: nur deutsch

Cover des Buches "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Walter MoersEin Blaubär, wie ihn keiner kennt, entführt die Leser in eine Welt, in der die Fantasie und der Humor abenteuerlich außer Kontrolle geraten sind: nach Zamonien, wo Intelligenz eine Krankheit ist und Sandstürme viereckig sind, wo hinter jeder Idylle eine Gefahr lauert und wo all jene Wesen hausen, die aus unserem alltäglichen Leben verbannt sind.

In 13 ½ Lebensabschnitten kämpft sich der Held durch ein märchenhaftes Reich, bei dem alles möglich ist.

-Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt – meins nicht.-
1. Mein Leben als Zwergpirat

Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, das Buch anzufangen. Eigentlich mag ich den Käpt’n Blaubär aus dem Fernsehen nicht sonderlich, mit Moers verbinde ich immer Das Kleine Arschloch und beim Durchblättern störten mich die vielen seltsamen Zeichnungen. Da ich aber gerade kein anderes Buch zur Hand hatte, warf ich doch mal einen Blick hinein – und konnte gar nicht mehr aufhören!

Moers schubst zwar den Leser, genau wie den armen Blaubär, nach Zamonien und konfrontiert ihn gleich zu Beginn damit, dass auf dieser Insel wirklich nichts ist, wie man es gewohnt ist: Zwergpiraten, fleischfressende Inseln oder kilometergroße Bolloggs ohne Kopf, die ganze Landstriche verwüsten, gehören in Zamonien zum Alltag. Stattdessen sind Menschen schon was besonders, haben in Antlantis sogar Hausverbot!

Der kleine Blaubär besteht in seinen 13 ½ Leben viele Gefahren und man hat den Eindruck, der Autor will jedes Leben davor mit noch mehr Fantasie übertreffen. Fast nebenbei werden auch noch große Fragen der Menschheit gelöst: gab es Atlantis und was ist damit passiert? Gibt es Außerirdische oder andere Dimensionen? Was geschah mit den Dinosauriern?
Der Blaubär begegnet auf seinen Reisen natürlich auch vielen Wesen, die ihm entweder helfen oder ihn fressen oder einfach nur ins Verderben stürzen wollen. Mit viel Sorgfalt erschafft Moers Hempelchen, Hutzen, Waldspinnenhexen, Finsterbergmaden, Tratschwellen, Nattifftoffen, Wolpertinger, Rikschadämonen, Mittagsgespenster, Midgardschlangen und die zig anderen Wesen, die Zamonien bevölkern.

Natürlich quillt auch Zamonien selbst fast vor originellen Ideen über: Der ewige Tornade, rechteckige Sandstürme, Unbiskant (ein unerforschter Landstrich, der seinen Namen aus “unbekannt” und “riskant” erhielt), der Malstrom – das könnte hier noch ewig so weitergehen. So viele Ideen hab ich wohl noch nie in einem Buch gesehen. Und trotzdem ist der Leser nicht gleich nach den ersten Seiten gesättigt, man wartet praktisch schon auf die nächste ungewöhnliche Idee, die Moers eingebaut hat. Die Zeichnungen, mit denen ich vorher nicht anfangen konnte, fügten sich plötzlich wie von selbst in die Geschichte und von mal zu mal gefielen sie mir besser.
Und die Reise an sich? Man darf nicht vergessen, ein Blaubär neigt zum Flunkern und ein bisschen zum Übertreiben. Man sollte also mit einem Augenzwinkern den Zufall Zufall sein lassen und einfach die Geschichte genießen. Fantasie ist schließlich keine Realität. 😉

Cover des Buches Am Abgrund von Wolfgang HohlbeinTranssilvanien im 15. Jahrhundert: Der junge Frederic hat als Einziger das grauenhafte Massaker der Inquisition in seinem Heimatdorf überlebt. Er schließt sich dem Schwertkämpfer Andrej an, der ihn auf die Jagd nach den Mördern mitnimmt. Eine gefährliche und abenteuerliche Reise beginnt und schon bald hegt Frederic einen furchtbaren Verdacht: Ist sein scheinbar unverletzbarer Beschützer mit dem Teufel im Bunde?

-Ein dünner Ast peitschte in sein Gesicht und hinterließ einen blutigen Kratzer auf seiner Wange. Die Wunde war nicht tief und würde so schnell heilen wie alle anderen Verletzungen, die er sich im Laufe seines Lebens zugefügt hatte.-
Kapitel 1

Wolfgang Hohlbein erschuf mit der Chronik der Untersterblichen einen gelungenen Mix aus Geschichtsstunde und Horrorelementen, wobei er aber nicht auf das typische Klischee à la Dracula zurückgreift. Er nimmt vielmehr Elemente der traditionellen Vampir-Erzählungen auf und fügt ihnen eigene hinzu, so dass eine völlig neue Sichtweise auf den “Vampyr” entsteht. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Vampir-Werdung genannt: Im Gegensatz zum ursprünglichen Biss durch einen Vampir, wurde Andrej Delany durch einen Unfall und einer folgenden, fast tödlichen Krankheit als Kind zu einem (fast) Unsterblichen, dem Krankheiten und Verletzungen nicht so viel anhaben können wie normalen Menschen. Auch stellt sich Hohlbein dem Mythos entgegen, dass Vampire tagsüber schlafen und und nur nachts reisen.

In diesem ersten Buch der Reihe ist Delany auf dem Weg in sein Heimatdorf, dass er seit Jahren nicht gesehen hat. Wer nun eine ausführliche Lebensgeschichte von Andrej befürchtet, kann beruhigt weiterlesen. Nur sporadisch wird etwas über Andrejs Leben erzählt, wobei der Schatten seiner Vergangenheit stets auf ihm lastet. Hohlbein baut mit Andrej Delany einen Helden auf, der an zwei Seiten zu kämpfen hat: die äußeren Bedrohungen, die ihm auf seinen Reisen begegnen und die Bedrohung in seinem Inneren: der Vampyr, der im Laufe der Zeit immer mächtiger wird. Wie lange Andrej ihn noch zurückhalten kann, bleibt offen.

Frederic, die zweite wichtige Person im Auftaktroman, scheint besessen zu sein von dem Gedanken der Rache, obwohl er gerade mal ein Kind ist. Es scheint  aus heutiger Sicht etwas befremdlich, dass ein Kind solche Ziele, die Rache an den Mördern seiner Eltern, hat, jedoch muss man auch den Hintergrund berücksichtigen: Im 15. Jahrhundert war der Sprung zum Erwachsenen viel schneller erreicht als heutzutage. Doch auch das tröstet nicht darüber hinweg, dass Frederics Charakter kaum über diesen Wunsch hinaus geht: er bleibt im Gegensatz zu Andrej eine etwas hohle Figur. Während Delany durch alle Bücher hindurch ganz verschiedene Entwicklungen durchmacht, ist Frederics Position relativ festgelegt, obwohl es auch überraschende Wendungen gibt.

Hohlbeins Stil fesselt schon nach den ersten Seiten und man möchte das Buch nicht so schnell aus der Hand legen. Einziges Manko: wegen der spannenden Geschichte ist man viel schneller mit dem Buch fertig als beabsichtigt. Auch die nachfolgenden Bücher bleiben recht dünn, obwohl es Hohlbein gelingt, stets eine gute Geschichte zu erzählen.
Alles in allem eine gute Alternative zu den Dracula-Büchern.

Cover des Buches: "Anidas Prophezeiung" von Susanne GerdomIn ländlicher Umgebung, etwas isoliert, wachsen ein Junge und seine zwei Schwestern ohne Mutter auf, liebevoll umsorgt von der Tante, weniger vom bärbeißigen Vater, Lord Joris. Kurze Szenen aus einigen Jahren enden mit dem Besuch der zweiten Tante, einer Weißen Hexe, die bei allen Geschwistern den Magietest vornimmt. Er fällt bei der Jüngsten erstaunlicherweise negativ aus. Trotzdem geht es darum, dass sie mitwirkt, eine Welt zu retten, die sie noch nicht einmal kennt, während der Bruder längst zu den Grauen Magiern abgedriftet ist. Und die Bedrohung von der schwarzen Seite wächst …

-“Simon! Herr Simon!” Mit schrillen Rufen lief der langbeinige Junge über den Hof und scheuchte dabei eine Schar von Hühnern auf, die sich friedlich gesonnt hatten und nun laut gackernd das Weite suchten.-

Mit unscheinbarem Gewand und (für Fantasyverhältnisse) geringer Seitenzahl beginnt Susanne Gerdom ihre Trilogie rund um die Zwillinge Anida und Adina, die ihre Welt retten sollen. So weit nichts Neues. Doch dieser alte Hut wird von der Autorin ziemlich gut neu verpackt und nicht zuletzt der locker-flockige Schreibstil lässt die 400 Seiten wie im Flug vergehen. Besonders die aus der Ich-Perspektive erzählten Abschnitte Adinas mit ihrem trockenen Humor sind gelungen und sorgen für mehr als einen Lacher.

Zwar erfährt man nicht allzu viel von den Welten, auf denen die Charaktere leben, doch es reicht aus, dass sich der Leser ein Bild machen kann – der Rest bleibt der Phantasie überlassen. Die Gegensätzlichkeit der Welten, in denen die Zwillinge aufwachsen, sorgt für einen amüsanten Kulturschock Adinas, meiner Meinung nach der beste Teil des Buches.

Die Handlung verläuft sehr gradlinig, was den einzigen Wermutstropfen an dem ansonsten guten Buch darstellt. Mehr als die Geschichte der beiden Hauptpersonen wird nicht erzählt, hier hätte man sich ein wenig mehr gewünscht. Außerdem spart sich die Autorin den Hauptteil der Erklärungen für den nächsten Band: Fragen nach dem Warum werden mit “Es ist noch nicht die richtige Zeit.” auf später verlegt. So hat man zwar am Ende den Hauch einer Ahnung, tappt aber weiter wie Adina und Anida im Dunkeln.
Das Buch macht jedenfalls Lust auf mehr, zum Glück handelt es sich lediglich um den Auftakt. Ein leichter Spaß für Zwischendurch, vielleicht kein Highlight der Fantasy, aber dennoch lesenswert.

Cover des Buches "Anubis" von Wolfgang HohlbeinMogens VanAndt ist Professor für Archäologie an einer kleinen Universität an der Ostküste der USA. Ihm stand einmal eine glänzende Karriere bevor. Doch es gibt einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit. Da erhält er eine neue Chance – ausgerechnet von dem Mann, den er für sein Unglück verantwortlich macht.
Es geht um die größte archäologische Entdeckung auf amerikanischem Boden, einen unterirdischen Tempel in Kalifornien. Einen Tempel, wie es ihn dort gar nicht geben dürfte. Und das Tor, welches die stummen Tempelhüter bewachen, öffnet einen Weg in das Reich der Toten …

-»Willst du behaupten, dass du plötzlich an Gott glaubst?«, fragte er.
»Ich habe gesagt, dass alle diese Welten dort draußen von einem Gott erschaffen worden sind«, bestätigte Graves. »Aber habe ich gesagt«, fügte er hinzu, und plötzlich klang seine Stimme ein kleines bisschen besorgt, »von welchem?«-

Wieder einmal versucht Wolfgang Hohlbein uns mit einem seitenstarken Werk in die dunklen Abgründe der Welt zu führen, Fakten gemischt mit Fiktion auf unheimliche Art zu verbinden und dem Leser eine neue Sichtweise auf unsere Welt zu geben. Und leider bleibt es bei dem Versuch.

Was Hohlbein dann wirklich abliefert, ist eine mehr als dürftige Gruselgeschichte, in der es zwar von Monstern wimmelt, die Spannung aber auf der Strecke bleibt. Dabei ist die Grundidee vielversprechend: ein ägyptischer Tempel in den USA! Etwas, das es nicht geben und das die Sichtweise auf unsere Welt grundlegend verändern dürfte.
Doch dann werden bereits nach knapp 200 Seiten die ersten schakalköpfigen Monster eingebaut, es gibt die ersten Toten. Danach stürzt der Roman in ein wildes Durcheinander von möglichst extremen Entdeckungen und bizarren Kreaturen, dem ich nur mit Mühe folgen konnte. Anscheinend ging es dem Autor ähnlich: Er liefert kaum eine Erklärung, was Mogens und der Rest denn überhaupt gefunden haben. Gelegentlich wird vage eine Andeutung gemacht, aber grundsätzlich nehmen die Charaktere das Gegebene einfach hin und versuchen nicht mal im Ansatz eine Erklärung für das Gefundene zu geben. Bis zum Schluss stellen sich keine Antworten ein, so dass der Leser es sich selbst zusammenreimen darf, was da gerade geschehen ist.

Auch sprachlich muss der Leser einiges hinnehmen. Abgesehen von teilweise wahnwitzig langen Sätzen wiederholt Hohlbein ständig dieselben Ausdrücke, was auf Dauer wirklich stört. Wenn Mogens in fast jedem Kapitel etwas falsch erscheint, es etwas gar nicht geben dürfte oder sein langjähriger Feind Jonathan Graves unmenschlich erscheint oder sich widernatürlich bewegt, dann fragt man sich, ob Hohlbein nicht mehr eingefallen ist oder Mogens einfach an Wahrnehmungsstörungen leidet. Zumal der Autor dann auch keine Erklärung geben kann, was eigentlich genau so falsch sein soll und der Leser damit ganz allein gelassen wird.
Auffällig sind auch die ganzen “Zufälle”, die der Autor braucht, um seine Hauptperson bei der Ausgrabungsstelle zu halten: Immer, wenn Mogens bereit ist, endlich mal seinen Instinkten zu trauen und zu gehen, taucht entweder der Dorfpolizist mit Fragen auf, nimmt ein Unwetter seinen Kurs auf die Ausgrabung oder jemand kommt zu Tode. Das alles wirkt arg konstruiert, so dass einfach keine Spannung aufkommt.
Schade eigentlich, denn hier wird eine gute Idee grundlos verheizt.

Cover von Barbarendämmerung von Tobias O. MeißnerDer Barbar zieht durch ein nicht näher bestimmtes Land, das sich an seinen Rändern im Krieg mit den sogenannten Waldmenschen befindet. Auf seiner ziellosen Reise sieht sich der Barbar immer wieder mit der Dekadenz der Städte, ihren Regel- und Ordnungssystemen – die er weder teilt, noch nachvollziehen kann -, aber auch mit gefährlichen Monstern und sogar Heiligen und Göttern konfrontiert. Dabei wird er seiner Bezeichnung gerecht und zieht eine Spur der Verwüstung durch das Land.

-Menschen gaben sich diese Gesetze. Sie gaben sie sich selbst. Aber sie brachen sie auch. Nach eigenem Gutdünken.-
S. 258

Im Zentrum des Klappentextes zu Tobias O. Meißners Barbarendämmerung stehen vor allem die Rücksichtslosigkeit und Brutalität des titelgebenden Protagonisten, und tatsächlich nimmt die bildhafte Beschreibung von Gewalt und Grausamkeit recht viel Raum ein, die Stärken des Romans liegen aber vielmehr dort, wo den Abenteuern des Barbaren mehr abgewonnen wird als brutale Action.

Bis ungefähr zur Hälfte oder zwei Dritteln des Buches folgt auf ein in sich geschlossenes Abenteuer das nächste, sodass sich eher der Eindruck einer Sammlung von Erzählungen ergibt, auch wenn die Geschichten chronologisch aufeinander aufbauen und manchen kleinen Querverweis enthalten. Erst gegen Ende des Buches gehen die Episoden flüssiger ineinander über und sind nicht mehr für sich lesbar. Nachdem man sich aber über den Großteil des Romans auf Kapitel mit starker innerer Dramaturgie eingestellt hat, wirkt manches der abschließenden Kapitel mit überleitendem Charakter etwas belanglos, obwohl (oder vielleicht gerade weil) darin weiterhin die Regel von mindestens einem (mal mehr, mal weniger) ausführlichen Kampf pro Kapitel beibehalten wird.

Zwar lassen sich sämtliche Abenteuer flott lesen, vielleicht sollte man aber auch hier – wie bei Anthologien – immer mal wieder Pausen einlegen, um dem Repititionseffekt zu entgehen. Allerdings gibt es auch immer wieder besonders dichte Kapitel, die entweder mit ihrer Atmosphäre, der darin enthaltenen Figurenzeichnung und/oder über das Abenteuer hinausgehenden thematischen Gehalt punkten können. So fesselt etwa das Kapitel „ausSLöSCHeN“ den Leser/die Leserin mit der Verknüpfung vom Marsch durch einen Untoten-Sumpf mit retrospektiven Episoden. Grausiger Höhepunkt ist wohl die Kombination aus den Kapiteln „FReSSeN“ und „SauFeN“, die zeigt, dass nicht nur der Barbar in den Städten Chaos stiften kann, sondern auch die Städte im Barbaren.

Überhaupt gewinnt das Buch dort, wo es seinem Protagonisten etwas mehr Tiefe zugesteht, abseits des hypermaskulinen, naturverbundenen und non-konformen Barbarenklischees, dessen es sich bedient, und dem Verhältnis zwischen Barbar und StädterInnen mehr Ambivalenz verleiht. Denn das Barbarenklischee wird stellenweise ebenso dezent unterlaufen wie der damit verbundene Kulturpessimismus, der einem regellosen, „natürlichen“ Subjekt (dem Barbaren), die dekadenten und verweichlichten Städte gegenüberstellt. So etwa, wenn das Maß an Selbstdisziplinierung und -inszenierung erahnbar wird, das notwendig ist, damit der Barbar seine Wirkung erzielt, oder wenn klassisch kulturpessimistische Tiraden von einem egozentrischen und mehr auf Showeffekt, denn auf Wissenschaft schielenden Akademiker vorgetragen werden. Diesen Aspekten hätten gerne mehr Seiten gewidmet sein können, um den Abenteuern des Barbaren mehr Tiefe zu verleihen, denn das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Wertesystemen und die Geringschätzung der Städter für alles, was sie als unzivilisiert betrachten, wie die gleichzeitige seltsame Faszination, die dieses auf sie ausübt, wäre ein durchaus spannendes Thema, das hier allerdings zwischen allerhand Blutbädern eher untergeht als ausgearbeitet wird. Wie die Kapitelüberschriften zeigen, hat Tobias O. Meißner seine Freude an Experimenten nicht verloren, und in einem Kapitel kehrt er sogar der Prosa den Rücken.

Tierführer Translunarien von Ludwig/KoegelEin Bestimmungsbuch für fantastische Geschöpfe, wie man sie noch nie gesehen hat: Schleudernase, Stadtkrake und Lassofant sind nur einige Tierarten, deren Vorkommen, Verhalten und Erkennungsmerkmale der vorliegende Tierführer erläutert. Ein Vorwort über Evolution klärt über die Umstände auf, unter denen solcherlei Tierarten vielleicht hätten entstehen können oder womöglich noch entstehen werden.

-Diese Fülle an überbordendem Leben, an außergewöhnlichen Kreaturen haben Sie wohl nicht erwartet. »Der BLV Tierführer Translunarien« stellt Ihnen einige der ungewöhnlichsten Geschöpfe unseres Planeten vor.-
Translunarien ist überall

Inspiriert von Loriots Steinlaus, Halbritters Tier- und Pflanzenwelt & Co., allerdings ohne die künstlerische Finesse in Bild und Text, hat sich der renommierte BLV-Verlag mit dem 2009 pünktlich zu Darwins 200. Geburtstag erschienenen Tierführer Translunarien einen kleinen Jux im Programm erlaubt. Und dabei ist es auch geblieben, zu einem großen Wurf scheinen letztlich der Mut oder die Ideen gefehlt zu haben.
Nachdem ein Vorwort in trocken-schulmeisterlicher Manier die Wirkweise der Evolution erklärt (und dabei unvermeidlich den alten Bekannten Birkenspanner auspackt), und es das erklärte Ziel des Tierführers ist, die Leserschaft über die Entstehung der Arten zu unterrichten, darf man Humor leider nur in sehr sparsamen Dosen erwarten, Ironie fehlt völlig – und genau diese beiden Zutaten geben dem Genre der Mockumentary oder dem fiktiven Forschungsbericht erst die Würze.
Gewiss, das Ansinnen, klassische Bestimmungsbücher zu imitieren, ließe sich auf seine Weise würdigen, aber wer sich erwartet, die Literaturgattung  (oder etwa gar der oder die Bestimmende) würde aufs Korn genommen, wartet vergeblich. Ebensowenig vorhanden sind Kommentare auf die Gesellschaft, das Leben, das Universum und den ganzen Rest, oder sie sind – wenn überhaupt – sehr versteckt und zaghaft angelegt.

Dass beim Eintrag zur »Steinlaus« Loriot selbst zitiert wird, mehrt den Ruhm des Tierführers Translunarien nicht: zu auffallend ist der Unterschied zwischen wohlgesetzten Seitenhieben mit feinster Komik und dem gewollten, aber nicht gekonnten Versuch, an diesen Tonfall anzuschließen.
Aber auch sonst scheinen die Vorbilder der beiden Autoren Friedrich Kögel und Mario Ludwig häufig zu stark durch. So findet man mitunter mehr oder weniger direkt aus den (auch in den Quellen angegebenen) Vorgängern After Man von Dougal Dixon und Halbritters Tier- und Pflanzenwelt inspirierte Kreaturen.

Die eigens für dieses Buch erfundenen Tiere und ihre besonderen Merkmale wirken bis auf wenige Ausnahmen einfallslos, nicht selten geschaffen, um eine bestimmte evolutionäre Eigenheit zu demonstrieren, ganz gleich, ob das Gesamtbild ein stimmiges ist oder nicht. Dieser Eindruck mag aber auch durch die nicht immer überzeugenden Illustrationen verstärkt werden. Dennoch hätte man sich insgesamt etwas mehr Ideenreichtum erwartet, anstatt nur Ohren zu sehen, die an Beine geklebt wurden, grotesk verlängerte Nasen oder Schwänze, oder ein Spiel mit der Größe verschiedener Tierarten. Lichtblicke wie die Christbaumleuchtschlange oder die Linksrumgämse bleiben eine Seltenheit im evolutionären Mittelmaß.
Wenn Wissenschaft vor Humor geht, möchte man meinen, dass zumindest ein Blick auf das Ökosystem möglich sein sollte, in dem die translunarischen Arten existieren. Doch Fehlanzeige – die Zusammenhänge bleiben nebulös, mit Ausnahme weniger direkter Jäger-Beute-Beziehungen leben die Tiere separat vor sich hin, und das auch nicht in irgendeiner ansatzweise ausgearbeiteten Umgebung, sondern in wild eingestreuten Weltgegenden irgendwo im Nirgendwo.

Man sollte aber kein Buch dafür rügen, dass es etwas nicht ist, was es nie sein wollte. Wo genau der Tierführer Translunarien allerdings hin wollte, erschließt sich auch nicht, wenn man sich durch alle Tierarten durchgeblättert hat – künstlerisch-ideenreicher Überschwang, der von bildungsbeflissenen Ambitionen eingebremst wurde, ehe er sich entfalten konnte? Putziges Geschenkbuch, das nach ein paar leisen Lachern in der Schublade verschwinden kann? Ein bisschen Spaß zwischen all den ernsten Bestimmungsbüchern, aber bitte nicht übertreiben?
Da mit dem Coverbild der optische Höhepunkt bereits abgedeckt ist, und nicht einmal die wissenschaftlichen Namen, die Raum für etwas Hintersinn geboten hätten, zur genaueren Betrachtung einladen, ist ein (kleines) Schmunzeln und ein wenig Anregung der Fantasie beim Darüberblättern vermutlich alles, was man aus dem Tierführer Translunarien mitnehmen wird, außer natürlich, man besitzt das Humorgen, mit dem man Länderbezeichnungen wie Lichtstrahlien oder Pommfritzien zum Schießen findet. Wenn nicht, greift man vielleicht besser zu den großen Vorbildern.

Cover des Buches "Brücke der brennenden Blumen" von Tobias O. MeißnerEin neuer Auftrag führt das Mammut in den bizarren Thost-Wald. Die heimische Kaninchenpopulation hat sich dramatisch reduziert und das ganze Ökosystem ist bedroht. Da Rodraeg noch immer mit dem Tod ringt, brechen Bestar und Eljazokad auf, um sich mit dem Verbindungsmann im Thost zu treffen. Dort angekommen müssen sie feststellen, dass eben jener Selbstmord begangen hat. Völlig auf sich allein gestellt betreten sie den Thost, um herauszufinden, was dort vor sich geht. Doch niemand hätte sie auf den Schrecken vorbereiten können …

-Rot barg der Schnee den schwarzen Wald.-
Prolog

Nach drei Teilen durchbricht der Meißner nun erstmals das gewohnte Schema des Questelösens und widmet sich mehr der vielfach angedeuteten Hintergrundhandlung. Anstatt diese jedoch langsam nach und nach aufzudecken, werden sowohl die Protagonisten als auch der Leser ins kalte Wasser geschubst.

Teil 4 beginnt wie gewohnt mit einem Auftrag, jedoch reisen nur zwei der vier Personen dieses Mal los. Die übliche Handlung, also das Reisen, Erkunden und Nachfragen, endet abrupt nach etwa einem Drittel des Buches und macht einer ziemlichen wirren “zweiten Reise” (ohne jetzt zu viel verraten zu wollen) Platz. Die erinnert am Anfang ziemlich arg an einen Drogentrip, zu fantastisch und effektheischend werden Schlag auf Schlag neue Orte aus dem Boden gestampft, ohne dass man diese in einen Kontext bringen könnte. Im Laufe der Zeit werden aber viele Andeutungen und Gegebenheiten aus den vorherigen Büchern wieder aufgenommen und mit neuen Aspekten versehen. Ein richtiges Gesamtbild erhält man freilich noch nicht, aber das Flickenmuster nimmt langsam Gestalt an.
Zwar erhält man einige Antworten und endlich mehr als eine Ahnung, wie die so lange nur angedeutete Hintergrundhandlung aussehen könnte, letztendlich werden jedoch mehr neue Fragen aufgeworfen als alte beantwortet. Das Ziel der nächsten Bücher bleibt also weiterhin, Licht ins Dunkel zu bringen, aber man hat jetzt wenigstens das sichere Gefühl, dass wirklich mehr in den Büchern steckt als ein reines Questelösen. Ein entsprechender Epilog, der wie jedes Mal scheinbar keinerlei Bezug zur bisherigen Handlung hat, macht das Warten auf den nächsten Teil auch nicht leichter.

Cover von Das Buch der Wunder von Miriam Kronstädter/Hans-Joachim Simm (Hgg.)Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm haben für dieses Buch siebenundvierzig phantastische Geschichten bedeutender Autoren aller Herren Länder zusammengetragen. Wie immer bei Anthologien gibt es mehr Informationen zum Inhalt in der Buchbesprechung.

-In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau, vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann.-
Theodor Storm: Bulemanns Haus

Diese Anthologie ist eine Fundgrube für Freunde der phantastischen Literatur. Berühmte Autoren wie Nikolaj W. Gogol, Gabriel Garcia Márquez, Jack London, H.P. Lovecraft, August Strindberg, Ludwig Tieck, Joseph Sheridan Le Fanu, E.T.A. Hoffmann, Stanislaw Lem, Tania Blixen, Edgar Allan Poe und Prosper Mérimée teilen sich einträchtig die Seiten mit Schriftstellern, die nicht ganz so bekannte Namen tragen: Fjodor Sologub, Adolfo Bioy Casares, Stefan Grabinski, Mircea Eliade, Boris Vian oder Tommaso Landolfi. Ob weltbekannt oder nicht – erzählen können sie alle.
Die Themen ihrer Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Leser findet hier klassische Geistergeschichten wie Le Fanus Erzählung von der Gespensterhand oder Becqers Geschichte vom Geisterberg, in der eine Frau ihrem Cousin eine unheimliche Mutprobe abverlangt. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre von Ludwig Tiecks Märchen Der blonde Eckbert oder von Edith Nesbits Das violette Automobil. Stefan Grabinskis Erzählung Das Abstellgleis hingegen ist so beklemmend, weil sie real wirkt, so real, daß sie jedem heute oder morgen passieren könnte und man dennoch fühlt, daß etwas Unheimliches im Gange ist, das unerbittlich und unaufhaltsam das Ende bringt. Nicht alle Geschichten sind unheimlich oder gruselig, manche sind voller Witz und Ironie wie die vom Werwolf, der sich in ein erotisches Abenteuer stürzt oder die von Wolfgang Hildesheimer, in der der Ich-Erzähler erläutert, warum er sich in eine Nachtigall verwandelt hat. Andere sind der literarische Ausdruck politischen Widerstands wie die Parabel Der Basilisk von Werner Bergengruen. Ein eitler Wichtigtuer tritt in die SA ein und spukt nach seinem Tode im Haus herum, bis das Dritte Reich endgültig zusammenbricht.
Häufig sind Künstler die Protagonisten, die, wenn sie auch nicht unbedingt mit dem Teufel im Bund sind, doch offensichtlich besonders gefährdet sind, in den Bannkreis übernatürlicher Mächte zu geraten und nur selten, wie in Beheim-Schwarzenbachs Geschichte Das Spinett sind die Begegnungen mit dieser anderen Welt hilfreich.
Allen Geschichten ist gemeinsam, daß die Normalität und die Realität durch den Einbruch des Übernatürlichen gestört werden. Das kann auf den Leser beängstigend, verstörend und beklemmend wirken oder auch nur verwunderlich, seltsam oder gar lustig, aber jedesmal ist es im doppelten Sinne des Wortes phantastisch.
Die Übersetzung hakt an manchen Stellen etwas. Das Wort Katalanin liest sich doch viel schöner als Katalanerin, schlurfende Schritte sind den schlürfenden Schritten auf jeden Fall vorzuziehen und das Wort ausgepowert gehört nicht in eine Geschichte, die im Jahre 1840 spielt. Liest man solche sprachlichen Stolpersteine, fühlt man sich als hätte man sich den Ellbogen an einer Kante gestoßen. Es wird zwar kein großer Schaden angerichtet, aber es schmerzt doch.

Cover von Cave Canem von Akif PirinçciDiesmal ist der samtpfotige Detektiv einem Mörder auf der Spur, der mit kräftigem Gebiß seine Opfer furchtbar übel zurichtet. Seltsam nur, daß die Verletzungen von nur zwei Zähnen zu stammen scheinen … Es sind diesmal auch nicht nur Opfer unter den Katzen zu beklagen, sondern auch unter deren Erzfeinden. Katzen und Hunde beschuldigen sich gegenseitig, und so wird bei einer großen Versammlung der beiden Parteien beschlossen, daß Francis, dessen kriminalistischer Spürsinn auch den Hunden zu Ohren gekommen ist, den Täter aufspüren soll. Doch ihm wird ein “Partner” in Gestalt des alten, vom Leben gezeichneten Schäferhundes Hektor zur Seite gestellt …

-Kommen Sie, folgen Sie mir; ich erzähle Ihnen eine Geschichte über Krieg und liebenswerte Feinde und darüber, warum Feinde für uns so lebensnotwendig sind wie die Luft zum Atmen.-
Erstes Kapitel

Dies ist der dritte Roman von Akif Pirinçcis Felidae-Romanreihe, die ich eigentlich eher in die Kriminal-Ecke einordnen würde, obwohl kein menschlicher “Sherlock Holmes” die Handlung trägt. Akif Pirinçci versteht es, Szenarien aufzubauen, die nach und nach immer bedrohlicher, schrecklicher und perfider werden, bis sie schließlich in der Perversion enden. Diese Perversion ist jedoch immer bei den Menschen und ihren Zielen zu suchen, und die Handlungsweise der Tiere geht direkt aus den Aktionen des Menschen hervor. Pirinçci hält uns mit seiner Felidae-Reihe einen Spiegel vor, der die Abgründe des menschlichen Denkens und Handelns ziemlich schonungslos zur Sprache bringt, doch weil er Grundprobleme der Menschheit über den Umweg des Tierreiches behandelt und nicht direkt anspricht, wirkt das Ganze ein wenig surreal – der Blickwinkel der Tiere, um menschliche Grausamkeit aufzudecken bzw. anzuprangern, lässt eine merkwürdig verzerrte Perspektive entstehen, mit der nicht jeder zurecht kommt.

In dem Roman Cave Canem beleuchtet der Autor die Auswirkungen von Kriegen auf Seele und Psyche. Es ist mithin kein Buch für schwache Nerven. Man bekommt einiges serviert, an dem man zu kauen hat, und der Inhalt ist nicht unbedingt leicht zu verarbeiten, darüber kann auch der lockere Sprachstil von Akif Pirinçci nicht hinwegtäuschen. Er hat dem Kater Francis wieder herrlichen Zynismus und Spitzen auf die menschliche Rasse (vor allem auf seinen “Dosenöffner” Gustav) zwischen die nadelspitzen Fangzähne gelegt, dass man sich oftmals das Lachen (über sich selbst) nicht verbeißen kann. Dennoch bleibt der Tenor des Romans ernst und vor diesem Hintergrund wirken Francis’ Äußerungen oftmals sarkastisch.

Der Handlungsverlauf ist straff gespannt: kaum hat man sich von dem Schrecken nach dem ersten Mord erholt, findet sich schon ein neues Opfer. Im Hintergrund lauert das namenlose Grauen, die Ungewissheit und die Angst machen die Katzen und Hunde des Viertels zu aggressiven Amokläufern. Jeder verdächtigt jeden und Francis, der eine offene Auseinandersetzung unbedingt verhindern will, gerät bald in Zeitnot …
In Cave Canem, wie auch in den anderen Büchern der Felidae-Reihe, werden Problematiken aufgearbeitet, die für einen Roman, der eigentlich der Unterhaltung dienen soll, zu “gewichtig” sind … (Tierversuche, Krieg, Gentechnik usw.) doch nun, bei diesem dritten Band der Reihe, kommt der Autor langsam zu einem Punkt, an dem alles irgendwie “an den Haaren herbeigezogen” wirkt, vor allem, wenn Francis sich an den Computer begibt und in die Tiefen des Internets vordringt. Hinzu kommt, dass Dimensionen und Lösung des Kriminalfalls dem Leser bald klar sind.

Corpus Delicti von Juli ZehMia Holl leidet, seit ihr Bruder, der aufgrund eines erschlagenden DNA-Beweises des Mordes überführt wurde, im Gefängnis den Freitod gewählt hat. Sie leidet so sehr, dass sie ihr Sportprogamm und die Überprüfung und Abgabe ihrer Körperdaten vernachlässigt. Dadurch gerät sie in die Mühlen der Bürokratie des Staates, der der “Methode” folgt, einer Regierungsform, in der Gesundheit der höchste und einzige Wert ist. Ihr Fall schlägt hohe Wellen, sie verstrickt sich immer tiefer, und die Kritik ihres Bruders an der “Methode” wirkt in ihr nach.

-Rings um zusammengewachsene Städte bedeckt Wald die Hügelketten.-
Mitten am Tag, in der Mitte des Jahrhunderts

Für junge Leser ist die Dystopie seit einer Weile im Trend, für Erwachsene scheinen die Höhepunkte des Subgenres dagegen schon längst von gestern zu sein. Aber rufen die Tatsache, dass die Klassiker langsam von der Gegenwart eingeholt werden, und das Einzughalten neuer Entwicklungen nicht nach unverbrauchten dystopischen Szenarien?
Schon kurz vor dem Boom der All-Age-Dystopie ist Juli Zeh mit ihrer Vision eines Überwachungs- und Gesundheitsterror-Staates in SF-Gefilde vorgedrungen und hat damit Themen aufgegriffen, die Lust machen, sich auf das “was wäre wenn?”-Spiel einzulassen.
Man könnte nun die x-te Überlegung über Nicht-Genre-Autoren anstellen, die ins Genre drängen (wobei nicht ganz klar ist, ob Zeh das wirklich beabsichtigt hat), doch der Fokus von Corpus Delicti liegt ohnehin nicht auf den SF-Elementen und dem Zukunftsentwurf, sondern auf rechtsphilosophischen Betrachtungen und der Beobachtung menschlicher Reaktionen auf gesellschaftliche Entwicklungen, die nur grob angerissen und mit zu wenigen Mosaiksteinchen konkretisiert werden, als dass man sich auch nur annähernd ein Gesamtbild zusammensetzen könnte. Sogar die Sprache des neuen Regimes, die seit jeher ein Medium für die dahinterstehende Ideologie darstellt, ist lediglich anhand einiger prägnanter Einzelheiten wie dem omnipräsenten Gruß “Santé!” herausgearbeitet.

Corpus Delicti ist ein durchaus spannend und geschickt mit Rückblenden und anderen Kniffen verschachtelter Roman, der nicht davor zurückscheut, nach allen Regeln der unterhaltungsliterarischen Kunst Nebenfiguren in Stellung zu bringen, die dann wie ein Uhrwerk ihre Funktion im Spannungsaufbau erfüllen, besonders in den (jawohl!) Action-Szenen. Letzten Endes erwächst die Spannung aber vor allem daraus, dass die meist passive, von außen bewegte Heldin unvorhersehbar handelt (oder eher das Handeln unterlässt) und so gut wie alles geschehen kann, ohne Konsequenz des Vorausgehenden sein zu müssen.
Kafkaeske Auslieferung an die Staatsmacht nimmt in der Tat auch den Großteil der Handlung des mit “Ein Prozess” untertitelten Romans ein, dem ein gleichnamiges Theaterstück vorausgegangen ist. Das Gewicht liegt dementsprechend auf den mit vielen Hintergründen ausgearbeiteten Gerichtsszenen, von denen Zeh auch sonst stilistisch nicht unbeeinflusst scheint. Die Abschnitte dazwischen haben dagegen etwas Skizzenhaftes, was durch die zunehmend extrem handelnden Figuren der Nachvollziehbarkeit des Geschehens nicht gerade zum Vorteil gereicht – besonders die Figurenbeziehungen bleiben kryptisch und die Charaktere selbst seltsam unlebendig, ihre biographischen Hintergründe, etwa Mia Holls Berufswissen als Biologin, werden zwar bei Bedarf ausgepackt und eingesetzt, färben aber sonst nicht auf das Innenleben ab.

Interessant bleibt vor allem die Ausgangsfrage nach der Natur des “Methode” genannten staatlichen Gesundheitsterrors und vor allem nach dem Menschen darin. Da aber die Methode der “Methode” sich vor allem schöner neuer Überwachungstechnik bedient, ist die Kritik am Überwachungsstaat und seinen in ihrer Komfortzone ungestörten Mitläufern in Corpus Delicti ausgeprägter als die am Gesundheitswahn, und damit hat das Szenario seine Unverbrauchtheit schnell verspielt. Für die rechtsphilosophische Fragestellung muss dann auch ein möglicher (Achtung, Spoiler im Link), aber konstruierter Fall herangezogen werden, die echten Probleme eines solchen Weltentwurfs bleiben Andeutungen oder ganz unausgesprochen – was der Handlung etwas von einem aufgesetzten Diskurs verleiht.
Zu einem guten Teil ist der künstliche Charakter Programm: Eine Welt ohne Krankheit, wie sie in Corpus Delicti ausgemalt wird, hat das Zeug zur (und ist in anderen phantastischen Szenarien eine) Utopie, hier wird sie zur blutleeren, sterilen und naturentfremdeten Welt. Ich bin krank, also bin ich?
Corpus Delicti liefert dazu eine interessante, mitunter spannende Betrachtung, der man jedoch das Konstrukt zu sehr ansieht, als dass sie auf überzeugende Weise Leben simulieren könnte.

Die Dämonen von Tobias O. MeissnerLange waren die Dämonen aus der Welt verbannt, doch die unbedachte Tat des Thronerben von Orison ermöglicht zweien die Flucht: Gäus und Irathindur. Sie planen, sich in der Welt der Menschen festzusetzen und wählen jeweils einen Herrscher, den sie übernehmen werden: Irathindur wird sein irdisches Dasein als Baroness eines der neun Baronate Orisons antreten; Gäus als der junge König des Landes. Ehe die beiden getrennter Wege gehen, schwören sie sich, nicht gegeneinander Krieg zu führen. Bald stellt Irathindur aber fest, dass die Lebenskraft im Land Orison nur für einen Dämon reicht – und beginnt nach mehr Macht zu streben. Noch immer an den Pakt mit Gäus gebunden, stürzt er alsbald das ganze Land ins Chaos, um seinen Hunger nach Lebenskraft zu stillen.

-Der König, der keine Augen hatte, streckte eine Hand aus nach dem Meer.-
Vorausschau

Mit den Dämonen wird ein ganz neues Fass in der Auswahl der „Völker Tolkiens“ aufgemacht, zu denen uns die deutsche Fantasy-Szene im Laufe der letzten Jahre überreichlich viele Ausflüge beschert hat. Die Grenzen der Vielfalt scheinen langsam ausgereizt: Dämonen als eines der Völker Mittelerdes? Wir wollen aber mal nicht so kleinlich sein, schließlich ist es auch alles andere als der Geist Tolkiens, der dieses Werk von Tobias O. Meißner durchweht, das stellt man schon fest, wenn man einen Blick auf die Figuren wirft:
Da wäre der Möchtegern-Student Minten, der stattdessen, wenn auch unfreiwillig, zum brutalen Haudrauf wird, von den Wogen des Krieges herumgeschleudert, bis er im wahrsten Sinne des Wortes sein Gesicht und die Orientierung verliert, für wen und wofür er eigentlich kämpft. Dann der finstere Dämon Gäus, der alsbald den schwächlichen König des Menschenlandes übernimmt und als dieser ganz in der Aufgabe aufgeht, das Land zu regieren. Und schließlich der gewitztere und elegantere Dämon Irathindur, der zum Zweck eines irdischen Daseins in die lüsterne Baroness Meridienn einfährt und nach anfänglichen Daseinsfreuden bald nicht mehr mit dem schnöden Titel zufrieden ist. So entspinnt sich ein Machtkampf und schließlich aus Unwissenheit, Gleichgültigkeit und schlichtem Pech ein grausamer Krieg, der für die meisten Beteiligten ein ziemlich sinnloses Unterfangen ist, aber trotzdem immer größere Kreise zieht.

Fast wie im wirklichen Leben also. Und das ist auch die Essenz des Romans – der Mensch braucht keine Dämonen, um im Krieg alles kurz und klein zu schlagen. Und die Dämonen? Sind auch nur Menschen, eignen sich menschliche Züge an, sobald sie Fuß im irdischen Dasein gefasst haben, und zwar die guten wie die schlechten. Das ist vielleicht das Interessanteste an Meißners Roman, wie das Spiel mit Erwartungen auf die Spitze getrieben wird, wie aus anfänglicher Machtgier Verantwortung wird und aus Lebensfreude die Gier nach immer mehr.
Die daraus resultierende Schlachtenfolge allerdings ist eine relativ langatmige Aneinanderreihung von Action-Szenen, und wenn man sein Lesevergnügen nicht nur aus Kämpfen und Kriegswogen ziehen kann, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Stilistisch und selbst in einigen Charakterzügen der Hauptfiguren ähneln Die Dämonen Meißners Mammut-Reihe, doch Menschlichkeit und Wärme spielen in diesem Kriegsgetümmel kaum eine Rolle. Legitim, manchmal angebracht und wichtig ist es durchaus, einen solchen Blick auf die Abgründe zu eröffnen und daneben Weltschöpfung und Charakterzeichnung auch etwas verblassen zu lassen, jedoch scheinen Die Dämonen diesbezüglich auf halber Strecke stecken geblieben zu sein und ihr blutiges Machtgerangel ist doch nur ein halbherziger Tanz an der Grenze zum Tabubruch: Mit Verdauungsproblemen, Orgien, S/M-Klamotten, Körpersäften in allen Variationen und anderen Klischees von Dämonen und Dämonenwirken wird zwar immer wieder kokettiert – diese Ingredienzen bleiben allerdings ohne große Nachwirkung und machen ein wenig den Eindruck, als hätten sie zum Thema Dämonen eben dazu gehört. Andere Autoren, die die düstere Sparte der Fantasy bedienen, haben diesbezüglich weitaus finsterere und beeindruckendere Tableaus von der dämonischen Fratze des Krieges gezeichnet.

Eine Weltschöpfung ist nur ansatzweise vorhanden und dem Leser wird ein wie von Bürokraten am Reißbrett entworfenes Land namens Orison vorgesetzt, dessen Ordnung die Dämonen dann mehr oder weniger genüßlich über den Haufen werfen dürfen. Ebenso dürftig sind die Nebencharaktere skizziert, fast schon Karikaturen von Menschen, die im Angesicht des Chaos, das in ihr wohlgeordnetes (und dennoch alles andere als perfektes) Leben eindringt, vollkommen ins Surreale kippen, wie etwa der sich selbst geißelnde, sexuell unbefriedigte Mann, der als völlig überzeichnete Figur zum Frauenhasser und -mörder mutiert. Sollte dabei einmal der Ansatz einer tiefgründigeren Betrachtung zum Thema entstehen, wird sie recht schnell in einem Feuerwerk cineastischer und wilder Szenen verbraten, die dem Dämonenkrieg ein grelles Erscheinungsbild verleihen.
Am Ende gibt es noch ein kleines stilistisches Wagnis, das aber den Schluß nicht mehr recht abwenden kann, hier vor allem ein effektlastiges Schaubild zu betrachten, das allerdings trotz – oder gerade wegen – der universellen Interpretationsmöglichkeiten zum Thema „Krieg“ nur wenig mehr ist als die übliche Action-Fantasy der düsteren Sorte.

Cover von Dea Mortis von Andreas GößlingRick Nadar ist 25 Jahre alt und will jetzt, da seine Freundin Rachel im fünften Monat schwanger ist, ein geregeltes Leben führen. Also arbeitet er nun als Sicherheitsbeauftragter in einer Computerfirma. Doch aus seinem Traum von einem normalen Familienleben wird nichts. Als er von seiner Schicht nach Hause kommt, fordert ihn seine Freundin auf, sofort mit dem Auto loszufahren, sie könne nicht in dieser Stadt bleiben. Sie brechen auf, ohne daß Rick erfährt, wohin die Reise geht. Nachdem sie in mehreren Hotels abgestiegen sind, in denen merkwürdige Dinge vor sich gehen, gelangen sie zur Stadt Idleton. Dort verschwindet Rachel und Rick muß bald feststellen, daß er in Idleton seines Lebens nicht sicher ist.

