: Dämonen, Teufel, Böses

Das Cover von Alaizabel Cray von Chris WoodingDer junge Thaniel Fox ist Hexenjäger, einer der gefährlichsten und anerkanntesten Berufe in ganz London, das seit einer Bombadierung durch Luftschiffe von sogenannten Hexlingen überannt wird – Kreaturen, die aus Mythen und Märchen zu stammen scheinen. Als Thaniel eines dieser gefährlichen Wesen zur Strecke bringen soll, findet er stattdessen ein junges Mädchen ohne Erinnerung, eine Verrückte vielleicht. Doch als Bruchstücke der Erinnerung von Alaizabel zurückkehren, wird klar, daß sie in eine große Bedrohung für ganz London verwickelt ist. Thaniel versucht dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, während sich Alaizabel in ständiger Gefahr befindet: Hexlinge werden von ihr angezogen wie Motten vom Licht.

-Bedrohlich tief kam das Luftschiff daher. Sein langer Bauch schimmerte, vom Licht der Gaslaternen unter ihm getroffen, silbern durch den Nebel.-
1 Verfolgungsjagd/Thaniel erlebt eine böse Überraschung/Erste Eindrücke

Luftschiffe, Hexenjäger und Serienmörder – Alaizabel Cray (The Haunting of Alaizabel Cray) verspricht einen abenteuerlichen Steampunk-Spaß, der sich aber gleich von der ersten Seite an als sprachlicher Rohrkrepierer erweist. Offenbar stand der Roman unter der Prämisse, sich mit hölzernem und effektheischendem Ausdruck an möglichst junge Leser anzubiedern, obwohl er thematisch am ehesten für ältere Jugendliche gedacht ist, die möglicherweise nicht mehr in jedem dritten Satz ein Ausrufezeichen brauchen, um sich gut und spannend unterhalten zu fühlen. Die Holzhammersprache bleibt leider auf der ganzen Länge des Romans erhalten, wirkt in actionreichen oder auch besonders leisen Szenen eher noch unpassender und verdirbt das ansonsten größtenteils doch sehr gelungene Ambiente.

Würden Sprache und Inhalt ein bißchen besser Hand in Hand gehen, so hätte Alaizabel Cray einiges zu bieten: ein nebliges London bei Gaslicht, in dessen Gassen neben Mördern und Wölfen auch mythische Wesen wie Gnome, Werwölfe und Dämonen ihr Unwesen treiben und in dem sich in den Nächten nur die Furchtlosen auf die Straßen wagen – oder diejenigen, die müssen, weil sie bei der industriellen Revolution auf der Verliererseite standen.
Diese düstere Atmosphäre hat Wooding im Prinzip sehr gut eingefangen und  gekonnt mit den phantastischen Elementen verknüpft – besonders gelungen sind ihm beispielsweise die zur Industrialisierungszeit passenden magischen Prozeduren wie die Arbeit mit diversen Reagenzien und magischen Zeichen, aber auch die Namensgebung der auftretenden Figuren zeugt eigentlich von einem guten Gefühl für das Setting.

Bei der Ausarbeitung der Charaktere hatte diese Sorgfalt allerdings auch schon wieder ein Ende – sie bestechen eher durch Coolness als durch Charme und haben eine starke Tendenz zu comicartigen, aufgeblasenen Superhelden, deren Beweggründe und Persönlichkeiten niemals übers Schablonenartige hinauskommen. Schade drum, denn die Geschichte an sich glänzt mit einer guten Balance zwischen Action und Ruhe und Wooding ist kein schlechter Erzähler. Er verbindet geschickt das kriminalistische Miträtseln an einer Verschwörungsgeschichte und einem Serienmord mit der langsamen Aufdeckung des Hauptplots – auch wenn es keine sensationellen Wendungen und Überraschungen gibt und die Bösewichte letzten Endes ziemlich ausgelutschte Nummern sind. Ein wenig Gruseln und Fingernägelkauen wären aber auf jeden Fall drin gewesen, nur schafft es der Autor nicht, den Leser ganz in die Welt zu ziehen oder mit seinen Charakteren mitfiebern zu lassen.
(rezensiert von: mistkaeferl)

Cover des Buches Am Abgrund von Wolfgang HohlbeinTranssilvanien im 15. Jahrhundert: Der junge Frederic hat als Einziger das grauenhafte Massaker der Inquisition in seinem Heimatdorf überlebt. Er schließt sich dem Schwertkämpfer Andrej an, der ihn auf die Jagd nach den Mördern mitnimmt. Eine gefährliche und abenteuerliche Reise beginnt und schon bald hegt Frederic einen furchtbaren Verdacht: Ist sein scheinbar unverletzbarer Beschützer mit dem Teufel im Bunde?

-Ein dünner Ast peitschte in sein Gesicht und hinterließ einen blutigen Kratzer auf seiner Wange. Die Wunde war nicht tief und würde so schnell heilen wie alle anderen Verletzungen, die er sich im Laufe seines Lebens zugefügt hatte.-
Kapitel 1

Wolfgang Hohlbein erschuf mit der Chronik der Untersterblichen einen gelungenen Mix aus Geschichtsstunde und Horrorelementen, wobei er aber nicht auf das typische Klischee à la Dracula zurückgreift. Er nimmt vielmehr Elemente der traditionellen Vampir-Erzählungen auf und fügt ihnen eigene hinzu, so dass eine völlig neue Sichtweise auf den “Vampyr” entsteht. Als Beispiel sei an dieser Stelle die Vampir-Werdung genannt: Im Gegensatz zum ursprünglichen Biss durch einen Vampir, wurde Andrej Delany durch einen Unfall und einer folgenden, fast tödlichen Krankheit als Kind zu einem (fast) Unsterblichen, dem Krankheiten und Verletzungen nicht so viel anhaben können wie normalen Menschen. Auch stellt sich Hohlbein dem Mythos entgegen, dass Vampire tagsüber schlafen und und nur nachts reisen.

In diesem ersten Buch der Reihe ist Delany auf dem Weg in sein Heimatdorf, dass er seit Jahren nicht gesehen hat. Wer nun eine ausführliche Lebensgeschichte von Andrej befürchtet, kann beruhigt weiterlesen. Nur sporadisch wird etwas über Andrejs Leben erzählt, wobei der Schatten seiner Vergangenheit stets auf ihm lastet. Hohlbein baut mit Andrej Delany einen Helden auf, der an zwei Seiten zu kämpfen hat: die äußeren Bedrohungen, die ihm auf seinen Reisen begegnen und die Bedrohung in seinem Inneren: der Vampyr, der im Laufe der Zeit immer mächtiger wird. Wie lange Andrej ihn noch zurückhalten kann, bleibt offen.

Frederic, die zweite wichtige Person im Auftaktroman, scheint besessen zu sein von dem Gedanken der Rache, obwohl er gerade mal ein Kind ist. Es scheint  aus heutiger Sicht etwas befremdlich, dass ein Kind solche Ziele, die Rache an den Mördern seiner Eltern, hat, jedoch muss man auch den Hintergrund berücksichtigen: Im 15. Jahrhundert war der Sprung zum Erwachsenen viel schneller erreicht als heutzutage. Doch auch das tröstet nicht darüber hinweg, dass Frederics Charakter kaum über diesen Wunsch hinaus geht: er bleibt im Gegensatz zu Andrej eine etwas hohle Figur. Während Delany durch alle Bücher hindurch ganz verschiedene Entwicklungen durchmacht, ist Frederics Position relativ festgelegt, obwohl es auch überraschende Wendungen gibt.

Hohlbeins Stil fesselt schon nach den ersten Seiten und man möchte das Buch nicht so schnell aus der Hand legen. Einziges Manko: wegen der spannenden Geschichte ist man viel schneller mit dem Buch fertig als beabsichtigt. Auch die nachfolgenden Bücher bleiben recht dünn, obwohl es Hohlbein gelingt, stets eine gute Geschichte zu erzählen.
Alles in allem eine gute Alternative zu den Dracula-Büchern.

Am Ende der Straße von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– Die Dunkelheit ist lebendig, genau wie wir. –

Zu Am Ende der Straße liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von The Amulet of Samarkand von Jonathan StroudÜber das moderne British Empire herrscht eine machtgierige und paranoide Clique von Zauberern. Mr. Underwood, der einen geringen Posten in der Regierung inne hat, soll den hochbegabten Nathaniel unterrichten, unterschätzt diesen jedoch völlig. So beschließt der Junge voller Ehrgeiz und Ungeduld den uralten Djinn Bartimaeus zu beschwören, damit dieser vom arroganten Simon Lovelace das mächtige Amulett von Samarkand stielt. Unversehens geraten die beiden in eine großangelegte Verschwörung um Macht, bei der die Akteure nicht zimperlich sind und ohne zu zögern über die Leichen Unschuldiger steigen…

-The temperature of the room dropped fast.-
1

In The Amulet of Samarkand (Das Amulett von Samarkand) Geschehen findet das Geschehen weitgehend im modernen London mit Limousinen und Telefonen statt, erst gegen Ende verlagert es sich von der Stadt aufs Land. Ein besonderes Gefühl der Urbanität kommt jedoch nicht auf, das Setting ist eher Kulisse für die Handlung. Für die Briten gestaltet sich die Ordnung der intelligenten Wesen so: Ganz oben stehen natürlich die Zauberer, dann kommen die Gewöhnlichen und zum Schluß die Dämonen (Marids, Afrits, Djinn, Foliots und Imps) – aber die meisten “Dämonen” sind nicht gerne Sklaven und auch die Gewöhnlichen wollen nicht alle von Zauberern regiert werden. Um eine Dynastienbildung zu verhindern, dürfen Zauberer keine leiblichen Kinder haben. Gewöhnlichen Eltern wird ein Kind von etwa sechs Jahren abgekauft, einem Zauberer zur Ausbildung überlassen und der Geburtsname wird gelöscht, damit er niemanden in die Hände fällt – denn Wissen über den wahren Namen eines Dinges bedeutet, darüber bestimmen zu können. Von Außenstehenden wird das Kind mit dem Namen seines Meisters angesprochen, vom Meister nur als Junge oder Mädchen bis zum zwölften Lebensjahr, in dem sich der Lehrling einen Namen aussuchen darf.
Mit Zauberei läßt sich so manches vollbringen – mit einer kurzen Spruchformel und einer schnellen Geste lassen sich Schadenszauber, Schutzzauber oder Haltezauber wirken. Der wichtigste Zauber aber ist das Binden von “Dämonen”. Aufwendig muß der Zauberer den wahren Namen recherchieren, in einem anstrengenden Ritual mit seltenen Ingredienzien an sich binden und dann hat er einen Sklaven, der ihm gehorchen muß. Die “Dämonen” nun sind – je nach Grad – mächtige Wesen, ein Djinn wie Bartimaeus kann seine Gestalt fast beliebig verändern, alle sieben Ebenen einsehen – und damit leichter die wahre Natur eines Dinges erkennen – und einiges an Zaubern wirken. Doch Vorsicht ist geboten, denn nur die wenigsten “Dämonen” lieben ihren Herren, die meisten lieben es jedoch diesem Schaden zuzufügen, daher sollte ein Zauberer sich den Wortlaut seiner Befehle genau überlegen. Die arabischen/europäischen Vorbilder der magischen Elemente sind deutlich zu erkennen, was bei der Konfrontation von Magie und Moderne aber auch nicht sonderlich stört. Ärgerlich dagegen ist die Unklarheit darüber, wie mächtig etwas wirklich ist, welche Möglichkeiten die Zauberei bietet und noch schlimmer: “Dämonen” sollen gerne ihren Meistern Schaden zufügen, sagt Bartimaeus, eine unverdächtige Quelle in diesen Zusammenhang. Geboten werden dem Leser aber nur Gegenbeispiele.
Figuren treten zwar etliche auf, doch größere Rollen spielen nur wenige. Nathaniel ist der eigentliche Protagonist der Geschichte, er ist jung, ehrgeizig, höchst talentiert – und ungeduldig. Kunstvoll werden diese Eigenschaften aus einzelnen, aber wichtigen Episoden abgeleitet. Aber im Gegensatz zu seinen Zaubererkollegen hat er noch Reste eines Gewissens. Bartimaeus übernimmt die Rolle des Sidekicks, allerdings ist er nicht nur für den Humor zuständig, sondern auch ein sehr fähiger Djinn. Er ist sehr gewitzt, neigt allerdings auch zu Übertreibungen, besonders dann, wenn es um die Mängel der Konkurrenten oder die eigenen Qualitäten geht. Einen besonders ausgeprägten Charakter hat er nicht, was daran liegt, daß er hauptsächlich Nathaniels Befehlen gehorchen muß. Er ist ironisch, geistreich und nicht besonders gewaltfreudig, aber durchaus dazu fähig. Die anderen Zauberer sind alle hartherzig und machtgierig. Manche sind unfähig, wie Underwood, andere sind talentiert, wie Lovelace, aber alle sind Mächtigeren gegenüber Speichellecker und Schwächeren gegenüber arrogant. Allesamt Radfahrer, ein paar mehr Unterschiede wären schön gewesen. Gelungener ist die Darstellung der “Dämonen”, diese sind viel farbenfroher und interessanter. Auch wenn die Herleitung des Charakters Nathaniels gut gelungen ist und keiner der anderen ein bloßer Gutmensch oder ein arger Bösewicht ist, sind die Charaktere der Menschen zu einseitig tendenziös und die Befähigungen der Zauberer scheinen mir unplausibel verteilt zu sein – Nathaniel ist äußerst talentiert und ihm gelingt, was nicht einmal vielen der Regierungszauberer zusammen gelingt.
Der Plot selbst ist nicht besonders originell, es geht um eine Verschwörung, in die der rachsüchtige Nathaniel und sein Sklave Bartimaeus hineingeraten. Dennoch ist die Geschichte spannend erzählt, dafür sorgen die vielen actionreichen Sequenzen und überraschenden Wendungen. Weiterhin wird sachte der sich anbahnende Konflikt mit der Resistance, einer Gruppe von Kindern der Gewöhnlichen, die allerdings ungewöhnliche Fähigkeiten haben und gegen das Establishment agieren, angedeutet. Da schon im ersten Kapitel ernsthaft in den Plot eingestiegen wird und die Handlung vielfach rasant voranschreitet, ist die Spannung das ganze Buch über hoch – sie unterliegt nur geringen Schwankungen, wenn es mal ein erläuterndes Kapitel gibt. Aus Bartimaeus lakonischen und ironischen Bemerkungen zieht das Buch außerdem einiges an humorvollen Momenten.
Ungewöhnlich wird aber mit den Erzählperspektiven umgegangen: Bartimaeus berichtet als Ich-Erzähler mit Fußnoten, die die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens symbolisieren (und zu komischen oder erläuternden Bemerkungen genutzt werden), während Nathaniels Kapitel von einer personalen Perspektive aus erzählt werden. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Cover des Buches Das Amulett von Samarkand von Jonathan StroudIn England herrschen Zauberer. Zwar gibt es auch “Gewöhnliche”, das sind Menschen, die nicht zaubern können, aber im öffentlichen Leben spielen sie keine große Rolle. Zauberer dürfen aber keine Kinder bekommen, stattdessen ist jede Familie dazu verpflichtet ein Kind von “Gewöhnlichen” auszubilden. So kommt Nathanael zu den Underwoods, bei denen er eine solide Ausbildung erhält, auch in Zauberei. Nathanael macht schnell große Fortschritte. Als ihn der einflußreiche Simon Lovelace bei einer Prüfung demütigt, schwört Nathanael Rache. Mit zwölf Jahren hat Nathanael soviel gelernt, daß er den mächtigen Dämon Bartimäus beschwören kann und ihn beauftragt das Amulett von Samarkand aus Simon Lovelaces Haus zu stehlen. Er ahnt nicht, welche Katastrophe er damit auslöst.

-Die Temperatur im Zimmer sank rasch. Eis bildete sich auf den Vorhängen und überzog die Deckenlampen mit einer dicken Kruste. Die Glühfäden sämtlicher Birnen schnurrten zusammen und verglommen, und die Kerzen, die wie eine Kolonie Giftpilze aus jeder feien Fläche sprossen, erloschen .-
Teil 1

Jonathan Stroud scheint eine Vorliebe für den bekanntesten deutschen Dichter zu hegen. Nathanael wirkt wie eine Mischung aus einem jungen Möchtegern-Faust und dem Zauberlehrling aus Goethes gleichnamiger Ballade. Er kann weitaus besser zaubern als Underwood es ihm zutraut, aber er ist noch nicht reif genug, um zu übersehen, welche Folgen sein Verhalten nach sich zieht und prompt löst er eine Katastrophe aus. Nathanael ist zweifellos eine sympathische Figur, jedoch ist er nicht so originell, daß er aus der Vielzahl, der in Kinderbüchern neuerdings zaubernden Jünglingen, herausragen würde. Nun hat der aufmerksame Leser vielleicht schon bemerkt, daß Nathanaels Name nicht im Titel des Buches auftaucht -und das hat seinen guten Grund, denn der eigentliche Star dieses Romans ist der Dämon Bartimäus, ein Dschinn und zeitweise Ich-Erzähler. Auf höchst witzige Weise erzählt Bartimäus seine Version der Geschichte. Er besitzt einen lakonischen Humor und eine erstaunliche Urteilskraft, er ist listig und kann sich in alles Mögliche verwandeln und wenn es nötig ist, scheut er auch nicht vor dem Einsatz roher Gewalt zurück. Zur Zeit ist er leider ein wenig miesepetrig. Es paßt ihm überhaupt nicht, daß ein Zwölfjähriger ihn beschworen hat und er jetzt tun muß, was Nathanael ihm befiehlt, deshalb wartet er nur auf eine Möglichkeit, den Bann zu brechen. Doch als die Lage immer verfahrener wird, bilden die beiden eine äußerst erfolgreiche Zweckgemeinschaft.
Bartimäus ist wahrscheinlich der originellste Dämon, der in Romanen gerade sein
(Un-)Wesen treibt, allerdings hat er einen Fehler: Seine Vorliebe für ausführliche Fußnoten. Die eine Hälfte der Fußnoten hätte gut in den Text integriert werden können und die andere Hälfte hätte in einem Glossar am Schluß des Buches untergebracht werden können. So stören sie allzu oft den Lesefluß und nur die Angst, etwas von Bartimäus’ britischem Humor zu verpassen, sorgt dafür, daß man nicht den Rat befolgt, den der Dämon in einer dieser Fußnoten dem Leser erteilt: Wieso verplemperst Du eigentlich deine Zeit damit, das hier zu lesen? Lies lieber oben weiter und sieh selbst!

Cover des Buches "Anubis" von Wolfgang HohlbeinMogens VanAndt ist Professor für Archäologie an einer kleinen Universität an der Ostküste der USA. Ihm stand einmal eine glänzende Karriere bevor. Doch es gibt einen dunklen Fleck in seiner Vergangenheit. Da erhält er eine neue Chance – ausgerechnet von dem Mann, den er für sein Unglück verantwortlich macht.
Es geht um die größte archäologische Entdeckung auf amerikanischem Boden, einen unterirdischen Tempel in Kalifornien. Einen Tempel, wie es ihn dort gar nicht geben dürfte. Und das Tor, welches die stummen Tempelhüter bewachen, öffnet einen Weg in das Reich der Toten …

-»Willst du behaupten, dass du plötzlich an Gott glaubst?«, fragte er.
»Ich habe gesagt, dass alle diese Welten dort draußen von einem Gott erschaffen worden sind«, bestätigte Graves. »Aber habe ich gesagt«, fügte er hinzu, und plötzlich klang seine Stimme ein kleines bisschen besorgt, »von welchem?«-

Wieder einmal versucht Wolfgang Hohlbein uns mit einem seitenstarken Werk in die dunklen Abgründe der Welt zu führen, Fakten gemischt mit Fiktion auf unheimliche Art zu verbinden und dem Leser eine neue Sichtweise auf unsere Welt zu geben. Und leider bleibt es bei dem Versuch.

Was Hohlbein dann wirklich abliefert, ist eine mehr als dürftige Gruselgeschichte, in der es zwar von Monstern wimmelt, die Spannung aber auf der Strecke bleibt. Dabei ist die Grundidee vielversprechend: ein ägyptischer Tempel in den USA! Etwas, das es nicht geben und das die Sichtweise auf unsere Welt grundlegend verändern dürfte.
Doch dann werden bereits nach knapp 200 Seiten die ersten schakalköpfigen Monster eingebaut, es gibt die ersten Toten. Danach stürzt der Roman in ein wildes Durcheinander von möglichst extremen Entdeckungen und bizarren Kreaturen, dem ich nur mit Mühe folgen konnte. Anscheinend ging es dem Autor ähnlich: Er liefert kaum eine Erklärung, was Mogens und der Rest denn überhaupt gefunden haben. Gelegentlich wird vage eine Andeutung gemacht, aber grundsätzlich nehmen die Charaktere das Gegebene einfach hin und versuchen nicht mal im Ansatz eine Erklärung für das Gefundene zu geben. Bis zum Schluss stellen sich keine Antworten ein, so dass der Leser es sich selbst zusammenreimen darf, was da gerade geschehen ist.

Auch sprachlich muss der Leser einiges hinnehmen. Abgesehen von teilweise wahnwitzig langen Sätzen wiederholt Hohlbein ständig dieselben Ausdrücke, was auf Dauer wirklich stört. Wenn Mogens in fast jedem Kapitel etwas falsch erscheint, es etwas gar nicht geben dürfte oder sein langjähriger Feind Jonathan Graves unmenschlich erscheint oder sich widernatürlich bewegt, dann fragt man sich, ob Hohlbein nicht mehr eingefallen ist oder Mogens einfach an Wahrnehmungsstörungen leidet. Zumal der Autor dann auch keine Erklärung geben kann, was eigentlich genau so falsch sein soll und der Leser damit ganz allein gelassen wird.
Auffällig sind auch die ganzen “Zufälle”, die der Autor braucht, um seine Hauptperson bei der Ausgrabungsstelle zu halten: Immer, wenn Mogens bereit ist, endlich mal seinen Instinkten zu trauen und zu gehen, taucht entweder der Dorfpolizist mit Fragen auf, nimmt ein Unwetter seinen Kurs auf die Ausgrabung oder jemand kommt zu Tode. Das alles wirkt arg konstruiert, so dass einfach keine Spannung aufkommt.
Schade eigentlich, denn hier wird eine gute Idee grundlos verheizt.

Cover von Das Auge des Golem von Jonathan StroudNathanael ist mittlerweile vierzehn Jahre alt, seine neue Lehrmeisterin ist Sicherheitsministerin in Devereauxs Kabinett. Er selbst hat sich bald so viel Wissen angeeignet, daß er seine erste Anstellung als Assistent des Leiters der Abteilung für Innere Angelegenheiten antreten kann. Er soll die Widerstandsbewegung zerschlagen, die die Herrschaft der Zauberer bekämpft. Nach einem Attentat auf den Premierminister ist nun ein besonders brutaler und verheerender Anschlag verübt worden. Sämtliche Mitglieder des Kabinetts verdächtigen die Gewöhnlichen, doch Nathanael hat einen anderen Verdacht. Allein kann er seine Vermutung nicht beweisen und da er unter den Zauberern keinen Verbündeten findet, bleibt ihm keine andere Wahl: er muß Bartimäus beschwören.

– »Klar habe ich damit gerechnet, dass mich eines Tages wieder irgendein Schwachkof mit spitzem Hut beschwört, aber doch nicht derselbe wie beim letzten Mal!” Er zog einen Flunsch. “Ich trage keinen spitzen Hut!« –
Bartimäus (10)

Er ist selbstverliebt, eitel, arrogant, ironisch, sarkastisch, süffisant, makaber, beleidigend – und stinksauer, daß ihn derselbe Schwachkopf wie beim letztenmal beschworen hat. Kurz und gut: Bartimäus ist zurück und er ist liebenswert wie eh und je. So grummelig, muffelig und bösartig kann sich der Dschinn gar nicht geben, als daß man nicht früher oder später merken würde, daß die rauhe Fassade nur dazu dient, Bartimäus’ goldenes Herz zu verbergen, das er ohne Zweifel auf dem rechten Fleck hat. Wenn er sich zu der einen oder anderen kleinen Grausamkeit hinreißen läßt, dann nur, weil er Nathanael unbedingten Gehorsam zu leisten hat. Und Nathanael ist erstaunlicherweise derjenige, der in diesem Roman einige Sympathiepunkte einbüßt. Auch Nathanael ist arrogant und eitel, aber ohne Bartimäus’ rauem Charme und Witz. Sein Ehrgeiz ist maßlos, er bricht seine Versprechen und scheint sich langsam zu einem Zauberer wie all die anderen zu entwickeln. Das ist wahrlich kein Kompliment, denn die meisten Zauberer haben einen eher unangenehmen Charakter und außerdem wirkt das von Zauberern beherrschte Großbritannien mehr und mehr wie eine Diktatur. Man muß Nathanael allerdings zugute halten, daß er es schwer hat, weil er der Jüngste im Ministerium ist und immerhin meldet sich noch sein Gewissen. Man darf also hoffen, daß er sich richtig entscheiden wird, wenn er eines Tages zwischen Gut und Böse wählen muß.
Überraschenderweise tritt in diesem Roman eine andere Person auf, die dem Leser von Seite zu Seite sympathischer wird. Das ist ausgerechnet Kitty, die zu den jugendlichen Widerstandskämpfern gehört. Sie ist mutig, besitzt ein ungetrübtes Urteilsvermögen und läßt ihre Freunde nicht im Stich.

Bartimäus – Das Auge des Golem (The Golem’s Eye) lebt von seinen originellen und individuell gezeichneten Protagonisten, die ihre Ecken und Kanten haben und keine 08/15-Fantasy-Stereotypen sind. Aber natürlich kommt auch die Spannung nicht zu kurz. Ein seelenloses Ungeheuer macht London unsicher, das sich zielsicher und unbeirrbar seinen Weg bahnt, dabei eine Spur der Verwüstung hinter sich herzieht und jeden tötet, der sich ihm in den Weg stellt. Nathanael muß bis nach Prag reisen, mit seinen engen Gassen und alten Friedhöfen, um Hinweise zu finden, wie man ihm das Handwerk legen kann. Dann fängt auch noch ein übergeschnapptes Gerippe an, sein Unwesen in London zu treiben – und das ist keineswegs so lustig, wie es sich anhört. Es sieht sogar aus, als ob Bartimäus Nathanael nicht die vereinbarten sechs Wochen dienen muß, denn wenn der Zauberer, der ihn beschworen hat, stirbt, ist der Dschinn frei…

Avempartha von Michael J. SullivanDie naive Bauerntochter Thrace bittet Hadrian und Royce um Beistand: Ihr Dorf wird von einem Ungeheuer heimgesucht, dessen nächtliche Angriffe schon zahlreiche Menschenleben gefordert haben. Die einzige Waffe, mit der es besiegt werden kann, soll in der verlassenen Elfenfestung Avempartha verborgen sein – doch dorthin ist seit Jahrhunderten niemand mehr vorgedrungen. Schnell stellt sich heraus, dass hinter dem Hilferuf in Wahrheit der Zauberer Esrahaddon steckt, der eigene Gründe hat, nach Avempartha gelangen zu wollen. Aber auch die Kirchenoberen haben Interesse an den Vorgängen und gedenken, sie im Sinne ihrer Machtambitionen auszuschlachten …

– They stood very near the ridge of the cataract and could see the white mist rising from the abrupt drop like a fog. Out in the middle of the river, at the edge of the falls, a massive shelf of bedrock jutted out like the prow of a mighty ship that ran aground just before toppling over the precipice. On this fearsome pedestal rose the citadel of Avempartha. –
(Chapter 5 – The Citadel)

Michael J. Sullivans Konzept, seine epische Geschichte in mehreren in sich abgeschlossenen Episoden zu erzählen, geht auf: Avempartha hat zwar seine Schwächen, aber es sind nicht die eines klassischen Übergangsbands. Das Abenteuer um den Kampf gegen den drachenähnlichen Gilarabrywn funktioniert durchaus auch als Einzelbuch, obwohl natürlich einige Handlungsstränge aus The Crown Conspiracy ihre Fortsetzung finden. Manch ein Rückbezug bringt einen dabei zum Schmunzeln (so entdecken die Helden etwa ein Theaterplakat, das ein Stück über ihre im Eingangsband der Reihe geschilderten dramatischen Erlebnisse anpreist).

Ein Übermaß an Originalität darf man auf der Plotebene nicht erwarten. Es kommen wieder zahlreiche altbekannte literarische Motive zum Einsatz, allen voran der Herrschaftserwerb im Drachenkampf, wobei dieses Element recht gelungen mit der ebenfalls gängigen Vorstellung verknüpft ist, dass die Überwindung eines Ungeheuers Heiligkeit und Gottesnähe beweist. Auch die klassische Entführung (mehr als) einer damsel in distress durch den Drachen darf natürlich nicht fehlen, nimmt aber immerhin eine ganz erfrischende Wendung. Für den Leser amüsant ist die innerhalb der Geschichte eher beklemmende Tatsache, dass die schurkischen Kirchenleute mit solchen Erzählkonventionen bestens vertraut sind und sie zu ihren Gunsten auszunutzen verstehen.

Die Antagonisten sind jedoch nicht die einzigen, die in Avempartha an Profil gewinnen. Sullivan entwickelt seine Charaktere nach wie vor mit viel Verständnis und gelegentlich auch mit unterschwelligem Humor. Besonders der ambivalent gezeichnete Zauberer Esrahaddon ist mit seinem fortdauernden Kampf gegen die Tücken der modernen Sprache und seiner Selbstironie für einige Lacher gut. Manch eine Entwicklung kommt nicht weiter überraschend (so ahnt man z.B. schon seit dem ersten Band, worin Royces hier enthülltes großes Geheimnis besteht), aber die lockeren Frotzeleien des Heldenduos und die unbedarfte Entschlossenheit, mit der die rebellische Prinzessin Arista wieder einmal durch jedes Klischee stiefelt, sind so unterhaltsam, dass man ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit gern in Kauf nimmt.

Auch der Weltenbau ist vertrauten Mustern verhaftet: Sullivan schildert weiterhin ein typisches Pseudomittelalter. Vor allem die seit Jahrhunderten versiegelte Elfenfestung Avempartha bietet genau das, was man von einem solchen Gebäude erwartet, von wundersamen Artefakten über magische Kraftorte bis hin zu düsteren Spuren älterer und neuerer Tragödien. Was allzu gewohnt und daher langweilig sein könnte, funktioniert erstaunlich gut, denn wie im Falle der Figuren gelingt es dem Autor, einen emotional anzusprechen und eine Art nostalgisches Lesegefühl zu erzeugen, das eher von erfüllten Erwartungen als von ihrer heute schon allgegenwärtigen ironischen Brechung getragen wird.

Störend sind allerdings die zahlreichen Tippfehler, die sich eingeschlichen haben; gerade bei einem für Fantasyverhältnisse recht kurzen Roman in überwiegend schnörkelloser Sprache sollte man eigentlich annehmen dürfen, dass das Korrekturlesen nicht zu viel Mühe bereitet und dementsprechend gründlich erfolgt.

Banewreaker von Jaqueline CareySeit Jahrhunderten haust der dunkle Herrscher Satoris in seiner Festung Darkhaven und brütet Armeen von Fjelltrollen und Weren aus, um die freien Völker zu versklaven. Aber eine Prophezeiung des Ersten Schöpfers Haomane besagt, daß Satoris vernichtet werden kann. Eine Verbindung zwischen Ellyl und Menschen ist der erste Punkt der Prophezeiung, und so planen Cerelinde, die schöne unsterbliche Herrin der Ellylon, und Aracus, der vertriebene König des Westens, zu heiraten, um die Erfüllung in die Wege zu leiten. Satoris, der sich seinem rachsüchtigen Bruder ewig widersetzt, versucht die Hochzeit zu verhindern und schickt seine drei Marschälle Tanaros, Vorax und Ushahin hinaus in die Welt. Er ficht einen verzweifelten Verteidigungskampf.

-The place was called Gorgantum.
Wounded once more, he fled there, and having fled, seethed. It was not a defeat, not wholly.-
Prologue

Wo andere Autoren sich damit begnügen, Tolkien-Epigonen zu sein, nimmt Jacqueline Carey im zweibändigen Epos The Sundering den Herrn der Ringe und Das Silmarillion auf, um mit den Themen und Aussagen Tolkiens zu arbeiten, mit seinen Figuren, seiner Weltschöpfung und seiner Interpretation von Gut und Böse. Wer Tolkien begeistert gelesen hat und sich schon lange eine Geschichte mit ähnlicher epischer Breite und mythologischem Hintergrund wünscht, wird bei The Sundering fündig werden. Vieles ist direkt entliehen, etwa die (ähnlichen) Namen und Aufgabenbereiche der der sieben Schöpfer, die ganz verdächtig Tolkiens Valar ähneln, genauso wie Carey ihre Ellylon auch gut und gerne als Elben hätte bezeichnen können. Auch sprachlich macht Carey bei ihrer Hommage eine gute Figur und beherrscht den epischen Stil, ohne ins Überkandidelte abzugleiten. Einen zweiten Herrn der Ringe hat sie allerdings trotzdem nicht erzählt.
Denn – und jetzt wird’s interessant – auch LeserInnen, die mit Tolkiens extremer Schwarz-Weiß-Malerei schon immer auf Kriegsfuß standen, die sich längst gefragt haben, ob Morgoth oder Sauron nicht doch nur Rebellen waren, und nicht die Verkörperung des absolut Bösen, bekommen hier eine interessante Variante der Geschichte aufgetischt. In erster Linie schaut man nämlich in Banewreaker (Der Herr der Dunkelheit) den überall anerkannten Bösewichten über die Schulter. Die alte Leier von Gut und Böse wird verdreht und undurchsichtig, wenn man sich plötzlich auf der Seite des großen Übels der Welt wiederfindet.

Haomane, der erstgeborene Schöpfer, der für Vernunft und rationales Denken steht, läßt seine Anhänger, die “guten” freien Völker, im besten Glauben gegen den ausgewiesenen Obermotz Satoris – einst ebenfalls einer der sieben Schöpfer, doch längst aufgrund seiner Widerspenstigkeit in Ungnade gefallen – in den Krieg ziehen, und das schon seit Jahrhunderten. Satoris, der für Leidenschaft und die fleischliche Zeugung von Leben steht, wird als mächtige, düstere Kreatur gezeichnet, die ein immerwährender Schmerz plagt und für die Rebellion gegen seinen Bruder bitter büßen muß. Verzweifelt kämpft er dagegen an, das zu werden, was die Welt in ihm sieht. Der Ansatzpunkt ist somit ein ganz anderer als bei Tolkien (und dem Großteil seiner Nachfolger).

Man verfolgt durchaus auch die Machenschaften der “guten” Seite, die sich voll im Recht fühlt, das Land vom Zerstörer zu befreien. Carey schafft dabei auf beiden Seiten faszinierende und sehr menschliche Charaktere (auch wenn eine ganze Reihe davon quasi-unsterblich ist, als würde man bei Tolkien nicht die Hobbits, sondern die Herren und Zauberer als Identifikationsfiguren anbieten), die Düsterlinge liegen ihr aber eindeutig mehr. Was durch diesen verwirrenden Standpunkt allerdings komplett wegfällt, ist das Böse. Widerlinge gibt es hier nicht, und alle Charaktere, egal welcher Fraktion, haben eine edle Seite, sie sind höchstens einmal starrköpfig und uneinsichtig oder verletzt an Körper und Geist – aber abgesehen von diesem immerwährenden Konflikt scheint die Welt Uru-alat von Schlechtigkeit relativ frei zu sein. Der dichte Reigen von Ereignissen mythischer Dimension verhindert allerdings, daß man vom Alltag der Welt (und ihrer etwaigen alltäglichen Schlechtligkeit) bis auf wenige Ausnahmen viel mitbekommt.

Ein wenig leidet die Intensität des Romans unter der Fülle von Figuren – man hätte sich gewünscht, ein wenig länger bei den Einzelnen verweilen zu können, statt gleich wieder zum nächsten aus der Riege überzugehen.
Dennoch ist Banewreaker ein großes Lesevergüngen für Fans von klassischer Fantasy. Wo es nötig ist, beherrscht Carey die epische Breite und hochtrabende Sprache und fängt so die Atmosphäre der mythischen Umwälzung der Welt sehr gut ein. Dabei bietet sie mehr Stoff zum Nachdenken – auch über die Konventionen der tolkienesken Fantasy – als ein weiterer Tolkien-Abklatsch, denn es wird deutlich, dass sie sich  ausführlich mit den Themen auseinandergesetzt und sie zu etwas Neuem verarbeitet hat. Die Vielzahl der verdrehten Anspielungen auf Tolkien zu entdecken, ist dabei noch das kleintse Vergnügen, das die Lektüre bereiten kann.

Cover von Das Bernstein-Teleskop von Philip PullmanMrs Coulter hält Lyra in einer Höhle im Himalaya gefangen. Sie versetzt das Mädchen mittels Drogen in einen permanenten Tiefschlaf. Lyra träumt von Roger, der sich im Land der Toten aufhält und sie um Hilfe anfleht.
Zur gleichen Zeit begibt sich Will auf die Suche nach seiner Freundin. Doch noch ein anderer ist unterwegs: Pater Gomez, der vom Geistlichen Disziplinargericht ausgeschickt wurde, um Lyra zu ermorden.

-In einem von Rhododendren überschatteten Tal nahe der Schneegrenze, durch das schäumend ein Bach mit grünem Schmelzwasser floß und unter dessen gewaltigen Pinien sich Tauben und Bergfinken tummelten, lag unter einer Felsnase, halb versteckt hinter den schweren, harten Blättern der Büsche, eine Höhle.-
Die verzauberte Schläferin

Wie die ersten beiden Bände so besticht auch Das Bernstein-Teleskop (The Amber Spyglass) durch seine Komplexität. Das Buch ist gespickt mit literarischen Anspielungen, aber diesmal ist es für den Leser nicht sonderlich schwierig herauszufinden, worauf Phillip Pullman sich bezieht, denn er gibt in seiner Danksagung zu, daß er Ideen aus jedem Buch gestohlen hat, das er gelesen hat und daß er sich besonders durch Kleists Über das Marionettentheater, durch Blakes Werke und durch Miltons Paradise Lost hat inspirieren lassen. Außerdem bezieht er sich auf die Bibel und auf die griechische Sagenwelt. Soviel für die Literaturinteressierten, die selbst nachlesen möchten, woher Pullman seine Ideen schöpft.
Man muß die Quellen aber nicht kennen, um die Geschichte zu genießen, wobei “genießen” eindeutig das falsche Wort ist. Der Schluß der Trilogie ist traurig. Es gibt zwar Hoffnung, doch kein Happy End. Großen Raum nimmt das Thema “Tod” ein, die Passagen die davon handeln sind oft düster und beklemmend. Das Bernstein-Teleskop ist völlig ungeeignet, wenn man an trüben Herbsttagen eine Lektüre sucht, um seine Stimmung aufzuheitern. Außerdem kann es religiöse Gefühle verletzen. Verschenken Sie die Trilogie also nicht ungefragt an jemanden, der einen strenggläubigen christlichen Hintergrund hat. Auch Anhänger anderer monotheistischer Religionen könnten sich verletzt fühlen. Diese Punkte tun der hervorragenden Qualität des Buches jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie tragen zu der Klasse der Geschichte bei. Der interessanteste Charakter ist Mrs Coulter. Bis zum Schluß fragt sich der Leser, ob sie Lyra der Kirche ausliefern wird oder ob sich in ihrer schwarzen Seele nicht doch so etwas wie Mutterliebe für ihr Kind regt. Besonders gelungen ist Pullman die Beschreibung der Welt der Mulefas, einer ungewöhnlichen Tierart. Hingegen stört es etwas, daß der Autor es sich nicht verkneifen konnte, seine Botschaft ziemlich plakativ an den Leser zu bringen. Wahrscheinlich war er sich nicht sicher, ob Kinder und Jugendliche die Moral von der Geschichte verstehen, wenn er sie nicht explizit ausspricht.
Das halbe Sternchen Abzug gibt es für die unnötige Darstellung von Grausamkeiten: Klippenalpe reißen einem Fuchs den Kopf ab, Mrs Coulters Dämon, der goldene Affe, zerreißt eine Fledermaus bei lebendigem Leibe und König Iorek frißt die Leiche eines seiner Freunde. All diese Episoden sind nicht motiviert, sie sind weder für den Fortgang der Handlung nötig, noch werden sie gebraucht, um die Protagonisten zu charakterisieren. Es gibt noch genug Gewaltszenen, die durch die Geschichte bedingt sind, so daß Pullman auf diese billige Effekthascherei gut hätte verzichten können.
Noch ein Hinweis: Wie mehrmals erwähnt, ist Das Bernstein-Teleskop der dritte Band einer Trilogie. Man kann die Geschichte nicht verstehen, wenn man die ersten beiden Bände nicht gelesen hat. Wenn Sie sich für diese Reihe interessieren, fangen Sie also bitte mit Der goldene Kompaß (Nothern Lights/The Golden Compass) an. Auch sollte man die Bücher ihrer Komplexität wegen relativ schnell hintereinander lesen. Läßt man sich dazwischen zu viel Zeit, kann es passieren, daß man den Faden verliert

Bitter Seeds von Ian TregillisIm Jahr 1939 wird der britische Agent Raybould Marsh Zeuge eines mysteriösen Vorgangs: Er verliert einen Informanten in einem Flammeninferno und sieht kurz darauf eine Frau, an deren Kopf Drähte angeschlossen sind. Bald wird klar: Die Deutschen verfügen über eine neue Waffe – Menschen mit übernatürlichen Kräften. Dieser Bedrohung müssen die Briten etwas entgegensetzen, und zum Glück erinnert sich Raybould an einen Freund, der behauptet, zu einer langen Tradition britischer Hexenmeister zu gehören. Doch sowohl die Zauberkunst, bei der man im glücklichsten Fall mit einem Blutopfer davonkommt, als auch die Kräfte der Übermenschen, die unter schrecklichen Schikanen ausgebildet werden, haben einen Preis.

-Murder on the wind; crows and ravens wheeled beneath a heavy sky, like spots of inks splashed across a leaden canvas.-
Prologue, 23 October 1920, 11 kilometeres southwest of Weimar, Germany

Nazi-Superhelden gegen britische Geheimagenten und Okkultisten, die mit cthulhoiden Mächten Verträge aushandeln, das klingt eher nach einem Comic als nach literarischer Phantastik, und das nicht nur, weil die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Setting ist, das häufig zum Schauplatz von Fantasy-Romanen wird. Sämtliche Trash- und Fun-Assoziationen werden allerdings ausgeräumt, sobald man die Prämisse von Bitter Seeds erkannt hat: Der Roman nimmt diese Rahmenbedingungen bitter ernst und zieht sie konsequent durch.
Ian Tregillis versucht das Ungetüm Krieg zu erfassen, und die Überzeichnung mit den durch Willenskraft, Gehirnverdrahtung und brutales Aussieben und Training herangezüchteten Übermenschen und den in ihrer geheimen, verschleißreichen altehrwürdigen Tradition im Grunde nicht minder schrecklichen Hexenmeistern lässt letztlich nur zu Tage treten, was für kriegerische Zeiten ohnehin symptomatisch ist: Die Entmenschlichung des Gegners, gestützt von Völkerhass und Rachegefühlen, das Aufschaukeln der Kriegshandlungen, die Härte bzw. erzwungene Abhärtung der Entscheider und andere Mechanismen werden akzentuiert herausgearbeitet.

Gerade der letzte Punkt tritt durch die klassische Figurenzeichnung stark hervor, wenn die Protagonisten der jeweiligen Partei bei ihrem Werdegang und im Laufe der Romanhandlung abwechselnd begleitet werden: Will Beauclerk, der adlige Lebemann, der hart mit der Realität des Übernatürlichen kollidiert, als sein Land (und vor allem sein bester Freund) magischer Fähigkeiten bedürfen und ihn zum Organisator des Zusammenschlusses der eigenbrötlerischen britischen Hexer machen. Auf der Gegenseite sind es der ambitionierte Klaus, der substanzlos durch Wände gehen kann, und seine Schwester Gretel, ein undurchschaubares, aber für die Führungsriege unverzichtbares Orakel, deren Schicksal man verfolgt. Und dazwischen schließlich Raybould Marsh, der Agent ohne besondere Kräfte, der ein immer größeres persönliches Interesse an dem Konflikt entwickelt (was bestens mit seiner Aufgabe beim Staat einhergeht) und durch seinen kompromisslosen Einsatz mindestens genauso zeigt, welchen Preis kriegerische Gewalthandlungen vom Einzelnen und der Gesellschaft fordern – diese unschöne Gleichung macht Bitter Seeds auf sehr anschauliche Weise immer wieder sichtbar.
Dabei bleiben auch beide Seiten nachvollziehbar, und man könnte nicht einmal eindeutig sagen, dass die Superhelden als vollkommener Ausdruck der Nazi-Gesinnung eindeutig die schrecklichere Variante sind.

Tregillis hat auch daran gedacht, den titanischen Kräften, die er ins Spiel bringt, Begrenzungen aufzuerlegen. Während die Übermenschen stets nervös ihren Batterie-Ladestatus im Auge behalten müssen, sind die Hexer eher in Sorge um ihre Gliedmaßen und ihren Geisteszustand. Das führt neben der starken historischen Einbettung dazu, dass übernatürliche Kräfte nicht nur kreativ und klug geplant eingesetzt werden, sondern auch zu einer realistischen und glaubhaften Darstellung dieser Fähigkeiten, die man beinahe wie Raybould Marsh und sein Vorgesetzter zunächst wie auf verwackeltes Zelluloid gebannt vor sich sehen kann.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass in Bitter Seeds zwar historisches Kriegsgeschehen Eingang gefunden hat, das aber im Verlauf der Geschichte in einen stark veränderten Alternativentwurf mündet. Für den Wiedererkennungswert setzt Ian Tregillis vor allem auf Elemente, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind (etwa die Evakuierung der britischen Kinder aufs Land).

Die Ereignisse des Romans – Entscheidungen, Kämpfe, schicksalshafte Begegnungen – sind beinahe zu perfekt aneinander gereihte Streiflichter, ineinandergreifende Einzelszenen, die sich unweigerlich zur Katastrophe aufschaukeln. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade die Figurenhintergründe noch etwas besser hätten ausgeleuchtet werden können. Besonders Marsh, die “gewöhnliche” Identifikationsfigur, die in ihren ganz eigenen Abgrund taumelt, wirkt seltsam distanziert, und der maßgebliche Einfluss, nämlich sein Familienleben, bleibt letztlich eine Chiffre – aber vielleicht war auch kein Gegenpol zu dem grimmigen Schlagabtausch gewünscht.
Richtig glänzen kann Ian Tregillis vor allem in der Beschreibung des Schrecklich-Erhabenen: Wenn die Eidolons ihre Aufwartung machen, jene Wesenheiten, die seine John-Dee-Nachfolger für die Verteidigung des Königreichs heraufbeschwören, wächst er bei der Beschreibung dieser fremdartigen Präsenzen über sich hinaus.
Nicht nur ihretwegen, sondern auch aufgrund der Handlungen der fast ebenso unheimlichen Gretel, die anhand ihrer Visionen die Zukunft völlig skrupellos, aber dennoch mit dem berühmten Schmetterlings-Flügelschlag formt, lautet die Frage, die Bitter Seeds am Ende stellt, weniger: wer handelt den Preis für den Sieg aus und wer bezahlt ihn?, sondern: wer kontrolliert die entfesselten Mächte eigentlich wirklich?

Der zweite Band der Trilogie widmet sich, wie der Titel The Coldest War bereits ankündigt, einer späteren Epoche des Konflikts, so dass Bitter Seeds auch ein halbwegs abgeschlossenes Leseerlebnis bietet.

Cover des Buches "Die Blutgräfin" von Wolfgang HohlbeinEuropa im 16. Jahrhundert: In einem abseits gelegenen, tief verschneiten Wald stoßen Andrej und Abu Dun auf brutal ermordete Menschen und werden gegen ihren Willen in gefährliche Ereignisse verwickelt. Der Bauer Ulric macht die  Blutgräfin  für die grausamen Morde und für das Verschwinden von mehreren jungen Frauen verantwortlich. Auf der Suche nach dem Täter begegnen sie dem dämonischen Leibwächter der Gräfin. Ihm gelingt das nahezu Unmögliche: Er besiegt Andrej und Abu Dun und bringt sie tatsächlich in Lebensgefahr. Anscheinend unverwundbar und unbezwingbar ist der Unbekannte doch kein Unsterblicher wie sie. Aber wer oder was ist er dann? Und wer verbirgt sich hinter der rätselhaften Blutgräfin?

