug auf Martins Werke).

  5. Timpimpiri sagt:

    Als ich den Bericht gelesen hatte (sehr schön, Wulfila!) und mich gefragt habe, zu welcher Seite ich neige, ist mir klar geworden, dass ich gar keine Lust habe, mich zu entscheiden. Und auch keine Notwendigkeit sehe.

    Eigentlich ist es sogar das Gegenteil, ich brauche beide Ansätze: würde ich in der Fantasy (nur) lesen, wie die Welt ist oder früher war, also die “Realität” finden, würde ich vermutlich depressiv werden und verzweifelt nach dem Ausgang suchen; würde ich aber (nur) lesen, wie sie sein sollte, würde ich mich irgendwann fragen, ob mir bitteschön jemand jetzt auch noch verrät, wie ich denn von A (der Realität) nach B (dem idealen Zustand) kommen kann.

    Insofern ist auch die Frage obsolet, ob Fantasy dies oder das sollte; sie sollte, wenn überhaupt, vielfältig sein, und der Streit zwischen Doyle und Rosenberg/Kain ist eigentlich überflüssig. Beide Seiten tun so, als wäre es sinnvoll, dass es nur das eine oder das andere gäbe.

    “Das war damals eben so” ist für mich grundsätzlich ein falscher Ansatz, weil niemand wirklich weiß, “wie” es damals wirklich gewesen ist. Das Leben ist doch viel komplexer gewesen als das, was sich der Geschichtswissenschaft entlocken lässt. Und noch so viele Quellen sagen nichts darüber aus, was in nicht exisiterenden Quellen stehen würde. Soll heißen, aus dem, was man hat, zu schließen, man hätte die Realität, ist gewagt, weil man nicht weiß, was man nicht hat.

    Und eine Literatur, die sich per definitionem von der Realität entfernt, kann schon dreimal keine Realität abbilden. Da wird einfach vergessen, wie stark das Erleben sich durch bestimmte Komponenten verändert. Und Magie – als existent oder auch vormals existent, also eher nur abwesend – würde nun wirklich das Bewusstsein der Menschen total verändern.

    Wenn sich in der Fantasy also überhaupt eine “Realität” abbilden lässt, dann die, die im Kopf des jeweiligen Autors oder der Autorin stattfindet. Beim Martin scheint sie mir nach allem, was ich mitkriege (habe nach 50 Seiten aufgehört zu lesen, weil es mich nicht interessiert hat und nach allem, was ich höre, auch nicht interessieren wird bzw. ärgern würde), ganz besonders stark durch eine bestimmte Form der Vorstellung des Geschlechterverhältnisses und der Sexualtät an sich geprägt zu sein. Wenn man jetzt noch bedenkt, dass die weiblichen und männlichen Anteile in jedem Menschen miteinander kommunizieren. kann man aus dem Opus von AutorInnen zumindest immer ein Stück erahnen, wie es um das Verhältnis von Anima und Animus in ihnen selbst bestellt ist. Aber das ist auch alles, mit der Realität im Mittelalter oder in einer anderen Epoche hat das nun wirklich gar nichts zu tun.

    Warum wird die These “Das war damals so” beibehalten? Weil es eine Begründung ist, das zu schreiben, oder zu lesen, was man schreiben oder lesen möchte. Denn niemand schreibt oder liest etwas, bei dem er oder sie sich NICHT gut fühlt, egal ob es damals so war oder nicht. Und dieses Gutfühlen kann im direkten Genuss bestehen oder auch, wie ich bei Rosenberg das Gefühl habe, im Klammern an ein feministisches Selbstverständnis und eine feministische Aufgabe. Darauf deutet der für mich interessanteste Satz ihres ganzen Artikels hin:

    “A world where women are perfectly safe, perfectly competent, and society is perfectly engineered to produce those conditions strikes me as one where we can’t tell any very interesting stories about women’s struggles and women’s liberation.”

    Wenn man so weit ist, so etwas zu schreiben, hat man sich meiner Meinung nach schon ein gutes Stück verrannt. Da stellt sich die Frage, ob sie so eine WELT und Realität eigentlich wirklich wollen können …

  6. Feandor sagt:

    Schon ein paar Monate her, aber vielleicht gibt es ja noch jemanden der antwortet ;).