-Diese Woche hatte Rick Nadar Nachtschicht, und als er um fünf Uhr früh nach Hause fuhr, ging über den Hügeln von New Providence gerade die Sonne auf.-
1.Kapitel NEW PROVIDENCE

Andreas Gößling hat sich zu seinem Roman von Bildern H.R. Gigers inspirieren lassen, die dieser in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen hat. Diese Bilder sind es, die DEA MORTIS (=Die Göttin des Todes) zu einem besonderen Buch machen. Viele von Gigers Schwarz-Weiß-Zeichnungen wirken wie eine Kreuzung von Gemälden Boschs und Brueghels mit dem Film Metropolis, da er häufig dämonische Geschöpfe mit maschinenähnlichen Gebilden, Stahlkonstruktionen oder futuristisch anmutenden Häuserfassaden, die aber genausogut Teile eines gotischen Doms darstellen könnten, verbindet. Die Bilder sind verstörend, unheimlich und voller religiöser und sexueller Bezüge. Wer also seinem achtjährigen Sprößling nicht erklären möchte, was sich da auf einigen Bildern so augenfällig in die Höhe reckt und auch schon mal direkt von unten in die Mitte zwischen die nackten Backen (denen auf der Hinterseite wohlgemerkt) einer Frau zielt, der sollte das Buch kindersicher aufbewahren.
Der Roman ist leider weder so verstörend, noch so unheimlich wie Gigers Bilder. Man wird nie das Gefühl los, daß man zwar nicht die Geschichte kennt, aber die Einzelteile, aus denen sie zusammengesetzt ist. Und allzu oft ist dem Leser von vorneherein klar, daß Andreas Gößling versucht, Erwartungen zu wecken, die er nicht einhalten wird. Wenn Rick Nadar sich also zu Beginn plakativ ausmalt, wie er mit seiner großen Liebe Rachel und dem gemeinsamen Kind das idyllische Leben einer Kleinfamilie führen wird, dann muß man weder ein Prophet sein, noch über langjährige Leseerfahrung verfügen, um zu wissen, daß sich seine Vorstellungen in Null Komma Nichts in Luft auflösen werden. Und wenn eine schwangere Frau holterdipolter darauf besteht, die Stadt zu verlassen, ihrem Liebsten nicht sagt, wohin die Reise geht, sondern ihn einfach durch die Gegend dirigiert, dabei wie ferngesteuert wirkt und unbedingt in äußerst merkwürdigen Hotels mit noch merkwürdigeren Bewohnern absteigen möchte, dann wird der Leser nicht unbedarft daran glauben, daß schwangere Frauen eben so komische Dinge machen und derartige Reisen für sie genauso normal sind, wie das plötzliche Verlangen, saure Gurken mit Erdbeeren und Schlagsahne zu verspeisen. Selbstverständlich wird er annehmen, daß sich die Geschichte entweder in Richtung Rosmarys Baby oder Alien entwickeln wird. So ist der Überraschungseffekt und damit auch ein Großteil der Spannung erstmal gestorben.
Im weiteren Verlauf erinnert der Roman weniger an bekannte Filme, sondern mehr an Albträume. Gößling beschreibt, immerhin ziemlich eindrucksvoll, Traumbilder, die jeder kennt, entweder aus eigenem nächtlichen Erleben oder weil sie hinlänglich bekannt sind. Ob Rick Nadar nackt auf der Straße steht, ob er von Jugendlichen verfolgt wird, die ihn verstümmeln und ermorden wollen oder ob er bei seiner Flucht kaum von der Stelle kommt, – die unheimlichen Frauen, bis hin zur Opfer fordernden Göttin, dazu die Erinnerungen Ricks an seine Kindheit und der Hinweis, daß hier Dinge vor sich gehen, die er so ähnlich in einem Film gesehen hat – das alles stößt den Leser mit der Nase darauf, daß hier surreale Traumbilder erzählt werden. Man erliegt nicht einen Augenblick der Illusion, hier könnte einem Menschen wie Du und Ich wirklich etwas Furchtbares passieren, was einem – Gott bewahre- vielleicht selbst zustoßen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering scheinen mag. Aber nur, wenn es dem Autor gelingt, die Illusion wenigstens für einen Moment zu erschaffen, das Beschriebene könnte Realität sein, sodaß man erschrocken bei der Lektüre zusammenzuckt, wenn die schwangere Freundin ins Zimmer kommt und sagt: “Komm Schatz, laß uns einen Ausflug mit dem Wagen machen”, kann wirklich Spannung aufkommen. Hat man jedoch den Eindruck, hier wird ein Traum beschrieben und man nur noch rätseln darf, ob es der Albtraum des Autors nach der Betrachtung der Bilder H.R.Gigers ist, der des Helden, den unterbewußt doch die Panik vor einem Familienleben gepackt hat oder ob Gößling diese Traumbilder aus anderen Büchern zusammengetragen und mit Mythen vermischt hat, dann mag man vielleicht bewundern, wie der Autor Bilder in Sprache umgesetzt hat, atemberaubende Spannung kommt jedoch nicht auf, weil jeder Leser weiß: Albträume mögen zwar einige Zeit bedrohlich wirken, aber letztendlich sind Träume nur Schäume, von denen keine Gefahr ausgeht.

Cover des Buches "Die Schwerter von Oranda" von Christiane Zina Chantal Bergner, eine junge Wissenschaftlerin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den fernen Planeten Oranda zu erforschen. Mithilfe der “Chronotransit”-Technologie ist es möglich, die Geschichte der vor rund 300.000 Jahren untergegangenen Kultur zu erforschen. Während dieser Reisen schlüpft sie in die Rolle einer Kriegerin und dient unter dem Herzog Aldo. Bald kommt Chantal geheimnisvollen Kräften in Gestalt der Neun Lebenden Schwerter auf die Spur. Der Sage zufolge soll im Verborgenen noch ein Zehntes Schwert existieren, das über die anderen gebietet. Als ein feindlicher Herzog sich im Besitz dieses Meisterschwertes wähnt, entbrennt ein Kampf um die Macht auf Oranda.

-»Kann man denn nicht mal in Ruhe die Menschheit vor etwas abgrundtief Bösem retten, ohne dass einen die Leute verarschen?« beschwerte sich Vionuri kopfschüttelnd.-
10

Mit Die Schwerter von Oranda präsentiert Christiane Zina einen interessanten Mix aus Science-Fiction und Fantasy, der jedoch trotz guter Thematik allzu viel auf allzu wenig Seiten abhandeln will.
Am schwierigsten zu beschreiben ist die Handlung: eine durchaus spannende Zweiteilung in die hochtechnisierte Welt des 24. Jahrhunderts zum einen, die mittelalterliche Welt von Oranda zum anderen. Chantal steht zwischen diesen beiden Seiten und hat das als “Saronsky-Syndrom” im Buch bezeichnete Problem: als Wissenschaftlerin soll sie Fakten sammeln, ganz nüchtern und steril, doch sie lebt in Oranda und verliert sehr schnell ihre Objektivität, identifiziert sich mit ihrer Rolle als Kämpferin und steht nun zwischen den Fronten. Die moderne Welt erscheint ihr nach und nach seltsam verkehrt – man lebt mehr oder weniger hauptsächlich online und geht keine Risiken ein, während in Oranda noch “richtig gelebt” wird, mit Alkohol, körperlicher Nähe und Schwertkämpfen. Der daraus resultierende Konflikt ist der Hauptstrang des Buches und wird auch sehr gut dargestellt.
Das Problem ist aber, dass dieser einfach nicht ausreicht, um das Buch zu füllen, daher wird eine entsprechende Hintergrundthematik eingebaut, die allzu überladen ist:
Pseudo-philosophische Gespräche über die Grundprobleme der Menschheit, der Machtkampf in Oranda, Sagen und Mythen des Planeten … – all das findet auf nur 300 Seiten Platz. Wenn man einen schnellen Lesefluss hat, erscheint einem der Roman ziemlich überladen. Bei so wenig Seiten werden meistens auch nur Andeutungen gemacht und nur die nötigsten Informationen erwähnt, die dann zwar passend sind, aber gerade durch ihre Knappheit enttäuschen. Man würde einfach gerne mehr erfahren, denn die fiktive Welt bietet allerlei ungenutztes Potential. Kein Wunder, dass da einige Handlungsstränge ziemlich gerupft wirken: Orandas Machtkampf ist nicht gerade der große Wurf und die Schwertkämpfe sind maximal eine halbe Seite lang. Auch über Oranda selbst erfährt man nicht viel.

Relativ gradlinig erreicht man dann auch das Ende, keine Seite wurde für Drumherumreden verschwendet. Ein paar Seiten mehr (oder ein paar Hinweise weniger) hätten nicht geschadet. Das Ende kommt also schnell und ziemlich unbefriedigend, auf ein paar Seiten (fast auf Zeilenniveau!) werden alle Handlungsstränge auf die Schnelle abgewickelt.

Bis auf Chantal sind die Charaktere ziemlich platt und schematisch – der Herzog, der Krieger, die Heilerin, der Zyniker, die Philosophin, die Bösen. Schluss. Mehr braucht man nicht, mehr kriegt man nicht. Ob Chantal das alleine aufwiegen kann, muss jeder selbst entscheiden.
Dafür ist der Schreibstil von Frau Zina frisch und lässt sich leicht lesen. Ein paar nette Anekdoten runden das Ganz noch ab.
Im Großen und Ganzen merkt man jedenfalls, dass das Schreiben der Autorin Spass gemacht hat: Neben der fast obligatorischen Karte findet sich noch ein kleines Lexikon mit weiteren “Literaturhinweisen” zu Oranda sowie ein Sprachführer. Nette kleine Extras, die zeigen, dass sich Frau Zina sehr Mühe gibt, ihre Welt lebendig zu präsentieren. Aufgrund der wenigen Beschreibungen gelingt das jedoch nur teilweise.

Cover des Buches "Die Drachen" von Julia ConradIn einer Welt voller Magie und Wunder leben Fabeltiere und eine noch junge Menschheit gemeinsam. Um später die Herrschaft über die Welt an sich reißen zu können, unterstützten die bösen Drachen einen Emporkömmling.
Dieser wird laut einer Prophezeiung in einer fernen Zeit für seine Schandtaten bestraft, und dann wollen sie ihn überlisten. Doch nach der Prophezeiung ist es auch möglich, die Welt wieder in einen Ort der Harmonie zu verwandeln …

-Einst bändigten die Drachen die Urkräfte des Kosmos und lebten in ihrem blühenden Reich Chatundra einträchtig mit der Natur und ihren Geschöpfen.-
Prolog

Mit Die Drachen präsentiert Piper ein phantasievolles, wenn auch leidlich spannendes Werk in einer komplexen, aber überfrachtet wirkenden Welt.
Das Hauptproblem des Romans ist, dass er eine epische Geschichte in gerade mal 500 Seiten erzählen will. Man hat kaum richtig Zeit, sich halbwegs mit der Welt vertraut zu machen, da ist das Buch auch schon vorbei. Die Schnipsel, die man geliefert bekommt, reichen gerade mal für einen groben Überblick.
Hinzu kommt, dass die Welt sehr fremdartig ist. Nichts ist wie auf der Erde, angefangen von der Flora und Fauna bis hin zu den Kulturen, die jede für sich ganz unterschiedlich zu der Vorhergehenden ist. Gute Ideen (wie etwa die Tronten – halb Pflanze, halb Tier) gehen zwischen all den nichtssagenden Namen, mit denen man zugeworfen wird, unter. Die Autorin beweist damit zwar viel Phantasie, und einige gute Ideen dringen auch bis zum Leser durch, aber für die paar Seiten war das definitiv zu viel des Guten.

Daraus folgt auch, dass man sich mit den Charakteren eigentlich nicht identifizieren kann. Allein 13 Auserwählte gibt es, die meist nicht mehr als Namen bleiben, dazu noch jede Menge Nebenpersonen (Hexen, Drachen, Bösewichte…). Ein paar werden zwar ins Jenseits befördert, aber das lässt einen kalt, da man die Personen gerade mal eine Seite kennt. Man springt von der einen Seite des Kontinents auf die andere, ohne mehr als fünf Seiten bei einer Person zu verweilen. Dies ist aufgrund der Komplexität des Buches recht anstrengend, erst nach und nach kann man die einzelnen Episoden in einen Kontext bringen.

Etwa ab der Mitte des Buches konzentriert sich die Autorin dann auf eine Gruppe und bleibt länger als drei Seiten bei dieser, was das Buch davor bewahrt, ganz zerstückelt zu enden, und dem Lesespass ein wenig Schub gibt.
Das Ende folgt abrupt und weniger episch, als man es vielleicht erwartet hat. Auf 40 Seiten wird alles ohne großes Tamtam zu Ende geführt, ein paar mehr Seiten hätten dem Roman wirklich gut getan.

Einen Pluspunkt gibt es aber für die Darstellung der Drachen per se. Die Autorin versucht weitgehend Klischees (echsenähnlich, schuppig, grün, Feuer speiend) zu vermeiden und erfindet ihre “eigene” Formen von Drachen: Von Wurmähnlichen über den (doch vorhandenen) Standarddrachen bis zu den Gestaltwandlern wird eine bunte Mischung weit jenseits des Erwarteten präsentiert, doch auch hier trifft manchmal der Hauptkritikpunkt zu: weniger wäre mehr gewesen.

Die dunkle Quelle von Tobias O. MeißnerRodraeg ist ein Stadtschreiber von Kuellen, seine abenteuerlustige Zeit hat er lange hinter sich. Doch dann taucht plötzlich Naenn bei ihm auf, eine Frau aus dem Volk der Schmetterlingsmenschen. Sie macht Rodraeg einen Vorschlag: Er soll Anführer einer Einsatztruppe werden, die für eine mysteriöse Vereinigung arbeitet, der das natürliche Gleichgewicht des Kontinents am Herzen liegt, das durch die zunehmende Industrialisierung und die rigorose Politik der Kaiserin bedroht ist. Rodraeg lässt sich überreden, richtet einen Stützpunkt ein und sucht nach geeigneten Mitstreitern. Und schon flattert der erste Auftrag ins Haus, in dem von einem verseuchten Fluß die Rede ist …

-Die Flaggen vor dem Zelteingang, gold und blau mit einer strahlenden Krone darauf, hingen schlaff im kalten Morgendunst. Der junge Hauptmann zögerte kurz, dann schlug er die Plane zur Seite.-
Prolog

Die dunkle Quelle überrascht von den ersten Seiten an  mit großartigen Ideen und einem formidablen Erzähltalent, und das, obwohl der Roman eine für Meißner-Verhältnisse eher konventionelle Geschichte bietet – die hartgesottene High-Fantasy-Leser dennoch erst einmal stutzig machen dürfte.
Fantasy ist fast immer ein “was wäre wenn”. Hier, in einer in weiten Teilen zivilisierten Welt, die kurz vor der Industrialisierung steht, stellt sich die Frage: Was wäre, wenn in einer vormodernen Epoche die Umweltzerstörung schon weitreichende und spürbare Folgen nach sich gezogen hätte? Wenn bereits dort jemand darauf aufmerksam geworden wäre und Maßnahmen ergriffen hätte? Eine Greenpeace-Einsatz-Truppe in einer Fantasy-Welt: das klingt zunächst nach Öko-Romantik inclusive Biolatschen und erhobenem Zeigefinger.

Tobias O. Meißner hat aus der verwegenen Idee eine mitreißende Geschichte gemacht, die durch unkonventionelle Details und den Öko-Ansatz ein wenig frischen Wind in den Fantasy-Einheitsbrei bringt, dabei aber dennoch stark auf vertraute Elemente setzt, wie man sie aus Rollenspielabenteuern oder Questengeschichten kennt.
Die Zwerge, Elfen und Orks sind zwar zu Hause geblieben und einer bunten Welt mit neuen Spezies gewichen, sowohl auf der Ebene der Handlungsträger als auch der Kulisse: Schmetterlingsmenschen, Bartendrachen, Bienenmagier – um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Götterwelt, Geschichte und Flora und Fauna wurde zumindest vordergründig ein eigener Stempel aufgedrückt, häufig passend zu der ungewöhnlichen Grundidee des Romans.
Trotzdem findet man sich leicht in die traditionell erzählte Geschichte ein: Rodraeg, der als Hauptfigur stets der Mittelpunkt des Romans ist, führt souverän durch die Handlung und besticht vor allem als gelehrter Antiheld, der über seine besten Kämpfer-Jahre bereits hinaus ist und trotzdem, als er seine neue Aufgabe einmal angenommen hat, mit aller Kraft in den Kampf eilt – nur dass körperlicher Einsatz für ihn immer ein Notnagel ist – eine Einstellung, die innerhalb der Aktivisten-Szene nicht nur auf Gegenliebe stößt. Zur Sache geht es nach einer langen Einführungsphase aber trotzdem noch, und Die dunkle Quelle bekommt auch ein paar Actionszenen verpasst.
Zusätzlich fesselt Meißners schöne Sprache – sie ist klar und leicht zu lesen, aber dennoch ästhetisch, ohne in der einfachen Geschichte von der Auftragsabwicklung überkandidelt zu wirken.

Die übrigen Figuren sind bestechend sympathisch und menschlich nachvollziehbar und nehmen den Leser mit ihren liebevoll ausgearbeiteten Schrullen für sich ein, so dass es leicht fällt, sich auf ihre anfangs beschaulichen Abenteuer einzulassen. Freilich lässt sich nicht leugnen, dass der Roman nur ein sorgfältig aufgebauter Auftaktband zu einer groß angelegten Reihe ist – es geht vornehmlich um Zusammenstellung und Aufbau der Truppe, die sich Das Mammut nennt, und erst am Ende nach dem ersten Auftrag kann man ein wenig von der größeren Hintergrundgeschichte erahnen. Aber wenn schon der Einstiegsroman so viel Spaß an frischen Ideen und einen so großen Wohlfühlfaktor mit sich bringt, darf man gespannt sein, wie Meißner – dessen Romane niemals Wohlfühlgaranten sind – dieses Setting in weiteren Bänden genüsslich zerlegt und Rodraeg und seine Mannen in die Bredouille bringt.

Cover von Elfenwinter von Bernhard HennenÜber hunderttausend verkaufte Exemplare, monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste: Bernhard Hennens Die Elfen war der in Deutschland erfolgreichste Fantasy-Roman seit Jahren. Mit Elfenwinter kehrt er zurück in die Welt der geheimnisvollsten Geschöpfe, die es je gegeben hat. Dies ist die definitive Geschichte über ein Volk, das aus dem Mythenschatz der Menschheit nicht wegzudenken ist – unentbehrlich für jeden Herr-der-Ringe-Leser.

-“Sie werden versuchen, die Königin zu töten.”.-
Das Fest der Lichter

Als ich durch Zufall erfuhr, dass es einen Nachfolger zu Die Elfen geben sollte, war die Vorfreude natürlich groß, wieder von Farodin und Nuramon zu lesen. Nach den ersten Buchseiten war ich dementsprechend verwundert, als die Geschichte nicht nach dem Ende des ersten Bandes einsetzte, sondern einen deutlich früheren Handlungsfaden aus Die Elfen aufnimmt. Trotz dieser enttäuschten Erwartung ist Elfenwinter ein durchaus gelungener Roman. Bernhard Hennen erzählt im Nachfolger von Die Elfen Geschichten, die im ersten Band durch Zeitsprünge überflogen und nur am Rande erwähnt wurden.

Dies soll man nun aber nicht in geringster Weise so verstehen, dass der Autor die Überreste aus dem ersten Band verwerten wollte und diese auf knapp 900 Seiten gestreckt hat, vielmehr wird das Schicksal der Nordmänner nach dem Weggang Mandreds weitergesponnen. Daher ließe sich auch über die Titelwahl streiten, denn im Gegensatz zum ersten Band stellen Elfen nur noch einen geringen Teil der Protagonisten, allerdings spielt das ambivalente Verhältnis zwischen Elfen und Nordmännern auch in diesem Band wieder eine große Rolle, auf das hier durch die Figur Alfadas’ ein etwas anderer Blick geworfen wird. Die Hauptpersonen (Alfadas, Ollowain und meiner Meinung nach auch Orgrimm) kommen aus drei verschiedenen Rassen und es werden mehrere verschiedene Handlungsstränge aufgegriffen. Die Trennung zwischen Gut und Böse wird stärker verwischt als in Die Elfen, wo der Devanthar klar den Antagonisten stellte. Bernhard Hennen gibt den Trollen, den Gegenspielern des vorliegenden Bandes, eine Hintergrundgeschichte (die Vertreibung aus ihrer Heimat), durch die man die Trolle sogar machmal verstehen kann, dazu trägt gerade die Figur des Orgrimm bei. Dagegen fällt es schwerer, mit Alfadas warm zu werden. Einerseits hält er auf den ersten Blick einem Vergleich mit Mandred, dem kantigen Sympathieträger aus dem Vorgängerband, nicht stand, andererseits ergeben sich diese unterschiedlichen Charakterzüge aus der jeweiligen Vergangenheit der Figur, und aus Alfadas einen zweiten Mandred zu machen, wäre ein starker Bruch in der Entwicklung der Figur. Lässt man sich auf Alfadas ein, entwickelt er gerade durch seine Andersartigkeit zu Mandred durchaus eine eigene Faszination.

Bernhad Hennen schreibt seine Geschichte in der ihm eigenen, sehr bildreichen Sprache, die manche Leser auch von alten DSA-Romanen kennen werden. Besonders die Grausamkeiten und die rohen Manieren der Trolle werden sehr gut veranschaulicht. Dies alles trägt zur Authentizität des Romans bei, schildert es doch die Begebenheiten und Geschehnisse während des zweiten Trollkriegs. Hennens Angewohnheit, zwischen den Handlungssträngen hin und her zu springen, gefällt mir persönlich sehr gut, da die Geschichte dadurch an Abwechslung gewinnt.

Cover von Die entführte Prinzessin von Karen DuveIn der vom Verband der fahrenden Sänger herausgegebenen Liste heiratsfähiger Königs- und Fürstentöchter entdeckt der siebzehnjährige Prinz Diego von Baskarien die Beschreibung Prinzessin Lisvanas vom Nordland. Sie wird für ihre Schönheit gepriesen und Prinz Diego ist hin und weg. Die kümmerliche Mitgift stört ihn nicht im geringsten, denn Diegos Familie schwimmt in Geld. Lisvana ist die Liebe seines Lebens, das weiß er, und so macht er sich mit seinem Vater auf ins Nordland, um die holde Prinzessin heimzuführen. Unglücklicherweise kommt es zwischen Prinz Diego und Ritter Bredur, einem anderen Verehrer der Prinzessin zu einem Zwischenfall und König Rothafur verweigert infolgedessen Diego die Hand der Prinzessin. Prinz Diego sieht nur noch einen Ausweg: Er muß Lisvana entführen.

-Es war einmal ein Königreich, das hieß Snögglinduralthorma oder so ähnlich, genau weiß das heute keiner mehr. Es wurde schon damals überall bloß “das Nordland” genannt, weil es hoch, hoch im Norden lag – dahinter wohnten eigentlich nur noch Eisbären und Robben – und weil niemand den offiziellen Namen richtig aussprechen konnte.-
Schnee und Eis

Ist es nicht wunderbar, eine Märchenprinzessin zu sein? Man wächst in einem prächtigen Schloß heran, umgeben von herrlichen Gärten, in denen die edelsten Rosen blühen. Die königlichen Eltern lesen ihrem geliebten Töchterchen jeden Wunsch von den Augen ab, man lebt in Glück und Reichtum und kann sich unter den zahlreichen Bewerbern den stattlichsten und schönsten Prinzen als Ehemann erwählen. Es sei denn, man heißt Prinzessin Lisvana und stammt aus Snögglinduralthorma. Zwar liebt König Rothafur seine Tochter und er gönnt ihr allen Reichtum der Welt, aber leider ist sein Königreich eher arm an Bodenschätzen und das unwirtliche Klima verhindert, daß die Natur sich von ihrer besten Seite zeigen kann. Trotzdem halten die Nordländer ihr Königreich für das schönste der Welt. Leider teilt der Rest der Welt diese Ansicht nicht und deshalb findet sich zunächst auch kein geeigneter Kandidat, als König Rothafur Lisvana aufgrund ihres hohen Alters von siebzehn Jahren endlich verheiraten möchte. Die Prinzessin kann so schön sein, wie sie will, ein paar Silberlöffel zweiter Wahl, zwanzig schlechte Pferde und ein Streifen faulig riechendes Moorgebiet ist den potentiellen Freiern einfach zu wenig.
Karen Duve bietet ihren Lesern eine höchst unterhaltsame Mischung aus Märchen und Heldensage, die durch Ironie und Sprachwitz besticht. Die entführte Prinzessin basiert auf der Kudrun-Sage, auch dort findet man den fahrenden Sänger, der den Hof mit seiner Kunst unterhält, es gibt ein Nordland, zwei rivalisierende Männer, die um die Hand der schönen Königstochter werben und natürlich die liebreizende Prinzessin höchstselbst- Kudrun. Wer als Kind die Heldensagen verschlungen und mit der armen Prinzessin gelitten hat, als sie im kalten Winter von ihrer bösen “Fast-Schwiegermutter” dazu gezwungen wurde, im eisigen Wasser die Wäsche zu waschen und wer Kudrun bewunderte, weil sie diese niedere Arbeit mit so viel edlem Stolz und schlichter Würde verrichtete, der wird sich wundern, denn Karen Duve entlarvt Kudruns alter ego Lisvana als eigensinnige Zicke, die sich keineswegs edel verhält, sondern höchstens albern und bockig. Überflüssig zu sagen, daß Duves Version die weitaus amüsantere ist.
Karen Duve spielt fröhlich mit Motiven aus bekannten Geschichten: Prinz Diego und Ritter Bredur machen eine Reise, die Sindbads würdig wäre, Lisvana verliert ihren Schuh wie Aschenputtel, ein Zwerg ist so reich wie König Drosselbart, ein zweiter, äußerst unheimlicher Entführer spricht mit mindestens genauso vielen “ö” wie der See-Elefant. Sie hat sich aber nicht nur von fiktiven Geschichten, sondern auch auf makabre Weise von der Historie inspirieren lassen. Der Leser erfährt, daß die Jungfer Cäcilie von Glauberach aus der Heiratsliste gestrichen worden ist, weil sie ihrer Leidenschaft fürs Tabakrauchen zum Opfer gefallen ist. Sie wurde von ihrer Mutter dabei ertappt, wie sie rauchte, versuchte die Pfeife in den Stoffbahnen ihres Rockes verschwinden zu lassen und ging dabei in Flammen auf. Dieses tragische Schicksal ereilte in Wirklichkeit 1867 die Tochter von Erzherzog Albrecht und Hildegard von Bayern, Mathilde, die mit achtzehn Jahren starb, weil sie eine brennende Zigarette aus Angst vor Strafe hinter ihrem Rücken verstecken wollte. Dabei fing der leicht entflammbare Tüll sofort Feuer und Mathilde verbrannte.
Der Roman bietet aber auch weniger tragische Anspielungen auf die Realität. So darf sich jeder von der Autorin verstanden fühlen, der unter einer lieblosen Mutter leidet, die sich lieber um ihren Garten kümmert (oder um ihre Corgies 😉 ) als um ihr Kind.
Leider ist das Ende ein wenig zu konventionell geraten. Wer so virtuos und amüsant wie Karen Duve mit den Genres Märchen, Heldensage und romantische Liebesgeschichte spielt, der hätte die Prinzessin ruhig mit dem Drachen verheiraten dürfen, der natürlich auch in diesem Roman vorkommt, anstatt mit… Ihr habt jetzt nicht wirklich geglaubt, daß ich den Schluß verrate, oder?

Das Erste Horn von Richard SchwartzDer alte Recke Havald, der beschlossen hat, sich für den Winter – oder gar seinen Lebensabend – in einem abgelegenen Gasthof einzuquartieren, gerät mit den Gästen enger aneinander, als er sich gewünscht hat: Alle Anwesenden werden während eines heftigen Schneesturmes eingeschneit. Mit Havald sind etliche Handwerker, Söldner, Händler, eine Dunkelelfe und die magiebegabte Maestra Leandra eingeschlossen. Havald befürchtet schon das Schlimmste für die Stimmung der unfreiwilligen Dauergäste, da erschüttert ein grausamer Mord die Moral. Havald als Ritter sieht sich gezwungen, mit der Maestra an der Aufklärung zu arbeiten, das Misstrauen der Gäste untereinander und ihre Gereiztheit erschweren diese Aufgabe zusätzlich.

-Die Frau verstand es, einen Auftritt hinzulegen: erst der Blitz, welcher die dunkle Gaststube durch die Ritzen der Fensterläden erhellte, dann der Donner, der die Erde vibrieren ließ. Dass sie in diesem Moment die Tür zur Gaststube aufstieß und ein kalter Luftzug die Hälfte der rauchigen Talgkerzen in der Stube erlöschen ließ, war sicherlich Zufall.-
1. Die Maestra

Der Debut-Roman von Richard Schwartz ist ein gelungenes kleines Kammerspiel, das sich wie Peter S. Beagles Klassiker Es kamen drei Damen im Abendrot komplett auf einem Gasthof abspielt, mit dem Unterschied, dass sich das Wirtshaus “Zum Hammerkopf” zu einer engen, eisigen Falle entwickelt, als die Temperaturen draußen sinken und sich Eiswände vor Fenstern und Türen türmen.
Dieses Ambiente, das sich ganz hervorragend im warm geheizten Stübchen genießen lässt, weiß der Autor meisterhaft zu einzufangen: Die beklemmende Stimmung, das langsame Abgleiten der Gäste in Gereiztheit und Ängste, die Eiseskälte, die einem direkt aus den Seiten entgegenwehen will. Da fliegen die Zeilen nur so dahin, vor allem, da sich Richard Schwartz bzw. sein aus der Ich-Perspektive berichtender alternder Held Havald als guter Erzähler entpuppt, dessen Geschichte man gerne lauscht. Mit Klischees Marke Altherrenwitz übertreibt Schwartz es allerdings, und man mag nicht immer die Augen zudrücken, nur weil es vielleicht zur Figur passt, denn jegliches Gegengewicht fehlt.

Schon der Aufbau der Geschichte – Mord im Gasthaus – erinnert ein wenig an ein Rollenspielabenteuer, und von der ersten Seite an werden auch munter und relativ unreflektiert diesbezügliche Stereotypen aufgefahren: Dunkelelfen, Mithril-Rüstungen und andere magische Artefakte erinnern deutlich an das Inventar einer allumfassenden Standard-Fantasy-Welt. Und auch andere Elemente der Handlung erscheinen etwas wahllos aus den üblichen Versatzstücken zusammengeschustert, etwa die obligatorische Liebesgeschichte, und die magielastige Lösung des Falles. Dennoch bekommt man vor allem gegen Ende des Bandes ein wenig Ausblick auf den Hintergrund der Welt und hin und wieder ein paar ganz eigene Einsprengsel, so dass man gespannt abwarten kann, ob sich im zweiten Band in dieser Richtung noch mehr entwickelt, wenn die Geschichte das eingeschränkte Areal des Gasthofes verlässt.

Sprachlich ist Richard Schwartz ein angenehmer Erzähler, der Stimmungen hervorragend vermitteln kann, nur ab und an knirscht es ein wenig – vor allem der Anglizismus “Sinn machen” stößt in der sonst ganz dem alten Erzähler angepassten Sprache sauer auf, und das alle paar Seiten wieder.
Leichte Enttäuschung bereitet auch das etwas simpel gestrickte Ende, denn man hätte sich nach so viel herrlichem Ambiente vielleicht ein wenig mehr Hintergrund und ein wenig mehr Ausführlichkeit erwartet. Als Auftakt und zum Einstieg in eine neue Serie ist Das Erste Horn aber definitiv eine Empfehlung wert, denn es lädt dazu ein, einen Blick in den nächsten Band zu werfen und ist eine vergnügliche, wenn auch etwas unoriginelle Unterhaltungslektüre, die vor allem durch die eisige Atmosphäre und eine größtenteils sehr angenehme Erzählstimme besticht.

Der Feuerthron von Diana WolrathMera lebt mit ihrer Mutter auf der blauen Insel Ilyndhir. Doch als die finsteren Gurrländer von der schwarzen Insel, die unter der Macht eines magischen Artefakts – des Feuerthrons – stehen, immer aggressiver vorgehen und die Inselwelt erobern, findet dieser Friede ein jähes Ende. Meras Ziehbruder Girdhan stammt von einer Insel, die dem schwarzen Reich zugeordnet wird. Als die gurrländische Flotte Ilyndhir angreift, wollen die Fischer und Kaufleute ihren Zorn an Girdhan auslassen, und Mera ist gezwungen, mit ihm zu fliehen. Die beiden fassen schließlich den Plan, den Feuerthron zu zerstören, um dessen dunklen Einfluß auf das Volk der Gurrländer zu brechen. Zum Glück entdeckt Mera ihre magischen Fähigkeiten.

-Hannez sah, wie der Knoten des Taus aufging, mit dem das Segel eben neu aufgezogen worden war, konnte aber nicht mehr tun, als “Vorsicht!” zu schreien.-
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Was schon bei Tolkien funktioniert hat, kann so falsch nicht sein, und deshalb schicken Autoren allzu gerne kleingeratene (oder in diesem Fall kindliche) Helden auf geheimer Mission mitten hinein ins Feindesland, wo sie in einem aus allen Völkern buntgemischte Trüppchen das finstere Artefakt vernichten sollen. Dunkle Herrscher rechnen nicht mit solchen Kamikaze-Attacken und sind überhaupt schwer damit beschäftigt, ihre Eroberungsfeldzüge voranzutreiben, weswegen gewisse Erfolgschancen für die Eindringlinge existieren. Außerdem stehen den Helden im Fall von Der Feuerthron die ätherisch-unsterblichen Runländer etwas widerstrebend zur Seite und dürfen ein wenig erhaben-elbisches Flair verbreiten.
Nun muss aber unoriginell nicht unbedingt auch uninspiriert heißen, und die Verlegung der Geschichte auf ein im wahrsten Sinne des Wortes kunterbuntes Inselarchipel verspricht zunächst einmal viele Farbtupfer und mit den bodenständigen jungen Helden ein solides (Seefahrt-)Abenteuer mitsamt dem Abbau von Vorurteilen, wenn sich die Mannschaftsmitglieder verschiedenfarbiger Nationen wider Willen zusammenraufen müssen.
Eine Coming-of-Age-Geschichte will man Der Feuerthron, das erste (abgeschlossene) Abenteuer auf der Inselwelt Runia von Diana Wolrath (dem Jugendbuch-Pseudonym von Iny Klocke und Elmar Wohlrath) nicht einmal nennen, denn dazu bleibt der Roman thematisch zu unfokussiert und kommt nicht über die reine vordergründige Handlung hinaus, bei der das Erwachen magischer Kräfte in der Hauptfigur nur einer von vielen Aspekten ist.

Blaue, schwarze, violette, weiße, gelbe und grüne Nationen bevölkern das Archipel, ihre Kultur und ihr Charakter richten sich nach der Farbe des jeweils angebeteten Mondes und der diesem zugeordneten Gottheit. Und das war es dann auch schon mit dem Weltenbau – auf der Insel der Blauen ist vieles blau, Mitglieder aus Völkern, die einer Gegenfarbe angehören, streiten sich zwangsläufig, bestimmte Charaktereigenschaften sind mit Farben verbunden, und auch die Magie hängt direkt mit der Farbzugehörigkeit der Figuren zusammen.
Für eine plastische, lebendige Welt reicht es jedoch nicht aus, den Pinsel einmal tief in den Farbkasten zu tauchen und dann eine Runde Malen, pardon, Schreiben nach Zahlen zu veranstalten. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird man der farbigen Motivationen und Erklärungen für Ereignisse schneller überdrüssig, als man „Gegenfarbe“ lesen kann.

Ähnlich geradlinig wie der Weltenbau wird auch die Handlung abgespult, die schwierigeren Themen wie etwa die Deportation von Flüchtlingen in Lager und die Suche der bedrängten blauen Nation nach einem Sündenbock werden lediglich angerissen, was aber in einem Jugendbuch, das auch mit dem Einsatz von stark stereotypen Figuren und einer sehr einfach gehaltenen Sprache wohl eher unerfahrene Leser ansprechen soll, soweit verständlich ist.
Wäre da nicht, nebst ein paar sprachlichen Schnitzern wie falsch verwendeten Konjunktionen, das Ende. Wer sich wirklich nicht ganz sicher ist, ob die jungen Helden es schaffen werden, den finsteren Herrscher zu vernichten, sollte sich den nächsten Absatz aufgrund von leichter Spoilergefahr sparen – und am besten gleich auf das ganze Buch verzichten, das mit einer moralisch schlicht unvertretbaren Lösung aufwartet:

Da erobert also ein Haufen Kinder das übermächtige, böse Artefakt namens Feuerthron, mit dem man Menschen manipulieren kann (z.B. dazu, gegen die restlichen Nationen einen Eroberungskrieg zu führen). Anders als dem Einen Ring kann man dem Feuerthron aber mit etwas Abrakadabra den “bösen Geist” austreiben; was bleibt, ist ein überaus mächtiges Artefakt. Und im fluffig-perfekten Schlusswort sitzen die Kinder auf dem Feuerthron und machen sich daran, das Insel-Archipel wieder in Ordnung zu bringen – und zwar mittels ‘sanfter’ Beeinflussung der Menschen durch die Macht des Artefakts, damit diese sich friedlich und geordnet dem Wiederaufbau widmen und auch ordentlich anpacken, wenn es was zu tun gibt. Und das alles ohne die leiseste Kritik oder Frage, ob so eine Beeinflussung der Massen im Sinne der Herrscher wirklich eine gute Idee ist.

Da staunt man nicht schlecht, wenn ein Jugendbuch so offen dafür eintritt, andere zu ihrem Glück zu zwingen, und es macht aus einem wenn auch nicht ganz durchschnittlichen, so doch sicher lesbaren Abenteuer ein Unding. Da werfen wir lieber noch einmal den Ring ins Feuer des Schicksalsberges …

Flammenbucht von Markolf HoffmannEs scheint, als werde der Kontinent Gharax innerhalb kürzester Zeit in Trümmer fallen, denn die Menschen haben den angreifenden Goldéi kaum etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil verfangen sie sich in ihren eigenen Intrigen – Bürgerkriege und Machtgerangel sind an der Tagesordnung. Die geheime Sekte der Mondjünger verfolgt ebenso wie die Priester der Kirche Tathrils eigene Pläne. Hinter alledem steht eine uralte Schuld und ein uralter Zwist, ein Geflecht aus Lügen, das keiner der Beteiligten zu durchschauen vermag. Im Mittelpunkt stehen die Quellen, die den Zauberern jahrhundertelang magische Macht verliehen haben, und um die nun ein langwieriger Kampf entbrennt.

-Ist jede Stadt, von Menschenhand errichtet, dem Untergang geweiht? Kündigt sich, wenn Stein auf Stein geschichtet und Balken auf Balken gezimmert wird, bereits die Stunde an, in der dieses Bauwerk sein gewaltsames Ende findet, in der ein Feuersturm die Mauern zermürbt und zum Einsturz bringt?-
Prolog

Als Markolf Hoffmann die LeserInnen nach Gharax zurückkehren lässt, ist das Zeitalter der Wandlung voll im Gange. Der direkte Einstieg in die komplexe Geschichte ist nach einer längeren Pause ein wenig haarig, wird aber von einem exzellenten Prolog versüßt, der einem schnell die Vergangenheits- und Gegenwarts-Handlung nahebringt. In dieser Erzählung darüber, wie Städte fielen und wie Städte fallen, treten bereits die beiden großen Stärken des Autors zutage: Das kunstvolle Verflechten einzelner Handlungsstränge zu einem größeren Ganzen und eine Sprache, die nicht vor Experimenten zurückscheut.
Es ist ein feines Gespinst, das Markolf Hoffmann hier präsentiert. Schnell bemerkt man, dass im ersten Band die Figuren lediglich ins Spiel gebracht und an ihren Platz manövriert wurden, und dass das Drama nun erst richtig in Fahrt kommt. Immer wieder gibt es Überraschungen, Ereignisse, die einander bedingen oder beeinflussen, ohne dass man es geahnt hätte, und die Flammenbucht weniger zu einer linearen Aneinanderreihung von Szenen als zu einem dicht verwobenen Gesamtkunstwerk machen, dessen Ausmaße und Wechselwirkungen dem Leser erst nach und nach bewusst werden.

Zusätzlich kann man auch noch auf der ganzen Länge des Buches in schöner Sprache schwelgen. Hoffmann erzählt teils sehr poetisch und in schönen Bildern – er verliert sich aber nie darin, so dass ein dichter Erzählstil und die Spannung erhalten bleiben. Obwohl viel älterer, ungebräuchlicher Wortschatz verwendet wird, klingt es niemals anachronistisch, sondern wirkt an einigen Stellen durchaus experimentell. Mit dieser Mischung meistert Hoffmann sowohl Kampf- als auch Liebesszenen und hat Zugang zu epischer Breite, aber auch schwankartiger Komik.
Dass man nun mitunter auch herzlich lachen kann, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Das Zeitalter der Wandlung weiterhin eine kühle Distanz zu den LeserInnen wahrt. Mancher Protagonist offenbart im zweiten Band menschlichere Züge, aber auch Flammenbucht bleibt ein sprödes, nicht ganz ohne Mühen zugängliches Buch.

Falls nun der Eindruck entstanden ist, Flammenbucht wäre ein allzu vergeistigtes Vergnügen, kann allerdings Entwarnung gegeben werden. Bei aller Kunstfertigkeit und Experimentierfreude ist Markolf Hoffmann ein guter Geschichtenerzähler, der es versteht, Einzelschicksale mit den Fährnissen einer ganzen Welt zu verknüpfen. Es ergeben sich im Laufe der Handlung etliche Bilder vom großen Zusammenhang, und viel Spannung wird aus der Spekulation gezogen, was nun wirklich auf Gharax vor sich geht.

Flammenwüste von Akram El-BahayDas Sultanat Nabija macht schwere Zeiten durch: Nicht genug damit, dass der finstere Sarraka die Beduinen zur Rebellion aufstachelt, seit kurzem häufen sich auch noch Berichte über Drachenangriffe. Dem jungen Anûr und seinem Großvater Nûr ist das nur recht, finden sie jetzt doch als Geschichtenerzähler ein dankbares Publikum für die alten Drachensagen. Als sogar der Sultan Nûr zu sich bestellen will, gibt der unternehmungslustige Anûr sich spontan selbst für den berühmten Erzähler aus und ahnt nicht, was er sich damit einhandelt: Bald findet er sich an der Seite des Prinzen Masul auf Drachenjagd wieder und muss erkennen, dass in der Wüste noch ganz andere Gefahren lauern …

“Die Flammen loderten auf, als der Kaffeemeister das langstielige Mokkakännchen von der Feuerstelle nahm. Rasch füllte er die tiefschwarze Flüssigkeit in eine kleine Tasse und bahnte sich mit ihr seinen Weg durch die dichte Menschenmenge, die sich im hinteren Teil des Kaffeehauses versammelt hatte.”
(1. Eine folgenschwere Entscheidung)

Flammenwüste – dem relativ offenen Ende nach zu urteilen wohl als Auftakt zu einer Reihe gedacht – ist ein charmanter All-Age-Roman, der mit sympathischen Helden und einer ansprechenden orientalischen Kulisse angenehme Unterhaltung bietet und der altvertrauten Handlung um den jugendlichen Auserwählten, der in eine gefährliche Queste hineinstolpert, neues Leben einhaucht. Dass es hier und da ein paar kleine sprachliche Unebenheiten gibt (z.B. häufig “scheinbar” statt “anscheinend”), verzeiht man deshalb gern.
Der märchenhafte Orient, in den Akram El-Bahay einen entführt, erinnert an die Welt von Tausendundeiner Nacht und bezaubert einen von der ersten Seite an durch seine liebevolle Ausarbeitung, die den Streifzug durch Souk und Kaffeehaus, Sultanspalast und Oasen auch unabhängig vom Plot sehr vergnüglich macht. Wann immer die Helden sich zum Essen niederlassen, werden die Gaumenfreuden so greifbar heraufbeschworen, dass man als Leser Gefahr läuft, selbst Appetit zu bekommen, und den mehrfach eingeflochtenen Geschichten in der Geschichte würde man selbst gern am Lagerfeuer oder in einem üppigen Garten voller Jasminblüten lauschen.
Klug ausgenutzt ist vor allem der Kontrast zwischen der städtisch geprägten Zivilisation und der wilden Wüste, in der nicht nur bedrohliche Naturphänomene (wie etwa Sandstürme) auf die Reisenden warten, sondern neben Dschinnen, Ifriten und nach dem Prinzip Ameisenlöwe unter dem Treibsand auf menschliche Beute lauernden Ghoulas auch aus Ängsten erschaffene Schattenwesen ihre Heimstatt haben. Auch die entlegenen Wüstenstädte, in die Anûrs Weg führt, warten mit vielen netten Details auf. Besonders die Bibliothek der ungeschriebenen Bücher, in der magisch jedes Buch Gestalt annimmt, das jemand zu schreiben gedenkt, aber noch nicht geschrieben hat, ist eine reizvolle Idee, die zudem das Gewissen jedes Lesers beruhigen dürfte, der selbst literarische Ambitionen hegt, aber nicht allzu diszipliniert bei der Sache ist.
Ohnehin gibt es zwischen allen Abenteuern immer wieder viel Anlass zum Schmunzeln, da Anûr und die Gefährten, die er im Laufe der Zeit gewinnt, ein lustiges Gespann bilden und auch manche Gegenstände, allen voran ein ebenso nützlicher wie unberechenbarer fliegender Teppich, so etwas wie rudimentäre Charakterzüge entwickeln. Auch eine Liebesgeschichte für Anûr darf natürlich nicht fehlen, und wie er sich, ganz schüchterner Teenager, der oft herrlich pragmatisch handelnden und wenig von übertrieben romantischen Vorstellungen belasteten Botin Shalia annähert, ist ebenfalls recht amüsant erzählt.
Ernster ist dagegen der zweite Handlungsstrang um den Thronfolger Masul aufgebaut, der den alten Erzählungen über Drachen und Magie zunächst äußerst skeptisch gegenübersteht, aber bald erkennen muss, dass doch mehr Wahrheit darin steckt, als er sich je hätte träumen lassen. In seinen Interaktionen mit dem Finsterling Sarraka gewinnt dieser erstaunlich viel Kontur für einen Fantasyschurken, so dass man sich bald schon auf seine Auftritte freut.
Differenziert gezeichnet sind auch die Drachen selbst, deren Verhältnis zu Menschen bzw. menschenähnlichen Wesen zahlreiche Facetten aufweist, so dass ihre Rolle sich weder auf die des todbringenden Ungeheuers noch auf die des willfährigen übergroßen Haustiers reduzieren lässt. Fast könnte man übrigens bedauern, dass das Cover nur einen Drachen in gewöhnlicher Haltung zu bieten hat, statt einen zu zeigen, der wie eine Fledermaus von der Decke hängt, denn von solch hübschen Einzelheiten lebt die Darstellung der Fabelwesen bei El-Bahay.
Dementsprechend freut man sich, wenn am Ende des Romans – wie in Eingangsbänden üblich – zwar die Schlacht, aber nicht der Krieg entschieden ist, durchaus auf eine Rückkehr nach Nabija, wenn irgendwann das nächste Buch der Serie erscheint. Wer entspannende und unterhaltsame Lektüre sucht, die sich gut “wegliest”, kann mit der Flammenwüste nicht viel falsch machen.

Das Flüstern zwischen den Zweigen von Markolf HoffmannDie acht Kurzgeschichten dieser Sammlung führen nicht selten in den Wald, immer in eine ferne Welt und Zeit, und ihren Heldinnen und Helden steht eine Begegnung mit dem Fremden und Unbehaglichen bevor: mit Dämonen, Elfen, Druiden und nicht zuletzt menschlichen Abgründen.

-Die Jagd liegt meiner Familie im Blut. Mein Urgroßvater, so steht es in den Chroniken, zog mit dem Speer durch die Wälder und erlegte Bären und Wölfe.-
Meine Jagd

Fantasy-Kurzgeschichten finden in den großen Verlagen so gut wie gar nicht statt und haben außerdem mit einer Menge Vorurteile zu kämpfen, die ihnen jegliche Wirkmacht absprechen, wenn sie sich erzählerisch nicht in epischer Breite entfalten können. Die Kurzgeschichten-Sammlung Das Flüstern zwischen den Zweigen ist dagegen nicht nur ein starkes Argument, sondern fährt auch sämtliche Tricks und Kniffe auf, um die Probleme, die bei klassischer Fantasy in kurzer Form vielleicht entstehen könnten, gar nicht erst aufkommen zu lassen.
An erster Stelle steht dabei ein sein Handwerk spürbar beherrschender Erzähler – Markolf Hoffmann, einer der wenigen deutschen Fantasy-Autoren, die man gut im Auge behalten sollte, präsentiert nicht nur dramaturgisch hervorragend konstruierte Geschichten, in denen kein Wort zu viel steht, sondern findet sich auch mühelos in die formal und stilistisch unterschiedlichen Herangehensweisen ein, am häufigsten in verschiedene Ich-Erzähler. Die Sprache ist dabei insgesamt ein wenig zurückgenommener als in Hoffmanns Zyklus Das Zeitalter der Wandlung, dafür gibt es jedoch großartige Sätze, von denen man bisweilen einen nach dem anderen als funkelnd-schönes Zitat markieren möchte.

Der thematische Schwerpunkt der Sammlung liegt auf dem Wald, und auch wenn sie hin und wieder von dort abschweift wie in den alles andere als romantisierten Räubermemoiren Am Strand, kreisen die Geschichten meistens doch um den Konflikt zwischen Natur und Kultur, die Ablösung von Altem, Lebensrhythmen und das Zurückdrängen des Ursprünglichen (das sich aber häufig ohne moralische Einordnung einfach als fremder erweist, nicht unbedingt als besser).
Damit stellt Hoffmann ein mindestens seit Tolkien bewährtes Fantasy-Narrativ auf den Kopf, das sogenannte “Thinning”, bei dem die Magie und das ursprüngliche Wesen der Welt schwinden und nur eine verminderte, profanere Realität zurückbleibt. Und dabei bleibt es nicht, denn Das Flüstern zwischen den Zweigen bedient sich etlicher vertrauter Motive und Strukturen, die in der düsteren, hoffnungslosen Welt, die das gemeinsame Setting der meisten enthaltenen Geschichten bildet, uminterpretiert werden.
Elfen, Faune, Feen, Dryaden und andere Waldbewohner stehen für die düstere, verrottende Seite des Waldes; harmlose Ausgangslagen, die jedem Rollenspieler wohlbekannt sein dürften, wie etwa die Schatzjagd, die in Die Kerker von Abîme führt, verkehren sich rasch in etwas Zwanghaftes und Ungewolltes. Die unvorhersehbaren Folgen des eigenen Handelns führen immer wieder in die Katastrophe, bei wohlmeinenden Aktionen wie in der hervorragenden titelgebenden Geschichte ebenso wie bei pragmatisch-egoistischen Ansätzen wie in der ebenfalls grandiosen Eröffnungserzählung Meine Jagd, was auch vordergründig moralisch überlegene gute Absichten auf bitterböse Weise entlarvt.