-Es war die bei weitem größte Eule, die Andrej jemals gesehen hatte. In aufrechter Haltung würde sie ihm mühelos bis zum Oberschenkel reichen, und ihre Spannweite übertraf vermutlich die eines Adlers. (…) Ihr Schnabel, von dem zähflüssig rotes Blut tropfte, machte den Eindruck, als könne sie damit mühelos einem erwachsenen Mann die Hand zermalmen.-

Obwohl Hohlbein eine recht solide Fortsetzung geschrieben hat, hat mich das Buch nicht so wirklich überzeugt. Die Handlung setzt ein paar Wochen nach der Begegnung mit Frederic ein, die Unsterblichen sind wieder mal in einer abgelegenen Gegend mit misstrauischen Bewohnern. Erneut stoßen die beiden Unsterblichen auf ein Gemetzel, finstere Gestalten und dämonische Feinde. Ein altbewährtes Rezept, das auch hier zu einer recht spannenden Geschichte verarbeitet wird, jedoch gibt es einige kleine Schwächen.

Andrej wirkt im ganzen Buch unbeholfen, obwohl er doch eigentlich der erfahrerene Unsterbliche des Duos ist. Er stürzt von einem Gefühlschaos ins nächste, während er selbst kaum an der Handlung teilnimmt und eher von den Ereignissen mitgerissen wird. Ohne zuviel zu verraten, war mir von Anfang an klar, wer die Blutgräfin ist, jedoch gibt es überraschende Wendungen, die den Roman teilweise unvorhersehbar machen.
Pluspunkte verdient der Roman auch durch Andrejs Gegner: mit Blanche hat Hohlbein eine interessante Figur geschaffen, die nicht nur geheimnisvoll, sondern auch glaubwürdig ist, und einen Großteil zur Spannung beiträgt. Die Geschichte an sich ist im Nachhinein ganz gut gelungen, obwohl es hier und da einige Längen gibt.

Das Ende ist ebenso überraschend wie abgeschlossen. Offene Fragen vom fünften und sechsten Band werden überwiegend beantwortet und bilden einen runden Abschluss. Wie Hohlbein die Chronik der Unsterblichen weitererzählen will, bleibt abzuwarten. Der sechste Band jedenfalls ist lesenswert, wenn man ein Fan von Hohlbein ist. Es ist aber nicht der beste Teil der Chronik.

Cover von Das Böse kommt auf leisen Sohlen von Ray BradburyObwohl die beiden Jungen Jim Nightshade und Will Halloway völlig unterschiedlich sind, verbringen sie jede freie Minute miteinander und sind ein Herz und eine Seele. Das ändert sich, als eine Woche vor Halloween ein Jahrmarkt in die Stadt kommt. Der Roman spielt ungefähr in den dreißiger Jahren und so gibt es zwar ein Karussell, aber es handelt sich eher um eine Kuriositätenschau. Die Erwachsenen merken es nicht, doch den Jungen ist bald klar, daß mit den Jahrmarktleuten das Böse in die kleine Stadt Einzug gehalten hat. Trotzdem zieht es Jim immer wieder zu den Attraktionen des Jahrmarktes, während Will versucht, seinen Freund davon abzubringen. Bald wird die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt.

-Denn jene können nicht schlafen, wenn sie nicht übel getan, und sie ruhen nicht, wenn sie nicht Schaden getan. Sie nähren sich vom Brot des Frevels und trinken vom Wein der Gewalttat.-
Sprüche, 4: 16-17

Über sechzig Seiten plätschert die Geschichte so vor sich hin: Die Jungen genießen unbeschwert ihr Leben, man erfährt etwas über ihre Eltern und ab und zu philosophiert Bradbury über die Zeit, das Leben und die Menschheit. Alles ganz nett, aber nicht so, daß es den Leser vom Hocker reißen würde. Trotzdem horcht man schon von Zeit zu Zeit auf: Das Gewitter, das in der Luft liegt, dieser Blitzableiterverkäufer, und daß plötzlich überall diese Zettel herumfliegen, die den Jahrmarkt ankündigen -im Oktober, wenn die fahrenden Leute eigentlich nicht mehr durchs Land ziehen; normal ist das alles nicht. Und dann sind sie plötzlich da. Nachts um drei, bringt sie eine altertümliche Dampflok in die kleine Stadt, von niemandem bemerkt, außer von Jim und Will. Von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte von Seite zu Seite unheimlicher, bis sich das Geschehen in einem atemberaubend spannenden Finale entlädt.
Ray Bradbury erzählt allegorisch eine Geschichte über das Leben, über Trauer, über Zeit, über Freundschaft, über die Verbundenheit zwischen Vätern und Söhnen und natürlich über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, der nicht hoffnungslos sein muß, weil das Böse nur siegen kann, wenn man sich ihm überläßt. Nur wenn man sich dem Bösen überläßt, dann kann auch das Böse den Sieg davon tragen. Und der Leser weiß bis zum Ende nicht, ob sich nicht irgend jemand in diesem Roman von dem Bösen korrumpieren lassen wird. Ich werde es hier ganz bestimmt nicht verraten. 🙂
Noch ein Hinweis für die Literaturfreunde unter den Lesern: Das Böse kommt auf leisen Sohlen (Something Wicked This Way Comes) weist einige Parallelen zu Der Name der Rose auf, auch wenn beide Bücher völlig unterschiedliche Handlungen besitzen und zu völlig verschiedenen Zeiten spielen.
Ach ja, und falls sich jemand vom Diogenes Verlag auf diese Seite verirren sollte: Auf das Cover gehört natürlich nicht ein Briefe lesendes Mädchen, das von einer Katze beobachtet wird, sondern ein Bild, das etwas mit einem Jahrmarkt zu tun hat, zum Beispiel ein schönes altes Karussell mit Holzpferdchen.

Die Bruderschaft des Talisman von Clifford D. SimakIm Herrensitz von Standish House wird eine uralte Schriftrolle gefunden – womöglich ein Beweis für die Existenz der historischen Person Jesus. Doch um die Echtheit der Schrift zu überprüfen – eines Dokuments, das den Menschen der verwüsteten Welt wieder bitter benötigte Hoffnung geben könnte –, muß es vom Norden Englands nach Oxenford gebracht werden. Dazwischen liegt das ‘Öde Land’, in dem sich die sogenannten Verheerer aufhalten: Schreckliche Monstren aller Art, die seit Jahrhunderten über die Menschheit herfallen. Der junge Adlige Duncan Standish wird auserwählt, die Schriftrolle durch das Feindesland zu transportieren, zusammen mit einigen treuen Begleitern.

-Das Herrenhaus war das erste unzerstörte Gebäude, das sie in den zwei Tagen ihrer Reise durch ein unglaublich gründlich verwüstetes Gebiet sahen.-
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Aus dem Jahr 1978, also dem Jahr nach der Mutter aller Tolkien-Klone (The Sword of Shannara von Terry Brooks), stammt diese Questengeschichte um einen jungen Adligen, der ein kostbares Artefakt mitten durch’s Feindesland transportieren muß, und sie ist einer der wenigen Ausflüge des SF-Autors Clifford D. Simak in die Fantasy. An vielen Kleinigkeiten erkennt man, daß das Genre damals noch nicht in die starren Schemata der Tolkien-Epigonen gepreßt war, auch wenn Die Bruderschaft des Talismans rein äußerlich dieser Blaupause durchaus zu folgen scheint und schon am Originaltitel The Fellowship of the Talisman erkennbar ganz offen in diesen Revieren wildert. Simaks gemächliche Erzählweise und die vielen mit großer Ernsthaftigkeit verfolgten klassischen Motive haben allerdings zur Folge, daß der Roman nicht ohne Einschränkungen empfohlen werden kann.

Am Helden Duncan Standish hat der Zahn der Zeit ganz besonders genagt: Er ist für heutige Verhältnisse lächerlich naiv und gutherzig, ein junges, unbeschriebenes Blatt, das nicht einmal groß über sich selbst hinauswachsen muß, weil er von Anfang an schon ein aufrechter und hervorragender Kämpfer ist. Dieser Part fällt eher seinem Gefährtentrupp zu, der bunt wie frisch importiert aus der Sesamstraße daherkommt: ein loyaler Diener, ein treuer Kampfhund (dessen Geschlecht in der deutschen Übersetzung mitunter changiert), ein zweifelnder Eremit, ein Geist, der nicht spuken kann, eine Hexe ohne magische Kräfte, ein Schlachtroß und ein kämpferischer Esel, eine Banshee und eine (nach ihrer Etablierung als Love interest des Helden zunehmend häusliche) Kampfmaid mit einem Reitgreif namens Hubert.

Die Queste, die nicht ganz konsequent umgesetzt (aber dadurch auch wenig störend für nicht gläubige Leser) auf christlicher Mythologie fußt, ist von Anfang an eine Verzweiflungsmission, denn das heilige Artefakt muß sicher durch einen wahren Todesstreifen gebracht werden, in dem die sogenannte Horde marodiert, eine Ansammlung abgrundtief böser Lebewesen und Bestien, die dafür gesorgt haben, daß die Menschheit bis zur Gegenwart auf dem Entwicklungsstatus des Mittelalters verharrt. Diese nicht-entwickelte Welt, in der durchaus manchmal moderne Einsprengsel und vor allem kurze Blicke auf eine mögliche andere –unsere– Gegenwart durchschimmern, hat eine gewisse postapokalyptische Anmutung, zumal beinahe die gesamte Handlung im verheerten Öden Land angesiedelt ist. Dieser Odem des Zerfalls unterscheidet sich stark vom  gewohnten Ambiente epischer Fantasy.
Die Hintergründe der Welt und der Queste nimmt man besser nicht zu sehr unter die Lupe, denn einer genaueren Betrachtung halten sie weder stand, noch werden die großen Fragen, die sich im Verlauf der Handlung stellen, zufriedenstellend geklärt. Simak greift statt dessen auf sein bevorzugtes Genre zurück, die SF, wodurch Die Bruderschaft des Talisman zu einem merkwürdigen Hybrid wird.

Welche Gründe gibt es also, diesen leicht unausgegorenen und nicht mehr ganz zeitgemäßen Roman trotzdem zu lesen? Vorweg ist zu sagen, daß man, um ihn überhaupt genießen zu können, willens sein muß, sich mit einer gewissen nostalgisch-verklärten Gutmütigkeit auf alte Fantasy einzulassen. Dann besticht Die Bruderschaft des Talisman durch viele Kleinigkeiten, in denen man Simaks große Stärken wiederfindet, die er auch in seiner SF zur Schau stellt: Vor allem anderen eine menschen- und tierfreundliche Warmherzigkeit, ein milder Blick auf menschliche Schwächen, durch die die skurrilen Charaktere, die sich oft in ausführlichen Zweifeln ergehen und auf die ein oder andere Weise unzulänglich fühlen, eine Menge Charme versprühen können – besonders der Eremit Andrew und die alte Hexe Meg sind ein herziges Pärchen. Und sie sind nicht die einzigen beiden Figuren, die Duncans altmodische Ritterfahrt durch ihre Zögerlichkeit aufhalten. Damit gehen auch amüsante Dialoge einher, und insgesamt sind es eher die ruhigen als die actionreichen Passagen des Romans, die gut funktionieren. Immer wieder gelingen Szenen mit viel Atmosphäre in der menschenleeren Landschaft, und kuriose Ideen blitzen auf, manche gelungen und manche weniger (so etwa ein kleiner Ausflug in die Artussage, beim Handlungsort auf den britischen Inseln wohl unerläßlich). Und über allem liegt ein feiner, leiser Humor. Wenn man Die Bruderschaft des Talisman nicht wegen der Spannung liest, findet man eine schlicht und ergreifend nette Abenteuergeschichte, nicht mehr und nicht weniger.

Auf Deutsch wurde der Roman in zwei Versionen veröffentlicht, 1979 unvollständig als Die Brüderschaft vom Talisman (Cover mit einem Drachenkämpfer), 1987 in einer überarbeiteten Ausgabe als Die Bruderschaft des Talisman mit dem gezeigten Rattencover.

Das Buch der Entscheidung von James ClemensDie Vorbereitung für die entscheidende Schlacht gegen den dunklen Herrscher in Schwarzhall läuft gerade an, als plötzlich der Harlekin Qual in A’loatal auftaucht – er kommt direkt aus Gul’gotha und berichtet von den Plänen des Gegners, schon in Kürze einen entscheidenden Schlag gegen das Land zu führen.
Elena kann sich nicht entscheiden, schon anzugreifen, zumal ihre Verbündeten sich gegenseitig misstrauen und Verrat in der Luft liegt. Doch dann wird ihr die Entscheidung in einer Nacht voller Magie abgenommen, und sie und ihre Gefährten befinden sich wieder auf einer gefährlichen Mission, während ihre Heere auf Schwarzhall marschieren …

-Ist es nicht seltsam, an einem strahlenden Frühlingstag vom Tod zu träumen?-
Hexenstern

James Clemens gelingt es im Abschluss-Band der Banned & the Banished-Reihe, einen schönen Bogen zum Beginn der Geschichte zu schlagen, indem er die Geschehnisse wieder an den Ausgangsort zurückführt und die Handlung teilweise parallel zum ersten und zweiten Band laufen lässt – Elena ist wieder mit ihren Freunden allein in der Wildnis unterwegs und muss sich teilweise sogar mit altbekannten Gegnern herumschlagen.
Doch die schweren Geschütze, die für das Finale der fünfbändigen Reihe aufgefahren werden, erschlagen Leser und Leserinnen förmlich: Alle paar Seiten gibt es spektakulärste magische Effekte, es glüht, glitzert und kracht ohne Unterlass. Nun ließ sich die Welt Alasea zwar von Anfang an in die äußerst magiebetonten Gefilde der Fantasy einordnen, aber dieser bunte Overkill an Erscheinungen schafft sehr schnell einen sehr abgebrühten Leser, und für das eigentliche Ende hat Clemens dann all sein Pulver schon verschossen.

Trotzdem weiß er an einigen Stellen noch zu überraschen – die mysteriöse Identität seiner Erzählerfigur klärt sich beispielsweise tatsächlich erst ganz am Ende des Romans auf. Von der Rahmengeschichte über die “verbotenen Schriften” hätte man sich hingegen ein bisschen mehr Aha-Effekt erwartet, und ebenso vom eigentlichen Ende von Elenas Geschichte, das leider keine großen Überraschungen mehr bietet. Der Kampf gegen den dunklen Herrscher läuft ab wie erwartet, auch wenn Clemens noch einmal alles in die Waagschale wirft, was jemals gegen die Helden angetreten ist.

Wie bisher sind es hauptsächlich die Figuren, die den Roman dennoch lesenswert und auch außergewöhnlich machen; in diesem Bereich werden fast alle Geschichten zu ihrem manchmal tragischen Ende geführt, und es gibt einige kleine, in sich geschlossene Nebenhandlungen, die sehr gut gelungen sind – wie etwa die Geschichte vom Steinmagus. Der Hang zu Kitsch und Tragik, den Clemens bereits in den Vorgängern zur Schau gestellt hat, wurde eher noch versschärft, doch alles andere würde in einer solch monumentalen Umgebung sowieso untergehen.
Mit zwei offenen Handlungsfäden hat sich Clemens eventuell sogar ein Türchen offen gelassen, durch das er eines Tages nach Alasea zurückkehren könnte – für die Fans von bunter, eher leichter Abenteuerfantasy wäre das ein Gewinn, vor allem, wenn eine etwas weniger durchkonstruierte und magisch überladene Erzählung dabei herauskäme, denn unter all der grellen Tünche lässt sich erkennen, dass Clemens den Zauber durchaus beherrscht.

Cover der Buches "Das Buch der toten Tage" von Marcus SedgwickBoy lebte auf der Straße, als der Zauberkünstler Valerian ihn in einer Kirche aufgelesen hat. Er kann sich an kein anderes leben erinnern. “Boy” ist auch kein richtiger Name, Valerian ruft ihn so. Boy ist Valerians Gehilfe bei den Vorstellungen. Aber er erledigt auch andere Dienste für seinen Herrn, etwa Briefe bei allen möglichen Leuten abliefern. Dabei gehen gerade unheimliche Dinge vor sich, bestialische Morde geschehen und Gräber werden geplündert. Sogar Valerian ist nervöser als sonst. Am 27. Dezember, dem ersten der “toten Tage” bricht aus Valerian heraus, worüber er sich sorgt: ihm bleiben noch vier Tage, dann muß er sterben. Es gibt nur einen Weg, Valerians Leben zu retten. Er muß das Buch der toten Tage finden…

-Hast du je die Reglosigkeit dieser sonderbar stillen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gespürt? Für mich sind das tote Tage. Tage, an denen die Türen zwischen unserer Welt und jener unsichtbaren, die gleich darunter liegt, geöffnet sind.-
Vorbemerkung des Autors

Ein Junge ohne Vergangenheit, ein zwielichtiger Magier, mysteriöse Morde, nächtliche Grabungen auf einem Friedhof, unterirdische Labyrinthe und ein Pakt mit dem Bösen – das sind ein paar der Fäden aus denen Marcus Sedgwick seinen spannenden Roman Das Buch der toten Tage (The Book of Dead Days) gestrickt hat.
Die interessanteste Figur ist Valerian: Ein Mann voller Ehrgeiz, Bühnenzauberkünstler, “richtiger” Magier und Gelehrter, der Boy in einer Kirche aufgelesen und das Waisenkind bei sich behalten hat, obwohl dieser strenge und unfreundliche Mann keineswegs den Eindruck macht, als hätte er eine soziale Ader und würde sich mit Vorliebe um das Elend anderer Leute kümmern. Boy ist vor allen Dingen durch seine mysteriöse Herkunft interessant und natürlich ist er der Held der Geschichte, der von einer atemberaubenden Gefahr in die andere gerät.

Aber der Roman hat noch eine andere faszinierende “Hauptfigur” und das ist diese düstere Stadt, die Sedgwick geschickterweise nicht in einer bestimmten Epoche ansiedelt und auch nicht benannt hat, so daß die Phantasie jedes Lesers genügend Spielraum hat, um sich ihren eigenen finsteren Moloch auszumalen. Sedgwick hat aber dem Leser genügend Hinweise gegeben, um diesen Phantasien Nahrung zu geben. So schreibt er in seiner Vorbemerkung:

Und plötzlich sah ich eine Welt vor mir oder eher eine Stadt, so riesig und wuchernd, daß sie eine Welt für sich bildet. Magische Orte haben diese Stadt inspiriert, Paris mit seinen Meilen unsichtbarer Katakomben, Bologna mit seinem versteckten Kanalsystem und Krakau mit seinen überfüllten Friedhöfen und Schneemassen zur Weihnachtszeit.

Der Rezensent hat sich allerdings eher das alte Prag mit seinen engen, verwinkelten Gassen und alten Friedhöfen vorgestellt und auch das mit gutem Grund: Dem Engländer Marcus Sedgwick sei zunächst einmal Dank, daß er darauf verzichtet hat, als Schauplatz das neuerdings so beliebte viktorianische London zu wählen und obwohl er keine genaue Zeitangabe macht, nennt er einen Namen, der dem Leser eine zeitliche Vorstellung vermittelt: Valerians ehemals bester Freund und Wissenschaftskollege heißt Kepler, ist Doktor der Medizin, betrieb aber zugleich spezielle Forschungen auf dem Feld der Himmelskunde. Er besaß Geräte aller Art, mit denen er die Sterne beobachtete … Kepler hatte Boy einmal erzählt, er könne Voraussagen aller Art über Menschen und ihre Handlungen treffen, er brauche dazu nur den genauen Zeitpunkt ihrer Geburt zu wissen. Das ist natürlich mehr als nur eine leise Anspielung auf den berühmten Astronomen Johannes Kepler, der von 1571 bis 1630 lebte, 1600 nach Prag übersiedelte und Wallensteins Horoskop erstellte. Es ist aber eindeutig, daß Sedgwick seinen Roman in keiner identifizierbaren vergangenen Epoche ansiedeln möchte, denn die beiden Gelehrten machen Experimente mit Elektrizität, die an Galvanis berühmte Versuche erinnern, die dieser aber in der Realität erst um 1780 durchführte. Auch ist der Herrscher über Boys Welt, König Frederik, nicht historisch. Diese höchst geglückte Verquickung von realen und phantastischen Motiven macht Das Buch der toten Tage zu einer fesselnden Lektüre.

Die toten Tage sind in Deutschland übrigens besser unter dem Begriff Zwischen den Jahren bekannt, der natürlich keinen wohlklingenden Titel für ein phantastisches Buch geliefert hätte. Es handelt sich um die Tag vom 27. bis zum 31. Dezember. Jedem dieser Tage ist ein Kapitel des Romans gewidmet und hier gibt es allerdings einen Kritikpunkt: Die Kapitelüberschriften sind nicht immer ganz geglückt. Während sich Der Tag des größten Unglücks oder Der Tag der schlimmen Entwicklungen noch ganz gut anhören, so klingen die doppeldeutigen Titel Der Tag des geschickten Mitarbeiters oder Der Tag der vollkommenen Beförderung eher nach Aktionen eines mittelständischen Unternehmens zur Mitarbeitermotivation oder gar nach den alten sozialistischen “Gedenktagen”.

Das Buch des Sturms von James ClemensNachdem alle Verletzten geheilt sind, machen sich Elena und ihre Begleiter auf den langen Weg nach A’loatal, um in der versteckten Stadt das Buch des Blutes zu erlangen, mit dessen Hilfe das Land vom dunklen Herrscher befreit werden soll. Doch dieser stellt ihnen auf ihrem Weg seine Diener entgegen, und gegen das Versprechen von Macht sind auch Elenas vermeintliche Freunde nicht immun … Zu allem Übel ist A’loatal schon dem Bösen anheim gefallen. Die Magier Schorkan und Greschym erwarten Elena dort, ohne dass jemand etwas davon ahnt – bis auf ihren Bruder Joach, der unter dem Bann der bösen Magier steht.

-Elena schob den Ledervorhang beiseite, der die behagliche Wärme des Feuers im Innern hielt, und trat aus der Höhle.-
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Der zweite Band der Serie The Banned and the Banished legt im Vergleich mit dem halbwegs soliden Auftakt noch um einiges an Action und Spannung zu. Besonders herausragend erscheint bei Das Buch des Sturms (Wit’ch Storm) die farbenfrohe, ideenreiche Welt, von der man ein gutes Stück mehr vorgeführt bekommt: ein märchenhaftes, von Magie durchzogenes Panorama wird vor den LeserInnen entfaltet, in dem sich alles von Meeresvolk bis zum Drachen tummelt, ohne dass es allzu quietschebunt wirkt. Diese in Kreaturen und Völkern größtenteils wahrhaft klassische Fantasy-Welt kann man staunend durchstreifen, ganz besonders, wenn man ein Einsteiger ins Genre ist, ansonsten wird man vielleicht ein wenig enttäuscht von der Geradlinigkeit des Entwurfs sein.
Im Großen und Ganzen folgt die Erzählung auch einem klassischen Gut-Böse-Schema – die Bedrohung durch den eindeutig bösen Herrscher muss ausgeschaltet werden -, aber die einzelnen Charaktere sind erfreulicherweise nicht unbedingt leicht einzuordnen und haben Licht- und Schattenseiten. Überhaupt pflegt der Autor einen sehr gefühlvollen Umgang mit den unterschiedlichen Figuren, und gibt den zunächst klischeehaften Entwürfen genug Eigenarten, so dass sie einem ans Herz wachsen, auch wenn vor allem die Geschlechterrollen leider eher konservativ und stereotyp bleiben.

Seine Handlungsstränge kann Clemens geschickt verknüpfen; aber manchmal läuft alles ein klein wenig zu glatt ab – schicksalhafte Begegnungen und Prophezeiungen spielen in der Handlung eine große Rolle, und der Einsatz dieser Stilmittel wirkt häufig übertrieben. Gelungener sind dagegen kleine Geschichten in der Geschichte, die zum Teil innerhalb weniger Kapitel abgeschlossen werden, zum Teil aber auch als spannende und nervenaufreibende Geheimnisse in den nächsten Band hineinreichen. Eine dieser Geschichten ist der sich von Band zu Band fortsetzende Prolog über das “Studium” der eigentlichen Erzählung, und man fragt sich von Seite zu Seite mehr, was denn da noch kommen mag, um eine solch bombastische Einleitung zu rechtfertigen – da bleibt nur zu hoffen, dass die nächsten Bände diesen Erwartungen gerecht werden können.
Das Zusammenwirken von Sprache, Welt und Handlung zu einem stimmungsvollen und locker fließenden Ganzen ist Clemens’ größte Stärke, mit der er LeserInnen trotz der nicht zu leugenden Schwächen – und von der Apostrophenflut war in dieser Rezension noch nicht einmal die Rede, aber verflüchtigt haben sich die O’ger und ihre Genossen keineswegs – durchaus in seinen Bann schlagen kann.

Carniepunk von Rachel Caine, Delilah S. Dawson, Jennifer Estep, Kelly Gay, Kevin Hearne, Mark Henry, Hillary Jacques, Jackie Kessler, Seanen McGuire, Kelly Meding, Allison Pang, Nicole D. Peeler, Rob Thurman, Jaye WellsVierzehn Kurzgeschichten ziehen in dieser Anthologie LeserInnen in die oft schaurige, pervertierte oder einfach nur surreale Welt des Zirkus.
Vierzehn Geschichten, vierzehn AutorInnen – und alle betreten den Zirkus auf ganz unterschiedliche Weise. Was alle gemein haben, ist die Verbindung zum Grauen oder zu Dämonen, die auf der Jagd nach Seelen sind …
Kommt zahlreich, mutige Abenteurer, die Manege ruft!

– It took me two days to die. On the first night, I met Madame Laida, and on the second night, I met the Cold Girl.
And this is how it happened. –
The Cold Girl, Rachel Caine, S. 153

Kurzgeschichten haben es in der Verlagswelt schwer, wahrgenommen zu werden, dabei bieten sie eine hervorragende Möglichkeit, Leser auf neue Autoren oder Serien aufmerksam zu machen, die ihrem Radar bisher womöglich entgangen sind. In Carniepunk haben sich vierzehn verschiedene Autoren zusammengefunden und unter dem Oberthema “Zirkus” ihre Geschichten beigesteuert. Manche stehen für sich alleine, andere ergänzen bestehende Buchreihen der einzelnen AutorInnen.
Die meisten dieser Geschichten sind nichts für junge Leser. Mal abgesehen von fließendem Blut und dem leise mitschwingenden Horror, der alle Geschichten vereint, finden hier teils sehr deutliche sexuelle Handlungen statt, die von Nekrophilie über die Erinnerungen eines Vergewaltigers bis zu den detaillierten Aktivitäten eines Sukkubus reichen. Meistens schaffen es die AutorInnen dabei, nicht ins Fremdschämen abzudriften – Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Qualität der Geschichten schwankt. Manche AutorInnen beherrschen ihr Handwerk besser als andere oder haben vielleicht auch einfach nur ein mal besseres, mal schlechteres Händchen für die Kunst, eine Kurzgeschichte zu schreiben. Manches lässt einen als LeserIn einfach nur verwirrt zurück, anderes wirkt, als habe der/die AutorIn sich schwer getan, seine Ideen in Zaum zu halten, und macht viele Sprünge, um all die Ansätze irgendwie in Kurzform zu bringen.

Hier eine Übersicht und ggf. Eindrücke der einzelnen Geschichten:

Painted Love – Rob Thurman
Der Weltreisende Doodle schließt sich für eine Weile dem Zirkusangestellten Bartholemew an und beobachtet dessen Alltag. Bartholemew ist ein waschechter Psychopath und hat sich gerade sein nächstes Opfer ausgesucht, was Doodle in eine schwierige Lage bringt. Einerseits sieht er sich selbst als reinen Beobachter, andererseits empfindet er eine gewisse Zuneigung für das nächste Opfer.
Die Geschichte funktioniert nur bedingt, da Doodles Figur wenig Zugangsmöglichkeiten bietet. Die Idee dahinter ist durchaus nicht schlecht, die Ausführung teils aber zu blass.

The Three Lives of Lydia – Delilah S. Dawson
Diese Geschichte gehört zu einer Buchreihe (Blud Series) und greift das Setting eines im viktorianischen Zeitalter angesiedelten Universums auf. Die Atmosphäre ist düster und steampunkig und die Wendungen überraschend. Lydia erwacht nackt auf einem leeren Feld, das von Zirkuswagen umkreist ist, trifft später auf Vampire und Werwölfe, die im Zirkus angestellt sind und nicht alle gute Absichten für sie hegen.
Eine stimmungsvolle Geschichte mit überraschendem Ende, die auch ohne Kenntnis der eigentlichen Buchreihe gut funktioniert.

The Demon Barker of Wheat Street – Kevin Hearne
Teil der Buchreihe The Iron Druid Chronicles. Die Geschichte findet zeitlich nach dem 4. Band statt (und nach der Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow), kann aber gut für sich gelesen werden.
Druide Atticus und Lehrling Granuaile besuchen einen Zirkus und geraten dabei in die Fänge eines Dämons, der seine Attraktion zur Ernte ahnungsloser Seelen benutzt und sie geradewegs auf einen Trip in die Hölle schickt.
Witzig und im wahrsten Sinne höllisch gefährlich.

The Sweeter the Juice – Mark Henry
Post-Apokalyptisches Szenario, in dem Zombies allgegenwärtig und ihre Angriffe an der Tagesordnung sind. Die transsexuelle Jade Reynolds geht einen Handel ein, um sich ihre/seine Geschlechtsumwandlung leisten zu können, und soll für die behandelnde Ärztin eine neu zirkulierende Droge finden.
Diese Geschichte ist mehr im Horrorbereich zuhause, stopft aber so viele (teils eklige) Ausführungen in einen Sack, dass es für mich schwierig war, am Ball zu bleiben, und wurde dementsprechend abgebrochen.

Werewife – Jaye Wells
Nach dem Besuch einer Zirkusvorstellung verwandelt sich die Ehefrau in einen Werwolf, was sich als recht unkomfortabel für den Ehemann erweist. Als der selbe Zirkus nach einem Jahr in die Stadt zurückkehrt, überredet der Gatte seine Frau, erneut dorthin zu gehe,n um den Fluch aufzuheben, doch was sie dort erwartet, ist mehr als eine unschöne Erkenntnis.
Diese Geschichte ist aus Sicht des Ehemanns erzählt und bis auf das etwas überstürzte und nicht ganz überzeugende Ende sehr unterhaltsam.

The Cold Girl – Rachel Caine
Die sechzehnjährige Kiley besucht mit ihrem Freund einen Zirkus und vertauscht dabei versehentlich ihre Telefone. Als sie die Inhalte auf dem Telefon ihres Freundes sieht muss sie erkennen, dass der Junge, den sie liebt, eine schockierende Seite verbirgt, für die sie bisher blind war – obwohl andere die Anzeichen längst bemerkt haben.
Spannend, ergreifend und verstörend, ist dies eine der sehr gut gelungenen Geschichten der Anthologie.

A Duet With Darkness – Allison Pang
Teil der Abby Sinclair Series. Mel kann Noten und Melodien farblich wahrnehmen. Sie ist ein musikalisches Ausnahmetalent und hält sich für die beste in ihrer Band. Sie kann offenbar die Wilde Magie anzapfen, was bei einem geplanten Auftritt der Band die Aufmerksamkeit von jemandem erweckt, dem sie nicht gewachsen ist. Ihr Freund, ein gefallener Engel, versucht sie vor den Folgen ihres Stolzes zu bewahren, doch einer muss den Preis bezahlen.
Liest sich etwas wie ein Jugendbuch, ist nur inhaltlich nicht ganz jugendfrei. Die Welt und die Figuren sind aber gut beschrieben und durchaus interessant.

Recession of the Divine – Hillary Jacques
Die Versicherungsermittlerin Olivia untersucht den Brand in einem Zirkus, und es ist schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Als die Angestellten merken, dass Olivia in die Erinnerungen anderer eintauchen kann, wird sie entführt und mit einem Bann ihrer eigenen Erinnerung beraubt, um sie angekettet als Wahrsagerin arbeiten zu lassen. Der Leser erfährt früh, dass sie eine Göttin in Menschengestalt ist, ihre Entführer lernen es auf die harte Tour.
Diese Geschichte war verwirrend, da die Autorin zahlreiche Zeitsprünge macht und eine eher weitreichende Handlung in einen so kurzen Text zu pressen versucht. Zeitsprünge erschweren das Ganze ebenso wie die Tatsache, dass nicht immer klar ist, was wessen Erinnerung ist oder was gerade doch real.

Parlor Tricks – Jennifer Estep
Teil der Serie Elemental Assassin Series. Detective Bria Coolidge bittet ihre Schwester, die Assassinin Spider, um Hilfe bei der Suche eines verschwundenen Mädchens, das zuletzt gesehen wurde, als es einen Zirkus besuchte. Als die beiden Frauen die Hintergründe ihres Verschwindens aufdecken, braucht es alles an Elementarmagie, was Spider zu bieten hat.
Die Figur der Spider, aus deren Perspektive erzählt wird, ist nur schwer zugänglich und so springt der Funke bei dieser Geschichte nicht recht auf die Leserschaft über. Ist vielleicht anders, wenn man die Buchreihe dazu kennt.

Freak House – Kelly Meding
Teil der noch im Entstehungsprozess befindlichen Buchreihe Strays Series, die recht viel Potential haben dürfte, wenn man diese Kurzgeschichte als Indikator nehmen darf.
Shiloh ist halb Djinn und hat jüngst erfahren, dass ihr Vater von einem Schwarz-Magier gefangen gehalten und als Zirkusattraktion ausgestellt wird. Zusammen mit zwei unerwarteten Verbündeten, von denen einer ein Werwolf ist, der andere ein pensionierter Soldat, und ausgestattet mit ihrem eigenen magischen Erbe, schleicht sie sich in die geschlossene Veranstaltung ein und findet weitere Gefangene vor. Für Shilo und ein paar andere zeichnet sich ein neues Ziel ab.
Interessantes Konzept, das neugierig auf mehr macht.

The Inside Man – Nicole Peeler
Teil der Jane True Series. Die drei Inhaberinnen der Triptych Agentur bekommen Besuch vom größten Gangsterboss der magischen Szene und werden “gebeten” herauszufinden, weshalb seine Schwester und alle anderen Bewohner ihrer Stadt ihre Erinnerungen und ihre Ambitionen verloren haben. Ihre Ermittlungen führen sie in die Fänge eines dämonischen Clowns, der ganze Städte heimsucht und nichts alle leere menschliche Hüllen zurücklässt.
Spannende Charaktere mit interessanten Hintergründen und ordentlich Frauenpower. Hier wird nicht lange gefackelt und gleich kurzer Prozess mit Dämonen wie menschlichen Bestien gemacht … Da lohnt sich wohl ein Blick in die Buchreihe.

A Chance in Hell – Jackie Kessler
Teil der Buchreihe A Hell on Earth. Die frühere Sukkubi Jezebel ist inzwischen menschlich und auf der Flucht vor dem Höllenfürst, um die Apokalypse zu verhindern. Ihre Mitbewohnerin soll Jez beibringen, was Menschlichkeit bedeutet, und nimmt den unmotivierten Ex-Dämon mit zu einem Zirkus. Der Tag verschlechtert sich deutlich, als Jez dort einem hochrangigen Dämon der Gier begegnet, der nichts lieber täte als Jezebels blitzblanke neue Seele in seine Finger zu kriegen.
Teilweise humorvoll, mit viel Erotik garniert.

Hells’s Menagerie – Kelly Gay
Teil der Buchreihe Charlie Madigan. Die zwölfjährige Emma, Tochter von Charlie Madigan, marschiert in Charbydon (Hölle) ein, um die entführten Welpen und das Weibchen ihres Höllenhundes Brim zu retten. Dabei riskiert sie lebenslangen Hausarrest, den Rauswurf aus der Schule und selbstverständlich ihr eigenes Leben, wie auch das ihres Begleiters, dem Djinn, der im Körper ihres dahingeschiedenen Vaters steckt.
Obwohl die Ansätze gut waren, habe ich diese Geschichte letztlich nur quer gelesen. Die Protagonistin war mir zu jung und die Rettung von Hundewelpen hat meinen Toleranzbereich für Niedlichkeiten gesprengt.

Daughter of the Midway, the Mermaid, and the Open, Lonely Sea – Seanan McGuire
Ada ist im Zirkus der Miller Familie geboren und aufgewachsen. Ihre Mutter ist die Hauptattraktion: eine echte Meerjungfrau, die als junge Frau schwanger Zuflucht im Zirkus gesucht hat. Nach beinahe zwanzig Jahren kommt der Zirkus an den Ort zurück, von dem Adas Mutter einst geflohen ist, und prompt wird das Mädchen von ein paar der Stadtbewohner entführt und gefangen gehalten. Ada entdeckt, dass es ein düsteres Geheimnis im Leben ihrer Mutter gab, die sich freiwillig entschieden hat, alles zu vergessen, indem sie sich dem Wasser hingab und ihre unvermeidliche Verwandlung in eine Meerjungfrau vollzog. Der Zirkus mag die Freakshow haben, doch die Monster leben außerhalb.
Eine Geschichte, die mit etwas mehr Tragik gefüllt ist und leider viele Aspekte der Charaktere nur andeutet, von denen mehr zu wissen spannend gewesen wäre.

City of Bones von Cassandra ClareClary dachte, sie und ihr bester Freund Simon würden einen ganz normalen Abend im Club Pandemonium verbringen. Ein wenig tanzen, feiern und das normale jugendliche Leben genießen. Doch dann sieht sie wie ein Teenager von drei anderen ermordet wird und sich anschließend vor ihren Augen in Rauch auflöst. An diesem Abend ändert sich für Clary alles, denn nun muss sie erkennen, dass neben ihrer bekannten Welt eine ganz andere, düstere Welt voller übernatürlicher Kreaturen existiert, und dass sie irgendwie mit ihr in Verbindung steht. Doch die einzige Person, die Klarheit schaffen könnte, Clarys Mutter, wird entführt, bevor Clary die Chance hat, Antworten zu bekommen.

– »Are there any more with you?«
The blue-haired boy could feel blood welling up under the too-tight metal, making his wrist slippery. »Any other what?«
»Come on now.« The tawny-eyed boy held up his hands, and his dark sleeves slipped down, showing the runes inked all over his wrists, the backs of his hands, his palms. »You know what I am.«
Far back inside his skull, the shackled boy’s second set of teeth began to grind.
»Shadowhunter,« he hissed.
The other boy grinned all over his face. »Got you,« he said. –

City of Bones ist der Auftakt der populären Jugendbuchreihe The Mortal Instruments (Die Chroniken der Unterwelt) und Debütroman der Autorin Cassandra Clare. Um die Problematik dieses Romans (und auch der restlichen Reihe) gleich zu Anfang zu nennen: City of Bones begann als Fanfiction basierend auf J.K. Rowlings Figur Draco Malfoy aus der Harry Potter-Reihe, und so sehr Frau Clare auch versucht hat, die Geschichte zu überarbeiten und ihr ihren eigenen Stempel aufzudrücken, so unübersehbar sind doch gewisse Ähnlichkeiten. Leider ist es dadurch sehr schwierig zu entscheiden, wie viel eigene Kreativität die Autorin in dieses Buch eingebracht hat und ob der Roman nun Spaß macht oder ärgert. Die Magie in Clares urbaner Fantasywelt funktioniert gut und ist stimmungsvoll, man sieht nur immer wieder vertrautes aus Harry Potter, Star Wars, Angel Sanctuary … Da fragt man sich unweigerlich, ob die Autorin sich auch irgendetwas von diesem Roman selbst ausgedacht hat. Die subtile Runenmagie, Vampire, Warlocks, Werwölfe, Halbengel, Menschen, Feen und andere Kreaturen in City of Bones haben es schwer, sich über das offensichtlich Kopierte zu erheben. Somit ist die Frage, wie gut einem das Buch gefallen wird, vor allem eine Frage danach, wie gut man einen Neuaufguss anderer Geschichten findet.

Um aber auch einmal auf das Positive zu sprechen zu kommen, gehen wir doch weiter zu den Charakteren. Hier liefert die Autorin zunächst einmal eine breite Vielfalt an Figuren, was sowohl deren Charakter als auch deren ethnische Herkunft oder sexuelle Orientierung angeht. Es ist von allem etwas dabei, so dass sich wirklich jeder mit wenigstens einer der Figuren identifizieren kann. Entsprechend werden auch bestehende Vorurteile unserer Gesellschaft auf unterschiedliche Weise kritisch thematisiert.
Die Charaktere wirken auch sonst recht solide und sind unterhaltsam, ab und an verleiten sie einen zu einem Schmunzeln, ein anderes Mal möchte man sie herzhaft schütteln vor Unverständnis. Fast alle haben emotionale Narben (manche auch körperliche). Das verschafft ihnen eine glaubhafte Lebendigkeit und hält den Leser bei Laune. Nur der Bösewicht ist flacher als ein Blatt Papier. Einzig ärgerlich ist dabei aber die in Jugendbüchern inzwischen obligatorische Dreiecksbeziehung der Hauptfiguren, die, neben anderen Teilen der Handlung, von Anfang an durchschaubar ist. Was dagegen sicherlich noch nicht viele Jugendbuchautoren gemacht haben, ist, eine derart frustrierende Auflösung an den Schluss des Romans zu setzen, dass man das Buch entweder mehr als schlecht gelaunt in die Ecke wirft (immerhin hat man eigentlich nur wegen der einen Sache solange durchgehalten) oder man zerfließt vor Sehnsucht angesichts der dramatischen und schier hoffnungslosen Ereignisse … Für letzteres muss man vermutlich noch zur jüngeren Lesergruppe zählen oder deutlich weniger Jugendbucherfahrung haben.

Wenn man nichts Innovatives erwartet und sich mit den zahlreichen »Inspirationen« in City of Bones arrangieren kann, ist der Roman flüssiges und schnelles Lesefutter mit einer guten Atmosphäre im modernen New York und sympathischen Charakteren. Überraschungen hat der Roman allerdings keine zu bieten, vielleicht bessert sich das noch im Nachfolger: City of Ashes

Verfilmung:
City of Bones wurde 2013 mit Lilly Collins und Jamie Campbell Bower in den Hauptrollen verfilmt.

The Coyote Road von Terri Windling und Ellen DatlowThe Coyote Road ist eine Anthologie, in der Genre-Autoren verschiedenen Trickster-Figuren nachspüren, überlieferten rund um die Welt wie Anansi, Coyote oder Kitsune, und neuen, die frische Interpretationen der Erzählmuster von Trickstergeschichten zulassen.

-You’ve probably seen those shoes by the side of the road. Just a shoe, lying in the dust just off the roadway. Not two shoes together. One odd shoe.-
One odd Shoe, Pat Murphy

Trickster treten in fast jeder Kultur in der einen oder anderen Form auf und sind faszinierende Figuren, weder gut noch schlecht, sondern einfach außerhalb der moralischen und gesellschaftlichen Kategorien und schon allein aufgrund dieser Position mächtig, aber meist nicht mit klassischen Formen der Macht ausgestattet – sie müssen sich durchmogeln. Mythen-Expertin Terri Windling erklärt im Vorwort der von ihr gemeinsam mit Ellen Datlow herausgegebenen Anthologie die verschiedenen Gestalten und Traditionen der Trickster-Figur, und damit ist man bestens gerüstet für die 22 Geschichten und 4 Gedichte, die darauf folgen.

Von den verschiedenen Zeiten, Stilen und Settings, in denen die Trickster in The Coyote Road auftreten, funktionieren die Geschichten mit modernem Hintergrund oft am besten – der Trickster ist eine Figur, die sehr stark mit dem Milieu arbeitet, und das kann ein Autor wie Charles de Lint beispielsweise bravourös in The Crow Roads heraufbeschwören, wo ein mysteriöser Fremder die Ödnis eines kleinen kanadischen Städtchens aufbricht, oder Pat Murphy mit der Eröffnungsgeschichte, die im amerikanischen Westen augenzwinkernd eine Frage aufklärt, die beinahe so spannend ist wie die nach den Einzelsocken in der Waschmaschine. Ebenfalls sehr stark in ihrem Milieu verwurzelt ist Delia Shermans The Fiddler of Bayou Teche, das die klassische Geschichte vom Pakt mit dem Teufel mit sumpfigem Südstaatenflair (und -slang) und Werwölfen neu belebt.
Die historisch angehauchten Geschichten sind zwar alle solide, aber ihnen fehlt häufig der Pfiff, der die Trickster in den moderneren Settings richtig schillern lässt – in alten Zeiten treten sie eher als Götter auf, unverständlich in ihren Motiven und den Menschen recht fern.

An sich sind Trickster ein famoser Kurzgeschichtenstoff, weil sie nicht bleiben. Sie ziehen durch, sind Momenterscheinungen – Glück oder Unglück, das je nach Perspektive über die Menschen hereinbricht und ihren Alltag ausschaltet. Dort lösen sie manchmal wie im Mythos Probleme, mit denen die Gesellschaft allein nicht fertig wird: Ein mysteriöser Fuchs hilft in Realer than You von Christopher Barzak einem entfremdeten Jungen beim Einleben in einem neuen Land, die Cat of the World von Michael Cadnum beschäftigt sich schon seit Jahrhunderten damit, das Leben für Katzen (und manchmal auch Menschen) besser zu gestalten.
Andere Trickster sind wie ein Sturm, der über die Menschen herfällt und sie häufig zum Vergnügen, selten mit richtig ernsten Absichten, wie Spielfiguren herumschiebt. Nur ganz selten gibt es eine Geschichte aus der Sicht eines der Trickster: Richard Bowes’ A Tale for the Short Days wirft einen Blick aus den Augen eines vielseitigen Diebesgottes auf die Welt, und im herrlich rätselhaften und bildgewaltigen Black Rock Blues von William Shetterly muss man sich erst einmal erarbeiten, wer warum in so großen Nöten ist und welche Rollen die auftretenden Figuren bekleiden. Häufig begegnen wir auch menschlichen Trickstern, etwa bei Patricia McKillip, oder die Trickster werden ausgetrickst wie bei Holly Blacks groteskem Besuch im Kosmos der Fresswettbewerbe. Ein weiteres prominentes Thema sind Trickster, die sich vergessen haben und sich quälen, bis ihr funkelndes Ich wieder durchbricht.

Neben Shermans, de Lints und Shetterlys Geschichten ist Kelly Links The Constable of Abal ein Highlight der Anthologie, das einen prächtigen Kosmos aus dekadenten, skurrilen Städten ausbreitet, durch den eine mehr als dysfunktionale kleine Familie mit einem nicht ganz fassbaren Geheimnis zieht. Theodora Goss trägt mit How Raven Made His Bride ein fesselndes Erzählgedicht bei, das lose auf nordamerikanischen Mythen aufbaut. Kij Johnson packt das Tricksterthema mit einem beinahe akademischen Ansatz an und seziert mit The Evolution of Trickster Stories Among the Dogs of North Park After the Change nicht nur den Archetypus, dem sich die ganze Anthologie widmet, sondern auch unser Verhältnis zu Tieren. Und auch Jeffrey Ford hat in The Dreaming Wind die Essenz des Tricksters herausgefiltert und lässt ihn völlig körperlos als urtümliche, verändernde Kraft auftreten, als die Kreativität selbst.

Da The Coyote Road eigentlich keine Ausfälle hat und die besten Geschichten die Facetten des Tricksters sehr gründlich einfangen, ohne ihm seine Unerklärlichkeit zu nehmen, kann man die von Charles Vess liebevoll ausgestattete Anthologie uneingeschränkt allen empfehlen, die sich diesen ambivalenten Figurentypus und sein Changieren zwischen erhabenem Mythos und Profanität näher anschauen wollen.