    Erstmal möchte ich sagen, dass ich etwas völlig anderes erwartet hatte, da du nicht wirklich auf diese GRRM-Kontroverse eingehst. Das ist dir hoch anzurechnen, da auf die Details der Kritik von Sady Doyle in den verlinkten Artikeln schon genug eingegangen wurde.

    Trotzdem will ich nochmal kurz Stellung beziehen. Ich finde Sady Doyle schreibt unsachlich und kritisiert unreflektiert. Ich würde aber nicht so weit gehen ihn als creepy zu bezeichnen, da er mich doch zum Nachdenken gebracht hat (wobei mir als aktiver Antifaschist der Vorwurf des Rassismus näher ging). Aber nun zur eigentlichen Sache.

    Am Ende deines Buches kritisierst du ja das Argument des Realismus, dass Rosenberg und Kain anführen. Da gebe ich dir im Grunde Recht. Fantasy kann auf das Argument “So war es nunmal” verzichten. Und natürlich kann man innerhalb der Fantasy völlig gleichberechtigte Gesellschaften erfinden, wobei man sich damit natürlich auch ein Konfliktfeld nimmt. Aber es ist sicher möglich und wünschenswert. (Habt ihr ein Buchtipp, in dem das wirklich so ist. Bitte mit starken männlichen Charakteren.)

    Aber auch wenn Realismus für Fantasywelten wohl nicht besonders wichtig ist, innere Kongruenz ist es. Das Erschaffen einer kongruenten Welt mit völlig gleichberechtigter Gesellschaft erachte ich allerdings als durchaus schwierig. Wohl noch schwieriger als das Einbinden von Magie und seien wir mal ehrlich wie oft gelingt das schon wirklich (bspw. in Bezug auf der Ausklammerung von Magie aus dem Produktionsprozess). Die gleichberechtigte Gesellschaft hätte Konsequenzen auf nahezu alle Lebensbereiche. Diese zu erkennen fiele evtl. leichter wenn man von einer Gesellschaft ausgeht die Ungleichberechtigung überwunden hat. Aber auch da muss man erstmal auf Fortschrittsmotoren kommen, die in einer mittelalterlichen Fantasywelt natürlich nicht (zumindest nicht ohne weitere Erklärung) mit Industrialisierung, allgemeiner Bildung, Sozialstaat, Massenimmigration in die Städte usw. zu tun haben dürfte. Wie gesagt es ist schwierig.

    Was mir in deinem Beitrag fehlt ist ein abschließender Bezug auf GRRM. Darum werde ich ihn jetzt vornehmen.
    Grim&gritty oder Hard Fantasy oder zumindest GRRM beim Schreiben von ASoIaF müssen zwar keinen besonders hohen Wert auf Realismus legen, aber sie legen einen hohen Wert auf innere Kongruenz. Deswegen gibt es im GRRMs Welt evtl. auch so wenig Magie, die dazu auch noch relativ unberechenbar und sehr religiös motiviert ist. Ich zumindest finde den Einsatz von Magie ziemlich stimmig ohne dass man sich fragt “Warum wird denn dort keine Magie eingesetzt?”.
    Aber abgesehen von der inneren Kongruenz ist noch etwas anderes wichtig für Welten der grim&gritty. Dass sie grim und gritty sind. Und auch wenn man sich sicher auch Gesellschaften mit voller Gleichberechtigung (gibts dafür eigtl. nen kurzen Begriff) vorstellen kann, die düster und blutig sind wär das doch verdammt viel Arbeit (für nichts) und mE eher antifeministisch als es ASoIaF auf diese Weise ist. Denn dass etwas nicht feministisch ist heißt ja noch lange nicht, dass es antifeministisch ist.
    (Wenn man also an ASoIaF etwas als reaktionär kritisieren möchte, dann nicht, dass es rassistisch ist oder nicht feministisch ist, sondern die Existenz von guten Adeligen und die allgemeine Überrepräsentation von Adeligen. Aber auch das gibt es leider oft deutlich schlimmer.)

    lg
    Feandor

    PS: Ich hoffe auf Reaktionen.

  7. Wulfila sagt:

    @Feandor:

    Vielen Dank erst einmal für deine Reaktion.