Positive Enden wird man hier eher nicht finden, Schweigen und Weitermachen ist vielleicht das Beste, was man erwarten kann – genauso wenig, wie “echte” Helden auftauchen, denn sogar diejenigen, die es in den Augen der Leser und Leserinnen vielleicht sein könnten, wie der naive, aber gutherzige Ludger, der in Feenholz eine richtige Entscheidung treffen möchte, werden letztlich nicht unbedingt belohnt.
Das finstere, von neu interpretierten alten Bekannten bewohnte Setting, das ein wenig an die Geralt-Geschichten von Andrzej Sapkowski erinnert, verweist auf eine unbekannte Vorzeit, in der der Mensch den Wald schon ein Stück weit verdrängt hat, aber auch auf Ruinen zurückbleibt – Das Flüstern zwischen den Zweigen ist also alles andere als Wohlfühl-Fantasy. Da Schaudern und Spannung stets gut Hand in Hand gehen, sollte das kein Hinderungsgrund sein, in die abwechslungsreichen Waldwelten Markolf Hoffmanns einzutauchen.

In seinem Vorwort zur Sammlung liefert Jakob Schmidt bereits einige analytische Ansätze, um sie dann gleich wieder abzuwehren, deshalb soll es nun auch bei einer letzten Beobachtung bleiben: Mit Fabelwesen, RPG-Zutaten und Motiven aus der Fantasy-Tradition, die aber stets weiterentwickelt und verändert werden, fügt Markolf Hoffmann in Das Flüstern zwischen den Zweigen dem (allzu?) Vertrauten wieder das Unbehagliche hinzu und erzählt Geschichten mit den äußeren Kennzeichen der klassischen Fantasy im Modus der Phantastik, denn der Schwerpunkt liegt auf dem Fremdheitsgefühl und dem Ausgesetztsein. Das ist ein effektiver Kniff, um der Fantasy Kürze angedeihen zu lassen, vor allem bei einem talentierten Erzähler wie Markolf Hoffmann.

Cover von Frostfeuer von Kai MeyerMaus lebt seit ihrer Geburt im Edelhotel Aurora in St. Petersburg, das sie noch nie verlassen hat. Alle anderen Bediensteten nennen sie den “Mädchenjungen”, weil sie sich schon immer als Junge gegeben hat, um im Hotel bleiben zu dürfen. Außer dem Eintänzer Kukuschka gibt es niemanden, an den sich Maus wenden kann. Besondere Angst hat sie vor dem “Rundenmann”, der jeden der Bediensteten kontrolliert. Sie ist als Schuhputzerin angestellt und stößt eines Abends auf ein seltsames Schuhpaar, das zu einer überirdisch schönen Dame gehört. Zur gleichen Zeit findet sich eine weitere ausgefallene Gestalt ein: Tamsin Spellwell, die mit ihrem blauen Haar und ihrem Temperament, das so wild ist wie ihre Kleidung, das Hotel auf den Kopf stellt.

-“Guten Tag, Väterchen Frost.” Der Mann blickte auf. Für einen Augenblick schwand sein Lächeln, weil jemand es wagte, ihn bei der Fütterung der Flocken zu stören. Dann aber erkannte er die Frau, die ihn angesprochen hatte. Sein Lächeln kehrte zurück. “Lady Spellwell?”, fragte er. “Tamsin Spellwell?” Eine Frau war aus dem Schneetreiben getreten wie ein kunterbuntes Gespenst.-
Das Kapitel, in dem die wahre Heldin dieser Erzählung noch gar nicht auftritt

Nach Venedig und der Karibik führt der nächste große Jugendroman von Kai Meyer nun nach St. Petersburg. Aber nicht die Stadt selbst bildet die Kulisse für die phantastische Geschichte, sondern das Hotel Aurora. Und dieses Hotel hat Kai Meyer zu einer eigenen Welt gemacht und bemerkenswerte Figuren darin angesiedelt. Das Russland der Zarenzeit zeigt sich in aller Pracht, die allerdings eine schäbige Rückseite hat: Überall finden sich versteckte Türen in einen toten Flügel des Hotels und in den Kellern gibt es Spalten und Nischen, die Maus ein Zuhause geben. Kukuschka und der Rundenmann sind wie der Gut- und Bösepol in Maus’ Leben – so lebhaft, fröhlich und fürsorglich der eine gestaltet ist, so grobschlächtig, kalt und bedrohlich wirkt der andere. Ihre wahren Identitäten sind von Anfang an fraglich; eine überraschende Klärung wartet am Ende der Geschichte. Die Schneekönigin und Tamsin bleiben in ihrer Persönlichkeit und Herkunft immer etwas unscharf, aber das unterstützt nur ihre wundersamen Erscheinungen. Vor allem Tamsin und ihre zaubertüchtigen Utensilien sind eine skurrile, schillernde Bereicherung der Geschichte. In typischer Meyer-Manier muss natürlich noch eine Passage eingebaut werden, die das Grauen auf die Spitze treibt: Was Maus in Tamsins Zylinder erlebt, ist nur den Hartgesottenen unter den Zwölfjährigen zuzumuten, für die das Buch laut Verlag schon geeignet ist. Im Laufe des Romans wird Maus auch mit ihrer größten Angst konfrontiert: Sie muss sich aus dem Hotel hinaus begeben. Ihre krankhafte Panik vor der Außenwelt wird so eindrucksvoll geschildert, dass man in den entsprechenden Szenen das Buch absolut nicht mehr aus der Hand legt. Und die begründete Angst, in den Himmel zu fallen, sobald man einen sicheren Innenraum verlässt, jagt wohl jedem einen Schauer über den Rücken, der sich das als Kind schon mal ausgemalt hat. Vor solchen Ideen sprudelt der Roman über – und wer immer gelacht hat, wenn Kinder sich unsichtbar zu machen versuchen, indem sie einfach ganz fest die Augen schließen, der sollte ihn dringend lesen!

Cover von Der Funke des Chronos von Thomas FinnDer Medizinstudent Tobias bekommt die Möglichkeit, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit Hamburgs zu reisen und gelangt ins Jahr 1842. Eine unheimliche Mordserie erschüttert gerade die alte Hansestadt, und Tobias stört durch sein plötzliches Auftauchen den Mörder bei der Beseitigung eines Opfers. Die Ereignisse überschlagen sich und Tobias muss die Zeitmaschine zurücklassen. Am nächsten Tag ist sie verschwunden. Auf der Suche danach gerät er ins Visier des Mörders und stößt bei seinen weiteren Nachforschungen auf den Dichter Heinrich Heine. Die beiden werden zu unfreiwilligen Verbündeten und jagen (jeder aus eigenen Motiven) den Mörder.

-Die Knochen splitterten wie brüchiges Glas, als die Droschke über den Katzenkadaver rollte. Soeben läutete das Uhrwerk der Michaeliskirche zur zwölften Nachtstunde. Mit dem zweiten Glockenschlag wurde der ausgedörrte Tierleib emporgewirbelt und landete auf dem schmalen Trottoir der Admiralitätsstraße, die bis hinunter zum Schaarthor mit Abfällen übersät war.-
(Menetekel, Hamburg 1842, Nacht des 2. Mai, 4 Minuten nach Mitternacht)

Thomas Finn arbeitet mit einem Handlungsstrang, der sich mit hohem Tempo vor dem Leser entrollt, und in zwei Zeitebenen unterteilt ist: Die Geschichte beginnt zunächst im Jahr 1842, danach wird Leser in den nächsten drei Kapiteln in die Gegenwart (in das Jahr 2006) versetzt, um dann mit der Feststellung Tempus fugit wieder ins Jahr 1842 zurückzukehren.
Finn ist es – vor allem auf Grund der gründlichen Recherchen in den Archiven und Bibliotheken seiner Wahlheimat Hamburg – sehr gut gelungen, ein stimmiges Bild der Hansestadt zur Biedermeierzeit zu zeichnen. Die Geschichte entführt den Leser in die Tage kurz vor und nach dem Ausbruch des Großen Brandes in der Nacht zum 5. Mai 1842. Dass die Ursache des Brandes bis heute nicht geklärt ist, nutzt der Autor geschickt, um seine Erklärung dafür zu finden und sie hier erzählen …

Das historische Hamburg mit seinen windschiefen Holz- und Fachwerkhäusern, seinen winkligen Gassen und verruchten Ecken ist äußerst lebendig gestaltet und die Menschen, die diese Straßen, Gassen und Marktplätze bevölkern, sind mit wenigen gut gewählten Worten treffend geschildert. Gerade an den Nebenfiguren merkt man, wie viel Liebe in der Gestaltung des Romans steckt: Der Autor gibt seiner Geschichte nämlich noch zusätzlich Authentizität, indem er vor allem in der wörtlichen Rede Dialekte benutzt, und da die Handlung in Hamburg und Umgebung angesiedelt ist, wird häufig das Hamburger Platt verwendet. Dadurch wirken die sozialen Milieus deutlich näher, als durch eine durchgängige Verwendung der hochdeutschen Schriftsprache.

Es kommen noch andere Dialekte vor und Leser, die mit ihnen nicht vertraut sind, könnten mit diesen Textpassagen evtl. Schwierigkeiten haben, aber geschriebenes “Platt” (oder die anderen Dialekte) lassen sich auch ohne “Sprachkenntnis” ganz gut entziffern und wenn Wörter wirklich für Außenstehende nicht mehr zu verstehen sind, werden sie vom Autor in einer kleinen Fußnote erklärt.

Thomas Finn scheint seine Wahlheimat wirklich zu lieben – denn dieses Buch ist eine einzige Liebeserklärung an die alte Kaufmannsstadt, aber auch eine Hommage an den britischen Schriftsteller H. G. Wells: Die Beschreibung der Zeitmaschine zu Beginn der Geschichte kommt jedem sofort bekannt vor, der den Film Die Zeitmaschine aus dem Jahr 1960 gesehen, oder vielleicht sogar Wells 1904 erstmals auf deutsch erschienenes Buch gelesen hat.

Cover von Die Gärten der Löwin von Hans BemmannEine junge Studentin erzählt ihrem Geliebten aus ihrer Vergangenheit. Dabei greift sie auf die Märchen zurück, die ihr Großvater einst erzählt hat. Die Heldin dieser Märchen ist die Königstochter Herod, mit der sich die Studentin immer mehr identifiziert, bis Realität und Phantasie zusammenfließen.

-Das Bild, mit dessen Beschreibung ich meine Geschichte anfangen will, zeigt den Ausschnitt einer Landschaft.-
Gärten und Wälder

Hans Bemmann erzählt in einer sehr schönen poetischen Sprache das Märchen von der Königstochter Herod, die eines Tages den Hof ihres Vaters verläßt und auf ihrer Reise viele Abenteuer bestehen muß. Sie trifft auf Riesen, Menschenfresser, vielköpfige Ungeheuer und böse Zauberer, aber auch immer wieder auf sprechende Tiere, die ihr hilfreich zur Seite stehen. Wie die junge Studentin kann auch der Leser mühelos in diesem Märchen versinken und sich in die Figur der Herod hineinträumen.
Die Erzählerin benutzt in der Realität diese Geschichten, um sich über das Wesen der Menschen klar zu werden und um ihrem Geliebten ihre Gefühle zu offenbaren. Und da ist der Haken des Romans. Sobald sich die Geschichte der Realität zuwendet und die Botschaft sich nicht mehr hinter den Bildern des Märchens verbirgt, sondern die junge Frau ganz offen über die Beziehung zwischen den Geschlechtern und über die Menschen philosophiert, merkt der Leser sehr schnell, daß sich hinter der Ich-Erzählerin keineswegs eine junge Studentin verbirgt, sondern ein älterer Herr, dessen Frauenbild aus den Fünfzigern stammt und der eine Abneigung gegen den Feminismus hegt. Bemmann möchte seine allen Gefahren trotzende, unabhängig denkende Herod nicht als frühe Emanze mißverstanden wissen und macht dies gleich am Beginn der Geschichte klar, indem er die Ich-Erzählerin sagen läßt, daß ihr Großvater sie ermuntert hat, “meine weibliche Eigenart… durchzusetzen… Und diese Erinnerung hat mich stärker beeindruckt als jene viel später aufgenommenen, von Frauen geäußerten feministischen Parolen.” Obwohl Die Gärten der Löwin zum ersten Mal 1993 veröffentlicht wurde, ist die reale Welt in diesem Roman die Welt der fünfziger Jahre, dies merkt man auch daran, wie der Autor das Land Italien beschreibt. Man tritt mit falschen Erwartungen an diese Geschichte heran, wenn man glaubt, einen Schlüsselroman über eine junge Frau der Gegenwart in der Hand zu halten.
Wenn man aber im Blick behält, daß Hans Bemmann tatsächlich ein älterer Herr war als Die Gärten der Löwin veröffentlicht wurde, dann wirkt der Roman authentisch und vermittelt einen liebenswerten altmodischen Charme.

Cover von Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz von Ralf IsauDer junge und zögerliche Karl Konrad Koreander möchte die Nachfolge des Herren Trutz in dessen Antiquariat antreten. Doch schon beim ersten Gespräch läuft etwas schief: Es fehlt die Unterschrift unter der Generalvollmacht. So macht sich Karl auf, den plötzlich verschwundenen Herrn Trutz zu suchen. Der junge Mann entdeckt, daß es eine geheime Bibliothek im Antiquariat gibt und diese der Zugang zu einer anderen Welt ist – Phantásien. Der Alte hat dort einen wichtigen Posten, er ist Meisterbibliothekar und Karl ist sein designierter Nachfolger! Aber aus der Bibliothek, die zu den Grundpfeilern Phantásiens gehört, verschwinden Bücher und lassen die “Leere” zurück, deren Ausbreitung nicht nur die Bibliothek, sondern ganz Phantásien bedroht…

-Im Zaudern machte ihm so schnell keiner etwas vor. Karl war ein Experte im verschleppen von Entscheidungen. An diesem Abend sollte sein Talent indes auf eine harte Probe gestellt werden…-

Wie schon das Werk Die unendliche Geschichte (DuG), welche zu diesem inspirierte, spielt die Geschichte einerseits in der “Realität” und andererseits in Phantásien. Die wenigen Szenen der “Realität” sind auf das Antiquariat des Herren Trutz und Umgebung zentriert. Da die Stücke in den späten 30ern des letzten Jahrhunderts spielen, wird dem Leser die “Realität” nicht nahe gebracht. In seinem Phantásien versucht der Autor an das von Michael Ende anzuknüpfen. Einige aus DuG bekannten Orte und Personen werden zwar erwähnt, aber nur zwei Figuren begegnet man wieder. Isau schafft statt dessen Neues, allerdings bleibt er in punkto Kreativität hinter Ende zurück. So schafft er nur etwa ein Drittel der Anzahl von Orten, die in DuG bereist werden; aber sie reichen auch, was den Fantasiereichtum angeht, nicht alle an die Originalschauplätze heran. Der Schwarze Elfenbeinturm ist etwa genau das: nämlich ein finsteres Spiegelbild des Elfenbeinturms der Kindlichen Kaiserin. Der Wald des Vergessens ist eine interessante Idee: Wer hier hineingerät, der wird sich unweigerlich verlaufen, denn er vergißt sich selbst. Leider werden der Wald und seine Auswirkungen nicht näher beschrieben, so daß es bei ein paar Worten bleibt. Die Wolkenburg des König Kumulus IL. scheint mir dagegen durchaus gelungen zu sein; sie besteht aus so leichten Materialien, daß ein Funke das Schloß in einer Stichflamme zergehen und allzu lautes Sprechen die bunten Fenster zerbersten lassen kann, denn diese bestehen aus dem Atem von Elfen. Nimmt man etwas wahrhaft gewichtiges mit, so droht die Wolkenburg abzustürzen.

In der bloßen Zahl der neuen Wesen in Phantásien dürfte Isau Ende gleichkommen, doch neigt er zu albernen Wortspielen – so gibt es Bücherwürmer, Brillenschlangen, Leseratten und Luftikusse als Phantasiewesen, die die Menschen zu entsprechenden Wortschöpfungen inspiriert haben. Auch in Sachen Einfallsreichtum bleibt Isau zurück. So ist der Bücherdrill Alphabetagamma eine Art lebender Bleistift, der sich rasch durch Bücher bohrt um deren Inhalt zu erfassen. Der Briefgreif Huschhusch ist einfach nur ein großer Greif – und übrigens das erste phantásische Wesen mit Namen von dem ich lese, das nicht sprechen kann. Als letztes sei der Bücherbold Lector genannt, ein gorillaartiges Wesen mit blauem Fell und wenig Verstand – sträuben sich seine Haare, sieht er aus wie ein blauer Riesenstaubwedel.
Bei der Namenswahl vieler Figuren war der Autor ebenfalls nicht besonders phantasievoll: Baldrian, die Schnecke; Hallúzina, die Herrin des Hauses der Erwartungen; Kumulus IL., der König der Wolkenburg, und Elster, der König der Diebe seien hier als Beispiele genannt.

Die Figuren spielen zumeist größere Rollen als die in DuG, aber nur drei treiben die Geschichte weitestgehend voran: Karl Konrad Koreander, Thaddäus Tillmann Trutz und die Phantásierin Qutopía.
Die komplette Handlung wird von einer Queste umfaßt, Karl will nämlich die Nachfolge im Antiquariat antreten, dazu muß er von Herrn Trutz die Unterschrift für die Generalvollmacht bekommen. Hierzu ist allerdings erst mal Phantásien zu retten und einige Abenteuer zu bestehen, die unterschiedliche Lösungen erfordern. So muß geklärt werden, wie die Bücher verschwinden und wer dahinter steckt – ganz zu Schweigen davon, daß dem ein Riegel vorgeschoben werden muß. Dazu müssen Rätsel gelöst, Leute überzeugt und Feinde bezwungen werden. Es gibt auch eine kleine Liebesgeschichte, diese soll jedoch nur die Wandlung Karls unterstreichen; im Gegensatz zur Wandlung Bastians in DuG geschieht Karls nur beiläufig und hat mit der eigentlichen Geschichte nicht viel zu tun, sondern läßt nur den Helden mit seinen Aufgaben wachsen.
Insgesamt fehlt es der Geschichte an Tiefe; während Phantásien sich um Bastians Wünsche herumformte und der Leser vor die Frage gestellt wurde, ob es schon immer so war oder eben erst geschaffen wurde, erfüllen sich Karls Wünsche beinahe mit einem “Plopp!” Wie erwähnt ist die Wandlung des Helden einfacherer Natur und auch die Bedrohung Phantásiens ist kein tiefgreifendes Strukturproblem, sondern das Werk einiger Bösewichte. Während Bastian sich die Herausforderungen wünschte um sich produzieren zu können, werden sie Karl aufgedrängt, damit er wachsen kann. Schließlich ist auch der Spannungsbogen weniger gelungen; während DuG spätestens ab dem zweiten Kapitel den Leser mitreißt, braucht dieses Werk erheblich länger um Fahrt aufzunehmen, erst ab dem vierten Kapitel beginnt sich langsam Spannung aufzubauen und nach dem Höhepunkt flaut diese auch schnell wieder ab, so das am Ende noch einige Seiten übrig bleiben.
Sprachlich hebt sich das Werk deutlich von DuG ab; die Sprache hier ist lockerer und weniger mystisch, bisweilen gibt es sogar etwas “Technobabble”; auch sind die Sätze schnell lesbar. Insgesamt paßt der Sprachstil gut zum Phantásien Isaus.

Das Geheimnis des goldenen Reifs von Martin SchemmVor Jahren ist den unter dem norddeutschen Süllberg lebenden Zwergen der zauberkräftige Armreif Wurdbouga gestohlen worden, der es seinem Träger gestattet, Macht über das Schicksal jedes beliebigen Menschen zu erlangen. Nun endlich gibt es eine Spur des Schmuckstücks, das ausgerechnet dem machthungrigen Pfalzgrafen Friedrich von Goseck in die Hände gefallen ist. Der junge Lindfell, Sohn eines menschlichen Wechselbalgs und einer Zwergin, wird ausgesandt, um Wurdbouga zurückzugewinnen. Zwar findet er bei seinem Vorhaben Unterstützung, doch seine Gefährten und er geraten alsbald mitten in den Sachsenkrieg gegen Kaiser Heinrich IV. hinein …

Es war der Tag des heiligen König Oswald im Jahre des Herrn 1073. Die Sommersonne stand hoch am wolkenlos klaren Himmel und brannte auf die Landschaft hernieder. Sie ließ die Welt in leuchtendem Grün erstrahlen, während über allem eine bleierne Stille hing. Von der Hitze wie ermattet, schien die Natur in ihrem lebendigen Treiben innezuhalten. Kein Vogel zog am Himmel seine Bahn oder ließ seinen Gesang ertönen, kein Wild war zu sehen auf der gerodeten Bergkuppe und im angrenzenden Gehölz. Auch kein menschlicher Laut war zu hören. Das einzige Geräusch, das zur Burg herübertönte, war das helle Zirpen der Grillen.
(Prolog – Goldener Adler auf blauem Grund)

History meets Fantasy – so charakterisiert Martin Schemm selbst im Nachwort Das Geheimnis des goldenen Reifs, die in sich abgeschlossene Fortsetzung seines Romans Der Goldschatz der Elbberge, und verspricht damit nicht zu viel. Wie schon im ersten Band bilden die politischen Wirren der Salierzeit den Rahmen für übernatürliche Geschehnisse. Ein eindeutiger Pluspunkt im Vergleich zu manch anderer Historienfantasy ist dabei die Tatsache, dass der Autor sich an die überlieferte Ereignisgeschichte hält und die phantastischen Elemente geschickt so einfügt, dass sie dem, was man über den sächsischen Aufstand weiß, nicht widersprechen. Selbstironisch lässt er sogar bei einem Vorfall, bei dem der Leser “weiß”, dass Zauberei im Spiel war, eine abergläubischen Vorstellungen abholde Romanfigur eine alternative rationale Erklärung anbieten. Fans von Fantasy und historischem Roman gleichermaßen werden zu schätzen wissen, dass die uns in vielem ferne Welt des 11. Jahrhunderts dabei in ihrer Andersartigkeit ernst genommen wird. So lässt etwa die Darstellung der von vielen Charakteren durchaus inbrünstig gelebten christlichen Frömmigkeit (aber auch der parallel dazu wortwörtlich im Untergrund weiterwirkenden heidnischen Praktiken) zu keinem Zeitpunkt den Verdacht aufkommen, es nur mit in eine historisierende Kulisse versetzten modernen Menschen zu tun zu haben.

Auf ein gewisses Maß an Pathos und Dramatik muss man sich bei der Schilderung der geschichtlichen Vorgänge und ihrer Akteure allerdings einlassen: Wenn der schurkische Friedrich von Goseck in finsteren Plänen schwelgt oder Kaiser Heinrich sich über die Opposition gegen seine Herrschaft ereifert, malt Schemm mit recht kräftigen Pinselstrichen. Zwischentöne finden sich eher bei den fiktiven Figuren, wenn beispielsweise ein siegreich überstandener Kampf die überwiegend nicht unbedingt kriegerischen Helden mit gemischten Gefühlen erfüllt oder wenn man sich dabei ertappt, mit Friedrichs Handlanger Gerald mitzufiebern, der, obwohl er in Diensten des Antagonisten steht, selbst beileibe kein Bösewicht ist und großes Talent dafür zu haben scheint, von einer unheimlichen Situation in die nächste zu stolpern. Von Besuchen bei undurchsichtigen Hexen über im Hinterhalt lauernde Fabelwesen bis hin zu einer Begegnung mit der Wilden Jagd bleibt dem armen Mann wahrlich nichts erspart. Für die Leser dagegen ist die Entdeckungsreise durch regionale Sagen und germanische Mythologie höchst unterhaltsam, ganz gleich, ob geheimnisvolle Zwergenreiche erkundet werden oder Wodan persönlich einen starken Auftritt hinlegt.

Die Ausweitung der Schauplätze gegenüber dem ersten Teil der Reihe ist unter diesem Aspekt ein Gewinn. Auch generell ist Das Geheimnis des goldenen Reifs kein schwächerer Nachfolgeband, sondern übertrifft seinen Vorgängerroman womöglich in mancherlei Hinsicht. Wohl unter anderem durch die eindeutige Zielsetzung der Quest bedingt wirken Handlungsführung und Figurenensemble klarer strukturiert und ausgewogener als zuvor, und auch die Landschafts- und Wetterschilderungen haben an Intensität noch gewonnen. Erfreulich ist zudem, dass Schemm diesmal seinen Frauenfiguren nicht nur einen Platz am Rande des Geschehens einräumt, sondern sie vielfach aktiv in die Handlung eingreifen lässt. Neben der tatkräftigen Iva, die sich den Gefährten anschließt und glücklicherweise keine Minute zur damsel in distress verkommt, bleibt einem vor allem die Hexe Watelinde im Gedächtnis, der man zwar lieber nicht im Dunkeln (und vermutlich noch nicht einmal im Hellen) begegnen möchte, die aber eine durchaus eindrucksvolle Gestalt ist.

Darüber hinaus bleibt jedoch erhalten, was schon den ersten Band ausgezeichnet und zu etwas Besonderem gemacht hat: Unabhängig von kurzlebigen Modetrends und Massengeschmack wird hier einfach eine spannende, abenteuerliche Geschichte erzählt, die einen in ein phantastisches Mittelalter entführt und einen insgeheim davon träumen lässt, selbst einmal an passender Stelle herumzustöbern, um vielleicht doch den Einstieg in ein Zwergenreich zu finden oder einen Blick auf ein Ungeheuer am Wegesrand zu erhaschen.

Cover von Der Gejagte von Wolfgang HohlbeinAndrej und Abu Dun haben nach vielen Jahren der Verfolgung und Ruhelosigkeit endlich einen Ort der Zuflucht gefunden. Malta ist für sie eine neue Heimat geworden. Doch der Friede währt nicht lange. Im Jahr 1565 bedroht das Osmanische Reich das christliche Abendland. Die übermächtige türkische Flotte bereitet einen Angriff auf die kleine Insel im Mittelmeer vor, der das endgültige Ende von Ruhe und Frieden für ihre Bewohner, aber auch für die beiden Unsterblichen bedeutet. Denn die Ordensritter kämpfen nicht nur gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, sondern auch gegen einen ungeheuer mächtigen Vampyr …

-Es war nicht das erste Mal, dass er gegen ein Wesen seiner eigenen Art antrat, auch nicht das erste Mal, dass er es mit einem Gegner zu tun bekam, der ihm überlegen war, und doch hatte er noch niemals eine solche … ja, es hatte keinen Sinn zu leugnen: Angst gehabt.-
20. Mai 1565, Seite 216

Das Zitat oben sagt eigentlich so ziemlich alles aus. Andrej und Abu Dun haben es (man staune!) schon wieder mit einem mächtigen Gegner zu tun, dem sie nicht gewachsen sind. Nebenbei wird noch die Geschichte eines aussichtslosen Krieges des Johanniterordens gegen die Türken beschrieben, der aber im ganzen Buch weder richtig in Fahrt kommt, noch irgendwie Spannung erzeugt. Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Manko, denn eines ist der Roman auf keinen Fall: spannend. Die Handlung ist vorhersehbar, die Personen sind nach Schema F konstruiert – es kann einfach keine Spannung aufkommen. Hier und da werden ein paar Antworten auf das Wesen des Vampyrs (wonach Andrej ja seit Anfang des Zyklus sucht) eingestreut, aber natürlich erfährt weder Andrej noch der Leser wirklich etwas über den Vampyr. Und auch der übermächtige Gegner der beiden Gefährten gibt natürlich keine Antworten, sondern wirft weitere Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Am Ende weiß man weder, wer der Vampyr war, noch welche Motive er hat oder was er letztendlich ist. Auch die anderen Personen, die vorkommen, sind sehr streng durchkonstruiert: der alte, aber weise Großmeister, sein ebenso weiser Sekräter, der skeptische (und später böse) Widersacher aus den eignen Reihen und schließlich die armen Opfer des Vampyrs, die Andrej und Abu Dun retten müssen. Und im Hintergrund natürlich die grauenhafte türkische Armee, die aber ohnehin nur wie eine Wolke am Rand des Lesehorizonts auftaucht. Versuche, die menschlichen Schicksale von Belagerung und Krieg zu beleuchten, sind zum Scheitern verurteilt, einfach aus dem Grund, weil Hohlbein es nicht ernsthaft versucht – die Leiden von Andrej (die er seit Jahrhunderten mit sich herumträgt und die mehr als einmal ausführlich erklärt wurden) und später Abu Dun sind ja auch viel interessanter.
Einzig der Schluss rettet das Buch doch noch irgendwie vor dem totalen Absturz, wird doch zumindest die Tragik der Lage deutlich und wie sehr die Unsterblichen eigentlich unter ihrer Unsterblichkeit leiden. Das reicht aber bei weitem nicht aus um das Buch weiterzuempfehlen, einzig eingefleischte Hohlbeinfans, die wissen wollen, wie es weitergeht, könnten es sich überlegen, es zu kaufen. Ein Muss ist es nicht.

Der chronisch vom Pech verfolgte Student Anselmus wird vom Archivarius Lindhorst als Kopist für arabische Manuskripte angestellt. Anselmus verliebt sich in Lindhorst’ Tochter, die den unchristlichen Namen Serpentina trägt. Ihre Mitgift besteht aus einem goldenen Topf und als die beiden schließlich heiraten, ziehen sie nach Atlantis.

-Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß alles, was der Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr zugeworfen.-
Erste Vigilie

Wer hat eigentlich behauptet, Deutsche könnten keine gute Fantasy schreiben? E.T.A Hoffmann konnte es, aber anscheinend ging diese Kunst in Deutschland irgendwann verloren. Vielleicht sind Sie auch der Ansicht, “Der goldene Topf” sei keine Fantasy. Aber 1814 erschien die Erzählung als Teil einer Sammlung, deren Titel “Fantasiestücke (“Stücke” im Sinn von “Gemälde”) in Callots Manier” lautete. Übersetzen Sie das einmal ins Englische…Wie auch immer, dem Studenten Anselmus stoßen lauter merkwürdige Sachen zu. Er macht die Bekanntschaft einer Hexe, einer sprechenden Schlange und eines Geisterfürsten, Häuser sind von innen größer als sie von außen erscheinen und Menschen sind in Flaschen eingeschlossen. Die allerseltsamsten Dinge geschehen, die nicht nur den guten Anselmus, sondern auch den Leser in Verwirrung stürzen: Passiert all dies wirklich, spricht der Student zu sehr dem Alkohol zu, oder ist Anselmus einfach nur wahnsinnig? Die Antwort muß jeder für sich selbst finden. Er kann natürlich auch die reichlich vorhandene Sekundärliteratur zurate ziehen und sich damit den Spaß an der Erzählung ruinieren. Für Leser, die noch nie etwas aus dem 19. Jahrhundert gelesen haben, ist die Sprache sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig. Falls dies so ist, sollten Sie sich von der Sprache genauso faszinieren lassen wie von dem Inhalt der Erzählung.

Cover von Der Golem von Gustav MeyrinkDer Erzähler der Geschichte fällt in einen ungewöhnlichen Schlaf. In diesem Zustand nimmt er die Identität des Gemmenschneiders Athanasius Pernath an, der 1885 im Prager Ghetto lebt. Zu diesem kommt eines Tages ein seltsamer Besucher, der ihm den Auftrag gibt, ein besonderes Buch auszubessern. Bald hegt Pernath den Verdacht, der mysteriöse Auftraggeber könne der Golem gewesen sein, die alte jüdische Sagengestalt, die alle dreiunddreißig Jahre im Ghetto umgehen soll. Von nun an gerät das Leben des Gemmenschneiders aus den Fugen. Nicht nur, daß ihm merkwürdige Dinge widerfahren, er wird auch in einen Rachefeldzug verwickelt und lernt den Archivar Hillel kennen, einen außergewöhnlichen Mann, in dessen Tochter Mirjam er sich verliebt.

-Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller, flacher Stein.-
Schlaf

Begehen Sie nicht den Fehler, dieses Buch mit dem Verstand zu analysieren und zu versuchen, jede okkulte Passage zu entschlüsseln. Damit würden Sie nur die Faszination des Romans zerstören. Allerdings gibt es manche Szenen, bei denen sich eine tiefenpsychologische Deutung aufdrängt. So bemüht sich Pernath, ein Zimmer zu finden, zu dem es keinen Zugang gibt. Der Leser weiß, daß der Gemmenschneider eine Zeitlang wahnsinnig war und keine Erinnerung an diese Zeit hat. Damit fehlt ihm auch der Zugang zu Teilbereichen seiner Seele. Und wenn Pernath in den unterirdischen Gängen des Ghettos herumwandert, erhält man den Eindruck, er würde eigentlich in den Tiefen seiner Seele umherirren. So simpel ist Der Golem aber nicht, daß man diese Parallelen eins zu eins ziehen könnte. Meyrink, der Zeit seines Lebens an okkulten Geheimlehren interessiert war, vermischt hier einen Kriminalfall mit kabbalistischen und theosophischen Elementen, mit altägyptischen Mysterien und der jüdischen Sage um den Golem. Zu der beklemmenden Atmosphäre des Romans trägt bei, daß Meyrink die Geschichte im alten Prager Ghetto, kurz vor seiner Sanierung, spielen läßt. Er beschreibt diesen, seit dem 13. Jhd. bestehenden Prager Stadtteil mit seinen kleinen alten Häusern, die in engen, verwinkelten Gassen stehen, so ausdrucksstark, daß der Leser sich in einen expressionistischen Film der Zwanziger Jahre versetzt fühlt. Diese unheimliche Atmosphäre wird noch durch die ausgezeichneten Illustrationen von Hugo Steiner-Prag, einem Zeitgenossen Meyrinks, gesteigert. Der Golem ist nichts für Leser, die schnelle, oberflächliche Unterhaltung für Zwischendurch suchen. Es lohnt sich aber, sich auf diesen Klassiker der phantastischen Literatur einzulassen, der trotz allem Mystischen, das er enthält, sehr realistisch erzählt wird. Auch dieser scheinbare Widerspruch trägt zum Reiz des Buches bei.

Heldenwinter von Jonas WolfDer Halbling Namakan ist das älteste von etlichen Ziehkindern des Menschenpärchens Lodaja und Dalarr, die zurückgezogen in den Immergrünen Almen leben. Als Namakan mit Dalarr, einem Schmiedemeister, von der Suche nach seltenen Erzen zurückkehrt, sind die gefürchteten Skra Gul, Krieger in Weiß aus dem fernen Tristborn, eingefallen und haben ein Gemetzel angerichtet. Dalarr legt einen Racheeid ab, und Namakan folgt seinem Ziehvater und Meister, um einen König zu töten.

-In einer Stimme dunkel und kräftig wie Paukenschläge hob Dalarr zu einer Melodie an, die in Namakans Kopf Bilder von trostlosen Weiten und sich in ferne Meere wälzenden Strömen heraufbeschwor.-
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Heldenwinter – das klingt ein wenig nach wagnerianischem Pathos, nach einem harten Einzelkämpfer, der seine beste Zeit schon hinter sich hat, nach Schneegestöber und grauen Haaren; und so, als hätte der Einworttitel-Generator für Fantasyromane ein besonders wohltönendes Ergebnis ausgegeben, klingt es auch.
An all diesen Assoziationen ist etwas Wahres dran. Der erste Roman von Jonas Wolfs Skaldat-Reihe aus locker verbundenen Einzelabenteuern beginnt klassisch mit einem Racheschwur. Die beiden Helden Dalarr und Namakan, nicht nur in der Statur als Mensch und Halbling höchstverschieden, sondern auch in Gemüt und Lebenserfahrung, ziehen auf diese Queste aus, zwischen ihnen und dem Ziel steht ein langer Reiseweg voller Abenteuer, neuer Gefährten, mächtiger Waffen und unerwarteter Entdeckungen. Damit fällt Heldenwinter in die Sparte epischer Fantasy, die in letzter Zeit ein wenig selten geworden ist. Die im ausführlichen Nachwort genannten Vorbilder Tolkien und Howard (inclusive Film-Conan) finden sich in den Figuren, der Welt und der Handlung vielfach zitiert, von der augenzwinkernden Anspielung bis hin zur unverhohlenen Inspirationsquelle.
Deshalb verwundert es nicht, dass in der Weltschöpfung das ganze Repertoire klassischer Fantasy auftaucht. Elfen, Zwerge, Reiternomaden und Riesenraubvögel, um nur einige zu nennen, bekommen allerdings durch einen kleinen Dreh hier und da einen eigenständigen Anstrich, ohne dass die Wurzeln gekappt würden, und das Ensemble wird durch eigene, durchaus gelungene Ideen ergänzt.
Glanzpunkt der Figurenriege, die im Großen und Ganzen der Regel “mindestens einer aus jedem Volk und Metier” folgt, ist die Hexe Morritbi, die über ihre Nebenrolle als Love interest des Protagonisten schnell hinauswächst und zu einer erfreulich unkonventionellen Frauenfigur wird.

Auch erzählerisch folgt Heldenwinter den klassischen Questenpfaden: einer an sich einfachen, geradlinigen Handlung, die ganz dem einleitenden Eid gewidmet ist. Die Fantasy-Tradition allerdings, von den Figuren selbst immer wieder Geschichten aus der Vergangenheit und dem Hintergrund der Welt erzählen zu lassen, wird bei Jonas Wolf zu einem zentralen Handlungselement. Die Gegenwartshandlung, die voller Rätsel ist, offenbart sich erst, wenn man die einzelnen Mosaiksteinchen der Vergangenheit kennt und zusammensetzt, wenn man in den vielen kleinen Geschichten die eine große sieht. Fast jede Figur trägt Geheimnisse mit sich herum, die mal mehr, mal weniger schnell offenbart werden. Die Fragen der Herkunft, der Zugehörigkeit und der Stimmigkeit des gewählten Lebensentwurfs stehen im Mittelpunkt. Zu diesem Thema setzt vor allem der verschmitzte Epilog einen schönen Kontrapunkt zu den sonst doch recht erwartungsgemäßen Abläufen.
Der dicke rote Faden, der sich eigentlich sehr prägnant durch den Roman zieht, weist durch diese Geschichten in der Geschichte einige Schlingen auf, obwohl er sich nie in mehrere Stränge teilt.
Trotzdem erweist sich Jonas Wolf als erfahrener, solider Erzähler, bei dem auch die verschiedenen Erzählebenen flüssig gewechselt werden. Die einzelnen Kapitel sind relativ in sich geschlossen, sie enthalten häufig ein Sub-Abenteuer oder sind auf eine Hintergrundgeschichte fokussiert, die eine eigene Struktur hat, und wenn allzu lange am Lagerfeuer gesessen und erzählt wird, kann man sich darauf verlassen, dass der nächste Kampf nicht auf sich warten lässt.
Die leisen kritischen Untertöne an der Rachemission gegen König Arvid, die im Laufe der Queste anklingen, fallen allerdings im Zuge der zielstrebigen Auflösung des Konflikts unter den Tisch – eine verschenkte Gelegenheit, der Frage nachzugehen, wie das Wohl des Einzelnen und das Wohl von Vielen gegeneinander abzuwägen sind. Der Fokus von Heldenwinter liegt allerdings auch an keinem anderen Punkt auf den tiefergehenden Themen, sondern bleibt vor allem auf der Abenteuerhandlung.

Die unterschiedlichen Erzählebenen meistert Jonas Wolf stilsicher: eine Geschichte des derben Schmiedes Dalarr klingt anders als eine der ehemaligen Klosterschülerin Ammorna. Alle gemein haben sie allerdings einen nicht zu überlesenden Hang zu blumigen Begriffen für alles, was sich unter der Gürtellinie abspielt.
Aus dem sonst unauffällig-flüssigen Stil stechen die Aphorismen in den Kapiteleinleitungen hervor, aber auch die Lieder, die (mitsamt einer altnordischen Version) im Text wiedergegeben sind, und sorgen für das Ambiente einer lebenden Welt.
Dieser Eindruck verfestigt sich jedoch im eigentlichen Erzähltext nicht, dort wirkt die Welt ein wenig dünn. Nur an wenigen Stellen lässt sich ein größeres Ganzes erahnen oder kommt das Gefühl auf, nur einen Bruchteil der Wunder gesehen zu haben, die die Welt des Skaldat bietet, und auch der Eindruck einer “alten” Welt mit eigener Geschichte will sich nicht recht einstellen. Zu zweckmäßig sind dazu alle erzählten Binnengeschichten in die Haupthandlung eingebunden, und es gibt nicht viel, was über das Erzählte hinausreicht.
Trotz der Anspielungen auf Klassiker und der Betonung des Geschichtenerzählens entsteht dadurch der Eindruck einer kompakten, aber etwas schnörkellosen Geschichte, was auch daran liegen mag, dass Heldenwinter mit einer Tradition der epischen Fantasy bricht: Nach einem Band ist es zu Ende erzählt, und es führen auch keine einzelnen Fäden mehr in eine Fortsetzung hinein.

Cover des Buches "Imagon" von Michael Marrak Poul Silis ist Geophysiker und hasst den Winter, den Schnee und besonders die Kälte. Doch ausgerechnet er wird nach Grönland ins ewige Eis beordert, um mit einer Gruppe von Wissenschaftlern einen mutmaßlichen Meteoriteneinschlag zu untersuchen. Zahlreiche Menschen wollen das grelle Licht eines Himmelskörpers gesehen haben, und es befindet sich auch ein riesiger Krater im Eis. Von einem Meteoriten aber gibt es keine Spur. Stattdessen werden Schrecken lebendig, die älter als die Erdgeschichte sind.

-Abscheu und Neugier. Grauen und Faszination.
Ich stand vor dem Aqunaki und kam nicht umhin, ihn unverhohlen anzustarren, im Sternenlicht jede Hautfalte zu studieren, jede seiner Bewegungen zu verfolgen und jedes Geräusch wahrzunehmen, das diese bizarre Kreatur erzeugte.-
Kap. 15., S. 271

Imagon aus der Reihe “H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens” ist ein phantastischer Horrorroman, der in der von Lovecraft geschaffenen Welt des Cthulu Mythos spielt.
Der erste Satz beginnt mit: “Ich hasse den Winter”, und schon ist der Einstieg geschafft. Die darauffolgenden Seiten saugen den Leser förmlich in die Person Pouls und ziehen ihn mit in den Strudel der Ereignisse.
Poul ist eine angenehme Identifikationsfigur, und man leidet um so mehr mit ihm, als daß er eine ganz normale Person ist und aus seiner Sicht alles richtig macht, aber dennoch nicht seinem Schicksal entfliehen kann.

Marraks Schreibstil ist flüssig und in seinen Beschreibungen sehr lebendig. Insbesondere die plastische Darstellung der Örtlichkeiten entführt den Leser mit Leichtigkeit an die verschiedenen Handlungsorte. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die in Lovecrafts Tradition schreiben, versucht er nicht, dessen Stil zu kopieren. Auch die Handlung ist nicht nur ein einfacher Austausch von Personen und Orten, sondern zeugt von eigener Kreativität. Die Handlungsstränge sind komplex, enthalten überaschende Wendungen und sind nicht linear aufgebaut. Selbst wenn man Lovecrafts Werke gut kennt, lassen sich die Geschehnisse kaum erahnen.
Wer allerdings noch nie mit der Welt der Alten Götter und von Cthulu in Berührung gekommen ist, kann schon ein wenig von den verschiedenen Wesen und ihren Beziehungen zueinander verwirrt werden. Besonders die Auflösung verlangt vom Leser höchste Aufmerksamkeit und geistige Flexibilität.

Insgesamt hat Marrak einen sehr spannenden Phantastikroman geschrieben, der es wert ist, in die Reihe der Lovecraftwelt aufgenommen zu werden. Mit den rund 400 Seiten ist er gerade lang genug, um in die dargestellte Welt einzutauchen und sich mit der Hauptperson zu identifizieren, aber kurz genug, um Längen zu vermeiden.

Cover von Katzenwinter von Wolfgang und Heike HohlbeinMit Beginn des Winters breitet sich langsam etwas Bedrohliches, Böses über der Stadt Crailsfelden aus. Es sind uralte, böse Kräfte, die ihren Ursprung in der alten, rußgeschwärzten Ruine des Klosters auf dem Hügel haben. Justin ist jetzt, an Stelle seiner Großmutter, dazu bestimmt, diesen Mächten Einhalt zu gebieten. Dabei stehen ihm die Katzen seiner Großmutter und ein seltsames Mädchen zur Seite. Aber die Tore der Hölle haben sich bereits aufgetan …

-Der Winter kam früh in diesem Jahr und als die erste Schneeflocke fiel, stürzte Justins Großmutter die Treppe hinunter und brach sich das Genick.-

Nun – ich mag Katzen, und deshalb lese ich Geschichten, die von Katzen handeln, oder in denen Katzen eine Rolle spielen, eigentlich ganz gern. So war es auch, als ich mir dachte: “Dieses Buch müsste wohl ganz passabel für mich sein …” Hatte ich mir gedacht …
Es war eine Enttäuschung. Es ist eben wieder ein typischer Hohlbein, gestrickt nach typischem Hohlbein-Konzept: Kleiner-Junge-rettet-die-Welt – und hat erst einmal keine Ahnung, wie und warum er zu dieser Ehre kommt. Da lebt ein kleiner Junge (diesmal heißt er Justin) in einem Städtchen irgendwo in Deutschland und um ihn herum versinkt alles nach und nach in immer mehr brutaler Rohheit, Mordlust und sonstiger sinnloser Gewalt. Ich hatte manchmal schon streckenweise das Gefühl, ins Horror-Genre gerutscht zu sein, und statt eines Fantasy-Romans, einen “Stephen King” zu lesen (in den jüngeren Ausgaben, gerade von Wolfgang Hohlbein, fällt mir eine gewisse Ähnlichkeit immer mehr auf …). Justin stolpert natürlich wieder darum in seine Bestimmung hinein, weil er “familiär vorbelastet” ist (bei Dreizehn und Unterland ist es ähnlich …), und weiß lange nicht wie, was, wer, warum miteinander zusammenhängt und welche Rolle eigentlich die zehn Katzen seiner Großmutter spielen. Die alte Dame hätte über die näheren Zusammenhänge bestens bescheid gewußt, wurde aber zum richtigen Zeitpunkt außer Gefecht gesetzt, so dass sie dem armen unwissenden Knaben fast keine Informationen mehr über seine Aufgabe zukommen lassen kann – und auch dem armen Leser nicht – der, zusammen mit Justin, erstmal von einem abgehackten Hinweis zum nächsten stolpert und schließlich, immer noch genauso unwissend wie unser bedauernswerter Weltenretter, mit (erst) Gemeinheiten, dann (etwas später) Grobheiten und am Ende (da hat man schon die Hälfte des Buches gelesen) mit offener roher Gewalt bis hin zu purer Mordlust konfontriert wird. Hier liegt meiner Ansicht nach eine große Schwäche dieses Buches: man wird viel zu lange im Unklaren gelassen, und deshalb weiß man nicht, warum man sich dieses ganze Szenario 417 Seiten lang antun muss.
Auch die Sprache des Werkes macht es einem nicht gerade leicht. Es nicht trivial, aber der Hochgenuss ist es auch nicht, und natürlich gibt es auch wieder einen Compagnon, (diesmal weiblich) der unserem kleinen Helden zur Seite steht, aber (wie in Drachenfeuer ein gewisser Llewellyen …) bleibt das Mädchen bis zum Schluß undurchsichtig, ist ziemlich mundfaul und auch nicht eben sympatisch. Alles in allem haben wir die bekannte Riege an Figuren, bei denen irgendwie, meines Erachtens, bloß die Namen geändert werden.

In der Mühle im Koselbruch geht es nicht mit rechten Dingen zu. Als der vierzehnjährige Waisenjunge Krabat dort ankommt, fragt ihn der Meister, ob er nur das Müllerhandwerk lernen möchte oder auch “das andere”. “Das andere auch”, sagt Krabat, ohne zu wissen, dass “das andere” die Kunst des Zauberns ist. Und die hat ihren Preis: In jeder Neujahrsnacht muss einer der zwölf Müllerburschen sterben. Gibt es einen Ausweg?