Die Dämonen von Tobias O. MeissnerLange waren die Dämonen aus der Welt verbannt, doch die unbedachte Tat des Thronerben von Orison ermöglicht zweien die Flucht: Gäus und Irathindur. Sie planen, sich in der Welt der Menschen festzusetzen und wählen jeweils einen Herrscher, den sie übernehmen werden: Irathindur wird sein irdisches Dasein als Baroness eines der neun Baronate Orisons antreten; Gäus als der junge König des Landes. Ehe die beiden getrennter Wege gehen, schwören sie sich, nicht gegeneinander Krieg zu führen. Bald stellt Irathindur aber fest, dass die Lebenskraft im Land Orison nur für einen Dämon reicht – und beginnt nach mehr Macht zu streben. Noch immer an den Pakt mit Gäus gebunden, stürzt er alsbald das ganze Land ins Chaos, um seinen Hunger nach Lebenskraft zu stillen.

-Der König, der keine Augen hatte, streckte eine Hand aus nach dem Meer.-
Vorausschau

Mit den Dämonen wird ein ganz neues Fass in der Auswahl der „Völker Tolkiens“ aufgemacht, zu denen uns die deutsche Fantasy-Szene im Laufe der letzten Jahre überreichlich viele Ausflüge beschert hat. Die Grenzen der Vielfalt scheinen langsam ausgereizt: Dämonen als eines der Völker Mittelerdes? Wir wollen aber mal nicht so kleinlich sein, schließlich ist es auch alles andere als der Geist Tolkiens, der dieses Werk von Tobias O. Meißner durchweht, das stellt man schon fest, wenn man einen Blick auf die Figuren wirft:
Da wäre der Möchtegern-Student Minten, der stattdessen, wenn auch unfreiwillig, zum brutalen Haudrauf wird, von den Wogen des Krieges herumgeschleudert, bis er im wahrsten Sinne des Wortes sein Gesicht und die Orientierung verliert, für wen und wofür er eigentlich kämpft. Dann der finstere Dämon Gäus, der alsbald den schwächlichen König des Menschenlandes übernimmt und als dieser ganz in der Aufgabe aufgeht, das Land zu regieren. Und schließlich der gewitztere und elegantere Dämon Irathindur, der zum Zweck eines irdischen Daseins in die lüsterne Baroness Meridienn einfährt und nach anfänglichen Daseinsfreuden bald nicht mehr mit dem schnöden Titel zufrieden ist. So entspinnt sich ein Machtkampf und schließlich aus Unwissenheit, Gleichgültigkeit und schlichtem Pech ein grausamer Krieg, der für die meisten Beteiligten ein ziemlich sinnloses Unterfangen ist, aber trotzdem immer größere Kreise zieht.

Fast wie im wirklichen Leben also. Und das ist auch die Essenz des Romans – der Mensch braucht keine Dämonen, um im Krieg alles kurz und klein zu schlagen. Und die Dämonen? Sind auch nur Menschen, eignen sich menschliche Züge an, sobald sie Fuß im irdischen Dasein gefasst haben, und zwar die guten wie die schlechten. Das ist vielleicht das Interessanteste an Meißners Roman, wie das Spiel mit Erwartungen auf die Spitze getrieben wird, wie aus anfänglicher Machtgier Verantwortung wird und aus Lebensfreude die Gier nach immer mehr.
Die daraus resultierende Schlachtenfolge allerdings ist eine relativ langatmige Aneinanderreihung von Action-Szenen, und wenn man sein Lesevergnügen nicht nur aus Kämpfen und Kriegswogen ziehen kann, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Stilistisch und selbst in einigen Charakterzügen der Hauptfiguren ähneln Die Dämonen Meißners Mammut-Reihe, doch Menschlichkeit und Wärme spielen in diesem Kriegsgetümmel kaum eine Rolle. Legitim, manchmal angebracht und wichtig ist es durchaus, einen solchen Blick auf die Abgründe zu eröffnen und daneben Weltschöpfung und Charakterzeichnung auch etwas verblassen zu lassen, jedoch scheinen Die Dämonen diesbezüglich auf halber Strecke stecken geblieben zu sein und ihr blutiges Machtgerangel ist doch nur ein halbherziger Tanz an der Grenze zum Tabubruch: Mit Verdauungsproblemen, Orgien, S/M-Klamotten, Körpersäften in allen Variationen und anderen Klischees von Dämonen und Dämonenwirken wird zwar immer wieder kokettiert – diese Ingredienzen bleiben allerdings ohne große Nachwirkung und machen ein wenig den Eindruck, als hätten sie zum Thema Dämonen eben dazu gehört. Andere Autoren, die die düstere Sparte der Fantasy bedienen, haben diesbezüglich weitaus finsterere und beeindruckendere Tableaus von der dämonischen Fratze des Krieges gezeichnet.

Eine Weltschöpfung ist nur ansatzweise vorhanden und dem Leser wird ein wie von Bürokraten am Reißbrett entworfenes Land namens Orison vorgesetzt, dessen Ordnung die Dämonen dann mehr oder weniger genüßlich über den Haufen werfen dürfen. Ebenso dürftig sind die Nebencharaktere skizziert, fast schon Karikaturen von Menschen, die im Angesicht des Chaos, das in ihr wohlgeordnetes (und dennoch alles andere als perfektes) Leben eindringt, vollkommen ins Surreale kippen, wie etwa der sich selbst geißelnde, sexuell unbefriedigte Mann, der als völlig überzeichnete Figur zum Frauenhasser und -mörder mutiert. Sollte dabei einmal der Ansatz einer tiefgründigeren Betrachtung zum Thema entstehen, wird sie recht schnell in einem Feuerwerk cineastischer und wilder Szenen verbraten, die dem Dämonenkrieg ein grelles Erscheinungsbild verleihen.
Am Ende gibt es noch ein kleines stilistisches Wagnis, das aber den Schluß nicht mehr recht abwenden kann, hier vor allem ein effektlastiges Schaubild zu betrachten, das allerdings trotz – oder gerade wegen – der universellen Interpretationsmöglichkeiten zum Thema „Krieg“ nur wenig mehr ist als die übliche Action-Fantasy der düsteren Sorte.

Dämonenjagd von Jack YeovilKlimakatastrophen, wirtschaftlicher Zusammenbruch und einiges mehr haben die Weltordnung kollabieren lassen. Die Wüsten der USA sind so unbewohnbar geworden, dass sogar die Mormonen aus Utah abgezogen sind. Allerdings hat sich eine andere Sekte, die Josephiner, dort niedergelassen, und ihr Anführer plant nichts Gutes: Mit einem Dämon will er die Datennetzwerke der letzten Organisationen lahmlegen, die noch für Ordnung sorgen. Zum Glück hat der Vatikan bereits eine Spezialagentin losgeschickt: Die Nonne Chantal Juillerat.

„Sagen Sie mal, Mister, was für’n Akzent ist das eigentlich, den Sie da sprechen?“ fragte der Tankwart und hängte den Stutzen in Durocs Wagen.
Teil I: Slims Tank & Grillstation

Bereits die Eröffnungssequenz von Dämonenjagd (Demon Download) hat es in sich und umreißt innerhalb weniger Seiten das Setting und den Ton des Romans – den verwüsteten mittleren Westen mit punktuellen Horten der Zivilisation (mehr oder weniger), bevölkert von meist in irgendeiner Form durchgeknallten Gestalten, während düstere, unheilverkündende Andeutungen inmitten von Ausbrüchen wilden Humors den Text durchwabern und ein schneller Abriss über die alternative Welt von Dark Future in Form von Radio-Beiträgen gegeben wird.
Damit steht man auch schon mitten in einem Setting, das weniger von der Realität entkoppelt ist als Mad Max und weniger retro als die ursprünglichen Fallout-Spiele, das aber trotzdem ganz klar in diese Nachbarschaft gehört, und zugleich die zynische Attitüde des inzwischen etwas angestaubten Cyberpunk mit sich bringt, wo Konzerne nur pro forma von staatlichen Organen verdeckt die Macht in Händen halten und die Politik zu einem Possenspielchen der Unterhaltungsikonen verkommen ist.

Bei Jack Yeovil aka Kim Newman wird es dann gerne noch ein Eckchen zynischer, und was er für Dark Future alles an Anspielungen und Ideen angehäuft hat, basierend auf dem Status quo Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, muss man sich einfach selbst erlesen – an dieser Stelle soll nur versprochen werden: Es wird ein wilder Ritt quer durch alle Sparten. Für die US-Neuauflage der Dark-Future-Romane vor wenigen Jahren gab es im Umfeld der politischen und popkulturellen Anspielungen ein paar Updates, deutsche LeserInnen müssen sich mit den alten Vorstellungen begnügen, und am meisten Spaß macht der Roman ohnehin, wenn man mit dem Zeitkolorit, das er unweigerlich aufweist, etwas verbinden kann.
Den teils absurden, teils äußerst bissigen Kommentaren zu Zeitgeschichte, Film oder Musik gegenüber steht ein regelrechtes Abfeiern sämtlicher Western-, Wüsten- und Endzeit-Klischees, die sich in das ursprünglich für ein Tabletop von Games Workshop entworfene Dark-Future-Setting einbringen ließen: Mutanten, Gangs, Highways, Motorräder – Jack Yeovil weiß, wie man diese Träume in ein so grelles Licht taucht, dass sie beinahe, aber nur beinahe zerplatzen. Den Tabletop-Hintergrund erkennt man allenfalls in den vielen verschiedenen Fraktionen, die auf der Bildfläche erscheinen und gegen die beiden Helden, einen Trooper aus der neu auferstandenen U.S. Cavalry und die Kampfnonne Chantal, antreten, sich ihnen anschließen oder beides nacheinander tun.

Die bis in die bizarrsten Nebenrollen authentischen Figuren holen den Spaß dann auch wieder auf solideren Boden zurück – zumindest so solide, wie es eine schöne Kampfnonne mit Hacker-Ausbildung hergibt. Chantal, deren Reize klassischerweise durch ihr Nonnendasein eher erhöht als gemindert werden (und die mindestens seelenverwandt mit Genevieve Dieudonné sein muss, Yeovils Heldin aus seinen Warhammer-Romanen), ist nicht die einzige, bei der der Autor ausführliche Rückblenden zur Charakterisierung einsetzt und damit auch weiteres Weltgeschehen außerhalb der US-Wüstenei sichtbar macht.
Die Dialoge sitzen und lesen sich wie aus einem Filmskript, und auch viele andere Momente verwandeln sich im Kopf wie von selbst in bewegte Bilder. Dass Dämonenjagd von der Verfolgungsjagd über klassische Schießereien bis hin zu Explosionsfeuerwerken über alle Nuancen eines rasanten Actionkrachers verfügt, tut das Seine dazu. Und da der titelgebende Dämon ein höllisches Ungetüm ist, das zurecht den unglaublich modernisierten Vatikan auf den Plan ruft, ist der Bodycount hoch und es wird ziemlich blutig, inclusive einiger Splatterszenen und anderer schriller Action.

Trotzdem erreicht Dämonenjagd eine andere Ebene als lediglich die der augenzwinkernden Popcorn-Unterhaltung, denn sowohl Anspielungen als auch Handlungs- und Figurenhintergründe lassen bitterböse Abgründe aufklaffen. Bei allen aufgemotzten Autos, saufenden, schießwütigen Priestern, harten Männern und noch härteren Frauen geht das deutsche Trash-Cover daher am Wesentlichen weit vorbei, denn all diese Klischees werden mit einem satirischen oder zumindest überdrehten Bruch gewürdigt, und der Wüstenstaub, den sich verselbständigende Motorräder und wildgewordene Kampfroboter aufwirbeln, schmeckt bitter.

Cover des Buches "Dämonensommer" von Terry BrooksEs ist der heißeste Sommer seit Jahrzehnten, als zwei unheimliche Fremde in das Städtchen Hopewell in Illinois kommen. Der eine stachelt die Streitigkeiten der Bewohner an, der andere hat offenbar die Fähigkeit, die Schrecken der Zukunft vorherzusehen. Und da ist Nest Freemark, ein junges Mädchen, das auf mysteriöse Weise mit den beiden Männern verbunden ist. Sie kann die übernatürlichen Wesen wahrnehmen, die bereits die ganze Stadt in ihren Bann geschlagen haben …

-Er steht allein im Zentrum einer der vielen ausgebrannten Städte Amerikas, doch in dieser war er schon einmal. Selbst in ihrem zerfallenem, geschwärztem Zustand sind die Gebäude, die ihn umgeben, erkennbar.(…) Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße hängt ein großes Plakat in Fetzen herab: Willkommen in Hopewell, Illinois! Wir wachsen euch ans Herz!-
Prolog

Mit Dämonensommer (Running with a Demon beginnt Terry Brooks eine fantastische Trilogie rund um das Mädchen Nest Freemarks. Sie lebt mit ihren Großeltern in dem beschaulichen Örtchen Hopewell, wobei ihr Leben alles andere als beschaulich ist. Im Geheimen führt sie einen Kampf gegen die “Fresser”, geheimnisvolle Wesen, die nur die Frauen von Nests Familie sehen können. Normalerweise sieht sie nur wenige von ihnen, doch in letzter Zeit werde es immer mehr. Und sie fangen an, Menschen anzugreifen. Gleichzeitig tauchen zwei Fremde auf, die beide mit Nest in irgendeiner Verbindung zu stehen scheinen.

Terry Brooks ist zurecht ein hochgelobter Fantasy-Autor: Dämonensommer zeichnet sich nicht nur durch eine mitreißende Handlung aus; durch den Sprachstil des Autors wird eine fantastische Welt aufgebaut, die den Leser sofort in ihren Bann zieht. Die Charaktere wirken überzeugend und der Waldschrat Pick bringt gekonnt ein wenig Humor in die ansonsten sehr düstere Handlung. Es gelingt dem Autor über den gesamten Roman einen Spannungsbogen aufzubauen, so dass es auch zwischendurch nicht langweilig wird. Offene Fragen werden bis zum Schluss auch offen gehalten, so dass das Ende nicht nach den ersten zwanzig Seiten vorhersehbar ist.
Als Einziges gestört hat mich der Name der Hauptfigur, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein.
Der Anfangsroman des Zyklus macht jedenfalls süchtig und man will sofort nach dem nächsten Band greifen.

Darkness on the Edge of Town von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– According to the Bible, here’s how it all went down. You’ve got the word and the darkness and not much else. The two of them are just sort of hanging out together. The word and the darkness, chilling together in the void. And then the word says, “Let there be Light” and there was. And things continued just fine after that, for the most part.
Then, millennia later, some asshole comes along and fucks it all up.” –
One, S. 7

Darkness on the Edge of Town (Am Ende der Straße) ist das hinterlassene Notizbuch des Protagonisten Robbie Higgins. In Form rückblendender Aufzeichnungen schildert er dem Leser die Ereignisse, die mit der Ankunft der Dunkelheit begonnen haben. Die Art dieser Notizen und die gelegentlich direkte Ansprache des Lesers zielen einerseits auf ein unmittelbares Nacherleben ab, als würden die Aufzeichnungen just in diesem Moment gemacht, und andererseits erwecken sie den Eindruck, man habe als Leser Robbies Tagebuch gefunden.

Es gibt verschiedene kleine und große Ansätze philosophischer, religiöser und heidnischer Erklärungsversuche bis hin zu einem kritischen Blick auf die moderne Gesellschaft, in der keiner mehr seinen Nachbarn kennt und sich jeder nur noch für sich selbst interessiert. Verstärkt und beschleunigt durch den Einfluss der Dunkelheit, die im Weiteren nicht näher beschrieben wird, brechen daher in Walden die letzten verbliebenen moralischen Werte innerhalb von Stunden zusammen, Folter, Mord und Vergewaltigung werden zu einer alltäglichen, kaum beachteten Tagesordnung. Daneben sind die üblichen Ladenplünderungen schon zu vernachlässigen.

Was nun zunächst einmal gar nicht so schlecht beginnt und eine mysteriöse Endzeit-Geschichte mit Gruselfaktor versprechen mag, entpuppt sich als langweiliger Klon hundertfach erzählter Geschichten, ein bisschen Stephen King, ein bisschen Nebel des Grauens etc. – wäre es wenigstens eine gut durchdachte, spannende Erzählung, so könnte man den Roman sicher trotzdem genießen, so jedoch ist Darkness on the Edge of Town eine große Enttäuschung und leider auch eine Beleidigung für das Horror-Genre.
Der sprachliche Stil ist sehr einfach, man könnte auch sagen: zum Erbrechen simpel und stellt eine Ansammlung von Slang, Schimpfworten und gerauchten Joints dar. Die Handlung wirkt stark konstruiert und in sich nicht konsequent, es geschehen immer wieder die gleichen Dinge, dieselben Formulierungen tauchen regelmäßig auf, bestimmte Tatsachen werden zur Genüge wiederholt, auf dass der Leser sie auch wirklich zwischendurch nicht vergesse. Ein Widerspruch jagt den nächsten und weitere zahlreiche Ungereimtheiten tummeln sich unter dem Mantel des Mystery-Horrors.
In jedem Satz spürt man die Bemühung des Autors, etwas von der Furcht und dem Horror zu vermitteln, von dem der Ich-Erzähler in allzu gelangweilter, emotionsloser Manier berichtet, er scheitert dabei entsprechend auf ganzer Linie, trotz der eingangs erwähnten guten Ansätze. Auch der Versuch, einen Running-Gag einzubauen, muss vor der erzwungenen Komik der Sache kapitulieren.

Von den Charakteren kann man leider ebensowenig erwarten wie vom Rest dieses schmalen Romans. Sie bleiben bis zum Schluss blass und vermögen es nicht, den Leser in irgendeiner Form zu beeindrucken. Falls sie etwas anderes als uninteressant sind, dann kann man wohl nur sagen dumm und unglaubwürdig, zumindest verhalten sie sich häufig so, wenn sie nicht gerade wieder eine Bong mit Mariuhana rauchen.
Es mag eine Frage des persönlichen Geschmacks sein, doch es gab schon deutlich besser funktionierende Anti-Helden oder auch völlig normale Alltagsmenschen, die sich im Mittelpunkt einer hoffnungslosen Situation wiederfinden.

Was bleibt abschließend über diesen Roman zu sagen? Nachdem man sich schließlich fast 190 Seiten lang durch diese trockene Erzählung gekämpft hat, in der Hoffnung, die letzten Seiten würden einen für das Durchhalten entschädigen, schließt Darkness on the Edge of Town mit einem offenen Ende ab, welches noch einmal einen letzten kläglichen Versuch unternimmt, ein “Ende-der-Welt” Gefühl aufkommen zu lassen.
Eine insgesamt gute Idee, die leider völlig laienhaft umgesetzt wirkt und wohl eher als notdürftiger Lückenfüller taugt. Schade.

Cover des Buches "Das magische Herz" von Donna BoydIm alten Ägypten werden Han, Akan und Nefar im Hause des Ra zu Magiern ausgebildet. Rasch erkennen sie, dass sie die Welt beherrschen können, wenn sie ihre magischen Kräfte gemeinsam einsetzen. Nachdem die drei im Haus des Ra eine Katastrophe ausgelöst haben, gelingt es ihnen tatsächlich, die Macht in Ägypten an sich zu reißen, doch gleichzeitig beendet ein Verrat ihre Freundschaft. Von diesem Zeitpunkt an geht Han jahrhundertelang seinen eigenen Weg, an dessen Ende ein aufsehenerregendes Verbrechen steht.

-Selbst jetzt hatte er das Bild vor Augen: die Blutfontäne, die in einem hohen Bogen aus der Halsschlagader schoss und sich anmutig gegen den sonnendurchtränkten Himmel wölbte, wo sie einen Moment lang wie erstarrt in Zeit und Raum verharrte, feucht glänzende Tropfen des Lebensflusses, die wie geschmolzenes Gold in einer zähen Suspension wirbelten und tanzten, ehe sie in einem weichen, sanften Sprühregen Gesicht und Haut und Haare benetzten.-
NEW YORK GEGENWART

Obwohl -oder vielleicht gerade weil- die Autorin eine Vielschreiberin ist, die schon mehr als fünfzig Bücher veröffentlicht hat, wirkt Das magische Herz (The Alchemist) als hätte sie sich beim Verfassen dieses Romans genau an das Handbuch für den hoffnungsvollen Fantasyautor gehalten:
1. Zu Beginn mache man den Leser neugierig, indem man ein möglichst grausames Verbrechen schildert.
2. Danach lasse man einen mysteriösen Fremden auftreten, der von sich behauptet, er lebe schon seit ewigen Zeiten und der seine Geschichte einem Normalsterblichen des 20./21. Jahrhunderts erzählt. Am besten geeignet ist die Konstellation “Vampir/Journalist”, sollte Ihnen jemand diese Idee unverschämterweise gestohlen haben, bevor Sie mit dem Schreiben ihres Romans angefangen haben, behelfen Sie sich mit einem ägyptischen Magier und einer Psychotherapeutin.
3. Um zu verhindern, daß der Leser sich langweilt, schildern Sie in regelmäßigen Abständen ein schreckliches Ereignis, das eines der folgenden Szenarien beinhaltet: Ein verheerendes Feuer, einen Mord, bei dem unbedingt Blut spritzen muß oder jemand verspeist ein lebenswichtiges Organ eines anderen. Gegebenenfalls kann man diese Vorgänge beliebig miteinander kombinieren.

Auf gewisse Weise funktioniert dieses Konzept sogar. Die Geschichte ist einigermaßen spannend, Han, Akan und Nefar sind so gestaltet, daß der Leser ihr Schicksal mit Interesse verfolgt und es gibt einige gut geschriebene Szenen, z.B. die, in der die drei entdecken, daß sie fliegen können. Die Freude, die sie dabei empfinden, springt direkt auf den Leser über. Andererseits merkt man dem Roman zu sehr an, daß er schnell dahingeschriebenes Unterhaltungs-Fast-Food ist.

Donna Boyd hat sich wenig Mühe mit der Schilderung des Umfeldes gegeben. Die Orte, an denen die Handlung spielt, sind, wenn überhaupt, nur durch wenige Worte charakterisiert. Ägypten erkennt man hauptsächlich daran, daß die Begriffe “Pharao”, “Wüste” und “Ra” vorkommen. Diese marginale Charakterisierung ist nicht dazu geeignet, vor dem geistigen Auge des Lesers die reiche Kultur des alten Ägyptens entstehen zu lassen.
Ganz unglaubwürdig wird die Geschichte, wenn der mysteriöse Fremde erzählt, daß sie an elektronische, mit Solarstrom betriebene Verkehrsmittel (dachten). Auch wenn er dies in der Gegenwart erzählt und wenn die drei die mächtigsten Magier des alten Ägyptens waren, dann wäre es weitaus stimmiger, wenn sie daran gedacht hätten Wagen zu bauen, die durch die Kraft der Sonne angetrieben würden.Boyds Wortwahl ist unpassend und zu häufig anachronistisch. Erstaunt ist der Leser auch, wenn Han, Akan und Nefar mitten in Ägypten darüber nachdenken, in ein anderes Land zu reisen und zwar nach Afrika (!!!).
Der zweite Teil des Buches trägt die Überschrift Zeitalter der Entdeckungen Venedig 1586. Zeit und Ort sind hier völlig willkürlich gewählt und austauschbar. Die Episode könnte genauso 1498 in Madrid oder 1743 in Paris spielen.

Ein wenig mehr Mühe hätte sich die Autorin schon machen dürfen, so ist der Roman zwar durchaus lesbar und unterhaltsam, wirkt aber lieblos dahingeschludert.

Daughter of the Blood von Anne BishopIm von Magie durchzogenen Tereille unterdrücken und quälen Frauen die Männer, diese wiederum versuchen die Frauen durch Vergewaltigung zu “brechen” und ihnen dadurch ihre Magie zu rauben. Doch es wurde die Ankunft einer mächtigen Hexe prophezeit, die Erlösung bringen soll. Als sie schließlich erscheint, ist sie Jaenelle, ein kleines Mädchen mit unendlicher Macht, und sie hat nur wenige Beschützer: Saetan, der sie gerne unter seine Fittiche nehmen würde, und Daemon, der seit Jahrhunderten auf ihre Ankunft gewartet hat, um ihr Liebhaber zu werden. Doch dem Mädchen drohen von vielen Seiten Gefahren, während ihre Beschützer sich nicht einmal gegenseitig vertrauen.

-I am Tersa the Weaver, Tersa the Liar, Tersa the Fool. When the Blood-Jeweled Lords and Ladies hold a banquet, I’m the entertainment that comes after the musicians have played and the lithesome girls and boys have danced and the lords have drunk too much wine and demand to have their fortunes told.-
Prologue, Tereille

Die Dark Jewels (Die schwarzen Juwelen) von Anne Bishop haben eine große Fangemeinde, stellen sich aber bereits im Auftaktband als – in eine hübschere Formulierung lässt es sich leider nicht verpacken – Schrott heraus. Düster und erotisch soll es werden, klischeehaft und sexistisch liest es sich. Von den interessanten Details sollte man sich nicht blenden lassen, das vorgebliche Spiel mit Stereotypen ist schnell vorbei, und “subtil” ist ohnehin ein Fremdwort. Die bösen Kerle zum Beispiel, die auf die einfallsreichen Namen Daemon, Lucivar und Saetan hören, sind eigentlich ganz nett. Daemon etwa, ein bitterböser Lustsklave, der auch als “der Sadist” bekannt ist, ist charismatisch, gutaussehend, smart und baut auch mal einen Schneemann. So weit, so unspektakulär. Augenzwinkernder Humor, um die “Düsternis” etwas aufzulockern, in allen Ehren, die Brechstange hätte aber auch in der Autorenwerkzeugkiste bleiben können.

Haben wir es also vielleicht mit einer interessanten Spielerei mit Geschlechterrollen zu tun? Viel zu innovativ gedacht! Die Frauenherrschaft der magiebegabten Herrscherkaste der “Blood” ist ein dünnes Deckmäntelchen für allerlei Folter- und Sexszenen, in denen übelste Klischees gewälzt werden: Jede Frau hat ihre helle Freude daran, ihre Macht durch das Quälen von Männern auszuleben (mittels eines magischen schmerzinduzierenden Ringes … nicht am Finger), die Männer wehren sich mit Vergewaltigung, die die Magie der Frauen zerstört, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt geschieht. Erzählt wird aus der Perspektive der männlichen Hauptfiguren (Saetan und Konsorten).

Immerhin, es naht Rettung, denn mittendrin in diesem ekelhaften Sumpf ist die kleine Jaenelle, gesegnet mit unendlicher Macht. Ihre Macht ist ein Fakt, sie wird niemals motiviert, erklärt oder in ihren Wirkmechanismen erläutert, aber jeder erstarrt vor Ehrfurcht oder will sie nutzbar machen. Dass der erwähnte Daemon, der den Ruf als tollster Sexsklave des Reiches pflegt, dann auch mit dem kleinen Mädchen in die Kiste will und kaum an sich halten kann – er ist schließlich ihr prophezeiter Partner – setzt dem Wust an Widerwärtigkeit die Krone auf. Und es wirkt wie blanker Hohn, dass Jaenelle an anderer Stelle in Daughter of the Blood (Dunkelheit) misshandelt wird und daraufhin ein sensibler Umgang mit dem Thema Kindesmissbrauch geheuchelt wird.

Selbst mit einem Faible für erzwungene, affektierte Düsternis (klar, dass alle schwarz tragen) wird es schwierig, über diese abstoßenden Einzelheiten hinwegzusehen. Das Konzept, die strenge Hierarchie mit (düster-farbigen) Edelsteinen, die Giftringe, Schwarzen Witwen und Dämonen sind aber offenbar anziehend genug. Ideenlos ist Bishop auch gewiss nicht, die Weltschöpfung könnte eine gewisse Ästhetik ausstrahlen, und eine leidlich gute Erzählerin ist sie auch. Solch düstere Entwürfe findet man aber auch bei anderen AutorInnen und kann dieses Machwerk getrost links liegen lassen.

Cover von Dea Mortis von Andreas GößlingRick Nadar ist 25 Jahre alt und will jetzt, da seine Freundin Rachel im fünften Monat schwanger ist, ein geregeltes Leben führen. Also arbeitet er nun als Sicherheitsbeauftragter in einer Computerfirma. Doch aus seinem Traum von einem normalen Familienleben wird nichts. Als er von seiner Schicht nach Hause kommt, fordert ihn seine Freundin auf, sofort mit dem Auto loszufahren, sie könne nicht in dieser Stadt bleiben. Sie brechen auf, ohne daß Rick erfährt, wohin die Reise geht. Nachdem sie in mehreren Hotels abgestiegen sind, in denen merkwürdige Dinge vor sich gehen, gelangen sie zur Stadt Idleton. Dort verschwindet Rachel und Rick muß bald feststellen, daß er in Idleton seines Lebens nicht sicher ist.

-Diese Woche hatte Rick Nadar Nachtschicht, und als er um fünf Uhr früh nach Hause fuhr, ging über den Hügeln von New Providence gerade die Sonne auf.-
1.Kapitel NEW PROVIDENCE

Andreas Gößling hat sich zu seinem Roman von Bildern H.R. Gigers inspirieren lassen, die dieser in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen hat. Diese Bilder sind es, die DEA MORTIS (=Die Göttin des Todes) zu einem besonderen Buch machen. Viele von Gigers Schwarz-Weiß-Zeichnungen wirken wie eine Kreuzung von Gemälden Boschs und Brueghels mit dem Film Metropolis, da er häufig dämonische Geschöpfe mit maschinenähnlichen Gebilden, Stahlkonstruktionen oder futuristisch anmutenden Häuserfassaden, die aber genausogut Teile eines gotischen Doms darstellen könnten, verbindet. Die Bilder sind verstörend, unheimlich und voller religiöser und sexueller Bezüge. Wer also seinem achtjährigen Sprößling nicht erklären möchte, was sich da auf einigen Bildern so augenfällig in die Höhe reckt und auch schon mal direkt von unten in die Mitte zwischen die nackten Backen (denen auf der Hinterseite wohlgemerkt) einer Frau zielt, der sollte das Buch kindersicher aufbewahren.
Der Roman ist leider weder so verstörend, noch so unheimlich wie Gigers Bilder. Man wird nie das Gefühl los, daß man zwar nicht die Geschichte kennt, aber die Einzelteile, aus denen sie zusammengesetzt ist. Und allzu oft ist dem Leser von vorneherein klar, daß Andreas Gößling versucht, Erwartungen zu wecken, die er nicht einhalten wird. Wenn Rick Nadar sich also zu Beginn plakativ ausmalt, wie er mit seiner großen Liebe Rachel und dem gemeinsamen Kind das idyllische Leben einer Kleinfamilie führen wird, dann muß man weder ein Prophet sein, noch über langjährige Leseerfahrung verfügen, um zu wissen, daß sich seine Vorstellungen in Null Komma Nichts in Luft auflösen werden. Und wenn eine schwangere Frau holterdipolter darauf besteht, die Stadt zu verlassen, ihrem Liebsten nicht sagt, wohin die Reise geht, sondern ihn einfach durch die Gegend dirigiert, dabei wie ferngesteuert wirkt und unbedingt in äußerst merkwürdigen Hotels mit noch merkwürdigeren Bewohnern absteigen möchte, dann wird der Leser nicht unbedarft daran glauben, daß schwangere Frauen eben so komische Dinge machen und derartige Reisen für sie genauso normal sind, wie das plötzliche Verlangen, saure Gurken mit Erdbeeren und Schlagsahne zu verspeisen. Selbstverständlich wird er annehmen, daß sich die Geschichte entweder in Richtung Rosmarys Baby oder Alien entwickeln wird. So ist der Überraschungseffekt und damit auch ein Großteil der Spannung erstmal gestorben.
Im weiteren Verlauf erinnert der Roman weniger an bekannte Filme, sondern mehr an Albträume. Gößling beschreibt, immerhin ziemlich eindrucksvoll, Traumbilder, die jeder kennt, entweder aus eigenem nächtlichen Erleben oder weil sie hinlänglich bekannt sind. Ob Rick Nadar nackt auf der Straße steht, ob er von Jugendlichen verfolgt wird, die ihn verstümmeln und ermorden wollen oder ob er bei seiner Flucht kaum von der Stelle kommt, – die unheimlichen Frauen, bis hin zur Opfer fordernden Göttin, dazu die Erinnerungen Ricks an seine Kindheit und der Hinweis, daß hier Dinge vor sich gehen, die er so ähnlich in einem Film gesehen hat – das alles stößt den Leser mit der Nase darauf, daß hier surreale Traumbilder erzählt werden. Man erliegt nicht einen Augenblick der Illusion, hier könnte einem Menschen wie Du und Ich wirklich etwas Furchtbares passieren, was einem – Gott bewahre- vielleicht selbst zustoßen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering scheinen mag. Aber nur, wenn es dem Autor gelingt, die Illusion wenigstens für einen Moment zu erschaffen, das Beschriebene könnte Realität sein, sodaß man erschrocken bei der Lektüre zusammenzuckt, wenn die schwangere Freundin ins Zimmer kommt und sagt: “Komm Schatz, laß uns einen Ausflug mit dem Wagen machen”, kann wirklich Spannung aufkommen. Hat man jedoch den Eindruck, hier wird ein Traum beschrieben und man nur noch rätseln darf, ob es der Albtraum des Autors nach der Betrachtung der Bilder H.R.Gigers ist, der des Helden, den unterbewußt doch die Panik vor einem Familienleben gepackt hat oder ob Gößling diese Traumbilder aus anderen Büchern zusammengetragen und mit Mythen vermischt hat, dann mag man vielleicht bewundern, wie der Autor Bilder in Sprache umgesetzt hat, atemberaubende Spannung kommt jedoch nicht auf, weil jeder Leser weiß: Albträume mögen zwar einige Zeit bedrohlich wirken, aber letztendlich sind Träume nur Schäume, von denen keine Gefahr ausgeht.

Death Masks von Jim ButcherDas Grabtuch von Turin wurde aus dem Vatikan gestohlen, und Harry soll es finden. Was anfangs nach einer einfachen Aufgabe klingt, wird schnell brenzlig, als Harry es mit Auftragskillern, gefallenen Engeln, einer kopflosen Leiche mit zahllosen Krankheiten und dem Champion des Roten Hofes der Vampire zu tun bekommt. Als wären das noch nicht ausreichend Herausforderungen, taucht auch Susan plötzlich vor Harrys Türe auf und hat einen anderen Mann dabei.

– Some things just aren’t meant to go together. Things like oil and water. Orange juice and toothpaste.
Wizards and television. –
Kapitel 1, S. 1

Ein Vampir, ein Priester und ein Magier gehen in eine Talkshow …
Klingt wie der Anfang eines Witzes? Ist es aber nicht. Zumindest nicht für Harry Dresden, denn wie der geneigte Leser inzwischen gelernt haben dürfte, ist Harry ein Magnet für schwergewichtige Probleme, und davon am besten gleich mehrere an verschiedenen Fronten. In Death Masks (Silberlinge) treffen wir daher auf zwei große Handlungsstränge. Einmal wird der Krieg zwischen den Vampiren und den Magiern wieder aufgegriffen: Harry wird vom Champion der Vampire des Roten Hofs zu einem Duell herausgefordert, dessen Ausgang über den gesamten Krieg entscheiden soll. Um es für Harry auch ganz persönlich schwierig werden zu lassen, taucht Susan plötzlich vor seiner Türe auf, noch immer mit dem Vampirgift infiziert und in Begleitung eines anderen Mannes. Damit ist der Tag für Harry freilich bereits gelaufen, doch Harry wäre nicht Harry, wenn ein solcher Tag nicht noch wesentlich schlechter werden könnte. Damit sind wir auch schon beim zweiten großen Handlungsstrang, der buchstäblich biblische Ausmaße annimmt. Gefallene Engel haben es nicht nur auf das Turiner Grabtuch abgesehen, sondern auch auf Harry selbst. Ein Glück für den Magier, dass Michael und zwei weitere Kreuzritter zur Stelle sind, um ihm den Allerwertesten zu retten.

Die Qualität der Dresden-Bücher schwankt leider immer wieder von “einfach genial” zu “so lala” und diesmal sind wir näher an lala als an genial. Nach dem sehr starken vierten Band Summer Knight (Feenzorn) war zu erwarten, dass Death Masks einen schwierigen Stand haben würde. Schade, denn die Ideen sind durchaus gut, doch es gibt verschiedene Altlasten, die allmählich lästig werden. So wird die Geschichte nunmehr zum fünften Mal damit eingeleitet zu erklären, wer Harry ist und was er macht, wie er lebt, wer Bob und Mister etc. sind … Danke, Herr Butcher, doch nach fünf Bänden weiß die Leserschaft, was sie hier zu lesen gedenkt, und muss es nicht immer wieder gesagt bekommen. Ähnlich ist es mit Harrys altmodischem chevaleresken Gebaren in Gegenwart von Frauen, seien sie gerade auch noch so unfreundlich. Wo bleibt da bloß der gesunde Menschenverstand? Eine Frau mit Waffe muss wahrlich nicht beschützt werden, schon gar nicht, wenn sie damit auf einen zielt. Wirklich störend fällt es vermutlich nur deswegen auf, weil so oft wörtlich betont wird, dass Harry altmodisch und galant ist. Vielleicht fürchtet Butcher, seine Leser hätten die Aufmerksamkeitsspanne einer Eintagsfliege, dass er bestimmte Dinge bis zum Erbrechen wiederholen muss, statt einfach Harrys Taten für sich sprechen zu lassen.
Erschwerend kommt hinzu, dass Harry in Death Masks extrem schlecht gelaunt wirkt und der Humor nur schwer durchklingt. Das schwächt den Unterhaltungsfaktor merklich ab und lässt einen verschärft den Blick auf Schwachstellen werfen, wie etwa die etwas seltsame sexuelle Begegnung zwischen Harry und Susan, die eher Bondage-Freunde begeistern dürfte, die eingangs genannten Wiederholungen und auch mal die ein oder andere dumme Entscheidung.

Gut gelungen dagegen sind wie immer der Weltenbau und die Entwicklung der Charaktere, von denen wir auf zahlreiche alte, aber auch etliche neue treffen. Der Leser erhält neue Einblicke in das Leben von Susan, Harry selbst und auch von Michael mit seinen Kreuzrittern. Vor allem mit dem neuen Charakter Archive alias Ivy und dem Auftragskiller Kincaid präsentiert Butcher ein ungleiches Paar, das für all den sonst zu kurz kommenden Humor und die schlechte Laune des Protagonisten entschädigt. Auch werden bereits vorhandene Handlungsstränge aus den vorigen Bänden konsequent fortgesetzt, so dass man auch hier neue Erkenntnisse erlangt. Bloß auf Hausgeist Bob und Ermittlerin Murphy muss man diesmal nahezu verzichten.
Death Masks weist einmal mehr darauf hin, dass es dunkle Geheimnisse in Harrys Familie gibt und er aus einem noch unbekannten Grund deswegen besonders reizvoll für die Denarier – die gefallenen Engel – und deren Anführer Nicodemus ist. Genaues erfährt der Leser leider nicht, die Dinge bleiben rätselhaft und sorgen für genug Neugierde, um auch den Folgeband zur Hand nehmen zu wollen.

Obwohl Death Masks wieder deutlich spröder und weniger unterhaltsam daherkommt als Summer Knight, lohnt es sich, am Ball zu bleiben. Vielleicht ist es auch nur eine Frage des thematischen Fokus. Während sich Summer Knight in der keltischen Sagenwelt bewegte, konzentriert sich Death Masks auf die christliche Mythologie. Doch egal, welche Themenrichtung einem nun mehr zusagt, die Handlungsstränge werden gewohnt temporeich erzählt, und wenn man es mit der Glaubhaftigkeit nicht allzu genau nimmt, dann kann man nach einem Augenrollen auch diesen fünften Roman in der Reihe noch gut genießen.

The Demon and the City von Liz WilliamsDer Dämon Zhu Irzh, der sich vorerst aus der Hölle abgesetzt hat und im Polizeidezernat von Singapur Drei arbeitet, muss in einem Mordfall ermitteln. Bald weisen alle Spuren auf den Mega-Konzern Paugeng, wo sich die Ermittlungen schwierig gestalten, zumal Zhu Irzh nicht gerade die volle Unterstützung seiner menschlichen Kollegen und Vorgesetzten hat.
Paugeng führt in aller Heimlichkeit Experimente an Dämonen durch, und die geheimnisvolle Firmenerbin Jhai Tserai hat Pläne, die weit über diese Welt hinausreichen. Da prophezeit das Testsubjekt Mhara, das sich in der Betreuung der von Schuldgefühlen geplagten Robin befindet, das Ende der Stadt.

-The Chinese inhabitants of Singapore Three say that August is an unlucky month. They say that it is called the month of the dead, for it is always during the endless burning days that the dead return, looking for the living, drawn by blood and breath.-
Prologue

Nach dem fulminanten Serien-Auftakt Snake Agent ist es vielleicht ein wenig ernüchternd, festzustellen, dass der zweite Fall von Detective Inspector Chen eigentlich ein Fall des Dämons Zhu Irzh ist, der sich als irdischer Polizist und temporärer Bürger von Singapur Drei zwar nicht viel daraus macht, auf Erden schlecht gelitten zu sein (so er denn überhaupt bemerkt und nicht übersehen wird), aber außerhalb seiner angestammten Höllenheimat schwer unter Langeweile leidet. Die delikate Interaktion zwischen Chen und Zhu Irzh, die den ersten Band zu einem buchgewordenen Buddy-Movie macht, fehlt damit auf weiten Strecken von The Demon and the City – Chen ist im Urlaub auf Hawaii. Auch auf das Höllendekor und die aberwitzige Bürokratie der chinesischen Hölle muss verzichtet werden, da dieser Fall sich auf der Erde, im Nachthafen und im Himmel abspielt.

Dass dadurch einige der charmantesten Elemente des ersten Bandes verloren gehen, tut weh, auch wenn die Entscheidung letzten Endes nachvollziehbar ist: Da auch The Demon and the City mit himmlisch-höllischen Verschwörungen arbeitet, die am besten durch willige irdische Helferlein vollzogen werden, und wiederum übernatürliche Mächte eingreifen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen, wäre die Gefahr einer Wiederholung groß gewesen, hätte Liz Williams nicht an ein paar Parametern geschraubt.
Zhu Irzh, bisher schon heimlicher Star der Serie, sollte sich als Hauptfigur eigentlich prächtig machen: Er gibt wieder den dämonischen Dandy, der dann am charmantesten ist, wenn er sich ganz undämonenhaft benimmt, doch leider langweilt sein “ich böser, böser Bube”-Gehabe schnell. Schon gut, Zhu Irzh, wir wissen, dass du dir ein Gewissen eingefangen hast und dich hauptsächlich in die blendende Ästhetik des Bösen kleidest!
Zur Entschädigung für das ein oder andere Gähnen gibt es immerhin eine Szene mit Chens hinreißendem bärbeißigen Teekessel, der Zhu Irzh’ Attitüde bricht und für den Lacher des Buches sorgt.

Im Laufe von Zhu Irzh’ Ermittlungen wird eine ganze neue Figurenriege eingeführt, die auch für weitere Bände erhalten bleibt (was allerdings heißt, dass die Geschichten der Figuren aus Snake Agent vorerst nicht weitergeführt werden), daraus sticht vor allem die konfliktbeladene Robin hervor, die zwischen dem, was ihr Gewissen sagt, und den Notwendigkeiten des täglichen Überlebens pendelt, wenn sie jeden Tag zur Arbeit mit ihrem lebenden Versuchsobjekt beim Konzern Paugeng antanzt, weiterexperimentiert und daran leidet, nicht die Wahl zu haben. Liz Williams’ Darstellung der Interaktion zwischen dem Göttlichen (oder Dämonischen) und den Menschen ist ohnehin hervorragend gelungen – einerseits wird die Allmacht der Götter deutlich, und ihre relative Gleichgültigkeit, andererseits gibt es (wohl auch für Götter) ein teils verblüffendes, teils auch hausgemachtes Karma, das für einen gewissen Ausgleich sorgt.

Der Hauptplot ist in The Demon and the City weniger ein eleganter roter Faden als ein Mosaik, das man sich aus verschiedenen Kapiteln und Perspektiven zusammensetzt, und das Bild, das dabei herauskommt, bleibt immer eine Interpretationssache. Beweggründe der einzelnen Beteiligten an der komplexen Verschwörung bleiben schwammig, was zu einem merkwürdigen Hybriden aus verwickelten Einzelheiten und allzu simplen Hintergründen führt.
Es scheint, als würde Liz Williams etwas zu atemlos durch ihre ultrakurzen Kapitelchen hetzen, ohne sich mit Erklärungen oder einem fundierten Aufbau der Handlung zu befassen. Auch in der dürftigen Reaktion der Figuren auf die gigantischen Ereignisse macht sich diese Schieflage bemerkbar.
Williams’ Stärke liegt eindeutig eher bei Einzelszenen, bei der wunderbaren Atmosphäre, die sie in ihrem einzigartigen Setting schaffen kann: in einem Augenblick fremdartig-übersinnlich und im nächsten geerdet, sei es nun im Nachthafen, dem Übergangsort der Seelen, oder in Singapur Drei, das Williams perfekt als globalisierte urbane Metropole präsentiert, in der die Party auch weitergeht, wenn ein Gott gerade einen Wolkenkratzer zertrampelt hat.

Weniger feine Untertöne und weniger Witz als Snake Agent machen aus The Demon and the City einen noch immer gut lesbaren, aber nicht mehr so brillanten Roman wie den Vorgänger. Bei Freunden des maliziösen Schönlings macht Zhu Irzh wohl alles wett, andere müssen abwarten, ob der dritte Band wieder zu alten Stärken zurückfindet.

Cover von The Books of the South von Glen CookNach der Niederlage in Dejagore ist die Lady plötzlich ganz auf sich allein gestellt. Die Black Company ist entweder zerschlagen oder harrt in der von den Schattenmeistern belagerten Festung Dejagore aus. Von Rachegelüsten getrieben, macht sie sich daran, eine neue schlagkräftige Truppe aufzubauen und findet dabei unerwartete Unterstützung von den Anhängern eines finsteren Kultes. Doch diese fragile, von jeder Seite aus Eigennutz geschlossene Allianz birgt mindestens genausoviele Gefahren wie die Ränke, die eine andere ebenfalls auf Rache sinnende Macht gegen die Lady und die Black Company schmiedet.

-Croaker’s fault. His weakness. […] For all his cynicism about motives he’d believed that in every evil person there was good trying to surface. I owe my life to his belief but that doesn’t validate it.- S. 249/250

Dreams of Steel ist der zweite Band der Books of the South und wirkt tatsächlich etwas eigenständiger als der Vorgängerband. Das liegt zum Großteil daran, dass sich die Handlung nach der missglückten Schlacht bei Dejagore fast ausschließlich um die Lady und ihren Rachefeldzug gegen die Schattenmeister dreht. Das bringt durchaus willkommene Abwechslung von den alten Bekannten mit sich, an deren Stelle nun neue teils dubiose, teils durchaus sympathische Nebenfiguren treten. Ebenso gelungen ist es, die Lady als neue Erzählerfigur auftreten zu lassen. Denn in ihrer Mischung aus kaltblütiger Berechnung – die zu teils etwas gar drastischen Maßnahmen führt – und immer wieder durchschimmernder Menschlichkeit bleibt sie die spannendste, weil ambivalenteste, der präsentierten Figuren. Außerdem böten ihre Methoden, die neue Truppe, die sie nun unter ihrem Kommando aufbaut, zusammenzuschweißen und an sich zu binden (gezielte Traumatisierung, Abgrenzung von der Außenwelt), durchaus Stoff, den auszuloten sich lohnen würde, der aber leider nicht weiter thematisiert wird.

Auch Taglios wird nun ausführlicher ausgestaltet und die Anleihen sowohl beim populärkulturellen Bild von Indien als auch beim historischen Indien sind deutlicher zu erkennen. Diese reichen vom dunklen, im Hintergrund agierenden Kult à la Indiana Jones samt farbenprächtig-groteskem mythologischen Hintergrund, in den auch die Black Company verwickelt ist, bis hin zur patriarchalischen Gesellschaft samt Witwenselbstverbrennung. Die selbstbewusste (und auch etwas selbstherrliche) Art der Lady muss in diesem Umfeld für Konflikte sorgen, deren „Lösung“ sehr zum insgesamt deutlich düstereren und brutaleren Eindruck von Dreams of Steel beiträgt, der aber auch der Tatsache geschuldet sein mag, dass die Lady die deutlich ernstere Erzählerfigur ist. Zugleich stellt die entsprechende Szene auch den traurigen Höhepunkt des bereits im Vorgängerroman von jeder Figur gepredigten Priesterhasses dar.