    Zunächst zu deiner Frage nach einem Buch mit einer tatsächlich gleichberechtigten Gesellschaft: Kennst du Steven Eriksons Malazan-Reihe? Erikson hat dazu in einem Interview mal eine ganz bezeichnende Bemerkung gebracht: You can’t shove a woman into a kitchen if she can open a warren and level the city, can you? Darüber, wie konsequent er sein Konzept in Einzelfall dann tatsächlich umsetzt, ließe sich dann wieder trefflich diskutieren, aber generell kann man schon sagen, dass es ihm gelingt, eine in sich stimmige Welt zu schildern, die gleichzeitig grim&gritty und gleichberechtigt ist.

    Nun zu G.R.R. Martin selbst. Wie weiter oben im Kommentarthread erwähnt lese ich ASoIaF durchaus und würde Martin keineswegs vorwerfen, gezielt und bewusst misogyn zu schreiben. Durch die sehr zurückgenommene Erzählerinstanz, mit der er arbeitet, fehlt eine übergeordnete moralische Wertung des Geschehens, das er schildert, ja ohnehin. In diesem Beitrag ging es mir daher wirklich weniger darum, eine wie auch immer geartete Einordnung von Martins Gesellschaftsentwurf an sich vorzunehmen, sondern eher darum, das typische Argument zu hinterfragen, das von Fans oft als Reaktion auf Kritik an den von ihnen geschätzen Büchern gebracht wird, und zwar erstaunlich häufig gerade dann, wenn es um Geschlechterrollen geht.

    Du milderst diesen Verweis auf den “Realismus” einer Welt zu einem auf ihre innere Stimmigkeit ab, aber ich glaube auch nicht, dass nur eine Welt voller Ungleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in sich stimmig sein kann oder dass eine Gleichberechtigung eine zu große Veränderung wäre, um glaubwürdig zu sein. Gut, Martin setzt relativ wenig auf Magie und typische Fantasyelemente, in der Hinsicht ist seine Welt der uns vertrauten relativ nahe – aber was ist z.B. mit einer ganz massiven Veränderung wie den bei ihm auf Jahre verlängerten Jahreszeiten? Das klingt zwar sehr phantasievoll und “anders”, aber dass er die Implikationen allzu sehr ausloten würde, kann man nicht behaupten, aber die wenigsten Leser scheinen sich daran zu stören, dass solch eine durchaus weitreichende Abwandlung der für uns gewohnten Verhältnisse nicht im Detail stimmig erklärt wird.

    Insofern bleibe ich bei meiner Meinung, dass Martin seine Gesellschaft so schildern kann, wie er sie schildert, dass er aber nicht aus Gründen des “Realismus” oder der “Stimmigkeit” daran gehindert wäre, es anders zu machen, wenn er wollte.

  8. Feandor sagt:

    Stimmt jetzt wo dus sagst, das war mit beim Lesen der ersten 2-3 Bände von Erikson gar nicht aufgefallen bzw. ist in Vergessenheit geraten. (Die langsame deutsche Veröffentlichungspolitik hat mich ziemlich lange nicht weiterlesen lassen.)

    Ansonsten habe ich den Verweis auf grim & gritty nicht umsonst vage gelassen. Denn die beiden Serien unterscheiden sich ja schon massiv. Eriksons Welt ist wenn ich mich richtig erinnere deutlich weniger beschränkt, die Regeln so kompliziert, dass sie fast nicht existieren.
    Ansonsten hat Erikson in dem Interview ja auch deutlich gesagt warum es bei ihm funktioniert, wegen der Allgegenwart der Magie. Das ist zwar ein Argument dafür, dass es in der Fantasy allgemein viel üblicher sein sollte (aber eben nicht bei GRRM 😉 )
    Daher bleib ich dabei, dass es in Martins Welt schwieriger gewesen wäre oder zumindest mehr Verwunderung ausgelöst hätte (was ja erstmal nicht schlecht ist). Das ist aber auch eine müßige Frage, da auch der Plot stark auf diesem Konfliktfeld beruht.

    Die fehlende Erklärung der Jahreszeiten ist ein gutes Argument. Allerdings hat mich das gestört. Ich habe mich schon oft gefragt wie der Erntezyklus der Welt funktioniert. 😉

    Im Allgemeinen sind wir aber wohl gleicher Meinung. Ich danke für die Diskussion.

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