-Es war in der Zeit zwischen Neujahr und dem Dreikönigstag. Krabat, ein Junge von vierzehn Jahren damals, hatte sich mit zwei anderen wendischen Betteljungen zusammengetan, und obgleich Seine allerdurchlauchtigste Gnaden, der Kurfürst von Sachsen, das Betteln und Vagabundieren in Höchstderoselben Landen bei Strafe verboten hatten (aber die Richter und sonstigen Amtspersonen nahmen es glücklicherweise nicht übermäßig genau damit), zogen sie als Dreikönige in der Gegend von Hoyerswerda von Dorf zu Dorf: Strohkränze um die Mützen waren die Königskronen; und einer von ihnen, der lustige kleine Lobosch aus Maukendorf, machte den Mohrenkönig und schmierte sich jeden Morgen mit Ofenruß voll..-
Founding, 1

Bei diesem Buch handelt es sich um keine leere Phrase, wenn man behauptet, dass niemand, der es gelesen hat, es je vergessen wird. Otfried Preußler erzählt die alte Sage um den Müllerburschen Krabat auf eine derart beklemmende Weise, dass auch den erwachsenen Leser die Furcht packt vor dem einäugigen Müller, dem Gevatter mit der Hahnenfeder, der immer in der Neumondnacht ein besonders grausiges Mahlgut anliefert und vor den unheimlichen Dingen, die in der Mühle am Koselbruch vor sich gehen.
Dass die Geschichte nicht zu düster wirkt, liegt an den komischen Szenen, die es ebenfalls gibt, und vor allen Dingen daran, dass die Liebe eine entscheidende Rolle spielt. Krabat ist nicht nur die spannende Geschichte eines Zauberlehrlings, sondern auch eine der schönsten Liebesgeschichten, die je erzählt wurden. Viele Autoren, die für Erwachsene schreiben, sollten sich ein Beispiel daran nehmen, wie Preußler über die Liebe schreibt, über dieses tiefe und wahre Gefühl, das so weit entfernt ist, von dem kitschigen und verlogenen Zerrbild, das dem erwachsenen Leser in schlechten Fantasyromanen oft zugemutet wird.

Faszinierend ist, dass diese Geschichte nicht in einem Fantasieland spielt, in das man in der Realität nicht gelangen kann. Zwar haben die Ereignisse in der Mühle am Koselbruch zur Zeit August des Starken stattgefunden (wenn sie stattgefunden haben 😉 ), aber alle Orte, die Preußler erwähnt, gibt es heute noch, auch den Koselbruch- in dem eine Mühle steht… .

Also, wenn Sie Gelegenheit dazu haben, fahren Sie nach Sachsen, schauen Sie sich die Originalschauplätze an und seien Sie auf der Hut, wenn Sie einem Einäugigen begegnen.

Cover von Krieg der Engel von Wolfgang HohlbeinImmer wieder träumt Eric von einem Engel, der mit brennendem Gefieder auf dem Dach einer gigantischen schwarzen Kathedrale steht, die sich über einer apokalyptischen Landschaft erhebt. Und immer endet dieser Traum, kurz bevor sich entscheidet, ob der Engel leben oder die Apokalypse endgültig über die Welt hereinbrechen wird. Eric ist sicher, dass die düsteren Bilder eine Botschaft enthalten, vielleicht auch eine Warnung, die er nur nicht entziffern kann. Als Erics Eltern in die Gewalt des Schwarzen Engels geraten und er sie zu befreien versucht, gerät er in den Kampf der weißen und schwarzen Engel, der mit gnadenloser Härte in der schwarzen Kathedrale wütet …

-Der Engel brannte. Sein Gewand, sein Haar und die gewaltigen Schwingen standen in Flammen und seine ganze Gestalt schien wie in einen Mantel aus gleißender Helligkeit gehüllt zu sein, so grell und weiß, dass es fast unmöglich war ihn anzusehen.-

Mit Krieg der Engel hat das Ehepaar Hohlbein ein Jugendbuch entworfen, das meiner Meinung nach nicht unbedingt für ganz junge Leser geeignet ist. Die Geschichte um den Jungen Eric, der in den apokalyptischen Kampf zwischen schwarzen und weißen Engeln gerät, ist nicht nur außerordentlich spannend, sondern auch düster. Erics Weg ist begleitet von Schicksalsschlägen, denen er sich entgegenstellen muss, um seine Eltern zu retten. Dass dieses Unternehmen nicht ungefährlich ist, wird ihm immer wieder bewußt, denn nicht nur er befindet sich in tödlicher Gefahr. Und so kommt es, dass Eric auch Menschen verliert, die ihm wichtig sind. Gerade die Tatsache, dass nicht alles so gut ausgeht wie geplant, erzeugt ein apokalyptisches, düsteres Gefühl beim Leser.

Die Geschichte an sich ist gelungen: Die Hohlbeins greifen sich diesmal das drohende Weltende heraus und verarbeiten diese Thematik mit viel Geschick zu einer spannenden und fesselnden Geschichte. Eric wird glaubhaft dargestellt, während er sich im Laufe des Buches von einem verschüchterten Jungen zum Retter seiner Eltern entwickelt. Dabei bleibt er aber im Grunde immer noch er selbst und die Entwicklung ist hart erkämpft. Aus der Verzweiflung über die Entführung seiner Eltern und den Verlust von Freunden wächst der Wunsch, wenigstens die Eltern retten zu können. Dabei erhält er Hilfe von Cheb, seinem Schutzengel, der Eric bei seinem Unternehmen zur Seite steht.
Welche Rolle Eric genau in diesem Kampf spielt, wird bis zum Schluss nicht verraten. So viel vorweg, niemand ist der, der er vorgibt zu sein, und es kommt anders, als man denkt.
Spannend, apokalyptisch, düster, so kann man den Roman vielleicht am besten beschreiben. Nur weil ein Kind die Hauptrolle spielt, ist das Buch noch lange kein Kinderroman. Empfehlen würd’ ich das Buch für Leser ab 13, da die Geschichte komplexer und düsterer ist als so manche Romane für Erwachsene.

Cover von Der Kuss der Russalka von Nina BlazonRussland, 1706: Johannes ist mit seinem Onkel und seiner Tante ins Reich Zar Peters eingewandert, der europäische Handwerker zu Hunderten an die Newa holt. Als ein geheimnisvolles Mädchen tot aus dem Fluss geborgen wird, bringt man die Leiche in die Werkstatt von Johannes’ Onkel. Johannes bemerkt schnell, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, zumal der geistig behinderte Mitja die Tote als Russalka bezeichnet hat. Als die gut bewachte Mädchenleiche verschwindet, gerät die Familie unter Verdacht. Johannes verfolgt die Spur der Russalka weiter, um den Ruf seiner Familie zu retten. Dabei kommen er und sein neuer Freund Jewgenij einer Verschwörung gegen Zar Peter auf die Spur, die ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellen wird …

-Hoch türmten sich die Erdwälle der Peter-Paul-Festung vor dem Boot auf, das nun am Newator anlegte. Die Festung war das eigentliche “Sankt Piter Burch”, ein Bollwerk, das Zar Peter nach seinem Namenspatron benannt hatte, dem heiligen Petrus, und das nun der neuen Stadt ihren Namen gab.-

Zunächst entführt die Autorin den Leser ins historische Russland. Durch die Augen des jungen Johannes berichtet sie von dem gewaltigen Unterfangen, eine Zarenstadt aus sumpfigem Nichts zu errichten. Die Arbeiten an diesem Jahrhundertprojekt werden nicht als munteres Treiben beschrieben, statt dessen treten deutlich die Spannungen zwischen europäischen Handwerkern und Architekten, einheimischen Arbeitern, versklavten Kriegsgefangenen und der Militärmacht zu Tage – historisch glaubhaft und atmosphärisch geschildert. Nicht nur im Aufbau seiner Stadt, sondern auch in der Figur Peters des Großen selbst spiegeln sich Widersprüche: Der mal großherzige und mal barbarisch brutale Zar erfährt einerseits Hochachtung und wird als Weltveränderer verehrt, andererseits aber ist er der orthodoxen Schicht im Lande ein Dorn im Auge.
Dass dann in diesem historischen Roman plötzlich ein wahrhaftiges Fabelwesen – eine Russalka ist ein Meerjungfrauen-ähnliches Wesen, das in Flüssen und Seen lebt und Macht über das Wasser hat – auftritt, wirkt zuerst irritierend. Doch gerade die Mischung der märchenhaften Elemente mit dem realen Hintergrund macht die Geschichte besonders fesselnd. Mit dem wissenschaftlich interessierten und fortschrittlichen Zar Peter und den Hütern der Russalka treffen aufklärerische Züge und Naturglaube aufeinander. Von der “kleinen Meerjungfrau” hebt sich das russische Wasserwesen übrigens wohltuend ab, denn es kombiniert betörende Sinnlichkeit mit erschreckender Tierhaftigkeit. Und auch der “Kuss der Russalka” ist keineswegs das romantische Erlebnis, nach dem es sich anhört …

Die unfreiwilligen Helden der Geschichte, Johannes und Jewgenij, überzeugen vor allem dadurch, dass sich ihre Freundschaft erst einen langen Weg durch Feindseligkeit, Prügel und Nörgeleien hindurch bahnen muss. Ihre unterschiedlichen, manchmal schlicht widersprüchlichen Charaktere ergänzen sich wunderbar. Was den beiden auf ihrer Jagd nach dem Geheimnis der Russalkas widerfährt, hinterlässt seine Spuren in ihren Charakteren, bringt sie mal einander näher und mal beinahe auseinander. Eine schöne Anti-Bilderbuchfreundschaft also, wodurch beide besonders lebendig erscheinen.

Die abwechlungsreiche Geschichte ist historischer Roman, Krimi, Märchen, politischer Thriller und sogar Lovestory in einem, wirkt jedoch nie überladen. Leider muss man gelegentlich etwas angestrengt versuchen dem Verlauf zu folgen, wenn zum Beispiel ein paar kryptische Weissagungen des Gottesnarren Mitja einen komplizierten Zusammenhang erklären. Aber das mindert weder die Spannung noch schadet es der dichten, abenteuerlich-schauerlichen Atmosphäre, die die Geschichte durchzieht. Unbedingt abends bis nachts zu lesen!

Das Labyrinth der träumenden BücherGelockt von einem geheimnisvollen Manuskript, kehrt Hildegunst von Mythenmetz 200 Jahre nach seiner Flucht aus Buchhaim zurück in die Stadt der träumenden Bücher. Denkfaul und träge geworden, gleicht die Echse eher einem verwöhnten Balg als einem ehemals ormdurchströmten Schriftsteller, und dennoch begibt er sich auf die Reise. Und obwohl sich das nach dem verheerenden Feuer wiederaufgebaute Buchhaim von einer völlig neuen Seite zeigt, schafft es die Stadt bald, den Schriftsteller in seinen Bann zu ziehen und ihm neuen Schreibmut zu schenken. Und, wer weiß – vielleicht wartet ja irgendwo auch das Orm?

– Unter allem vibrierte das unverwechselbare Grundgeräusch, der Kammerton jeder größeren Stadt, der sich aus tausenden durcheinanderplappernden Stimmen speist und wie das anhaltende Raunen eines Publikums klingt. Ich war angekommen. –
Die neue Stadt, S. 41

Rauchverbot, Latte Macchiato mit oder ohne Milchschaum, Regenbogenpresse – Willkommen im Buchhaim des 21. Jahrhunderts. Eingeholt von Fortschritt und Entwicklung präsentiert sich die Bücherstadt von ihrer modernen Seite, und während die Stadt der träumenden Bücher aus der Asche wiederauferstand, befindet sich Hildegunst von Mythenmetz, der unselige Protagonist des Romans, am Tiefpunkt seines künstlerischen Schaffens. Die Echse badet eitel im großen Schaumbad des schnellen Erfolges und pflegt ihre einmalig erworbenen Lorbeeren mit größerem Eifer als ihre eingerostete Schreibfeder. In seiner dramatisierten Großartigkeit ist er trotz Schuppenkleid und Klauenhand den Akteuren des realen Literaturbetriebes oft sehr ähnlich. Und wahrlich: an Seitenhieben auf unseren deutschen Büchermarkt mangelt es nicht. Während buchhaim’sche Insider die Verdrängung des papierenen Wortes durch das revolutionäre Wurstbuch heraufbeschwören, erstickt so mancher Kritik verachtende Autor, trotz offensichtlichen Unvermögens, in Fanpost. Klingt bissig? Treffend? Pointiert?
Nichts liegt dem Roman ferner. Die parodistischen Elemente sind nach starren Regeln strukturiert: das Humor-Reportoire des Autors beschränkt sich in diesem Buch zumeist auf die fleißige Anagramm-Bildung und die kulturgeschichtliche Anspielung durch Namensverfremdungen. Nicht nur die Lettern von Schriftstellernamen werden munter gemischt, auch die der Größen der klassischen Musik. Kenner entdecken den Walkürenritt, ebenso wie Freude schöner Götterfunken. Keine Kunstepoche ist sicher vor der schablonenhaften Verfremdung, kein gesellschaftliches Phänomen gefeit vor einer zamonischen Entsprechung. Moers hat mit Das Labyrinth der träumenden Bücher ein Gagfeuerwerk erschaffen, welches partout nicht zünden will. Seine Einfälle funktionieren als kurzweilige Pointe – wie die Werbeausgabe des Zamonischen Kuriers oder die Alles-in-Fraktur!-Zwerge beweisen -, doch durch die konsequente Wiederholung der Lachstrickmuster wird der moers’schen Absurdität der genussvolle Stachel des Unerwarteten genommen. Auch sprachlich reflektiert Moers mit seinem Roman die schriftstellerische Verfassung seiner Hauptfigur – erfolgsverwöhnt und mit dem unerschütterlichen Glauben, dass der geneigte Leser jeden Lapsus, jede handlungsarme Durststrecke für einen Geniestreich hält.

Der Klappentext verspricht einen Beitrag zur  “Kulturgeschichte” Zamoniens, und einzig das möchte man ihm zugestehen. Voller Unglaube verfolgt der Leser eine repetitive Handlung, die aus dem Vorgängerband Die Stadt der träumenden Bücher hinreichend bekannt ist. Allein die 200 Jahre Unterschied können als Anlass gewertet werden, diese Geschichte niederzuschreiben. Bizarrer Höhepunkt des Wiederholungsreigens ist das moers’sche “play within a play”: Hildegunst wohnt einer Theateraufführung bei, die seine Abenteuer aus Die Stadt der träumenden Bücher erzählt. Der geneigte Leser kennt vielleicht das unangenehme Gefühl, von einem begeisterten Freund die Handlung eines kürzlich gesehenen Filmes nacherzählt zu bekommen: während der Erzählende, noch tausende Bilder vor Augen, begeistert die Handlung nachvollzieht, vergeht das lauschende Gegenüber vor Langeweile. Und nun stelle man sich eine 20-Seitige, begeisterte Nacherzählung einer bereits bekannten Geschichte vor, die nichts von der Begeisterung transportieren kann und zur bloßen Inhaltsangabe verkommt. Lässt Moers hier den selbstverliebten Mythenmetz auf quälende Art und Weise schwadronieren? Ist die Szene ein lebendiges Zeichen für den charakterlichen und schriftstellerischen Niedergang seiner Figur, eine Meta-Ebene des Qualitätsverlustes? Oder ist es tatsächlich ein Zeichen dafür, dass Moers in seinem Roman keinerlei nennenswerte Handlung unterzubringen vermag, sondern sich an dem Glanz seines bereits erschienenen Werkes erfreut?

Auch die kulturgeschichtlichen Abhandlungen über den aufkommenden Puppetismus – professionelles Marionettenspiel –  in Buchhaim sind nur ein schwacher Abglanz jenes Zaubers, den eine moers’sche Schilderung über die Katakomben von Buchhaim heraufzubeschwören vermochte. Seine Versuche, ein lebendiges Bild einer künstlerischen Gemeinschaft zu schaffen, scheitern. Die Aufzählungen zahlreicher wunderlicher Details erschaffen ein Bild, welches an eine kaputte Marionette erinnert: es mag zu Zeiten durchaus lebendig wirken, doch gewiss nicht im jetzigen Zustand. Einzig die gewohnt phantasievollen, aber rar gesäten Illustrationen geben dem Leser einen Einblick in das neue, touristisch erschlossene Buchhaim, dessen Zauber nicht verflogen ist, sondern sich nur verlagert hat (so zumindest versichert es uns Mythenmetz).
Mit dem Prädikat „Mythenmetz’sche Ausschweifungen“ tarnt Moers bodenlose Langeweile – nichts erinnert an den Kitzel des Bizarren, der jede Ausschweifung zur willkommenen Abwechslung machte. Und als die Handlung schließlich Fahrt aufnimmt, endet der Roman. Einen Blick in das sagenumwobene und titelgebende Labyrinth der träumenden Bücher zu werfen, ist dem Leser nicht vergönnt.

Erst das Nachwort des Autors vermag es, dem ungläubigen Leser und Liebhaber des zamonischen Universums eine Erklärung für die Enttäuschung zu präsentieren: der vorliegende Roman wurde laut Moers publiziert, weil er vertraglich dazu verpflichtet war, eine Frist einzuhalten. Das erklärt so einiges: Das Labyrinth der träumenden Bücher ist keinesfalls ein fertiges Buch, allenfalls eine kürzungswürdige Ouvertüre zu einem größeren Roman. Der zweite Teil ist, laut Autor, in Arbeit, was das Kopfschütteln über das ausgefeilte Marketing für den Roman im Voraus nur noch vehementer ausfallen lässt. Nirgendwo verrät uns der Verlag, dass wir einen „Teil 1“ eines unvollendeten Werkes lesen; und entgegen der Klappentext-Ankündigung könnte kein Buch ungefährlicher sein.
Und so bleibt dem Leser nur das altbekannte Flehen: liebe Verlage, lasst euren Autoren Luft zum Atmen und Zeit zum Schreiben. Und – lieber Herr Moers: wir warten gerne länger. Zeigen Sie uns den Weg ins Labyrinth der träumenden Bücher!

Die Legende von Araukarien von Ralf LehmannIm Hochhügelland häufen sich bedrohliche Geschehnisse, und so wird der junge Bolgan ausgesandt, um den Alten Niemand, einen jahrhundertealten Einsiedler, aufzusuchen und seinen Rat einzuholen. Was er erfährt, übertrifft seine schlimmsten Befürchtungen: Alles deutet darauf hin, dass der Schwarze Prinz, der schon in ferner Vergangenheit sein Unwesen trieb, zurückgekehrt ist und sich anschickt, die Lande zu verwüsten und ihre Bewohner zu versklaven. Die Reise in die Hauptstadt, um den Herrscher über das Reich Araukarien vor der drohenden Gefahr zu warnen, gerät zum Wettlauf gegen die Zeit, und bei ihrem Eintreffen müssen Bolgan und der Alte Niemand erkennen, dass ihre Nachricht allein nicht ausreicht, um die Katastrophe aufzuhalten …

Das Land der Tanzenden Berge! Es ist eine merkwürdige Gegend, in der diese Geschichte ihren Anfang nimmt, eine weit von Araukaria, der Hauptstadt des Alten Reiches, entfernte Provinz. Die Landschaft ist schön und anmutig, mit grünen, baumbestandenen Kuppen und tief eingeschnittenen Tälern, in deren Niederungen knorrige alte Trauerweiden in einem niemals endenden Zwiegespräch mit kristallklaren Bächen stehen.
(1. Die Erzählung des Alten Niemand)

Mit der Legende von Araukarien, dem ersten Band der Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen (anscheinend nicht verwandt oder verschwägert mit diesem Herrn), bietet Ralf Lehmann inhaltlich sehr klassische Fantasy: Eine dunkle Bedrohung aus grauer Vorzeit sucht jäh die Welt heim und die traditionellen Eliten versagen, so dass eine kleine Runde von Gefährten aus dem Volk unter Führung eines alten Mentors für kurze Zeit zusammenfinden muss, nur um sich bald wieder zu trennen und auf unterschiedliche Questen auszuziehen. Nichts weiter Bemerkenswertes, so möchte man meinen, zumal die jugendlichen Helden Bolgan, Hatib und Fernd gerade im Vergleich zu den oft liebevoller gezeichneten Nebenfiguren ein wenig blass bleiben. Dass Lehmann es eigentlich besser kann, beweisen die Passagen, in denen er sich daran wagt, menschliche Beziehungen in ihrer ganzen Kompliziertheit auszuloten: So nähern sich etwa einige Sklavenjäger und ihre Opfer einander ungewollt an, als ein schneller Weiterverkauf scheitert, und der mühsame Versuch, den auch langfristig günstigsten sozialen Umgang miteinander auszuhandeln, lässt viele Zwischentöne zu. Solch feine Beobachtungen würde man sich häufiger wünschen, zumal auch noch andere Schwächen auffallen: Manch innerer Widerspruch wird nicht aufgelöst, und die Dichte an Frauengestalten ist wesentlich geringer als in jedem durchschnittlichen Karl-May-Roman. Apropos Karl May: Dessen Bücher dürften Lehmann tatsächlich in gewissem Maße als Inspirationsquelle gedient haben, denn genau dort ist man einem dicken Boschak oder einer Beschreibung, die der des Schurken Morgreal verdächtig ähnelt, schon einmal begegnet.
Die Tatsache, dass Handlung und Charaktere Die Legende von Araukarien nicht unbedingt über den Durchschnitt hinausheben, sollte einen jedoch nicht von der Lektüre abschrecken, denn auf zwei anderen für die Fantasy ungemein wichtigen Gebieten stellt der Roman unbestreitbar seine Qualität unter Beweis: Weltenbau und Erzählweise überzeugen. Wie schon das oben gewählte Zitat verrät, kommt Araukarien hinsichtlich der phantastischen Elemente, die das Land selbst durchdringen, um einiges magischer und verspielter daher, als man es im Zeitalter “realistischer” Fantasyromane gewohnt ist: Berge, die über Nacht den Standort wechseln, ein verwunschener Hügel, den der finstere Feind nicht betreten kann, eine Ruinenstadt, in der Geisterspuk eine ferne Vergangenheit wiederauferstehen lässt, und eine geheimnisvolle Orakelhöhle wollen erkundet werden und erinnern einen daran, dass der größte Reiz von Questenfantasy oft nicht im Ziel der Reise, sondern in einem abwechslungsreichen Weg besteht. Auch die Wesen, von denen diese bunte Welt bevölkert ist, sind originell und von einer märchenhaften Unheimlichkeit, die sich nicht zuletzt aus der schieren Selbstverständlichkeit speist, mit der sie etwa auf Gedanken und Träume der Menschen zugreifen können. Wenn beispielsweise ein dämonischer Gifalk – eine Kreatur, die sich von Träumen nährt – den jungen Sohn eines Wirts zu sich aufs Zimmer bestellt und nur in Andeutungen eine geistige Vergewaltigung impliziert wird, erzeugt der Text mit subtilen Mitteln ein unterschwelliges Grauen, das weit länger nachhallt als jedes Entsetzen über eine plakative Gewaltdarstellung.
Ohnehin kann man sich nach einer Weile des Gedankens nicht mehr erwehren, dass es eigentlich gar keine so große Rolle spielt, was Ralf Lehmann erzählt, da einen vor allem gefangen nimmt, wie er es tut. Das liegt nicht allein an der teilweise poetischen Sprache (obwohl natürlich ein Waldbühl oder ein Silbergreis gekonnt bildreiche Assoziationen heraufbeschwören), sondern ist auch dem Eindruck geschuldet, es hier mit einer ganz anderen Erzählweise zu tun zu haben als der, die vor allem in der angloamerikanischen Fantasy mittlerweile fast alternativlos vorherrscht. Lehmann verlässt sich nicht allein auf ein szenisches Vermitteln seiner Geschichte, sondern beherrscht auch das raffende Schildern größerer Zeitabschnitte und vor allem das Beschreiben topographischer Besonderheiten virtuos. Die Erzähltradition, in der sein Buch steht, ist nicht die der Fantasy allein; Abenteuerromane des 19. und frühen 20. Jahrhunderts spielen ebenso mit hinein wie einige Aspekte klassischer Kinder- und Jugendliteratur zu phantastischen Themen. Beim Lesen stellt sich daher rasch das sympathische Gefühl ein, dass nicht auf vordergründige Effekte hingearbeitet, sondern vor allem eine Geschichte erzählt werden soll. Die mag nicht perfekt sein, gewiss – aber nach diesem Auftaktband ist man doch sehr gespannt auf den Fortgang, und sei es nur, weil es einfach so großen Spaß macht, sie sich erzählen zu lassen.

Der letzte Steinmagier von James A. SullivanVor vielen Jahren wurde die Kaiserin des Reiches von einem abtrünnigen Steinmagier in Stein verwandelt. Seither herrscht Krieg im Land. Die anderen Steinmagier sind untereinander zerstritten und haben sich den Machtkämpfen der Fürsten angeschlossen, statt die Kaiserin aus ihrem endlosen Schlaf zu befreien. Als sich die Steinmagier in der gewaltigen und finalen Schlacht von Wuchao begegnen, bleibt nur der junge Wurishi Yu lebend zurück. Um den letzten Wunsch seines Meisters zu ehren, macht sich Yu auf den Weg, das Unrecht wieder gut zu machen und die Kaiserin zu erwecken. Doch der Fürst Dayku Quan ist ihm bereits auf den Fersen und trachtet dem Wurishi nach dem Leben.

– Wurishi Yu legte seine Hand auf das glatte Bronzesiegel und sprach im Stillen die Worte des geheimen Zaubers. Aus den Wänden links und rechts ertönte ein lautes Beben, und schon bewegten sich die beiden steinernen Torflügel. –
Die Schlacht von Wuchao, Seite 14

Aufgrund seiner abweichenden Genre-Standards hebt sich Der letzte Steinmagier positiv von dem generischen Einheitsbrei um Elfen, Zwerge und Orks ab und schlägt mit seinem ostasiatischen Setting einen gänzlich anderen Weg ein. Die Grundzutaten für den Roman sind dabei teils durchaus wohlbekannt: eine Gruppe von Fremden schließt sich zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, macht sich auf eine gefährliche und abenteuerliche Reise und wird dabei von einem nach Macht gierenden Gegenpart verfolgt und bedroht. Es gibt natürlich auch eine Prinzessin bzw. hier eine Kaiserin in Nöten, einen nahezu makellosen Helden, der zu ihrer Rettung naht, und ein zerrissenes Reich, in dem Machtkämpfe toben. Diese klassischen Stilmittel werden mit einer guten Portion Humor gewürzt und bieten durch das selten genutzte Setting Asiens eine angenehme Abwechslung. Hervorzuheben ist auch das ungewöhnliche Magiesystem, welches der deutsch-amerikanische Autor James Sullivan in seinem Solo-Debütroman beschreibt.

Die Charaktere in Der letzte Steinmagier sind gut gezeichnet und kommen überzeugend daher, auch wenn sie ihr ganzes Entwicklungspotential nicht ausnutzen können und oft etwas zu schnell an ihren Erfahrungen reifen. Ihr größtes Manko ist eine klare schwarz-weiß Rollenverteilung ohne Abweichungen davon. Was ihnen an dieser Stelle an realistischer Substanz fehlt, machen ihre zumeist humorvollen Eigenarten jedoch wieder wett. Zusätzlich gewinnen sie im Verlauf der Handlung immer mehr an Struktur und verstehen den Leser durch eine interessante Herkunftsgeschichte bei Laune zu halten. Besonders der Charakter des Diebes Sankou Yan sorgt von Beginn an für Sympathie und ist der heimliche Held dieser bunt gemischten Gefährtengruppe. (Ein kleiner Bonus für Fans von Sankou Yan ist auf der Website des Autors in Form einer Kurzgeschichte zu finden).

Der letzte Steinmagier ist ein solides Fantasywerk, das vor allem jüngeren Lesern, Genre-Einsteigen und Eastern-Fans gefallen dürfte. Es finden sich hier einige gute und interessante Ideen ein, die sich vor allem in der ungewöhnlichen Anwendung und Auswirkung des Magiesystems zeigen. Sprachlich kommt der Roman schlicht daher, lässt sich dafür flott und flüssig lesen. Die Atmosphäre ist bei der stringenten Erzählweise und wenig beschreibenden Details etwas schwerer zu fassen, und viele Überraschungen in der Handlung darf man ebensowenig erwarten. Einen Meilenstein der Fantasy stellt Der letzte Steinmagier daher nicht dar, doch wer sich von einem Hauch Ostasiens verzaubern lassen möchte, humorvolle Abenteuergeschichten mag und auch mal einen Einzelroman zur Hand nimmt, der ohne große Überraschungen oder in epischer Länge ausgebreitete Dramen auskommt, wird seine Freude an diesem Buch haben.

Die letzten Worte des Wolfs von Tobias O. MeißnerKaum hat sich die Mammut-Gruppe um den ehemaligen Schreiber Rodraeg und die Schmetterlingsfrau Naenn von den Strapazen und Verletzungen des letzten Auftrags mehr oder minder erholt, flattert auch schon die nächste Botschaft von den geheimen Auftraggebern ins Haus – diesmal soll sich Rodraeg mit seinen Gefährten in die Küstenstadt Wandry aufmachen,  um die letzte Buckelwalherde zu schützen – die Tiere werden angeblich durch verbotene Magie zur Stadt (und Schlachtung) gelockt. Bevor an einen Aufbruch zu denken ist, muß aber erst einmal ein Ersatz für den im letzten Abenteuer verlorenen Mann her. Die anschließende Reise nach Wandry verläuft turbulenter als geplant.

-Es war um die Mitte des Wiesenmonds. Ein früher Abend.-
Prolog

Im zweiten Streich der Öko-Guerrillas vom Mammut geht es ans Eingemachte, umweltaktivistisch gesehen: Eine Walherde soll vor dem Abschlachten (durch profitgierige Walfänger) gerettet werden, und es gibt tatsächlich sogar eine Szene, in der die Helden sich todesmutig mit einem kleinen Boot zwischen die Meeresriesen und die Fangflotte stellen – da schlägt doch das Herz eines jeden Greenpeace-Fans höher! Man kann allerdings nicht genug betonen, daß Meißner es schafft, das Thema beinahe ganz ohne erhobenen Zeigefinger zu behandeln und es mit interessanten Kniffen aus dem Öko-Milieu bruchlos ins phantastische zu hieven. Vor allem durch den Charakter Rodraeg, der sich zunehmend an einer intakten Umwelt freuen kann, bleibt das Thema zwar im Vordergrund, doch stets ist es eine Abwandlung zu den uns real bekannten Umweltproblemen, weil ein starker Magiefaktor hineinspielt – und weil die Mammut-Abenteuer letztendlich doch nie so einfach gestrickt sind, wie sie anfangs aussehen.
Hinter der Walfangepisode steckt ein größerer Zusammenhang, und das Zerstören der Natur und das Ausrotten von Tierarten schlägt höhere Wellen als vermutet (eine Systemwirkung, die in einer Fantasy-Umgebung viel deutlicher spürbar zu vermitteln ist, als wir es von unseren vielleicht irgendwann richtig brisant werdenden Umweltproblemen kennen).

Allerdings, was die großen Zusammenhänge angeht, die Ziele der Auftraggeber und Gegner des Mammuts, die die einzelnen Episoden der Serie auch aneinanderketten, guckt man in diesem Band leider in die Röhre. Meißner geizt mit Informationen, die den gesamten Handlungsbogen betreffen – man ist diesbezüglich am Ende kaum schlauer als nach dem ersten Band und hat nach der Lektüre des zweiten vornehmlich ein hübsch ausgeführtes Abenteuer bestanden, ohne aber viel Weiterentwicklung in der Hintergrundgeschichte erfahren zu haben.
Vielleicht ist hier aber auch der Weg das Ziel, denn während man das Mammut auf die Walrettungsaktion begleitet, möchte man sich eigentlich nie über mangelnde Unterhaltung beschweren. Wie schon der erste Band glänzt das Abenteuer mit liebevoll beschriebenen Personen, denen man mit Vergnügen über die Schultern schaut, und einem schönen, leicht zu lesenden Stil, für Meißner-Verhältnisse ohne große Experimente. Von der ungewöhnlichen Thematik abgesehen, sind die Taten des Mammuts im Grunde weder sonderlich sensationell noch actionreich, aber so, wie sie erzählt sind, kann man locker die halbe Episode in einem Haps weglesen.
Am Anfang steht eine vergleichsweise lange Reisezeit zum Zielort – da läßt es Meißner sehr ruhig angehen und schwelgt in Besuchen von Gasthöfen, Beschreibungen, den Beziehungen der Figuren untereinander, was sich aber alles erstaunlich unterhaltsam liest. Durch die zeitlich eingeengte Auftragssituation – die Wale kommen relativ termingerecht nach Wandry – ist für eine gewisse durchgängige Dynamik gesorgt.

Aus vielen Elementen – nicht zuletzt der klaren Verteilung von verschiedenen Fähigkeiten bei den Mitgliedern der Mammut-Gruppe – sprechen deutliche Rollenspieleinflüsse, allerdings in einem erträglichen Ausmaß und auch verstärkt durch die Gliederung der Reihe in Einzelabenteuer. Weil pro Band ein kompletter Auftrag abgehandelt wird, bekommt man am Ende einen schönen Abschluß – die Rahmenhandlung und auch die detailverliebte Charakterentwicklung tragen den Leser weiter in den nächsten Band.
Wer detailfreudige, gemächliche und trotzdem warmherzige Fantasy mag, sollte sich von der ungewöhnlichen Thematik also nicht abschrecken lassen und ein Abenteuer mit Rodraeg und seinen Gefährten wagen – und nächstes Mal gibt es hoffentlich etwas mehr Futter für Spekulationen, was die alle Bände überspannende Gesamthandlung angeht …

Die Mächte des Feuers von Markus HeitzAls Großmeisterin Silena, eine Nachfahrin des Heiligen Georg und Kämpferin beim Officium Draconis – der Drachenjägersparte der Kirche – ihre beiden Brüder durch einen mutmaßlichen Angriff von Drachen verliert, ist das erst der Anfang. Seltsame Dinge gehen vor in München und Berlin, Hellseher und andere Spiritualisten haben schreckliche Visionen. Die Altvorderen Drachen tragen Machtkämpfe aus, und neben Silena werden noch andere Menschen in die Sache gezogen, bei der es bald um die Jagd nach mächtigen Artefakten des Drachenkampfes geht. Zusammen mit dem russischen Fürsten Grigorji und dem Medium Madame Sátra – zwei wenig vertrauenswürdigen Verbündeten – nimmt Silena den Kampf gegen die grausamen Ungeheuer auf.

-„Wann der Herr wohl wieder zurückkehrt?“ Xing streifte die Oberfläche der Daunendecke glatt, die sie aufgeschüttelt hatte, und blickte nachdenklich aus dem Fenster.-
1. Januar 1925, Korumdie Gebiet, Zarenreich Russland,
An der Grenze zu China

2006, als Markus Heitz  nach seiner episch angelegten Ulldart-Saga, den leicht tolkienesk angehauchten Zwergen samt Nachfolgern und den auf den Spuren von Pakt der Wölfe wandelnden Ritus  mit Die Mächte des Feuers an den Start ging, war Steampunk noch nicht in aller Munde. Nur so kann man sich das Nachwort erklären, das man auch als Verteidigungsschrift für das Setting mitten im Glamour und der sich entwickelnden Technik der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts  lesen kann. Nicht, dass es das gebraucht hätte: Der Reiz dieser ungewöhnlichen Drachengeschichte liegt gerade darin, dass hier auch Doppeldecker über den Fantasy-Himmel brummen dürfen und man in ein alternatives Europa eintauchen kann, in dem Drachen ihren Einfluss genommen haben. Oder genommen haben sollen, doch dazu später mehr. Markus Heitz kennt sich gut aus mit der Zeit, die er beschreibt, da ist es fast schade, dass er sich oft auf Name-Dropping beschränkt und den zeitlichen Kolorit auf weiter Strecke auch sprachlich nicht vermitteln kann. Nur selten hebt sich das Ambiente von der modernen oder einer beliebigen anderen Fantasy-Welt ab. Das Potential des Settings ist damit verschenkt, denn die wenigen wirklich atmosphärischen Szenen – wie etwa der Prolog des Romans – machen Lust auf mehr. Ansonsten ist man gut beraten, sich vielleicht doch lieber nochmals Sky Captain anzusehen, wenn man das Flair der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erleben will.

Die Weltgeschichte mit Drachen und einem eigenen Kirchenamt für Drachenfragen (das aus den Drachenheiligen hervorgegangen ist) neu zu schreiben, ist ein schöner Ansatz, allerdings scheint sich trotz der ausdrücklich massiven Einflüsse der Drachen geschichtlich nicht allzu viel geändert zu haben, und die kulturgeschichtlichen Einflüsse sind gering und wirken manchmal sehr bemüht (ein beispielhaftes Detail: ein Flugzeug mit ausfahrbarer Lanze, um Drachen damit aufzuspießen, hat die Typenbezeichnung “Lanzelot”). Obwohl die Kirche eine große Rolle spielt, bleiben religiöse Hintergründe äußerst vage. Auch wenn Die Mächte des Feuers auf unserer Welt spielt, hätte mehr Weltschöpfung dem Roman gutgetan, gerade im Bezug auf das Konzept der Drachen.

Eine große Figurenanzahl bringt dem Leser die Handlung näher, und die meisten davon geben nach außen hin ein buntes und interessantes Bild ab, wirken aber insgesamt hölzern. Charakterliche Kehrtwendungen wie die des russischen Fürsten Zadornov, der sich anfangs in der Tat gibt wie der angebliche Sprößling von Rasputin, der er sein soll, kommen mit der Brechstange. Die Protagonistin Silena dagegen ist als Identifikationsfigur für jedermann konzipiert und bleibt charakterlich farblos, darf aber dafür die Phantasie mit Gedanken über ihre Unterwäsche anregen. Subtiler wird es auch nicht, wenn es um die Überraschungen geht, die die ein oder andere Figur bereithält.
Anfangs fällt das allerdings kaum ins Gewicht – die Geschichte beginnt spannend mit vielen mysteriösen Vorkommnissen und wird auf vielen Ebenen eröffnet, so dass man sich ein vielschichtiges Szenario erhofft. Doch die Fraktionen und Inhalte, die aufgefahren werden, nehmen kein Ende, die Logik verabschiedet sich irgendwann zwischen Schauplatzwechseln und Kämpfen zwischen Mensch und Drache und Mensch und Mensch, und irgendwann löst sich alles in eine etwas wirre Schwarz-Weiß-Malerei auf, was so verheißungsvoll begonnen hat.
Ein unverzichtbares Novum für Drachenliebhaber ist Die Mächte des Feuers also nicht – und auch der alternative Weltentwurf ist kein allzu farbenprächtiges Ideenfeuerwerk.

Die Magier von Montparnasse von Oliver PlaschkaDer Bühnenkünstler Ravi und seine Assistentin Blanche brechen nach ihrer letzten Zaubervorführung eine Grundregel: Anstatt wie üblich nur mit Illusionen zu spielen, verwenden sie echte Magie. Dabei geht jedoch etwas schief, und Paris ist in einer Zeitschleife gefangen: Jeder Tag beginnt wie der vorherige, und fast niemand in der Stadt scheint auch nur etwas davon zu ahnen.
Das Hotel Jardin im Künstlerviertel Montparnasse wird daraufhin zum Treffpunkt für mehrere äußerst außergewöhnliche Gestalten, die das Rätsel um die stillstehende Zeit zu ergründen versuchen. Nicht nur für Ravi und Blanche, sondern auch für das Personal des Jardin hat die Zeitschleife auf Dauer ungeahnte Konsequenzen.

-»Kreativität«, sagte Barneby, »ist eine Krankheit des Geistes, die einem Übermaß an Vorstellungskraft, gepaart mit einem Mangel an gesichertem Wissen, entspringt – genau wie Verfolgungswahn.«-
Magische Nächte

Zu Beginn der Geschichte scheinen die Vorkommnisse im Jardin noch sehr mysteriös und für den Leser unverständlich – man fühlt sich ähnlich wie die Kellnerin Justine: Sie bekommt zwar mit, dass etwas anders ist, und ihr fallen merkwürdige Einzelheiten auf, aber sie kann sich keinen Reim auf das Ganze machen. Anders als bei Justine werden die Erinnerungen des Lesers zum Glück nicht über Nacht wieder auf Null gesetzt, und so kommt man des Rätsels Lösung mit jedem verstrichenen Sonntag wieder einen Schritt näher.
Die Erleuchtung lässt jedoch eine ganze Weile auf sich warten. Es gibt einige Längen, insbesondere am Anfang von Tag 5 tritt die Handlung ziemlich auf der Stelle. Dafür zieht die Spannung auf den letzten 200 Seiten ordentlich an und das Ende enthält noch eine (zumindest für mich) unerwartete Wendung.

Durch die langwierigeren Passagen helfen die liebenswürdigen skurrilen Charaktere und verrückten Dialoge.
Plaschka verarbeitet bekannte Bibel- und Märchenmotive wie Adam & Eva oder Schneewittchen und verfremdet sie auf eine sinnvolle, interessante Weise. Auch das Stadtviertel Montparnasse entspricht sicher nicht ganz dem Paris der goldenen Zwanziger, ist aber doch deutlich erkennbar und sorgt für eine passende Kulisse.
Das Ganze wird garniert mit einer wohldosierten Portion Ironie, das Buch ist mit einem leichten Schmunzeln im Hinterkopf zu lesen (wie eine Autorenlesung eindrucksvoll bewiesen hat). Lässt man sich auf die Sprache, Atmosphäre und das Tempo des Romans ein, ist Die Magier von Montparnasse eine amüsant-rätselhafte Lektüre.

Märchenmonds Erben von Wolfgang & Heike HohlbeinErneut gelangt Kim nach Märchenmond, in die Welt hinter den Träumen. Eine neue Generation ist herangewachsen, die weder an Magie noch an Träume glaubt. Die Alten wollen nicht verstehen, dass ihre Erben ihr eigenes Leben gestalten möchten. Kim gerät zwischen die Fronten der Generationen, die einander erbarmungslos bekämpfen. Mithilfe des alten, weisen Zauberers Themistokles erhofft sich Kim, den Krieg beenden zu können. Doch als er nach einer langen, gefahrvollen Reise endlich nach Gorywynn gelangt, erfährt er, dass Themistokles seine Kräfte in eine Glaskugel gebannt hat. Jene Glaskugel ging jedoch verloren und die Suche nach ihr wird zu einem haarsträubenden Wettlauf mit der Zeit …

-Kim beobachtete eine Gruppe junger Punker, die auf der anderen Straßenseite entlangschlenderte und offensichtlich auf Streit aus war …-

Mit dem dritten Band der Märchenmond-Reihe wollten Wolfgang & Heike Hohlbein wohl einen würdigen Abschluss setzen, was ihnen teilweise auch gelungen ist. Trotz allem kommen auch hier typische Hohlbein-Merkmale zum Vorschein. Die Art, wie Kim diesmal in das Reich der Träume gelangt, ist äußerst unrealistisch und schwer nachvollziehbar. Die Handlung selbst ist meiner Meinung nach etwas abgedroschen, Kims Agieren in Märchenmonds Erben wirkt wie eine Wanderung ins Blaue. Er gerät von einem Abenteuer ins nächste, ohne jegliche Verschnaufpause. Wird er bei einem Abenteuer verletzt, heilen seine Wunden geradezu unheimlich schnell – schwer nachvollziehbar für ältere Leser.
Auch muss der Leser auf altbekannte Charaktere verzichten. Lediglich der Riese Gorg und Themistokles geben sich die Ehre, doch sind beide zu alt, um an Kims haarsträubenden Abenteuer teilzunehmen. Mit den neuen Figuren wollte man wohl ein bisschen Humor in das ganze Geschehen bringen, was nur an manchen Stellen gelungen ist. Viele Szenen, gerade die Streitereien zwischen der Spinne und der Elfe Twix wirken für erfahrenere Leser übertrieben, wobei junge Leser wohl aber durchaus ihre Freude daran finden werden.
Ein Lob hab ich allerdings: Die Veränderung Märchenmonds ist gut gelungen. Am Anfang zwar verwirrend, doch bringt einen diese Verwirrung auch dazu, weiterzulesen, weil man unbedingt wissen möchte, was eigentlich los ist. Schon früh wird der Leser mit dem Hauptthema, der Hohlbein-Moral in dieser Geschichte, konfrontiert – dem Generationskonflikt. Dies zeigt sich auch an Kim, der mittlerweile erwachsen geworden ist und nicht mehr an Märchenmond glaubt. Eine weitere Idee, die mir besonders gut gefallen hat, ist der Friedhof am Ende der Welt Märchenmonds, durchaus eine der besten Szenen des Buches. Trotz dieser kleinen Mängel ist es den Autoren mit Märchenmonds Erben also gelungen, einen überzeugenden Abschluss der Reihe zu setzen, so dass man das Buch nach dem Lesen mit einem traurigen Lächeln zuklappt.

Der ursprünglich auf drei Teile ausgelegten Reihe folgten 2005 und 2006 weitere Fortsetzungen, die zwar in der Welt Märchenmonds spielen, jedoch mit gänzlich neuen Charakteren besetzt sind.

Die Melodie der Masken von Ralf LehmannNach dem Tod des Alten Niemand haben sich die drei Gefährten Bolgan, Hatib und Fernd getrennt, um ihren Kampf gegen den Schwarzen Prinzen fortzusetzen und den Erft zu finden, einen sagenumwobenen, in mehrere Stücke zerteilten magischen Stein, der ihnen gegen den übermächtigen Feind helfen soll. Während Bolgan als Sklave des Schwarzen Prinzen auf eine Gelegenheit lauert, ihm seinen Teil des Edelsteins zu stehlen, und dabei in eine Gefahr gerät, die er niemals hätte voraussehen können, organisiert Hatib den militärischen Widerstand. Er findet neue Freunde und Verbündete, muss aber bald erkennen, dass kämpferische Tugenden allein nicht zum Sieg führen werden …

In den Nördlichen Königreichen regieren Nebel und Wolken. Grüne, sanfte Hügel prägen das Land, so dass die Gegend auf den ersten Blick einen fruchtbaren Eindruck macht, aber das täuscht. Weiß gewaschene Kalksteinblöcke durchbrechen die dünne Bodendecke und machen größeren Ackerbau unmöglich. Wenn Nebel über die Hügel zieht, sehen die Blöcke wie stumme Pilger aus, die sich auf eine unbekannte Suche gemacht haben.
(3. In den Ruinen von Thingal)

Auch im zweiten Teil seiner Trilogie Das Buch des Schwarzen Prinzen wartet Ralf Lehmann inhaltlich auf den ersten Blick mit klassischer Questenfantasy auf, die jedoch bei näherer Betrachtung sehr individuelle und originelle Züge entwickelt. Zwar sind einige Schwachpunkte des ersten Bandes auch im zweiten vorhanden (so scheinen bis auf Fernds Freundin Reika, die keine sehr aktive Rolle spielt, in Araukarien weiterhin kaum Frauen unterwegs zu sein), aber wenn man darüber hinwegsieht, lässt sich der erneute Ausflug in die detailliert und liebevoll ausgearbeitete Welt wieder sehr genießen.
Zum besonderen Charme des Romans trägt in hohem Maße bei, dass der Weltenbau nicht nur für eine ansprechende Kulisse sorgt, sondern untrennbar mit der Handlung verwoben ist: Zum Beispiel gestatten es die spezifischen Eigenschaften der Lande dem Kundigen, Menschen, die durch ihre Naturverbundenheit dafür empfänglich sind, auch aus weiter Entfernung zusammenzurufen. Ohnehin besteht zwischen Übernatürlichem und Naturgewalten ein enges Verhältnis, wie sich etwa an der Gestalt des Tanzenden Todes zeigt, der als mörderisch tobender Sturmwind in Erscheinung tritt, aber in Wirklichkeit ein verfluchter Riese ist. Seine Ursprungsgeschichte, in der auch eine diabolische Hexe und in Berge verwandelte Riesen erscheinen, verrät vielleicht noch stärker als andere Einzelheiten, wie sehr Lehmann sich von kontinentaleuropäischen (Orts-)Sagen inspirieren lässt und damit auf einen Bereich setzt, der, abgesehen von manchen Anklängen in Kinder- und Jugendbüchern, in der Fantasy eigentlich viel zu wenig genutzt wird. Gerade aus dieser unmittelbaren Anbindung an eine gewachsene Tradition außerhalb des Genres gewinnt der Roman jedoch einen Anschein von Authentizität.
Auch erzähltechnisch weicht Lehmann wieder vom Gewohnten ab: Statt sich der heute in der epischen Fantasy so weitverbreiteten Montagetechnik zu bedienen, in der mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden, führt er erst die Geschichte um Bolgan zu einem durchaus packenden vorläufigen Ende, bevor er sich Hatibs Abenteuern widmet, deren Endergebnis man zumindest in Ansätzen schon aus der Schilderung von Bolgans Erlebnissen kennt. Der Reiz besteht also nicht so sehr in der Frage, was aus Hatib wird, sondern darin, zu verfolgen, wie er dort ankommt, wo man ihn auf den letzten Seiten der Geschichte um Bolgan findet.
Hatibs Weg ist dabei recht unterhaltsam geschildert, ganz gleich, ob es ihn nun in ein wahres Spitzwegidyll von Kleinkönigreich verschlägt, das er zum Kampf gegen das bisher unbesiegte Heer des Schwarzen Prinzen motivieren muss, oder seine Reise durch unwirtliches Gebiet führt und zahlreiche Unbilden zu überstehen sind. Mit dem Waldläufer Imril ist ihm eine der lebensvollen Nebenfiguren an die Seite gestellt, die Lehmann fast mehr zu liegen scheinen als seine eigentlichen Helden.
Wie schon Die Legende von Araukarien zeichnet sich Die Melodie der Masken zudem durch wohltuende Unaufdringlichkeit aus; Tod und Verderben werden keineswegs ausgeblendet, doch setzt Lehmann eher darauf, stillere Aspekte auszuloten und sich vor allem auch mit psychischem Leid auseinanderzusetzen, statt vordergründiges Blutvergießen breit auszuwalzen. Gerade aus den Episoden um die Zwangsarbeiter zu Anfang der Bolgan-Handlung bleibt einem in dieser Hinsicht einiges im Gedächtnis, und man hofft, manch eine Gestalt im Folgeband noch einmal wiederzutreffen.
Trotz aller wohlbekannten Elemente sieht man daher am Ende des zweiten Buchs dem dritten mit Spannung entgegen und bedauert, dass Fantasy dieser Prägung es anscheinend in der Lesergunst schwerer hat als formelhaftere und nicht selten auch effekthascherische Werke.