Es empfiehlt sich Dreams of Steel – Cliffhanger am Ende des Vorgängers und Sammelband zum Trotz – nicht gleich im Anschluss an Shadow Games zu lesen, denn dann fällt die Tatsache, dass das erste Drittel des Buches erneut dem Aufbau einer schlagkräftigen Truppe gewidmet ist, weniger negativ auf. Danach sorgt das verstrickte Intrigenspiel, in dem jede der darin verwickelten Parteien mehr als ein Ziel verfolgt, für ausreichend Spannung, sofern man darüber hinwegsehen kann, dass es dem Roman auch hier an wirklich Neuem mangelt. Denn gefährliche Ränke begleiten die Black Company seit dem ersten Band und die Person, die auch in diesem Fall die Fäden zieht, kennt man schon genausolange.
Während die größeren der schwelenden Konflikte, etwa jener zwischen der Lady und ihren kultischen Mitstreitern, eher gemächlich vonstattengehen, wirken andere (Figuren-)Entwicklungen etwas überstürzt, so etwa die zurückkehrenden magischen Fähigkeiten der Lady oder die unglückliche Rolle Mogabas in Dejagore. Die Books of the South enden zwar mit dem vorliegenden Band, die Handlung endet allerdings in einem Cliffhanger, der wohl direkt zu den Books of the Glittering Stone überleiten soll.
Ob Glen Cook in den Folgebänden die vielen verschiedenen Konfliktherde, die sich allein in diesem Roman mindestens verdoppelt haben, zu befriedigenden Enden führt oder eher noch mehr ihrer Art eröffnet, wird wohl darüber entscheiden, ob die Reihe doch noch einmal zu einem gelungenen Abschluss findet, der in The White Rose eigentlich schon vorhanden gewesen wäre, oder ob sie zu lange fortgesponnen wird.

Dunkelheit von Anne BishopIm von Magie durchzogenen Tereille unterdrücken und quälen Frauen die Männer, diese wiederum versuchen die Frauen durch Vergewaltigung zu “brechen” und ihnen dadurch ihre Magie zu rauben. Doch es wurde die Ankunft einer mächtigen Hexe prophezeit, die Erlösung bringen soll. Als sie schließlich erscheint, ist sie Jaenelle, ein kleines Mädchen mit unendlicher Macht, und sie hat nur wenige Beschützer: Saetan, der sie gerne unter seine Fittiche nehmen würde, und Daemon, der seit Jahrhunderten auf ihre Ankunft gewartet hat, um ihr Liebhaber zu werden. Doch dem Mädchen drohen von vielen Seiten Gefahren, während ihre Beschützer sich nicht einmal gegenseitig vertrauen.

– Ich bin Tersa die Weberin, Tersa die Lügnerin, Tersa die Närrin.
Wenn die Damen und Herren mit den Blutjuwelen ein Bankett feiern, bin ich stets die Unterhaltung nach den Musikern und den geschmeidig tanzenden Mädchen und Jungen. Denn wenn die Herren zu viel Wein getrunken haben, verlangen sie, die Zukunft vorhergesagt zu bekommen. –
Prolog

Zu Dunkelheit liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Das dunkle Fort" von Simon R. GreenZehn Jahre nach dem Dämonenkrieg herrscht mehr oder weniger Frieden im Hagreich, der Dunkelwald ist wieder ruhig, Dämonen werden kaum noch gesehen.
Doch dann reißt der Kontakt zu einem Fort ab, das einen Teil des Grenzwaldes zwischen Grundland und Hagreich bewacht. Eine Gruppe Ranger um Duncan MacNeil wird ausgeschickt um herauszufinden, was passiert ist.
Was sie dort finden, übersteigt all ihre Befürchtungen. Tief unter dem Fort lauert etwas Unvorstellbares, und es beginnt zu erwachen …

-“Es ist das Biest. Es weiß, was uns Angst macht.”-
Prolog

Leider muss ich sagen, dass ich mir den Folgeband doch etwas anders vorgestellt habe. Im Gegensatz zu Das Regenbogenschwert (Blue Moon Rising), dem ersten Band des Dämonen-Zyklus, bleibt Green hier durchweg ernst, es finden sich keine Ironie und Anekdoten, kein Witz oder Seitenhiebe auf andere Bücher. Der locker leichte Stil des Autors fehlt irgendwie ganz und ich war überrascht, wie todernst doch plötzlich alles geworden ist. Nicht, dass der Band jetzt von A bis Z schlecht geworden ist. Der Autor schafft es schon, den Leser wieder in seinen Bann zu ziehen und präsentiert eine durchaus spannende Geschichte. Aber ich vermisse eindeutig den Witz, den Green in seinem Vorgängerband so geschickt eingearbeitet hat.

Natürlich darf dann auch nicht die gewisse Portion Tragik fehlen, und so hat mehr als ein Charakter ein sehr schweres Leben hinter sich. Ganz nebenbei fand ich die Namen der Personen alle ein wenig zu englisch (Duncan, Constance, Giles, Jessica Flint…), in einem Land wie dem Hagreich (was ja nun recht wenig mit unserer Welt gemeinsam hat) fällt das doch ziemlich ins Auge.

Außerdem sind mir noch einige Unstimmigkeiten in der Übersetzung aufgefallen. War es z.B. im Regenbogenschwert der “Dunkelwald”, der die Menschen bedrohte, dann ist es nun der “Finsterholz” (!). Solche Kleinigkeiten stören den Lesefluss ungemein, da hätte der Übersetzer ruhig mal im anderen Band nachschlagen können.
Alles in allem also nur eine mäßige Fortsetzung, die lange nicht an den Vorgänger herankommt.

Eis und Schatten von Sarah AshIn dem barbarischen Land Azhkendir herrscht seit Urzeiten der Drakhaon über die Clans, ein Hybridwesen aus Mensch und dem letzten Drachen. Mit dem Tode des lezten Drakhaon geht der Geist des Drakhaoul auf seinen Sohn über, Gavril Andar, der jedoch im Exil lebt und nichts von seinem Erbe und seiner Bestimmung weiß. Die loyalen Diener des Drakhaoul entführen Gavril aus den zivilisierten Ländern, damit er seine Herrschaft antreten kann. Nur seine Mutter versucht, ihn zu befreien und geht dabei ein Bündnis mit dem ehrgeizigen Prinzen Eugene von Tielen ein, dessen Ziel es ist, das alte Imperium mit ihm an der Spitze widerherzustellen.

– Zu Eis und Schatten liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Elric von Michael MoorcockIn The Dreaming City kehrt Elric als rechtmäßiger Thronanwärter in die letzte verbliebene Stadt des einst mächtigen Reiches von Melniboné zurück. Allerdings nicht um den Thron zu beanspruchen, sondern an der Spitze einer Seeräuberarmada und von Rachedurst getrieben. In While the Gods Laugh begibt sich Elric auf die Suche nach einem Buch der Alten Götter, um mehr über die Götter und sein Schicksal in der Welt zu erfahren. Dabei stellen sich ihm nicht nur allerhand phantastische Ungeheuer in den Weg, sondern er lernt auch seinen künftigen Side-kick Mondmatt (im Original Moonglum) von Elwher kennen. Rachsucht treibt den Prinzen von Melniboné in Stealer of Souls dazu, sich einem Komplott gegen den Händler Nikorn anzuschließen, denn dieser beherbergt einen Zauberer, mit dem Elric noch eine Rechnung zu begleichen hat. In Kings in Darkness begeben sich Elric und Mondmatt ins Reich der körperlich und geistig versehrten Orgians, wo sie sich auch noch mit Untoten herumschlagen müssen, dabei aber eine ganz besondere Bekanntschaft machen. In The Caravan of Forgotten Dreams wird Elrics lang ersehnter Friede durch eine sengende Barbarenhorde gestört, deren Anführer sich für einen mächtigen Zauberer hält. In Stormbringer schließlich entspinnt sich der alles entscheidende Kampf zwischen den Mächten der Ordnung und des Chaos.

-Then he realized that he and the sword were interdependent, for though he needed the blade, Stormbringer, parasitic, required a user – without a man to wield it, the blade was also powerless. ‘We must be bound to one another then,’ Elric murmured despairingly. ‘Bound by hell-forged chains and fate-haunted circumstance. […]’- S. 34

Elric von Melniboné ist wohl eine der bekanntesten Heldengestalten der Fantasy, kein Wunder also, dass ihm auch ein Band der Fantasy Masterworks-Reihe gewidmet ist. Ob dieser jedoch geeignet ist, den in den 1960er Jahren entstandenen Helden auch modernen LeserInnen nahezubringen? Der Sammelband umfasst dabei nicht sämtliche Erzählungen, in denen der Prinz von Melniboné eine Rolle spielt, liefert aber dessen ursprüngliche Geschichte. Elric vereint nämlich fünf Erzählungen, als da wären The Dreaming City, While the Gods Laugh, The Stealer of Souls, Kings in Darkness und The Caravan of Forgotten Dreams, sowie den Roman Stormbringer in sich. Dabei liefern die Erzählungen Vorwissen für Stormbringer, in dem Elrics Geschichte in einem großen Finale mündet, gleichzeitig ist in diesem „Kanon“ genug Spielraum für die später verfassten Abenteuer Elrics. Alle diese Geschichten rund um den schicksalsgeplagten Albino sind Anfang der 1960er Jahre entstanden, und man muss sagen, dass nicht alle gut gealtert sind. Hierbei sollte aber auch erwähnt werden, dass diese Erzählungen ursprünglich als Fortsetzungsgeschichten erschienen sind, woraus sich ihr manchmal etwas zergliederter und auch pulpiger Eindruck erklärt.

Eine Schwierigkeit, die sich bei vielen übermächtigen Helden ergibt und die auch Moorcock nicht immer ganz gelungen meistert, ist, wie man diesen vor erzählerisch spannende Probleme stellt. So schwanken Elrics Fähigkeiten eher dramaturgisch als logisch nachvollziehbar von Erzählung zu Erzählung, dabei sind seine übermächtigen Zauberfähigkeiten fast problematischer als seine Schwächen, denn während für letztere mit seiner körperlichen Abhängigkeit von Sturmbringer (im Original Stormbringer) eine immer wieder einsetzbare Erklärung vorhanden ist, bleibt der einmalige Einsatz mancher Fähigkeiten unerklärt.

Auch das Frauenbild ist eines, das zutiefst den historischen Umständen verpflichtet ist, denn in seinen Frauenbeziehungen erinnert Elric mehr an James T. Kirk als an eine tragische Heldenfigur, liegen ihm doch die wenigen Damen, die in den Geschichten eine Rolle spielen, stets zu Füßen. Ebenso verfällt ihm Zarozinia nach nur acht Seiten so sehr, dass sie Elric ehelichen will – nach einer Dialogszene und einer Liebesnacht …
Aber nicht nur die Frauen, auch die übrigen Figuren werden zumeist eher pragmatisch, das allerdings gekonnt, charakterisiert. Mondmatt etwa bleibt stets das willkommene Gegengewicht zum grüblerischen, selbstmitleidbeladenen Prinzen von Melniboné und bringt etwas Humor in die eher bedrückenden Geschichten.

Was Elric zu einem Klassiker der Fantasyliteratur gemacht hat, funktioniert allerdings auch heute noch, und das ist die Figur des Elric selbst. Denn ihn zeichnen an sich weder seine Kampf- und Zauberfertigkeiten noch seine Frauengeschichten besonders aus, sondern sein Außenseiterdasein und sein Potenzial zum Antipathieträger. Körperlich schwach ist er abhängig von seinem schwarzen Runenschwert Sturmbringer, das ihm jedoch nicht nur Kampf- und Zauberkraft verleiht, sondern auch (bösartig) in seine Geschicke eingreift. Diese ambivalente Beziehung spielt in jeder der enthaltenen Erzählungen eine prominente Rolle und wird gelungen in Stormbringer beendet. Das Hadern mit seinem eigenen Schicksal und der (Un-)Ordnung der Welt, sein Hang zum Rachedurst sowie zur Theatralik (auch in Sachen Selbstmitleid) machen ihn zu einer spannend gebrochenen Heldenfigur. Gleichzeitig weist er auch schon beinahe liebenswert banale Schwächen (Höhenangst) und Schrulligkeiten auf.
Auch der Weltenbau ist voller interessanter Aspekte und atmosphärisch-archaischer Szenen und Schauplätze. Gerade in Stormbringer entfaltet sich das Potential der Figur Elric und seiner Welt, das in den Erzählungen nicht immer ganz zum Vorschein kam, voll. Ein größerer Handlungsrahmen, mehr Figurenzeichnung und ein gelungenes Finale entschädigen für so manche Schwäche auf den vorangegangenen Seiten.

Elrics Abenteuer bieten also keinen gänzlich ungetrübten Genuss, die genrehistorische Bedeutung dieser Heldenfigur wird aber dort, wo ihr etwas mehr Raum neben actionorientierten Abenteuern zugestanden wird, offenbar und kann euch heute noch ihre Wirkung entfalten.

The Face in the Frost von John BellairsDie beiden kauzigen Zauberer Prospero und Roger Bacon leben in verschiedenen Königreichen, sind jedoch durch eine langjährige Freundschaft verbunden. Eigentlich genießen die beiden alten Herren viel lieber das Leben statt sich mit der Bedrohung der Welt zu befassen. Doch da sich bereits dunkle Schatten in seiner Gartenidylle breit machen und unheimliche Wesen durch den Keller schleichen, können sie nicht lange warten und müssen all ihre Talente einsetzen um den schaurigen Ereignissen Einhalt zu gebieten.

– Several centuries (or so) ago, in a country whose name doesn’t matter, there was a tall, skinny, straggly-bearded old wizard named Prospero, and not the one you are thinking of, either. –
One

Zeit für klassische Fantasy? – Aber gerne!
The Face in the Frost (Das Gesicht im Eis) bietet all das, was den ursprünglichen Kern der Fantasy ausmacht. Alte Zauberer mit spitzem Hut, eine Kutsche aus Kohlrabi, ein gesprächiger Spiegel, unerhört lebendige Umhänge, die einem im dunklen Keller auflauern, und etliches mehr sind hier ganz normal. Wer nun eine Kindergeschichte wittert, liegt damit aber nicht ganz richtig und täte dem Buch unrecht. The Face in the Frost ist dank seiner schrulligen Protagonisten und einem unverkrampften Worldbuildung sehr humorvoll, bietet darüber hinaus aber auch Themen, die eher Stoff für Erwachsene sind. Intrige, Mord, politische Konflikte und die Folgen begangener Fehler in der Vergangenheit kommen hier in verlässlicher Regelmäßigkeit zum Zuge.

Dieses dünne Büchlein vermag es, seine Leser recht schnell in den Bann zuziehen. Die beiden alten Zauberer sind ein herrliches Duo und die erwähnten Artefakte und Szenen locken mit Leichtigkeit Lacher hervor.
Obwohl die Ideen in The Face in the Frost vielen Lesern vertraut vorkommen werden, ist dieser Roman keineswegs langweilig. Vielmehr sollte man es als den Klassiker betrachten, den es darstellt, mit den damals üblichen Stilmitteln eines Fantasyromans. Die Lektüre lohnt sich allemal, denn John Bellairs’ Erzählkunst schafft es ganz mühelos auf nur knapp 180 Seiten eine farbenprächtige Welt zu erschaffen, deren Atmosphäre sich sehr plastisch und lebendig vor dem geistigen Auge aufbaut.

Für jeden, der sich gerne einmal auf die Wurzeln des Genres zurückbesinnt und märchenhafte Atmosphäre sucht, die nicht gleich Kinderbuch bedeutet, ist dieser Roman daher eine klare Leseempfehlung. Auch Fans von Diana Wynne Jones dürften hier bestens beraten sein. Zu beachten wäre allerdings, dass das Buch sprachlich nichts für Englisch-Anfänger ist.

Illustrationen:
Die Originalausgabe aus den 80er Jahren wurde mit einfachen schwarzweißen Tuschezeichnungen bereichert. Wie es um die Neuauflage aus dem Jahr 2000 steht, ist uns leider nicht bekannt.
In Deutschland ist das Buch bisher nur als Sammlerausgabe bei Edition Phantasia erschienen – mit aufwendiger Aufmachung und farbigen Illustrationen. Eine ausführliche Beschreibung und Bildbeispiele findet ihr im Blog-Artikel zur deutschen Ausgabe (Buch des Monats im April 2011).

Elegeie an die Nacht: Der Fluch der Götter von Jacqueline CareyDie Pläne des dunklen Herrschers Satoris, die Prophezeiung zu verhindern, die seinen Untergang vorhersagt, drohen zu scheitern: Der Träger des Wassers des Lebens, das Satoris’ Macht brechen kann, ist unterwegs zur Festung Darkhaven, und die Heere der freien Völker sammeln sich zum Angriff auf den verhassten Feind. Doch immer noch hat Satoris Cerelinde in seiner Gewalt, die Herrin der Ellylon, die, um die Prophezeiung zu erfüllen, Aracus, den Herrscher der Menschen des Westens, heiraten müßte. Satoris weigert sich, seine Gefangene zu töten, und so müssen seine Marschälle Tanaros, Ushahin und Vorax Darkhaven zur Verteidigung rüsten und die Heere der Fjelltrolle in den Krieg führen, die ihnen unterstehen …

– Alle Linien laufen in einem Schnittpunkt zusammen.
Im letzten großen Zeitalter der Gespaltenen Welt von Urulat, das einst Uru-Alat hieß, nach dem Weltengott, der sie gebar, liefen sie in Finsterflucht zusammen. –
Eins

Zu Der Fluch der Götter liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Der Gejagte von Wolfgang HohlbeinAndrej und Abu Dun haben nach vielen Jahren der Verfolgung und Ruhelosigkeit endlich einen Ort der Zuflucht gefunden. Malta ist für sie eine neue Heimat geworden. Doch der Friede währt nicht lange. Im Jahr 1565 bedroht das Osmanische Reich das christliche Abendland. Die übermächtige türkische Flotte bereitet einen Angriff auf die kleine Insel im Mittelmeer vor, der das endgültige Ende von Ruhe und Frieden für ihre Bewohner, aber auch für die beiden Unsterblichen bedeutet. Denn die Ordensritter kämpfen nicht nur gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, sondern auch gegen einen ungeheuer mächtigen Vampyr …

-Es war nicht das erste Mal, dass er gegen ein Wesen seiner eigenen Art antrat, auch nicht das erste Mal, dass er es mit einem Gegner zu tun bekam, der ihm überlegen war, und doch hatte er noch niemals eine solche … ja, es hatte keinen Sinn zu leugnen: Angst gehabt.-
20. Mai 1565, Seite 216

Das Zitat oben sagt eigentlich so ziemlich alles aus. Andrej und Abu Dun haben es (man staune!) schon wieder mit einem mächtigen Gegner zu tun, dem sie nicht gewachsen sind. Nebenbei wird noch die Geschichte eines aussichtslosen Krieges des Johanniterordens gegen die Türken beschrieben, der aber im ganzen Buch weder richtig in Fahrt kommt, noch irgendwie Spannung erzeugt. Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Manko, denn eines ist der Roman auf keinen Fall: spannend. Die Handlung ist vorhersehbar, die Personen sind nach Schema F konstruiert – es kann einfach keine Spannung aufkommen. Hier und da werden ein paar Antworten auf das Wesen des Vampyrs (wonach Andrej ja seit Anfang des Zyklus sucht) eingestreut, aber natürlich erfährt weder Andrej noch der Leser wirklich etwas über den Vampyr. Und auch der übermächtige Gegner der beiden Gefährten gibt natürlich keine Antworten, sondern wirft weitere Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Am Ende weiß man weder, wer der Vampyr war, noch welche Motive er hat oder was er letztendlich ist. Auch die anderen Personen, die vorkommen, sind sehr streng durchkonstruiert: der alte, aber weise Großmeister, sein ebenso weiser Sekräter, der skeptische (und später böse) Widersacher aus den eignen Reihen und schließlich die armen Opfer des Vampyrs, die Andrej und Abu Dun retten müssen. Und im Hintergrund natürlich die grauenhafte türkische Armee, die aber ohnehin nur wie eine Wolke am Rand des Lesehorizonts auftaucht. Versuche, die menschlichen Schicksale von Belagerung und Krieg zu beleuchten, sind zum Scheitern verurteilt, einfach aus dem Grund, weil Hohlbein es nicht ernsthaft versucht – die Leiden von Andrej (die er seit Jahrhunderten mit sich herumträgt und die mehr als einmal ausführlich erklärt wurden) und später Abu Dun sind ja auch viel interessanter.
Einzig der Schluss rettet das Buch doch noch irgendwie vor dem totalen Absturz, wird doch zumindest die Tragik der Lage deutlich und wie sehr die Unsterblichen eigentlich unter ihrer Unsterblichkeit leiden. Das reicht aber bei weitem nicht aus um das Buch weiterzuempfehlen, einzig eingefleischte Hohlbeinfans, die wissen wollen, wie es weitergeht, könnten es sich überlegen, es zu kaufen. Ein Muss ist es nicht.

Das Gesicht im EisDie beiden kauzigen Zauberer Prospero und Roger Bacon leben in verschiedenen Königreichen, sind jedoch durch eine langjährige Freundschaft verbunden. Eigentlich genießen die beiden alten Herren viel lieber das Leben statt sich mit der Bedrohung der Welt zu befassen. Doch da sich bereits dunkle Schatten in seiner Gartenidylle breit machen und unheimliche Wesen durch den Keller schleichen, können sie nicht lange warten und müssen all ihre Talente einsetzen um den schaurigen Ereignissen Einhalt zu gebieten.

– Schon vor mehreren Jahrhunderten (oder so) lebte in einem Land, dessen Name unerheblich ist, ein großer, dürrer alter Zauberer mit struppigem Bart, der Prospero hieß, aber nicht der, an den Sie jetzt denken. –
S. 15

Das Gesicht im Eis wurde als Buch des Monats ausführlich in der Bibliotheka Phantastika besprochen, dazu bitte hier entlang.
Außerdem liegt eine Rezension der Originalausgabe vor: The Face in the Frost.

Godslayer von Jacqueline CareyDie Pläne des dunklen Herrschers Satoris, die Prophezeiung zu verhindern, die seinen Untergang vorhersagt, drohen zu scheitern: Der Träger des Wassers des Lebens, das Satoris’ Macht brechen kann, ist unterwegs zur Festung Darkhaven, und die Heere der freien Völker sammeln sich zum Angriff auf den verhassten Feind. Doch immer noch hat Satoris Cerelinde in seiner Gewalt, die Herrin der Ellylon, die, um die Prophezeiung zu erfüllen, Aracus, den Herrscher der Menschen des Westens, heiraten müßte. Satoris weigert sich, seine Gefangene zu töten, und so müssen seine Marschälle Tanaros, Ushahin und Vorax Darkhaven zur Verteidigung rüsten und die Heere der Fjelltrolle in den Krieg führen, die ihnen unterstehen …

-All things converge.
In the last Great Age of the Sundered World of Urulat, which was once called Uru-Alat after the World God that gave birth to it, they began to converge upon Darkhaven.-
One

Hält man Godslayer zum ersten Mal in der Hand, kommt man nicht umhin zu fragen, ob Jacqueline Carey es tatsächlich schafft, ihr Epos auf den vergleichsweise wenigen Seiten auch wirklich zu Ende zu erzählen – immerhin wird hier das mittels Prophezeiung erstellte Aufgebot gegen den dunklen Herrscher in die letzte Schlacht geschickt und ein Zeitalter beendet, in insgesamt nur zwei Bänden mit jeweils weniger als 500 Seiten: Das entspricht nicht den Gepflogenheiten der sonst eher zum Format Ziegelstein tendierenden epischen Fantasy.
Und bei diesem Kuriosum allein bleibt es nicht, denn wie schon im ersten Band werden beim Kampf der Guten gegen die allseits ausgewiesenen Bösen die den LeserInnen vertrauten Erzählmuster gehörig auf den Kopf gestellt, so dass man selbst mitentscheiden muss, was in Godslayer gut und was böse ist.
Satoris ist ein düsterer Herrscher, doch da man ihm über die Schulter schauen darf, wirkt der Hass, den ihm die freien Völker entgegenbringen, oft unverständlich. Einmal hat er gewagt, seinem Bruder, dem Schöpfer Haomane, zu widersprechen und dessen Entscheidungen in Zweifel zu ziehen, und schon darf er für allezeit das Böse der Welt repräsentieren und mit Verve niedergemacht werden. Doch auch die sogenannten freien Völker begleitet man auf ihrer Queste – selbstgerecht sind sie vielleicht, aber letzlich handeln sie nur so, wie es ihren Interessen dienlich scheint. All das verlangt der Leserschaft einiges an Eigeninitiative bei der Wahl der Sympathien ab, obwohl ganz in der Tradition der epischen Fantasy um das Wohl der Welt gekämpft wird.

Wie schon beim ersten Band ist die hauptsächliche Inspirationsquelle Careys Tolkien, dessen Weltentwurf mit den dahinterstehenden Ideologien sie aufgreift und aus einer anderen Perspektive die gleiche Geschichte anders erzählt. Das Spiel mit Themen und Zitaten aus dem Herrn der Ringe und dem Silmarillion ist daher mehr als nur eine reizvolle Spielerei, auch wenn etliches, wie etwa der Träger des Wassers des Lebens, der selbiges in die Festung des dunklen Herrschers bringen muss, um ihn zu schlagen, direkt übernommen scheint.
Unaufhaltsam strebt die Geschichte von der ersten Seite an ihrem Ende entgegen – und auch hier ist Carey ihren Vorbildern auf ganz eigene Art treu geblieben: In dem gelungenen Abschluss bleiben nur wenige Fäden offen, und wenn man  mit vielbändigen Fantasyzyklen mit ihren nicht tot zu kriegenden Stehauf-Bösewichten vertraut ist, wird man hier auf eine verblüffend konsequente Lösung stoßen.
Dass für die Seite der freien Völker alles ausgesprochen glatt läuft und die Prophezeiung wie am Schnürchen erfüllt wird, eher zum Leidwesen des Lesers, nimmt Godslayer zuweilen ein wenig den Wind aus den Segeln, denn zum Großteil hat die Autorin auch der Versuchung widerstanden, die Guten als die eigentlich Bösen darzustellen. So wenig man ihnen als Leser den Sieg wünscht, ihre Motive sind dennoch nachvollziehbar und nicht weniger ehrlich als die von Satoris.

Der epische Ton, den Carey mühelos anstimmt, verleiht der Welt Urulat eine tiefe Geschichtlichkeit, all ihren Bewohnern wird ein eigener Zauber zugestanden. Wer schon immer einmal leise in sich hineinschnüffeln wollte, wenn ein Fjell (hier das Pendant zum Ork) erschlagen wird, ist definitiv an der richtigen Adresse.
Vielleicht, wenn man ein nächstes Mal in eine epische Fantasy-Geschichte eintaucht, wird man sich nach der Lektüre von Godslayer hin und wieder fragen, ob der nächste dunkle Lord, der von seinem Thron gestoßen werden muss, nicht doch nur ein missverstandener Rebell ist.

Cover von The Golem's Eye von Jonathan StroudNach den Ereignissen um das Amulett von Samarkand sind zwei Jahre vergangen, zwei Jahre, in denen aus Nathaniel immer mehr John Mandrake, ein ehrgeiziger, gewissenloser Zauberer wurde. Er ist nun mit der Aufgabe betraut worden, die Resistance zu zerschlagen, aber Anhaltspunkte hat er wenige: Er war vor zwei Jahren Kitty, Stan und Fred begegnet. Dann aber richtet etwas Mächtiges großen Schaden in London an – die Verantwortlichen entscheiden, daß es in Mandrakes Ressort fällt, dieses aufzuklären. Aber auch die Resistance um Kitty steht vor einem großen Problem, denn die gegenwärtige Strategie ist ausgereizt. Da teilt ihr Anführer mit, er habe einen Plan, nach dessen Erfolg London in den Grundfesten erschüttert werden könnte…

-At dusk, the enemy lit their campfires one by one, in greater profusion than on any night before.-
Prologue. Prague, 1868

Das Geschehen in the Golem’s Eye (Das Auge des Golem) findet hauptsächlich in London statt, aber es gibt auch kurze Ausflüge nach Prag. Die Herrschaft des von einer Clique machtgieriger, arroganter und hartgesottener Zauberer kontrollierten Britischen Empire zeigt erste Risse: Die Yankees der nordamerikanischen Küste streben nach Unabhängigkeit, das vor 150 Jahren zerschmettere Tschechische Kaiserreich beginnt sich wieder zu rühren und daheim in London agiert die Resistance gegen das Diktat der Zauberer.

In vielen Punkten scheint es die Moderne zu sein: Die Zauberer fahren in dunklen Limousinen, lassen Fotokopien machen und fliegen mit Flugzeugen. Doch dann gibt es eigenartige Rückständigkeiten: Die Schiffahrt wird mit Windkraft betrieben, Soldaten tragen bunte, klimpernde Uniformen und benutzen keine vollautomatischen Waffen. Die Geschichte spielt zwar ausschließlich in Städten, aber ein Gefühl der Urbanität wird nicht vermittelt. Die magischen Elemente dominieren die Geschichte. Da sind die Zauberer, die von ihnen kontrollierten Dämonen, beide sprechen Zaubersprüche und die Mitglieder der Resistance, die alle eine gewisse Resistenz gegenüber Magie besitzen, haben häufig noch eine weitere magische Fähigkeit. Echte nicht-magische Leute und Gegenstände treten nur sehr am Rande auf und haben fast keine Bedeutung. Insgesamt bleibt unklar, welche Zaubersprüche nur Dämonen sprechen können und welche auch von Zauberern genutzt werden können. Dann ist nicht klar, was sich mit Zaubersprüchen alles anfangen läßt oder welche Dämonen über welche Fähigkeiten verfügen: Irgendein kleiner Foliot kann sich unsichtbar machen und Bartimaeus nicht – warum? An diesem Kritikpunkt hat sich also seit dem ersten Band nichts verändert.

Figuren treten zwar nur drei zentrale auf, doch daneben gibt es eine ganze Anzahl weiterer: Kittys Eltern, die anderen Mitglieder der Resistance, ein alter Freund, dann zahllose Zauberer aus den unterschiedlichen Ministerien und “Dämonen”. Einige haben allerdings so kurze Auftritte, daß man sich fragt, warum die überhaupt einen Namen erhalten haben. Vielfach neigen die Figuren leider dazu, sehr ähnliche Charaktere zu haben: Alle Zauberer sind machtgierig und gewissenlos, die meisten “Dämonen” neigen zu einer fatalistischen Sklavenhaltung. Interessant und gelungen dagegen sind die Gewöhnlichen (inklusive der Resistance), hier finden sich Kollaborateure, zögerliche Regimegegner und aktive Widerständische mit vielen unterschiedlichen Motivationen. Die drei zentralen Figuren sind Kitty, Nathaniel und Bartimaeus. Kitty ist seit drei Jahren ein Mitglied der Resistance. Zunächst will das Mädchen einfach nur Rache, aber langsam entsteht ein Einsehen, daß diese Haltung zu nicht viel führen wird. Nathaniel, der sich John Mandrake nennt um seinen wahren Namen zu schützen, ist der Assistent von Mr. Tallow, dem Vorsitzenden der Internen Angelegenheiten. Nathaniel will einerseits Rache für die Demütigung, die er vor zwei Jahren von der Resistance erlitten hatte, und andererseits mehr Macht. Auch wenn er mehr und mehr John Mandrake wird, ist da noch ein Rest vom idealistischen Nathaniel. Bartimaeus schließlich ist ein uralter Djinn, der mehr oder minder widerwillig die Befehle seines Meisters – Nathaniel – ausführt. Mit einem sarkastischen Kommentar ist er allerdings schnell bei der Hand.
Die Geschichte besteht aus zwei Plotsträngen, die nach und nach zusammengeführt werden – allerdings nicht so, wie man meinen könnte. In einem Strang geht Nathaniel den sonderbaren Geschehen in London nach und muß sich immer wieder Gedanken über die Resistance  machen. Dieser Strang erinnert an eine hardboiled Detektiv-Geschichte – nur nicht so “hard”. Nathaniel und Bartimaeus ziehen umher, sammeln Hinweise und geraten in gefährliche Situationen. Hinzu kommt noch ein bißchen Intrigengerangel und viel Korruption. Der andere Strang ist auf Kittys Entwicklung fokussiert – quasi eine Entwicklungsgeschichte. Hier werden ihre wichtigsten Erfahrungen geschildert – warum sie schlecht auf Zauberer zu sprechen ist, wie sie zur Resistance kam und wie sie bemerkte, daß es so nicht weitergeht, bis hin zum großen Coup – und was daraus wird. Hätte es nicht eine so starke Anbindung an die Politik und die Moderne, dann wäre diese Abenteuerhandlung klassischer Sword & Sorcery mit dem vielen Verstecken, Schleichen, Stehlen, Kämpfen und Flüchten sehr ähnlich.

Die Geschichte hat Schwächen am Anfang: Einiges wirkt zu gewollt; Bartimaeus kann man bei seinem schnellen Einknicken seine Wut kaum abnehmen, ausgerechnet Nathaniel soll die Resistance zur Strecke bringen, etc. Auch kommt die Geschichte nur langsam in Fahrt, erst nach knapp hundert Seiten geht es im Hauptplot voran, Kittys Vorgeschichte zieht sich sogar noch etwas länger hin. Dann aber wird es spannend und spannender, es gibt einige echte Überraschungen und ein Ende, das auf die Fortsetzung gespannt macht.
Die Geschichte ist der zweite Teil der Bartimaeus-Trilogie. Zwar ist sie im Großen und Ganzen abgeschlossen, doch es gibt auch einige Fäden, die aus dem ersten Teil stammen und einige Fäden, die noch am Ende offen bleiben.
Es werden drei Erzählperspektiven genutzt. Kittys und Nathaniels Kapitel werden jeweils aus der personalen Perspektive erzählt, Bartimaeus tritt dagegen als Ich-Erzähler auf. In Bartimaeus’ Kapiteln wird häufig von Fußnoten Gebrauch gemacht, um die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens zu symbolisieren. Leider tendiert der Autor dazu Action-Szenen durch Fußnoten massiv an Geschwindigkeit – und damit an Spannung zu nehmen. Während seine Kapitel vor Ironie und Sarkasmus sprühen, sind die der beiden Anderen deutlich ernster. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Der Herr der Dunkelheit von Jacqueline CareySeit Jahrhunderten haust der dunkle Herrscher Satoris in seiner Festung Darkhaven und brütet Armeen von Fjelltrollen und Weren aus, um die freien Völker zu versklaven. Aber eine Prophezeiung des Ersten Schöpfers Haomane besagt, daß Satoris vernichtet werden kann. Eine Verbindung zwischen Ellyl und Menschen ist der erste Punkt der Prophezeiung, und so planen Cerelinde, die schöne unsterbliche Herrin der Ellylon, und Aracus, der vertriebene König des Westens, zu heiraten, um die Erfüllung in die Wege zu leiten. Satoris, der sich seinem rachsüchtigen Bruder ewig widersetzt, versucht die Hochzeit zu verhindern und schickt seine drei Marschälle Tanaros, Vorax und Ushahin hinaus in die Welt. Er ficht einen verzweifelten Verteidigungskampf.

– Der Ort wurde Gorgantum genannt.
Erneut verwundert floh er dorthin, und nach seiner Flucht erging er sich in finsteren Gedanken. Es war keine Niederlage, jedenfalls nicht ganz. Niemand konnte das behaupten, solange er noch lebte und den Gottestöter in seinem besitz hatte. –
Prolog

Zu Der Herr der Dunkelheit liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Herr des Lichts" von Janny Wurts Der Kampf gegen den Nebelgeist ist in vollem Gange, seine Macht schwindet bereits. Zum ersten Mal seit fünf Jahrhunderten sehen die Menschen in Athera wieder die Sonne. Doch während des Kampfes entkommt unbemerkt eine Wesenheit des Geistes und nimmt Lysaer, den Herrn des Lichts, in Besitz. Er sät Zwietracht zwischen den Halbbrüdern und schürt ihren Hass aufeinander. Während der Krönungszeremonie eskaliert die Situation…

-»Ihr braucht mich gar nicht«, schimpfte Dakar. »Warum habt Ihr dann darauf bestanden, dass ich mitkomme?«
»Das hat Kharadmon dir doch bereits erklärt.« Ungehalten ließ Asandir von dem komplizierten Zauber ab. Er wandte sich um und bedachte Dakar mit einem Blick, aufgebracht genug, jenem eine Gänsehaut zu verursachen. »Dein Körper braucht die Bewegung.«-
Verwahrung

Janny Wurts epische Geschichte geht in die zweite Runde. Nach einem gelungenem Anfang versucht sich die Autorin mit Spannung und Dramatik selbst zu übertreffen, und es gelingt ihr sogar. Atemlos verfolgt man den Fluch des Nebelgeistes und seine tragischen Auswirkungen und fiebert einem packenden Finale entgegen. Einzig einige Handlungsmotive und Gedankengänge der handelnden Personen haben sich mir verschlossen, jedoch dem Lesespaß kaum einen Abbruch getan.

Der zweite Teil knüpft nahtlos an die Handlungsstränge des Vorgängers an und übertrifft diesen bei weitem. Der Fluch des Nebelgeistes offenbart sich in schrecklicher Weise und ergreift Besitz von den beiden Halbbrüdern, die sich nun als erbitterte Feinde gegenüber stehen. Der Wandel von Verbündeten zu Feinden ist sehr gut dargestellt und nachvollziehbar, betrachtet man die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Prinzen.

Der Stil von Frau Wurts ist unglaublich packend (und das trotz Übersetzung!). Man verliert sich förmlich in den Seiten, während man in Athera unterwegs ist, und das Buch ist schneller zu Ende, als einem lieb ist. Dabei schafft die Autorin eine stimmige, atmosphärisch dichte Welt, wie man sie selten erlebt. Mit viel Liebe zum Detail erwacht Athera zum Leben. Auch wenn keine Karte mit abgedruckt ist, kann man sich auf der Webseite der Autorin eine interaktive Karte für ein besseres Verständnis anschauen.

Cover von Hexensturm von Sean StewartIn Hexensturm erzählt die Ich-Erzählerin Toni Beauchamps, was im Verlauf des Jahres geschah als ihre Mutter starb und sie selbst eine Tochter zur Welt brachte. Tonis Mutter Elena verfügte über die Gabe des Hellsehens und mußte dafür einen hohen Preis zahlen. Sie besaß ein Schränkchen mit sechs Puppen, die verschiedene Geistwesen symbolisierten, die von Zeit zu Zeit in Elena fuhren und sie besessen machten. Toni haßt diese Wesenheiten und das, was sie aus ihrer Mutter gemacht haben. Als ihre Mutter stirbt, ist Toni fest entschlossen, diese Puppen keine Rolle in ihrem Leben spielen zu lassen. Aber es kommt anders: Elena vererbt Toni das Schränkchen mit den Puppen und damit auch die zeitweise Besessenheit.

-Wenn du auf dem Boden der Flasche angelangt bist, wie meine Mutter zu sagen pflegte, dann erzählt diese Geschichte, wie ich Mutter geworden bin.-
Eins

Sean Stewart hat vor Hexensturm schon “richtige” Fantasyromane geschrieben und über eines dieser Bücher sagte dann wohl jemand es “Erinnert an die besten Romane von Le Guin und an Tolkien“. Wahrscheinlich findet sich dieser Werbespruch seitdem auf jedem Buch von Stewart wieder und hat sich so auch auf die Rückseite von Hexensturm verirrt. Jedenfalls ist er hier so fehl am Platze wie die Bemerkungen “Erinnert an die besten Gebrauchsanleitungen für Waschmaschinen” oder “Noch besser als das St.Petersburger Telefonbuch”. Hexensturm hat mit keiner dieser Feststellungen auch nur im entferntesten irgend etwas zu tun.
Diese ebenso gedankenlose wie falsche Werbung ist zwar mittlerweile gang und gäbe, aber hier ist sie besonders ärgerlich, denn es bringt ein gutes Buch um seine Leserschaft. Bücherfreunde, die einen tolkienähnlichen Roman erwarten, werden Hexensturm nach ein paar Seiten enttäuscht aus der Hand legen und Leser, die solche Bücher lieben, werden es aufgrund des Vergleichs mit Tolkien und Le Guin wieder ungelesen ins Regal zurückstellen.
Tonis Geschichte spielt nicht in einer Fantasywelt, sondern in Houston, Texas, und je weiter man der Handlung folgt, um so realer scheint sie zu sein. Stewart beschreibt beklemmend und eindringlich, wie eines der Wesen sich in Tonis Kopf festsetzt. Niemand, der dies liest, kommt als erstes auf die Idee, hier läge ein Fall von magischer Besessenheit vor, es klingt vielmehr so, als beschreibe ein Patient einem Psychiater seinen ersten Anfall von Schizophrenie oder den Beginn einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Noch erschreckender ist der Gedanke, daß diese Wesen verschiedene Seiten einer normalen Persönlichkeit sein könnten, wie sie in jedem von uns stecken. Tonis “Reiter”, wie sie sie nennt, sind eine leichtlebige und sexuell freizügige Frau namens “Schätzchen”, ein höchst moralischer Priester, eine barsche Witwe, ein Pierrot, der grausame Späße treibt, Herr Kupfer, der eine Vorliebe für Geld hat und eine “Spottdrossel”, die nur nachplappert, was andere sagen. Außerdem hat Elena immer von einem kleinen verlorenen Mädchen erzählt, das von ihrer Mutter verstoßen wurde und nun verzweifelt versucht, wieder nach Hause zu finden. Das klingt wirklich als wären Elena und später Toni Fälle für die Psychiatrie und das Buch erzähle von Tonis Kampf, mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen und nicht völlig dem Wahnsinn zu verfallen. Andererseits ist das Buch viel zu humorvoll geschrieben als daß diese Version zutreffend erscheint und die Anfälle von Besessenheit in Tonis Leben sind relativ selten, im Großen und Ganzen handelt die studierte Mathematikerin und Aktuarin nüchtern und überlegt. Außerdem macht Stewart klar, daß Dinge geschehen, die wirklich magisch sind: Elena konnte definitiv die Zukunft vorhersagen, Candy kann es teilweise und die Geistwesen existieren auch außerhalb von Tonis Kopf. Stewart bewegt sich mit seiner Geschichte auf der dünnen Linie, die man Realität nennt und die die Grenze darstellt zwischen Wahn und Magie. Der Leser hat dabei die Rolle des Beobachters, der darauf wartet, daß die Geschichte zur einen oder anderen Seite hin kippt. Allen rätselhaften Vorgängen zum Trotz nimmt die Realität einen großen Raum in diesem Buch ein und erstaunlicherweise heißt hier das zentrale Thema Mutterschaft. Stewart muß lange Gespräche mit seiner Ehefrau geführt haben, um so lebensnah und überzeugend den Mutter-Tochter Konflikt zwischen Elena und Toni zu beschreiben und um so eindrucksvoll die Ängste zu schildern, die Toni während ihrer Schwangerschaft durchmacht.
Stewart ist ein großartiger Erzähler, er schreibt lebendig, witzig und lebensnah. Das einzig Unbefriedigende an Hexensturm ist, daß er am Ende zu viele Erzählstränge offen und den Leser so in der Luft hängen läßt. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, warum Candy vorhergesehen hat, wie ausgerechnet der unsympathische Bill mit Tonis Baby spielt und wie lange die Ehe von Candy und Carlos hält, der einen Leichenwagen fährt, mit Geistern sprechen kann und Angst vor seiner toten Schwiegermutter hat.
Noch eine Warnung am Schluß: Bei der Lektüre dieses Romans könnten Sie unbändige Lust bekommen, Warentermingeschäfte zu tätigen. Mit Sicherheit werden Sie ihr ganzes Geld verlieren, wenn sie es versuchen, also lassen Sie es lieber bleiben…

Cover des Buches "Imagon" von Michael Marrak Poul Silis ist Geophysiker und hasst den Winter, den Schnee und besonders die Kälte. Doch ausgerechnet er wird nach Grönland ins ewige Eis beordert, um mit einer Gruppe von Wissenschaftlern einen mutmaßlichen Meteoriteneinschlag zu untersuchen. Zahlreiche Menschen wollen das grelle Licht eines Himmelskörpers gesehen haben, und es befindet sich auch ein riesiger Krater im Eis. Von einem Meteoriten aber gibt es keine Spur. Stattdessen werden Schrecken lebendig, die älter als die Erdgeschichte sind.

-Abscheu und Neugier. Grauen und Faszination.
Ich stand vor dem Aqunaki und kam nicht umhin, ihn unverhohlen anzustarren, im Sternenlicht jede Hautfalte zu studieren, jede seiner Bewegungen zu verfolgen und jedes Geräusch wahrzunehmen, das diese bizarre Kreatur erzeugte.-
Kap. 15., S. 271

Imagon aus der Reihe “H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens” ist ein phantastischer Horrorroman, der in der von Lovecraft geschaffenen Welt des Cthulu Mythos spielt.
Der erste Satz beginnt mit: “Ich hasse den Winter”, und schon ist der Einstieg geschafft. Die darauffolgenden Seiten saugen den Leser förmlich in die Person Pouls und ziehen ihn mit in den Strudel der Ereignisse.
Poul ist eine angenehme Identifikationsfigur, und man leidet um so mehr mit ihm, als daß er eine ganz normale Person ist und aus seiner Sicht alles richtig macht, aber dennoch nicht seinem Schicksal entfliehen kann.

Marraks Schreibstil ist flüssig und in seinen Beschreibungen sehr lebendig. Insbesondere die plastische Darstellung der Örtlichkeiten entführt den Leser mit Leichtigkeit an die verschiedenen Handlungsorte. Im Gegensatz zu anderen Autoren, die in Lovecrafts Tradition schreiben, versucht er nicht, dessen Stil zu kopieren. Auch die Handlung ist nicht nur ein einfacher Austausch von Personen und Orten, sondern zeugt von eigener Kreativität. Die Handlungsstränge sind komplex, enthalten überaschende Wendungen und sind nicht linear aufgebaut. Selbst wenn man Lovecrafts Werke gut kennt, lassen sich die Geschehnisse kaum erahnen.
Wer allerdings noch nie mit der Welt der Alten Götter und von Cthulu in Berührung gekommen ist, kann schon ein wenig von den verschiedenen Wesen und ihren Beziehungen zueinander verwirrt werden. Besonders die Auflösung verlangt vom Leser höchste Aufmerksamkeit und geistige Flexibilität.

Insgesamt hat Marrak einen sehr spannenden Phantastikroman geschrieben, der es wert ist, in die Reihe der Lovecraftwelt aufgenommen zu werden. Mit den rund 400 Seiten ist er gerade lang genug, um in die dargestellte Welt einzutauchen und sich mit der Hauptperson zu identifizieren, aber kurz genug, um Längen zu vermeiden.

Cover des Buches "Jürgen" von James Branch CabellNachdem Jürgen auf dem Heimweg das Gute an der Arbeit des Teufels gepriesen hat, bedankt sich bei ihm ein schwarz gekleideter Mann für die freundlichen Worte und wünscht Jürgen ein sorgenfreies Leben. Doch der entgegnet, der gute Wunsch käme zu spät, er sei schon verheiratet. Zu Hause angekommen stellt Jürgen fest, dass seine Frau “wohl von einem Teufel entführt wurde. Der arme Kerl.” So macht sich Jürgen auf eine lange Irrfahrt, auf der er seine Jugend zurückerhält und Gebiete wie Cameliard, der Heimat von Guinevere, und Leuke, der Heimat von Helena, die Hölle seiner Ahnen und den Himmel seiner Großmutter besucht, um das Mannhafte zu tun und Lisa zurückzuholen…

-Im Land Poictesme erzählt man eine Geschichte: Vor langer Zeit lebte dort ein Pfandleiher namens Jürgen; doch die Namen, die seine Frau ihm gab, waren sehr oft viel schlimmer.-
Warum Jürgen das Mannhafte tat

Jürgen ist ein schräger Vogel; in seiner Jugend war er ein Draufgänger, Charmeur und Dichter – im Alter ist er ein dickbäuchiger Pfandleiher geworden, der keine wunderschöne Gräfin geheiratet hat, sondern die nette Tochter des Pfandleihers. Mit seiner Jugend, die er von Sereda erhält, tollt der knapp fünfzigjährige Jürgen durch eine skurrile Welt und versucht sein Glück zu finden. In der Wahl der Mittel ist er nicht zimperlich; schmeicheln, lügen und betrügen sind an der Tagesordnung und kann er einen Gegner nicht im fairen Kampf bezwingen, dann erdolcht er diesen auch schon einmal heimtückisch. Doch die Reise und sein ihn verspottender Schatten verändern ihn.

Gerade oder gar edle Charaktere gibt es hier nicht – König Gogyrvan will belogen werden, König Smoit hat seine Ehefrauen reihenweise ermordet und König Artus taucht persönlich nicht auf. Auch wenn außer Jürgens Charakter keiner näher beleuchtet wird, trifft man nie auf bloße Klischees.
Da Jürgen bereit ist, es mit jeder schönen Frau zu versuchen, begegnet man vielen – einige sind aber mehr als sie zunächst scheinen. Dorothee, seine Jugendliebe, leitet Jürgens Abenteuer ein, die Leschie Sereda ermöglicht es. Im Kern stehen Guinevere, Anaitis und Helena. Mit ihrer Hilfe kann Jürgen seinem Ziel näher kommen – einem Ziel, welches er eigentlich nicht kennt. Bis dahin versucht er seine Frau Lisa zu befreien.

Magie spielt eine gewisse Rolle, so gibt es Zentauren, Trolle, Naturmythen, Engel und Teufel. Doch nichts ist wie gewohnt; die Engel verspotten Petrus und die jungen Teufel wollen die Sünder nicht mehr quälen – sie wollen mehr Freizeit. Jürgen führt ein Zauberschwert, trägt ein magisches Hemd und nutzt den Zauberspruch des Meisterphilologen. Trotzdem drückt sich die Magie eher im Anarchismus der Geschichte als in magischen Gegenständen oder Zauberei aus.
Die Geschichte ist klar an die Odyssee angelehnt, Jürgen versucht Befriedigung zu finden, symbolisiert in der Suche nach seiner Frau Lisa. Für eine Fantasy-Geschichte scheint mir dieses höchst originell zu sein, zumal wenn man bedenkt, dass sie 1919 veröffentlicht wurde. Jürgen stolpert nolens-volens von einer Eskapade zur nächsten um sich langsam über sich selbst klar zu werden.

Insgesamt ist dieses eine Geschichte der Zweideutigkeit, des “Statt dessen”, der Kompromisse. Die Ereignisse sind zwar amüsant, aber immer mit einem tragischen Unterton hinterlegt; Jürgen erhält zumeist das, was er anstrebt, selten ist es aber das, was er will.
Bekannt geworden ist Jürgen als Geschichte der pornographischen Anspielungen. Die sind natürlich enthalten – sogar zu Hauf – da Cabell sich u. a. gegen die Sexualmoral der USA des frühen 20. Jhd. wendet. Jürgen ist ein Auftakt der “Roaring Twenties” – der junge Jürgen würde sich in den 20ern wohlgefühlt haben. Alle Phallus-Symbole (Schwert, Lanze, Szepter, Keule etc.) sind ernst zu nehmen – wenn der betrunkene Jürgen nächtens mit seinem Schwert vor dem Zimmer der Anaitis herumfuchtelt, hat dieses zwei Lesarten. Doch die Geschichte ist mehr als das; sie ist zunächst sehr humorvoll – die Nüchternheit, mit der Anaitis auf die zuvor geschilderte Szene reagiert, ist bezaubernd komisch. Vor allem aber ist es eine Reflexion auf die Jugend, das Alter, Menschlichkeit und deren Auffassung. Auch wenn das Buch für bare Münze genommen an vielen Stellen eine Männerphantasie zu sein scheint – alle Frauen lassen sich von Jürgen betören – löst sich dieses auf, wenn man die Symbole zu interpretieren beginnt. Anzumerken ist noch, daß die Stellen eindeutig zweideutig sind. Man weiß ganz genau, dass Jürgen sich gerade sexuell betätigt, doch lässt sich diese Szene auch ohne Problem ohne sexuelle Anspielung verstehen.

Auch wenn Jürgen Teil des Poictesme-Zyklus ist, lässt sich die Geschichte ohne weiteres verstehen; wer den Rest kennt, kann noch ein wenig mehr über der Part von Koshchei und vor allem Horvendil rätseln, darüber hinaus ist Jürgen aber das extreme Gegenteil von Dom Manuel; im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).
Sprachliche ist das Werk durchaus gelungen, es gibt keine Fehltritte und manch schöne Wendung – an die Sprachgewalt Lord Dunsanys oder Lewis Carrolls Zauber kann es aber nicht heranreichen.

In der Mühle im Koselbruch geht es nicht mit rechten Dingen zu. Als der vierzehnjährige Waisenjunge Krabat dort ankommt, fragt ihn der Meister, ob er nur das Müllerhandwerk lernen möchte oder auch “das andere”. “Das andere auch”, sagt Krabat, ohne zu wissen, dass “das andere” die Kunst des Zauberns ist. Und die hat ihren Preis: In jeder Neujahrsnacht muss einer der zwölf Müllerburschen sterben. Gibt es einen Ausweg?

-Es war in der Zeit zwischen Neujahr und dem Dreikönigstag. Krabat, ein Junge von vierzehn Jahren damals, hatte sich mit zwei anderen wendischen Betteljungen zusammengetan, und obgleich Seine allerdurchlauchtigste Gnaden, der Kurfürst von Sachsen, das Betteln und Vagabundieren in Höchstderoselben Landen bei Strafe verboten hatten (aber die Richter und sonstigen Amtspersonen nahmen es glücklicherweise nicht übermäßig genau damit), zogen sie als Dreikönige in der Gegend von Hoyerswerda von Dorf zu Dorf: Strohkränze um die Mützen waren die Königskronen; und einer von ihnen, der lustige kleine Lobosch aus Maukendorf, machte den Mohrenkönig und schmierte sich jeden Morgen mit Ofenruß voll..-
Founding, 1

Bei diesem Buch handelt es sich um keine leere Phrase, wenn man behauptet, dass niemand, der es gelesen hat, es je vergessen wird. Otfried Preußler erzählt die alte Sage um den Müllerburschen Krabat auf eine derart beklemmende Weise, dass auch den erwachsenen Leser die Furcht packt vor dem einäugigen Müller, dem Gevatter mit der Hahnenfeder, der immer in der Neumondnacht ein besonders grausiges Mahlgut anliefert und vor den unheimlichen Dingen, die in der Mühle am Koselbruch vor sich gehen.
Dass die Geschichte nicht zu düster wirkt, liegt an den komischen Szenen, die es ebenfalls gibt, und vor allen Dingen daran, dass die Liebe eine entscheidende Rolle spielt. Krabat ist nicht nur die spannende Geschichte eines Zauberlehrlings, sondern auch eine der schönsten Liebesgeschichten, die je erzählt wurden. Viele Autoren, die für Erwachsene schreiben, sollten sich ein Beispiel daran nehmen, wie Preußler über die Liebe schreibt, über dieses tiefe und wahre Gefühl, das so weit entfernt ist, von dem kitschigen und verlogenen Zerrbild, das dem erwachsenen Leser in schlechten Fantasyromanen oft zugemutet wird.

Faszinierend ist, dass diese Geschichte nicht in einem Fantasieland spielt, in das man in der Realität nicht gelangen kann. Zwar haben die Ereignisse in der Mühle am Koselbruch zur Zeit August des Starken stattgefunden (wenn sie stattgefunden haben 😉 ), aber alle Orte, die Preußler erwähnt, gibt es heute noch, auch den Koselbruch- in dem eine Mühle steht… .

Also, wenn Sie Gelegenheit dazu haben, fahren Sie nach Sachsen, schauen Sie sich die Originalschauplätze an und seien Sie auf der Hut, wenn Sie einem Einäugigen begegnen.

Das Kristallhaus von Ralf LehmannFernd, den der Alte Niemand zu seinem Erben bestimmt hat, ist eigentlich alles andere als ein Abenteurer und schon gar kein Einzelkämpfer. Von den Ereignissen dennoch zu einem Alleingang gezwungen zieht er eher widerstrebend aus, um das legendäre Kristallhaus zu suchen, in dem der entscheidende Hinweis zur Überwindung des Schwarzen Prinzen verborgen sein mag. Obwohl er unterwegs immer wieder Helfer und neue Freunde findet, verlangt die Reise ins Ungewisse ihm alles ab, denn schon bald erweist sich, dass von äußeren Bedrohungen wie den dämonischen Gifalken, die ihm im Auftrag des Schwarzen Prinzen auf der Spur sind, gar nicht die größte Gefahr ausgeht, der er sich stellen muss …

“Das Holzland ist ein Teil Araukariens und dem Alten Reich als einzige Provinz bis zum Untergang treu geblieben. Die Holzländer, wie sie sich selber nennen, haben dem Born gern Tribut gezahlt – in der Gewisstheit, dass er sie dann meist in Ruhe lässt. Deswegen hat diese Gegend immer eine ziemliche Eigenständigkeit bewahrt.”
(1. Im Holzland)

Mit Das Kristallhaus legt Ralf Lehmann einen stimmigen Abschluss seiner Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen vor. Wie schon in den ersten beiden Bänden erschüttern Ausgangsidee und Plot das Genre nicht gerade in seinen Grundfesten, aber die liebevoll ausgearbeitete, in oftmals poetischen Wendungen heraufbeschworene Welt überzeugt mit ihrer Fülle ansprechender Handlungsorte weiterhin, unter denen das titelgebende Kristallhaus, eine Bibliothek aus Eis, sicher einer der originellsten und eindrucksvollsten ist.
Ohnehin ist es wieder einmal das Setting mit seiner Verknüpfung von Naturgewalten und Sagen, das die Geschichte trägt, wenn etwa der winterliche Frost personifiziert über eine abgelegene Siedlung hereinbricht oder die aus dem Eingangsband bekannten Tanzenden Berge noch einen unerwarteten Auftritt bekommen. Auch die übrigen Landschaften, die Fernd durchwandert, sind mit ihren naturräumlichen Gegebenheiten und den Eigenarten ihrer Bewohner so detailverliebt geschildert, dass man den Verdacht nicht abschütteln kann, dass Lehmann immer wieder Kenntnisse aus seinem Beruf als Erdkundelehrer in den Weltenbau einfließen lässt. Dieses spürbare Wissen um geographische Zusammenhänge hebt Araukarien und die umliegenden Gebiete über die oft abziehbildartigen Kulissen manch anderer Fantasyromane hinaus.
Zudem steht mit dem verträumten Fernd in diesem Buch ein ganz anderer Figurentypus im Mittelpunkt als der praktisch veranlagte Bolgan oder der abenteuerlustige Hatib, so dass die Wendung ins Innerliche, die seine Queste trotz aller äußeren Fährnisse und Kämpfe nimmt, folgerichtig und glaubhaft wirkt. Entsprechend anders sind auch die Freundschaften, die er schließt, etwa mit dem ähnlich phantasiebegabten Gaetan, der ein weit traurigeres (und realistischeres) Schicksal erleidet, als es bei Hals über Kopf ins Abenteuer ausziehenden Jugendlichen in der Fantasy sonst der Fall ist. Trotz aller amüsanten bis tragischen Begegnungen mit solch gelungenen Nebenfiguren ist Fernd jedoch letzten Endes auf sich selbst zurückgeworfen, was nicht nur darin sinnfällig zum Ausdruck kommt, dass die beiden anderen Helden Bolgan und Hatib zum entscheidenden Zeitpunkt nicht mehr in Lage sind, aktiv auf den Fortgang der Ereignisse einzuwirken. Die durchaus nicht uninteressante Schwerpunktsetzung, die sich daraus ergibt, lässt einen die ansonsten klassische Handlung um den militärischen wie magischen Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner gespannt bis zum Ende verfolgen.
Trotz aller positiven Aspekte muss man freilich auch weiterhin mit einigen Schwächen leben, die schon in den ersten beiden Bänden deutlich waren. So bleibt etwa Fernds Beziehung zu seiner großen Liebe Reika weiterhin sehr blass und wenig fassbar, mag sie auch noch so oft als Motivation des jungen Mannes beschworen werden, und manch einem Nebenhandlungsstrang hätte man vielleicht eine ausführlichere Auflösung anstelle knapper Andeutungen gewünscht.
Doch das sind im Grunde Kleinigkeiten. Alles in allem bleibt ein positiver Leseeindruck, gepaart mit leisem Bedauern darüber, dass Das Buch des Schwarzen Prinzen anscheinend bisher Ralf Lehmanns einziges (veröffentlichtes) Werk geblieben ist.

Labyrinth: The Novelization von Jim Henson und A.C.H. SmithDie 15-jährige Sarah verbringt ihre Tage am liebsten tagträumend damit, Szenen aus ihrem Lieblingsbuch Labyrinth nachzuspielen. Sie ist schrecklich genervt von ihrer Stiefmutter, und das schlimmste von allem, sie muss den Babysitter für ihren kleinen Bruder Toby spielen. Als sie sich leichtisinnigerweise wünscht, der Goblinkönig möge Toby holen und in sein Schloss unter der Goblinstadt bringen, werden Sarahs Tagträume plötzlich zur Realität. Goblingkönig Jareth lässt Sarah 13 Stunden Zeit, um ihren Bruder wiederzubekommen, doch das Labyrinth hält viele Tücken und Tricks bereit.

– Nobody saw the owl, white in the moonlight, black against the stars, nobody heard him as he glided over on silent wings of velvet. The owl saw and heard everything. –
The white owl, S. 11

Wer als Kind in den 80ern aufgewachsen ist, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann mit dem Film Die Reise ins Labyrinth (OT: Labyrinth) von Jim Henson in Kontakt geraten sein. Ein wirklich lohnenswertes Stück phantastischer Filmgeschichte, mit einer jungen Jennifer Connelly und Pop-Ikone David Bowie in den Hauptrollen. Ein Kunstwerk aus Bühnenbild und Puppentheater, gepaart mit viel Witz und dem musikalischen Pomp der 80er Jahre.
Labyrinth: The Novelization ist, wie der Titel schon sagt, auf Basis dieses Films entstanden und hält sich dabei beinahe Bild- und Wortgenau an die Vorlage. Ab und an finden sich auch ein paar zusätzliche Informationen, die vor allem Sarahs Familienverhältnissen mehr Substanz verleihen und manches nachvollziehbarer erscheinen lassen, als es der Film macht.

Das Labyrinth des Goblinkönigs Jareth ist ein Ort voller Magie und magischer Kreaturen. Kichernde Goblins, Gnome, bissige Feen, riesige Monster, düstere Tunnel und sprechende Türklopfer sind erst der Anfang. An jeder Ecke warten Rätsel, die Unangenehmes zur Folge haben, wenn sie vorschnell beantwortet werden. Mit humorvollen und sehr plastischen Beschreibungen, die beinahe jedes optische Detail des Films perfekt wiedergeben, wurde hier eine atmosphärisch und inhaltlich liebevolle Geschichte erschaffen. Es ist ein Roman mit dem nostalgischen Flair alter Märchen und Mythen, der es dabei schafft ganz zeitlos zu bleiben. Wer gerne in eine magische Welt eintauchen möchte, die sich mehr auf die Wurzeln der phantastischen Literatur besinnt, der darf sich Labyrinth wirklich nicht entgehen lassen.

Sarah, die Hauptfigur, fühlt sich am laufenden Bande unfair behandelt und vom Leben gebeutelt. Babysitten am Wochenende – eine Plage; ein Kuscheltier an das personifizierte Übel von Bruder abtreten müssen – undenkbar. Sie ist egoistisch und grundlos motzig ihrer Stiefmutter gegenüber, sie nimmt nur das Offensichtliche wahr und hinterfragt nichts. Es interessiert sie auch nicht, was hinter dem äußeren Anschein stecken könnte, denn Sarah interessiert sich eigentlich nur für Sarah. Als sie sich in Jareths Labyrinth begeben muss, um ihren Fehler zu korrigieren und Toby wieder sicher nach Hause zu bringen, muss sie schnell viel dazu lernen und ihren selbstzentrierten Horizont erweitern, wenn sie Erfolg haben will.
Man merkt der Figur schnell an, wozu sie geschaffen wurde. Sarah ist ein Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Sie benimmt sich in vielen Situationen wie ein naives Kind, muss aber nun lernen, dass die Kindheit für jeden irgendwann endet und es Zeit wird, für das eigene Handeln geradezustehen. Jedes Rätsel, jede Hürde, die Sarah nehmen muss, wird von symbolischen Szenen und Dialogen getragen, die Sarahs Entwicklung voranbringen. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, über mögliche Folgen nachzudenken, Verantwortung zu übernehmen, auf andere Individuen Rücksicht zu nehmen und vieles mehr. So kann man Labyrinth wohl am ehesten als Übergangsreise vom Kind zum Erwachsenen sehen, wobei es kaum realistisch erscheint, dass Kinder oder junge Heranwachsende, die dieses Buch bevorzugt genießen werden, imLabyrinth der Film von Jim Henson Stande sind, all die Lehren schon zu sehen und zu verstehen. Auf der anderen Seite ist es aus Erwachsenensicht eine liebevolle Erfahrung, durch diesen Roman noch einmal in die eigene Jugendzeit versetzt zu werden und zu erkennen, wie sehr man sich selbst verändert hat.

Der Goblinkönig Jareth nimmt in dem Roman eine etwas weniger imposante Rolle ein als seine filmische Vorlage. Es mag auch daran liegen, dass die musikalische Untermalung fehlt und er etwas wenig Raum bekommt. Als männlicher Gegenpart von Sarah versucht er das Mädchen mit Verführung und Blendung von ihrem Ziel abzulenken und verkörpert dabei natürlich einen weiteren Aspekt des Erwachsenwerdens. Sein äußeres Erscheinungsbild wird dabei als attraktiv geschildert, während seine Handlungen meist recht herzlos sind. Er bleibt recht blass und eindimensional, was es schwierig macht, eine nähere Bindung zu diesem Charakter aufzubauen. Mehr Sympathie gewinnen da einige der Nebenfiguren. Etwa der hin und her gerissene Gnom Hoggle oder der völlig überdrehte Sir Dydimus, der sich vor keinem Gegener fürchtet und mit gezücktem Degen in den Kampf galoppiert. Mit liebevollen Details wird diesen Figuren sehr schnell Leben eingehaucht.

Abschließend bleibt nur zu sagen: Labyrinth bietet dem Kenner des Films zwar nicht allzuviel Neues, dennoch gehört diese Neuauflage in jedes Fanregal. Die Aufmachung ist mit viel Hingabe – von der Gestaltung des Hardcovers bis hin zur Typographie – durchdacht worden; im Anhang finden sich außerdem Konzeptskizzen von Brian Froud und als besonderes Schmankerl die Notizen von Jim Henson aus der Entstehungsphase des Films.
Wer die Möglichkeit noch hat, sollte die Chance nutzen und das Buch lesen, bevor die DVD eingelegt wird. Denn wer einmal die tolle Filmvorlage gesehen – und David Bowie als Goblinkönig neben all den schrulligen Puppen erlebt hat –, der wird es schwer haben, das Buch unvoreingenommen genießen zu können.

The Last Guardian of Everness von John C. WrightGalen, der jüngste Spross der Familie Waylock, wird von seinem Großvater dazu ausgebildet, sich im Familienanwesen Everness in die Welt der Träume zu begeben und dort die ewige Wacht zu halten, mit der die Familie betraut ist: Wenn sich die Finsternis erhebt, müssen die Waylocks die Mächte des Lichts zum Kampf rufen. Galen erkennt untrügliche Zeichen dafür, dass diese Zeit gekommen ist, und da er seinem alten Großvater die schwere Aufgabe abnehmen will, wagt er einen Alleingang in das Reich der Träume. Gleichzeitig bangt der kräftige, aus dem Kaukasus stammende Raven in einem Krankenhaus um das Leben seiner hübschen Frau Wendy – und erhält ein verlockendes Angebot.

-Upon a midnight in midsummer, upon an unchanging ancient house upon the coast, in the year when he was a boy no more and a man not yet, Galen Waylock heard the far-off sound of the sea-bell tolling slowly in his dream.-
Founding, 1

John C. Wright ist ein Autor, den man heute eigentlich nicht mehr guten Gewissens empfehlen kann, nachdem er ein christliches Erweckungserlebnis hatte und darauffolgend auch politisch in die extreme Ecke abgewandert ist, wie er stetig mit mehr als fragwürdigen Äußerungen untermauert. Mit der zweibändigen Saga The War of the Dreaming, seinem ersten Ausflug in die Fantasy, hat er jedoch einen atemberaubenden modernen Mythos geschaffen, und da The Last Guardian of Everness auch vor Wrights Radikalisierung verfasst wurde, hat es sich eine Erwähnung verdient. Ob man den Roman mit dem Wissen um Wrights Gesinnung, die aus The Last Guardian of Everness allerdings nur schwer herauszulesen ist, ungebtrübt genießen kann, sei dahingestellt.
Wright erfindet die Mär vom ewigen Kampf zwischen Licht und Dunkel nicht neu, sondern stürzt sich mit großer Begeisterung auf ältere und neuere Vorgänger in diesem Metier und nimmt sich hier und da, was er für sein großes Mosaik braucht. Und das Gesamtwerk, das er dann aus all diesen kleinen Schnipseln schafft, geht erstaunlicherweise nicht in dieser Vielzahl von Versatzstücken und Ideen unter, sondern ist tatsächlich etwas Eigenes und mehr als die Summe seiner Teile geworden.

In Wrights Traumlanden wird eine Welt gezeigt, die über die Grenzen der unseren hinausgeht und doch mit ihr verbunden ist. Je mehr Seiten man von The Last Guardian of Everness liest, desto unglaublicher scheint die schiere Menge an Mythen, Sagen und Geschichten, die Wright zu einem großen Mythos verknüpft hat. Alle Anspielungen zu verstehen, die aufgefahren werden, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit: Neben der Artussage, antiken Gottheiten und exotischeren Gestalten wie dem russischen Koschei stehen Schöpfungen Lord Dunsanys oder C.S. Lewis’ und etlicher anderer Schriftsteller. Das erstaunliche an diesem bunten Flickenteppich ist, dass Wright zwar mit so manchem Klischee bricht und all die Orte und Figuren zu einem großen Über-Mythos verbindet, ihnen aber trotzdem ihre Identität nicht nimmt: Eine Fee ist bei ihm letzten Endes trotz aller Brechungen doch eindeutig eine Fee, und ein Gott kann auf ungewohnte, aber dennoch stimmige Weise seine Mächte zum Einsatz bringen.

Bei all dem schweren Geschütz, das aufgefahren wird, ist The Last Guardian of Everness meistens trotzdem locker erzählt und verblüffend modern – so sind die Waylockschen Familienverhältnisse nicht die allerbesten, und mögen die Charaktere auch noch so phantastisch sein und gegen überirdische Gegner antreten, so kämpfen sie doch auch mit ganz alltäglichen Problemen. Die Handlungsstränge bieten einige gelungene Wendungen und sind auf äußerst spannende Weise miteinander verknüpft; Wright scheut sich auch nicht, einnehmende Figuren unerwartet abzuschießen.
Besonderen Genuss bereiten die wunderbaren Bilder, die Wright präsentiert – gigantische Kompositionen, die den Leser mit offenem Mund dasitzen lassen. Gerade zu Beginn des Romans jagt diesbezüglich ein Höhepunkt den nächsten, und man hätte sich durchaus einmal etwas Entspannung zwischendurch erhofft, wenn die Dichte der epischen Momente fast zu schön ist, um wahr zu sein. Atemberaubend ist es allemal, und jedes Detail vom kleinen Gedicht bis zum riesigen Panorama ist stimmig.
Eine diesmal rein inhaltliche Warnung zum Abschluss: Die Geschichte endet dann, wenn sie am schönsten ist, bzw. in einem absoluten Cliffhanger und erfordert eigentlich auch die Lektüre des zweiten und abschließenden Teils.

Die Legende von Araukarien von Ralf LehmannIm Hochhügelland häufen sich bedrohliche Geschehnisse, und so wird der junge Bolgan ausgesandt, um den Alten Niemand, einen jahrhundertealten Einsiedler, aufzusuchen und seinen Rat einzuholen. Was er erfährt, übertrifft seine schlimmsten Befürchtungen: Alles deutet darauf hin, dass der Schwarze Prinz, der schon in ferner Vergangenheit sein Unwesen trieb, zurückgekehrt ist und sich anschickt, die Lande zu verwüsten und ihre Bewohner zu versklaven. Die Reise in die Hauptstadt, um den Herrscher über das Reich Araukarien vor der drohenden Gefahr zu warnen, gerät zum Wettlauf gegen die Zeit, und bei ihrem Eintreffen müssen Bolgan und der Alte Niemand erkennen, dass ihre Nachricht allein nicht ausreicht, um die Katastrophe aufzuhalten …

Das Land der Tanzenden Berge! Es ist eine merkwürdige Gegend, in der diese Geschichte ihren Anfang nimmt, eine weit von Araukaria, der Hauptstadt des Alten Reiches, entfernte Provinz. Die Landschaft ist schön und anmutig, mit grünen, baumbestandenen Kuppen und tief eingeschnittenen Tälern, in deren Niederungen knorrige alte Trauerweiden in einem niemals endenden Zwiegespräch mit kristallklaren Bächen stehen.
(1. Die Erzählung des Alten Niemand)

Mit der Legende von Araukarien, dem ersten Band der Trilogie um den Kampf gegen den Schwarzen Prinzen (anscheinend nicht verwandt oder verschwägert mit diesem Herrn), bietet Ralf Lehmann inhaltlich sehr klassische Fantasy: Eine dunkle Bedrohung aus grauer Vorzeit sucht jäh die Welt heim und die traditionellen Eliten versagen, so dass eine kleine Runde von Gefährten aus dem Volk unter Führung eines alten Mentors für kurze Zeit zusammenfinden muss, nur um sich bald wieder zu trennen und auf unterschiedliche Questen auszuziehen. Nichts weiter Bemerkenswertes, so möchte man meinen, zumal die jugendlichen Helden Bolgan, Hatib und Fernd gerade im Vergleich zu den oft liebevoller gezeichneten Nebenfiguren ein wenig blass bleiben. Dass Lehmann es eigentlich besser kann, beweisen die Passagen, in denen er sich daran wagt, menschliche Beziehungen in ihrer ganzen Kompliziertheit auszuloten: So nähern sich etwa einige Sklavenjäger und ihre Opfer einander ungewollt an, als ein schneller Weiterverkauf scheitert, und der mühsame Versuch, den auch langfristig günstigsten sozialen Umgang miteinander auszuhandeln, lässt viele Zwischentöne zu. Solch feine Beobachtungen würde man sich häufiger wünschen, zumal auch noch andere Schwächen auffallen: Manch innerer Widerspruch wird nicht aufgelöst, und die Dichte an Frauengestalten ist wesentlich geringer als in jedem durchschnittlichen Karl-May-Roman. Apropos Karl May: Dessen Bücher dürften Lehmann tatsächlich in gewissem Maße als Inspirationsquelle gedient haben, denn genau dort ist man einem dicken Boschak oder einer Beschreibung, die der des Schurken Morgreal verdächtig ähnelt, schon einmal begegnet.
Die Tatsache, dass Handlung und Charaktere Die Legende von Araukarien nicht unbedingt über den Durchschnitt hinausheben, sollte einen jedoch nicht von der Lektüre abschrecken, denn auf zwei anderen für die Fantasy ungemein wichtigen Gebieten stellt der Roman unbestreitbar seine Qualität unter Beweis: Weltenbau und Erzählweise überzeugen. Wie schon das oben gewählte Zitat verrät, kommt Araukarien hinsichtlich der phantastischen Elemente, die das Land selbst durchdringen, um einiges magischer und verspielter daher, als man es im Zeitalter “realistischer” Fantasyromane gewohnt ist: Berge, die über Nacht den Standort wechseln, ein verwunschener Hügel, den der finstere Feind nicht betreten kann, eine Ruinenstadt, in der Geisterspuk eine ferne Vergangenheit wiederauferstehen lässt, und eine geheimnisvolle Orakelhöhle wollen erkundet werden und erinnern einen daran, dass der größte Reiz von Questenfantasy oft nicht im Ziel der Reise, sondern in einem abwechslungsreichen Weg besteht. Auch die Wesen, von denen diese bunte Welt bevölkert ist, sind originell und von einer märchenhaften Unheimlichkeit, die sich nicht zuletzt aus der schieren Selbstverständlichkeit speist, mit der sie etwa auf Gedanken und Träume der Menschen zugreifen können. Wenn beispielsweise ein dämonischer Gifalk – eine Kreatur, die sich von Träumen nährt – den jungen Sohn eines Wirts zu sich aufs Zimmer bestellt und nur in Andeutungen eine geistige Vergewaltigung impliziert wird, erzeugt der Text mit subtilen Mitteln ein unterschwelliges Grauen, das weit länger nachhallt als jedes Entsetzen über eine plakative Gewaltdarstellung.
Ohnehin kann man sich nach einer Weile des Gedankens nicht mehr erwehren, dass es eigentlich gar keine so große Rolle spielt, was Ralf Lehmann erzählt, da einen vor allem gefangen nimmt, wie er es tut. Das liegt nicht allein an der teilweise poetischen Sprache (obwohl natürlich ein Waldbühl oder ein Silbergreis gekonnt bildreiche Assoziationen heraufbeschwören), sondern ist auch dem Eindruck geschuldet, es hier mit einer ganz anderen Erzählweise zu tun zu haben als der, die vor allem in der angloamerikanischen Fantasy mittlerweile fast alternativlos vorherrscht. Lehmann verlässt sich nicht allein auf ein szenisches Vermitteln seiner Geschichte, sondern beherrscht auch das raffende Schildern größerer Zeitabschnitte und vor allem das Beschreiben topographischer Besonderheiten virtuos. Die Erzähltradition, in der sein Buch steht, ist nicht die der Fantasy allein; Abenteuerromane des 19. und frühen 20. Jahrhunderts spielen ebenso mit hinein wie einige Aspekte klassischer Kinder- und Jugendliteratur zu phantastischen Themen. Beim Lesen stellt sich daher rasch das sympathische Gefühl ein, dass nicht auf vordergründige Effekte hingearbeitet, sondern vor allem eine Geschichte erzählt werden soll. Die mag nicht perfekt sein, gewiss – aber nach diesem Auftaktband ist man doch sehr gespannt auf den Fortgang, und sei es nur, weil es einfach so großen Spaß macht, sie sich erzählen zu lassen.

Durch einen atomaren Angriff wurde die Menschheit beinahe vollständig vernichtet. Die Überlebenden rotten sich zusammen und veranstalten eine blutige Hetzjagd auf die verbleibenden Wissenschaftler, in denen sie die Schuldigen für die atomare Katastrophe sehen.
Viele Jahrhunderte später findet ein junger Novize des Leibowitz-Ordens – benannt nach Isaac Leibowitz, einem längst verstorbenen Elektroingenieur – in einem ehemaligen Schutzbunker Aufzeichnungen und Blaupausen des verehrten Mannes. Die Entschlüsselung der wissenschaftlichen Schriften beginnt, doch nicht nur die Kirche hat an dem mühselig und langsam wiedererlangten Wissen Interesse.

Wir haben eure verdammten blutigen Beile und eure Hiroshimas.
– Wir marschieren gegen die Hölle, wir –
Atrophie, Entropie und Proteus vulgaris,
erzählen Zoten über ein Bauernmädchen namens Eva
und einen Handlungsreisenden namens Luzifer.
Wir begraben eure Toten und ihre Reputation.
Wir begraben euch. Wir sind die Jahrhunderte. –
Fiat voluntas tua, S. 312

Wir schreiben das 26. Jahrhundert, und der Novize Bruder Francis erkundet mit kindlich-naivem Staunen eine nach dem Atomschlag wüste Welt. Der Akt der Zerstörung selbst liegt im Dunklen und gleicht eher einem vagen Mystizismus mit seinen Teufels- und Spukgestalten. Erlebbar sind nur die Folgen: die Verwüstung der Welt und die systematische Ausradierung des Intellekts. Was übrig blieb – Blaupausen, Schaltpläne, Einkaufszettel –, bewahren die Mönche des Leibowitz-Ordens in stiller Ehrfurcht auf, und der Leser verfolgt mit einem Lächeln die Anbetung dessen, was im 21. Jahrhundert Gegenstand profaner Normalität ist. Doch das 26. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Leere, die auch in der Semantik um sich greift: der Niederschlag wird als Gestalt des Teufels gefürchtet, die in Gruben und dunklen Winkeln lauert, und ein Schaltkreis als geheimnisvoller Schöpfungsplan bewahrt.

Das Staunen Bruder Francis’ wird zum Inbegriff der Unschuld, und löblich-unschuldig scheint auch die Sammlung und Bewahrung der Wissensfragmente. Doch was als Abenteuer, als Renaissance beginnt, was einem Neuanfang gleicht, entpuppt sich bald als zwingende Fortführung des menschlich-zivilisatorischen Kreislaufes, denn das Licht der Aufklärung und der Vernunft scheint nie alle Winkel des menschlichen Hirn- und Seelenkastens zu erhellen – und so muss sich die Heiligkeit des Wissens einmal mehr messen mit der Zerstörungskraft des Menschen.

Wir schreiben das Jahr 3174, die Jahre der Unschuld hat es nie gegeben. In den Mauern des Klosters des Heiligen Leibowitz widmet man sich weiterhin dem Studium des Halbwissens, und Miller jr. feilt weiterhin an seinen Geschichten-in-den-Geschichten, an den Figuren, die wie Wunder erscheinen und deren Entschlüsslung die hohe Kunstfertigkeit des Autors im Andeutungen und Ahnungen Säen betont. Grundwissen in der Bibelkunde und aufgefrischtes Kirchenlatein sind dabei von hohem Nutzen; denn erst mit der Erkenntnis um die dichte Intertextualität des Romans und die mannigfaltigen Deutungsebenen verkehrt sich das Gefühl der Ratlosigkeit in die Erkenntnis, einen Roman von inhaltlichem wie handwerklichem Genie zu lesen.

Die wichtigste Kraft des Romans ist jedoch sein Witz. Situationskomik, altlateinische Kalauer und zutiefst bissige Dialoge: sie treffen zusammen im anzüglich-satirischen Lächeln der St.-Leibowitz-Statue, welche die Zeiten und Äbte im Klosterkeller überdauert und erst von Abt Zerchi, dem letzten in einer langen Reihe, in den Zeiten allgegenwärtiger Angst vor der erneuten Zerstörung wieder an ihrem angestammten Platz als Heiligenstatue aufgestellt wird. Das hölzerne Antlitz lächelt im tiefen Wissen um einen Witz, den nur die Statue selbst zu verstehen scheint. Doch es schadet nie, sich von einem Lachen anstecken zu lassen.

Tatsächlich ist es nur Millers Humor, der die Hoffnung erweckt, dass der durch den Menschen in einen Kreislauf der Zerstörung transformierte Kreislauf des Lebens einer aufwärts gerichteten Spirale gleicht. Seine anderen zentralen Themen lassen wenig Mut zur Hoffnung zu. Im zweiten Teil des Buches – Fiat Lux, „Es werde Licht“ – treibt ein im Kellergewölbe von fünf Novizen angetriebener Dynamo einen tiefen Keil zwischen die weltliche und geistliche Wissenskultur. Das Gerät ist eine außerordentliche technische Errungenschaft, erbaut von einem ahnungslosen, aber experimentierfreudigen Klosterbruder und bringt sprichwörtliches und messbares Licht ins Dunkle. In diesem Licht jedoch nehmen Parteien Gestalt an, die vorher nur als grobe Schemen erahnbar waren: Kirche gegen Staat, Wissenschaft gegen Glaube, … – die Liste der Zerwürfnisse ist, bei Lichte betrachtet, endlos. Mit dieser biblischen Erhellung des klösterlichen Kellergewölbes durch einen Dynamo ahnt der Leser, dass die zivilisatorische Dunkelheit nur kurz erhellt wurde, um sich dann wieder in Grabesschwärze zu wandeln.

Miller jr. portraitiert mit sprachlicher und gedanklicher Präzision das wohl größte Verbrechen der Menschheit: die Erhebung der Amoral zur zivilisatorischen Unabwendbarkeit. In seinem Roman sind es nicht nur die Tyrannen und Diktatoren, die sich der Bürde der Verantwortung entledigen, sondern es sind Menschen, die sich als ‘Simpel’ bezeichnen, bevor sie diejenigen steinigen, die der Menschheit das brachten, was wir Zivilisation nennen. Die Negierung der Verantwortung ist ein zentrales Thema in Lobgesang auf Leibowitz (A Canticle for Leibowitz ): wer keine Fehler sieht, sondern an derer statt das Konzept des Unvermeidbaren erfindet, kann nichts lernen, kann dem endlosen Kreislauf nicht entfliehen.
Doch wird nicht das vermeintlich Unausweichliche, wenn vom Menschen begriffen, zum Abwendbaren? Denn, und auch dies wird in Millers Roman deutlich: es existiert kein naturgegebener Kreislauf der Zerstörung, der eine Wiedergeburt ad absurdum führt, sondern ausschließlich ein vom Menschen erdachter. An des Kreislaufs Anfang steht eine Idee, am Ende die Bombe, und alles, was danach kommt, ist nur ein müdes Spiegelbild dieser einfachen Gleichung: homo homini lupus.

Wir schreiben das Jahr 3781. Noch immer sind es die Mitglieder der Abtei des heiligen Leibowitz’, die sich der Empfindung widmen, die nicht nur im Roman mitleidig belächelt wird: der Hoffnung. Und Zuversicht benötigen sie, denn sie sind es, die mit ihrer Sammlung und Bewahrung des noch verfügbaren Wissens den Weg für den Fortschritt ebnen. Es scheint ihnen unmöglich, dass der Mensch das wiederholt, was ihn einst beinah vom Antlitz seines Planeten tilgte. Doch Miller jr. ist kein Moralapostel; welche Moral sollte es auch geben, nachdem der Mensch sich einmal selbst vernichtete und, kaum, dass die Zivilisation ihr Krankenbett verlässt, zum zweiten Schlag ausholt? Der Autor entwirft vielmehr das Bild einer Zeit, in der „Gerechtigkeit“ eine zutiefst subjektive Größe ist, und stellt eine verstörende und wichtige Frage: was ist wichtiger – Menschheit oder Menschlichkeit?

Lobgesang auf Leibowitz ist ein Rätsel- und Meisterwerk, eine Vertextlichung des ewig Menschlichen, Ausdruck von Angst und Resignation. Der Leser wird keine erbaulichen, hoffnungsvollen Botschaften, eingebettet in tröstlich-antikes Kirchenlatein finden, sondern einen schonungslosen Blick in eine Zukunft, die sich als denk-, und somit zerstörbar erweist. Mit seiner Hellsichtigkeit und seinem scharfsinnigen Humor wäre dieser Roman die schärfste Waffe in einem Kampf, der hoffentlich immer literarische Fiktion bleiben wird. Fiat Voluntas Tua.

Cover von Lord of Snow and Shadows von Sarah AshIn dem barbarischen Land Azhkendir herrscht seit Urzeiten der Drakhaon über die Clans, ein Hybridwesen aus Mensch und dem letzten Drachen. Mit dem Tode des lezten Drakhaon geht der Geist des Drakhaoul auf seinen Sohn über, Gavril Andar, der jedoch im Exil lebt und nichts von seinem Erbe und seiner Bestimmung weiß. Die loyalen Diener des Drakhaoul entführen Gavril aus den zivilisierten Ländern, damit er seine Herrschaft antreten kann. Nur seine Mutter versucht, ihn zu befreien und geht dabei ein Bündnis mit dem ehrgeizigen Prinzen Eugene von Tielen ein, dessen Ziel es ist, das alte Imperium mit ihm an der Spitze widerherzustellen.

-“Drakhaoul,” he whispers, in awe and terror.-
Prologue

Sarah Ash gelingt es, mit ihrem Fantasyroman Lord of Snow and Shadows (Eis und Schatten) eine ganz eigene, an Russland beziehungsweise Osteuropa gemahnende Welt zu erschaffen, die schnell Konturen annimmt und sich vor dem inneren Auge ausbreitet. Sie konzentriert sich vor allem auf die Geschichte des jungen, sensiblen Malers Gavril, der durch den Drachengeist besessen wird und sich plötzlich als Herrscher einer barbarischen Nation wiederfindet. Ihr gelingt es sehr gut, die langsame Entwicklung des jungen Mannes zu zeigen, der sich mehr und mehr von der unmenschlichen Essenz vereinnahmen lässt und zu einem Wesen wird, das er selbst verabscheut. Vor allem in den Figuren und deren Beziehungen zueinander liegt die Stärke des Romans, denn ihre Motive und Handlungen sind nachvollziehbar und man gewinnt sie schnell lieb. Dabei schafft die Autorin eine düstere Atmosphäre, die gut zu dem Hintergrund passt.
Die Geschichte selbst ist nicht besonders neu, erfährt aber häufiger interessante Wendungen und weiß zu unterhalten, obwohl man manchmal voraussehen kann, was geschehen wird. Leider ist es offensichtlich, dass der Roman nur der Auftakt einer Serie ist, denn manche Handlungsstränge werden nicht verknüpft, was am Ende einen leicht schalen Nachgeschmack hinterlässt.

Cover des Buches "Das magische Messer" von Phillip PullmanWill, ein Junge, der im Oxford “unserer” Welt lebt, hat es nicht leicht. Sein Vater ist vor zehn Jahren bei einer Expedition verschwunden und seine Mutter leidet anscheinend an einer Geisteskrankheit. Als zwei Männer in sein Zuhause einbrechen und versuchen, eine grüne Mappe zu stehlen, tötet er einen der beiden. Will muß fliehen. Bei seiner Flucht gerät er durch ein Fenster in eine andere Welt. In dieser Welt trifft er Lyra, die dort hingeraten ist, als sie ihrem Vater über die Brücke folgte. Die beiden Kinder schließen sich zusammen und helfen sich gegenseitig, Wills Vater zu finden und das Geheimnis des Staubes zu ergründen.

-Will zog seine Mutter an der Hand und sagte: “Komm weiter, bitte…” Aber seine Mutter zögerte. Sie hatte noch immer Angst.-
Kapitel 1, “Die Katze unter den Bäumen”

Das magische Messer (The Subtle Knife) besticht durch seine Komplexität: Es handelt von Physik, Philosophie, Religion, Schamanismus, von Platons Höhlengleichnis, von der Erschaffung der Welt, von Gott und dem Teufel, von Gut und Böse, von Armageddon, von Engeln und Gespenstern, von Hexen und der Inquisition, von der Kernspaltung, von Freundschaft, Treue, Verrat und Tod und es ermutigt den Leser seinen eigenen Instinkten zu vertrauen und nicht blindlings auf Autoritäten zu hören. Eigentlich müßte die Handlung ein einziges Tohuwabohu sein. Daß der Roman nicht unrettbar im Chaos versinkt, ist der Verdienst von Philip Pullman. Da schreibt jemand, der trotz des umfangreichen Inhaltes klare Handlungsstränge entwickeln kann, und der nie den roten Faden verliert. Dabei wirkt der Roman nicht überfrachtet, sondern alles erscheint völlig natürlich, so daß ein Leser dieses Buches es wahrscheinlich ganz normal finden wird, wenn ihm plötzlich massenhaft Menschen mit außergewöhnlichen Tieren an der Seite begegnen oder wenn demnächst ein Engel durch seinen Computer mit ihm kommuniziert. Außerdem versteht Pullman es, den Leser immer wieder zu verblüffen. Als Lyra Will zum erstenmal trifft, fragt sie das Alethiometer, ob Will ein Freund oder ein Feind ist. Das Gerät antwortet, er sei ein Mörder, worauf Lyra sofort beschließt, Will zu vertrauen.

Trotz einiger Gewaltszenen und trauriger Ereignisse ist das Buch für Kinder ab ca. 12 gut geeignet. Gewalt wird nie unmotiviert ausgeübt, und Kinder, die Grimms Märchen verkraftet haben, in denen Frauen nackt in mit Nägeln gespickten Fässern zu Tode gerollt werden oder in Backöfen verbrannt werden, werden auch hier keinen Schaden nehmen. Allerdings braucht das Buch unbedingt Menschen, die gerne lesen. Kinder oder Erwachsene, die vor Harry Potter noch nie ein Buch in die Hand genommen haben und jetzt auf den Gedanken kommen, sie könnten sich ja mal ein “Zweitbuch” anschaffen, das womöglich auch noch “wie Harry Potter ist” werden an diesem Zyklus keine Freude haben.
Für Erwachsene ist es ein besonderes Vergnügen, sämtliche Anspielungen herauszufinden, die die Literatur und das Weltgeschehen betreffen, aber das ist nur ein besonderer Kick. Für Erwachsene, die sofort zwanghaft zum Lexikon greifen müssen, um nachzuschlagen, ob es dieses anbarische Dingsbums wirklich gibt und was Platon jetzt eigentlich mit seinem Höhlengleichnis genau meinte, ist das Buch ebenfalls nicht geeignet. Dieser Roman braucht Leser, die in eine Geschichte versinken können und ihre Neugier auf das Ende beibehalten, auch wenn ihnen nicht immer klar ist, worauf der Autor hinaus will und wie die Geschichte letztendlich ausgehen wird.

Cover von Meister der Schatten von Janny WurtsAlles begann mit dem Nebelgeist. Er hüllte die Welt Athera in undurchdringliche Schleier, überzog sie mit Krieg und vernichtete das Gesetz der Hohen Könige. Fünf Jahrhunderte später lastet der Fluch des Nebelgeistes noch immer auf Athera. Nur zwei Prinzen haben die Macht, diesen zu brechen: Arithon, Meister der Schatten, und Lysaer, Herr des Lichtes, zwei Halbbrüder mit ungewöhnlichen Fähigkeiten. Wenn sie Athera retten wollen, müssen Lysaer und Arithon sich verbünden …

-Die Kriege zwischen Licht und Schatten im Dritten Zeitalter von Athera gelten als die schwerste und kampflustigste Ära in der Geschichte des Kontinents. Zu jener Zeit bekämpfte Arithon, der Herr der Schatten, den Lord des Lichts über fünf Jahrhunderte in einem blutigen und bitteren Konflikt.-
Prolog

Wie bei jedem Auftakt einer großen Romanreihe (auf Deutsch immerhin sechs Bände) kämpft auch hier der Leser zunächt mit dem bekannten Problemen: neue Welten, neue Charaktere, die Grundzüge der Handlung, alles muss erstmal erkundet und nachvollzogen werden. Allerdings merkt man bereits nach ein paar Seiten, dass sich die Autorin viel vorgenommen hat: Athera ist vielschichtig und komplex, die Handlung hat durchaus Potential und die Charaktere sind (meist) glaubwürdig und tiefgründig.
Die Handlung über die ungleichen Halbbrüder, die die Welt Athera vor dem Nebelgeist retten sollen, ist zwar nicht gerade neu, bietet aber genug Freiraum, den die Autorin mit allerlei Eigeninitiative ausfüllt. Nebenhandlungen sorgen für ein wenig Abwechslung, entwickeln aber bis jetzt keine wirkliche Eigenständigkeit, da sie früher oder später wieder zurück zum eigentlichen Handlungsstrang führen. So unglaublich viel passiert dann auf den ersten 400 Seiten auch nicht, hier wird mehr oder weniger der Grundstein für die folgenden Bücher gelegt.