Mittelerde von Rudolf SimekRudolf Simek, einer der Experten für germanische und altnordische Mythologie und Literatur, spürt  durchaus mit wissenschaftlichem Anspruch in zehn Kapiteln dem Einfluss seiner Fachgebiete auf Tolkiens Werk nach. Dabei befasst er sich mit den unterschiedlichsten Aspekten: Von geographischen Konzepten über Personennamen und Fabelwesen bis hin zu Runenschriften und literarischen Motiven wird so gut wie alles angerissen, was in die Gestaltung von Mittelerde eingeflossen ist oder sein könnte. Vielfältiges Bildmaterial (das unter anderem eine mittelalterliche Weltkarte und Zeichnungen archäologischer Funde umfasst) rundet das Bändchen ab.

– Wenn vieles aus Tolkiens Werk in diesem Büchlein keine Erwähnung findet, dann einerseits wegen der Beschränkung des Umfangs, andererseits, weil eben nur deutliche Anklänge germanischer Stoffe, Motive oder Namen aufgenommen wurden – natürlich gibt es noch eine Menge zu entdecken. –
Einleitung

Simeks kompakte Untersuchung über den Einfluss der altnordischen und allgemein germanischen Literatur und Mythologie auf Tolkiens Werk basiert unter anderem auf einer Vorlesung zum selben Thema. Dies mag ein Grund dafür sein, dass die einzelnen Kapitel ein wenig unverbunden wirken: Bis auf die knappe Einleitung fehlt ein Rahmen, der eine Einordnung der Einzelergebnisse in einen Gesamtkontext oder auch nur etwas wie ein Fazit bieten würde.

Ist man aber bereit, sich auf dieses Fehlen einer übergreifenden Deutung einzulassen, sind die einzelnen Abschnitte recht lesenswert. Simek ist die Begeisterung für sein Thema deutlich anzumerken, und er geht liebevoll ins Detail, wenn er etwa den Einfluss der mittelalterlichen Kosmographie auf den Weltenbau Mittelerdes zu ergründen versucht oder aber die von Tolkien vorgenommene Umwandlung historischer Runenschriften in eigene Systeme analysiert (hierbei erlaubt gut gewähltes Bildmaterial dem Leser eigene Vergleiche von Tolkiens Runen mit den historischen Vorbildern). Auch die Überlegungen zu den Inspirationen, die in die verschiedenen Völker und Wesen von Tolkiens Welt eingeflossen sind, nehmen breiten Raum ein. Gelegentlich treten dabei Perspektiven in den Vordergrund, die auch sonst zu Simeks erklärten Forschungsinteressen gehören, so etwa, wenn er sich sehr ausführlich Odin widmet, dessen ambivalente Natur er in mehreren Bewohnern Mittelerdes widergespiegelt sieht. Etwas zu knapp und eklektisch fallen dagegen die Hinweise auf für Tolkien zentrale literarische Motive aus; hier hätte man sich eine tiefergehende Interpretation gewünscht. Simek ist dabei bemüht, nie den Forschungsstand der für Tolkien wohl prägenden Jahre aus den Augen zu verlieren, und projiziert nicht voreilig modernes Wissen in die damalige Zeit zurück. So führt er z.B. akribisch auf, welche Ausgaben altnordischer Texte Tolkien zur Verfügung gestanden haben könnten, und äußerst sich auch zu dessen eigenen akademischen Arbeiten auf dem Gebiet der älteren Literatur.

Leider hält er diese wissenschaftliche Exaktheit in manch anderer Hinsicht nicht durch. Schon auf den ersten Blick fällt eine gewisse Inkonsequenz bei der Zitierweise auf: Während die Zitate aus Tolkiens Romanen regelmäßig zweisprachig (Englisch-Deutsch) wiedergegeben werden, sind seine Briefe nur auf Deutsch zitiert, ebenso die zum Vergleich herangezogenen Abschnitte aus altnordischen Texten. Dies mag Platzgründen geschuldet sein, verwirrt aber dennoch in seiner Uneinheitlichkeit ein wenig. Auch Simeks Genauigkeit lässt an einigen Stellen zu wünschen übrig. Man mag noch mit leisem Kopfschütteln darüber hinwegsehen, dass Schreibfehler wie Rivendale statt Rivendell und Celbrimbor statt Celebrimbor sowohl im Fließtext als auch im Register auftauchen, aber nachdenklich wird man, wenn man erkennt, dass Simek offenbar auch fachlich nicht immer ganz sauber recherchiert hat. Wenn er etwa das Wort Elben als deutsche Mischprägung (…) aus „Alben“ und „Elfen“ erklärt, suggeriert das einen Neologismus, der so nicht gegeben ist: Der Begriff ist immerhin schon bei Heinrich von Morungen um 1200 belegt, und das Grimm’sche Wörterbuch nennt weitere Verwendungen bis ins 18. Jahrhundert, in dem sich dann ans Englische angelehnt Elfen durchsetzte. Eine ähnliche Vergröberung liegt vor, wenn Simek bei seinen Überlegungen zur Herkunft der Hobbitnamen Drogo als rein normannischen Namen klassifiziert und damit die zahlreichen und zeitlich früher einzuordnenden Belege für diesen Namen im fränkischen Adel des Frühmittelalters unterschlägt. Gerade bei einem verdienten und anerkannten Wissenschaftler wie Simek enttäuscht einen diese Flüchtigkeit natürlich.

So bleibt man am Ende mit einem etwas zwiespältigen Eindruck zurück. Der interessierte Tolkienleser, der sich noch nicht tiefergehend mit altnordischer Mythologie und Literatur beschäftigt hat, wird hier durchaus Wissenswertes finden, und Simeks Ansatz,  Fantasyliteratur zum Gegenstand rezeptionsgeschichtlicher Forschungen zu machen, ist gewiss nicht verkehrt. Man wünscht sich nur, es wäre ihm gelungen, aus Mittelerde – Tolkien und die germanische Mythologie auch tatsächlich ein richtungsweisendes Buch zu machen, das die im deutschen Sprachraum immer noch unterentwickelte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Fantasy hätte voranbringen können.

Cover des Buches "Münchhausen erzählt" von Gottfried August BürgerDer Baron Münchhausen, ein passionierter Waidmann und Reisender aus Leidenschaft, erzählt am Abend bei einem Glas von seinen haarsträubenden Abenteuern. So erzählt er, wie er sich selbst am eigenen Zopf samt Pferd aus dem Sumpf zog, wie er auf einer Kanonenkugel ritt um den Feind auszuspähen, wie er von Riesenfischen verschlungen wurde, zum Mond reiste und unzähliges mehr.

-Ich trat meine Reise nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig schloß, daß Frost und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutschland, Polen, Kur- und Livland, welche nach der Beschreibung aller Reisenden fast noch elender sind als die Wege nach dem Tempel der Tugend, und man, ohne besondere Kosten hochpreislicher wohlfürsorgender Landesregierungen, ausbessern müßte.-
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Angesiedelt ist die Erzählung in den verschiedensten Regionen der Erde des späten 18. Jahrhunderts (das zweite Seeabenteuer beginnt 1766). Es werden so unterschiedliche und exotische Gebiete besucht wie das winterliche Russland, Ceylon oder das Osmanische Reich mit Konstantinopel und Alexandria. Doch eingehende Beschreibungen gibt es nicht – ganz explizit sagt Münchhausen, er wolle seine Zuhörer nicht mit derartigen Alltäglichkeiten langweilen. Erst in der zehnten Seereise, in der er zum Mond segelt, und der Reise durch die Erde wird etwas über die Bewohner und Umwelt an sich berichtet, da sie selbst schon Lügen sind. Kurzum: Kein Ding, welches der Leser kennen könnte, wird eingehend beschrieben.

Eine Geschichte im herkömmlichen Sinne gibt es nicht; Münchhausen erzählt seinen Zuhörern eine Reihe von erlogenen Anekdoten, die im besten Falle marginal mit einander verknüpft sind. Münchhausens Abenteuer als kohärente Geschichte ist eine Leistung des modernen Films, eine Konzession an die Sehgewohnheiten der Zuschauer.
Die Lügenmärchen aber haben es in sich: Es sind nicht bloß unglaubwürdige Lügen, sondern Parodien jeglicher Form auf die (damaligen) Verhältnisse und Reiseerzählungen, insbesondere des sprichwörtlich gewordenen “Jägerlateins” und des “Seemannsgarns”. So bekennt ein Begleiter Münchhausens der Sohn einer Prostituierten und des Papstes zu sein oder Münchhausens Hündin wirft (auf der Jagd) natürlich ebenso viele Welpen, wie die verfolgte Häsin selbst Junge wirft – selbstverständlich werden alle gefangen.
Aufgrund dieser extremen Zuspitzung können weder Alltäglichkeiten noch Charaktere beschrieben werden.

Sprachlich ist das Werk ebenfalls sehr gelungen und den Gegebenheiten wunderbar angemessen; manchen mag allerdings dieses altertümliche Deutsch, welches bisweilen reichlich verschachtelt ist, abschrecken. Bürger gelingt es immer wieder bekannte Ausdrücke einzuflechten und dem Stil der volkstümlichen Erzählung anzupassen.
Die Bewertung fällt sehr schwer, da es ein sehr spezielles Werk ist; vieles, was in anderem Zusammenhang negativ zu werten ist, ist hier beabsichtigt. Wer also die Prämissen akzeptieren kann, der wird ein einmaliges Lügenmärchen aufgetischt bekommen. Wer die Prämissen nicht teilen mag, der sollte einen großen Bogen um den Münchhausen machen.

Eine Bemerkung zur Textgeschichte: Die erste schriftliche Fassung dürfte das 1781 in Berlin veröffentlichte Vade Mecum für lustige Leute, enthaltend eine Sammlung angenehmer Scherze, witziger Einfälle und spaßhafter kurzer Historien aus den besten Schriftstellern zusammengetragen, Achter Teil sein. In diesem hatte ein Unbekannter einige Geschichten des berüchtigten (realen) Münchhausen aufgeschrieben. 1785 erschien in England allerdings Baron Munchhausen’s Narative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia, geschrieben hatte es der flüchtige Rudolf Erich Raspe (er hatte eine Münzsammlung gestohlen und verkauft; darauf musste er nach England fliehen). 1786 schon erschien eine zweite Auflage, (von Raspe) erweitert um die Seeabenteuer. Im selben Jahr erschien in Göttingen (London als Druckort war vorgetäuscht) das Werk Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegt. Doch dieses war keineswegs eine bloße Übersetzung; vielmehr hat Bürger dem Text die gelungene Form gegeben und wohl auch etwas erweitert.
Seitdem erfreut sich der Text enormer Beliebtheit und auch andere Herausgeber behandelten diesen nach eigen Gesichtspunkten; Episoden wurden in eine neue Reihenfolge gebracht oder ganz ausgelassen (die Prostituierte und der Papst fehlen häufig), sie wurden nacherzählt und umformuliert, schließlich wurden sie (durch den Film) in einem kohärentem Zusammenhang gebracht; es lassen sich also kaum zwei textidentische Auflagen finden.
Doch das Lügenmärchen hörte durchaus nicht mit Lord Dunsanys Jorkens-Geschichten auf zu bestehen; auch in neuester Zeit finden sich Lügenmärchen. Dem Fantasy-Leser könnten Geschichten wie Wilde Reise durch die Nacht oder Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär, jeweils von Walter Moers, bekannt sein.

Wer die Geschichte Online lesen mag, der kann dieses auf den Seiten des “Gutenberg-Projektes” machen; weitere interessante Details finden sich hier: http://www.munchausen.org/.

Cover des Buches "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo PerutzDer verbummelte Student Jakob Meisl erzählt seinem Nachhilfeschüler Geschichten, die sich im alten Prag zur Zeit Kaiser Rudolfs II. zugetragen haben. Diese Geschichten handeln u.a. von seinem Vorfahren Mordechai Meisl, der in der Prager Judenstadt -im Ghetto- lebte, von Wallenstein und von Kaiser Rudolf II.

-Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, dass sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse , die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.-
Die Pest in der Judenstadt

Dieser Novellenroman ist ein Meisterwerk der Erzählkunst und hat seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1953 leider nie die Publikumsresonanz gefunden, die er verdient hätte.
Leo Perutz erzählt in Nachts unter der steinernen Brücke die Geschichte einer verbotenen Liebe. Es kann aber durchaus sein, dass der Leser dies nicht gleich bemerkt, denn diese Liebe nimmt nur wenige Seiten des Romans ein und der Aufbau der Geschichte ist ungewöhnlich.

Dieses Buch enthält vierzehn Novellen, die in sich abgeschlossen sind, die aber nicht chronologisch aufeinander folgen. So glaubt der Leser zunächst, er läse einzelne, eigenständige Geschichten. Während des Lesens fällt auf, dass einige Protagonisten immer wieder vorkommen: Der Kaiser Rudolf, Mordechai Meisl, und Rabbi Loew. Und erst wenn man die letzte Novelle gelesen hat, weiß man, welche Geschichte Perutz eigentlich erzählt und wie kunstvoll er diesen Roman zusammengewoben hat. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, besitzt der Leser am Ende ein vollständiges Bild, wie die Schicksale des Kaiser Rudolfs, des Juden Meisl und des Rabbi Loew miteinander verknüpft sind.

Perutz beschreibt seine Protagonisten sehr detailliert und zeichnet auch die Nebenfiguren so liebevoll, dass jede ihren eigenen individuellen Charakter besitzt.
Die Handlung des Romans umfasst den Zeitraum von 1571 bis 1621. Perutz trifft mit seiner altertümlichen, poetischen, zeitweise magisch anmutenden Sprache genau den Ton dieser Epoche. Eigentlich ist Nachts unter der steinernen Brücke ein historischer Roman, die Hauptcharaktere sind alle historisch belegt und trotzdem wird man die Geschichten, die Perutz erzählt, in keinem Geschichtsbuch finden, z.B. wie Wallenstein an seinen Reichtum gekommen ist.

In seinen Novellen vermischt Perutz Geschichte mit jüdischen Legenden und alten Sagen so kunstvoll, dass es dem Leser völlig natürlich vorkommt, wenn ein Mann plötzlich die Sprache der Hunde versteht, dem Kaiser Dämonen erscheinen, Tote befragt werden oder der Leser folgende Information erhält: In der Woche zwischen dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfest, die man die Bußwoche nennt, in einer Nacht, in der der bleiche neue Mond am Himmel steht, erheben sich auf dem Prager Judenfriedhof die Toten des vergangenen Jahres aus ihren Gräbern, um Gott zu lobpreisen.

An diesem Buch hat Leo Perutz von 1924 bis 1951 geschrieben und zwar nicht nur, weil er zwischendurch seine anderen großen Romane wie “St. Petri Schnee” oder “Der schwedische Reiter” fertig geschrieben hätte, sondern weil es für jüdische Autoren mit Geschichten, die zum größten Teil in der Prager Judenstadt spielen, unter dem Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler keinen Platz mehr gab, zuerst in Deutschland, dann auch in Österreich.
Wie in dem Nachwort zu lesen ist, versicherte der jüdische Verleger Paul Zsolnay Perutz noch 1951 wie sehr er dieses Buch schätze, aber er sähe bei der gegenwärtigen Einstellung der Leser in Deutschland und Österreich keine Erfolgschancen für diesen Roman. Dieser Roman mit seiner wunderbaren Sprache und seinem einzigartigen Erzählstil hat aber jeden Erfolg verdient. Also lesen Sie ihn selbst oder verschenken Sie ihn bei jeder Gelegenheit. Sie werden jedem Literaturliebhaber eine Freude damit machen.

Nebelriss von Markolf HoffmannWährend viele die goldenen Schiffe der Goldéi noch für Gerüchte halten, fallen die Echsenwesen im Königreich Kathyga schon gnadenlos ein. Vor allem auf die magischen Quellen des Landes haben es die unbesiegbaren Invasoren abgesehen, doch ihre wahren Pläne durchschaut niemand – auch nicht der einzige Gefangene, der neben hunderten von Getöteten gemacht wird: Laghanos, ein Schüler der Magie. Im Kaiserreich von Sithar, das unter einem jungen, schwachen Herrscher leidet und von Intrigen und Machtpolitik seiner Fürsten in den Verfall gerissen wird, wagt allein Fürst Baniter es, in diplomatischer Mission das Nachbarreich aufzusuchen, um ein Bündnis gegen die Goldéi zu schmieden.

-Dünne Nebelschleier. Eiskalter Windhauch; leise pfiff er über die Menschenmenge hinweg und brach sich an den steinernen Hauswänden Larambroges.-
Prolog

Markolf Hoffmanns Nebelriss ist ein mutiges Debut – der Autor wagt Experimente, biedert sich nicht groß mit vertrauten Erzählmustern bei der Leserschaft an und schlägt mit seiner Reihe Zeitalter der Wandlung einen so eigenständigen Weg ein, dass sowohl ein Vergleich mit anderen deutschen als auch mit internationalen Fantasy-Autoren nur in die Irre führen würde.
Auffallend ist zunächst die Sprache: Hoffmann scheut sich nicht, Gebrauch von verschiedensten Stilmitteln zu machen und Ungewohntes auszuprobieren, und vor allem auch in den Dialogen nutzt er ein breites Register von Möglichkeiten.

Die Handlung steht dem kaum nach; man kann zwar nach diesem Auftakt-Band noch nicht absehen, wohin die Reise wirklich gehen wird, aber die Anlagen machen klar, dass es weder die übliche Geschichte vom Auserwählten noch ein Kampf gegen dunkle Mächte sein wird. Nebelriss lädt zum Rätseln ein, was die Goldéi sind und was sie wollen, aber auch die Hofintrigen und die Vorgänge in der  überzeugend ausgearbeiteten Kirche des Kaiserreiches lassen keine Langeweile aufkommen. Die Welt besticht mit interessanten Details und einer großen Vielfalt, sie wirkt bewohnt und belebt, und auch wenn die Schauplätze noch überschaubar bleiben, kommt der Eindruck einer lebendigen und auf verschiedene Weise tradierten Geschichte auf.
Besonders bei den Szenen mit den Goldéi ist es Markolf Hoffmann gelungen, ein beklemmendes und befremdendes Gefühl heraufzubeschwören (und das, was sie mit ihren magiebegabten Gefangenen anstellen, ist allemal für eine Gänsehaut gut).

Die einzelnen Figuren passen sich gut in das Gesamtpaket ein und bedienen keinerlei Klischees, handeln aber dennoch nachvollziehbar und wirken rund. Sie kochen alle ihr eigenes Süppchen, und sind bis in die Nebenfiguren hinein gut ausgearbeitet. Allerdings faszinieren sie eher auf kühle Art: man rätselt mit ihnen, beobachtet, versucht (in diesem Band vollkommen chancenlos), die Puzzleteile zusammenzusetzen, die Hoffmann ausstreut, aber ans Herz wächst einem keine der Figuren. Es wird sehr schnell klar, dass es keinen richtigen Symphatieträger geben soll, und die Welt von Nebelriss ist kein Ort für strahlende Helden.  Trotzdem bleibt der Eindruck, dass ein klein wenig Wärme und hier und da ein Zug der Figuren, der nicht extrem oder negativ besetzt ist, den Leser/die Leserin besser eingebunden hätte.
Interessant genug, um sich diese innovative Geschichte anzuschauen, ist Nebelriss aber allemal – es macht so viel anders, dass man vielleicht erst im Nachhinein bemerkt, dass es einen trotz der faszinierenden Ansätze etwas kalt gelassen hat.

Die Nebelsängerin von Monika FeltenNur mit viel Glück kann die junge Ajana einigen unglaublichen Unfällen entgehen, dann taucht auch noch ein geheimnisvoller Anwalt auf, der sie als Erbin einer fast vergessenen Urgroßmutter ermittelt hat und ihr ein schönes Amulett übergibt. Es übt eine magische Anziehungskraft auf Ajana aus, und schließlich gelangt sie mittels eines magischen Musikstücks nach Nymath, eine Welt, in der Elben und andere Geschöpfe mit Menschen zusammenleben. Doch in Nymath steht es nicht zum Besten: Die Nebel, die das Land vor Eindringlingen schützten, haben sich gelichtet, und das Volk der Uzoma dringt mordend und brandschatzend ein. Ist Ajana die prophezeite Retterin, die die Nebel erneuern kann?

-Es begab sich zur Zeit, da König Sanforan vom Blute der Onur in zwölfter Linie seine Hand zum Wohle über Andaurien breitete, daß große Plagen und schlimme Nöte das Land anheim suchten.-
Aus der Chronik Nymaths

2004 erschien die neue Trilogie von Monika Felten mit einem für damalige (und eigentlich auch noch heutige) Verhältnisse ungewöhnlichen Marketingaufwand: Merchandising mit Puzzles und Kalender begleitete die Veröffentlichung, der Roman selbst war opulent aufgemacht und brachte seinen eigenen Soundtrack auf CD mit.
In der schicken Verpackung steckt jedoch ein etwas biederer Standard-Fantasy-Roman, der ein bisschen wie aus dem Baukasten wirkt und kaum Überraschungen bereithält. Nymath, die Welt, in die es die günstigerweise passend mit einem Fantasy-tauglichen Namen ausgestattete Heldin alsbald verschlägt, ist tolkienesker Prägung – sogar die Elben von Nymath sprechen Tolkiens Elbisch; Sindarin, um genauer zu sein. Für zwei Nebenfiguren wurden zudem die Namen Feanor und Cirdan aus Tolkiens Kosmos entliehen. Eine Verneigung vor dem Altmeister des Genres? Schade, dass er dann im Nachwort, Impressum oder sonstwo in keiner Weise erwähnt wird.  Man findet lediglich einen weniger aufschlussreichen Hinweis auf die Internet-Seite, von der die Elbensprache übernommen wurde – und das gibt dem Ganzen doch einen recht schalen Beigeschmack.

Die Nebelsängerin bietet eine einfach gestrickte Fantasy-Geschichte, in der ein Mensch ein in diesem Fall musikalisches Portal in eine andere Welt findet und dort zum Retter im Kampf gegen das Böse ausersehen ist. Dadurch, dass die Uzoma (Nymaths Orks, die für die Bedrohung zuständig sind) zwar grausam, aber dennoch auch Vertriebene sind, die sich in gewissem Maße nur wehren, wurde versucht, etwas Tiefe in die Geschichte zu bringen und das Schwarz-Weiß-Schema zu verwischen. Aufgegangen ist diese Taktik allerdings nicht, denn die einzelnen Figuren sind alle beinahe vom ersten Satz an als gut oder böse zu identifizieren, und man merkt sogleich, dass der wirkliche Bösewicht der Geschichte kein Opfer widriger Umstände ist.
Aber subtil ist ohnehin nicht Monika Feltens Stärke. Da kann es schon mal passieren, dass man zwei Hauptcharaktere schon bei ihrem ersten Treffen als zukünftiges Liebespaar ausmachen kann, weil sie sich so gerne in die Augen schauen, oder dass sich nach einer halben Seite, auf der ein absolut verwüstetes Dorf beschrieben wird, bei der Heldin Ajana die unheilvolle Erkenntnis einschleicht, dass hier etwas furchtbares geschehen war. Bei diesen Holzhammer-Hinweisen gewinnt man den Eindruck, dass die Autorin ihren Lesern keine eigenen Schlüsse zutraut.

Feltens flüssiger Stil, der dafür sorgt, dass man den Roman in Windeseile durchlesen kann, macht die gemeuchelte Spannung auch nicht wett. Letztendlich werden in der ganzen Handlung nur Vermutungen bestätigt, die man von Anfang an anstellen konnte.
Es gibt seit jeher ein großes Angebot einfach gestrickter Metzel-Fantasy, die mit heldenhaften Abenteuern, Schlachten und muskelbepackten Helden hauptsächlich die Träume von (jungen) männlichen Lesern zu befriedigen versucht. Monika Felten wirkt, als hätte sie sich mit ihren Pferden, Falken, zauberhafter Musik und sensiblen Heldinnen, die ihre Bestimmung und ihre große Liebe finden, eher auf die Träume von kleinen Mädchen spezialisiert. Aber letzendlich ist es eine Frage der Erwartungen, die man an einen Roman stellt: Wenn man sich geradlinige, romantisch angehauchte Geschichten mit einem Schuss Vorhersehbarkeit und hohem Wiedererkennungsfaktor wünscht, ist Die Nebelsängerin so gut oder schlecht wie viele andere maßgeschneiderte Romane.
Die Lektüre lohnt sich langfristig ungefähr genauso sehr wie die begleitende Soundtrack-CD, die mystisch-belanglos vor sich hinhaucht und schnell wieder vergessen ist.

Nuramon von James A. SullivanNuramon ist als einziger Elf in der Menschenwelt zurückgeblieben, als sie auf ewig von der Heimat der Elfen getrennt wurde. Obwohl er zunächst wenig erpicht darauf ist, Kontakte zu Menschen zu knüpfen, entschließt er sich, seine Magie bei der Verteidigung der Stadt Teredyr zum Einsatz zu bringen, in deren Nähe er lebt, und gerät infolgedessen immer tiefer in menschliche Angelegenheiten hinein. Wider Erwarten scheint er sein Glück zu finden, als er sich in die Grafentochter Daoramu verliebt. Doch nicht jeder steht der Verbindung aufgeschlossen gegenüber, und die bedrohliche Magie, die sich immer weiter in der Welt ausbreitet, ruht ebenso wenig wie alte und neue Feinde …

Die Zukunft eilt uns stets voraus und hinterlässt Spuren, die ich zu lesen vermag. Und so entdeckte ich euch in all den Jahren, was vor euch liegen könnte, und mein Blick erwies sich oft als wahr. Gelegentlich aber traten Dinge nicht ein, die ich sah. Manchmal blieb die prophezeite Zukunft aus, gerade weil ich sie euch entdeckte. Etwas zu betrachten heißt oft, es zunichtezumachen. Denn dem Wissen um das Schicksal mögen Taten folgen, welche die gesehene Zukunft verändern. Zum Besseren, wie ich stets hoffe, zum Schlechteren, wie ich fürchte.
(Die Stimme des Orakels)

Obwohl James Sullivan mit Nuramon an Die Elfen (gemeinsam mit Bernhard Hennen verfasst) anknüpft, kann das vorliegende Werk sehr gut als Einzelband bestehen und ist auch ohne Kenntnis des Vorgängerromans problemlos lesbar. Eine einfache Einordnung in eine Schublade ist dagegen kaum möglich: Nuramon ist Weltrettungsepos, Familiensaga, Kriegs- und Intrigenpanorama und fish out of water-Geschichte in einem, wobei der Fisch allerdings mindestens als moralbewusster Tigerhai zu denken ist, denn was den Titelhelden Nuramon vor allem auszeichnet, ist seine Mischung aus für menschliche Begriffe unüberwindlichen Fähigkeiten und erstaunlich idealistischer Grundeinstellung. Als schon mehrfach Wiedergeborener, Krieger und zunächst einziger Nutzer der sehr mächtigen Magie, die von Reisen auf geheimen Wegen über Heilzauber bis hin zum vernichtenden Gebrauch im Kampf zahlreiche Einsatzmöglichkeiten bietet, verfügt er über ein Können, das Begehrlichkeiten weckt und zugleich moralische Probleme aufwirft. Wie er sich damit auseinandersetzt und sich gesellschaftlichen Erwartungen, nicht aber der gesellschaftlichen Verantwortung, zu entziehen weiß, ist sensibel und nuancenreich geschildert. Dass man dieser bisweilen überlebensgroßen Gestalt dabei nicht überdrüssig wird, hängt damit zusammen, dass Sullivan das Kunststück gelingt, Nuramon mit glaubwürdigen Gefühlen, Ängsten und Sehnsüchten auszustatten und ihm so die Sympathie des Lesers zu erhalten.

Neben solch einer vielseitigen Hauptfigur wirken einige der anderen Charaktere notwendigerweise skizzenhafter, doch auch wenn man von manchem gern noch mehr erfahren hätte, überzeugt das Gesamtensemble durchaus, vor allem in der über dreißig Jahre umspannenden Herausbildung und Weiterentwicklung seines Beziehungsgefüges: Wie Rivalen zu Verbündeten oder Freunde zu Feinden werden und solch eine schlichte Geste wie ein individueller Racheverzicht im Laufe der Zeit Auswirkungen auf ganze Staaten entfalten kann, wird gekonnt ausgemalt. Ermöglicht wird diese Schilderung mehrerer Jahrzehnte auf gut 800 Seiten vor allem dadurch, dass Sullivan sich häufig von dem im Genre mittlerweile zum Standard gewordenen szenischen Erzählen löst und neue Ansätze wagt. So erlaubt etwa der im Buch so betitelte Orakelblick, der auf engem Raum eine Vielzahl verschiedener Perspektiven zusammenstellt, die schlaglichtartige Beleuchtung aller möglichen Aspekte, doch es gibt auch im eigentlichen Haupttext geschickt genutzte raffende Passagen, die es gestatten, auch langfristige politische, militärische und wirtschaftliche Entwicklungen in den Blick zu nehmen, allen voran die Folgen, die der im Laufe der Geschichte ständig anwachsende Magiegebrauch nach sich zieht. Von dieser flexiblen Nutzung verschiedenster Erzähltechniken könnte manch ein anderer Fantasyautor viel lernen.

Eine beeindruckende Ausdehnung weist übrigens nicht nur die dargestellte Zeitspanne auf, sondern auch die Welt, in der sich Nuramons Abenteuer abspielen. Obwohl die Handlung sich auf zahlreiche unterschiedliche Orte verteilt, behält man immer den Eindruck, dass man hier noch viel mehr entdecken könnte, wenn der Autor einen nur lassen wollte. Dazu trägt sicher bei, dass die Beschreibungen der Schauplätze zwar oft knapp, aber sehr atmosphärisch sind und genau die richtigen Details aufrufen, um in wenigen Worten das Bild einer ganzen Landschaft heraufzubeschwören. Wer hätte nicht sofort eine Assoziation zu einer Weide, auf der die graufelligen Steinschafe ihr Auskommen finden, oder zu Bezeichnungen wie Schlangenforst und Elfengrat? Für eine im weitesten Sinne pseudomittelalterliche (auf alle Fälle noch vorindustrielle) Welt geht es dort übrigens bemerkenswert liberal und progressiv zu: So existieren in einigen der geschilderten Gesellschaften Kriegerinnen und politisch einflussreiche Frauen, und von den Konventionen der Mehrheit abweichende sexuelle Vorlieben (z.B. eine innige Dreierbeziehung) werden nicht nur mit viel Verständnis geschildert, sondern erfahren auch romanintern Akzeptanz. Dementsprechend ist es wohl auch keine gezielte Vermittlung eines gegenläufigen Bilds, wenn Sullivan in der Handlungsstruktur bisweilen eher traditionelle Wege einschlägt und immer dann, wenn der Roman nach einer damsel in distress verlangt, die mit großem Aufwand gerettet werden muss, auch tatsächlich eine Frau die Rolle ausfüllen lässt. Hier dürfte eher die oft unbewusste Wirkmacht bestimmter klassischer Erzählmuster deutlich werden.

Dem positiven Gesamteindruck tut das jedoch keinen Abbruch, denn alles in allem ist Nuramon vor allem eines: Ein Roman, in dem man wunderbar versinken kann und mit dessen Helden man gern durch alle Höhen und Tiefen mitfiebert, und dabei dank seiner originellen Ansätze eine Bereicherung für die deutschsprachige Fantasy.

Cover des Buches "Nussknacker und Mausekönig" von E.T.A. HoffmannIn der Familie des Medizinalrats Stahlbaum wird Weihnachten gefeiert. Pate Droßelmeier schenkt der siebenjährigen Marie und ihrem älteren Bruder Fritz eine wunderschöne Spieluhr. Doch Fritz spielt lieber mit seinen Soldaten und Marie bevorzugt einen ziemlich hässlichen Nussknacker. Eines Tages beobachtet sie, wie das Spielzeug um Mitternacht  zum Leben erwacht und wie eine heftige Schlacht  mit den Mäusen entbrennt. Marie verletzt sich und Pate  Droßelmeier erzählt ihr am Krankenbett das Märchen von der harten Nuss

Am vierundzwanzigsten Dezember durften die Kinder des Medizinalrats Stahlbaum den ganzen Tag über durchaus nicht in die Mittelstube hinein, viel weniger in das daranstoßende Prunkzimmer.-

Hoffmanns phantastisches Märchen schildert zu Beginn eine idyllische, aber realistische Bürgerlichkeit. Die Kinder dürfen den ganzen Tag lang nicht die gute Stube betreten. Die Abenddämmerung bricht herein, die Geschwister warten aufgeregt und weil kein Licht angezündet wird, auch ein wenig ängstlich, auf die Bescherung. Als es völlig finster geworden ist, meinen sie Flügelrauschen und Musik zu hören, sie sehen einen hellen Schein und wissen, dass das Christkind nun fortgeflogen ist. Es ertönt ein Glöckchen, die Tür wird geöffnet und das Weihnachtszimmer erstrahlt im hellen Glanz. Marie und Fritz sind glücklich mit ihren Geschenken, auch wenn sie -wie Kinder nun mal so sind- schnell die Lust an Droßelmeiers mechanischem Wunderwerk verlieren.
Nur der Pate will nicht so recht in das Idyll passen. Zwar lieben ihn die Geschwister, da er gut zu ihnen ist und ihnen stets die schönsten Geschenke macht, aber er ist kein hübscher Mann: klein und mager, mit Runzeln im Gesicht, auch fehlt ihm das rechte Auge, das durch ein schwarzes Pflaster ersetzt worden ist. Sein Äußeres und die Tatsache, dass er als Spielzeugmacher im wahrsten Sinn des Wortes die Puppen tanzen lassen kann, machen ihn zu einer zwielichtigen Person und der Leser kann sich nie sicher sein, ob der liebe, gute Pate, der so schöne Geschenke macht und der kranken Marie Märchen erzählt, nicht vielleicht doch ein böser Zauberer ist.

Hoffmann spielt mit den Erwartungen des Lesers und ironisiert sie gleichzeitig. Vor allem das Märchen von der harten Nuss mit der undankbaren Prinzessin, steckt voller ironischer Seitenhiebe und zeichnet das satirische Bild eines Königshofes. Das Gegenstück zu Prinzessin Pirlipat ist die reine, gutherzige und opferbereite Marie.

Nussknacker und Mausekönig ist aber nicht nur ein idyllisches und lustiges Märchen, es verbreitet auch Angst, Schrecken und ein gewisses Maß an Abscheu und zwar nicht nur für die kleine Marie.
Wer glaubt, der Mausekönig hieße so, weil er eine Krone trägt und der königliche Herrscher über alle Mäuse ist, der irrt. Der Hoffmannsche Mausekönig ist zwar auch Monarch und Befehlshaber seiner Truppen, aber wer den gebräuchlicheren Begriff “Rattenkönig” kennt, der kann sich eine ungefähre Vorstellung vom Aussehen des Mausekönigs machen. Wenn eine Ratte in einem Wurf mehrere Jungen zur Welt bringt und deren Schwänze sich unentwirrbar miteinander verknoten, so dass sie sich nicht voneinander trennen lassen, nennt man dies einen “Rattenkönig”. Er wirkt wie ein Körper mit vielen Köpfen und genauso sieht Hoffmanns Mausekönig aus – ein Körper, sieben Köpfe, kein wirklich schöner Anblick, schon gar nicht wenn er von dem genialen Illustrator Maurice Sendak gemalt worden ist.

Die meisten Illustrationen Sendaks sind wunderschön, weil er sie im Stil des 19. Jahrhunderts gemalt hat und alle Figuren klassizistische Gewänder tragen, so dass man glaubt, ein altes Märchenbuch in Händen zu halten. Aber es gibt auch Bilder, auf denen die Figuren bedrohlich wirken, allen voran der bösartige Mausekönig, aber auch Pate Droßelmeier macht nicht gerade den Eindruck eines liebenswürdigen, gütigen Mannes und es gibt eine riesengroße Abbildung des Gesichtes des Nussknackers, bei der man nicht weiß, ob man sich fürchten oder darüber lachen soll.
Die Farben sind übrigens gedeckt und nicht so bunt wie auf der Abbildung des Covers.

Elfenritter - Die Ordensburg von Bernhard HennenDies ist die Geschichte von Gishild, Herrscherin des Fjordlands und letzte Hoffnung für die freien Völker der Welt. Und es ist die Geschichte Lucs, Ritter im Dienste eines mächtigen Ordens, dem Todfeind der Elfen. Als Kinder untrennbar, stehen sie sich Jahre später an der Spitze zweier Heere gegenüber. Denn der Kampf um die alte Welt hat begonnen …

-Beklommen dachte Gunnar an seinen Urahnen und den Preis, den Mandred einst für die Hilfe der Elfen gezahlt hatte. Und Sorge war es, die den König endlich sprechen ließ. “Was fordert deine Königin für euere Hilfe?”, fragte er mit heiserer Stimme. Morwenna schwieg.-
Die Spur des Ahnen

Bernhard Hennens Elfensaga geht mit diesem Band in einen weiteren Subzyklus ein. Auch wenn Elfenritter – Die Ordensburg sicherlich nicht an seine Vorgänger heranreicht, ist es an sich immer noch gut gelungen.
Den Leser erwartet wieder eine sehr gut beschriebene und intelligent dargestellte Welt, die weder Fragen noch Zweifel aufkommen lässt. So haben Herrscher ihre Schlösser nicht auf malerischen Hügeln, sondern eher auf Landstrichen postiert, die zweckdienlich sind, daher also gut zu verteidigen.
Die Geschichte an sich ist gut durchdacht und schön zu lesen. Leider geht sie – in diesem Band zumindest – kaum über das Mainstream-Fantasy-Niveau hinaus. Unglaubwürdig ist, dass kleine Kinder trotz ihrer frühzeitigen Reife bereits sämtliche Erwachsenenzüge aufweisen. Ansonsten verstrickt sich die Handlung auf interessante Weise, man kann sehr gut die Intrigen der verschiedenen Machthaber nachvollziehen und die daraus resultierenden Folgen sind glaubwürdig. Die Charaktere sind rund, selbst Nebenfiguren wirken nicht wie “Schattengestalten” sondern haben eine eigenständige Persönlichkeit.
Was mir besonders gut gefallen hat, sind die vielen kleinen Informationen über die Ausbildung bzw. den Lebensweg der verschiedenen Parteien. So kann man leicht verstehen, weshalb die einen Hass auf die anderen hegen, oder aber weshalb sie so kämpfen/reden/sind, wie sie sind. Verbildlicht werden diese Textpassagen z.B. mit einer Skizze zu einem Kriegsvorbereitungsspiel am Ende des Buches.

Bei der Sprache kann man lediglich bemängeln, dass manche kriegerischen Begriffe wie “Arkebusen” auffallend oft genannt werden. Allerdings hat sich der Autor sprachtechnisch in seiner Elfensaga von Band zu Band verbessert, frühere Wortwiederholungen wie “Rückhandschlag” fallen weg. Das Buch kann man daher absolut flüssig lesen.
Insgesamt kann man sagen, dass jedem, dem die Vorgängerbände gefallen haben, auch dieses Buch gefallen wird. Es ist, auch wenn es sich nicht allzu deutlich vom breiten Durchschnitt abhebt, auf jeden Fall der Lektüre wert und daher zu empfehlen.

Cover von Das Paradies der Schwerter von Tobias O. MeißnerEine Flugschrift erreicht die sechzehn Kämpfer und Hauptfiguren in Tobias O. Meißners Paradies der Schwerter und bringt sie alle, nach unterschiedlichen Vorgeschichten und Biographien, in der Hölzernen Arena zusammen, wo sie Mann gegen Mann auf Leben und Tod ein grausames Turnier bestreiten.

– Großes Kampfturnier in der Befestigten Stadt! Sechzehn Teilnehmer streiten auf Leben und Tod um einen goldenen Stirnreif. Wert: Eintausend neue Taler. Kommt, um teilzunehmen! Kommt, um zu schauen! Eintritt nur fünf neue Taler. Das Turnier findet statt am Achten des Achten, ab morgens um acht. –
Flugschrift

Die Tendenz in moderner Fantasy zu düsteren, mittelalterlichen Welten, die von Intrigen, Egoismus, Machtgier und Herrschaftssucht gezeichnet sind, – als Beispiel seien hier George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer oder auch Markolf Hoffmans Zeitalter der Wandlung genannt – greift Meißner spielerisch auf und erhebt dieses Prinzip sogar zur Regel.
Wobei “Regel” in diesem Fall mehr als wörtlich zu verstehen ist, immerhin erschuf Meißner alle 16 Kombatanten in einem dem Rollenspiel ähnlichen Verfahren, bestimmte durch das Los die Kampfpaarungen und schlussendlich erwürfelte er ebenso das Schicksal seiner Protagonisten. Eben jene jedoch sind von solch schauerlicher Mensch- und Unmenschlichkeit, Tragik und Traurigkeit, dass der Leser immer zwischen Depression und Delirium gefangen gehalten wird. In der ersten Hälfte des Buches erfahren alle Mitstreiter eine mehr oder weniger ausführliche Vorstellung. Dieser expositorische Teil des Werkes zeigt Meißners schriftstellerische Kreativität.

Die eigentliche Welt, in der Meißners Roman spielt, bleibt eine Skizze und ist auch historisch nur schwer einzuordnen. Krieg herrscht im Land, es gibt nur wenige große Städte und überall verspürt man eine depressive und gewalttätige Stimmung. Dennoch erscheinen die Charaktere gar nicht wie skizzenhafte Stereotype. Die Bandbreite an Waffen und Kampfstilen ist dabei so groß wie die Verschiedenheit ihrer Hintergrundgeschichten, ihrer Motive und Triebfedern. Geltungssucht, Selbstbestätigung, Schicksal, Suche, Armut, Lebensmüdigkeit und Geldgier finden neben Hass, Verehrung und Brüderlichkeit alle durchaus auch mehrfach ihr Pendant in den durchweg interessanten und moralisch oftmals fragwürdigen Figuren.
Dieser Vielfalt an Protagonisten ist es auch zu verdanken, dass das Paradies der Schwerter nicht bloß zur Allegorie über Zufall und Schicksal wird oder lediglich eine harsche Kritik an Voyeurismus und Gladiatorenspielen (respektive wohl auch modernerer Unterhaltung: reality TV) bleibt, sondern auch das tragische Schicksal der Gladiatoren mitfühlen und -fiebern lässt. Ohne diese Beziehung zu den Charakteren, die durch deren Vorgeschichte aufgebaut wurde, wäre man wohl ebenso wie das Publikum in der Hölzernen Arena. Denn Meißners Sprache in den Kämpfen ist eindringlich, der ständige Wechsel der Erzählerperspektive führt zu einem beinahe filmhaften Erlebnis.
Das eigentlich abstoßende und zugleich faszinierende Element ist aber doch die unübertroffene Spannung, die durch die Unvorhersehbarkeit der Kämpfe aufkommt. Man spürt als Leser das Kribbeln eines ungewissen Kampfes, man setzt unwillkürlich auf den eigenen Favoriten und weiß doch immer, dass man keinen haben sollte.

Neben der sprachlichen Eindringlichkeit der Kämpfe verspürt man aber auch im restlichen Geschehen, dass Meißner ein Experiment geglückt ist. Mal sind die Vorgeschichten der Kämpfer anekdotenhaft, dann wieder kommt eine kühle Distanz durch paragraphenhafte Beschreibung auf oder man verfällt in den Rhythmus des jungen Daimiyo Kriegers, wenn Meißner staccatohaft und präzise seine Bewegungen und Kampffiguren beschreibt.
Mal erklärt ein Bewusstseinsstrom die Gedanken eines Kämpfers und dann weisen nur aphoristische Phrasen auf das Schicksal eines Kämpen hin. Diese Vielschichtigkeit bewahrt sich das Buch, ohne unleserlich zu werden; letztlich bleibt die Lesefreude und das Grübeln über das Geschehene die Hauptaufgabe des Lesers. Ebenso wie das Werk sprachlich ansprechend ist, die dramatis personae überzeugend skurril auftritt, beweist das Buch aber auch interpretatorischen Spielraum.
Die existenzialistische Idee, dass man das eigene Sein gerade in Grenzerfahrungen stärker wahrnimmt, wird ebenso beleuchtet, wie die Psychologie der Masse, die Günstlinge erwählt, nach Blut lechzt und irgendwann saturiert oder frustriert von dannen zieht.
Denn Meißners Hölzerne Arena hat ihren Zenit bereits überschritten, sie ist die letzte Bastion einer ausgehenden Ära von ehrenhaftem Kampf, wie der Arenabesitzer Gillet mehrfach betont. Diese paradoxe Perversität, dieses Ehrverständnis von Kampf auf Leben und Tod wird besonders deutlich, wenn man einen kleinen Kommentar mit einbezieht, der besagt, dass das Paradies der Schwerter in Tobias O. Meißners Roman Neverwake unter dem Titel Rakuen ein berühmter Bestseller wird. Neverwake handelt von einer Welt der Computerspiel-Ligen und von virtuellem (deswegen moralisch hochwertigerem?) Kampf.

Die Hölzerne Arena ist ein Auslaufmodell für die Welt von Neverwake, vielleicht eine dystopische Zukunftsvision für unsere Realität, vielleicht auch ein mahnender Zeigefinger oder einfach nur ein verdammt spannendes Buch über “Kampf, Zufall und das Gegenteil von Nichts”.

Die Priesterin der Tuerme von Heide Solveig GoettnerAls Amra, die Totenpriesterin der Stadt Caláxi, einen Fremden aus dem verfeindeten Norden der Insel entdeckt, stürzt sie ihre Heimatstadt in Aufregung. Doch während der Fremde festgesetzt wird, erscheint den Bewohnern seine Begleiterin, ein kleines Mädchen mit sonderbaren Augen, viel schlimmer: Sie gilt als eines der Verlorenen Kinder, vor denen die Menschen in einer Prophezeiung gewarnt werden. Tatsächlich spricht die kleine Lillia auch von einem Unheil, das über Caláxi kommen wird – und die Bewohner sind ihr nicht gewogen.
Amra allerdings kümmert sich um das Kind und erfährt bald, daß das Ziegenvolk der Nraurn hinter der sonderbaren Kleinen her ist. Doch da bricht die Katastrophe auch schon über die Stadt herein…

-Als die vier Tage der Totenklage vorüber waren, verließ Amra die steinernen Grabkammern, rückwärts gewandt, wie es der Brauch vorschrieb.-
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Sonnenverwöhnte Landstriche, Kräuterduft in der Luft, erhabene Bauwerke und geschichtsträchtige Stätten, Mittagshitze und lebensfrohe Märkte – wer denkt da nicht an einen Urlaub im Süden?
In diesem Ambiente (genauer gesagt: auf einer phantastischen Version Sardiniens) hat Heide Solveig Göttner ihre Trilogie angesiedelt, und mit der authentischen und doch ganz behutsam phantasievoll veränderten Realisierung des mediterranen Settings – in einer Zeit, die an die ersten großen menschlichen Kulturen denken läßt – schlägt sie den Leser schnell in ihren Bann. Man kann von Anfang an eintauchen in diese Welt, die einerseits durch alltägliche Nebensächlichkeiten vermittelt wird, und andererseits durch die gut durchdachte magische Komponente überzeugt, die sich nahtlos in das Setting einfügt.
Ein perfektes Buch also, um woanders hinzugehen – und dort wartet dann auch eine gute Geschichte: Was anfangs ein wenig nach Langeweile klingt – besondere Kinder unbekannter Herkunft gehören nun einmal zum etwas ausgelutschten Standard-Repertoire der Fantasy – entpuppt sich bald als Überlebenskampf der Personen, die um dieses Kind herum sind: Die unberührbare Priesterin Amra, der fremde, verschlossene Jemren und der Reiterkrieger Gorun sind dazu gezwungen, nicht nur ihre eigenen persönlichen Geschichten langsam aufzudecken und aufzuarbeiten, sondern auch die Geschichte ihrer Völker und ihrer Insel, die von Halbwissen und Vorurteilen belastet ist. Die Priesterin der Türme ist ganz auf diese drei unterschiedlichen Personen fokussiert, aus deren Perspektive berichtet wird – die Autorin setzt auch geschickt deren unterschiedliche Sichtweisen der Dinge für spannende Handlungsabschnitte ein.