Die Hauptcharakter Arithon und Lysaer sind realistisch und facettenreich gestaltet, allerdings weisen beide Charakterzüge auf, die sie für mich nicht so sympathisch machten. Was mich am meisten gestört hat, war der Übergang zwischen Dascen Elur (der Heimat der zwei Brüder) und Athera – in fünfzig Seiten über einen Thronfolger zu einem Verbannten zu einem Weltenretter. Das geht wirklich schnell, und das umbarmherzige Schicksal wird kaum bedauert. Ein wenig mehr Einfühlungsvermögen wäre zu rechtfertigen gewesen.
Der Roman liest sich gut, der Erzählstil ist lebendig und flüssig, was es leicht macht, Athera vor Augen zu sehen.
Athera ist groß und komplex. Das merkt man bereits daran, dass das Glossar über 30 Seiten lang ist. Diese Hilfe am Ende des Buches ist zwar nicht bitter nötig, allerdings zum Nachlesen und besseren Verstehen sehr passend. Es liefert weitere Informationen zu Personen und Orten, die im Roman nicht erwähnt werden, und schafft dadurch noch mehr Atmospähre. Trotz dieser überwältigenden Informationsflut wirkt alles stimmig und passend, nichts ist zuviel oder wirkt fehl am Platz.
Die Beschränkung auf wenige Charaktere, die dafür ausführlicher beschrieben werden, macht es ebenfalls leichter, dem Roman zu folgen. Insofern gibt sich die Autorin alle Mühe, dem Leser Athera und ihre Bewohner näher zu bringen, was nicht gerade selbstverständlich ist.

Cover des Buches "Der Meister und Magarita" von Michail BulgakowMoskau in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts: Berlioz, der Chefredakteur einer Literaturzeitschrift und der Lyriker Iwan Ponyrew, genannt Besdomny, diskutieren auf offener Straße darüber, ob Jesus je gelebt hat. Da mischt sich ein Fremder in das Gespräch, der behauptet, er wisse genau, daß Jesus gelebt hat, denn er sei bei der Passion Christi dabeigewesen, übrigens habe er auch mit Kant gefrühstückt und Berlioz würde noch heute abend der Kopf vom Rumpf getrennt. Offensichtlich haben es Berlioz und Besdomny mit einem Irren zu tun. Doch als am gleichen Abend Berlioz tatsächlich seinen Kopf verliert, weiß Besdomny, daß der Unbekannte keineswegs verrückt ist. Er versucht, die Miliz zu alarmieren, was zur Folge hat, das Besdomny in die Psychiatrie eingeliefert wird, da ihm natürlich kein Mensch glaubt. Dort trifft er auf den Meister, der gerade seinen Roman über Pontius Pilatus verbrannt hat. Währenddessen treibt der Teufel höchstpersönlich sein Unwesen in Moskau und verwandelt die ganze Stadt in ein Tollhaus.

-An einem ungewöhnlichen heißen Frühlingstag erschienen bei Sonnenuntergang auf dem Moskauer Patriarchenteichboulevard zwei Männer.-
Sprechen Sie nie mit Unbekannten

Der Meister und Margarita (Master i Margarita) ist eine phantastische Satire auf das stalinistische Moskau, mit Anspielungen auf Goethes Faust und auf russische Schriftsteller wie Dostojewski oder Gogol.

Dieser Roman spielt auf verschiedenen Ebenen.
Bulgakow schildert einmal, was der Satan in Moskau anrichtet. Er nennt sich “Voland”, tritt im Varieté als Magier auf und entlarvt mit seinen grotesken Zauberkunststückchen die Habgier, die Heuchelei und die Schlechtigkeit der Menschen. Außerdem gibt er einen Frühlingsball, auf dem die Geister verstorbener Sünder erscheinen. Alle, die nähere Bekanntschaft mit Voland schließen, wandern in die Psychiatrie, nur eine nicht: Margarita.

Margaritas Liebesgeschichte mit dem Meister bildet die zweite Ebene des Romans. In die Schilderung des Moskauer Geschehens werden Kapitel aus dem Roman des Meisters eingestreut. Dieser Roman behandelt verfremdet die Passion Christi und das Verhältnis zwischen Jesus und Pontius Pilatus.

Das ist die dritte Ebene des Romans. Die unverhohlenste Kritik an dem real existierenden Kommunismus unter Stalin äußert Bulgakow in der Passionsgeschichte und sagt damit gleichzeitig den Untergang des Sowjetregimes voraus. Jeschua erwidert Pontius Pilatus, der ihn verhört:

“Ich habe ihm unter anderem gesagt, … daß von jeder Staatsmacht den Menschen Gewalt geschehe und daß eine Zeit kommen werde, in der kein Kaiser noch sonst jemand die Macht hat.”

Zwar handelt es sich bei Der Meister und Margarita um anspruchsvolle Literatur, trotzdem ist das Buch leicht zu lesen, auch wenn dem Leser ab und an ein Wort begegnet, das ihm nicht geläufig ist. Um den Roman zu verstehen, ist es aber hilfreich, wenn man eine Vorstellung über das Leben im Moskau der dreißiger Jahre besitzt oder wenn man zumindest Erfahrungen mit der DDR gemacht hat. Sonst wird man kaum nachvollziehen können, warum die Menschen sich wegen einer Wohnung korrumpieren lassen oder warum Devisen eine so wichtige Rolle spielen.

Die Melodie der Masken von Ralf LehmannNach dem Tod des Alten Niemand haben sich die drei Gefährten Bolgan, Hatib und Fernd getrennt, um ihren Kampf gegen den Schwarzen Prinzen fortzusetzen und den Erft zu finden, einen sagenumwobenen, in mehrere Stücke zerteilten magischen Stein, der ihnen gegen den übermächtigen Feind helfen soll. Während Bolgan als Sklave des Schwarzen Prinzen auf eine Gelegenheit lauert, ihm seinen Teil des Edelsteins zu stehlen, und dabei in eine Gefahr gerät, die er niemals hätte voraussehen können, organisiert Hatib den militärischen Widerstand. Er findet neue Freunde und Verbündete, muss aber bald erkennen, dass kämpferische Tugenden allein nicht zum Sieg führen werden …

In den Nördlichen Königreichen regieren Nebel und Wolken. Grüne, sanfte Hügel prägen das Land, so dass die Gegend auf den ersten Blick einen fruchtbaren Eindruck macht, aber das täuscht. Weiß gewaschene Kalksteinblöcke durchbrechen die dünne Bodendecke und machen größeren Ackerbau unmöglich. Wenn Nebel über die Hügel zieht, sehen die Blöcke wie stumme Pilger aus, die sich auf eine unbekannte Suche gemacht haben.
(3. In den Ruinen von Thingal)

Auch im zweiten Teil seiner Trilogie Das Buch des Schwarzen Prinzen wartet Ralf Lehmann inhaltlich auf den ersten Blick mit klassischer Questenfantasy auf, die jedoch bei näherer Betrachtung sehr individuelle und originelle Züge entwickelt. Zwar sind einige Schwachpunkte des ersten Bandes auch im zweiten vorhanden (so scheinen bis auf Fernds Freundin Reika, die keine sehr aktive Rolle spielt, in Araukarien weiterhin kaum Frauen unterwegs zu sein), aber wenn man darüber hinwegsieht, lässt sich der erneute Ausflug in die detailliert und liebevoll ausgearbeitete Welt wieder sehr genießen.
Zum besonderen Charme des Romans trägt in hohem Maße bei, dass der Weltenbau nicht nur für eine ansprechende Kulisse sorgt, sondern untrennbar mit der Handlung verwoben ist: Zum Beispiel gestatten es die spezifischen Eigenschaften der Lande dem Kundigen, Menschen, die durch ihre Naturverbundenheit dafür empfänglich sind, auch aus weiter Entfernung zusammenzurufen. Ohnehin besteht zwischen Übernatürlichem und Naturgewalten ein enges Verhältnis, wie sich etwa an der Gestalt des Tanzenden Todes zeigt, der als mörderisch tobender Sturmwind in Erscheinung tritt, aber in Wirklichkeit ein verfluchter Riese ist. Seine Ursprungsgeschichte, in der auch eine diabolische Hexe und in Berge verwandelte Riesen erscheinen, verrät vielleicht noch stärker als andere Einzelheiten, wie sehr Lehmann sich von kontinentaleuropäischen (Orts-)Sagen inspirieren lässt und damit auf einen Bereich setzt, der, abgesehen von manchen Anklängen in Kinder- und Jugendbüchern, in der Fantasy eigentlich viel zu wenig genutzt wird. Gerade aus dieser unmittelbaren Anbindung an eine gewachsene Tradition außerhalb des Genres gewinnt der Roman jedoch einen Anschein von Authentizität.
Auch erzähltechnisch weicht Lehmann wieder vom Gewohnten ab: Statt sich der heute in der epischen Fantasy so weitverbreiteten Montagetechnik zu bedienen, in der mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden, führt er erst die Geschichte um Bolgan zu einem durchaus packenden vorläufigen Ende, bevor er sich Hatibs Abenteuern widmet, deren Endergebnis man zumindest in Ansätzen schon aus der Schilderung von Bolgans Erlebnissen kennt. Der Reiz besteht also nicht so sehr in der Frage, was aus Hatib wird, sondern darin, zu verfolgen, wie er dort ankommt, wo man ihn auf den letzten Seiten der Geschichte um Bolgan findet.
Hatibs Weg ist dabei recht unterhaltsam geschildert, ganz gleich, ob es ihn nun in ein wahres Spitzwegidyll von Kleinkönigreich verschlägt, das er zum Kampf gegen das bisher unbesiegte Heer des Schwarzen Prinzen motivieren muss, oder seine Reise durch unwirtliches Gebiet führt und zahlreiche Unbilden zu überstehen sind. Mit dem Waldläufer Imril ist ihm eine der lebensvollen Nebenfiguren an die Seite gestellt, die Lehmann fast mehr zu liegen scheinen als seine eigentlichen Helden.
Wie schon Die Legende von Araukarien zeichnet sich Die Melodie der Masken zudem durch wohltuende Unaufdringlichkeit aus; Tod und Verderben werden keineswegs ausgeblendet, doch setzt Lehmann eher darauf, stillere Aspekte auszuloten und sich vor allem auch mit psychischem Leid auseinanderzusetzen, statt vordergründiges Blutvergießen breit auszuwalzen. Gerade aus den Episoden um die Zwangsarbeiter zu Anfang der Bolgan-Handlung bleibt einem in dieser Hinsicht einiges im Gedächtnis, und man hofft, manch eine Gestalt im Folgeband noch einmal wiederzutreffen.
Trotz aller wohlbekannten Elemente sieht man daher am Ende des zweiten Buchs dem dritten mit Spannung entgegen und bedauert, dass Fantasy dieser Prägung es anscheinend in der Lesergunst schwerer hat als formelhaftere und nicht selten auch effekthascherische Werke.

Moon Called von Patricia BriggsMercy ist was Besonderes. Es könnte daran liegen, dass sie Mercedes heißt und eine Volkswagenreparaturwerkstätte betreibt, an ihren Tatoos, an ihren seltsamen Freunden (eine Adoptivfamilie von Werwölfen, ein Undercoverpolizist mit einer besonderen Gabe; ein Gremlin, der in Harvard studiert, und noch mehr) oder daran, dass sie eine Art Gestaltwandlerin ist und sich in einen Koyoten verwandeln kann. Wie auch immer. Als Nachbarskind und pupertäre Neunmalkluge Jesse entführt und deren Vater (der ganz nebenbei der Anführer des örtlichen Werwolfrudels ist) beinahe getötet wird, muss sie beweisen, was in ihr steckt. Dabei hat sie mit arroganten Werwölfen, anmaßenden Ex-Freunden und böswilligen Geschöpfen der Nacht zu tun.

-A werewolf tossed me against a giant packing crate while I was trying to rescue a frightened young girl who’d been kidnapped by an evil witch and a drug lord.-

Die größte Stärke von Moon Called (Ruf des Mondes)ist die Protagonistin Mercedes Thompson alias Mercy. Sie ist ein erfrischender weiblicher Charakter mit Ecken und Kanten. Einerseits heben sich ihre soziale Stellung und äußeres Erscheinungsbild stark von der Norm ab (das Coverbild trifft sie perfekt), andererseits bietet sie hohes Identifikationspotential, da sie eine bewundernswerte Persönlichkeit ist. Mercy ist sexy ohne billig zu wirken, ist stark, kann aber Schwäche zulassen, ist unabhängig und doch eine engagierte Freundin. Sie ist stur, weiß aber, wann sie nachgeben muss, hat Humor, obwohl sie es nicht immer leicht hat und vor allem, sie ist eine Frau, kein Mädchen. Kurz, Mercy ist eine “gewachsene” Persönlichkeit, die man auch im realen Leben gerne kennen würde.
Den zweiten Riesen-Pluspunkt können die Nebencharaktere für sich verbuchen. Normalerweise besteht bei einer derart starken Hauptfigur die Gefahr, dass die Nebencharaktere blass wirken oder ins Stereotypenhafte abgleiten – das Gegenteil ist der Fall. Sie wirken unglaublich real und sind selbst starke Sympathieträger. Als # starb, hätte ich am liebsten geheult, obwohl ich ihn erst seit einigen Seiten kannte. Außerdem gehören Briggs Charaktere den verschiedensten ethnischen und sozialen (Rand-)Gruppen an (und damit meine ich nicht das Feenfolk und andere Zauberwesen). Weiß, männlich und protestantisch bildet hier die Ausnahme von der Regel. Und wenn man sieht, wie vielschichtig und ausbaufähig die Haupt- als auch die Nebenfiguren sind, kann man erkennen, dass der Autorin mehr als nur eine Geschichte unter den Nägeln brennt.
Die Geschichte selbst ist gut und spannend geschrieben, selten vorhersehbar und nebenbei ist auch eine Love-Story am köcheln (Kitschfaktor kleiner gleich Null). Für deutsche Leser besonders amüsant sind die eingebauten dt. Heldensagen und deutsche Konversationsfetzen – einfach süß!
Nur gegen Ende gibt es ein, zwei kleinere Wehwehchen, die wahrscheinlich durch überhastetes Schreiben zustande gekommen sind. Einmal weicht Patricia Briggs vom obersten Gebot der Autorenzunft ab (“show, don’t tell”) und lässt zwei Figuren (Mercy und Christiansen) einander die Handlung samt gegenwärtigem Stand der Verschwörungstheorie erklären. Es reißt den Leser aus dem bis dato flotten Tempo heraus und wirkt etwas unbeholfen. Auch vom eigentlichen Gegenspieler, der die Fäden im Hintergrund zieht, hätte ich mir mehr erwartet als die letztendlich etwas lahme Konfrontation. Aber bitte, bitte, lasst euch nicht von meiner etwas pingeligen Kritik davon abhalten, dieses fantastische Buch zu lesen!

Cover des Buches "Nachts unter der steinernen Brücke" von Leo PerutzDer verbummelte Student Jakob Meisl erzählt seinem Nachhilfeschüler Geschichten, die sich im alten Prag zur Zeit Kaiser Rudolfs II. zugetragen haben. Diese Geschichten handeln u.a. von seinem Vorfahren Mordechai Meisl, der in der Prager Judenstadt -im Ghetto- lebte, von Wallenstein und von Kaiser Rudolf II.

-Im Herbst des Jahres 1589, als in der Prager Judenstadt das große Kindersterben wütete, gingen zwei armselige Spaßmacher, ergraute Männer, die davon ihr Leben fristeten, dass sie bei den Hochzeiten die Gäste belustigten, durch die Belelesgasse , die vom Nicolasplatz zum Judenfriedhof führte.-
Die Pest in der Judenstadt

Dieser Novellenroman ist ein Meisterwerk der Erzählkunst und hat seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1953 leider nie die Publikumsresonanz gefunden, die er verdient hätte.
Leo Perutz erzählt in Nachts unter der steinernen Brücke die Geschichte einer verbotenen Liebe. Es kann aber durchaus sein, dass der Leser dies nicht gleich bemerkt, denn diese Liebe nimmt nur wenige Seiten des Romans ein und der Aufbau der Geschichte ist ungewöhnlich.

Dieses Buch enthält vierzehn Novellen, die in sich abgeschlossen sind, die aber nicht chronologisch aufeinander folgen. So glaubt der Leser zunächst, er läse einzelne, eigenständige Geschichten. Während des Lesens fällt auf, dass einige Protagonisten immer wieder vorkommen: Der Kaiser Rudolf, Mordechai Meisl, und Rabbi Loew. Und erst wenn man die letzte Novelle gelesen hat, weiß man, welche Geschichte Perutz eigentlich erzählt und wie kunstvoll er diesen Roman zusammengewoben hat. Obwohl die Geschichte nicht chronologisch erzählt wird, besitzt der Leser am Ende ein vollständiges Bild, wie die Schicksale des Kaiser Rudolfs, des Juden Meisl und des Rabbi Loew miteinander verknüpft sind.

Perutz beschreibt seine Protagonisten sehr detailliert und zeichnet auch die Nebenfiguren so liebevoll, dass jede ihren eigenen individuellen Charakter besitzt.
Die Handlung des Romans umfasst den Zeitraum von 1571 bis 1621. Perutz trifft mit seiner altertümlichen, poetischen, zeitweise magisch anmutenden Sprache genau den Ton dieser Epoche. Eigentlich ist Nachts unter der steinernen Brücke ein historischer Roman, die Hauptcharaktere sind alle historisch belegt und trotzdem wird man die Geschichten, die Perutz erzählt, in keinem Geschichtsbuch finden, z.B. wie Wallenstein an seinen Reichtum gekommen ist.

In seinen Novellen vermischt Perutz Geschichte mit jüdischen Legenden und alten Sagen so kunstvoll, dass es dem Leser völlig natürlich vorkommt, wenn ein Mann plötzlich die Sprache der Hunde versteht, dem Kaiser Dämonen erscheinen, Tote befragt werden oder der Leser folgende Information erhält: In der Woche zwischen dem Neujahrs- und dem Versöhnungsfest, die man die Bußwoche nennt, in einer Nacht, in der der bleiche neue Mond am Himmel steht, erheben sich auf dem Prager Judenfriedhof die Toten des vergangenen Jahres aus ihren Gräbern, um Gott zu lobpreisen.

An diesem Buch hat Leo Perutz von 1924 bis 1951 geschrieben und zwar nicht nur, weil er zwischendurch seine anderen großen Romane wie “St. Petri Schnee” oder “Der schwedische Reiter” fertig geschrieben hätte, sondern weil es für jüdische Autoren mit Geschichten, die zum größten Teil in der Prager Judenstadt spielen, unter dem Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler keinen Platz mehr gab, zuerst in Deutschland, dann auch in Österreich.
Wie in dem Nachwort zu lesen ist, versicherte der jüdische Verleger Paul Zsolnay Perutz noch 1951 wie sehr er dieses Buch schätze, aber er sähe bei der gegenwärtigen Einstellung der Leser in Deutschland und Österreich keine Erfolgschancen für diesen Roman. Dieser Roman mit seiner wunderbaren Sprache und seinem einzigartigen Erzählstil hat aber jeden Erfolg verdient. Also lesen Sie ihn selbst oder verschenken Sie ihn bei jeder Gelegenheit. Sie werden jedem Literaturliebhaber eine Freude damit machen.

Johannes Cabal the Necromancer von Jonathan L. HowardJohannes Cabal hätte vom Teufel gerne seine Seele zurück, die er gegen nekromantische Expertise eingetauscht hatte, möchte sein Wissen aber behalten. Also muss er eine Wette eingehen, wenn er es schafft 100 Seelen innerhalb eines Jahres für die ewige Verdammnis zu lukrieren, erhält er seine zurück. Und welches Mittel stellt der Teufel dem unterkühlten, streng-rationalen Johannes Cabal zur Verfügung? Natürlich ein eingestampftes höllisches Jahrmarktsprojekt …

-“Lo!” cried the demon. “I am here! What dost thou seek of me? Why dost thou disturb my repose? Smite me no more with that dread rod!” He looked at Cabal. “Where’s your dread rod?” “I left it at home,” replied Cabal. “Didn’t think I really needed it.”- p. 2

The Necromancer (Seelenfänger) tritt mit dem Anspruch auf, Grusel mit Funtasy zusammenzubringen, und ist gleichzeitig der Debutroman von Jonathan L. Howard. Dabei sieht sich das Buch mit einer generellen Schwierigkeit der Funtasy konfrontiert: Witz und Komik allein tragen den Leser oder die Leserin nicht durch das ganze Buch. Die Wahl eines Faustianischen Grundthemas mit den inzwischen schon stereotypen Elementen und Figuren kann dieses Manko nicht vollkommen ausgleichen, weshalb die Handlung des Romans hauptsächlich von den Schwierigkeiten und Konflikten getragen wird, die sich beim Organisieren des Jahrmarkts und dem Sammeln der Seelen ergeben. Da aber fast jedes größere Ereignis mit einem mehr oder weniger ausführlichen Exkurs eingeleitet wird, die Aufgaben relativ in sich geschlossen sind und keine tiefergehende Verknüpfung mit der eigentlichen Handlung besitzen, wirkt der Roman recht episodenhaft. Dies führt einerseits dazu, dass es dem Roman an innerer Kohärenz fehlt, und manche dieser Geschichten haben auch ihre Längen, andererseits stecken in diesen Geschichten oft sehr atmosphärische Szenen, die Howard mit seinem Hang zu ausführlichen Beschreibungen zu erzeugen versteht, und eine pointierte Erzählweise.

Der Funtasy-Aspekt ist ein zweischneidiges Schwert. Seinen größten Witz entfaltet der Roman dann, wenn Howard seiner Erzählerstimme einen ironischen Unterton verpasst, um die Erzählelemente von Horror- und Gruselgeschichten durch den Kakao zu ziehen. So ist der abgeklärte Johannes Cabal, der den pompösen Ritualen der schwarzen Magie und ihren Kreaturen mit distanzierter Missachtung begegnet, eine erfrischend witzige Abwechslung. Was Komik anbelangt, lässt Howard aber auch sonst nichts unversucht, von Slapstick-Humor über (mal mehr, mal weniger gut gelungene) intelligent-sarkastische Dialoge bis hin zu popkulturellen Anspielungen ist alles dabei. Zum Manko wird die Komik, wenn fast jede Szene eine humoristische Wendung nehmen muss. Dies bricht sehr oft mit der zuvor aufgebauten Atmosphäre und/oder der Figurenentwicklung, zumal der Versuch, den Akteuren und ihren Dialogen Witz und Pointen einzuhauchen, nicht immer geglückt ist und dann bemüht wirkt. Dies bessert sich jedoch deutlich im Verlauf des Romanes, der Humor wird ab dem zweiten Drittel gezielter und pointierter eingesetzt. Allerdings ist gerade dieser Aspekt des Buches sehr schwer einzuschätzen, da Humor bekanntermaßen eine sehr subjektive Angelegenheit ist.

Der Humor ist es auch, der einem Johannes Cabal näherbringt. Dieser ist alles andere als ein strahlender Held, seine Kälte und Rücksichtslosigkeit machen ihn nicht gerade zu einem Sympathieträger, seine trockenen und bissigen Kommentare gleichen dies aber teilweise wieder aus. Außerdem erhält er im Verlauf der Geschichte durch Rückblenden und Entwicklungen zunehmend Substanz (und Menschlichkeit), um nicht zum Abziehbild zu verkommen. Schon sehr bald bekommt er auch eine Riege an Begleitern, unter denen sich einige Sympathieträger befinden und die Dynamik in die Figurenkonstellationen bringen. Als heimlicher Held erweist sich bei seinen wenigen detailreicheren Auftritten der Jahrmarkt selbst, in den Howard einige sehr gelungene und witzige Ideen einfließen lässt.
Zum Ende des Buches werden jedoch Handlung, Grundthema und Figurenkonflikte gut zusammengeführt, sodass man wirklich von einem Finale sprechen kann. Gleichzeitig eröffnen sich neue Thematiken als Grundlage für die weiteren Bände der Reihe.

The Necromancer ist also ein solider Roman, auch wenn beim Humor anfangs weniger mehr gewesen wäre. Die englische Ausgabe lohnt sich nur für Leute mit gehobeneren Englischkenntnissen, allen anderen sei die deutsche Ausgabe empfohlen, die mit ihrem leicht Burtonesken Cover durchaus mit dem Original mithalten kann.

Cover des Buches "Phönix" von Steven BrustVlad sitzt im Keller eines Holzgebäudes in Süd-Adrilankha und versucht, nicht von drei finsteren Kerlen, die er nicht einmal sehen kann, umgebracht zu werden. In dieser ausweglosen Lage schickt er ein Stoßgebet zu seiner Schutzgöttin Verra – und wird erhört. Diese hat diesen Überfall nur inszeniert, um Vlad einen Auftrag erteilen zu können. Er soll König Haro auf der Insel Grünewehr ermorden. Zwar ist die Insel vor Zauberei geschützt, aber trotzdem ist der Auftrag für einen Berufsmörder nicht besonders schwierig auszuführen. Dumm nur, dass Vlad bei der Auftragserledigung über einen mysteriösen Trommler stolpert und sich nun beide in Gefangenschaft befinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wird Vlads Frau Cawti in der Heimat als Rebellin verhaftet.

-Ständig fragen die Leute mich: “Vlad, wie machst du das? Warum bist du so gut darin, Leute umzubringen? Was ist dein Geheimnis?” Ich antworte: “Es gibt kein Geheimnis. Das ist genauso wie alles andere auch. Manche verputzen Wände, andere machen Schuhe, ich lege Leute um. Man muß eben sein Handwerk erlernen und üben, bis man gut genug ist.”-
Prolog

Die Stärke dieses Buches ist der Ich-Erzähler Vlad Taltos, der seine Abenteuer mit trockenem, lakonischem Humor zum Besten gibt, dabei aber nie albern wird oder in Gefahr gerät, im Klamauk zu enden. Für Komik sorgt auch Vlads Helfer Loiosh, ein kleiner Flugdrache, dessen Benehmen Ähnlichkeit mit dem der tierischen kleinen Helfer der Helden in den Disneyfilmen aufweist, die meist von Otto synchronisiert werden.
Außerdem gibt es Vlads Frau Cawti, mit der er sich zwar gerade nicht allzu gut versteht.  Trotzdem möchte er nicht, dass sie im Imperialen Gefängnis eingekerkert bleibt. Cawti allerdings möchte das schon – obwohl sie begnadigt wurde, weigert sie sich strikt das Gefängnis zu verlassen, so lange ihre Freunde nicht ebenfalls freigelassen werden. Sture Ehefrauen können ein richtiges Problem sein, da spielt es dann auch keine größere Rolle mehr, dass jemand ein Kopfgeld auf Vlad ausgesetzt hat und er Gefahr läuft, selbst ermordet zu werden.

Da wir gerade über Familienangehörige sprechen: Großväter stellen ein weiteres Problem dar. Vlads Großvater findet den Beruf seines Enkels überhaupt nicht gut. Seit Vlad das weiß, plagt ihn das schlechte Gewissen, weil er sich bezahlen lässt, um Menschen das Leben zu nehmen und vor dem Mord an Haro bekommt er eine moralische Krise.
Das ist alles überhaupt nicht witzig!
Komisch ist es allerdings schon und so wird glücklicherweise verhindert, dass Vlad Taltos der erste Auftragsmörder der Literatur ist, über dessen Schicksal der Leser vor Mitleid in Tränen ausbricht, was politisch überaus inkorrekt wäre.

Aber Phönix (Phoenix) bietet noch mehr als trockenen Humor, es bietet auch Lebenshilfe.
Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, auf wie viele verschiedene Arten Sie sterben können? Vlad erzählt davon: Jedes einzelne ihrer lebenswichtigen Organe kann auf hundert verschiedene Arten versagen, unzählige Krankheiten warten darauf, Ihnen den Garaus zu machen, sie können von Tieren gerissen werden, sie können das Opfer von Naturkatastrophen werden, kleine Missgeschicke, tragische Unfälle lauern bei jedem Schritt, den Sie machen und haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen es darauf abgesehen haben, Sie absichtlich um die Ecke zu bringen…

Wie alt sind Sie? Siebzehn, achtundzwanzig oder sogar schon über vierzig und Sie leben noch???? Wenn Sie diesen Abschnitt des Buches gelesen haben, dann werden Sie nie wieder morgens muffelig im Bett liegen und den Tag verfluchen, weil Sie einer langweiligen Arbeit unter einem miesen Chef nachgehen müssen. Sie werden fröhlich aus dem Bett springen, das Fenster aufreißen, den Tag begrüßen und glücklich sein, dass Sie LEBEN. Was kann man von einem Buch mehr verlangen???

P.S. Spannend ist Phönix natürlich auch. Sie werden nie darauf kommen, welches Geheimnis sich hinter dem Trommler verbirgt.

Cover des Buches "Prinzessin der Haie" von Thomas Burnett Swann Als Charlie auf einen Schlag Mutter und Bruder verliert, verfällt er in eine tiefe Depression. Damit endet sein bisher so glückliches und behütetes Leben. Er verlässt die Universität und bewirbt sich für eine Stelle als Hauslehrer auf einer einsamen Karibikinsel.
Dort findet er nicht nur einen guten Freund und seine erste große Liebe, sondern er begegnet auch dem seltsamen Mädchen Jill und Curk, einem mysteriösen Fremden, der der eigentliche Herr der Insel zu sein scheint. Während Charlie versucht, Jill ein wenig Benehmen und klassiche Bildung zu vermitteln, gerät er in große Gefahr.

-Ich richte meine Geschichte nicht an meine Mitdelphine, obwohl ich sie natürlich, wie es bei meiner Rasse üblich ist, immer und immer wieder meinem erstgeborenen Sohn erzählen werde, bis er sie, Wort für Wort, einmal an seinen Erstgeborenen weitergeben kann.-
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In Prinzessin der Haie (The Goat without Horns) wendet sich Thomas Burnett Swann von der klassischen antiken Mythologie ab und verarbeitet Elemente aus der Sagenwelt der Karibik und der Seefahrt.
Gleich zu Beginn lernt der Leser “Grübler”, den Erzähler, kennen. Dessen Perspektive wechselt im Laufe der Geschichte mehrfach: so gehen Passagen, die in der ersten Person erzählt werden, nahtlos in Kapitel über, in denen Grübler eine reine Beobachter- oder Nacherzählerstellung einnimmt. Diese für Swann typische Art des Erzählens schafft eine fast authentische Atmosphäre, da sie das Gefühl vermittelt, die Geschichte von einem direkt Beteiligten zu hören.
Und wie für Swann auch typisch, ist Grübler nicht einfach ein Mensch, sondern diesmal lässt er die Geschichte von einem Delphin erzählen. Ähnlich wie Charlie, die Hauptperson der Erzählung, hat Grübler vor kurzem seine Mutter verloren und hat sich von seinen Artgenossen zurückgezogen. So ist es nur logisch, dass die Beiden gleich bei ihrer ersten Begegnung einen Seelenverwandten im jeweils anderen finden und sofort Freundschaft schließen. Nachdem Grübler kurz erzählt hat, wie er selber zur Insel “Oleandra” kam und den Leser bei dieser Gelegenheit mit der Welt der Delphine vertraut gemacht hat, wendet er sich bald Charlie und dessen Geschichte zu.

Charlie wirkt, aus Grüblers Sicht beschrieben, wie der perfekte Held einer romantischen Geschichte: gutaussehend, sportlich, empfindsam, bescheiden und klug. Auf Grund des Erzählstils wird aber schnell klar, dass Grübler ein sehr junger Delphin ist. So relativiert sich die beschriebene Perfektion zur Schwärmerei eines Jugendlichen, dessen fehlende Lebenserfahrung einen Großteil seines Urteilsvermögens ausmacht. Genauso unerfahren kommt auch Charlie auf die Insel. Bis zum gleichzeitigen Tod seiner Mutter und seines Zwillingsbruders wohlbehütet aufgewachsen, in einer Atmosphäre der Liebe und Harmonie, begegnet er seiner Umwelt mit einer Selbstgerechtigkeit, die nahezu kindlich wirkt und den Leser eher nachsichtig lächeln lässt, als dass er Charlies Verhalten übel nimmt.
Sicher trägt auch Swanns leichte und poetische Sprache zu diesem Lächeln bei, die gerade in den Begenungen Charlies mit Elisabeth, seiner Arbeitgeberin, so weit aufblüht, dass sie fast ironisch wirkt.

Elisabeth, um einiges älter als Charlie, doch in ewiger Jugend erstarrt, ist die Frau, in der Charlie seine erste große Liebe findet. Beide schwärmen für die gleichen Dichter und nehmen ihre Umwelt durch einen romantisch verklärten Schleier der Melancholie wahr. So erschafft Swann mit Elisabeth einen Charakter, der für Charlie tröstende Mutter, geheimnisvolle Fremde und romantische Geliebte zugleich sein kann.
Ihre Tochter Jill ist so ganz anders als Elisabeth. Ihre direkte, forsche Art des Auftretens, frei von jeglicher Konvention, wirkt fast brutal in diesem Umfeld und lässt Charlie anfangs heftig erschrecken. Da ihre Mutter gesundheitlich stark angeschlagen ist, wurde Jill von Curk erzogen.
Dieser wiederum ist ein Eingeborener, der fest in den Werten und Mythen seines Volkes verankert ist. Er besetzt für Jill die Vaterrolle und Elisabeth kann seiner kraftvollen und düsteren Ausstrahlung wenig entgegensetzen. Da erstaunt es den Leser wenig, dass Jill mit einer Art Geringschätzung auf ihre Mutter herabschaut und Curk nahezu vergöttert.

Erscheint Curk dem Leser geheimnisvoll und stark, so kommen seine Stammesgenossen gar nicht gut weg. Sie werden durchgehend als böse, faul und degeneriert dargestellt. Ob Swann mit dieser Art der Beschreibung provozieren wollte, ob er der Meinung war, dass diese Darstellung einer richtigen Abenteuergeschichte angemessen ist oder ob er wirklich in dieser typisch kolonialen Sichtweise gefangen war, muss wohl jeder Leser für sich selbst entscheiden.
Auch verlangt die Erzählung die Bereitschaft, sich auf die Idealisierung des viktorianischen Frauenbildes einzulassen: wunderschön, gebildet aber auch zurückhaltend und wohlerzogen soll SIE sein. Zwar wird dieses Idealbild zwischendurch gebrochen – erst durch die Grenzüberschreitung Elisabeths wird die Romanze zwischen ihr und Charlie möglich, und auch Jill fasziniert diesen anfangs mit ihrem betont “unweiblichen” Auftreten – doch am Ende unterwerfen sich beide Protagonistinnen wieder dem klassischen Frauenbild ganz bewusst und nahezu begeistert: “Auf dem Schiff werde ich mein Haar wachsen lassen. Es wächst sehr schnell. In ein paar Monaten müßte ich eigentlich präsentabel aussehen.” (Jill, Kap. 12) und können nur dadurch wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.

So begegnet dem Leser hier also eine Erzählung, die nicht frei von Ecken und Kanten ist. Doch hier ist es nun wieder Grübler, dessen ganz eigene Sicht auf das menschliche Verhalten die Ecken abmildert, der Geschichte ihre Unschuld bewahrt und ihr einen heiteren Nebenton verleiht. Grüblers jugendliche, ja fast kindliche Sicht auf die Geschehnisse, gepaart mit Swanns schon erwähntem blumigen Schreibstil und einem fast schwülen kolonialen Setting, machen aus Prinzessin der Haie das, was es ist: eine unterhaltsame Geschichte für Liebhaber poetisch-melancholischer Abenteuer mit einem Hauch Mystik.

Ritus von Markus HeitzFrankreich 1764. Eine rätselhafte Bestie streift durch die Wälder und versetzt die Menschen dort in Angst und Schrecken, denn ihre Kinder sind es, die die Bestie in einem gnadenlosen Ritus hetzt und tötet. Längere Zeit versucht der ansässige Comte de Morangiès, die Bevölkerung zur Ruhe zu bringen. Doch als die Bestie immer mehr Kinderopfer fordert, begeben sich Männer von Nah und Fern auf die Jagd nach der Bestie. Ihnen schließt sich der Wildhüter Jean Chastel mit seinen Söhnen Pierre und Antoine an. In den Herzen der Chastels schlummert ein dunkles Geheimnis, und selbst im Jahre 2004 ist der Fluch der Bestie noch nicht versiegt …

-Mit einer monotonen Melodie gluckerte der Bach über die runden Steine. Die Abendsonne fiel durch die wenigen lichten Stellen des dichten Blätterwerks und erzeugte goldenrote Flecken auf dem schattigen Waldboden. Insekten waren auf der Suche nach Nahrung und summten durch die warme Luft. Der verführerische Duft leitete sie. Es roch nach Frühling, nach neuem Leben. Und nach Verwesung.-
Prolog

Bereits als Markus Heitz‘ Roman Die Rache der Zwerge auf den Markt kam, wurde für sein nächstes Werk Ritus mit den großen Worten Eiskalte Spannung – Dunkle Geheimnisse geworben, und ich griff sofort zu, sobald dieses vielversprechend klingende Buch erhältlich war. Und ich musste feststellen, dass es bei großen Worten geblieben war.
Eines sei erst einmal klargestellt: Heitz’ Ideen sind dennoch sehr interesssant, vor allem die Idee, zwei Handlungsstränge in verschiedenen Epochen zu weben. Der erste Handlungsstrang erzählt von Jean Chastel, der Jagd nach der Bestie in den französischen Wäldern und dem Geheimnis, das Chastel und seine Söhne vor den anderen verbergen. Dieser ist der interessantere der beiden Stränge, und teilweise werden die historischen Informationen gut in die Story intigriert. Der zweite Strang erzählt von dem Werwolfsjäger Eric von Kastell im Jahre 2004, unverkennbar ein Nachfahre des Wildhüters Jean. Vor allem aber die Geschichte um ihn ist es, die vieles an der Innovation von Ritus zerstört. Markus Heitz versucht seinen Eric von Kastell als eine Mischung aus werwolfsjagendem James Bond und den Men in Black rüberzubringen. Eric metztelt und ballert sich fluchend durch Europa, eine Spur der Verwüstung hinterlassend, um nebenbei noch mit allen möglichen Frauen zu schlafen, unter anderem auf einer öffentlichen Toilette und unter einem Brückenpfeiler. Die spröden und übertriebenen Gewalt- und Sexszenen lassen das ganze schmuddelig wirken und rauben Eric von Kastell viel von seiner ohnehin dünn gesäten Glaubwürdigkeit. Somit will der historische Teil nicht mit dem modernen in Einklang stehen, die beiden Erzählstränge werden so oft gewechselt, dass man nach und nach den Überblick (und die Lust am Lesen) verliert. Sobald auch der historische Part mit Jean Chastel nur noch in bluttriefendes Gemetzel übergeht, ist nicht einmal etwas vom barocken Charme des 18. Jahrhunderts zu finden. Letztendlich wird der Leser in Unzufriedenheit über die völlig überzogene und undurchsichtige Handlung zurückgelassen. Von eiskalter Spannung und dunklen Geheimnissen, wie bereits angekündigt, kann keine Rede sein.

Cover von Der rote Tod von P.N. ElrodLong Island, 1773. Der junge Jonathan Barrett wird von seiner chronisch übelgelaunten Mutter nach Cambridge in England geschickt, um Jura zu studieren. Jonathan widmet sich nicht nur seinem Studium, sondern auch der schönen Nora. Als er wieder nach Hause kommt, gerät er zwischen die Fronten des Unabhängigkeitskrieges, was für ihn tödliche Folgen hat.

-“Du bist ein hochmütiger, halsstarriger, undankbarer Schuft!” Solchermaßen sprach -oder besser: schrie- meine Mutter mit mir, ihrem einzigen Sohn. –
Kapitel 1

Der rote Tod (Red Death) ist keineswegs so schlecht, daß er einen Verriß verdient, aber er ist auch nicht so gut, daß er zu Lobeshymnen Anlaß gibt. Besonders am Anfang wirkt die Sprache künstlich und theatralisch, man hat als Leser eher den Eindruck einer nicht besonders guten Theatertruppe zuzuhören, als den Gesprächen realer Menschen zu folgen. Und obwohl die Autorin zu dem Schachzug gegriffen hat, den Ich-Erzähler erklären zu lassen, er benutze bewußt eine moderne Sprache, gibt es einige Ausdrücke, die in einer Geschichte, die während des Unabhängigkeitskrieges spielt, stören. 1773 besucht man Feste oder Bälle und keine Parties, wenn man sich mit seiner Mutter unterhält, dann ist das ein Gespräch und kein Interview. Inhaltlich verbreitet die Geschichte für einen Vampirroman zu wenig Schrecken, es fehlt an (dem Thema angemessener) Grausamkeit. Die Vampire, die in diesem Roman ihr Unwesen treiben, haben die Macht, den Willen von Menschen zu beeinflussen, was zur Folge hat, daß die Menschen, die mit ihnen zu tun haben, sich kaum vor ihnen fürchten. Jonathan, der vor seiner Begegnung mit Nora noch keine Erfahrung mit Frauen hatte, hält es einfach für eine besondere Art des Liebesspiels als sie ihm in den Hals beißt und sein Blut trinkt und ein neugewordener Vampir wird nach einer kurzen Schrecksekunde wieder in den Schoß der Familie aufgenommen und ist nach seiner Verwandlung der gleiche nette Kerl wie vorher. Das ist ein weiteres Manko der Geschichte. Die Vampire sind nicht böse oder wenigstens amoralisch und sie befinden sich auch nicht im Konflikt mit ihrer neuen Natur, auch hier fehlt die Spannung. In diesem Roman gibt es zwar Sexualität, aber keine Erotik. Das Erotische an guten Vampirromanen ist ja gerade, daß Sex nicht beschrieben wird und dafür alles was mit Vampirismus zu tun hat höchst doppeldeutig geschildert wird, so daß die erotischen Bilder im Kopf des Lesers entstehen.
Das letzte Drittel des Romans ist Elrod am besten gelungen. Dieser Teil hat auch komische Züge und man bedauert, daß die Autorin ihre Geschichte nicht mit mehr Humor angereichert hat, denn das scheint eine ihrer Stärken zu sein.
Der Titel Der rote Tod ist für diesen eher gemächlich dahin fließenden Roman zu reißerisch, auch das rotgeflügeltes Ungeheuer, wie es auf dem Titelbild dargestellt wird, erweckt falsche Erwartungen. Dieser Roman ist etwas für Leute, die gerne historische Geschichten lesen, die mit phantastischen Elementen angereichert sind. Wer von einem Vampirroman atemlose Spannung und Gruseleffekte erwartet wird hier nicht auf seine Kosten kommen.

Ruf des Mondes von Patricia BriggsAls Mercy Thompson den jungen Mac als Aushilfe in ihrer Autowerkstätte anheuert, ahnt sie noch nicht, was für einen Ärger sie sich damit aufhalst: Mac, ein junger Werwolf, der offensichtlich sein Rudel verlassen hat, hat gefährliche Feinde. Mercy, selbst nur eine Gestaltwandlerin und weniger stark als ein Werwolf, ist dem Fall bald nicht mehr gewachsen, denn es folgt auch ein Angriff auf das örtliche Werwolfsrudel, wobei die Tochter des charismatischen Anführers entführt wird. Bald sieht Mercy sich gezwungen, alle Register zu ziehen – sie bittet ihren Vampir-Freund um Hilfe und kehrt sogar zu ihren Wurzeln zurück, dem mächtigen Werwolfsrudel, das sie einst aufgenommen hat und an das sie vor allem schmerzliche Erinnerungen binden …

-Mir war nicht sofort klar, dass ich einen Werwolf vor mir hatte.-
1

Mercy Thompson, ihres Zeichens Automechanikerin, ist eine Heldin aus einer Legion von Frauen, die in den letzten Jahren vermehrt das Phantastik-Genre aufmischen, die Werwölfe, Vampire oder Dämonen jagen, mit Werwölfen, Vampiren oder Dämonen ins Bett steigen – oder, wie eben Mercy, versuchen, trotz Werwölfen, Vampiren und anderen Gestalten zurechtzukommen und ein ganz normales Leben zu fristen. Keine Frage, daß das nicht klappt, und Mercy Verwicklungen abenteuerlicher und romantischer Natur erleben muß, denn sie behauptet sich in einer Welt, in der einige Feenwesen sich aufgrund des Mediendrucks offenbaren mußten und in Koexistenz mit den Menschen leben, wohingegen die traditionell organisierten Werwölfe und Vampire sich damit noch zurückhalten und weiter im Geheimen agieren. Hier hat Patricia Briggs geschickt einige Elemente des modernen Alltags zu einer lebendigen Parallelwelt zusammengestrickt, um eine nette, wenn auch in Zeiten der Urban-Fantasy-Schwemme nicht sonderlich originelle Kleinstadtkulisse für Mercys Abenteuer zu bieten.

Immerhin sticht die Heldin aus der Masse ihrer Kolleginnen hervor: Umgeben von mächtigen Werwölfen und Vampiren ist sie nur eine kleine Gestaltwandlerin, die ab und an als Kojote durchs Bild huscht, wenn auch durchaus mit besonderen Kräften ausgestattet. Ganz selbstbewußt und unabhängig steht sie ihre Frau (man ist schließlich Automechanikerin!), umgeben von Männern, deren erstes Attribut immer ihre Attraktivität ist, und von den besonders attraktiven sind auch gleich alle bis auf den Quotenschwulen hinter unserer Heldin im Kojotenpelz her und streiten sich mitunter um sie oder leben ihren Beschützerinstinkt aus (Rollenverhalten wird überhaupt gerne mal auf Instinkt geschoben, der im Werwolfumfeld ganz groß geschrieben wird). Urban Fantasy und Rollenklischees sind offenbar einen fast untrennbaren Bund eingegangen, auch wenn man Mercy Thompson zugestehen muß, daß sie sich im Grunde wacker schlägt, ab und an alles mit einem Augenzwinkern abgemildert wird und in diesem Bereich wirklich Schlimmeres existiert.

Mit dem aus Ich-Perspektive erzählenden Hauptcharakter steigt man schnell in eine Handlung ein, in der die örtlichen Werwölfe – nicht eben Mercys beste Freunde – von einer Verschwörung bedroht werden, in die sie mitten hineinschlittert. Witzige Episoden und Charaktere, vom VW-Bus-fahrenden Vampir bis hin zum Werwolf-Anführer, der keiner Katze ein Haar krümmen kann, sorgen für gute, spannende Unterhaltung, die man locker weglesen kann. Allzu viele Gedanken sollte man dem Plot allerdings nicht widmen, sonst fällt er in sich zusammen wie ein Kartenhaus, vor allem beim konstruiert wirkenden und flott abgehandelten Ende wird deutlich, wie dünn die Handlung war. Die letzte Szene schrammt knapp an einem hochromantischen Ausgang vorbei und mündet stattdessen in das vergnügliche Hickhack zwischen den Charakteren, das im gesamten Roman präsent war.

Mercy als lockere Erzählerin tut ein übriges dafür, daß der Humor nicht zu kurz kommt, allerdings wirkt der Ich-Erzähler gerade anfangs stellenweise plump, wenn allzu offensichtlich Dinge erklärt und Informationen eingestreut werden, die, wenn schon auf diese Art, vielleicht immer noch charmanter mit einer direkten Ansprache des Lesers untergebracht worden wären, statt sie ihm in Monologen der Hauptfigur unterzuschieben, die die Handlung bremsen und wie Fremdkörper wirken. Nachdem man die ersten Erklärungen, die gleichsam Einführung in Mercys Welt sind, hinter sich gelassen hat, steht dem Spaß an der Lektüre allerdings nicht mehr viel im Wege, wenn man sie als das nimmt, was sie ist: Seichte Unterhaltung ohne große Hintergründe – jedoch vergnüglich und solide umgesetzt, und somit eine ideale Entspannungslektüre für alle, die nicht gleich in den wirklichen Untiefen der Urban Fantasy und Romantasy nach Lesefutter angeln wollen, sondern eine größtenteils bodenständige Heldin und Geschichte bevorzugen.

Die deutsche Ausgabe von Moon Called wartet allerdings noch mit einem großen Mangel auf: Einer phänomenalen Dichte an Fehlern – vom Tippfehler über verdrehte Namen bis hin zu nicht zu Ende geführten Sätzen, in einer Frequenz, die das Lesevergnügen durchaus beeinträchtigt.

Cover von Der Runenbrecher von Mark AnthonyMogh, der Herr des Sonnenuntergangs, ist frei. Auf der Erde bedient er sich des HighTech-Konzerns Duratek, dessen Forscher mit einer Kombination aus Gentechnik und Magie die Grenze zur Parallelwelt Eldh überwinden lernen. Travis Wilder ist in den tiefsten Niederungen der Verzweiflung, erhält aber immer wieder Hilfe und gelangt zum Ziel seiner Bestimmung. Mehrere Handlungsstränge werden am Ende vereint und führen im letzten Kanpf zwischen Licht und Finsternis zusammen. Ein Teil der Geschichte spielt auf der Erde einer unbestimmten, aber nahen Zukunft, der andere auf der mittelalterlichen Parallelwelt Eldh, auf der Magie und Fabelwesen den Alltag bestimmen.