Dabei überwiegen ruhige Passagen, für Spannung sorgt weniger Dauer-Action als eine vor allem wegen der fehlenden Informationen drängende Atmosphäre. Daß das Augenmerk in diesem Buch nicht unbedingt auf Kämpfen liegt, erkennt man auch daran, daß diese Szenen manchmal durch gut plazierte Zeitsprünge oder Perspektivwechsel ausgespart werden, was keineswegs künstlich wirkt. Gerade am Ende aber zeigt die Autorin, daß sie Verfolgungjagden und Kämpfen nicht abgeneigt ist und sie auch umzusetzen versteht. Dennoch ist Die Priesterin der Türme mit Sicherheit eher für die Liebhaber von gründlich ausgeleuchteten Charakteren und überzeugender Atmopshäre geeignet, die gerne auf Entdeckungsreise in fremde Kulturen gehen.

Auch auf den ersten Blick kommt man leicht zu einer falschen Einschätzung des Buches: Eine “Priesterin” im Titel, Matriarchat als Gesellschaftsform auf der Insel der Stürme und im Klappentext Lobgesänge, die alles von Marion Zimmer Bradley bis Monika Felten beschwören – das kann schon abschreckend wirken, wenn man kein spezieller Fan von alles überragender Frauenpower im Fantasy-Roman ist. Um so schöner ist dann die Entdeckung, daß man sich ganz umsonst gegruselt hat: Statt Schwarzweißmalerei und Lobeshymnen auf die Frauenherrschaft, die in der Fantasy bisweilen schon dazu instrumentalisiert wurde, die Kluft zwischen den Geschlechtern unterm Strich eher zu vertiefen, bietet Heide Solveig Göttner eine realistische Umsetzung des Matriarchats – und überhaupt wird den Geschlechterrollen im Roman so wenig Bedeutung beigemessen, daß dieser Absatz eigentlich schon viel zu lange ist, als daß er dem Thema gerecht werden könnte…
Man kann sich also ganz beruhigt auf die Insel der Stürme einlassen, auf dem es neben der menschlichen Kultur auch noch das Ziegenvolk der Nraurn zu entdeckten gibt, und das Ambiente in den Städte der Menschen genießen, die trotz der lebendigen Umsetzung immer ein Hauch von Vergangenheit zu umwehen scheint – und eine durch und durch menschliche Geschichte von Mißverständnissen und Fehlurteilen lesen.
Zum perfekten Urlaub im Süden fehlt dann eigentlich nur noch das Meer – und das kommt gewiß im zweiten Band!

Cover von Die Ringe der Macht von Helmut W. Pesch & Horst von AllwördenFern im Westen des Imperiums liegt Elderland, die Heimat des friedliebenden Ffolks. Dieses kleine und ruhige Volk lebt dort weitgehend unabhängig und unberührt von den grossen Ereignissen im Reich. Doch eines Tages tauchen längst vergessene Schatten der Vergangenheit wieder auf – ausgerechnet an den Küsten Elderlands. Für Kimberon Veit, den jungen Kustos des Ffolksmuseums zu Aldwick, beginnt somit das gefährliche Abenteuer, die Nachricht vom Angriff der Dunkelelben in das Imperium zu tragen und den Kaiser zu warnen. Auf ihrer langen und gefahrvollen Reise gelingt es den Freunden dabei, so manchens Geheimnis zu lüften und schließlich die Mysterien der Vergangenheit des Ffolks zu ergründen …

-Als Magister Adrion Lerch, der Kustos des Ffolksmuseums von Elderland, bekanntgab, daß er zum fünfzigsten Jahrestags seines Wirkens das Amt an einen Jüngeren abzugeben gedenke, schwirrte die Luft auf dem großen Markt zu Aldswick von Gerüchten.-

Die Ringe der Macht ist gewiss kein Buch, das überraschen oder neue Pfade beschreiten will. Wie Helmut W. Pesch, einer der Autoren, der in Fachkreisen als grosser Tolkien-Kenner und Fantasyexperte gilt und bereits einige theoretische Werke auf diesem Gebiet veröffentlicht hat, im Vorwort selbst schildert, handelt es sich bei diesem Buch eher um eine Art Experiment in Sachen Fantasyerzählung, um eine Homage an Auoren wie J.R.R. Tolkien, eine Entdeckungsreise in die Wirkungsweisen und Mechanismen der Reiche der Fantasy, als um die bewusste Erzeugung eines inovativen Romanes.
Eben dieser Anspruch, dieses absichtliche und gezielte Rückbesinnen und sich Beziehen auf bekannte Inhalte und Ideen ermöglicht es dem Erzähler, völlig unbefangen und frei mit eben diesen Inhalten und Ideen zu verfahren. Entstanden ist so – ohne dies eigentlich zu beabsichtigen – ein grossartiger Fantasyroman. Die Liebe zur Thematik und eine gewisse sprachliche und erzählerische Begabung, großes Einfühlungsvermögen und eine gehörige Portion Humor gestatten es Pesch und seinem Co-Autor Horst von Allwörden eine ungekünstelte, liebevolle und ambitionierte Geschichte zu erzählen, eine ‘neue alte Welt’ zu erschaffen, die gerade aufgrund ihrer offensichtlichen Rückbezüge und Anleihen und den Mut, bereits Dagewesenes und Wohlbekanntes aufzunehmen und spielerisch zu verarbeiten, frischen Wind in das Genre bringt.
Mag sich auch für manchen Die Ringe der Macht als pures Abkupfern bekannter Autoren ausnehmen – was den Leser dahinter erwartet, ist ein charmantes und wohlüberlegtes Jonglieren mit den Grundthemen und -gedanken der klassischen High Fantasy. Trotz aller Anleihen und Referenzen bleibt stets die eigene Erfindungsgabe, das schöpferische Element des Autors bestehen. Ein rundum geglücktes Experiment.

Ritus von Markus HeitzFrankreich 1764. Eine rätselhafte Bestie streift durch die Wälder und versetzt die Menschen dort in Angst und Schrecken, denn ihre Kinder sind es, die die Bestie in einem gnadenlosen Ritus hetzt und tötet. Längere Zeit versucht der ansässige Comte de Morangiès, die Bevölkerung zur Ruhe zu bringen. Doch als die Bestie immer mehr Kinderopfer fordert, begeben sich Männer von Nah und Fern auf die Jagd nach der Bestie. Ihnen schließt sich der Wildhüter Jean Chastel mit seinen Söhnen Pierre und Antoine an. In den Herzen der Chastels schlummert ein dunkles Geheimnis, und selbst im Jahre 2004 ist der Fluch der Bestie noch nicht versiegt …

-Mit einer monotonen Melodie gluckerte der Bach über die runden Steine. Die Abendsonne fiel durch die wenigen lichten Stellen des dichten Blätterwerks und erzeugte goldenrote Flecken auf dem schattigen Waldboden. Insekten waren auf der Suche nach Nahrung und summten durch die warme Luft. Der verführerische Duft leitete sie. Es roch nach Frühling, nach neuem Leben. Und nach Verwesung.-
Prolog

Bereits als Markus Heitz‘ Roman Die Rache der Zwerge auf den Markt kam, wurde für sein nächstes Werk Ritus mit den großen Worten Eiskalte Spannung – Dunkle Geheimnisse geworben, und ich griff sofort zu, sobald dieses vielversprechend klingende Buch erhältlich war. Und ich musste feststellen, dass es bei großen Worten geblieben war.
Eines sei erst einmal klargestellt: Heitz’ Ideen sind dennoch sehr interesssant, vor allem die Idee, zwei Handlungsstränge in verschiedenen Epochen zu weben. Der erste Handlungsstrang erzählt von Jean Chastel, der Jagd nach der Bestie in den französischen Wäldern und dem Geheimnis, das Chastel und seine Söhne vor den anderen verbergen. Dieser ist der interessantere der beiden Stränge, und teilweise werden die historischen Informationen gut in die Story intigriert. Der zweite Strang erzählt von dem Werwolfsjäger Eric von Kastell im Jahre 2004, unverkennbar ein Nachfahre des Wildhüters Jean. Vor allem aber die Geschichte um ihn ist es, die vieles an der Innovation von Ritus zerstört. Markus Heitz versucht seinen Eric von Kastell als eine Mischung aus werwolfsjagendem James Bond und den Men in Black rüberzubringen. Eric metztelt und ballert sich fluchend durch Europa, eine Spur der Verwüstung hinterlassend, um nebenbei noch mit allen möglichen Frauen zu schlafen, unter anderem auf einer öffentlichen Toilette und unter einem Brückenpfeiler. Die spröden und übertriebenen Gewalt- und Sexszenen lassen das ganze schmuddelig wirken und rauben Eric von Kastell viel von seiner ohnehin dünn gesäten Glaubwürdigkeit. Somit will der historische Teil nicht mit dem modernen in Einklang stehen, die beiden Erzählstränge werden so oft gewechselt, dass man nach und nach den Überblick (und die Lust am Lesen) verliert. Sobald auch der historische Part mit Jean Chastel nur noch in bluttriefendes Gemetzel übergeht, ist nicht einmal etwas vom barocken Charme des 18. Jahrhunderts zu finden. Letztendlich wird der Leser in Unzufriedenheit über die völlig überzogene und undurchsichtige Handlung zurückgelassen. Von eiskalter Spannung und dunklen Geheimnissen, wie bereits angekündigt, kann keine Rede sein.

Cover des Buches "Russische Volksmärchen" von Ulf Diederichs (Herausgeber)In dieser Anthologie hat Ulf Diederichs 25 russische Volksmärchen zusammengestellt, die größtenteils aus der Sammlung des August von Löwis of Menar stammen. Dem Leser begegnen bekannte Figuren wie Schneewittchen, aber auch Gestalten, die in den Märchen der Gebrüder Grimm nicht vorkommen.

-In einem Zarenreich lebte einmal ein Kaufmann. Zwölf Jahre war er verheiratet gewesen, aber er hatte nur eine einzige Tochter, Wassilissa die Wunderschöne.-
Wassilissa die Wunderschöne

Diese Märchensammlung eröffnet dem Leser eine phantastische Welt, die er so noch nicht kennt, sofern er sich nicht schon einmal mit slawischer Literatur befasst hat. Die faszinierendste Gestalt, die in den verschiedenen Märchen immer wieder auftaucht, ist die Hexe Baba Jaga, gegen die die Hexe aus Hänsel und Gretel eine harmlose ältere Dame ist. Zwar hilft sie manchmal auch den Guten wie der schönen Wassilissa, aber sie ist eine Menschenfresserin. Ihr Haus ist mit Menschenknochen eingezäunt, auf diesem makabren Zaun stecken Menschenschädel mit Augen, Menschenbeine bilden die Torpfosten, Hände die Riegel und statt des Türschlosses gibt es einen Mund mit scharfen Zähnen. Wenn Sie sich dieses Märchen als Achtjähriger allein zu Hause auf einer Kassette anhören, stehen Sie nachts senkrecht im Bett. Der Rezensent spricht hier aus persönlicher Erfahrung.

In manchen Geschichten geht es recht gewalttätig zu und die Sprache ist oft derber, als man es aus den heimischen Märchen kennt. Wenn Sie Ihre Kinder mit dem russischen Märchenschatz bekanntmachen möchten, dann ist es besser, Sie lesen die Märchen vor und entschärfen dabei gegebenenfalls Stellen, die Sie für Ihre Kinder als nicht geeignet erachten.
Für Erwachsene ist dies genau das richtige Buch, um einen Einblick in die russische Märchenwelt zu erhalten.

Im Anhang gibt es einen Quellennachweis, in dem auch zu lesen ist, zu welchem Märchentypus das entsprechende Märchen gerechnet wird, z.B. gehört “Oletschka” zum Märchentypus Die von der Stiefmutter verfolgte Tochter findet Zuflucht bei einer Bande junger Männer. Um welches Märchen handelt es sich da wohl? Es gibt auch noch russische Versionen von Der Teufel mit den drei goldenen Haaren, Die Gänsemagd und von Die zertanzten Schuhe.

Cover von Salve Roma von Akif PirinçciAls Francis’ Herrchen Gustav nach Rom gerufen wird, um die Ausgrabungen in neu entdeckten Katakomben zu überwachen, denkt Francis gar nicht daran, in der Katzenpension zu bleiben, in welcher Gustav den Kater zurücklassen will. Kurzerhand schmuggelt er sich in den Rucksack seines “Dosenöffners”. Doch als er in der großen Kulturhauptstadt ankommt, muß er feststellen, daß sich seine Reise schnell in eine ganz andere als die ursprünglich von ihm geplante Richtung entwickelt. Eine rätselhafte Mordserie unter den streunenden Katzen verbreitet unter den Samtpfoten Roms Angst und Schrecken. Zusammen mit seinem neu gewonnenen Freund Antonio versucht Francis Licht in den unheimlichen Fall zu bringen.

-Das Leben ist schön – die Menschen sind häßlich.-
Unbekannter Philosoph

Salve Roma ist der fünfte Band aus der Felidae-Reihe und dem Autor gehen sichtlich die Ideen aus. Manches von dem, was in Salve Roma beschrieben und erzählt wird, ist in anderen Büchern der Reihe schon einmal vorgekommen bzw. in anderer Form schon einmal erwähnt worden, und der Aufbau und Ablauf der Handlung ist auch nur eine leicht veränderte Variante der vorherigen Bände. Wieder werden Katzen auf grausame Weise getötet – in diesem Roman wird ihnen ein Ohr mitsamt Gleichgewichtsorgan entfernt – wieder spielt eine geheimnisvolle Sekte eine tragende, aber nicht die entscheidende Rolle – und wieder steckt letztendlich ein größenwahnsinniger Zweibeiner dahinter. Auch bei den Protagonisten ist Akif Pirinçci leider nichts grundlegend neues eingefallen: Es gibt die geheimnisvolle Katzendame, es gibt einen gutmütigen Hund, ein paar Straßenkatzen und die schöne Fremde, in die Francis sich heftig “verliebt”, auch hilft ihm diesmal ein schwarzer, schlanker Kater bei seinen (wieder) unfreiwilligen Ermittlungen: Antonio, der Francis ein guter Freund wird, ihn in den lukullischen Katzenhimmel Italiens entführt und der eine Neigung zum gleichen Geschlecht hat. Diese Homosexualität und anderes aus dem Verhaltensrepertoire der Katzen , welche der Autor ins Spiel bringt, wird in Fußnoten am Ende des Roman ausführlicher beleuchtet und erklärt, und auch dies wurde in den vorhergehenden Bänden so gehandhabt, was für das bessere Verständnis einzelner Situationen durchaus von Nutzen sein kann.
Dennoch hatte ich nach der Lektüre das Gefühl, alles schon einmal gelesen zu haben, und auch das Ende der Geschichte wirkt “an den Haaren herbeigezogen”.
Die Serie ist schlicht ausgebrannt, die Vorgänger, vor allem Felidae und Francis warteten schon mit Superlativen an Lösungen auf, so daß es verständlicherweise schwer ist, wieder einen guten, stimmigen Plot aus dem Hut zu zaubern und damit eine packende Geschichte zu schreiben … Es ist wie bei Filmen, an die man aufgrund des Erfolgs des Ersten eine Fortsetzung dranhängt: Sie wirken wie ein fader Abklatsch des ersten Films. So ist es auch hier: Zumindest die Bände 3 bis 5 der Felidae-Reihe sind mehr oder weniger Plagiate der ersten beiden Bände …
Aus diesem Grund sollte man Francis die letzten Jahre seines Katzenlebens gönnen, ohne spektakuläre Serienmordfälle lösen zu müssen, und ihn in Ruhe in Gustavs miefigen Bett dösen und draußen im Garten einfach die Mäuse fangen lassen, die er in seinem Alter noch erwischt …

Sanctum von Markus HeitzNach einer langen Hetzjagd erreicht Eric von Kastell Rom, die Ewige Stadt. In den Straßen dieses geheimnisvollen Ortes fließen alle Fäden zusammen, die zum Vermächtnis einer rätselhaften Frau aus dem 18. Jahrhundert führen: Gregoria, die Äbtissin des entweihten französischen Klosters. Nach und nach stellt Eric fest, dass er und Gregoria untrennbar miteinander verbunden sind. Durch die heiligste Substanz, die sich auf Erden finden lässt: Das Sanctum …

-“Macht Euch nicht lächerlich, Abbé. Die Bestie ist tot.” So, wie Pierre-Charles, Comte de Morangiès, es sagte, klang es nach einem Befehl. Wie immer, wenn die Rede auf das Untier kam, das im Gévaudan mehr als drei Jahre lang gewütet hatte.-
Prolog

Bisher ist Sanctum Markus Heitz’ in jeder Hinsicht schlechtestes Buch, und diesmal wirken sich nicht einmal Heitz’ Ideen positiv auf die Bewertung dieses Romans aus. Wieder bestehen zwei Handlungsstränge – ein historischer und ein moderner – und da beide fast ausnahmslos in Rom spielen, verliert man schon bald wieder den Überblick und die aus Ritus bekannte Langeweile kommt auf. Schnell wird erneut – vor allem in Erics Part – gemetzelt, was das Zeug hält – Splatterszenen sind wohl das, was in diesen Büchern die dunkle Spannung beinhalten soll. Es geschehen abartige und unglaubwürdige Morde, die wohl eine Gänsehaut verursachen sollten, jedoch nur einen angewiderten Blick und Lustlosigkeit hervorrufen. Unter anderem zerstört Eric ein Café, ballert hemmungslos darin herum und liefert sich eine Verfolgungsjagd mit einer Sekte, die Werwölfe anbetet – Dan Brown lässt grüßen – ohne für seine Gewalttaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Da wird in aller Öffentlichkeit gemordet und die Zeugen gucken nur groß – so etwas wie eine Polizei scheint es in und um Rom nicht zu geben.
Wieder sind Heitz’ Inspirationsquellen ersichtlich: Illuminati und Sakrileg liefern nicht nur die Vorlage für den Handlungsort, Rom, sondern wohl auch für die lang bestehende Sekte, die stark an die Illuminati und Opus Dei in Dan Browns historischen Krimis erinnert.
Sanctum beherbergt noch mehr Charaktere als Ritus, und durch sich ähnelnde Namen und die Masse der Personen geschieht es leicht, dass man nicht weiß, welchen Handlungsträger man gerade vor sich hat.
Lange Zeit wird ein Geheimnis darum gemacht, was das Sanctum ist, und als das große Geheimnis gelüftet wird, stellt es sich eher als großes Manko heraus. Unlogik und Unglaubwürdigkeit stehen in Sanctum an der Tagesordnung, und man quält sich regelrecht von Seite zu Seite, immer wieder darauf hoffend, dass Markus Heitz doch noch einen großen Knall am Ende setzt. Leider war dem nicht so. Bloß das übliche Standard-Gemetzel und eine weitere, große Enthüllung – sollte das vielleicht der Knalleffekt sein? -, von der nie die Rede war und die bloß dazu dient, dass der Leser ein weiteres Mal erleben darf, wie Eric von Kastell jemandem das Nasenbein zertrümmert. Mit diesem Schluss ist jegliches Wohlwollen dem Buch gegenüber verspielt, und man stellt es mit dem traurigen Gefühl in der Magengegend ins Regal zurück, als Leser nicht ernstgenommen zu werden.

Cover des Buches "Der Sandmann" von E.T.A. HoffmannNathanael ist Student in einer kleinen Stadt, zu Hause wartet seine Verlobte Clara auf ihn – ein scheinbar perfektes Leben. Doch die Vergangenheit holt Nathanael ein: als Kind beobachtete er seinen Vater bei geheimen alchimistischen Versuchen mit dem Advokaten Coppelius, einem kinderhassenden, unfreundlichen Riesen. Bei einem letzten Experiment geht etwas schief und Nathanaels Vater stirbt bei einer Explosion, Coppelius ist aber verschwunden. Eines Tages klopft es an Nathanaels Tür und der Wetterglashändler Coppola tritt ein. Nathanael ist zu Tode erschrocken: Coppola sieht genauso aus wie Coppelius! Aber ist er es wirklich, oder tut er dem Wetterglashändler unrecht? Und was ist mit der seltsamen Nachbarstochter, die ihn die ganze Zeit beobachtet?

-Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher sichtbar, aber ohne Augen – scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius, mit dumpfer, dröhnender Stimme.-
Seite 9, Zeile 19 ff.

Der Sandmann war eine Pflichtlektüre im Deutschunterricht und ich war anfangs gar nicht davon begeistert. Der Titel versprach anscheinend Einschlafgarantie, aber das Buch hat mich sehr positiv überrascht.

Die Novelle beginnt mit einem Briefwechsel von Nathanael an Clara bzw. Lothar, deren Bruder, in welchem Nathanael seine Situation schildert. Bereits auf den ersten Seiten erfährt man, wie sehr der Besuch des Coppola ihn mitnimmt und welch starken Gefühle Nathanael ergreifen. Schon allein dieser eine Besuch und die Erinnerung an das Unglück bringen ihn völlig aus der Fassung und zerstören fast sein Liebesglück, denn er kann sich nicht von seinen Gefühlen trennen. Zunächst flacht dann die Spannungkurve etwas ab, bevor sie wieder rassant steigt: eine weitere Person betritt das Geschehen, Olympia, die Tochter eines Professors. Doch wie passt sie da hinein und warum beobachtet sie die ganze Zeit Nathanael?

Ob Nathanael nun einen Sinn für das “böse Prinzip” in der Welt hat oder vielleicht geisteskrank ist, wird vom Autor nicht verraten. Clara versucht durch den ganzen Roman einen guten Einfluss auf ihren Verlobten auszuüben, doch der entzieht sich immer mehr ihren beruhigenden Worten. Realität und Phantasie verschwimmen und am Ende bleibt es dem Leser überlassen, über Nathanael zu urteilen.
Hoffmanns Bild von Nathanael zeigt die Gefährdung des Menschen, wenn dieser nicht mehr in der Lage ist, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Nathanael ist gefangen in seiner Vorstellung, dem Mörder seines Vaters gegenüberzustehen. Doch ob Coppola und Coppelius ein und dieselbe Person sind, wird nicht verraten.

Neben den romantischen Leitbildern lässt Hoffmann auch bitterböse Ironie über die damalige Gesellschaft mit einfließen. Genau diese Ironie rundet den Roman hervorragend ab.
Nur wenige Bücher haben mich so überzeugt wie dieses. Obwohl es schon fast 200 Jahre alt ist, erzeugt es immer noch Spannung und ein gewisses Gänsehautgefühl, gerade heute, da die eigentliche Thematik aktueller denn je ist.

Schattenbruch von Markolf HoffmannNoch immer kämpfen die Menschen auf Gharax verzweifelt gegen die einfallenden Echsenwesen, die Goldéi, an – doch nach wie vor ohne Aussicht auf Erfolg. Nicht einmal die von Baniter Geneder herbeigeführte Verbindung des Kaiserreichs Sithar mit seinem Nachbarn Arphat kann gegen die einfallende Macht bestehen, zumal der junge Kaiser und seine Frau, die arphatische Herrscherin, gegeneinander intrigieren. Baniter selbst ist ein Gefangener des Kaisers, während sich über der Hauptstadt Vara langsam das Unheil zusammenbraut.
Derweil versuchen die beiden verfeindeten Legenden Mondschlund und Sternengänger ihre jeweiligen Verbündeten in den Kampf zu ziehen, doch diese vertrauen ihren Mentoren nicht vollends – wie es aussieht, zu recht.

-Tief im Gestein schwelt uralter Haß. Zwischen Schichten aus Erz und Granit, Ton und Kies wohnt eine Kraft, die uns Menschen verachtet, unser Fleisch, unser pochendes Herz, das Blut, das durch unsere Adern peitscht.-
Prolog

Mit einem abermals äußerst eindrucksvollen Prolog nimmt Markolf Hoffmann die vielen komplex verstrickten Fäden seiner Erzählung wieder auf – und das größte Manko an Schattenbruch ist wohl, daß er sie in diesem immerhin vorletzten Band der Reihe nicht einmal ansatzweise entwirrt, so daß man am Ende nur wenig klüger ist und sich in keiner Weise ausmalen kann, wo der Autor denn mit all seinen Handlungssträngen hin will. Daher entsteht trotz der diesmal actionreichen und vielseitigen Handlung das Gefühl, im Prinzip auf der Stelle zu treten: Es werden keine Zusammenhänge aufgeklärt, die fragwürdige Loyalität und Moral aller Figuren bleibt erhalten und gerade zu den beiden großen Gegenspielern im Hintergrund der Geschichte, Sternengänger und Mondschlund, gibt es keine näheren Informationen.

Wenn die Kontinuität in Hoffmanns Informationspolitik auch ein wenig störend ist – an anderer Stelle ist sie hochwillkommen: Wie bereits in den Vorgängerbänden kann man sich an einem schönen und sich vom Einheitsbrei abgrenzenden Sprachstil erfreuen, der wie gehabt auch sprachliche Experimente beinhaltet (die wiederum nicht jedes Lesers Fall sein dürften). Abgesehen davon, daß nicht alle diese Experimente ganz rund laufen, finden sich in Schattenbruch wieder etliche stilistisch überzeugende Elemente, und man kann sich von einem erweiterten Wortschatz, der durchaus auch antiquierte Wortbedeutungen enthält, verwöhnen lassen.

Die Handlung vermag nach wie vor zu fesseln, wenn man auch nicht umhin kommt, zu fragen, wie dieser Knoten im Abschlußband denn ohne brutalen Schwerthieb gelöst werden soll – interessante Ideen, die sich wohltuend vom mittelaltertümelnden Standard abheben, gibt es zu Hauf, und die moralisch ganz und gar nicht einwandfreien Figuren, bei denen so gar kein Auge zugedrückt wurde, so daß sie allesamt mehr schlechte als gute Seiten haben, sind farbig, entwickeln sich und haben Tiefe. Aber gerade hier vermißt man nach wie vor ein wenig Herzblut. Auf den ersten Blick erscheinen die Figuren fast oberflächlich – aber was fehlt, ist schlichtweg ihre Gefühlsebene. Die emotionale Bindung der zahlreichen Charaktere an den Leser wurde beinahe komplett ausgespart und deswegen sind sie nicht selten schwer nachvollziehbar. Den Verzicht auf das vermeintlich billige Wechselbad der Gefühle mag ja ein ehrbarer Ansatz sein, aber die so geschaffene Distanz von Leser und Figur trägt nicht dazu bei, daß man sich locker-leicht auf die Ebene der Geschichte und der Welt Gharax begeben kann.
Ein abgeschlossenes Leseerlebnis hat Schattenbruch übrigens nicht zu bieten – alle Handlungsstränge enden in einem Cliffhanger. Fesselnd genug, zum Folgeband zu greifen, ist das Zeitalter der Wandlung gewiß. Aber mit fortschreitender Dauer hätte man sich in vielfacher Hinsicht etwas mehr als das gewünscht …

Cover von Die Seele der Nacht von Ulrike SchweikertAls Tahâmas Vater schwerverletzt von einer Mission zum Elfenbeinturm zurückkommt, ringt er Tahâma, bevor er stirbt, das Versprechen ab, ihrem Volk, das in das Land Nazagur aufgebrochen ist, nicht nachzufolgen. Tahâma macht sich jedoch trotzdem auf den Weg – soll dieses Land doch ausgesprochen gute Lebensbedingungen bieten und sich immer weiter ausbreiten, während die anderen Länder Phantásiens nach und nach vom Nichts verschlungen werden. Unterwegs in dies gelobte Land schließen sich Tahâma Céredas, ein junger Jäger, und Wurgluck, ein Erdgnom, als Reisegefährten an. Als die drei in Nazagur ankommen, ist das Land auf den ersten Blick tatsächlich ein Idyll – doch hinter dieser Fassade verbirgt sich ein schreckliches Geheimnis …

-“Auf nach Gwonlâ!”, hallten seine Worte bis zum Tor hinunter. “Heute Nacht werden wir im Tal des Wínolds unsere Gier stillen!”-
Prolog

Dieser zweite Band der Legenden von Phantásien nimmt kaum Bezug auf Die unendliche Geschichte, nur ein paar Dinge finden in Nebensätzen und beiläufigen Unterhaltungen Erwähnung. Auf diese Weise hat sich Ulrike Schweikert Raum geschaffen, in welchem sie ihre Erzählung frei entwickelt, hat sich bemüht, eine spannende Geschichte zu erzählen, nur leider ist dies nicht in allen Bereichen des Romans gelungen.
Die Geschichte dreht sich um das Mädchen Tahâma, das dem Volk der Tashan Gonár angehört. Die Tashan Gonár sind in ganz Phantásien für ihre einzigartige Musik berühmt, die heilen und trösten, aber auch verletzen kann.
Die Autorin beschreibt Tahâma und einige Vertreter des Volkes ausführlich und liebevoll. Sie zeichnet Tahâma klar und arbeitet ihren Charakter sehr deutlich heraus, so daß man sich das Mädchen gut vorstellen kann. Auch Wurgluck weiß sie sehr schön zu skizzieren. Doch bei den übrigen Figuren des Romans, die für die Handlung ebenfalls eine herausragende, wenn nicht gar entscheidende Rolle spielen, sind die Beschreibungen leider nicht so ausführlich und schön gediehen: Vor allem die Figuren auf der Seite des Bösen sind sehr oberflächlich skizziert. Sie machten auf mich allesamt den Eindruck von Schauspielern, die eine Rolle nur deshalb übernommen haben, weil die Gage stimmt … Ihre Motivation war unglaubwürdig – sie waren, oft nach halbherzig beschriebenen Konfrontationsszenen (von “Kämpfen” kann man hier kaum sprechen …) viel zu rasch besiegt, so daß der Eindruck entstand, sie wollten gern schnell besiegt sein, um das Set so schnell wie möglich wieder verlassen zu können. Überall geht Tahâma, meist nach von der Autorin ziemlich halbherzig ausgeführten Kampfszenen, Gefangennahmen und Versteckspielen, als strahlende Siegerin hervor. Alles ist vorhersehbar, denn die “gefährlichen” und “übermächtigen” Gegner setzen dem blauhaarigen Gör kaum Widerstand entgegen. Nicht einmal bei dem hier als all- bzw. übermächtig, abgrundtief böse und gierig beschriebenen Schattenlord hat Tahâma größere Schwierigkeiten, dem fiesen Kerl das Handwerk zu legen … viel zu schnell ist alles vorbei und sein … gebleichtes Gewand fiel leer zu Boden …
Auch bei Céredas, Tahâmas zweitem Weggefährten, fiel die Beschreibung des Charakters, seiner guten und schlechten Eigenschaften, eher sparsam aus. Für die wichtige Rolle, die ihm die Autorin ursprünglich zugedacht hatte, wird er nun zu stark an den Rand gedrängt und kommt, trotz aller für die Handlung wichtigen Details, nicht über das Schattendasein einer Nebenfigur hinaus.
So sind auch seine übrigen Eigenschaften eher schwach herausgearbeitet – die ganze Figur bleibt unnahbar und der Hauptzweck seiner Anwesenheit scheint ausschließlich darin zu bestehen, Tahâma in möglichst gutem Licht dastehen zu lassen …

Seide und Schwert von Kai MeyerNiccolo lebt auf den Wolken, zusammen mit einer kleinen Schar von Auswanderern, die dank einer Erfindung von Leonardo da Vinci dort ihre Wohnstatt errichtet haben. Doch plötzlich funktionieren die Äthermaschinen nicht mehr, und die Wolkensiedlung strandet auf den hohen Gipfeln über China. Nach langem Hin und Her wird Niccolo ausgesandt, auf der Welt unten nach Hilfe zu suchen, bevor sich die Wolken ganz auflösen und die Stadt dem Untergang geweiht ist. Doch die Länder auf der Erde sind voller Gefahren …
In China lebt Nugua, ein Mädchen, das von Drachen aufgezogen wurde. Seit die Drachen verschwunden sind, ist sie auf der Suche nach ihnen.

-Sie war als Menschenmädchen unter Drachen aufgewachsen. Aber erst an dem Tag, als die Drachen aus der Welt verschwanden, wurde Nugua bewusst, wie sehr sie sich von ihnen unterschied.-

Kai Meyer, der in seinen Jugendbüchern schon mehrfach internationale Überlieferungen und Sagen herangezogen und diese Elemente zu etwas Neuem verbunden hat, als wäre er der deutsche Neil Gaiman, hat für seine Trilogie Das Wolkenvolk vor allem die chinesische Kultur als Inspiration genutzt. Und weil ein Themenkreis für Meyers aufwendige Gebilde nicht ausreicht, ist das namensgebende Wolkenvolk selbst ein über China gestrandeter Haufen von Italienern unter Führung der Medici, die dank einer Erfindung Leonardo da Vincis zweihundert Jahre lang auf verfestigten Wolken mit den Luftströmen um die Erde gereist sind.
Abwechselnd erzählt Meyer von den Fährnissen der nun sinkenden Wolkenstadt, zu deren Rettung der junge, schüchterne Freigeist Niccolo ausgesandt wird, und von China, wo das eigensinnige Mädchen Nugua die verschwundenen Drachen sucht – unschwer zu erraten, daß sich die Helden treffen und ihre Questen zusammenzuhängen scheinen.

Die Abenteuer führen quer durchs Land und erfordern allerlei Gefährten, wobei hier Rätselhaftigkeit bei allen Nebenfiguren Programm ist – keiner stellt sich als das heraus, was er anfangs zu sein scheint. Vom unsterblichen Streiter und der überirdischen Schönheit bis hin zum komischen Feigling und der spröden Kämpferin ist alles vertreten. Trotz dieser Fülle sind viele Charakterbeziehungen vorhersehbar und stereotyp. Ein Jugendbuch ist vielleicht nicht der Ort für hochdifferenzierte Motivationen und uneindeutige Charaktere, doch so starr hätten die Rollen nicht von Anfang an festgelegt sein müssen. Es mag auch daran liegen, daß in diesem Auftakt-Band zu viele Figuren eingeführt werden, so daß sogar der bemitleidenswerte Tolpatsch Feiqing kaum genügend Zeit hat, wirklich die Sympathie des Lesers zu erwerben, obwohl er sich redlich bemüht und durch seine Eigenwilligkeit eine der liebenwürdigsten Figuren des Romans ist.

So wird auch Mythos um Mythos bemüht und sämtlichen Vorstellungen genügt, die man gemeinhin mit dem fernen Osten verbindet, und phantastische Schauplätze rauschen am Leser vorbei. Dementsprechend huscht alles nur kurz durch’s Bild, und die Helden müssen um die Lösungen ihrer Probleme meistens nicht kämpfen (obwohl spektakuläre Actionszenen, die an den asiatischen Film erinnern, durchaus ihren Platz haben), denn ein spektakuläres Problem wird einfach vom nächsten (ab)gelöst. Der ganze Roman ist randvoll gepackt mit mysteriösen Figuren, großartigen Schauplätzen und überraschenden Abenteuern, so daß einige feinere Nuancen zwangsläufig auf der Strecke bleiben.

Die Achterbahnfahrt durchs mythische China liest sich aber trotz allem äußerst angenehm, denn Kai Meyer erzählt stilvoll und, bis auf einige Patzer (schade zum Beispiel, daß man jungen Lesern realisieren als “wahrnehmen” statt “wahr machen” vorsetzt), sehr flüssig.
Der Versuch, möglichst viel vom Zauber Chinas einzufangen, ist leider nur in einzelnen Szenen gelungen – und wenn man dort einen Hauch davon erfährt, merkt man, daß das Konzept eigentlich aufgehen hätte können. Nach einem offenem Ende und nun, da alle Figuren bereit und mitten in der Handlung stehen, vielleicht im zweiten Band ohne die Hektik von Seide und Schwert.

Das silberne Einhorn von Max KruseEin König verscherzt es sich mit einer mächtigen Fee, als er es versäumt, sie zum Geburtstagsfest seiner kleinen Tochter einzuladen, und steht fortan unter einem Fluch, der nur gebrochen werden kann, wenn der Fee eines der seltenen – vielleicht gar ausgestorbenen – Einhörner übergeben wird.  Geschieht dies nicht, bleibt der König zu ewiger Traurigkeit verdammt, was sich auch auf sein ganzes Reich äußerst nachteilig auswirkt. Herangewachsen begegnet die Prinzessin wider Erwarten tatsächlich einem silbernen Einhorn und macht sich mit ihm und ihrem Spielkameraden, einem Müllerjungen, zur fernen Insel der Fee auf, um den Bann zu brechen …

Diese Geschichte fängt an wie ein Märchen, das wir alle kennen. Und wie alle Märchen erzählt sie uns etwas über uns, was wir vielleicht noch nicht wissen.
(Die Fee)

Max Kruse dürfte den meisten Lesern wohl vor allem als Kinderbuchautor vertraut sein; seine für Jugendliche und Erwachsene bestimmten Werke (z.B. der historische Roman Hazard der Spielmann) haben nie einen vergleichbaren Bekanntheitsgrad wie die Klassiker Urmel aus dem Eis oder Der Löwe ist los erreicht. Mit Das silberne Einhorn. Eine Geschichte vom Wünschen richtet Kruse sich abermals an ein erwachsenes Publikum, aber wer mit einem regelrechten Fantasyroman rechnet, wird enttäuscht sein. Die kleine, feine Erzählung ist halb Märchen, halb Parabel und erörtert in scheinbar naiver Form manche Frage des menschlichen Daseins und des Umgangs miteinander.

Als vergleichbares Werk kommt einem noch am ehesten Antoine de Saint-Exupérys Der kleine Prinz in den Sinn, doch dessen melancholische Grundstimmung fehlt bei Kruse. Er zeichnet eher eine hoffnungsvolle Utopie, die in ihrer Tendenz, selbst lebensbestimmende Konflikte als überwindbar darzustellen, bisweilen fast ein wenig zu optimistisch anmutet. Doch in gewisser Weise ist dieser idealistische Glaube an Lernfähigkeit und Gutwilligkeit des Menschen durchaus subversiv, fühlt man sich doch gerade von dieser Überzeugung zutiefst in eingefahrenen und nicht selten etwas zynischen Denkmustern ertappt. Ist man dann erst einmal zu dem (gerade für den modernen Fantasyleser gewiss nicht immer einfachen) Eingeständnis gelangt, dass eine abgeklärt-pessimistische Weltsicht weder die einzig mögliche noch allein wünschenswerte ist, fällt es leichter, sich auf den Zauber von Kruses Geschichte einzulassen, die nicht zuletzt auch von ihrer poetischen und zugleich einfachen Sprache lebt. Ganz schlichte, aber treffende Wendungen wie “Sie wanderten durch den Sommer”, “Grau wurden die Bäume, grau wurden die Wiesen” oder “Sie waren umgeben von Bläue und Licht” beschwören eine märchenhafte Kulisse für die vordergründig simple Handlung herauf, die ihrerseits den Rahmen für zahllose kleine Einsichten und Erkenntnisse bildet.

Im Mittelpunkt steht dabei immer wieder die Frage nach Entscheidungsgewalt, Zwang und Freiheit, teilweise auch in Situationen, die unterschwellig schon in anderen Werken Kruses anklingen und womöglich nicht ohne autobiographische Bezüge sind (so spielt z.B., wie in Hazard, ein Sohn, der zunächst die Mitarbeit im Betrieb der Mutter über das Ausleben eigener Träume stellt und sich dann doch unerwartet mit der Welt und der Frage nach seinen eigenen Wünschen konfrontiert sieht, eine zentrale Rolle).

Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch, wie Kruse bekannte literarische Motive adaptiert und seiner eigenen Philosophie gemäß umdeutet. Zu denken ist dabei nicht nur an die leicht dornröschenhafte Ausgangssituation, sondern beispielsweise auch an den Topos der zum Dank für eine Lebensrettung gewährten Wunscherfüllung oder die Fähigkeit des Gestaltwandelns. Auch das titelgebende Einhorn selbst stellt eine interessante Uminterpretation bestimmter Züge des klassischen Fabeltiers dar und ist gleichwohl für ein derart mit Symbolik aufgeladenes Geschöpf erstaunlich niedlich. Dieser Hauch von Individualität, der ein Erstarren der Figuren in der Allegorie verhindert, trägt viel zum Charme der Erzählung bei.

Ihren Reiz für den genreerfahrenen Leser gewinnt sie aber vor allem auch daraus, dass sie einem vor Augen führt, dass sich aus den klassischen Zutaten wie Magie, Fabelwesen und verfluchten Königen auch etwas völlig anderes zusammensetzen lässt als typische Fantasy. Wer auch nur ansatzweise auf diese hofft, sollte sich wohl andere Lektüre suchen, aber wer seinen Spaß an liebenswert verpackten Lebensweisheiten hat und dabei vielleicht auch nicht böse ist, sich einmal in das wohlige Kinderbuchlesegefühl zurückflüchten zu dürfen, dass schon nichts ganz Entsetzliches in der Geschichte geschehen wird, kann die Begegnung mit dem Silbernen Einhorn genießen.

Cover von Die Spur des Seketi von Gesa HelmDie Schicksale von gut einem Dutzend Menschen sind auf mystische Weise miteinander verwoben. Im Zentrum der Geschichte stehen die Geschwister Maijsa, Tisme, Tihon und Hoan, die einer Färberfamilie aus Gachten entstammen. Ihre Lebenswege sind ungewöhnlich und werden von den Machtkämpfen rivalisierender, ehrgeiziger Adliger beeinflußt. Aber nicht nur die politische Realität bestimmt das Leben der Geschwister, sondern auch ein Dämon: Der Seketi, ein wolfsähnliches Raubtier. Tisme gelangt als kleines Mädchen in den Besitz einer geschnitzten Figur, die diesen Dämon darstellt und sie hat nach einem Unfall eine Narbe, die wie ein Tatzenabdruck aussieht. Das verbindet ihr Schicksal mit dem des Kajec, einem Glasmacherlehrling, der als Sklave in den Bleiminen landet, später ein Rädchen im Getriebe der politischen Intrigen wird und der als Junge von seinem Onkel unter das Zeichen des Seketi gestellt wurde.

– In Nehrasaxar, an dessen langer Küste der Wind stets gegenwärtig ist, gibt es ein Sprichwort: “Alles trägt der Wind davon – Blätter, Ziegel und die Last der Gedanken”.-
Gedanken auf einer Terrasse

Die größte Schwierigkeit bei der Lektüre des Buches besteht für den Leser darin, sich zunächst einmal zu orientieren und einen Überblick zu gewinnen, wer die Hauptpersonen der Geschichte sind und wovon der Roman eigentlich handelt. Fremd klingende Namen und Bezeichnungen für Personen, Titel, Länder und Städte, Gegenstände und Speisen; Rückblicke, Vorausdeutungen, wechselnde Namen für ein und dieselbe Person und verschiedene Erzählperspektiven machen es dem Leser nicht gerade leicht, schnell einen roten Faden zu finden. Aber dank des ausführlichen Glossars lichten sich früher oder später die Nebel und man fragt sich beschämt, warum man mit Sätzen wie Und so erfährt man, daß ein Solargenetzu zweihundert Undeten in Gold an den hochgeborenen Niaketer Hes Phogas zu übermitteln hatte, bestimmt für die Wagnerin Zitanucha kahatan Batwanes in Kehestre. Der Auftrag war von Banaikxo Kehestrezu erteilt worden, >geschworenen Mann des Hinehniak und Hes Niaketer als solcher bekannt< je irgendwelche Schwierigkeiten hatte und warum man die Erläuterung zu Pekeiraz (>gehen + Anstieg + ich<. Z’Pekeiraz, HiasPekeiraz, Zuname Sarinai, Schimpfname >Einäugiger Dämon<), Nehri aus Sarine, ZMiach, Ringträger der P’Mesam und TesMesam, Absolvent der Hohen Schule (Z’Mes), Dreiringträger, Vertrauter Gachots, Gildenmeister Gachtens, ab 273 Hias Sarkach und Siegelträger, ab 280 Statthalter Zabgas, nach Attentat einäugig; verfaßte zum Vergnügen gel.Verse (Beispiele in der Beshechsiach-Samllung Gachten); ab 289 Najajaz-Name Okanateros, Händler in Pahija, ab 296 erster Kanzler von Kajx; 246-325 zunächst als nicht wirklich hilfreich empfand.
Hat man diese Hürde erst einmal genommen, darf man sich an einem spannenden, epischen Roman erfreuen.

Die Handlung spielt in den fiktiven Regionen Banahicha und Nehra. Die Welt ist mittelalterlich, es gibt noch keine funktionierenden Handfeuerwaffen und erst recht keine Industrie. Aufgrund der fremdartigen Namen erinnert sie an Kulturen, wie man sie zum Beispiel im asiatischen Teil Rußlands findet. Keinesfalls ist diese Welt unser europäisches Mittelalter, wie man es aus Ritterfilmen kennt.
Magie hat einen bedeutenden Anteil am Leben der Menschen, sie ist aber kein plakativer Hokuspokus. Manchmal scheint sie nur geschickt eingesetzte Psychologie zu sein. So glauben die Nehri an Namensmagie, also daran, daß der Name eines Menschen den Träger beeinflußt. Eine andere magische Technik ist das Spiegeln, dabei verstärkt man das Gefühl eines anderen. Wenn jemand einen Auftrag nicht pflichtgemäß erledigt, dann hat er zumindest ein geringes Schuldgefühl. Jemand, der sich auf das Spiegeln versteht, würde das vorhandene Schuldgefühl so sehr verstärken, daß er sicher sein kann, daß der Auftrag das nächste Mal zu seiner Zufriedenheit erledigt wird. Es gibt aber auch unberechenbarere Arten von Magie: Dämonen beeinflussen das Leben der Menschen zum Guten oder zum Schlechten hin und manche Menschen opfern sich durch rituellen Selbstmord einem Gott und werden dann zu Seitjihinx, machtvollen Geistwesen, die freundlich oder bösartig sein können.

Die Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Die Erzählerin ist eigentlich Historikerin, der Roman ist aber nicht das Ergebnis ihrer wissenschaftlichen Arbeit, sondern sie schreibt auf, was sie in Visionen, also auf magische Weise, erfahren hat. Das erklärt auch die Komplexität des Romans. Als Leser hat man den Eindruck, das Entstehen eines riesigen Gobelins zu verfolgen, die Stickerin fertigt das Motiv in der linken oberen Ecke, dann ein anderes am rechten Rand, dann eines in der Mitte und je mehr die Künstlerin fortschreitet, um so mehr erkennt der Betrachter wie alles zusammenhängt und am Ende steht er vor einem farbenprächtigen Kunstwerk, in dem sich jeder Stich harmonisch mit den anderen zusammenfügt. Gesa Helm erzählt in ihrem Roman viele Geschichten: die von Maijsa, die sich aus Unerfahrenheit in den falschen Mann verliebt und schließlich zur Retterin des Erben Gachtens wird, die von Tisme, die sich für eine Dämonenfreundin hält und unerschütterlich daran glaubt, daß alles gut werden wird, die von dem verschlagenen Kajec, der schon als Kind von allen beschimpft wurde, weil seine Mutter trank und der als Erwachsener hart und gewalttätig ist, die von der gelähmten Setajnij, die sich für ihren Bruder Banaikxo opfert, der später Bekanntschaft mit Kajec machen wird, sie erzählt die Geschichte von Pekeiraz, einem machtgierigen Emporkömmling und die seines Schreibers Stani, der ein Freund von Hoan ist, dem Bruder Tismes und Maijsas. Auf derartige Weise sind all diese Menschen miteinander verbunden und beeinflussen das Schicksal der anderen, oft, ohne es zu wissen. Am Ende fügen sich alle Erzählstränge harmonisch zusammen, auch wenn einige Fragen offen bleiben und es ist erstaunlich, wie Gesa Helm die verschiedenen Geschichten über fast neunhundert Seiten spinnt, ohne sich in ihrem eigenen Gespinst zu verheddern oder logische Fehler zu begehen.
Es gibt aber einen Fehler im Buch: Der Rezensent hat auf der Karte eine halbe Stunde nach Gachten gesucht, dem zentralen Ort des Romans. Ergebnis: Gachten ist auf der Karte nicht verzeichnet. Dort wo die Stadt sein müßte, am Zufluß des Deseb prangt nur ein dicker schwarzer Punkt, ohne Ortsbezeichnung.

Cover von Die Stadt der träumenden Bücher von Walter Moers Hildegunst von Mythenmetz, ein Jungspund von 77 Jahren, Bewohner der Lindwurmfeste und Ich-Erzähler dieses Romans, kommt nach Buchhaim, um den genial begabten Dichter eines Manuskriptes ausfindig zu machen, das ihm sein Dichtpate Danzelot von Silbendrechsler auf dem Sterbebett vermacht hat. Buchhaim ist eine Stadt, deren Bewohner für Bücher und von Büchern leben. Hier drängt sich Buchladen an Buchladen, Verlagssitz an Verlagssitz und Lesestube an Lesestube. Seine Suche führt Hildegunst in das Labyrinth unter der Stadt, in dem Buchjäger noch heute auf der Jagd nach kostbaren Büchern sind und in dem tödliche Gefahren lauern.

– Hier fängt die Geschichte an. Sie erzählt, wie ich in den Besitz des Blutigen Buches kam und das Orm erwarb. Es ist keine Geschichte für Leute mit dünner Haut und schwachen Nerven – welchen ich auch gleich empfehlen möchte, dieses Buch wieder zurück auf den Stapel zu legen und sich in die Kinderbuch-Abteilung zu verkrümeln.-
Eine Warnun

Beinahe wäre dieses Buch nicht besprochen worden. Der Rezensent hat schon öfter angedeutet, daß er eher zu den schreckhaften Naturen gehört und lange hat er sich überlegt, ob er sich nicht die Warnung zu Herzen nehmen soll und lieber auf die Lektüre des Buches verzichtet: Ja, ich rede von einem Ort, wo einen das Lesen in den Wahnsinn treiben kann. Wo Bücher verletzen, vergiften, ja, sogar töten können. Nur wer wirklich bereit ist, für die Lektüre dieses Buches derartige Risiken in Kauf zu nehmen, wer bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um an meiner Geschichte teilzuhaben, der sollte mir bis zum nächsten Absatz folgen. Allen anderen gratuliere ich zu ihrer feigen, aber gesunden Entscheidung, zurückzubleiben. Macht’s gut, ihr Memmen! Ich wünsche euch ein langes und sterbenslangweiliges Dasein und winke euch mit diesem Satz Adieu!
Ach, was soll’s! Wer schon als Kind mit Hagen von Tronje in Etzels brennendem Saal gestanden hat, mit Odysseus dem Zyklopen entronnen ist und wer unter verschiedenen Piratenkapitänen gedient hat, wird ja wohl auch die Lektüre dieses Buches unbeschadet überstehen,—hoffentlich.

Nun denn, der Rezensent machte sich ans Werk und bald schon, es muß leider gesagt werden, fühlte er eine leise Enttäuschung in sich aufsteigen. Ja, Die Stadt der Träumenden Bücher ist ein phantasievoller Roman, witzig, originell, mit wunderbaren Illustrationen, die intelligente Parodie eines Entwicklungsromans und eine gnadenlose Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, mit Literaturagenten, Schriftstellern und natürlich Kritikern. Aber wo bitte bleibt die nervenzerfetzende, versprochene Spannung? Eine Schreckse, eine einäugige, weiße Fledermaus, ein Trompaunenkonzert, alles ganz nett, aber ist das schon alles, was Mythenmetz an Schrecken zu bieten hat??? Nein, ist es nicht!!! Hildegunst von Mythenmetz wird das Opfer eines heimtückischen Anschlages. Er fällt in Ohnmacht, ihm wird schwarz vor Augen -und dem Leser auch. Wenn beide wieder klarer sehen, geraten sie in die spannendsten, gefährlichsten, unglaublichsten und schreckenerregendsten Abenteuer, die die Katakomben von Buchhaim zu bieten haben. Machen Sie sich auf furchtbare Begegnungen mit Bücherjägern, Spinxxxxen, Harpyre, Kannibalen, Gefährlichen Büchern, dem Schattenkönig und den Schrecklichen Buchlingen gefaßt. Falls Sie bei der Nennung dieser Namen noch nicht blaß um die Nase geworden sind, dann waren Sie noch nie in Zamonien. Allerdings muß der Rezensent gestehen, daß er sich auf Anhieb in die Schrecklichen Buchlinge verliebt hat. Plötzlich war er bereit, diesem Roman allein wegen der Buchlinge sechs, sieben, acht oder gar Trilliarden Sternchen zu verleihen und er möchte unbedingt mehr über diese Kerlchen lesen: BUCHHAIM, BUCHHAIM, BUCHHAIM!!!!!! (lieber Leser, achten Sie gar nicht auf das Fettgedruckte, es ist nur ein kleiner interner Hinweis für den Übersetzer des Buches, oder ist es ein Zeichen des beginnenden Wahnsinns????)

Jeder Buchling wählt sich einen zamonischen Schriftsteller aus, dessen Namen er trägt und dessen Werke er auswendig lernt. Das Besondere daran ist: zwischen den zamonischen Schriftstellern und den Autoren unserer Realität gibt es einen Zusammenhang und es macht einen Wahnsinnsspaß (schon wieder “Wahnsinn”) herauszufinden, welchen. Man kann aber auch zur Verzweiflung getrieben werden, wenn es bei einigen nicht gelingt. Hier ein paar einfache Beispiele zum Üben: Ojahnn Golgo van Fontheweg, Gofid Letterkerl, Perla La Gadeon, Ali Aria Ekmirrner, Balono de Zacher und Sanotte von Rhüffel-Ostend.
Ach, der Rezensent könnte noch stundenlang erzählen, von der Haifischmade Phistomefel Smeik, von Colophonius Regenschein, von Rongkong Coma von der Bücherbahn der Rostigen Gnome, von Schloß Schattenhall und von vielem anderen. Aber er denkt ja gar nicht daran, er hat sich nicht mit Hildegunst von Mythenmetz in tödliche Gefahren gestürzt, damit andere davon profitieren, die nichts tun, außer gemütlich vor dem Computer zu sitzen. Wenn Sie die Geschichte der Stadt der Träumenden Bücher kennenlernen wollen, dann lesen Sie sie gefälligst selbst – wenn Sie sich trauen…

Cover des Buches "Der Thron der Libelle" von Wolfgang Hohlbein Zehn Jahre nach dem letzten Angriff durch feindliche Drachen herrscht nach langer Unruhe endlich Frieden. Nach Meinung der Bürger von Schelfheim sind Angella, Kara und ihre Drachenreiter ohne weiteren Nutzen, denn die Gefahren scheinen gebannt. Doch dann häufen sich unerklärliche Phänome: Auf dem Land erscheinen giftige Seen aus dem Nichts, geheimnisvoller Staub tötet alle Menschen über 30 Jahre und in einem Landstrich hört es seit Monaten nicht auf zu regnen. Während die Drachenreiter die Phänome untersuchen, stellt sich heraus, dass dies nur die Vorboten einer weitaus größeren Gefahr sind, die nicht nur Schelfheim, sondern den ganzen Planeten bedroht.

-»Da siehst du, wie weit du mit deiner famosen Technik kommst«, erwiderte Kara verärgert. Sie gab sich Mühe, das Wort möglichst abfällig auszusprechen. »Wenn man sie einmal wirklich braucht, funktioniert sie nicht!«-
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Ganz im Stil des Vorgängers (Die Töchter des Drachen) gehalten, entwickelt der Autor auch hier wieder einen spannenden Roman, der überraschend tiefgründig wird.
Was vor 1100 Seiten als eine eher mittelalterliche anmutende Drachengeschichte beginnt, endet hier als Kampf zwischen Natur und Technik, Drachen gegen Maschinen, Veränderung gegen Erhaltung. Ich war besonders überrascht, dass der Roman in eine völlig andere Richtung steuert, als man es zunächst erwartet. Wer nur ein bisschen Abenteuer mit ein paar exotischen Tieren erwartet, wird enttäuscht bzw. überwältigt von der Tiefe, die der Autor in dieses unscheinbare Buch packt.

Drachen spielen zwar eine wichtige Rolle, aber nicht die entscheidende. Vielmehr wird die Entwicklung eines ganzen Volkes erzählt, die Geschichte der Erde, wie sie vielleicht ablaufen könnte. Unglaublich detailreich lässt Hohlbein eine Welt entstehen, die auf den ersten Blick fremd und bizarr erscheinen mag, bei genauerem Hinsehen aber gar nicht so abwegig wirkt. Die Handlung ist wider erwarten gut durchdacht und strukturiert, sie enthält kaum Längen und hält sich nicht mit unwichtigen Nebenaspekten auf. Kleinere Schwächen wie z.B. die vielen kleinen “Zufälle”, mit denen Kara wieder einer tödlichen Gefahr entgeht, stören zwar etwas, dafür wird man diesmal mit einem starken Finale belohnt.
Die letzten vierzig Seiten sind hier das Wichtigste, denn sie lassen die beiden Romane erst im richtigen Licht erscheinen. Sie krempeln die Geschichte nochmal fast völlig um.

Alles in Allem zwei wunderbare Bücher, die so ganz anders sind als das, was man sonst von Hohlbein kennt.

Cover des Buches "Tintenblut" von Cornelia Funke Ein Jahr nach den Ereignissen in Tintenherz ist wieder Ruhe und Glück in Meggies Leben eingekehrt. Sie lebt mit ihren Eltern bei ihrer Tante Elinor und die Schrecken des vergangenen Jahres verblassen allmählich. Doch das Glück währt nicht lange. Immer noch versucht Staubfinger zusammen mit Farid zurück in seine Welt zu kommen und endlich scheint es so, als ob sie Erfolg hätten. Denn Orpheus, eine zwielichtige Gestalt, verfügt über ähnliche Kräfte wie Meggies Vater und erklärt sich bereit, Staubfinger in seine Welt zu lesen. Doch auch Basta und Mortola haben die Ereignisse in Capricorns Dorf überlebt und sind ebenfalls auf Orpheus aufmerksam geworden …

-Am längsten hatte sie drüber nachgedacht, welches Buch sie mitnehmen sollte. Ohne eins fortzugehen, wäre ihr vorgekommen, als würde sie ohne Kleider aufbrechen, aber es durfte nicht zu schwer sein, also kam nur ein Taschenbuch in Frage. »Bücher in Badekleidern«, nannte Mo sie, »schlecht gekleidet für die meisten Anlässe, aber im Urlaub eine praktische Sache.«-
Meggie liest

Endlich! Der neue Roman aus der Tintenwelt hat ein bisschen auf sich warten lassen, dafür wird der Leser aber umso mehr für seine Geduld belohnt.
Bereits beim Durchblättern fällt die liebevolle Gestaltung des Buches auf. Vor jedem Kapitel findet sich ein passendes Zitat und Zeichnungen (von der Autorin selbst erstellt) am Ende der Kapitel runden das Ganze noch ab. Außerdem gibt es eine Karte der Tintenwelt und ein Personenverzeichnis, die passenden Extras machen Lust, den Roman endlich zu lesen.

Schon nach den ersten Seiten ist man gefesselt von Cornelia Funkes Stil. Satz für Satz fügt sich die Geschichte stimmungsvoll zusammen und man taucht sofort wieder ein in Meggies Welt. Scheinbar mühelos erschafft die Autorin Bilder vor dem geistigen Auge des Lesers und fast scheint es, als gäbe es die Tintenwelt mit all ihren Bewohnern wirklich und man könnte sie durch das Buch ebenso leicht erreichen, wie Meggie oder Mo es können.

Zu den liebgewonnen Charakteren aus Tintenherz kommen weitere interessante Personen, die die Tintenwelt erst richtig lebendig werden lassen. Fast möchte man der Tintenwelt selbst mal einen Besuch abstatten, um all den Charakteren wirklich gegenüberzustehen.

Die Handlung weist mehr Komplexität auf als in Tintenherz und ist ein wenig blutiger, dennoch ist es vorbehaltlos auch für jüngere Leser zu empfehlen. Einziger Wermutstropfen: Das Ende des Buches ist nicht das Ende der Geschichte. Das offene Ende ist wirklich nicht leicht zu verkraften, wenn man so abrupt wieder aus der Tintenwelt in die Realität geschubst wird. Bleibt einem nur zu hoffen, dass der nächste Teil nicht so lange auf sich warten lässt …

Cover von Tintenherz von Cornelia FunkeDie zwölfjährige Meggie wohnt mit ihrem Vater Mo, einem Buchbinder, auf einem alten Bauernhof. Beide sind wahre Leseratten und die Bücher stapeln sich im ganzen Haus. In einer regnerischen Nacht sieht Meggie eine dunkle Gestalt im Garten stehen. Doch bald stellt es sich heraus, dass der Fremde Mo’s alter Freund Staubfinger ist, der gekommen ist, um ihn vor Capricorns Männern zu warnen. Diese ebenso bösartigen wie gnadenlosen Schurken sind hinter einem Buch her, das Mo gehört. Meggie versteht das nicht. Wer ist Capricorn? Was ist an diesem Buch so besonders? Und warum nennt Staubfinger ihren Vater “Zauberzunge”? Am nächsten Tag bringt Mo Meggie und das geheimnisvolle Buch zu Tante Elinor, die in ihrem Haus Tausende Bücher hortet, aber es nützt nichts: Capricorns Männer spüren sie auf…

– Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später mußte Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte sie ihn wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften. Irgendwo in der Dunkelheit bellte ein Hund, und Meggie konnte nicht schlafen, so oft sie sich auch von einer Seite auf die andere drehte.-
Ein Fremder in der Nacht

Es ist einfach ein rundum gelungenes Buch. Lesen Sie’s und Sie werden es schon merken. Aber wenn ich mich so kurz fasse, bekomme ich Ärger mit der Redaktion ;-), deshalb also ein bißchen ausführlicher: Am Anfang fand ich Tintenherz ganz nett und als Mo und Meggie bei Tante Elinor wohnen, dachte ich, jetzt könnte die Geschichte mal bitte ein bißchen an Fahrt gewinnen. Genau in diesem Moment wurde der Roman so spannend, daß ich ihn nicht mehr aus der Hand gelegt habe, bis ich ihn ausgelesen hatte und bei der Lektüre habe ich dreimal eine Gänsehaut bekommen. Ich lese durchschnittlich drei Bücher in der Woche, eine Gänsehaut bekomme ich dabei höchst selten und für gewöhnlich nicht bei Kinderbüchern. Dieser Roman ist eine Hommage ans Lesen. Er macht deutlich, welchen Zauber Bücher auf Menschen ausüben und welche Macht gute Schriftsteller besitzen.

Die Charaktere sind voller Leben und es gibt für jeden Leser eine Figur mit der er sich identifizieren kann. Da ist Mo, ein Vater, wie ihn sich jedes Kind nur wünschen kann; Meggie, die beherzt und tapfer ist, auch und gerade, wenn sie Angst hat und in gefährlichen Situationen steckt; die dicke, resolute Tante Elinor, die glaubt, dass man Gangstern am besten die Polizei auf den Hals hetzt und die von den Ordnungshütern ständig enttäuscht wird; Staubfinger, ein Gaukler, der sich nach seiner Heimat sehnt; Farid, ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge, der einer Räuberbande entkommen ist; Fenoglio, ein Großvater mit Schreibtalent; und falls Sie ein Haustier besitzen, das lesen kann, dann wird es sich wahrscheinlich mit Gwin, einem kleinen Marder identifizieren. Sie alle nehmen den Kampf gegen Capricorn und seine finsteren Gesellen auf und jeder von ihnen wird gebraucht, um ihn zu gewinnen.

Mehr kann ich über den Inhalt des Romans nicht schreiben, sonst müsste ich einen Spoiler an den anderen hängen. Stattdessen möchte ich noch etwas über die Aufmachung des Buches sagen: Jedem Kapitel ist ein Zitat aus einem anderen Buch vorangestellt, das einen Hinweis darauf gibt, worum es in diesem Kapitel geht. Auch in der Geschichte werden andere Bücher erwähnt. Für Vielleser sind diese Bezüge sehr reizvoll, Kinder, die noch nicht so viel gelesen haben, verstehen den Roman aber auch, wenn sie z.B. mit der Erwähnung von “Indianer Joe” nichts anfangen können. Das, was man aus anderen Kinderbüchern wissen muss, um die Geschichte zu verstehen, wird in den Roman eingeflochten. Am Ende jeden Kapitels gibt es eine kleine Illustration. Außerdem ist das Cover sehr schön gestaltet. Das Buch hat ein Lesebändchen, denn wie Tante Elinor Meggie erklärt, darf man Bücher nicht aufgeschlagen liegen lassen, weil man ihnen sonst den Rücken bricht, und es hat ein dunkelrotes Vorsatzblatt. Es müssen dunkle Vorsatzblätter sein, meint Mo, und am besten dunkelrote, wenn man ein solches Buch aufschlägt, dann ist es als ob im Theater der Vorhang aufgeht. Und damit hat er vollkommen Recht…

Cover des Buches "Die Töchter des Drachen" von Wolfgang HohlbeinAls Talianna noch ein Kind war, töteten Drachen ihre Eltern und legten ihr Dorf in Schutt und Asche. Nun, fast 20 Jahre später, zieht sie durch die Welt, um die grausamen Drachen zu finden und Rache zu nehmen. Ihr Weg führt sie durch eine zerstörte Welt, durch endlose Wüsten und ausgetrocknete Meere, wo jeder Schritt tödliche Gefahren birgt…

-Die Mauer ragte schwarz gegen den Nachthimmel auf, nicht mehr als ein Schatten, dessen Umrisse die Sterne auslöschten, die wie kleine blankpolierte Augen am Firmament standen; ein finsteres Loch, das jemand in den Himmel gestanzt hatte.-
Prolog

Ups – Moment! Habe ich mich beim Autor vermacht?
Ich habe einige Bücher von Hohlbein gelesen und war danach immer mehr oder weniger enttäuscht, also hatte ich entsprechende Vorurteile von diesem etwas älterem Werk. Aber nein, ich wurde überrascht. Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass ein Hohlbein-Roman mich nochmal so fesseln könnte.

Die Story enthält viele interessante Ideen und überraschende Wendungen. Besonders das Ende lässt den Roman dann in einem völlig anderen Licht erscheinen, als man zu Beginn erwartet hätte. Kleine Schwächen in der Handlung sind leicht zu verzeihen, da ist man wirklich Schlimmeres vom Autor gewohnt.
Anstatt wie üblich durch die Gegend zu hetzen und seine Charaktere möglichst viele tödliche Gefahren überleben zu lassen, nimmt sich Hohlbein Zeit, die Welt auszuarbeiten und zum Leben zu erwecken, in der Tally und ihre Gefährten sich befinden. Die Charaktere wirken nicht nur wie bloße Abziehbilder, sondern sind wie die Welt ziemlich gut beschrieben und glaubwürdig.

Einzig die Aufmachung bedarf Besserung. Vor Rechtschreibfehlern sind wir alle nicht gefeit, aber ein bisschen Mühe darf man sich schon geben. Ab und zu fehlen Buchstaben oder werden Personen vertauscht (was zu ulkigen Selbstgesprächen führen kann, wenn eine Person mit sich selbst streitet, was aber nicht Sinn der Sache ist), das könnte man besser hinbekommen. Dies stört aber den Lesefluss nur unwesentlich und man kann in aller Ruhe Tally bei ihrer Reise begleiten.

Der Schwertkämpfer Andrej ist auf der Suche nach der Puuri Dan, einer weisen Zigeunerin. Sie, so hofft Andrej, kann ihm womöglich das Geheimnis seiner Herkunft enthüllen.
Die Reise führt ihn und den ehemaligen Piratenkapitän Abu Dun bis nach Bayern. In dem kleinen Ort Trentklamm stoßen sie auf schreckliche, menschenähnliche Geschöpfe. Andrej wird von einer dieser Bestien angegriffen, verletzt und verliert seine übermenschlichen Kräfte.
Fast zu spät muss er entdecken, dass das Geheimnis der Ungeheuer enger mit seiner eigenen Existenz verbunden ist, als ihm lieb sein kann …

-»Sie sind dort unten auf der anderen Seite des Hügels. Vielleicht zwanzig, möglicherweise auch mehr«.-
Seite 5

Dass Wolfgang Hohlbein gute Bücher schreiben kann, hat er mehrmals bewiesen. Doch anstatt sich auf ein Buch zu konzentrieren und daran gründlicher zu arbeiten, veröffentlicht er mehrere Bücher im Jahr, deren Niveau immer weiter fällt. Leider ist dies auch im dritten Teil der Chronik der Unsterblichen zu sehen. Hohlbein schafft es, durch seinen Erzählstil zweifellos Spannung zu erzeugen, doch dies allein reicht einfach nicht aus. Und so schlittert Andrej von einem Ereignis zum nächsten, ohne dass er Einfluss darauf nehmen kann. Während der aufmerksame Leser bereits Seiten vorher ahnt, dass wieder mal nichts ist, wie es scheint, bleibt Andrej bis zum Schluss blind für die offensichtlichen Fakten. Auch Abu Dun bringt wenig Neues in die Geschichte mit ein und zeigt trotz einiger Ansätze kaum Tiefe oder Lebendigkeit.
Auch die Geschichte selbst birgt wenig Neues. Bereits zum dritten Mal benutzt Hohlbein dasselbe Prinzip wie in den Büchern davor (und danach), aber diesmal kommt noch weniger dazu und das Ende ist wie immer anders, als zunächst erwartet. Das Buch beweist wieder einmal, dass es kein Konzept für gute Bücher gibt. Wollen wir hoffen, dass Hohlbein das auch bemerken wird.

Cover von Die Trolle von Christoph HardebuschIm Land Wlachkis kämpft der junge Rebell Sten cal Dâbran gegen den tyrannischen Herrscher Zorpad. Doch eines Tage verlässt ihn sein Glück, und er endet – in einem Metallkäfig ausgesetzt – mitten in den dichten Wäldern. Dort wird er ausgerechnet von Kreaturen gerettet, die er eigentlich für Märchen und Legenden hielt: Trolle. Die bösartigen und gewalttätigen Wesen sind an die Oberfläche gekommen, um Antworten zu finden, denn auch ihr unterirdisches Reich wird bedroht. Im Laufe einer gefahrvollen Reise zeigt sich: Nur wenn Menschen und Trolle sich verbünden, kann eine Zeit der Finsternis verhindert werden.

-In den Eingeweiden der Welt, weit unter dem Land, herrschten ewige Wärme und Dunkelheit. Endlose Tunnel und Höhlen zogen sich durch die Knochen der Berge und boten unzählige Verstecke.-
Founding, 1

Der Roman Die Trolle von Christoph Hardebusch führt den erfolgreichen Titelreigen rund um Tolkiens Geschöpfe fort, zu dem auch Markus Heitz’ Zwergenromane und Bernhard Hennens Elfenzyklus gehören. Diesmal dreht sich die Handlung um die namensgebenden Trolle, jedoch wird hier, anders als in anderen Romanen dieser Art, die Geschichte nicht aus Sicht der Trolle erzählt, sondern aus dem Blickwinkel der Menschen, die ihnen über den Weg laufen.
Die Geschichte selbst folgt einem klassischen Questenmuster, das der Autor aber immer wieder variiert. Besonders gut gelungen ist die Skizzierung der Verhältnisse von Gut und Böse, die ja in der Fantasy häufig eindimensional und platt dargestellt werden. Hier jedoch erscheinen nur wenige Handlungsträger als eindeutig definiert, denn obwohl die Trolle grausam und brutal sind, werden sie differenziert gezeichnet. Gleiches gilt für die menschlichen Protagonisten. Mir persönlich hat gut gefallen, dass die fremden Wesen auch tatsächlich fremdartig bleiben und nicht für den Lesefluss “vermenschlicht” werden.
Die Welt ist wunderschön ausgearbeitet, und es macht großen Spaß, sie während des Lesens zu entdecken. Die Beziehungen der Völker untereinander, ihre Geschichte und Kulturen werden detailliert und ausführlich beschrieben. Die vorhandene Magie ist schwach und spielt keine Hauptrolle. Generell erscheint die Welt sehr realistisch und gemahnt an Osteuropa im Mittelalter.
Sprachlich versteht der Autor sein Handwerk und weiß den Leser zu fesseln.
Neben all diesen ansprechenden Faktoren muss aber auch gesagt werden, dass der Roman recht schleppend beginnt, um sich gegen Ende stark im Tempo zu steigern. Dieser langsame Anfang erleichtert nicht gerade den Einstieg, da teilweise allzu ausufernd beschrieben wird. Ein überzeugender Debütroman, der auf mehr hoffen lässt.

Cover von Unterland von Wolfgang und Heike HohlbeinAls Michael auf einem Fest des Schriftstellers Herny Wolf eingeladen ist, fühlt er sich unwohl, fürchtet sich vor den Dekorationen, und schließlich ereignet sich dort eine schreckliche Katastrophe. Und Michael erinnert sich an das, was er zusammen mit Wolf erlebt hat: Als er sich während eines Schulausflugs in die Katakomben der Stadt davonstiehlt und auf den Schriftsteller trifft, brechen sie durch eine Kammer und gelangen in ein Labyrinth voll von endlosen Gängen und unheimlichen Monstern. Und tief unter der Erde entdecken sie eine Stadt und Menschen, die ein Leben wie in vergangenen Zeiten führen. Doch Böses bedroht diese Stadt, und auf ihr, Michael und Wolf lastet ein schreckliches Geheimnis …

-Es war ein Gesicht wie aus einem Alptraum; einem jener Alpträume von der ganz besonders unangenehmen, hartnäckigen Sorte, die normalerweise von Schüttelfrost und Krämpfen begleitet kommen und im Grunde schon ins Reich der Fieberphantasien gehören …-
Das Fest

Hätte ich das Buch nicht geschenkt bekommen und mich irgendwie verpflichtet gefühlt, es zu lesen, hätte ich es wohl irgendwann abgebrochen. Aber so hab ich mich überwunden und irgendwoher die Geduld aufgebracht, es zu Ende zu lesen.
Über 700 Seiten lang verfolgt man das Umherirren von Michael in der oberen und unteren Welt. Die Handlung ist dabei genauso hanebüchen wie langweilig. Allein die glücklichen Zufälle treiben einen fast zum Wahnsinn, denn egal welche Gefahr auch immer auftaucht, stets entkommt der Held in letzter Sekunde oder wird gerettet. Klar, dass da keine Spannung aufkommen kann. Ein paar durchaus lustige Stellen (wenn z.B. ein Irrlicht seinen “Bruder” aus einem Fernseher befreien will) können hier aber auch nicht viel retten. Das große Finale am Ende kommt dann ebenso lasch und fade daher wie der Rest des Buches. Die “große Offenbarung”, mit der die Handlung aufgelöst wird, wird vom Leser nach den endlosen Seiten klaglos hingenommen, egal wie seltsam sie auch ist. Bei einem Fantasyroman ist ja man durchaus gewillt, sich “fantastischen” Möglichkeiten zu öffnen, das ist aber noch lange kein Freibrief, alles Mögliche (und Unmögliche) irgendwie zu verarbeiten und dabei mangelnde Logik mit Magie auszugleichen.
Die Figuren bleiben ebenso blass wie die Handlung, selbst an Michael geht die Handlung fast spurlos vorüber. Die Aktionen Henry Wolfs sind bar jeder Logik, zwar wird am Ende einigermaßen deutlich, worum es geht, dennoch würde kein normal denkender Mensch sich so verhalten.
Hohlbeins Stil ist der jugendlichen Zielgruppe angepasst, einige Stellen und Ausdrücke erscheinen recht eigenwillig und das allgegenwärtige “weißt du?” am Ende eines Satzes nervt auf Dauer. Selbst die Unterweltler hängen es an ihre Sätze. Nebenbei fragt man sich, wie eine seit fünfhundert Jahren unter der Erde lebenden Kulur, die äußerlich im Mittelalter stehen geblieben zu sein scheint, auf moderne Begriffe wie terrorisieren kommt.
Alles in allem ein “unterirdischer” Roman, den man nicht kennen muss.

Die Vergangenheit des Regens von Tobias O. MeissnerDas Mammut wurde stark dezimiert und steht eigentlich vor dem Aus, doch die Probleme auf dem Kontinent werden nicht kleiner. Deshalb macht sich die Gruppe um den ehemaligen Stadtschreiber Rodraeg Delbane nach Süden auf, um im Regenwald nach dem Rechten zu sehen. Dort fällt seit geraumer Zeit kein Regen mehr. Auf der Suche nach der Ursache stoßen Rodraeg und seine Gefährten auf andere Fraktionen, die ebenfalls an einer Aufklärung interessiert sind – u.a. die Einheimischen –, und auf eine Vielzahl an Gefahren. Mit einer großen Gruppe an teils fragwürdigen Verbündeten machen sie sich auf ins Innere des ausgetrockneten Waldes.

-Von Anfang an hatte Ogan »Schartbart« Broog kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt. Aber es ist immer leichter, hinterher zu sagen: »Ich habe es doch geahnt«, als im Voraus, während die Dinge sich entfalten, im entscheidenden Augenblick eine andere Richtung einzuschlagen.-
Prolog

Das Mammut hat bereits Walfängern das Handwerk gelegt, Tierversuche verhindert und Haarhändler gestoppt – dass nun der Regenwald gerettet werden soll, ist eigentlich ein ganz logischer Schritt. Doch genauso, wie auch die bisherigen Ereignisse immer weiter von den Abenteuern einer Rollenspielgruppe auf dem Ökotrip weggeführt haben, bis nur noch das Gerüst dieser Ausgangssituation stehenblieb, während im Inneren eigentlich längst eine andere Geschichte erzählt wurde, spielt Logik gerade in diesem Band eine immer kleiner werdende Rolle.
Die Vergangenheit des Regens ist der (vorerst) letzte Band der ursprünglich doppelt so lang geplanten Reihe, und eine der spannenden Fragen im Vorfeld war, ob es auch ein Abschluss sein würde. Die kurze Antwort lautet: nein. Tobias O. Meißner hat die bisher im glazialen Tempo voranschreitende Hintergrundgeschichte nicht in einem großen Streich beendet und schon gar nicht dafür auf das Einzelabenteuer des sechsten Bandes verzichtet, wenngleich beides diesmal stärker verwoben ist als in den meisten anderen Bänden.

Mit Die Vergangenheit des Regens thematisiert Im Zeichen des Mammuts zunehmend die problematischen Aspekte einer auf dem ganzen Kontinent operierenden Gruppe von Aktivisten, vor allem der Umgang mit Einheimischen (die eine eigene Interpretation der Geschehnisse vertreten, aber häufig gar nicht über ein “wo geht’s lang” hinaus um ihre Meinung gebeten werden) und die Gewaltbereitschaft werden immer wieder hinterfragt. Meißner gelingt es damit, durchaus moderne Themen in seinen Roman einfließen zu lassen, auch wenn der Abenteueraspekt trotzdem im Vordergrund bleibt.
Das Dschungelabenteuer bietet auch alles, was man sich von einem solchen Setting erwartet – Riesenameisen, Spinnenmenschen, verborgene Ruinen –, und noch einiges mehr, denn Meißners Talent für atmosphärische Schauplätze und die Bedrohung durch ein verstörendes Übel, das ganz klassisch an der Welt nagt, aber alles andere als ein dunkler Herrscher ist, kann sich hier voll entfalten, genauso sein Händchen für gelungene Eigennamen.

Durch den hohen Verschleiß innerhalb der Mammuttruppe kommt immer wieder Bewegung in die Beziehungen der Mitglieder, allerdings gibt es nur wenig Kontinuität. In Die Vergangenheit des Regens trifft man jedoch viele alte Bekannte wieder, und die Figuren, die man schon lange begleitet, sind stark gereift und gealtert. Vor allem Rodraeg als moderner (Vor-)Denker sticht heraus, der mit all seinen Bedenken, seinem Abwägen und Zögern häufig die Handlungsfreiheit verliert. Er markiert einen Übergang, einen Aufbruch ins Denken, er wagt die Formulierung großer Theorien und Zusammenhänge und wendet sich ab von der reinen Hinnahme (von menschlicher und göttlicher Herrschaft) hin zu einer differenzierteren Sicht, auch wenn sich diese nicht unbedingt als praktikabel erweist. Diese tiefere Thematik von Glauben contra Vernunft ist von Ironie geprägt, wenn sich der ewige Zweifler Rodraeg schließlich sogar anhören muss, er würde einen guten Priester abgeben.
Mit diesen Erkenntnissen und einer neuen Sicht auf das Göttliche macht Die Vergangenheit des Regens einen großen Entwicklungssprung und liefert etwas Hintergrund für die Hauptgeschichte, womit sich sogar eine Meta-Ebene auftut, die AutorInnen (oder LeserInnen) anspricht, die jederzeit zu anderen, interessanteren Welten weiterwandern können.

Letztlich bleibt aber alles offen, was die Zukunft für Rodraegs Heimatwelt und jene andere, die man im Verlauf der sechs Bände kennenlernen durfte, bereithält. Die Vergangenheit des Regens ist in erster Linie einfach ein neuerliches Mammutabenteuer, und als solches geht es den Weg weiter, der weg vom rollenspielartigen Plot zunehmend ins Unkonventionelle führt und die Erwartungen umkehrt – nicht nur die der Figuren, die verzweifelt versuchen, den Sinn der Ereignisse zu ergründen, auch wenn sie dazu bizarre mentale Purzelbäume schlagen müssen. Da dieser Weg aber zumindest von Verlagsseite hier ein Ende hat, steht zu befürchten, dass es bei einem Versuch bleibt.

Das vergessene Zepter von Tobias O. MeißnerWieder einmal ist der Mammutgruppe nicht viel Erholung vergönnt: Der nächste Auftrag läßt nicht auf sich warten. Diesmal soll das Mammut den bedrängten Riesen zur Seite stehen, die sich in den Gebirgszug Wildbart zurückgezogen haben und trotzdem ihrer Haare wegen gejagt werden. Entsprechend mißtrauisch sind die Riesen gegenüber Rodraeg und seinen Gefährten, aber schließlich werden diese dennoch für einen Auftrag auserwählt: Sie sollen den Fliegenstab, das vergessene Zepter des Riesenköngis, aus einer Höhle bergen. Obwohl Rodraeg noch immer von seiner Krankheit geplagt ist, brechen die Gefährten auf, um sich den tödlichen Gefahren und Rätseln der Höhle zu stellen. Und sie sind nicht die einzigen, die an der legendären magischen Waffe ein Interesse haben…

-Der Mann, der seinen Namen vergessen hatte, saß auf dem Steinboden und ließ aus seinen Handflächen Insekten wachsen.-
Prolog

Inzwischen ist es ja zur entspannenden Gewohnheit geworden: Bekommt das Mammut – wie in jedem vorausgegangenen Band der Reihe – einen neuen Auftrag, stürzen sich die Helden nicht Hals über Kopf ins Abenteuer, sondern nähern sich ihm langsam an, mit ausführlichen Reise- und Vorbereitungs-Szenen. Und auch in Das vergessene Zepter läßt sich Meißner wieder alle Zeit, um die Befindlichkeiten seiner Protagonisten zu erkunden. Die Haupthandlung scheint erst richtig loszugehen, wenn man schon ein Drittel der Seiten hinter sich gebracht hat. Dramatisch ist diese Betulichkeit allerdings nicht, denn Rodraeg und seine Mannen sind nach wie vor ein wahres Lesevergnügen, und der Autor erweist sich auch in Szenen des Kleinen und Alltäglichen als ausgesprochen guter Geschichtenerzähler. Zu Beginn gibt es genug Hinweise auf Vergangenes, so daß man nach einer längeren Lesepause problemlos einsteigen kann.

Alles beim Alten also – zum Glück, möchte man sagen, denn bisher gab es nicht viel zu meckern an den unterhaltsamen Abenteuern des Mammuts. Aber genauso gut leider, denn auch bei der reihenüberspannenden Hintergrundhandlung bleibt alles wie gewohnt vage. Sucht man nach größeren Zusammenhängen, ist die Informationsausbeute auch nach dem dritten Band mehr als dürftig. Womöglich läßt der Autor es im Gesamtkonzept ebenso ruhig angehen wie in jedem einzelnen Band, und immerhin ist die Reihe auf mehr als eine Handvoll Titel ausgelegt, doch im Augenblick liest sie sich eher wie eine Ansammlung durchaus spannender Einzelabenteuer und nicht wie ein großes Ganzes. Das mindert das Vergnügen ein wenig, denn Meißner hat durchaus Köder ausgelegt, auch solche, die man beim augenblicklichen Stand der Dinge noch nicht so recht einordnen kann. Aber es bleibt bei Andeutungen und Winzigkeiten – und das nach einer Seitenzahl, bei der in anderen Fantasy-Zyklen langsam schon das Ende in Sicht ist.

Für das Abenteuer, das im Rahmen von Das vergessene Zepter bewältigt wird, tut all das aber keinen Abbruch. Anders als bei den ersten beiden Bänden der Reihe schwenkt Meißner im Kontext der verworrenen Rätsel und Prüfungen der Höhle, in der die Mammut-Recken das Zepter suchen, auf einen teils sehr interessanten Stil um – da werden Teile als seitenlanger Bandwurmsatz erzählt, andere als in der Gegenwart parallel erlebte Träume. Die Abschnitte mäandern zwischen originell und überkandidelt, werden aber auf Leser, die Brüchen im gewöhnlichen Erzählfluß weniger abgewinnen können, mit Sicherheit etwas lang wirken.

Bei einem der Hauptcharaktere wird niemals lange verweilt, fast wie ein allwissender Erzähler schwenkt der Autor in schneller Folge von einem zum nächsten. Dennoch entwickeln sich die Charaktere und das Mammut als Ganzes im Gegensatz zur Haupthandlung prächtig weiter – daß es ihnen am Ende prächtig geht, wird dem Leser allerdings nicht vergönnt: Das Warten auf den nächsten Band ist mit einem ordentlichen Cliffhanger gewürzt.
Im Epilog erwartet einen dann ein weiterer kleiner Bruch mit dem Standard eigenständiger Fantasy-Welten: Offenbar kennt man in der Welt Rodraeg Delbanes und des Mammuts auch Das Zeitalter der Wandlung, die Roman-Reihe von Meißners Kollegen Markolf Hoffmann, was aber hauptsächlich den Eindruck erhöht, trotz des zumindest aus Lesersicht gelungenen Einzelabenteuers im großen Bogen der Reihe auf der Stelle zu treten und weitere Mysterien aufzuhäufen, statt einige zu lösen.

Cover von Die Wellenläufer von Kai MeyerAls ein magisches Beben die Küsten der Karibik erschüttert, werden in den Piratenhäfen Kinder geboren, die ungewöhnliches Talent besitzen. Sie können über das Wasser gehen.
Nach vierzehn Jahren, glaubt Jolly, dass sie die einzige Wellenläuferin ist.
Doch als sie Munk begegnet – der ebenfalls auf dem Wasser geht und aus Muscheln einen alten Zauber erwecken kann – belehrt das Schicksal sie eines besseren. Den beiden Wellenläufern steht ein schweres Schicksal bevor: Im Atlantik dreht sich ein riesiger Mahlstrom, den nur die beiden Freunde wieder verschließen können.

– Mit weiten Schritten lief Jolly über den Ozean.-
Die Quappe

Nach knapp zweitausend Jahren schreibt ein Autor zum erstenmal wieder eine Geschichte über jemanden, der auf dem Wasser gehen kann. Und das Warten hat sich gelohnt, auch wenn Ähnlichkeiten mit lebenden, verstorbenen oder fiktiven Personen nicht rein zufällig sein dürften. Als Quellen, aus denen Kai Meyer seine Inspiration geschöpft haben könnte, bieten sich an: Das Neue Testament, Das Alte Testament, wahlweise Hauffs Geschichte vom Gespensterschiff oder Der fliegende Holländer, und Poe’s A Descent into the Maelstrom. Die mythologische Unterwelt Acheron stand als Namensgeber Pate für das furchterregende Ungeheuer Acherus, dem Jolly und Munk mit knapper Not entrinnen und wie man bei Seneca nachlesen kann, bezeichneten schon die alten Römer den Atlantik als das mare tenebrosum und Festus Avienus behauptete, dies sei der Ozean, auf dem noch nie ein Schiff gefahren sei. Der Name des Schiffes Natividad stammt aus C.S. Foresters Hornblower-Romanen. Und natürlich kennt man die Welt, die Meyer zeichnet, aus sämtlichen Hollywood-Piratenfilmen seit Captain Blood. Die Piratenprinzessin Soledad gleicht bis aufs Haar der Korsarin Feuerkopf Stevens, die Maureen O’Hara in dem Film Gegen alle Flaggen so hervorragend gespielt hat.
Aber alle diese Déjà vus mindern die Qualität des Romans kein bißchen. Erstens werden die jungen Leser, für die der Roman eigentlich gedacht ist, all diese Parallelen nicht wahrnehmen und zweitens hat Meyer keineswegs von diesen Werken und Mythen einfach abgekupfert und Versatzstücke in seinen Roman eingebaut, wie das schlechte Autoren so gerne tun. Meyer ist es gelungen mit Die Wellenläufer einen ganz eigenen Roman zu schaffen, der immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet und dessen Ende nicht vorhersehbar ist. Aufregende und komische Passagen wechseln sich ab. Man darf gespannt sein auf die Entwicklung einer der Hauptpersonen, von der man am Schluß des Buches nicht weiß, ob sie den Weg des Guten oder des Bösen einschlagen wird. Mit dem eigenwilligen Orakel, das abwechselnd dichtet oder rülpst (wobei beide Äußerungen ungefähr die gleiche künstlerische Qualität haben) ist Meyer eine besonders originelle Figur gelungen, die dafür sorgt, daß der Schrecken in dieser Geschichte nicht die Überhand gewinnt. Denn es steht zu befürchten, daß der Tod und Verwüstung bringende Acherus nicht das letzte Ungeheuer ist, das dem unheimlichen Mahlstrom entsteigt.

Der widerspenstige PlanetIch traf Helden, Schizophrene, Selbstmörder, Alien-Jäger, Menschen-Jäger, Roboter und (mein persönlicher Held) einen Kalkstein, der auf einem Planeten in der Unwahrscheinlichkeitsschlaufe seit Anbeginn der Welt – seit 300 Jahren – eine „melancholische, leicht sehnsuchtsvolle Schnulze“ singt. Yeah, Baby. Willkommen auf dem widerspenstigen Planeten Robert Sheckleys.

“Probe, eins, zwei, drei”, sagte Upmann. “Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?”
“Sie sagten, ‘Probe, eins, zwei, drei'”, erwiderte Detringer und ein Seufzen der Erleichterung ging durch die Reihen der Umstehenden, denn die ersten Worte eines Menschen zu einem Extraterrestrier waren endlich gesprochen. –
Ein erster Kontakt, S. 635

Das gewaltige Œuvre des US-amerikanischen Sciene-Fiction-Schriftstellers Robert Sheckley umfasst hunderte Kurzgeschichten sowie einige Romane und sticht durch seine visionär-humorvolle Schreibe aus der Masse hervor. Der Kurzgeschichtenband Der widerspenstige Planet versammelt chronologisch geordnete 16 Geschichten aus dem Jahren 1953 bis 1974.
Der satirische, ironische Unterton und die keineswegs dazu gegenläufige Thematisierung des Sterbens ziehen sich wie ein roter Faden durch den Band. Sheckleys Figuren verkriechen sich zum Sterben oder suchen den heroischen Tod auf einer Hetzjagd; sie inszenieren ihr Ableben im Fernsehen oder finden ganz grundlos den Tod – das Ende des Lebens ist in vielen Geschichten der Dreh- und Angel-, aber nicht unbedingt der Endpunkt. Im Gegenteil: mit einem (zugegebenermaßen kostspieligen) Vertrag mit der Jenseits-Corporation ist der Tod erst der Anfang.
Wer Schwermut erwartet, wird dennoch enttäuscht werden. Sheckley ist bissig, böse und überzeichnet unsere Realität in einer Weise, dass es mitunter weh tut  – denn die Wahrheit zu hören schmerzt bekanntlich –, doch Sheckleys Hang zu Absurditäten, gemischt mit seiner Pointierungskunst machen die Geschichten zu einem ungetrübten Lesevergnügen. Erst in den letzten beiden Geschichten – Ein erster Kontakt und Endstation Zukunft – bricht Sheckleys Humor aus seiner gekonnten Hintergründigkeit aus und weicht einem Witz, der den Leser lauthals lachen lässt. Der geneigte Leser ahnt es schon: auf den singenden Kalkstein trifft man in einer dieser Geschichten. Und gemäß dem Credo von Brian W. Aldiss – „Einmal im Leben sollte jeder eine Robert-Sheckley-Geschichte gelesen haben!“ – möchte ich an dieser Stelle einige aus dem Geschichtenband Der widerspenstige Planet vorstellen. Wer sich das Buch nicht kaufen möchte, dem sei geraten, sich in einer Buchhandlung den Band aus dem Regal zu nehmen und wenigstens eine der im folgenden vorgestellten Geschichten zu lesen – die Kürze erlaubt es, die Qualität verlangt es!

Fütterungszeit, die erste Geschichte im Sammelband, bereitet den Leser in aller Kürze auf Sheckleys literarisches Vorgehen vor, doch schon der zweite Streich – Das siebte Opfer – überwältigt mit seiner skurrilen, dabei aber nicht abwegigen Handlung und thematisiert den unbändigen Drang des Menschen nach Nervenkitzel und dem letzten Kick, den der Protagonist der Erzählung freilich nicht als solchen, sondern als nötiges Aggressionsventil begreift. Verfilmt wurde die Erzählung 1965 von Elio Petri mit dem Titel Das zehnte Opfer – eine unfreiwillig komische Titeländerung, da für einen Film sieben Mordopfer scheinbar nicht ausreichen.
Die Geschichte Spezialist stellt als erste ein extraterrestrisches Wesen in den Mittelpunkt. Geschildert wird die Geschichte aus den, nun, Sinnensorganen von mehreren hochspezialisierten Wesen, die zusammen ein organisches Raumschiff bilden und das Weltall durchpflügen. Während die Wände mit ihrem ungezügelten Alkoholkonsum die Moral der Gruppe ins Wanken bringen, droht schon bald dem ganzen Schiff Gefahr: sie müssen sich in ihrer Not auf das wohl unspezialisierteste Wesen verlassen, welches sich im Universum die Ehre gibt: den Menschen.
Scharfzüngig spielt der Autor mit der anthropologischen Betrachtungsweise des unspezialisierten Menschen und verleiht zugleich den ungemein fremd anmutenden, außerirdischen Wesen bemitleidenswert menschliche Züge. Eine ähnliche Grundidee verfolgt Sheckley auch in seiner Geschichte Pfadfinderspiele, die den Menschen einmal mehr zum Gejagten werden lässt. Auch in dieser Geschichte beweist der Autor, dass er nicht nur ein begnadeter Phantast ist, sondern auch ein Menschenkenner: in allen Erzählungen begegnen uns Wesen – Menschen wie Außerirdische –, die wir meinen, gut zu kennen. Sie ähneln unseren Nachbarn, fernen Bekannten, guten Freunden und zuletzt auch uns selbst. In ihren Dia- und Monologen erscheinen sie arrogant, verängstigt, furchtlos, tollkühn, kurz: zutiefst menschlich. In dieser Hinsicht gleichen Sheckleys Erzählungen einem Spiegel, in dem wir uns, trotz Tentakel oder einer Vielzahl an Augen, selbst erkennen.
Utopia mit kleinen Fehlern
führt einen selbsterklärenden Titel. In der Geschichte spielt Sheckley gewohnt brillant-boshaft mit den scheinbar naiven Wünschen nach einer besseren Welt, die uns allen in Momenten der Resignation nicht fremd sind. Ein Staat ohne Arbeitslosigkeit, ohne Schulden, ohne Verbrechen – in Utopia ist all das bittere Realität.

Der hier vorgestellte Kurzgeschichtenband enthält zudem den Roman Die Jenseits-Corporation (auch erschienen unter dem Titel Lebensgeister GmbH), der all das bietet, was ein Science-Fiction-Roman so braucht: eine Femme fatale, Zombiehorden, eine dubiose, intransparente Firma, eine ordentliche Spannungskurve und eine beschwingte Prise Gesellschaftskritik. Herausragend wird dieser scheinbar nach Schema F gestrickte Roman durch seine intelligente Verkehrung gewohnter Motive, die Sheckley konsequent, aber nie langweilig anwendet.