-Dr. Ananda Larsen beugte sich auf ihrem Schreibtischstuhl nach vorn und trommelte neben der Computertastatur mit den Fingern auf den Tisch. Das Laufwerk summte, die Ladeanzeige schlich über den Bildschirm. Fünfundsiebzig Prozent.-

Ehrlich zugegeben: schon lange hat mich kein Buch mehr so gefesselt wie Der Runenbrecher (The Gates of Winter). Das sieht man vielleicht auch an der Tatsache, dass ich es an einem Tag durchgelesen habe (und damit nebenbei den Ärger sämtlicher Familienmitglieder auf mich gezogen habe, weil ich nichts anderes gemacht habe außer zu lesen…).
Alle Handlungsstränge werden von Anthony wieder aufgegriffen und zu einem (scheinbaren) Ende geführt. Langsam entsteht das Mosaik, das sich im vorherigen Band lediglich abzeichnete, und man erkennt, wo jeder einzelne Stein bzw. Charakter seinen Platz hat.
Scheinbar mühelos gelingt es Anthony trotz der vielen Einzelhandlungen keine logischen Fehler einzubauen, alles in genauestens durchdacht. Bei scheinbaren Unmöglichkeiten (wieso reden Vani und Beltan auf der Erde Englisch?) findet man im Buch oder den Büchern davor die Antworten darauf (Vani lebte schon drei Jahre auf der Erde, Beltan konnte durch das Elfenblut die Sprache lernen). Gerade wegen der Komplexität, die man nach 10 Bänden auch erwarten darf, gibt der Autor manchmal selbst die Antwort und lässt einen seiner Charaktere Fakten aus den vorherigen Büchern wiederholen, aber eben nur genau jene, die auch für die Handlung wichtig sind.
Die Spannung, die sich schon im Vorgänger aufgebaut hat, wird hier fortgesetzt und ohne viele Ruhepunkte immer weiter vorangetrieben, bis zum dramatischen Finale, der Kampf gegen Mohg.
Doch ein Ass hat Anthony noch im Ärmel, denn wider Erwarten ist die Bedrohung noch nicht ganz abgewendet.

Cover von Die Saat der Zwietracht von Janny WurtsDie Lage spitzt sich zu. Arithon hat sich in das Küstendorf Merior zurückgezogen und schmiedet dort Pläne für eine Flucht aus Athera, doch vorher muss er noch der Bitte seines Meisters nachkommen und eine alte Feindschaft in Innish beenden. Dann taucht die junge Hexe Elaira im Dorf auf …
Durch einen Handel mit einer Hexe des Korianiordens erfährt Lysaer den Aufenthaltsort seines verhaßten Halbbruders und beginnt mit seinem Feldzug gegen den Herrn der Schatten.

-»Bist du dumm? Du musst dumm sein, wenn du hier in der Sonne brätst wie ein Würstchen.« Nachdem sie diese Perle der Weisheit abgeliefert hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zu.-
2 Merior

Auch der vierte Teil der Nebelgeist-Saga stellt sich ganz in die Tradition der Vorgänger: während der Schreibstil für ein sehr lebendiges Bild von Athera sorgt, bemühen sich Handlung und Charaktere den Anforderungen gerecht zu werden. Meistens gelingt das auch.
Das größte Problem sind für mich die Hauptcharaktere. Zwar bemüht sich die Autorin, genau zu erklären, was gerade in den Personen vorgeht und warum sie so handeln (bzw. handeln müssen), wie sie es tun, trotzdem kann man zu keinem der beiden Brüder eine wirkliche Verbindung aufbauen: Lysaer wird mehr und mehr als “der Böse” dargestellt, auch wenn natürlich der Fluch des Nebelgeites für seine Tat verantwortlich ist. Arithon wird von seinen früheren Handlungen gequält, sorgt sich, ohne auf sich selbst zu achten, um andere und stürzt sich mehr und mehr auf seine Musik; das sind wohl die schwersten Passagen des Buches, da eine seitenlange Beschreibung über das unvergleichliche Spielen von Arithons Lyranthe und über die perfekten Noten nicht gerade zur Spannung beiträgt und zumindest von mir nicht ganz nachvollzogen werden kann.

Die Handlung führt die Geschichte gelungen weiter, auch wenn für fast 500 Seiten relativ wenig passiert. Das Ende entschädigt für einige Längen in der Handlung, die zwar das Verständnis für die Charaktere ausbauen, aber nichts zur Spannung beitragen.
Ein großer Pluspunkt ist, dass die Autorin ihren lebendigen Schreibstil auch über tausende Seiten, die es mittlerweile sind, aufrecht erhalten kann. Nahtlos reiht sich die Geschichte an die Vorbände. Durch ihren Stil wirkt die Geschichte wundervoll lebendig, das Bild von Athera wird Stück für Stück ausgebaut und vielschichtiger. Dadurch werden auch die Längen erträglicher und man kommt schneller voran, als man vielleicht beabsichtigt hat.

Sanctum von Markus HeitzNach einer langen Hetzjagd erreicht Eric von Kastell Rom, die Ewige Stadt. In den Straßen dieses geheimnisvollen Ortes fließen alle Fäden zusammen, die zum Vermächtnis einer rätselhaften Frau aus dem 18. Jahrhundert führen: Gregoria, die Äbtissin des entweihten französischen Klosters. Nach und nach stellt Eric fest, dass er und Gregoria untrennbar miteinander verbunden sind. Durch die heiligste Substanz, die sich auf Erden finden lässt: Das Sanctum …

-“Macht Euch nicht lächerlich, Abbé. Die Bestie ist tot.” So, wie Pierre-Charles, Comte de Morangiès, es sagte, klang es nach einem Befehl. Wie immer, wenn die Rede auf das Untier kam, das im Gévaudan mehr als drei Jahre lang gewütet hatte.-
Prolog

Bisher ist Sanctum Markus Heitz’ in jeder Hinsicht schlechtestes Buch, und diesmal wirken sich nicht einmal Heitz’ Ideen positiv auf die Bewertung dieses Romans aus. Wieder bestehen zwei Handlungsstränge – ein historischer und ein moderner – und da beide fast ausnahmslos in Rom spielen, verliert man schon bald wieder den Überblick und die aus Ritus bekannte Langeweile kommt auf. Schnell wird erneut – vor allem in Erics Part – gemetzelt, was das Zeug hält – Splatterszenen sind wohl das, was in diesen Büchern die dunkle Spannung beinhalten soll. Es geschehen abartige und unglaubwürdige Morde, die wohl eine Gänsehaut verursachen sollten, jedoch nur einen angewiderten Blick und Lustlosigkeit hervorrufen. Unter anderem zerstört Eric ein Café, ballert hemmungslos darin herum und liefert sich eine Verfolgungsjagd mit einer Sekte, die Werwölfe anbetet – Dan Brown lässt grüßen – ohne für seine Gewalttaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Da wird in aller Öffentlichkeit gemordet und die Zeugen gucken nur groß – so etwas wie eine Polizei scheint es in und um Rom nicht zu geben.
Wieder sind Heitz’ Inspirationsquellen ersichtlich: Illuminati und Sakrileg liefern nicht nur die Vorlage für den Handlungsort, Rom, sondern wohl auch für die lang bestehende Sekte, die stark an die Illuminati und Opus Dei in Dan Browns historischen Krimis erinnert.
Sanctum beherbergt noch mehr Charaktere als Ritus, und durch sich ähnelnde Namen und die Masse der Personen geschieht es leicht, dass man nicht weiß, welchen Handlungsträger man gerade vor sich hat.
Lange Zeit wird ein Geheimnis darum gemacht, was das Sanctum ist, und als das große Geheimnis gelüftet wird, stellt es sich eher als großes Manko heraus. Unlogik und Unglaubwürdigkeit stehen in Sanctum an der Tagesordnung, und man quält sich regelrecht von Seite zu Seite, immer wieder darauf hoffend, dass Markus Heitz doch noch einen großen Knall am Ende setzt. Leider war dem nicht so. Bloß das übliche Standard-Gemetzel und eine weitere, große Enthüllung – sollte das vielleicht der Knalleffekt sein? -, von der nie die Rede war und die bloß dazu dient, dass der Leser ein weiteres Mal erleben darf, wie Eric von Kastell jemandem das Nasenbein zertrümmert. Mit diesem Schluss ist jegliches Wohlwollen dem Buch gegenüber verspielt, und man stellt es mit dem traurigen Gefühl in der Magengegend ins Regal zurück, als Leser nicht ernstgenommen zu werden.

Cover des Buches "Das Schiff der Hoffnung" von Janny WurtsDie letzte Schlacht steht bevor: das Heer Lysaers und die Clankrieger Arithons stehen sich in Vastmark gegenüber und sind bereit zum Kampf. Jetzt wird sich zeigen, ob die Halbbrüder sich dem Fluch des Nebelgeistes entgegenstellen können oder ob die Rache Desh-Tieres am Ende doch erfüllt werden kann…

-So fremd es ihm auch war, sich dergestalt unsicher zu fühlen, als wäre er noch ein junger, unerfahrener Krieger, blieb doch die Abscheu gegen den Gedanken, sein Schwert ziehen zu müssen. Auch schien ihm kein Grund unter dem Himmelsrund auszureichen, auch nur noch ein weiteres Leben zu fordern. Am falschen Ort und viele Jahre zu spät erkannte er, dass sein Stolz und seine kriegerische Kunst ihn nirgendwohin führen würden.-
3 Krieg im Dier Kenton-Tal

Den Stil von Frau Wurts werden einige nicht leicht zu lesen finden. Verschachtelte, teilweise sehr lange Sätze und die häufige Verwendung von Genitiven lassen den Stil recht altbacken erscheinen. Ich fand ihn im Gegensatz dazu endlich mal wieder ein wenig anspruchsvoll, nachdem in den neueren Bücher immer öfter Denglisch auftaucht und Kommata Mangelware sind (was nicht heißen soll, dass hier jeder Satz eine halbe Seite lang ist). Schließlich schafft Frau Wurts dadurch ein sehr lebendiges Bild von Athera, das trotz diverser Satzkonstrukte zu fesseln vermag. Welchen Stil man nun bevorzugt, bleibt jedem selbst überlassen.

Am Ende bleibt ein gewisser Wermutstropfen: die sich bereits vorher angedeutete Schwarz-Weiß-Malerei (Arithon gut, Lysaer böse) hat sich im Laufe doch noch verstärkt, so dass die am Beginn gestellte Aufforderung (“Möge ein jeder, der sie liest, selbst entscheiden, wo sich Gut und Böse in diesem Geschehen trennen lassen”, Band 1) eigentlich beantwortet wurde. Alles nur auf den Fluch des Nebelgeistes zu schieben, klingt in meinen Ohren hohl, auch wenn die Autorin darauf besteht.

Es ist deutlich zu merken, dass Das Schiff der Hoffnung (The Warhost of Vastmark) eigentlich als Einzelband geplant war und vom Verlag aufgeteilt wurde. Besonders die beiden mittleren Bände vier und fünf können kaum als eigenes Buch bestehen, dafür sind sie auch gar nicht konzipiert. Es passiert einfach nicht genug, Anfang und Ende kommen abrupt und scheinbar willkürlich. Zwar hat der Verlag sich Mühe gegeben, das Original sinnvoll zu trennen, trotzdem macht dies die zerpflückten Bücher nicht besser und eine Bewertung der Einzelbände schwerer. Man muss also die Bände drei bis sechs als ein Werk ansehen und sich dann ein Urteil bilden.

Cover des Buches "Die Schiffe von Merior" von Janny WurtsWie die Prophezeiung es voraussagte, ringen die Mächte des Lichts und des Dunkels in der Gestalt der zwei Prinzen Arithon und Lysaer miteinander. Nun sind die Wolken verschwunden, die den Himmel Atheras einst verdüsterten. Doch noch in seiner Niederlage belegte der Nebelgeist seine beiden Bezwinger mit einem Fluch, dem mächtigen Fluch der Rache…

-Mit schmerzendem Kopf und einer Zunge, die sich anfühlte, als wäre sie in alte Felle gewickelt, erwachte der Wahnsinnige Prophet. Wenn die Glücksgöttin ihn in der Nacht auch geküsst haben mochte, so hatte es ihr anschließend wohl gefallen, ihm des Morgens auf dem Kopf herumzutrampeln.-
2 Landstreicher

Die Nebelgeist-Saga geht in die nächste Runde. Fünf Jahre nach der Schlacht im Strakenwald sind die Fronten nach wie vor verhärtet. Während Lysaer bei den Stadtbewohnern immer mehr Sympathien sammeln kann, ist sein Halbbruder Arithon untergetaucht und zieht mit Halliron, dem Meisterbarden, durch die Lande.

Da der Roman zeitlich ein ganzes Stück später als die letzten beiden Bände spielt und völlig neue Handlungsstränge eingeführt werden müssen, leidet ein wenig die Spannung. Nicht, dass dieser Teil staubtrocken wäre. Die Atmosphäre zieht einen nach wie vor in ihren Bann und lässt die Seiten nur so dahinschmelzen. Allerdings reicht Die Schiffe von Merior (The Ships of Merior) in punkto Spannung einfach nicht an seinen Vorgänger heran. Die Brüder begegnen sich nicht und sind meist einen ganzen Kontinent voneinander getrennt. Zwar ist jeder für sich auch interessant, aber eine gewisse Schwarz-Weiß-Malerei (Lysaer böse, Arithon gut) ist durchaus nicht zu übersehen. Freilich nur in einem sehr geringen Maße und an wenigen Stellen; der Spaß an der Saga wird nicht getrübt.

Mittlerweile hat man sich auch an die manchmal schwierige Ausdrucksweise gewöhnt, die zwar eine gute Atmosphäre zu vermitteln vermag, aber auch Sätze ungeahnter Länge hervorbringt. Ein paar Punkte mehr wären hier und dort vielleicht besser gewesen. Wie auch zuvor ist die Übersetzung sehr gelungen, in sich stimmig kann sie den Stil der Autorin gut vermitteln.
Alles in Allem wieder ein Garant für ein paar vergnügliche Lesestunden.

Johannes Cabal: Seelenfänger von Jonathan L. HowardJohannes Cabal hätte vom Teufel gerne seine Seele zurück, die er gegen nekromantische Expertise eingetauscht hatte, möchte sein Wissen aber behalten. Also muss er eine Wette eingehen, wenn er es schafft 100 Seelen innerhalb eines Jahres für die ewige Verdammnis zu lukrieren, erhält er seine zurück. Und welches Mittel stellt der Teufel dem unterkühlten, streng-rationalen Johannes Cabal zur Verfügung? Natürlich ein eingestampftes höllisches Jahrmarktsprojekt …

– Walpurgisnacht. Hexensabbat, die letzte Nacht im April, in der das Böse umgeht. –
Kapitel 1 – In dem ein Wissenschaftler die Hölle besucht und ein Pakt geschlossen wird.

Zu Seelenfänger liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von The Books of the South von Glen CookNach dem Fall des Dominators macht sich die Black Company auf den Weg nach Süden und damit zu einer Reise in die eigene Vergangenheit – nach Khatovar. Dabei finden sich nicht nur neue Rekruten für die geschrumpfte Truppe, sondern auch neue Herausforderungen. Denn als die Gruppe die Stadt Taglios erreicht, sieht sie sich erneut dunklen Mächten gegenüber, die ihren Weg blockieren. Im Auftrag der Stadt Taglios, mit der die Black Company scheinbar mehr verbindet als ein Vertrag, muss Croaker nun seine Rolle als Hauptmann tatsächlich voll ausfüllen.

-I, of course, replied with the golden tongue of a horse seller >Uh…Uh…But…< . Like that. Master of the glib and facile remark.- S. 26

Shadow Games ist der Auftaktband für die Books of the South und schließt direkt an den Abschluss der Trilogie Books of the North an. Daher sei Neulingen der Reihe angeraten, sich zuerst die Vorgängerromane anzuschauen, auch wenn in dieser Rezension Spoiler so gut wie möglich vermieden werden, ist es kaum möglich, die Ereignisse aus den Vorgängern vollkommen auszuschließen.

Shadow Games bietet vieles, was man bereits aus den Books of the North kennt, und das ist sowohl Stärke als auch Schwäche des vorliegenden Bandes. Croaker ist immer noch derselbe unterhaltsam-hemdsärmelige Erzähler, nicht zuletzt wegen seiner Selbstironie, die selbst das finsterste Setting noch aufhellt. Das ist also die altbekannte Stärke der Serie.

Die Reise von den nördlichen Gebieten des Imperiums der Lady über die See der Qualen bis tief in den Süden des anderen Kontinents liest sich zwar durchaus flüssig, die durchwanderten Regionen werden jedoch nur andeutungsweise geschildert und stecken voller Exotismen, von runzeligen, kleinen Stammesleuten im Dschungel bis hin zu hochgewachsenen dunkelhäutigen Kriegern mit fellbespannten Schilden. Selbst die Stadt Taglios bleibt noch etwas farblos, denn außer der Zersplitterung in zahllose Kulte und der Aversion gegen dieselben und deren Priester, der sämtliche Haupt- und Nebenfiguren mehr oder weniger freien Lauf lassen, erfährt man relativ wenig über die leicht indisch angehauchte Metropole.
Auch tut es dem Roman nicht unbedingt gut, dass sich für die neue Trilogie wieder dasselbe Szenario zu ergeben scheint, wie es schon in den Books of the North der Fall war. Tatsächlich werden im Verlauf der Handlung außerdem Fässer erneut aufgemacht, die man mit der Vorgängertrilogie für längst ver- und abgeschlossen hielt. So gelungen und spannend das Setting der ersten Trilogie war, ein bloßer Aufguss desselben wäre etwas zu viel Altbekanntes.

An sich böte die lange Reise bis Taglios, die doch einen bedeutenden Teil des Buches ausmacht, auch eine gute Gelegenheit, neue Figuren einzuführen oder alte näher kennenzulernen. Es bleiben jedoch sowohl die neuen Personen, die sich zur Black Company gesellen, als auch die bekannten Söldner, abgesehen vielleicht von Croaker und ansatzweise der Lady, (weiterhin) kaum mehr als grob skizzierte Nebenfiguren, die mehr oder weniger dieselben Rollen wie ausfüllen, die sie seit dem ersten Band innehaben.
Der Liebesbeziehung zwischen Croaker und der Lady, die nun (endlich) realisiert werden könnte, wird immerhin viel Platz eingeräumt. Allerdings führt dies dazu, dass sich die beiden in der ersten Hälfte des Buches plötzlich mehr wie pubertierende Jugendliche aufführen, denn wie Erwachsene. Gerade bei der Figur der Lady, der mächtigen, uralten ehemaligen Kaiserin eines enormen Reiches, wirkt dies sehr gekünstelt und zeigt einmal mehr, dass gute Liebesgeschichten nicht einfach zu schreiben sind.

In der zweiten Hälfte kann Cook dann wieder seine Stärken ausspielen, als die Kampagne Croaker in Beschlag nimmt und die Lady sich wieder in die selbstbewusste, starke Frauenfigur verwandeln darf, als die man sie kennt. Auch die Andeutungen bezüglich der Vergangenheit, welche die Black Company mit Taglios verbindet, politische Intrigen und allerhand militärisches Taktieren sorgen dafür, dass der Roman deutlich an Spannung hinzugewinnt, und er endet sogar mit einem Paukenschlag, der trotz aller Kritik dazu führt, dass man wissen will, wie es weitergeht.

Dass Cooks Stärken nicht unbedingt in tiefgründiger Figurenzeichnung liegen, wissen Anhänger der Reihe wohl seit den ersten drei Bänden, aber er hat mit Croaker eine Erzählerfigur geschaffen, die einen immer noch über so manche Schwäche gerne hinwegsehen lässt, davon profitiert auch Shadow Games. So liefert Cook mit Shadow Games erneut einen flüssig zu lesenden und unterhaltsamen Roman, der vor allem in der zweiten Hälfte sehr spannend ist, ob er jedoch aus den Books of the South mehr als eine Variation der Books of the North machen kann und aus dem Setting mehr herauszuholen vermag, muss sich erst erweisen.
Der Roman ist zuletzt gemeinsam mit dem Folgeband Dreams of Steel und dem spin-off The Silver Spike in dem Sammelband The Books of the South (ISBN: 978-0-7653-2066-7) veröffentlicht worden.

Silberlinge von Jim ButcherDas Grabtuch von Turin wurde aus dem Vatikan gestohlen, und Harry soll es finden. Was anfangs nach einer einfachen Aufgabe klingt, wird schnell brenzlig, als Harry es mit Auftragskillern, gefallenen Engeln, einer kopflosen Leiche mit zahllosen Krankheiten und dem Champion des Roten Hofes der Vampire zu tun bekommt. Als wären das noch nicht ausreichend Herausforderungen, taucht auch Susan plötzlich vor Harrys Türe auf und hat einen anderen Mann dabei.

– Manche Dinge passen einfach nicht zusammen, etwa Öl und Wasser, Orangensaft und Zahnpasta.
Das gilt auch für Magier und das Fernsehen. –
Kapitel 1, S. 1

Zu Silberlinge liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Snake Agent von Liz WilliamsDetective Inspector Chen, Polizist in Singapore Three, erhält eine Vermißtenmeldung: Der Geist von Pearl Tang, der Tochter eines Großindustriellen, ist nach dem Tod des Mädchens nicht im Himmel aufgetaucht. Chen stößt bei seinen Ermittlungen sehr schnell auf Widerstand, findet aber schließlich heraus, daß Pearl widerrechtlich in der Hölle gelandet ist. Während sein primäres Ziel die Überführung des Geistes in den Himmel ist, hat die Hölle ein eigenes Interesse an der Aufklärung der Sache und schickt dazu den Seneschall Zhu Irzh vom Lasterministerium zu Ermittlungen auf die Erde. Dort gerät er Chen in den Weg.

-Detective Inspector Chen brushed aside the chaos on his desk and carefully lit a single stick of scarlet incense.-
One, Singapore Three, Earth, One Week Earlier

Wenn westliche Autoren Krimi-Geschichten aus einem China mit mythischem Einschlag erzählen, liegt die Meßlatte hoch, denn dabei Pfade einzuschlagen, über die Barry Hugharts Meister Li noch nicht mit größerer Kunstfertigkeit von seinem Gehilfen Nummer Zehn der Ochse getragen wurde, ist eine Herausforderung.
Ein erster Schritt in eine andere Richtung ist es, Snake Agent, den ersten Band mit den Fällen von Detective Inspector Chen, nicht im alten China, das es niemals gab, sondern in einer Volksrepublik der nahen Zukunft anzusiedeln, die sich von unserer Gegenwart hauptsächlich in fortgeschrittener Kommunikationstechnologie und darin unterscheidet, daß aus Städten Franchises geworden sind, wobei Chens Singapur der dritte Ableger der Metropole ist. Und im Gegensatz zu seinem in Shanghai tätigen Namensvetter Inspector Chen von Qiu Xiaolong kümmert Chen Wei sich um die übernatürlichen Kriminal- und Problemfälle seiner Stadt, in der Himmel und Hölle und alles dazwischen präsent genug sind, daß jeder vernünftige Bürger sich an die Richtlinien des Feng Shui hält, aber dennoch jemanden wie Chen, der mit diesen Mächten persönlichen Kontakt pflegt, furchtsam beäugt.
In allem anderen – dem feinen Humor, den absurden Situationen zwischen spiritueller und physischer Welt und dem rasanten Plot – marschiert Liz Williams zielsicher und frohgemut in dieselbe Richtung los wie Hughart.

Der Form nach beginnt Snake Agent wie ein typischer Polizeiroman, der allerdings nicht nur ein wenig übernatürliche Dekoration ins Bild schiebt, sondern durch und durch aus seinem Setting schöpft, und das von der ersten Seite an, wenn klar wird, daß das verschwundene Mädchen, das Chen suchen soll, bereits als Geist durch die Hölle schwebt, wo sie dummerweise fehl am Platz ist. Bürokratie, Korruption und abergläubische Kollegen machen Chen das Leben schwer, während er mit meditativ gestärktem Qi und Rosenkranz bewaffnet und unter den Fittichen einer unzuverlässigen Schutzgöttin seinen ungewöhnlichen Arbeitsalltag bestreitet.

Sein Weg führt ihn nicht nur in Singapurs Reichenviertel, sondern recht schnell auch ins Rotlichtviertel der Hölle, die sich gemäß der chinesischen Mythologie vor allem als bürokratisches Monstrum darstellt, wo an jeder Ecke ein dämonischer Apparatschik lauert. Die Designvorstellungen der Höllenbewohner sind bisweilen eklig, man kennt diese Knochen- und Blutaffinität auch aus westlichen Darstellungen – in Sachen Hölle scheinen sich die Kulturen nicht viel zu schenken. Direkt stattfindende Grausamkeiten spielen dagegen bei Snake Agent so gut wie keine größere Rolle. Das Höllen-Dekor vervollständigt damit vor allem das gezeigte Höllenbild. Die Ironie, die in dieser altmodischen und zugleich erschreckend modernen Unterwelt liegt (in der man zur Organisation des höllischen Wirkens auch Emails einsetzt), ist fast immer ein Treffer, nur ganz selten kommen bei der Kombination von biblisch anmutendem Moralverständnis und einer modernen Bürokratie seltsame Gebilde heraus.
Aus dieser Hölle, einem Ort voller bizarrer Lebewesen und Regeln, kommt Chens dämonischer Gegenpart Zhu Irzh, nie um eine Opiumzigarette oder ein modisches Accessoire verlegen. Kurz bevor es zu viel wird mit der Faszination und Attraktivität des Bösen, zieht Liz Williams meistens die Reißleine. Spätestens wenn der Seneschall sich fragt, ob er sich einen hartnäckigen Fall von Moral eingefangen hat und hofft, daß er dagegen auch krankenversichert ist, hat er die Lacher auf seiner Seite.
Die Interaktion der beiden Hauptcharaktere ist ein Glanzpunkt von Snake Agent – sie ist zwar ein Klassiker, diese forcierte Zusammenarbeit von gegnerischen Parteien unter widrigen Umständen, aber wer möchte bei einer so frischen, charmanten Umsetzung wie hier nicht gleich „Nochmal!“ rufen und sich auf den nächsten der inzwischen fünf Fälle freuen? Während Chen als ruhiger Ankerpunkt und Antrieb der Handlung fungiert (spätestens, nachdem seine Frau involviert ist, der Liz Williams einen bezaubernden Vertrauten aus dem asiatischen Fabelschatz an die Seite gestellt hat), tritt Zhu Irzh als der aufgewühlte und aufwühlende Gegenpol auf. Auch die Nebenrollen sind bis in kleine Details liebevoll besetzt, mit Chens Polizeikollegen, einem streng parteitreuen Dämonenjäger, diversen höllischen Auswüchsen oder dem stets mürrischen Exorzisten Lao.

Die Erinnerungen an Hughart und seine besten Szenen, die Liz Williams mit Chen und Zhu Irzh wachzurufen imstande ist, sprechen für ein Gelingen des Experiments; aber auch Good Omens von Pratchett und Gaiman läßt durch das Protagonistenduo und die Thematik hie und da grüßen. Kleinere Schwächen wie die Vorhersehbarkeit einiger Entwicklungen und eine letztlich recht simple Lösung des komplizierten Falls (wie das eben so ist, wenn Gottheiten und überirdische Mächte involviert sind) verzeiht man gerne, denn vorab ging es ausgesprochen spannend zur Sache, in gut abgestimmten Handlungssträngen und temporeichen Szenen, die immer wieder große Bildgewalt entfalten.
Seinen Höhepunkt – und auch das, was Snake Agent von anderen lockeren Fantasy-Krimis abhebt – findet der Roman in den bitterbösen Seitenhieben auf unsere Gesellschaft, die sich in ihren Verflechtungen mit der Hölle und deren spiegelbildlicher Struktur finden. Surreal und allzu real stehen oft so dicht hintereinander, daß einem manches Lachen ein klein wenig im Hals stecken bleiben will.

The Soul Consortium von Simon West-BulfordSalem Ben, der letzte Mensch im Universum, lebt alleine auf einem künstlichen Mond, wo jedes gelebte Leben als digitale Kopie archiviert liegt. Der Rest der Menschheit hat nach Millionen von Jahren eines sinnlos gewordenen Lebens den Freitod gewählt – der natürliche Tod wurde durch enorm fortschrittliche Technologien im Bereich des Klonens und synaptischer Übertragung besiegt -, nur Salem Ben fürchtet auch nach all der Langen Zeit das Ende und sucht eine Antwort auf die letzte aller Fragen, bevor er sich dem Tod stellen kann: gibt es ein Leben danach?
Um die Antwort zu finden, schlüpft er in verschiedene archivierte Leben. Doch was er statt der Antwort findet, ist eine bösartige Entität, die die Entstehung des Lebens zu redigieren gedenkt – Salem Ben ist das Einzige, was ihr dabei im Weg steht.

When I was a boy my smiling schoolteacher asked my class a very simple question:
»What is the one thing in this world that we can all know as an undeniable certainty?«
The students looked at each other, smirking as they whispered their sarcastic remarks, but the grins soon fell when she spoke again. Not because she had brought her palm down hard on her desk when she revealed the answer. It was tears in her eyes.
»One day every last one of you will die.«

Simon West-Bulfords Debütroman The Soul Consortium ist ein Roman, der unscheinbar beginnt und sich zu einem unerwartet spannenden Werk aufbaut, das einen, noch lange nachdem man das Buch beiseite gelegt hat, verfolgt. Nicht nur, dass es die am besten versteckten Knöpfe in einem drückt, es ist auch die Art von Science Fiction, die man oft hofft zu finden und doch selten bekommt.

The Soul Consortium erzählt vom Beginn der Zeit, vom Ende der Zeit, von Menschlichkeit, Liebe, Zerstörung, Wissenschaft und Philosophie, von der Entstehung des Lebens bis zum Ende des Universums … So vieles wird in diesem Roman thematisiert, dass man glauben könnte, es müsse erzählerisch etwas auf der Strecke bleiben. Doch der Autor hat ein perfektes Netz erschaffen, in dem jeder Faden sitzt, wo er hingehört. Um das Fazit also gleich vorweg zu nehmen: The Soul Consortium gehört dringend auf den Leseplan.

Schon zu Anfang werden Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit miteinander verknüpft. Der Leser bewegt sich in diesem Roman durch verschiedene Epochen der Menschheitsgeschichte. Von einer jungen Frau im Frankreich des 16.-17. Jahrhunderts über einen Serienkiller des 20. Jahrhunderts hin zur Herrscherin über das bekannte Universum in einer Zukunft soweit voraus, dass man es gar nicht mehr in Zahlen fassen kann. Alles wird durch die Augen von Salem Ben erlebt, der wiederum durch die Augen verstorbender Menschen sieht, in deren archivierte Dateien er auf seiner Suche immer wieder schlüpft. Das ganze Konzept des Soul Consortiums ist schon beinahe eine Liebeserklärung an die Metaebene und unheimlich schwer in Worte zu fassen, will man nicht die besten Entwicklungen vorab verraten.
Die Technologie ist entsprechend enorm weit fortgeschritten und gibt ihre Funktionsweise erst nach und nach Preis – so bleibt die Neugier bis zum Schluss erhalten, ohne ins Unerträgliche abzugleiten. Sie wird bereichert durch Dinge, die den Menschen von jeher antreiben. Vieles von dem, was in diesem Roman geschieht, krallt sich direkt in die eigene Seele, erschüttert einen, berührt einen, macht einen abwechselnd glücklich und traurig, wirft Fragen auf und spendet Hoffnung in der Ungewissheit. Gute Absichten erschaffen manchmal böse Dinge und umgekehrt muss man sich fragen, ist das Böse tatsächlich böse?

Die Charaktere in diesem Roman sind allesamt erfrischend glaubhaft und abwechslungsreich. Selbst die stoische KI vermag es noch, den Leser zu überraschen. Man fühlt mit den Figuren mit und lässt sich federleicht von ihnen durch die Episoden dieser Reise tragen. Neben Salem Ben, der ein besonnener Suchender ist, spielt die Entität Keitus Vita die zweite wichtige Rolle in The Soul Consortium. Sie bringt einen Hauch Fantasy in den Roman und jagt einem ab einem gewissen Punkt eine Form von Furcht ein, wie es nur diese ganz alten Horrorfilme beherrschen, die mit dem arbeiteten, was sich im Schatten abspielt. Man weiß, da schleicht etwas hinter einem her, doch jedes Mal, wenn man sich umdreht, entschlüpft es der Wahrnehmung. So ungefähr fühlt es sich an, Keitus Vita zu begegnen. Er kriecht zwischen den Zeilen herum und beobachtet dich. Das Lesen im Bett, kurz bevor man das Licht löschen wollte, wird plötzlich sehr unangenehm …

Bei all den tiefgreifenden und spannenden Ideen oder den physikalischen bis mathematischen Zusammenhängen schafft es der Autor außerdem, seine Worte so klar und mit bedacht zu wählen, dass jeder die Vorgänge problemlos versteht und doch nie die Intelligenz erwachsener Leser beleidigt wird. Chronologie und Setting sind ebenfalls sehr gut ausgearbeitet und enthalten pfiffige Kniffe. Man erlebt die Weite und Stille des Universums, die Größe all dessen, was uns umgibt, und wird sich der eigenen Winzigkeit in diesem kolossalen Getriebe bewusst.
Es ist schlicht beeindruckend, was der Autor hier in einem kleinen Verlag als Erstlingswerk abgeliefert hat und es bleibt an dieser Stelle nur zu sagen: jeder der dieses Buch verschmäht verpasst ein großartiges Leseerlebnis und einen frischen Blick auf das, wozu Science Fiction fernab von Laserschwertern, Warpantrieb und Co. fähig ist.

Cover von Die Spur des Seketi von Gesa HelmDie Schicksale von gut einem Dutzend Menschen sind auf mystische Weise miteinander verwoben. Im Zentrum der Geschichte stehen die Geschwister Maijsa, Tisme, Tihon und Hoan, die einer Färberfamilie aus Gachten entstammen. Ihre Lebenswege sind ungewöhnlich und werden von den Machtkämpfen rivalisierender, ehrgeiziger Adliger beeinflußt. Aber nicht nur die politische Realität bestimmt das Leben der Geschwister, sondern auch ein Dämon: Der Seketi, ein wolfsähnliches Raubtier. Tisme gelangt als kleines Mädchen in den Besitz einer geschnitzten Figur, die diesen Dämon darstellt und sie hat nach einem Unfall eine Narbe, die wie ein Tatzenabdruck aussieht. Das verbindet ihr Schicksal mit dem des Kajec, einem Glasmacherlehrling, der als Sklave in den Bleiminen landet, später ein Rädchen im Getriebe der politischen Intrigen wird und der als Junge von seinem Onkel unter das Zeichen des Seketi gestellt wurde.

– In Nehrasaxar, an dessen langer Küste der Wind stets gegenwärtig ist, gibt es ein Sprichwort: “Alles trägt der Wind davon – Blätter, Ziegel und die Last der Gedanken”.-
Gedanken auf einer Terrasse

Die größte Schwierigkeit bei der Lektüre des Buches besteht für den Leser darin, sich zunächst einmal zu orientieren und einen Überblick zu gewinnen, wer die Hauptpersonen der Geschichte sind und wovon der Roman eigentlich handelt. Fremd klingende Namen und Bezeichnungen für Personen, Titel, Länder und Städte, Gegenstände und Speisen; Rückblicke, Vorausdeutungen, wechselnde Namen für ein und dieselbe Person und verschiedene Erzählperspektiven machen es dem Leser nicht gerade leicht, schnell einen roten Faden zu finden. Aber dank des ausführlichen Glossars lichten sich früher oder später die Nebel und man fragt sich beschämt, warum man mit Sätzen wie Und so erfährt man, daß ein Solargenetzu zweihundert Undeten in Gold an den hochgeborenen Niaketer Hes Phogas zu übermitteln hatte, bestimmt für die Wagnerin Zitanucha kahatan Batwanes in Kehestre. Der Auftrag war von Banaikxo Kehestrezu erteilt worden, >geschworenen Mann des Hinehniak und Hes Niaketer als solcher bekannt< je irgendwelche Schwierigkeiten hatte und warum man die Erläuterung zu Pekeiraz (>gehen + Anstieg + ich<. Z’Pekeiraz, HiasPekeiraz, Zuname Sarinai, Schimpfname >Einäugiger Dämon<), Nehri aus Sarine, ZMiach, Ringträger der P’Mesam und TesMesam, Absolvent der Hohen Schule (Z’Mes), Dreiringträger, Vertrauter Gachots, Gildenmeister Gachtens, ab 273 Hias Sarkach und Siegelträger, ab 280 Statthalter Zabgas, nach Attentat einäugig; verfaßte zum Vergnügen gel.Verse (Beispiele in der Beshechsiach-Samllung Gachten); ab 289 Najajaz-Name Okanateros, Händler in Pahija, ab 296 erster Kanzler von Kajx; 246-325 zunächst als nicht wirklich hilfreich empfand.
Hat man diese Hürde erst einmal genommen, darf man sich an einem spannenden, epischen Roman erfreuen.

Die Handlung spielt in den fiktiven Regionen Banahicha und Nehra. Die Welt ist mittelalterlich, es gibt noch keine funktionierenden Handfeuerwaffen und erst recht keine Industrie. Aufgrund der fremdartigen Namen erinnert sie an Kulturen, wie man sie zum Beispiel im asiatischen Teil Rußlands findet. Keinesfalls ist diese Welt unser europäisches Mittelalter, wie man es aus Ritterfilmen kennt.
Magie hat einen bedeutenden Anteil am Leben der Menschen, sie ist aber kein plakativer Hokuspokus. Manchmal scheint sie nur geschickt eingesetzte Psychologie zu sein. So glauben die Nehri an Namensmagie, also daran, daß der Name eines Menschen den Träger beeinflußt. Eine andere magische Technik ist das Spiegeln, dabei verstärkt man das Gefühl eines anderen. Wenn jemand einen Auftrag nicht pflichtgemäß erledigt, dann hat er zumindest ein geringes Schuldgefühl. Jemand, der sich auf das Spiegeln versteht, würde das vorhandene Schuldgefühl so sehr verstärken, daß er sicher sein kann, daß der Auftrag das nächste Mal zu seiner Zufriedenheit erledigt wird. Es gibt aber auch unberechenbarere Arten von Magie: Dämonen beeinflussen das Leben der Menschen zum Guten oder zum Schlechten hin und manche Menschen opfern sich durch rituellen Selbstmord einem Gott und werden dann zu Seitjihinx, machtvollen Geistwesen, die freundlich oder bösartig sein können.

Die Geschichte ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Die Erzählerin ist eigentlich Historikerin, der Roman ist aber nicht das Ergebnis ihrer wissenschaftlichen Arbeit, sondern sie schreibt auf, was sie in Visionen, also auf magische Weise, erfahren hat. Das erklärt auch die Komplexität des Romans. Als Leser hat man den Eindruck, das Entstehen eines riesigen Gobelins zu verfolgen, die Stickerin fertigt das Motiv in der linken oberen Ecke, dann ein anderes am rechten Rand, dann eines in der Mitte und je mehr die Künstlerin fortschreitet, um so mehr erkennt der Betrachter wie alles zusammenhängt und am Ende steht er vor einem farbenprächtigen Kunstwerk, in dem sich jeder Stich harmonisch mit den anderen zusammenfügt. Gesa Helm erzählt in ihrem Roman viele Geschichten: die von Maijsa, die sich aus Unerfahrenheit in den falschen Mann verliebt und schließlich zur Retterin des Erben Gachtens wird, die von Tisme, die sich für eine Dämonenfreundin hält und unerschütterlich daran glaubt, daß alles gut werden wird, die von dem verschlagenen Kajec, der schon als Kind von allen beschimpft wurde, weil seine Mutter trank und der als Erwachsener hart und gewalttätig ist, die von der gelähmten Setajnij, die sich für ihren Bruder Banaikxo opfert, der später Bekanntschaft mit Kajec machen wird, sie erzählt die Geschichte von Pekeiraz, einem machtgierigen Emporkömmling und die seines Schreibers Stani, der ein Freund von Hoan ist, dem Bruder Tismes und Maijsas. Auf derartige Weise sind all diese Menschen miteinander verbunden und beeinflussen das Schicksal der anderen, oft, ohne es zu wissen. Am Ende fügen sich alle Erzählstränge harmonisch zusammen, auch wenn einige Fragen offen bleiben und es ist erstaunlich, wie Gesa Helm die verschiedenen Geschichten über fast neunhundert Seiten spinnt, ohne sich in ihrem eigenen Gespinst zu verheddern oder logische Fehler zu begehen.
Es gibt aber einen Fehler im Buch: Der Rezensent hat auf der Karte eine halbe Stunde nach Gachten gesucht, dem zentralen Ort des Romans. Ergebnis: Gachten ist auf der Karte nicht verzeichnet. Dort wo die Stadt sein müßte, am Zufluß des Deseb prangt nur ein dicker schwarzer Punkt, ohne Ortsbezeichnung.

Cover von Stadt der Heiligen & Verrückten von Jeff VanderMeerDie Stadt der Heiligen & Verrückten ist ein Kompendium der Stadt Ambra. Die Geschichte der Eroberung Ambras wird genauso geschildert wie der Aufstieg der Hoegbottons zur einflußreichsten Familie der Stadt oder die Schicksale einzelner ihrer mehr oder weniger berühmten Bewohner. Außerdem enthält das Buch eine Abhandlung über den Königskalmar, der eine besondere Rolle in Ambra spielt, samt einer ausführlichen Bibliographie zu diesem Thema.

– Dradin, verliebt, unterm Fenster seiner Liebsten, wie er zu ihr hochstarrt, indes die Menge rings um ihn brandet und braust, ihn anrempelt, ihm blaue Flecke verpaßt, allesamt unabsichtlich, die derbgekleideten, leuchtend rot geschminkten Tausende.-
Dradin verliebt

Allein die akribisch zusammengestellte Bibliographie mit ihren 264 (!) Titeln ist schon fünf Sternchen wert. (Die Redaktion von bp interessiert sich brennend für die nur schwer erhältlichen Bücher “Die Folterkalmare mischen ein paar Priester auf”, und “Die Folterkalmare schmoren im Knast”, beide geschrieben von Vivian Price Rogers und erschienen in der Kleine Bücher/Große Träume Verlagsgesellschaft. Rezensionsexemplare bitte an die bekannte Adresse. Danke!) Allerdings werden Leser, die keine besondere Affinität zu Königskalmaren haben, die anderen Kapitel des Buches für spannender halten, z.B. die Geschichte der Eroberung Ambras, dargestellt in “Hoegbottons Führer zur Frühgeschichte der Stadt Ambra”. Dort wird erzählt, wie der Walfänger und Pirat Katten John Manzikert die Siedlung am Mott-Fluß eroberte und was danach geschah. Manzikerts Vorgehensweise ist der der spanischen Eroberer Südamerikas nicht unähnlich, doch muß er einen furchtbaren Preis dafür zahlen, denn wie sich bald herausstellt, wissen die Ureinwohner, die Grauhüte, sich zu wehren und auch wenn sie die Übernahme ihrer Heimat letztlich nicht verhindern konnten, so ist ihr Widerstand auch in der ambraischen Gegenwart nicht gebrochen – ganz im Gegenteil.

Die Geschichte von der Verwandlung des Martin See ist ebenfalls hochspannend und gleichzeitig eine herrliche Satire auf den Kulturbetrieb. Der Maler Martin See erhält die Einladung eines Unbekannten zu einer Enthauptung, mit der Aufforderung kostümiert zu erscheinen. Bis der Künstler zur verabredeten Zeit im Hause seines mysteriösen Gastgebers erscheint, hat er dem Leser die Gelegenheit gegeben, sich über einen arroganten Kunstkäufer und eine blasierte, ignorante und geschäftstüchtige Galeristin lustig zu machen oder sich über den Kampf der Roten und Grünen zu amüsieren. Die Roten betrachten den Tod des kürzlich verstorbenen großen Komponisten Voss Bender als Segen, die Grünen jedoch als Katastrophe. Beide Parteien vertreten ihre Ansichten fanatisch und vehement. Doch als See über die Schwelle des Hauses tritt ist Schluß mit lustig – das “Kostümfest” endet grausam.

Auch Der Käfig enthält Grausamkeiten, die sensible Gemüter dazu verleiten mögen, zeitweise mit vor die Augen geschlagenen Händen weiterzulesen und vorsichtig zwischen den Fingern hervorzuspähen, nur um festzustellen, daß es in dieser Geschichte nicht nur gewalttätig, sondern auch unheimlich zugeht. Hoegbotton kauft das Inventar einer Anwaltsfamilie auf. Der Vater hat sich umgebracht, infolgedessen sind Mutter und Sohn gezwungen ihr Eigentum zu Geld zu machen. Unter anderem erwirbt Hoegbotton einen leeren Käfig und nimmt ihn mit nach Hause. Doch seine blinde Frau ist fest davon überzeugt, daß ihr Mann ihr ein Haustier mitgebracht hat, schließlich kann sie es in dem Käfig ganz deutlich hören…

Dradin verliebt ist eine weniger grausame und unheimliche Geschichte, doch Freunde von Hoffmanns Erzählungen werden ihre Freude daran haben. Sehr religiöse Menschen könnten sich allerdings von dem dort auftretenden lebenden Heiligen vom Orden der Ejakulation unangenehm berührt fühlen.

Falls sich der geneigte Leser jetzt fragt, ob Ambra denn wirklich existiert und ob die in diesem Buch gesammelten Geschichten alle wahr sind, dann möge er Der seltsame Fall von X lesen, danach wird er es auch nicht wissen, denn Jeff Vandermeer spielt virtuos mit Realität, Fiktion und Wahnsinn und zwar nicht nur in dieser Erzählung.

Die Stadt des blauen FeuersIn Darujistan und in Schwarz-Korall scheint, nachdem der offene Krieg vorbei ist, langsam Ruhe in die Straßen einzukehren. Jedoch nicht in das Herz ihrer Bewohner: während sich Seesoldaten einer neuen Bedrohung ausgesetzt sehen und Crokus auf der Suche nach seinem alten Leben nur Scherben findet, formiert sich in Schwarz-Korall ein Widerstand gegen die herrschenden Tiste Andii. Und was hat es eigentlich mit dem Erlöserkult auf sich …?

– Ruhm und böse Omen, freudiges Wiedersehen und schreckliche, drohende Gefahr, ein geflügeltes Dies und ein geflügeltes Das, … was für eine Nacht!
Was für eine Nacht! –
Kapitel 3

Nach all der großflächigen, unbegreiflichen Kriegsgewalt der vergangenen Bände, nach der Pannionischen Domäne, nach den Auseinandersetzungen in Letheras folgt mit Die Stadt des blauen Feuers (Toll the Hounds, 1. Teil) ein neuer Band der Reihe, der leisere Töne anschlägt. Es ist nicht mehr das Geräusch zehntausend marschierender Soldaten, sondern das Weinen in der Dunkelheit, das leise Gerede in beinah leeren Gasthäusern, die geflüsterten Drohungen, die den Takt des Buches angeben. Das menschenverachtende Schlachtgewühl weicht dem inneren Krieg, den Schuldgefühlen, den schlaflosen Nächten. „Im Krieg lag Trauma“ – diese Lektion, diese Quintessenz des Romans, müssen sowohl Figuren als auch Leser kompromisslos und schmerzhaft lernen.

Nach der Unmenschlichkeit des Krieges wendet sich Erikson also den nicht weniger bedrückenden Menschlichkeiten zu. Einem Kammerspiel gleich konzentriert sich die Handlung auf die Städte Darujistan und Schwarz-Korall und ihre Bewohner und Besucher. Die Akteure der großen Kriege sind weitläufig verstreut, doch das Leben pulsiert in beiden Städten, die zu Orten großer Konvergenzen werden. Sehr schnell wird deutlich, dass Erikson mit diesem Roman ein anderes Tempo einschlägt als mit den Vorgängerbänden; bis sich die inneren Konflikte der Figuren in äußere umwandeln, vergeht mehr als die Hälfte des Buches – und darin liegt sein großer Gewinn. Erikson lotet seine Figuren mit einer psychologischen Feinfühligkeit und Tiefe aus, die auf eindimensionale Erklärungsversuche verzichtet und den Leser mit der Aufgabe betraut, sich auf Leid, Wut und Kriegs- und Lebensmüdigkeit seiner Figuren einzulassen. Erst dann wird der Roman seine Wirkung entfalten, die, das möchte man nicht bestreiten, keine beruhigende oder wohlige ist. Nicht nur die Wandlung von Crokus zu Schlitzer, auch das, was von Duikers Seele noch übrig ist, wird erst in diesem Band in nötiger Ruhe und mit eindringlichem Blick zur Sprache gebracht. Und so erfährt der Leser, sofern er gewillt ist, den Gedanken zu folgen, weit mehr über den Menschen, als jede Bequemlichkeitszone es zulässt und als es ein anderes modernes phantastisches Werk zu erzählen vermag.

Nicht nur strukturell – mit direkter Leseransprache, beinah filmischen Szenenwechseln und kammerspielartigen Erzählweisen –, auch thematisch schlägt der Autor Wege ein, die in den Vorgängerbänden weniger präsent waren: Liebe, Eifersucht, höfisches Intrigenspiel, Existenzängste eines Stadtbürgers; es sind weniger die Kriege von Göttern, sondern die Kleinkriege in Hinterhöfen und Himmelbetten, die die Grundfesten des Lesers erschüttern. Und wie immer ist es der gewagte Balanceakt zwischen Schmerz und Humor, Schönheit und Zerbrechen, den Erikson mal bildgewaltig, mal leise und hintergründig bewältigt. Ob nun mit den unglückseligen Schuldeneintreibern Flamm und Leff auf Patrouille, daheim bei Ehepaar Nom oder zu Besuch in Kruls Kneipe – Erikson beherrscht die Humorpalette von trocken-ironisch bis hin zum Klamauk natürlich auch in diesem Band. Wenn Kruppe über den Markt schlendert, bleibt keine Spezialität unangetastet, kein Weinkrug und kein Auge trocken.

Eriksons sprachliche Ausdruckskraft, die in der deutschen Übersetzung glänzt, kann sich in diesem Reigen menschlicher Tragödien genauso prachtvoll und schmerzlich entfalten wie auf der Bühne des Spieles der Götter. Die Betrachtung über das phantasievolle Spielen eines Kindes ist für mich eine der poetischsten Passagen der Reihe, und ein Beweis, wie kraftvoll Literatur sein kann – und dafür, dass es Fantasyautoren gibt, die neue Welten, Planeten, Universen erdichten können, die uns völlig fremd und dennoch schmerzlich lebensnah sind.

All dies verwebt Erikson zu einem Portrait einer Stadt, zu einer Studie ihrer Bewohner und zu einem tragischen Epos über Einsamkeit. Und wem das alles jetzt zu menschlich klang: keine Angst – die Götter schlafen nicht. Sie sterben nur. Und Kruppe tanzt dazu.
Sicher ahnt ihr, was das bedeutet.

Cover des Buches "Die Streitmacht von Vastmark" von Janny Wurts Nach der Zerstörung der Schiffswerft in Merior und der Flucht vor der Streitmacht seines Halbbruders zieht Arithon durch die karge Einöde Vastmarks, im Schlepptau immer noch den wahnsinnigen Propheten Dakar. Dieser ist überzeugt, dass Arithon bereits eine neue List plant, um irgendwie seinen Halbbruder Lysaer zu töten, die Freundschaft zu den bitterarmen Hirten und den Clans dieses Landes kommt da gerade recht.
Währenddessen versucht Lysaer die Spur seinen flüchtenden Halbbruders zu finden, als ihn eine furchtbare Nachricht erreicht: seine Frau ist auf dem Weg zu ihm überfallen und entführt worden, nur gegen ein immenses Lösegeld an Arithon soll sie freikommen …

-Mochte ihm diese abenteuerliche Reise in die Wildnis auch Gelegenheit geben, mehr über die wahren Absichten Arithons herauszufinden, setzte er doch eine düstere Miene auf, sein angemessenes Mißfallen kundzutun. Unter freiem Himmel über Felsen zu klettern wie eine Bergziege kam in der Rangfolge verabscheuenswerter Lagen gleich nach dem endlosen Zählen von Sandkörnern, die ihm Asandir einst als Strafe auferlegt hatte.-
3 Vastmark

Teil 5 der Nebelgeist-Saga bietet für den Leser die gleichen Zutaten wie die vorhergehenden Bände. Die Autorin bleibt sich auch dieses Mal treu, die Geschichte wird lebendig und vielschichtig erzählt.

Die bekannten Charaktere (besonders Dakar) erhalten ein paar weitere Nuancen und auch die Nebencharaktere verlieren endgültig ihre schematischen Züge und bekomme eine individuelle Note. Allerdings ist das nach 2000 Seiten auch durchaus gerechtfertigt, schließlich hatte Frau Wurts ja genug Zeit dafür.
Man merkt, dass die Handlung nur ein Luftholen vor dem großen Finale ist. Dementsprechend ruhig geht der Kampf der Brüder weiter. Ein wenig Politik hier – Verbündete werden gesucht und gefunden – ein wenig Kriegsvorbereitung da … 400 Seiten später ist man bereit, in den Krieg zu ziehen, der folgt dann erst im nächsten Buch.

Natürlich ist auch der Teil wieder stimmig und passt gut in die Gesamtgeschichte, lediglich die Spannung leidet ein wenig. Ein paar interessante Kapitel jedoch (Lysaers Besuch in dem Heiligtum Aths; Dakars Heilung eines sterbenden Mädchens) retten das Buch vor Langeweile und verleihen ihm wieder die gewohnte Tiefe.

The Stuff of Legend Omnibus OneEin Junge schläft friedlich zu Hause inmitten seiner Spielsachen, während sein Vater weit entfernt in Europa im Zweiten Weltkrieg kämpft. Doch etwas Finsteres greift aus seinem Schrank und entführt ihn in die Dunkelheit. Als alles wieder ruhig ist, kommen die Spielsachen des Jungen zusammen, und der tapfere Colonel entscheidet, dass es eine Rettungsmission geben muss. Nur die wenigsten Spielsachen sind bereit, dem Spielzeugsoldaten in die unbekannte Dunkelheit im Schrank zu folgen …

-“How can you be so cavalier? We are in prison.”
“I have spent time in tighter quarters than this, Gingerbread Man. ’tis all a matter of perspektive.”-
The Prison

Durch die Schranktür eine andere Welt betreten; Spielzeug, das lebendig wird und einer eigenen Spielzeuglogik folgt – klingeln da nicht ganz laut die Nostalgieglöckchen? Und das nicht ganz zu Unrecht: Michael Raichts und Brian Smiths epischer Comic The Stuff of Legend knüpft an einigen Stellen an die besten Abenteuergeschichten an, die man als Kind gelesen hat. Es gibt eine fremde, eigenen Gesetzmäßigkeiten folgende Welt zu erkunden und eine Schar wundersamer, oft liebenswerter Gefährten auf der Suche nach „ihrem“ verlorenen Jungen zu begleiten. Doch der – zum nostalgischen Flair beitragende – Realwelthintergrund des Zweiten Weltkriegs ist nicht ganz umsonst gewählt und wirkt teilweise auf die Bildwelten zurück, die sich in der Welt hinter der Schranktür, nur „the Dark“ genannt, auftun. Für Kinder ist es also eher nichts (höchstens für etwas ältere, nervenstarke, die es nicht unbedingt bunt mögen), für Erwachsene, die sich gerne in kindliche Gedankenwelten versetzen lassen, dafür aber um so mehr. The Stuff of Legend hat keine Scheu vor den düsteren Seiten von Kindergeschichten und ist, wenn man einen Vergleich heranziehen möchte, als hätte Neil Gaiman ein Skript für Toy Story verfasst.

Die Geschichte, die sich um die mehr oder weniger tapferen Spielzeuge entspinnt, stellt die Helden vor eine nahezu unmögliche Aufgabe: In der weitläufigen unbekannten Welt wollen sie dem Boogeyman ihren Jungen wieder entreißen, und der wirft ihnen nicht nur Heerscharen von feindlich gesinnten Spielzeugen entgegen, sondern ist auch ein Bösewicht, der es einem bei jedem seiner merkwürdig ästhetischen Auftritte eiskalt den Rücken hinablaufen lässt. Teddybär Max, Sparschwein Percy, der mutige Colonel, Jester, ein scharfzüngiger und galanter Kastenteufel, und Scout, der echte Hund des Jungen, um nur einige der Protagonisten zu nennen, scheinen keine Ahnung zu haben, worauf sie sich einlassen, erweisen sich aber als einfallsreiche und wehrhafte Underdogs. Ihre jeweiligen Rollen sind wohldurchdacht und gehen unter die Haut: Sie folgen einerseits der Realität ihres Daseins als Spielzeug (was macht man nochmal gleich mit Sparschweinen?), lösen sich aber andererseits auch davon und haben dadurch viel Entwicklungsraum: Princess, die Indianerprinzessin, die bei den Spielen des Jungen stets gerettet werden musste, ist in der neuen Welt einer der zähesten und effektivsten Kämpfer – sehr zur Überraschung ihrer einstigen Retter.
Die feine Ausarbeitung dieser lebendigen Figurenriege führt dazu, dass Raicht und Smith in The Stuff of Legend elementare Themen anpacken können: Fragen der Loyalität, Eifersucht, Angst, Willenskraft und Vergebung müssen die Spielzeugfiguren für sich beantworten, und sie sind psychologisch so durchdacht, dass ihre Reaktionen nicht nur unvorhersehbar, sondern auch zugleich hart und herzerwärmend ausfallen – nicht, weil sie Spielsachen sind, sondern weil man sich ihnen sehr nahe fühlt.

Stuff_of_Legend_BeispielGenauso wie die Figuren folgt auch die Welt einer sehr ideenreich umgesetzten Spielzimmerlogik, die sich immer wieder auf überraschende Weise manifestiert – ob man nun in eine Stadt gerät, in der alles abstrusen Brettspielregeln folgt, oder einen wahrhaft traurigen Friedhof der Kuscheltiere entdeckt. Dazu trägt auch der detaillierte, rein in Sepiatönen gehaltene Stil von Charles Paul Wilson III bei, der diese Szenarien mit spannenden Design-Ideen, sehr dynamischen Panels und großartigem Spiel mit Licht und Schatten lebendig werden lässt und mit dieser gedämpften Farbwelt dem rückwärts gewandten Blick und der Düsternis des Erzählten gerecht wird.

Rückblenden und ab dem zweiten Band mehrere Handlungsstränge geben der Geschichte den letzten epischen Schliff, dabei ist sie im Grunde sehr ökonomisch erzählt: Übergänge werden meist ausgespart, und man findet sich bei neuen Szenen häufig gleich in medias res wieder. Es gibt in The Stuff of Legend jede Menge transformierender Momente, in denen man die eigene Einschätzung der Figuren oder des Geschehenen neu justieren muss, und in denen liebgewonnene Gefährten über ihre Grenzen getrieben werden. Das und die Suche nach Antworten darauf, was die Realität hinter „the Dark“ und ihrem finsteren Herrscher sein könnte, peitschen die Handlung voran und machen es schwer, auf den Abschluss der Geschichte zu warten.

Von The Stuff of Legend sind nämlich bisher vier Einzelbände bzw. zwei sehr schön gestaltete Sammel-Ausgaben erschienen – mit den geplanten Bänden fünf und sechs soll die Reihe abgeschlossen werden. Man kann, auch wenn die Rätsel um den Boogeyman und seine Welt noch lange nicht gelöst sind, davon ausgehen, dass die Reihe weiterhin das hält, was sie im Titel verspricht, und sie hat sich damit schon jetzt einen Platz unter den zeitlosen Highlights des graphischen Erzählens verdient.

Cover von Teufels Werke von Witali RutschinskiMoskau, Ende der achtziger Jahre, zur Zeit der Perestroika. Der junge Schriftsteller Jakuschkin ist frustriert: Niemand will seinen Roman veröffentlichen. Als Jakuschkin feststellt, daß der Dramaturg Sutenewski ihm sein Manuskript ungelesen zurückgegeben hat, obwohl er dreist behauptet, es gelesen zu haben, platzt dem Schriftsteller der Kragen. Im Haus der Literaten haut Jakuschkin Sutenewski die Mappe mit dem Roman über den Kopf. Daraufhin wird er festgenommen. Da naht unerwartet Hilfe. Jakuschkin schließt einen Pakt mit dem Teufel. Der erfolglose Autor verbrennt sein komplettes Manuskript und dafür wird eine seiner Romanfiguren lebendig. Kusja, das Kaninchen, treibt fortan in Moskau sein Unwesen. Jeder, der von ihm in den Finger gebissen wird, erforscht sein Gewissen und erzählt in aller Öffentlichkeit von den Schandtaten, die er in seinem Leben begangen hat. Das hat katastrophale Folgen.

– Vor Moskaus bedeutendstem Theater, das im ganzen Land und sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, tauchte eines Abends um acht oder, um genauer zu sein, um 19.45 Uhr ein junger Mann auf.-
1. Kapitel Jakuschkin, die Zerberuska und so manch anderer

Der Untertitel des Buches lautet “Ein Roman um Bulgakows Der Meister und Margarita” und so muß der Literaturkenner nicht lange überlegen, wo er ähnliches schon einmal gelesen hat. Die Personen, die Moskau ins Chaos stürzen, sind dieselben wie in Bulgakows Roman: Der Teufel, der sich Voland nennt und seine Gehilfen, Kater Behemoth, Korowjew und Asasello. Auch vieles andere kommt dem Leser bekannt vor: Das Treffen an den Patriarchenteichen, der Roman im Roman, der Ritt auf dem Hexenbesen, der Silvesterball und der große Auftritt Volands, der diesmal nicht im Theater, sondern im Kreml stattfindet, wo der Teufel wieder zahllose wertlose Geldscheine unter den Anwesenden verteilt. Nur die Zeit ist eine andere. Witali Rutschinski nimmt mit seiner gelungenen Satire Gorbatschows Rußland aufs Korn, in dem es nicht weniger korrupt zugeht als in der von Stalin regierten Sowjetunion und das offensichtlich nicht viel anders ist als das zaristische Rußland, denn die Aufständischen der Oktoberrevolution revoltieren munter weiter, als sie durch einen Zeitspalt in die Gegenwart geraten. Rutschinski spottet auf höchst amüsante Weise über Moskaus Kulturbetrieb, über die Rivalitäten zwischen Miliz und Geheimdienst, über die herrschende Kaste, über russische Naturwissenschaftler und über deutsche Wirtschaftsberater. Teufels Werke (Woswraschtschenije Wolanda, ili Nowaja djawoliada) wäre ein perfekter Roman, dem fünf Sternchen gebührten, wenn es nicht das große Vorbild gäbe, dem er nacheifert. Der Meister und Margarita ist ein geniales Werk. Rutschinski gelingt es in seiner Hommage daran nicht, dem Original etwas Neues hinzuzufügen, das über Bulgakows Roman hinausweist. Er nutzt “nur” den Vorteil der vergangenen Zeit, der es ihm ermöglicht z.B. den Silvesterball, der diesmal den Tyrannen gewidmet ist, hervorragend in Szene zu setzen und der natürlich auch dafür sorgt, daß Rutschinski sich über das im Umbruch befindliche Rußland lustig machen kann. Er ist ein ausgezeichneter Epigone – aber nicht mehr.
Man muß Der Meister und Margarita nicht gelesen haben, um Teufels Werke zu verstehen, doch steigert es das Lesevergnügen, wenn man mit dem Original vertraut ist.

Cover von Tochter des Windes von Elizabeth HaydonDie ehemalige Prostituierte Rhapsody flieht vor einem gewalttätigen Freier. Sie trifft auf den Meuchelmörder Achmed und den monströsen Riesen Grunthor, die auf der Flucht vor einem Dämon sind. Die drei schließen sich zusammen. Um ihren Verfolgern zu entgehen, steigen sie in das Erdinnere hinab und geraten schließlich in eine andere Welt.

– Meridion setzte sich an den Zeit-Editor und fing an zu arbeiten. –
Meridion

Dieser Roman ist vom Anfang bis zum Ende eine sprachliche Katastrophe und eine Zumutung für den Leser. Der Erzählstil ist dem Sujet völlig unangemessen und selbst für eine Liebesschmonzette zu schwülstig. Die Sätze sind umständlich konstruiert und die Autorin benutzt häufig Wörter und Wendungen, die im Kontext der Erzählung anachronistisch sind. Die Dialoge sollen oft einen witzigen oder ironischen verbalen Schlagabtausch darstellen, sie wirken aber bemüht und sind unnatürlich. So spricht einfach kein Mensch. Hier verschiedene Kostproben der sprachlichen Verirrungen: Als zwei Protagonisten Sex haben, glaubt die Autorin dem Leser folgendes mitteilen zu müssen: »Wie lange sie sich liebten, war aus Mangel an Vergleich oder Anhaltspunkten weder für sie noch für ihn nachzuvollziehen.« Der gewalttätige Freier sagt zu Rhapsody: »Ich träume fast jede Nacht von dir, und ich weiß, dir ergeht es ähnlich in Bezug auf mich.« Und um die Gefahr zu verdeutlichen, in der sich die Helden befinden, wählt Haydon folgenden Vergleich: »Als sich ihre Blicke trafen, verzogen sich beider Mienen zu einem Lächeln, wie es wohl auch in den Gesichtern von Schiffbrüchigen geschrieben stand, die, an irgendeinem Schwimmkörper festgeklammert, im Wasser trieben.«

Inhaltlich ist der Roman genauso schlecht wie sprachlich: Ein bißchen Edda, ein wenig König Artus-Legende, eine Prise keltische Mythen, die Sage von Atlantis und viel Naturmagie, das sind die Quellen aus denen die Autorin die Geschichte hauptsächlich zusammengeschustert hat. Die Handlung, die auf 150 Seiten Platz finden würde, wird auf 765 Seiten breitgetreten und strotzt nur so vor Längen. Die Charaktere sind unglaubwürdig. Mit keinem der Protagonisten kann sich der Leser identifizieren, daher kommt auch keine Spannung auf. Wenn Haydon Spannung erzeugen will, läßt sie die Bösewichte sich an Kindern vergreifen. Diese Szenen sind aber nur widerlich und abstoßend. Das Buch bewegt sich sprachlich wie inhaltlich auf unterstem Niveau und ist nur für Hardcore-Romantiker unter den Fantasyfans einigermaßen erträglich, aber auch die sind mit anderen Büchern besser bedient.

Der Schwertkämpfer Andrej ist auf der Suche nach der Puuri Dan, einer weisen Zigeunerin. Sie, so hofft Andrej, kann ihm womöglich das Geheimnis seiner Herkunft enthüllen.
Die Reise führt ihn und den ehemaligen Piratenkapitän Abu Dun bis nach Bayern. In dem kleinen Ort Trentklamm stoßen sie auf schreckliche, menschenähnliche Geschöpfe. Andrej wird von einer dieser Bestien angegriffen, verletzt und verliert seine übermenschlichen Kräfte.
Fast zu spät muss er entdecken, dass das Geheimnis der Ungeheuer enger mit seiner eigenen Existenz verbunden ist, als ihm lieb sein kann …

-»Sie sind dort unten auf der anderen Seite des Hügels. Vielleicht zwanzig, möglicherweise auch mehr«.-
Seite 5

Dass Wolfgang Hohlbein gute Bücher schreiben kann, hat er mehrmals bewiesen. Doch anstatt sich auf ein Buch zu konzentrieren und daran gründlicher zu arbeiten, veröffentlicht er mehrere Bücher im Jahr, deren Niveau immer weiter fällt. Leider ist dies auch im dritten Teil der Chronik der Unsterblichen zu sehen. Hohlbein schafft es, durch seinen Erzählstil zweifellos Spannung zu erzeugen, doch dies allein reicht einfach nicht aus. Und so schlittert Andrej von einem Ereignis zum nächsten, ohne dass er Einfluss darauf nehmen kann. Während der aufmerksame Leser bereits Seiten vorher ahnt, dass wieder mal nichts ist, wie es scheint, bleibt Andrej bis zum Schluss blind für die offensichtlichen Fakten. Auch Abu Dun bringt wenig Neues in die Geschichte mit ein und zeigt trotz einiger Ansätze kaum Tiefe oder Lebendigkeit.
Auch die Geschichte selbst birgt wenig Neues. Bereits zum dritten Mal benutzt Hohlbein dasselbe Prinzip wie in den Büchern davor (und danach), aber diesmal kommt noch weniger dazu und das Ende ist wie immer anders, als zunächst erwartet. Das Buch beweist wieder einmal, dass es kein Konzept für gute Bücher gibt. Wollen wir hoffen, dass Hohlbein das auch bemerken wird.

Tor der Verwandlung von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

– Die ezzarischen Propheten sagen, dass die Götter ihre Schlachten in den Seelen der Menschen austragen und dass sie das Schlachtfeld gemäß ihrem Willen neu gestalten, wenn es ihnen nicht gefällt. –
1

Zu Das Tor der Verwandlung liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Transformation von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid  zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

-Ezzarian prophets say that the gods fight their battles within the souls of men and that if the deities mislike the battleground, they reshape it according to their will.-
Chapter 1

Dieses ungewöhnliche Erstlingswerk hat viele Stärken, eine davon ist das an klassische Abenteuerromane erinnernde Wüsten-Setting, in dem das Geschehen angesiedelt ist und das Carol Berg auch gut zu nutzen weiß. Jenseits von allen Elfen-und-Zwerge-Stereotypen wird zwar nicht bis ins Kleinste ausgearbeitet, aber stimmig und überzeugend  eine Wüstenkultur dargestellt; nebst dieser alt-orientalisch angehauchten Umgebung spielt noch ein keltisch anmutendes Volk eine Rolle, das aber so eigenständig entwickelt ist, daß die Ursprünge am ehesten noch in der Namensgebung und einer magielastigen Lebenswelt zu finden sind.

Die Darstellung von Magie folgt in Transformation (Das Tor der Verwandlung) ohnehin einem eigenen Konzept – magische Handlungen sind zweckgebunden und streng reglementiert und definieren sich aus kulturellen und mythologischen Mustern (etwa die Waffen des ‘Wächters’, der Seelen vor Dämonen schützt: Spiegel und Silbermesser).
Diese Magie ist Kern der Handlung und folgt damit keinen ausgetretenen Pfaden – der Sklave entpuppt sich weder als heimlicher König noch als formbarer Held,  sondern ist vielmehr längst nicht mehr der Jüngste und benimmt sich auch dementsprechend sklavenhaft, was dem Leser zu Beginn einen sehr desillusionierten Hauptcharakter beschert, der sich mit trockenem Humor mehr schlecht als recht über Wasser hält. Die Geschichte gewinnt aber schnell an Dynamik und Spannung und schaukelt sich zu einem furiosen Finale auf, das von einem stimmigen Schluß abgerundet wird.

Der Protagonist berichtet seine Abenteuer als Ich-Erzähler , und diese Technik beherrscht Carol Berg so gut, daß selbst eingefleischte Verächter dieses Stils hier zugreifen dürfen. Seyonne erweist sich als vielseitig genug, um Einseitigkeit zu vermeiden. Man erlebt die Ereignisse aus erster Hand, ohne daß die üblichen Schwächen des Ich-Erzählers wie unglaubwürdiger Spannungsaufbau ins Gewicht fallen würden. Die Charaktere sind extrem plastisch, die Entwicklungen, die sie durchmachen, glaubhaft – in der Wandlung der Hauptcharaktere liegt die große Stärke der Autorin.
Bleibt nur zu sagen, daß der Band zwar als erster Teil einer  Trilogie fungiert, aber in sich abgeschlossen ist und duchaus als Stand-Alone gelesen werden kann.

Cover von Der Vampir von Tom HollandDie Literaturwissenschaftlerin Rebecca Carville ist auf der Suche nach dem einzig verbliebenen Exemplar der Memoiren Lord Byrons. Sie vermutet das Manuskript in der Krypta von St.Jude’s. Der Anwalt, der den Schlüssel zu der Krypta besitzt, gibt ihn nur widerstrebend an Rebecca heraus und warnt sie eindringlich davor, diesen Ort der Totenruhe zu betreten. Natürlich hält sich die junge Frau nicht an den gutgemeinten Rat. Das Manuskript findet sie trotzdem nicht, statt dessen macht sie die Bekanntschaft des berühmten Dichters, der doch eigentlich seit 1824 tot sein sollte. Lord Byron ist so freundlich, der Literaturwissenschaftlerin von seiner Existenz als Vampir zu erzählen.

– Mr. Nicholas Melrose, Vorstand seiner eigenen Anwaltskanzlei und ein angesehener Mann, ließ sich nicht gern aus der Fassung bringen.-
1. Kapitel

Je mehr der Leser über das Leben und Werk Lord Byrons weiß und je mehr Freude er an der englischsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts hat, um so mehr Spaß wird er an der Lektüre des Vampirs finden. Holland verbindet geschickt Episoden aus Byrons realer Lebensgeschichte mit dem fiktiven Vampirmythos. Ein besonderes Zuckerstückchen ist der “Gastauftritt” von Mary und Percy Shelley. Der Roman wäre ein sicherer Vier-Sternchen-Kandidat, wäre der Anfang von Byrons Erzählung nicht so langweilig. Sobald der Dichter die Szenerie betritt ist klar, daß er zum Vampir geworden ist. Da der Leser dies weiß, ist er nicht überrascht, wenn Byron Rebecca schildert, wie er in Griechenland auf höchst merkwürdige Wesen traf, die zwar wie Menschen aussahen, sich aber absonderlich benahmen. Während also der noch lebende und normalsterbliche Byron die Vampirgeschichten, die er hört, als Aberglauben abtut, wartet der Leser mit zunehmender Langeweile auf das, was mit Sicherheit kommen muß und selbstverständlich auch eintrifft: Lord Byron wird zum Vampir. Von nun an wird der Roman mit jeder Seite besser. Leider zieht sich der “Anfang” von Byrons Erzählung über knapp 200 Seiten und das ist für einen spannungsarmen, vorhersehbaren Auftakt ohne Überraschungen zu lang.
Tom Hollands Idee die gothic romance wiederzubeleben, indem er die berühmtesten Verfasser der englischen (Schauer-)Romantik zu den Helden seines Romans macht, ist originell, aber leider fehlt ihm die schriftstellerische Klasse seiner Protagonisten.

Cover von Der Vampir, der mich liebte von Charlaine HarrisSookie Stackhouse, 26 Jahre alt und Kellnerin von Beruf, hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Bill war ihr erster richtiger Freund, außerdem verlief die Trennung unter besonders unerfreulichen Umständen, deshalb fühlt sich Sookie ziemlich mitgenommen. Die Aussichten auf eine neue Beziehung sind eher gering, denn Sookie kann Gedanken lesen und das finden normale Männer eher abschreckend. Bill, den Vampir, hat diese Gabe nie gestört, Gedanken von Vampiren kann sie sowieso nicht lesen. Eigentlich ist Sookies Bedarf an Aufregungen für die nächste Zeit gedeckt. Aber es kommt noch schlimmer. In der Neujahrsnacht läuft ihr Bills Chef, der Vampir Eric, halbnackt und völlig verwirrt vor’s Auto. Er hat sein Gedächtnis verloren und nicht die geringste Ahnung, was mit ihm geschehen ist. Erics Stellvertreterin Pam kann Licht ins Dunkel bringen. Die skrupellose und mächtige Hexe Hallow will mit ihren Getreuen Erics Geschäfte übernehmen, außerdem forderte sie noch eine andere Dienstleistung, die der Vampir so schroff ablehnte, daß Hallow ihn wütend mit einem Fluch belegte. Daraufhin fand sich Eric in diesem derangierten Zustand auf der Straße wieder. Hallow hat für seine Ergreifung ein Kopfgeld ausgesetzt. Der Machtkampf zwischen Hexen und Vampiren hat begonnen. Sookie steckt unfreiwillig mitten drin und wäre dringend auf die Hilfe ihres Bruders angewiesen – doch der ist seit dem Neujahrstag verschwunden…

– Jetzt hätte ich meinen Bruder angerufen, wenn ich gewußt hätte, wo er war. Denn wenn du in deiner Küche ein Blutbad beseitigen mußt, hast du am liebsten die Familie um dich.-
Seite 300, Kapitel 13

Charlaine Harris gehört offensichtlich zu den Autoren, die das Vampir-Genre nicht sooo todernst nehmen. Das ermöglicht ihr, munter draufloszuschreiben und ihre eigene Vampirwelt zu erschaffen. Sie versucht erst gar nicht, berühmtere Kollegen wie Bram Stoker oder Anne Rice zu kopieren und das ist der Grund dafür, daß Der Vampir, der mich liebte (Dead to the World) ein witziger, unterhaltsamer Roman geworden ist und keineswegs eine kitschige Liebesschmonzette, wie der völlig verunglückte Titel vermuten läßt.
Die Geschichte spielt in Louisiana. Vampire leben offen unter den Menschen, seit die Untoten vor ein paar Jahren, am Abend der Großen Enthüllung, überall auf der Welt im Fernsehen auftraten, um von ihrer Existenz zu berichten. Dieser Schritt an die Öffentlichkeit wurde durch die Entwicklung von synthetischem Blut ermöglicht. Seitdem leben sie genauso mehr oder weniger einträchtig mit den Menschen zusammen wie es Menschen untereinander auch tun. Im Allgemeinen geht es friedlich zu, aber es kommt auch schon einmal zu unschönen Zwischenfällen wie z.B. Eifersuchtsdramen, Drogenhandel, Mord und Totschlag und die arme Sookie ist in diese unglückseligen Ereignisse immer wieder verstrickt, obwohl sie sich alle Mühe gibt, Ärger aus dem Weg zu gehen. Es gibt aber auch Angenehmes im Leben der Kellnerin. Der Sex mit Eric ist für sie himmlisch. Ja, der erstaunte Leser muß feststellen, daß es im modernen Louisiana keine doppeldeutige, schwüle Erotik gibt. Keine Frau gerät hier in ekstatische Verzückung, weil ein Vampir mit seinen spitzen Zähnen in ihre Halsschlagader eindringt. Diese Vampire können auch anders, sie besitzen tatsächlich die Fähigkeit, sich anderen weiblichen Körperregionen auf menschliche Weise zu widmen.
Die Sexszenen zwischen Sookie und Eric sind so detailliert beschrieben, daß hier eine deutliche Warnung ausgesprochen werden muß. Es könnte Leserinnen geben, die nach der Lektüre für die Männerwelt verloren sind. Bedenken Sie aber, meine Damen, daß es für Sie äußerst schwierig sein dürfte, einen Vampir wie Eric zu finden, der nebenbei gesagt, weitaus weniger charmant ist, wenn er seine Sinne beisammen hat und nicht gerade unter Gedächtnisverlust leidet.

Außer Vampiren gibt es in Louisiana auch noch andere nichtmenschliche Wesen, die den Schritt an die Öffentlichkeit aber vorerst noch scheuen. Sookie erkennt sie trotzdem. Es sind Werwölfe und andere Gestaltwandler, manchen von ihnen sollte man bei Vollmond lieber aus dem Weg gehen, einigen sogar in gewöhnlichen Nächten. Die meisten von ihnen sind harmlos, aber nicht mit allen ist gut Kirschen essen, vor allen Dingen nicht mit der mysteriösen Sippe, die draußen an der abgelegenen Kreuzung lebt und sich seit Generationen fast ausschließlich durch Inzest erhält – was das für Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben kann, ist ja allgemein bekannt.
Schließlich fällt dann auch noch dieser brutale Hexenclan in den Ort ein und natürlich kommt es zu einem erbitterten Kampf auf Leben und Tod.

Der Vampir, der mich liebte ist sicherlich kein raffiniert gestrickter, gruseliger, traditioneller Vampirroman, in dem die Untoten Menschen jagen, um ihr Blut zu trinken und Menschen Vampire, um sie zu vernichten und in dem von Zeit zu Zeit ein Protagonist der Faszination der jeweils anderen Welt verfällt. Charlaine Harris erzählt ihre Geschichte geradeheraus, in einer modernen Umgangssprache, mit Witz und Augenzwinkern, sie schmeißt viele der gängigen Klischees über nichtmenschliche Wesen über Bord, stattet Vampire wie Werwölfe und Gestaltwandler mit bisher nicht gekannten Eigenschaften aus und spinnt so einen höchst unterhaltsamen Roman.

Cover von Vogelherz von Clive WoodallIn Vogelland haben die Elstern die Macht übernommen. Mit ungezügelter Blutgier haben sie sich daran gemacht, alle anderen Vogelarten auszurotten. Besonders zu leiden haben die kleineren Vogelarten, aber auch die größeren, wie Eulen oder Adler, können in ihrer Minderzahl kaum noch etwas gegen die grausamen Unterdrücker ausrichten. Das Rotkehlchen Kirrick, einer der wenigen Überlebenden der Massenmorde, bringt trotz aller erlittenen Verluste den Mut auf, gegen die Elstern in den Kampf zu ziehen, indem er in einem Plan, den die Eulen zur Ausrottung der Schreckensvögel entworfen haben, eine wichtige Rolle annimmt.

-Soweit Kirrick wusste, war er selbst nun das letzte überlebende Rotkehlchen in ganz Vogelland. Auch viele andere ehemals verbreitete Vogelarten – Spatzen, Drosseln, Amseln – waren bereits ausgelöscht und lebten nur mehr in der Erinnerung fort. Die Elstern beherrschten das ganze Land.-
Kapitel 1

Aus reiner Machtgier und mittels grenzenloser Brutalität schwingt sich eine Elster zum Vogeldiktator auf und führt die begeisterten oder gefügig gemachten Elsternschwärme in den Kampf zur Ausrottung anderer Rassen. Eine Parabel aus dem Geschichtsunterricht? Nein, nur aus reiner Freude an überflüssigen Tötungsszenen hat der Autor einen besonders brutalen Bösewicht geschaffen. Wer sich dazu Fragen wie “Warum” und “Wozu” stellt und nicht schon immer gewusst hat, dass Elstern die widernatürlichsten, gewalttätigsten Vögel unter der Sonne sind, hat Pech gehabt. Rotkehlchen Kirrick erklärt die plötzliche (!) Boshaftigkeit der Aasfresser damit, dass sich ihre Population durch die steigende Zahl totgefahrener Tiere am Straßenrand übermäßig ausbreiten konnte. Was dieser Hinweis erklären sollte, sei dahingestellt. Falls es für das Urteil platter-als-eindimensional noch kein passendes Beispiel gibt, kann Vogelherz (One For Sorrow, Two For Joy) getrost dafür herhalten. Dies kann man an drei Punkten festmachen:

1) Die Gut-und-Böse-Verteilung dieser Geschichte: Um sich Anstrengungen der Fantasie zu ersparen, wird Ober-Elster Traska schlicht als “der Inbegriff des Bösen” charakterisiert. “Herzlos waren sie mit ihr umgegangen – und herzlos waren manche von ihnen im wörtlichen Sinn, wenn Traska mit ihnen fertig war.”

2) Die gnadenlos einsilbige, einfallslose sprachliche Gestaltung. Eine Schwäche, die so schwer wiegt, dass der Lesefluss mangels Lesefreude ernsthaft beeinträchtigt wird. Der Satz “Das Ende kam rasch und blutig” stellt eine vollständige Tötungsszene dar – nicht nur ein Beispiel für die staubtrockene Sprache, sondern auch für den lieblosen Umgang mit dem Handlungsverlauf, was zugleich den dritten Punkt darstellt.

3) Die dahingeklatschten Szenen kümmern sich nicht um den roten Faden. Der Plot ist so löchrig, dass er allernorts mit merklich spontanen, zusammenhanglosen Ideen gestopft wird. So erfährt man von wichtigen Figuren und örtlichen Gegebenheiten erst dann, wenn sie plötzlich gebraucht werden. Das überrumpelt den Leser und wirkt jeglichem Spannungsaufbau entgegen. Allein die David-gegen-Goliath-Idee lässt noch vermuten, wie sich die Geschichte entwickeln wird. Aber als nach und nach immer mehr Überlebende, die es anfangs doch kategorisch nicht gab, aus dem Nichts erscheinen, wirkt Kirrick als David überflüssig. Er tut nichts Besonderes, was seinen Heldenstatus aus Sicht des Lesers rechtfertigen würde. Die Heldenrolle wird ebenso wie die des Bösewichts auf ein beliebiges Tier gestempelt.

Die Moral der Geschichte ist arg bedenklich: Zwischen den Extremen des plakativ Guten und Bösen existiert nur das Entweder-Oder. Das Böse rottet das Gute aus, also muss das Gute das Böse ausrotten. Die Logik, dass sich so am Ende alle ausrotten, wird dadurch untergraben, dass die Guten schwarmweise – glücklich und zufrieden – aus dem Nichts wieder auftauchen. Um den Leser nachdrücklich auf Gut zu polen, tötet im Epilog ein kleiner Junge eine Elster.

Cover von Der Wurm Ouroboros von E.R. EddisonKrieg ist entbrannt im Lande Merkurien zwischen Hexen und Dämonen. Doch König Gorice von Hexenland kämpft mit dunklen Mächten an seiner Seite und so müssen die Dämonenfürsten Juss und Brandoch Daha den Gipfel des höchsten aller Berge erklimmen, von dem kein Sterblicher je zurückgekehrt ist, um das Schicksal zu ihren Gunsten zu wenden. Vor den Toren Carcës wird die gewaltigste Schlacht geschlagen, die die Welt je erblickte, und entscheidet über Untergang oder zeitlosen Ruhm. Und um all dies Geschehen windet sich der Wurm Ouroboros, der Drache, der seinen eigenen Schweif verschlingt.

-Von den Schätzen, dergleichen in dem hohen Audienzsaal waren gar schön und lieblich anzuschaun, und von den Vorzügen und dem Stande des Dämonenlandes; und von der Botschaft, welchselbige ihnen König Gorice XI. gesandt, und der Antwort darob.-

Der Wurm Ouroboros (The worm Ouroboros) ist das letzte unentdeckte Meisterwerk der Fantasy und, wenn mich nicht alles täuscht, sogar noch ein wenig älter als der Herr der Ringe. Wer jetzt aber eine wunderschöne, durchdachte, magische Welt à la Tolkien erwartet, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Über die Landschaft und Geographie Merkuriens lässt sich nur reichlich wenig sagen und die Völker wie Hexen, Dämonen oder Gnomen sind nur halb so magisch, wie sie sich anhören. Im Grunde haben sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem, was man sich darunter vorstellt. Eher kann man sie mit den Figuren aus den Islandsagas gleichsetzen, denen Eddisons Leidenschaft galt. Das tut der Spannung der Geschichte, die voller gewaltiger Schlachten und schwerer Prüfungen ist, aber keinen Abbruch. Vor allem Eddisons Stil, der sich am elisabethanischen Drama orientiert (Eddisons zweite Leidenschaft), sorgt für eine ganz eigene Athmosphäre.

Zugleich erschwert gerade dieser Stil das Lesevergnügen. Sprache und Satzstellung sind teilweise extrem schwierig zu verstehen, einige Phrasen und Begriffe waren schon zu Eddisons Zeiten vom Aussterben bedroht oder entstammen literarischen oder volksmundlichen Vorbildern, die heute vor allem nur Anglisten zuordnen können. Ein wenig Abhilfe schaffen hier die Anmerkungen im ausführlichen Index von Herausgeber P.E. Thomas und Übersetzer Helmut W. Pesch und das ausführliche Vorwort beider Herren, dessen Lektüre sich wirklich lohnt, um den Wurm besser zu verstehen und etwas über seine Ursprünge zu erfahren. Obwohl Eddisons Sprache so schwierig ist, kann sie trotzdem mitreißen. Andererseits ergeht sich Eddison gerne seitenweise in Beschreibungen, was dem Fortgang der Handlung abträglich ist (aber dank des Indexes lernt man hierdurch eine Menge über Edelsteine, Stoffe und klassische englische Literatur).

Die Charaktere des Wurms sind leider etwas unnahbar. Die Männer sind tugendhafte Helden, wahre Übermenschen, für die der Kampf die größte Ehre ist. Mit dem Frauenbild konnte zumindest ich mich nur schwerlich anfreunden. Die Frauen sind zwar starke Persönlichkeiten und natürlich voller Tugenden, aber bis auf eine Ausnahme entweder intrigante Biester, vollkommen unselbstständig oder sie bieten sich jedem männlichen Wesen an, das bei drei nicht auf den Bäumen ist. Dennoch verteilt man seine Sympathie recht schnell, auch wenn Eddison versucht, möglichst objektiv und ohne Wertung zu erzählen.

Man könnte noch einiges mehr über das Für und Wider des Wurms schreiben, aber ich möchte jetzt mit einer abschließenden Wertung zum Ende kommen. Zuerst einmal muss man sagen, dass die Übersetzung von Helmut W. Pesch durchaus gelungen ist. Er hat sehr schön die Sprache des elisabethanischen Dramas eingefangen, die man hierzulande ja vor allem von Shakespeare kennt, wodurch der Wurm authentisch bleibt. Gedichte und Lieder hat er jedoch nicht übersetzt, sondern sich barocker Gedichte deutschsprachiger Dichter bedient, die einen gleichwertigen Inhalt wie das Original haben. Eine gute Idee, wie ich finde, da Lyrik noch schwieriger zu übersetzen ist als Prosa, wenn es nicht sogar unmöglich ist. Eddison selbst hat sich übrigens ebenfalls barocker Gedichte englischsprachiger Autoren bedient und nicht selbst gedichtet. Der Wurm Ouroboros ist eine durchaus spannende Geschichte in kunstvoller Sprache, die man jedoch eher durcharbeitet als liest. In jedem Fall ist der Wurm in keinster Weise mit der heutigen Fantasy zu vergleichen und selbst von Tolkiens Werk, das ihm zeitlich noch am nächsten ist, grenzt er sich weit ab. Für heutige Verhältnisse, wo wir eine Flut von magischen Welten und Völkern sowie wendungsreichen und intriganten Handlungsmustern zur Auswahl haben, mag der Wurm vielleicht ein wenig einfallslos wirken. Aber man muss sich vor Augen führen, dass zu Eddisons Zeiten die Fantasy noch in den Babyschuhen steckte.
Für Freunde der leichten Unterhaltung wird der Wurm wohl zu anstrengend sein, und ich persönlich fand den Schluss auch etwas frustrierend, obwohl er vorhersehbar ist, wenn man sich die Symbolik des Ouroboros vor Augen führt. Aber wer sich nicht scheut, Zeit und auch ein paar Nerven zu investieren, wird mit Fantasy der besonderen Art belohnt.
Für alle, die lieber Originale lesen: Bisher habe ich nur die deutsche Übersetzung gelesen. Aber ich glaube, dass man sich an die englische Version nur heranwagen sollte, wenn man Shakespeare oder ältere Werke der klassischen englischen Literatur ohne Probleme und Vokabelhilfe bewältigt, da die Sprache schwierig und stark veraltet ist.
Kleine Warnung am Schluss: Wer sich den Wurm kaufen will, muss ein wenig suchen. Meist kriegt man ihn nur noch gebraucht.

Ob man nun dem Wurm oder dem Ring die Treue hält, bleibt jedem selbst überlassen. Ich halte es wie Herr Pesch und bleib beim Ring.

Yamada Monogatari von Richard ParksLord Yamada, ein gefallener Adliger, hat sich auf die Lösung von übernatürlichen Problemen spezialisiert – er steht mit Schwert, Witz und buddhistischen Sutras bereit, um sich um Oger, Geister und Dämonen zu kümmern, die die Mitglieder des Hofes von Kyoto belästigen, ihre Ehre beflecken oder ihre Bauern fressen. Zwischen den Missionen braucht er allerdings immer mehr Sake, denn mit einem simplen Töten der übernatürlichen Erscheinungen ist es meist nicht getan.

-I was just outside of Kyoto, close on the trail of a fox spirit, when the ghost appeared.-
Fox Tails

Wenn Japan überhaupt Setting für Fantasy-Geschichten ist, dann sind sie meistens in der Edo-Zeit angesiedelt, um vor dem Hintergrund der großen Samurai-Schicht und der Kämpfe zwischen den Provinzherrschern zu spielen. Dass die friedlichere Heian-Zeit erzählerisch weniger hergibt, könnte man aber nach der Lektüre von Yamada Monogatari nicht mehr behaupten: Hinter der Fassade des hochregulierten höfischen Lebens brodelt es, und für jene Fälle, die ein etwas peinliches übernatürliches Problem beinhalten, lässt sich zum Glück Lord Yamada anheuern, der als ehemaliger Adliger einerseits Umgang mit der feinen Gesellschaft pflegen kann, sich andererseits aus akutem Geldmangel aber auch nicht zu schade ist, sich die Finger schmutzig zu machen.
Er ist ein bisschen wie ein fernöstlicher Hexer Geralt, dieser Yamada no Goji: Ein armer Schlucker, den die Gesellschaft braucht, um die Probleme zu beseitigen, derer sie nicht Herr wird, der sich in dieser prekären Lage jedoch eine edle Gesinnung bewahrt hat und viele brenzlige Situationen mit einem guten Schuss Pragmatismus meistert.

Richard Parks hatte aber vermutlich keinen europäische Märchenstereotype verkloppenden Hexer im Sinn, als er Yamada Monogatari konzipiert hat, sondern eher einen japanischen Hardboiled Detective, komplett mit bittersüßer Liebesgeschichte, zu viel Sake und einem enttäuschten Blick auf die Gesellschaft. Die zehn Fälle, die in diesem Sammelband aufgeklärt werden, geben diesem Blick auch recht und verweisen auf einen zweiten Eckpunkt von Parks’ Geschichten: die Gothic Novel. Auch im mittelalterlichen Japan sind die Fälle nur selten so leicht gelöst, wie sich die Auftraggeber das ausmalen (Kopf ab!); meist liegen gute Gründe für die Heimsuchung vor, und es sind schmutzige, ungute Geheimnisse, die durch die Präsenz von Fuchsgeistern, Oni oder Geistererscheinungen an die Oberfläche gespült werden und für die Lord Yamada eine Lösung finden muss.
Damit erklärt sich auch die meist ruhige Erzählweise der Geschichten trotz des martialischen Themas. Nur kurz blitzt hin und wieder eine Actionszene auf, ansonsten liegen die Stärken von Yamada Monogatari in den Dialogen, dem feinen Humor und den gut recherchierten Beschreibungen. Die Lösung wird selten mit dem Schwert erreicht, es kommt auf Witz, das Nutzen der starren gesellschaftlichen Regeln (und ihr Umgehen an geeigneter Stelle) und Menschenkenntnis an.

Die Geschichten sind mosaikartig angeordnet und ergeben nach und nach ein Muster, als Nebenfiguren immer wieder auftauchen und die politische Gesamtsituation sich im Hintergrund weiterentwickelt. Hängt Lord Yamada zwischen den Missionen zu versoffen durch, kann man sich darauf verlassen, dass der Priester Kenji erscheint und ihn aus dem tiefen Tal führt (indem er ihm den letzten Sake wegtrinkt). Am Ende ist sogar eine Art Hintergrundgeschichte abgeschlossen, und wenn man Gefallen an Yamada und seinen Mitstreitern gefunden hat, kann man sich darauf freuen, dass Richard Parks sie damit für eine geplante Romanreihe in Position gebracht hat.

Das Setting profitiert stark von der Präsenz der übernatürlichen Welt, die sich nicht nur in Form von Problemen manifestiert, sondern auch in Alltagserscheinungen wie Mottengeistern, verwunschenen Wäldern gleich um die Ecke der belebten Hauptstadtstraßen und Ahnengeistern. Die – für die Fantasy – ungewöhnlichen Monster und Gesellschaftsregeln werden durch die Tatsache lebendig, dass in Lord Yamadas Zeit das Göttliche und das Dämonische im Grunde akzeptiert werden, aber auch für eine Welt stehen, die im Schwinden begriffen ist, da der Aufstieg der Samurai kurz bevorsteht, der nicht nur das höfische Leben am kaiserlichen Hof bedroht, sondern auch die übernatürliche Welt verdrängt, ganz als würde damit endgültig bewiesen, was Lord Yamada ohnehin längst begreift: Die allerbesten Monster geben immer noch Menschen ab.