Und schließlich: Der erste Kontakt. Die vorletzte Kurzgeschichte im vorliegenden Band schlägt, wie bereits erwähnt, eine völlig neue Saite an Sheckleys literarischem Instrument an. Nicht minder beißend, aber mit unverhohlenem Humor treibt die Geschichte von einem gestrandeten außerirdischen Exilanten mit seinem loyalen Haushaltsroboter, der zufällig das erste Alien ist, auf den die Menschheit trifft und von Journalisten der Zeitungen Chic!, Weltmoden und  New York Times interviewt wird, dem Leser die Lachtränen in die Augen. Ebenso wie Endstation Zukunft, die Geschichte eines missglückten und deshalb glückenden Versuches, eine Zeitmaschine zu bauen. In dieser Erzählung löst Sheckley auch eines der letzten mathematischen Rätsel der Menscheit – die Transformation von Äpfeln in Apfelsinen:

Geschmack
+ √Farbe (Samen)^2
Aroma

Wenn Sie noch weitere Fragen haben, lösen Sie einfach ein Ticket zum Widerspenstigen Planeten. Guten Flug!

Die wirkliche Mittelerde von Arnulf KrauseDer Germanist Arnulf Krause führt in die keltischen und germanischen Mythen und Sagen ein, auf denen J.R.R. Tolkiens fiktive Mythologie basiert, und arbeitet heraus, welche literarischen Stoffe und Motive vor allem in den Hobbit und den Herrn der Ringe eingeflossen sind. Dabei untersucht er nicht nur unter verschiedenen thematischen Gesichtspunkten die mittelalterlichen Dichtungen, die Tolkiens Schaffen beeinflusst haben, sondern verortet sie mithilfe zahlreicher Bezugnahmen auf Geschichte und Archäologie auch in der realen Lebenswelt vergangener Zeiten.

 

– In Bibliotheken des Vereinigten Königreichs und anderer Länder steht ein Buch, dessen angestaubter Zustand zweierlei verdeutlicht: Es hat bereits etliche Jahrzehnte auf dem Rücken und wird selten ausgeliehen. Dies sollte verwundern, denn auf besagtem Buchrücken findet sich der Name J.R.R. Tolkien. Und gemäß der Inhaltsangabe geht es um Könige, die in den Krieg ziehen, „Schlange“ heißende Gelehrte, um Götter, Menschen, Monster und Magie. Also ein vergessenes Frühwerk des millionenfach gelesenen Fantasy-Autors Tolkien? –
(Ein honorabler Professor und sein Spleen – Der Barde des Angelsächsischen)

Arnulf Krauses Die wirkliche Mittelerde. Tolkiens Mythologie und ihre Wurzeln im Mittelalter lässt sich in einer Rezension nur schwer ausgewogen beurteilen, liegt hier doch ein Buch vor, das sich einerseits vergnüglich liest und im Prinzip viel Gutes und Richtiges enthält, andererseits aber an einem ganz entscheidenden Mangel krankt.

Zunächst zum Erfreulichen: Krause verfügt über profundes Wissen und versteht es zu vermitteln, ob es nun um Mythen, Sagen und mittelalterliche Literatur oder um Vor- und Frühgeschichte allgemein geht. Seine langjährige Erfahrung als Sachbuchautor ist seinem Stil deutlich anzumerken, der immer amüsant und gut lesbar bleibt. Schon die Einführung in Tolkiens Leben und sein akademisches wie schriftstellerisches Wirken ist launig gestaltet, und auch die anschließende Entdeckungsreise wird zu keinem Zeitpunkt langweilig: Die Ursprünge der verschiedensten durch Tolkien popularisierten Fantasyvölker und Fabelwesen werden ebenso ausgelotet wie Tolkiens Magieverständis und die in der Völkerwanderungszeit entstandene spezifische Form des Kriegertums. Ausführlich werden auch die realen und literarischen Vorbilder bestimmter Eigenheiten von Tolkiens Setting vorgestellt, ob es sich nun um Fürstenhallen, wilde Wälder oder Hügelgräber handelt. Immer wieder spielt dabei auch der Begriff „Mittelerde“ selbst eine Rolle, dessen spätantike bis frühmittelalterliche Wurzeln Krause anschaulich erläutert.

Die Unterhaltsamkeit ist dabei nicht durch eine Senkung des Anspruchs erkauft: Krause bietet vielfach originalsprachliche (aber immer durch eine Übersetzung ergänzte) Zitate und Titel und schöpft aus einer beeindruckenden Quellenfülle. Wann immer Krause im Detail auf Tolkiens Schaffen eingeht, beweist er viel Gespür für Zwischentöne. Feinfühlig zeichnet er die Verquickung von heidnischer Mythologie und christlichem Gedankengut in Tolkiens Romanen nach oder stellt Überlegungen darüber an, inwieweit Tolkien sich bei seinen Schlachtenschilderungen eher literarischen Motiven als seinen eigenen Kriegserfahrungen verpflichtet wusste.

Doch leider sind nicht alle Teile des Buchs so ideal auf Tolkien abgestimmt, was mit dem eingangs schon erwähnten großen Schwachpunkt zusammenhängen mag: Krause übernimmt immer wieder Textpassagen wörtlich oder mit nur geringen Anpassungen aus seinen älteren Büchern. Besonders auffällig ist dies bei der ausführlichen Beschreibung des archäologischen Fundorts Feddersen Wierde, die gegenüber der entsprechenden Stelle des in 2. Auflage schon 2005 erschienenen Buchs Die Geschichte der Germanen nur marginal verändert wurde. Aus demselben Werk ist auch die hier im Kapitel Schmausen wie in Heorot – die Herrenhalle abgedruckte Beschreibung eines Empfangs am Hof des Hunnenherrschers Attila fast wortgetreu übernommen. Beim Stichwort Attila bietet sich der Hinweis an, dass auch der Abschnitt über die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern in beiden Büchern verdächtig ähnlich ist. Die Informationen über die Druiden dagegen sind zwar ein wenig stärker umformuliert und zusammengekürzt, aber die Grundstruktur des Texts und zahlreiche Formulierungen sind schon in Krauses Von Göttern und Helden: Die mythische Welt der Kelten, Germanen und Wikinger (2010) angelegt, wie auch die hier wiederverwendete Ragnarök-Schilderung. Die Liste ließe sich fortsetzen. Ob auch Krauses Bücher zu den Kelten und Wikingern in gleicher Weise als Steinbruch gedient haben, kann ich nicht beurteilen, da sie mir nicht vorliegen, aber angesichts des oben dargestellten Befunds wäre es zumindest kein großes Wunder.

Dieser Rückgriff auf schon Veröffentlichtes mag für den Fantasyleser, der vor allem mehr über die Hintergründe von Tolkiens Mythologie erfahren möchte, noch nicht allzu tragisch sein, doch Krause versäumt es vielleicht gerade aus seiner Vertrautheit mit der Materie heraus bisweilen, diejenigen Aspekte zu betonen oder auch nur explizit zu nennen, die unter dem hier gewählten Blickwinkel von besonderem Interesse wären.

So ist ihm z.B. bei der Nacherzählung der Hervarar saga die ältere Herwör nur als Weitergeberin des verfluchten Schwerts Tyrfingr an ihren Sohn wichtig, nicht aber hinsichtlich ihrer eigenen kriegerischen Aktivitäten, und die jüngere Herwör findet gar keine Erwähnung. Damit bleibt die Gelegenheit ungenutzt, herauszuarbeiten, was Tolkien zu einer Gestalt wie Éowyn inspiriert haben könnte. Ebenso wird zwar das Phänomen der Berserker angesprochen, ein Vergleich mit Tolkiens Beorn, bei dem die in der realen Welt nur imaginierte Tierverwandlung konsequent zuendegedacht ist, fehlt jedoch. Noch stärker vermisst man den Tolkienbezug, wenn Krause das Wissensduell zwischen Odin und dem Riesen Wafthrudnir schildert, das Odin nur durch die listige Frage nach etwas, das ausschließlich ihm selbst bekannt ist, gewinnen kann. Die Parallele zu dem von Bilbo und Gollum im Hobbit ausgetragenen Rätselwettstreit ist überdeutlich, aber Krause überlässt es stillschweigend dem Leser, sie zu ziehen. Von Tolkiens Büchern stehen übrigens eindeutig Der Herr der Ringe und Der Hobbit im Mittelpunkt von Krauses Interesse, während Das Silmarillion ein wenig stiefmütterlich behandelt wird: Das Drachenkapitel gibt Smaug breiten Raum, während Glaurung gar nicht vorkommt. Dazu passt auch, dass Krause Die Kinder Húrins zwar kurz erwähnt,  aber im Kapitel über Schwerter nicht darauf zurückkommt, als er noch einmal auf das verfluchte Schwert Tyrfingr eingeht (obwohl man hier die Inspiration für die ähnlich unheilbringende Waffe Anglachel/Gurthang hätte vermuten können).

Leider springen zudem noch einige Fehler ins Auge: So mutieren z.B. die Inklings zu Inklinks, und ob in der schon erwähnten Hervarar saga nun Agantyr oder Angantyr eine Rolle spielt, darf der Leser sich aussuchen (beide Varianten werden abwechselnd gebraucht). Apropos Namen: Auch die Nennung der deutschen Personennamen Ansila und Ansgeir lässt einen ein wenig verwundert zurück, aber man sollte wohl nicht über die sehr weitgefasste Auslegung des Begriffs „deutsch“ staunen, da im selben Atemzug Asperg den skandinavischen Ortsnamen zugeschlagen wird. Auch beim Thema Tolkien fallen Unsicherheiten auf, so etwa, dass Krause durchgängig die Namensform Middle-Earth statt des bei Tolkien üblichen Middle-earth verwendet und Gandalf fälschlich den Valar zurechnet.

Das alles ist bei einer Publikation aus dem Hause Theiss fast schon typisch, wurden doch in anderen (insgesamt übrigens durchaus nicht schlechten) Büchern desselben Verlags bereits ein Sonnenaufgang im Westen und die postume Geschlechtsumwandlung der Merowingerkönigin Arnegunde in einen „König Arnegund“ übersehen. Dennoch ist es natürlich enttäuschend, dass hier nicht gründlicher gearbeitet worden ist.

Diese Flüchtigkeit verstärkt den Negativeindruck, den man aus dem etwas lieblosen Baukastensystem der Textgestaltung gewonnen hat. Ganz lässt sich der Verdacht nicht abschütteln, dass man hier – vielleicht im Hinblick auf das in Verbindung mit der Hobbit-Verfilmung zu erwartende verstärkte Interesse an Tolkien – übereilt aus schon vorhandenem Material ein neues Buch zusammengeschustert hat. Da dennoch manch wertvolle Information enthalten ist, kann man nicht völlig von der Lektüre abraten, aber wer bei seiner Beschäftigung mit Mythologie und Geschichte auf Tolkiens Namen als Anreiz verzichten kann, hat wahrscheinlich mehr davon, zu anderen Werken über die entsprechenden Themen zu greifen.

Das Wörterbuch des Viktor Vau von Gerd RuebenstrunkEinige hundert Jahre in der Zukunft: Viktor Vau, Professor der Linguistik und Hobbypsychiater, forscht an einer perfekten Sprache, wie es einst schon Leibniz tat. Mit ihrer Hilfe möchte er Ordnung in das Chaos der Gedankenwelt von Schizophrenie-Patienten bringen, doch bald stellt sich heraus: Vaus perfekte Sprache wird die ganze Welt verändern. Doch diese Gefahr – oder dieses Potential – bleibt nicht unbemerkt. Es dauert nicht lange, bis ein erbitterter Kampf um Vaus Lebenswerk entbrennt, an dem sich Geheimdienste, Agenten und Rebellen gleichermaßen beteiligen.

-Die Welt ist eine Glaskugel.
Jede Sekunde machen Satellitenkameras, Radiowellenempfänger, Überwachungssensoren, Mikrofone und Messstationen das Unsichtbare sichtbar.-
(u: Ankunft)

Eines vornweg: der Klappentext lügt. Das Wörterbuch des Viktor Vau ist mitnichten das „gefährlichste Buch, das Sie je in den Händen halten werden“. Es ist weder das beste aller Bücher, welches alle vorher geschriebenen Bücher hinfällig werden lässt, noch ist es das schlechteste je geschriebene Buch, welches den Verstand zur bedingungslosen Kapitulation zwingt. Es geht keinerlei Gefahr davon aus – es sei denn, man ist angehender Linguist.

Doch beginnen sollte ich lieber am Anfang, denn der ist gut. Hinter der Notizbucheinbandfassade wartet eine zukünftige Welt; die Handlung beginnt in einem fiktiven Überwachungsstaat auf dem afrikanischen Kontinent. Ein unbekanntes Flugobjekt stürzt ins Meer, und dann nimmt die Handlung an Fahrt auf. Unzählige Charaktere werden mit einer ein- bis zweiseitigen Hintergrundgeschichte eingeführt, sind wichtig und verschwinden wieder im Strom der anonymen Masse. Das funktioniert zu Beginn gut, da das Setting außergewöhnlich genug ist, um darüber hinweg zu faszinieren. Und die Idee, einen Linguisten zum (gewünschten Anti-)Helden einer Geschichte zu küren und sich darüber hinaus im Rahmen eines Science-Fiction-Romans mit Plansprachen und perfekten Sprachen auseinanderzusetzen, wird dem Buch immer einen Platz in meinem Herzen sichern.
Doch genug der Sentimentalitäten: was als Idee sehr gut und kreativ ist, kann auf dem Papier noch zehn Mal scheitern. Die Handlung ist bestenfalls als konstruiert zu bezeichnen; der Kunstgriff, alle flüchtig erwähnten Figuren in einem gordischen Handlungsknoten zusammenzuführen, eher als misslungen. Hinzu kommt, dass ausnahmslos alles im Roman handlungsrelevant ist. Es gibt keinen Satz, keine Zeile, die auf dichterische Art und Weise an die Idee des Erzählens und Ausschmückens verschwendet wäre. Durch die fehlenden Wörterpuffer prallt eine Handlung an die Nächste, und dies verkettet sich zu einem nicht atem-, sondern seltsam spannungslosen Reigen an Explosionen, subversiven Treffen und Nervenzusammenbrüchen. Krönung des Handlungspotpourris ist der Ausflug in die Thrillerecke: völlig unmotiviert mordet ein Mörder vor sich hin – immerhin: hier findet eine Ausschmückung der Szenen statt –, doch der Ratlosigkeit des mürrischen Cops kann man sich leider nicht anschließen.

Die herausragende Unglaubwürdigkeit sowie Voraussehbarkeit der Handlung ist umso bedauerlicher, da Ruebenstrunk, wie erwähnt, äußerst gute Ansätze liefert. Die Idee hinter den ‘Stimmen im Kopf’ ist einfallsreich und clever gelöst, viele Details der Welt bieten Potential für richtig gute Geschichten. Doch neben der Handlung fallen auch die Charaktere negativ ins Gewicht. Enrique, der getriebene Mysteriöse, der in dieser Phase seines Lebens „keinerlei Interesse“ an Frauen hat, setzt sich zuerst mit diesem Fakt auseinander, während er drei Absätze später eine Schlägerei riskiert, um einer Frau „mit ungewöhnlicher Schönheit“ beizustehen. Dies, liebe Leser, ist Wandlungsfähigkeit in ihrer reinsten Form – doch gerade diese Eigenschaft führt den speziellen Charakter ad absurdum! Dass Enrique sich in diese Frau verliebt, ist danach noch reine Formsache.
Professor Vau ist das farblose Abziehbild des irr-nervigen, aber dadurch liebenswerten Wissenschaftlers, sein einziger Charakterzug die Verschrobenheit. Dass eine große Geisteskapazität jedoch die Emotionen und charakterlichen Ausprägungen auf ein Minimum schrumpfen lässt, widerlegen die Lebensgeschichten von Feynmann, Einstein oder Newton u.v.m. eindrucksvoll. Vaus Typ ist kein Anachronismus, es hat ihn nie gegeben.

Kommen wir zur oben erwähnten Warnung. Viktor Vau, seines Zeichens brillanter Neurolinguist, fachsimpelt über die „Babysprache, die von Fachleuten als Prosodie bezeichnet wird“ (sic!). Nun ist es gut möglich, dass sich in 500 Jahren die Definitionen für verschiedene Begriffe geändert haben werden – ist ja ’ne lange Zeit für die Forschung –; ich allerdings möchte den Satz mit Rot unterstreichen, „Falsch!“ an die Seite schreiben und an den Verlag zurückschicken. Ein derart oberflächlicher Fehler lässt den guten Viktor ziemlich dumm dastehen, und auch der Rest des eingebrachten Fachwissens – meist durch zeilenlanges Rezitieren von Philosophiezitaten in eh schon arg gebeutelten Dialogen – besticht durch Erwähnung ohne Erläuterung; und dies wiederum läuft noch nicht unter dem Namen ‘Recherche’, sondern verkümmert zur Trivialität. Die Einbeziehung des Voynich-Manuskriptes konnte mir wohl ein glückliches Lächeln entlocken, die haarsträubend gehaltlos-widersinnige Einflechtung der Pirahã-Indianer im zweiten Teil des Romans jedoch nur ein leises Schluchzen.
Die Spannung, welche durch die brisante Handlung ansatzweise aufgebaut wird, wird durch die Erzählperspektive wieder zunichte gemacht. Mit Ausnahme des Präsidenten wird aus der Perspektive aller handelnder Figuren – Rebell wie Regierungsmitglied – einmal erzählt, sodass es dem Spannungsmoment geht wie einem Menschen auf einem flutbelichteten Fußballplatz: nichts liegt im Schatten. Szeneninterne Sprünge in der Erzählhaltung von Person zu Person lassen wirklich keine Fragen offen.
Immer wieder ist man versucht, dass Buch zu schütteln, bis die Buchstaben am rechten Platz sind und den Ideen endlich gerecht werden. Das Wörterbuch des Viktor Vau hat Potential, ist kurzweilig und wartet mit einem storytechnisch soliden Grundgerüst auf. Doch Ruebenstrunks Roman ist leider längst nicht „so außergewöhnlich wie sein Name“.

Cover des Buches "Der Zensor" von Marcus Hammerschmitt Ironie der Geschichte: Die Conquista verlief andersherum, die Maya haben durch ihre nanotechnische Überlegenheit die Spanier besiegt und kontrollieren nun den Südwesten Europas. Die iberische Bevölkerung, technologisch und wirtschaftlich an den Rand der neuen Mayagesellschaft gedrängt, dämmert in Hilflosigkeit und Armut dahin. Einige wenige aber, wie Enrique, lehnen sich gegen die Usurpatoren auf und kämpfen einen hoffungslosen Guerillakrieg.

-Weiter draußen, wo die bewässerten Felder aufhörten, wo die Spanier lebten, war alles anders. Die Straßen waren schlechter, die Häuser nicht nur einfach, sondern primitiv, und das Wellblech, der Standartbaustoff der Armut, war hier allgegenwärtig. Die Spanier, faul wie immer, hatten wieder einmal viel zu früh mit der Siesta angefangen.-
16. Juni 2136
13.6.5.5.1 8 Imix 4 Xul Nachtgott 2

Marcus Hammerschmitt hat eine spannende und innovative Utopie geschaffen, in der die Mayas Spanien erobert haben, und nun den iberischen Bewohnern ihre Kultur mit Hilfe von technologischen Errungenschaften auf dem Gebiet der Nanotechnologie gewaltsam aufzwingen. Die spanischen Städte wie auch jeder Spanier bekamen Mayanamen (Madrid heißt Nadz Caan), Mais ist das Hauptnahrungsmittel und die Hauptstadt Nanotikal wird von einem künstlich erschaffenen Urwald umringt.
Hammerschmitt kehrt die Geschichte um und schafft so eine interessante Mischung aus Geschichtsgedankenspiel und Science Fiction. Die opponierenden Seiten (Maya und Spanier) werden aus Sicht von Yaqui Ahau, dem obersten Zensor von Naotikal, und Enrique, einem spanischen Guerillero geschildert. Beide Protagonisten werden facettenreich und farbig charakterisiert, so dass sie dem Leser, obwohl sie durchaus nicht sympathisch sein müssen, ans Herz wachsen.

Der Einstieg in die Geschichte fällt dem Leser leicht, da anfangs ein wenig der Alltag des Ahau Yaqui geschildert wird und man sich auf diese Weise behutsam mit der Welt der technisierten Mayagesellschaft vertraut machen kann. Dann wird die Handlung zügig vorangetrieben und die Spannung bis zum Ende aufrecherhalten. Mit 221 Seiten ist dieses Werk nicht gerade umfangreich, dennoch schafft es Hammerschmitt, die Kultur der futuristischen Maya und Spanier anschaulich und in vielen Aspekten zu beschreiben. Hammerschmitt setzt futuristische technologische Ideen gekonnt sparsam ein und schafft es, diese glaubwürdig in seine Welt zu integrieren.
Wer sich allerdings noch mehr für die politischen Auswirkungen dieser geschichtlichen Wendung interessiert, wird im Dunkeln gelassen. Der Leser erfährt kaum etwas über die Welt außerhalb Südamerikas und des eroberten Spaniens. Auch bleiben die Umstände um die Conquista durch die Maya nebelhaft. Sicherlich wäre es Hammerschmitt möglich gewesen, den Leser stärker über diese Aspekte zu informieren, aber er hat sich auf die wesentlichen Inhalte seiner Utopie konzentriert. Dieses kommt dem Werk sehr zugute, da auf Nebenhandlungsstränge, langatmige Schilderungen und “Geschwafel” verzichtet wird. Die Handlung ist daher knackig und wirkt sehr durchdacht, ist aber keinesfalls vorhersehbar.
Hammerschmitt hat eine flüssige Sprache. Sein Schreibstil ist prägnant und auf positive Art “erfrischend” deutsch, weshalb die Seiten unter den Augen nur so dahingleiten.

Ein gutes Buch will man meist irgendwann nochmals lesen, aber der volle Lesespaß würde dem Leser beim zweiten Mal nur zuteil, falls er sich die überraschende Auflösung mit einer nanotechnologischen “Gedächtnisbombe” aus dem Gedächtnis löschen könnte. Denn sonst wird der Leser das geniale Ende wohl kaum vergessen.

Die Zweite Legion von Richard SchwartzHavald und seine Gefährten beschließen, nach den Ereignissen im Wirtshaus Hammerkopf die magischen Tore zu benutzen, um in das legendäre Reich Askir zu reisen, und dort um Hilfe gegen die Invasoren zu bitten. Doch ein seltsamer Wanderer, der im Gasthaus eintrifft, erzählt Havald, daß die Länder, aus denen Askir bestand, inzwischen uneins sind. Trotzdem bekräftigt er Havald in seinem Vorhaben, in Askir vorzusprechen.
Um eines der Tore benutzen zu können, müssen die Gefährten hoch in das eisige Gebirge reisen, wo ihnen etliche Gefahren drohen – denn schon ist der Feind auf ihrer Spur, ohne daß sie es ahnen …
Nach etlichen Strapazen gelangen sie in das Wüstenreich Bessarein und etliche politische Verstrickungen.

-Ich lehnte mich zufrieden in meinen Stuhl zurück, Eberhard, der Wirt des Gasthofs Zum Hammerkopf, hatte sich in der Küche selbst übertroffen, und ich fühlte mich angenehm gesättigt.-
1. Tore und Steine

Nachdem Das Geheimnis von Askir mit Das Erste Horn im Auftakt als eisiges, atmosphärisches Kammerspiel fesseln konnte, geht es nun aus dem beklemmenden Wirthaus für die Gefährtengruppe hinaus in die weite Welt – die Queste, Verstärkung gegen die einfallenden Feinde zu holen, wartet. Und kaum ist man ein Stück weit unterwegs, präsentiert Richard Schwartz ganz gelassen und selbstverständlich einen actionlastigen Universal-Fantasy-Mischmasch, in dem unsere Helden Unterweltpanther, Riesenkakerlaken, Lindwürmer und eine Spinnenkolonie bekämpfen müssen – als wären im Hintergrund die Würfel unter der Prämisse gerollt, nur ja kein Höhlengewürm auszulassen, das man in einer “best of”-Sammlung eines beliebigen Rollenspiels finden könnte.
Daß das Geschnetzel – verglichen mit ähnlichen Werken – tatsächlich leidlich unterhaltsam ist (und nach der ersten ermüdenden Höhlenpartie sogar einigermaßen mitreißend wird), liegt an Schwartz’ unbestreitbarem Erzähltalent: Die Erzählperspektive des alten Recken Havald geht ihm derart gut von der Hand, daß man auch das knietiefe Waten im Klischeesumpf ertragen kann, und der Stil liest sich flüssig und schön (von ein paar Macken wie einer häufig verschusselten Zeitenfolge, wenn in der Vorvergangenheit berichtet wird, einmal abgesehen). Um den jovial vorgetragenen Sexismus, in dem der Erzähler sich häufig ergeht, zu ertragen, muß man allerdings schon mehr als ein Auge zudrücken.

Die einzelnen Kurzkapitelchen machen meistens Spaß, lesen sich locker und flott und lassen Die Zweite Legion zu einer soliden Unterhaltungslektüre werden, doch aus dem Mittelfeld würde die Reihe nur herauskommen, wenn man in den Ideen in Sachen Setting und Handlung endlich einmal Schwartz’ eigene Hand erkennen würde und nicht das Gefühl hätte, alles wäre etwas lieblos aus Versatzstücken zusammengepinselt. Die Handschrift des Autors in Welt und Ideenfindung gehört mit zur eigenen “Poesie” der Fantasy und ist oft Teil des Lesevergnügens – hier leider mehr als blaß umgesetzt.

Und man muß davon ausgehen, daß dies genau so Absicht ist, denn in anderen Gebieten zeigt sich Schwartz durchaus erfinderisch: Kann man die Ansprüche an Weltenbau & Konsorten etwas herunterschrauben, wird man nämlich prächtig von den humorigen Streitigkeiten innerhalb der Gefährtengruppe unterhalten – in diesem Band hat sich Schwartz besonders der spröden Dunkelelfe Zokora angenommen, deren trockener Humor fast in jedem Kapitel Lacher garantiert. Damit präsentiert der Autor seine Helden auf warme und trotz der Klischees eigene Art, so daß man mit den Schwächen Nachsicht üben kann.
Mag auch die Handlung kein Knüller sein, ebensowenig die Welt, aber die Charaktere und ihre Interaktionen sind meistens ein herrlicher, lebendiger Spaß und sorgen für ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Cover von Die Zwerge von Markus HeitzDas Tote Land ist auf dem Vormarsch – immer mehr Völker fallen ihm zum Opfer. Viel ist passiert, seit die Zwerge einst die Zugänge zum Geborgenen Land schützten.
Tungdil, ein junger Zwerg, ist fernab von seinem eigenen Volk als Findelkind bei dem Magier Lot-Ionan aufgewachsen. Nur über Bücher und alte Schriften erfährt er Einzelheiten über die Zwerge. Eines Tages wird er von seinem Ziehvater auf einen Botengang geschickt – der Anfang eines großen Abenteuers. Durch viele Irrungen und Wirrungen findet sich Tungdil als Thronanwärter des Zwergenvolkes und Retter des Geborgenen Landes wieder, gerät in allerlei Bedrängnis und erlebt viele Abenteuer, deren Ausmaß er sich vorher nie vorzustellen vermochte.

-Weißer Nebel füllte die Schluchten und Täler des Grauen Gebirges. Die Gipfel der Großen Klinge, der Drachenzunge und der anderen Berge erhoben sich trotzig aus dem Dunst und reckten sich der Abendsonne entgegen.-
Prolog

Markus Heitz hat ohne Zweifel eine gute Schreibe. Sein Stil ist ansprechend und die verwendeten Formulierungen wissen zu gefallen. Die Zwerge lässt sich dementsprechend flüssig lesen und bietet gute Hausmannskost.
Thematisch widmet er sich dem “kleinen” Volk der Zwerge, die er in ein interessantes Szenarion versetzt. Die Idee der verschiedenen Zwergenclans mit den unterschiedlichen Fähigkeiten und dem Auftrag der gesamten Zwergenheit, für den Schutz des Geborgenen Landes Sorge zu tragen, sorgt von Anfang bis Ende für spannende Unterhaltung.
Allerdings zeigt das vorliegende Werk bei näherer Betrachtung deutliche Schwächen. Die Story ist, wenn man den neuen Aspekt “Zwerg” mal außen vor lässt, dem alten Kampf von Licht und Schatten, Gut und Böse gewidmet. Für Schattierungen bleibt kaum Platz.
Die Idee, die LeserInnen an der Gedankenwelt der ProtagonistInnen teilhaben zu lassen, ist immer gefährlich. So ist es beispielsweise seltsam bzw. schwer zu erklären, dass, wenn der Blick auf einen Bösewicht fokussiert wird, man trotz des Einblicks in seine Gedanken nichts über die Dimensionen seiner Bösartigkeit erfährt, obwohl er gerade eine Abscheulichkeit sondergleichen plant. Heitz hätte hier besser früher weggeblendet oder eine andere Figur herangezogen. Auch an anderen Stellen läuft er in diese Falle, in denen z.B. sein Held in bestimmten Situationen viel zu kühl und rational wirkt.
An anderen Stellen wird seine Erzählung nicht der Situation gerecht, wenn sich beispielsweise ein 298jähriger Thronfolger durch einen 63jährigen Mitbewerber verunsichern und wie ein kleines Kind behandeln lässt.
Außerdem kommt es zu Logikfehlern. Wenn der eine Zwergenclan z.B. seit 200 Jahre keinen Kontakt mehr unterhält, weil er in den letzten 30 Jahren von der Tradition abgewichen ist. Dafür verfügt er aber noch über das Wissen über bestimmte Transporteinrichtungen, die auch regelmäßig gewartet werden, die bei anderen Zwergenclans schon seit mehreren Jahrhunderten vergessen sind und erst wiederentdeckt werden müssen.
Die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen im Geborgenen Land sind kaum zu erklären, wenn man sich die Dimensionen vor Augen führt. Auch die skizzierten kulturellen Unterschiede lassen sich kaum mit den Distanzen erklären, und Heitz bietet leider auch keine geeigneten Erklärungsmuster an. Die Welt erweckt den Eindruck eines Flickenteppichs, wo von allem was dabei ist/sein muss.
Insgesamt ist Die Zwerge leider ein durchschnittliches Buch geworden. Es weiß zu fesseln, aber die vielen kleinen Detailfehler haben den Lesespaß ein ums andere Mal deutlich beschnitten. Ich habe es mit der Hoffnung beiseite gelegt, daß es Heitz beizeiten nochmal gründlich überarbeitet.

Die Zwerge von Amboss von Thomas PlischkeDer Zwergen-Ermittler Garep Schmied muß zusammen mit seinem Assistenten einen Mordfall aufklären: Ein Komponist wurde ermordet, und alle Indizien deuten darauf hin, daß sein menschlicher Diener den Mord begangen hat. Garep hat jedoch seine Zweifel.
Als allerdings ein weiterer Übergriff von Menschen auf Zwerge stattfindet, kocht die ohnehin geladene Stimmung über: Im Wahljahr der Zwerge haben diese Fälle, die augenscheinlich von den als Flüchtlingen im Zwergenreich lebenden Menschen begangen wurden, auch politische Bedeutung. Nachdem Garep endlich eine Verdächtige an der Hand hat, wird ihm der Fall entzogen.
Derweil laufen im Hintergrund schon längst die Vorbereitungen für einen Krieg…

-Garep Schmied hätte nie erwartet, im Zuge seiner Arbeit einmal eine Silberflöte aus dem Rücken eines Zwergs ragen zu sehen.-
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Sollte einmal eine Wahl zum unoriginellsten aller Fantasy-Völker stattfinden, so hätten die Zwerge wohl nicht die schlechtesten Chancen darauf, den Titel zu ergattern. Seit einst der erste Zwerg tolkienesker Ausprägung seinen Kopf aus einem Felsenschacht strecken durfte, bevölkern sie als wandelndes Klischee mit Bart, Spitzhacke und einem Hang zur Derbheit diverse Fantasywelten. Individuelle Charakterzüge sind meist eine Fehlanzeige, man begegnet stets Abgüssen des „Urzwergs“.
Auch in Thomas Plischkes Zerrissenen Reichen schimmert dieser klassische Fantasy-Zwerg hin und wieder durch – immer dann, wenn seine umtriebigen Nachfahren auf ihre ferne Vergangenheit blicken. Für Die Zwerge von Amboss wurde der Klassiker aber konsequent und auf sehr authentische Art und Weise weiterentwickelt, in eine industrialisierte, säkularisierte und zutiefst bürgerliche Zwergengesellschaft, so daß man sich als Leser in einer phantastischen Version des wilhelminischen Zeitalters wähnt, in dem Zwerge plötzlich einen Alltag und Familien haben (aber auch Feuerwaffen und Eisenbahn) und beinahe ein wenig beschämt auf ihre vergangenen Tage als Buddler und Krieger zurückblicken.

Schon diese augenzwinkernde Betrachtung liebgewonnener Klischees spricht für eine originelle Bearbeitung des Zwergenstoffs (oder auch Rollenspielstoffs, denn man begegnet noch Halblingen und Elfen, Diebesgilden, höhlenbewohnenden Ungeheuern und weiteren Ingredenzien, die an rollende Würfel denken lassen), doch trotz der Anlehnung ans wilhelminische Kaiserreich stechen vor allem brandaktuelle Themen aus der Romanhandlung hervor: So sind in diesem Szenario etwa die Menschen aufgrund einer Art verschärfter Variante der Reformationskriege Flüchtlinge, und die Zwerge sind wenig angetan von den vielen schmarotzenden Ausländern, die in ihre Städte strömen. Daß einem bei den Debatten, ob und wie diese Menschen besser zu integrieren seien, deutsche Politiker diverser Couleur in den Sinn kommen, ist vielleicht ein nicht ungewollter Nebeneffekt, und dem Roman tun die unverbrauchten Themen und der Gegenwartsbezug gut. Daß solcherlei Konflikte meistens durch die Sichtweise der Zwerge vermittelt werden, macht sie um so interessanter.
Zudem erinnern stets viele liebevoll gestaltete Details daran, es nicht nur mit kleingeratenen Menschen, sondern einer eigenen, wie gewachsen wirkenden Kultur zu tun zu haben: Zwergische Bräuche, Sprachbilder und Eigentümlichkeiten gibt es zu Hauf zu entdecken, alle ideenreich vom Urzwerg abgeleitet und durch den Fleischwolf einer geschichtlichen Entwicklung gedreht. Sprachlich sind diese Dinge gekonnt eingebunden, etwa wenn Körperteile zwergisch benannt werden.
Nebst verschiedenen (tatsächlich sehr individuellen) Zwergen, die Teestuben besuchen, Moden nacheifern oder sich alldem traditionalistisch verweigern und politische Debatten führen, darf man allerdings auch noch Halblingen, die hier eine Art bürokratische Aufseherkaste stellen und sich als ein fremdartiges, eigentümliches Volk entpuppen, und den auf die ein oder andere Weise von ihrer Religion bestimmten Menschen über die Schultern schauen. Sowohl die Charaktere als auch das politische Szenario, das im Laufe der Handlung bedenklich ins Wanken gerät, werden kontinuierlich entwickelt und sorgen dafür, daß es kaum Leerlauf gibt und Spannung groß geschrieben wird.

Einen Großteil der Faszination dieses Auftaktbandes macht dennoch das Entdecken der gut ausgearbeiteten Welt aus, hinzu kommt die spannende Mischung aus Krimi-Elementen, politischer Verschwörung und eines sich anbahnenden Konflikts zwischen Glauben und Vernunft. Nachdem die Handlung mit Garep Schmied anfangs vor allem auf eine Figur setzt, die sich nahe am Hardboiled detective bewegt – ein desillusionierter Ermittler mitsamt verlorener Liebe, halb geheimen Süchten und Schnüfflermentalität – dreht der Plot später eher in die Abenteuer- und Thrillerecke ab, in der die Charaktere nicht ganz so gut auftrumpfen können. Zusammen mit dem Nachlassen der entdeckerischen Aha-Effekte ergibt sich ein für das interessante Szenario doch etwas konventionelles Ende, das leider auch mehr als offen bleibt. Ähnliches geschieht in einem zweiten Handlungsstrang rund um medizinische Experimente an den Insassen einer Heilanstalt, der beeindruckend beginnt und mit einem Traum aufwarten kann, der zu den stärksten Szenen des Romans zählt, dessen Ende aber vorhersehbar ist und den Erwartungen nicht ganz gerecht wird.
Doch selbst wenn die Spannungskurve zum Ende hin etwas abflacht, liegt doch ein Roman vor, der gleichzeitig ein hohes Tempo und einen bisher in Zwergenreichen ungekannten Tiefgang an Themen und Charakteren – und durchaus auch Humor – zu bieten hat. Da sich der Wirkungsradius der Handlung in den finalen Szenen erhöht, darf man gespannt erwarten, was es im nächsten Band zu entdecken geben wird und wie die vielen, teilweise erst ansatzweise eingebrachten Themen fortgeführt werden.
Die Zwerge sind also rehabilitiert!

Zwischen neun und neun von Leo PerutzStanislas Demba muß dringend Geld auftreiben. Aus diesem Grund läuft er seit dem Morgen durch das kaiserlich-königliche Wien und trifft dabei auf alle möglichen Leute. Doch warum benimmt er sich ihnen gegenüber so merkwürdig? Unterhält er sich zunächst freundlich mit Fremden und Bekannten, wechselt sein Ton aus heiterem Himmel und Demba wird ausfallend und aggressiv, einmal tritt er sogar einen Hund, der ihm nichts getan hat. Gibt es einen Grund für Dembas Stimmungsschwankungen? Und was noch wichtiger ist: Wird es ihm gelingen, an das benötigte Geld zu kommen?

-Die Greislerin in der Wintergasse, Frau Johanna Püchl, trat an diesem Morgen gegen halb acht Uhr aus dem Laden auf die Straße. Es war kein schöner Tag. Die Luft war feucht und kühl, der Himmel bewölkt.-
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Stellen Sie sich vor, ein Hollywood-Produzent möchte den Kinohit des Jahres produzieren. Er hat ein großartiges Drehbuch, er engagiert die besten Schauspieler und damit der Clou der Geschichte nicht vorzeitig verraten wird, müssen alle am Film beteiligten eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben. Der Produzent tut alles, was ihm möglich ist, um den Zuschauern einen spannenden und überraschenden Film zu präsentieren. Und wenn dann der Film in Deutschland anläuft, engagiert der Filmverleih viele, viele Studenten, stellt sie vor die Kinos, stattet sie mit Megaphonen aus und läßt sie den gespannt an den Kinokassen wartenden Zuschauern zwar nicht das Ende der Geschichte, aber immerhin ein entscheidendes Detail lautstark verraten.
Sie meinen, das ist völlig irrsinnig und das macht doch keiner??? Sie haben vollkommen recht, Filmverleiher sind viel zu intelligent, um ihre Zuschauer auf diese Weise zu verärgern. Nur, warum ist dieses irrationale Verhalten gängige Praxis bei den Buchverlagen? Der Rezensent redet von dem Klappentext, bzw. von den Inhaltsangaben, die Verlage auf/in ihre Bücher drucken und in wenigen Zeilen so viel von der der Geschichte verraten, daß man sich die Lektüre sparen kann. Um so ägerlicher ist dies, wenn es einen so hervorragenden Schriftsteller wie Leo Perutz trifft.

Mehr als sieben Kapitel hindurch verschweigt Leo Perutz meisterhaft auf sehr originelle und kunstvolle Weise dem Leser, warum Stanislas Demba sich so merkwürdig verhält. Statt dessen schildert Perutz humorvoll die aberwitzigen und skurrilen Situationen, in die Demba gerät. Die Leute, die er trifft, stellen sehr phantasievolle Vermutungen über den Grund seines Benehmens an: Steht er unter Haschischeinfluß, ist er ein Krüppel oder ein schrulliger Gelehrter? Und der Leser spekuliert fröhlich mit. Es sei denn, er hat den Fehler gemacht und die Inhaltsangabe auf der Rückseite des Buches gelesen. Dort steht nämlich die Auflösung, die sozusagen die erste Hälfte der Pointe der Geschichte ist und wenn man die kennt, dann ist das Buch natürlich nur noch halb so vergnüglich und spannend. Also tun Sie sich selbst, Leo Perutz und dem Rezensenten den Gefallen und lesen Sie NICHT die Inhaltsangabe des Buches und da zu befürchten ist, daß Internet-Buchhandlungen die Angaben des Verlages treu und brav übernommen haben, vermeiden Sie es, dieses Buch im Internet zu bestellen. Die Gefahr ist zu groß, daß es Ihnen nicht gelingt, die Inhaltsangabe zu ignorieren. Gehen Sie zum Buchhändler Ihres Vertrauens, betrachten Sie nur den Buchrücken und die Vorderseite und schlagen Sie sofort die Seite fünf auf, dort beginnt das erste Kapitel.

Noch ein Wort an die Leser, die dem Rat des Rezensenten gefolgt sind und schon Nachts unter der steinernen Brücke gelesen haben. Die Sprache, die Perutz in diesem Buch verwendet, ist eine ganz andere. Zwischen neun und neun ist in der modernen, zeitgemäßen Sprache des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts geschrieben und weit entfernt von dem poetischen Stil des Novellenromans. Auch ist die Geschichte realistisch und hat nichts mit der von Mythen und Legenden durchwobenen Erzählung über Kaiser Rudolf und seine Liebe zu der schönen Jüdin gemeinsam. Warum stellt Bibliotheka Phantastika Zwischen neun und neun dann eigentlich vor, wenn es sich doch um einen realistischen Roman handelt? Das, liebe Leser, ist sozusagen die zweite Hälfte der Pointe der Geschichte und wird deshalb nicht verraten…

Zwölf Wasser - Zu den Anfängen von E. L. GreiffBabu, ein Hirte der Merzer, will zunächst nicht mehr vom Leben, als seine Kafur-Herde erfolgreich zu vergrößern. Als er einen Falkner und dessen Szasla genannten Riesenfalken kennenlernt, wird alles anders …
Felt ist Wachhauptmann in Goradt, der letzten Stadt der Welsen, die einst die ganze Welt mit Krieg überzogen haben. Das Volk lebt nun elend in Eis und Schnee, immer am Rande der endgültigen Auslöschung. Doch unter ihrer Stadt beherbergen sie die Undae, heilige Frauen, die sich plötzlich mit einer bedrohlichen Prophezeiung zu Wort melden: Es stimmt etwas nicht mit den Quellwassern der Welt.

-Der Fisch gab auf. Sein Leben lang hatte er das Wasser in sich hineingepumpt und an den Kiemen entlangströmen lassen, jetzt war es vorbei. Erst sank er, dann drehte er sich und trieb langsam trudelnd aufwärts.-
Prolog: Das große Sterben

Deutsche und deutschsprachige AutorInnen, speziell in meinem Leib- und Magengenre, der epischen Fantasy, reißen mich aus nicht ganz geklärten Gründen nur selten zu großen Begeisterungsstürmen hin. Bei der vielen Auswahl, die es in den letzten Jahren gab, habe ich natürlich auch ein paar gefunden, die ich gerne gelesen habe, aber in meine Top 10 hat es keine/r geschafft. In meine Top 25 auch nicht.
Ob E. L. Greiff eine/r dieser LieblingsautorInnen werden könnte, steht nach ihrem Debütroman Zwölf Wasser: Zu den Anfängen noch in den Sternen, aber sie kommt der Kluft, die zwischen den besten deutschen AutorInnen und den besten internationalen immer noch besteht, zumindest sehr nahe, und die Folgebände, für die mit Zu den Anfängen eine Menge Potential geschaffen wurde, werden zeigen, ob sie auch darüberspringen kann.

Zunächst einmal nimmt sich der Auftaktroman jede Menge Zeit, um Figuren und Themen einzuführen, und das auf eine für heutige Maßstäbe ungewohnt sanfte Art und Weise: Weder bekommt man alles bis hin zum letzten Gedankengang haarklein vorgekaut, noch schießt Zu den Anfängen zu Beginn gleich eine ganze Breitseite an Informationen auf Leserinnen und Leser ab: Man hat sowohl beim Plot, aber vor allem auch bei den Figuren Zeit, nach und nach interessante Aspekte zu entdecken. Und das macht sich bezahlt: Beim anfangs (auch durch die Namenswahl) etwas naiv wirkenden Hirten Babu und mehr noch beim unscheinbaren Felt, aber auch der Vielzahl an wichtigen Nebenfiguren erfasst man erst nach etlichen gelesenen Seiten das Heldenformat, das sie mitbringen.
Die wahren Dimensionen des Plots schleichen sich ebenfalls durch die Hintertür herein, und während man sich vom gemächlichen Anfangstempo noch einlullen lässt, findet man sich unversehens in fesselnden Konflikten wieder, die die Welt von Zwölf Wasser radikal zu verändern drohen.

Doch auch bis dahin gibt es viel Interessantes: geradezu nostalgisch mutet die strikte Aufteilung in zwei Handlungsstränge an, die nicht abwechselnd, sondern nacheinander erzählt werden. Der Gegensatz zwischen den beiden Settings und Figurenhintergründen könnte nicht größer sein, wenn man von Babus gerade sesshaft werdender, üppiger Gesellschaft der Steppenhirten, die mit einem guten Blick für Details aus der Sachkultur lebendig dargestellt wird, in die karge Winterwelt des darbenden Volks der Welsen wechselt.
Der Handlungsstrang der Welsen, der sich liest, als würde er Jahre nach dem Punkt einsetzen, an dem Fantasyromane gewöhnlich mit dem Sieg über das Böse ein Happy End finden, ist eines der interessantesten und stärksten Elemente von Zu den Anfängen, in dem unemotional, aber hoch anrührend über ein immer noch gefürchtetes, völlig geschlagenes und verachtetes Volk berichtet wird, das sich an ein elendes Leben klammert.

Das Konzept der Quellen und der Bedeutung des Wassers für das Leben aller stellt sich im Laufe der Handlung nicht nur als erstaunlich innovativ umgesetzt heraus, sondern ist auch sehr offen für Interpretationen und weist von wissenschaftlichen über mythische bis hin zu spirituellen Komponenten eine große thematische Bandbreite auf. Greiff versteht es dabei auch, eine überzeugende Bildsprache zu finden, die im Verlauf des Romans an Intensität zunimmt und zu im besten Wortsinn phantastischen Schauplätzen führt. Hand in Hand damit geht eine sichere, angenehme und experimentierfreudige Sprache, die sich auch in den weltschöpferischen Aspekten bei Orts- und Figurennamen bemerkbar macht und nie die Grenze überschreitet, an der Sprachspielereien nicht mehr im Dienste der Geschichte stehen.

Die Autorenvorstellung des Verlags drückt sich bisher übrigens mehr oder weniger elegant davor, E. L. Greiff ein Geschlecht zuzuordnen – auch auf dem Blog bleibt es unklar. Im Zeitalter des Internets wirkt die Vorgehensweise ein wenig antiquiert und erinnert an Zeiten, als es nicht opportun war, mit einem eindeutig weiblichen Namen epische Fantasy (oder SF) zu veröffentlichen. Denselben Hofknicks vor etablierten Mustern macht Zwölf Wasser im Auftaktband dann auch bei den Geschlechterrollen, denn ein kleiner Schwachpunkt des Romans sind die Frauenfiguren, die zwar nicht nur in Gestalt der Undae mitunter vorhanden sind, aber bei Weitem nicht so viel Wirkmacht haben wie die männlichen Helden, obwohl ihnen vordergründig durchaus starke Rollen auf den Leib geschrieben wurden. Mit den Undae, den Wassermagierinnen und –weisen, ist Greiff allerdings eine faszinierend fremdartige Variante der spirituellen Frauenfigur gelungen, in der für die Folgebände noch einiges an Potential steckt.
Und das lässt sich mit begründeter Hoffnung für den ganzen Roman sagen – die angelegten Grundlagen lassen große Zusammenhänge erahnen, nehmen ein paar Fantasy-Traditionen innovativ auf und machen mit detailfreudiger Weltschöpfung Lust darauf, mehr zu entdecken. Zu den Anfängen ist damit mehr als lediglich ein weiteres solides Fantasy-Abenteuer, denn es schlägt ganz eindeutig in vielerlei Hinsicht eigene Wege ein, statt eine Erfolgsformel abzuarbeiten, und überzeugt als charakterzentrierte Geschichte mit einem starken Plot, die den Figuren ihr Überraschungspotential und ihren Entwicklungsraum lässt und ganz unaufgeregt zu einem beeindruckenden Debut heranwächst.