: Antiheld

Cover des Buches "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Walter MoersEin Blaubär, wie ihn keiner kennt, entführt die Leser in eine Welt, in der die Fantasie und der Humor abenteuerlich außer Kontrolle geraten sind: nach Zamonien, wo Intelligenz eine Krankheit ist und Sandstürme viereckig sind, wo hinter jeder Idylle eine Gefahr lauert und wo all jene Wesen hausen, die aus unserem alltäglichen Leben verbannt sind.

In 13 ½ Lebensabschnitten kämpft sich der Held durch ein märchenhaftes Reich, bei dem alles möglich ist.

-Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt – meins nicht.-
1. Mein Leben als Zwergpirat

Ich gebe zu, dass ich sehr skeptisch war, das Buch anzufangen. Eigentlich mag ich den Käpt’n Blaubär aus dem Fernsehen nicht sonderlich, mit Moers verbinde ich immer Das Kleine Arschloch und beim Durchblättern störten mich die vielen seltsamen Zeichnungen. Da ich aber gerade kein anderes Buch zur Hand hatte, warf ich doch mal einen Blick hinein – und konnte gar nicht mehr aufhören!

Moers schubst zwar den Leser, genau wie den armen Blaubär, nach Zamonien und konfrontiert ihn gleich zu Beginn damit, dass auf dieser Insel wirklich nichts ist, wie man es gewohnt ist: Zwergpiraten, fleischfressende Inseln oder kilometergroße Bolloggs ohne Kopf, die ganze Landstriche verwüsten, gehören in Zamonien zum Alltag. Stattdessen sind Menschen schon was besonders, haben in Antlantis sogar Hausverbot!

Der kleine Blaubär besteht in seinen 13 ½ Leben viele Gefahren und man hat den Eindruck, der Autor will jedes Leben davor mit noch mehr Fantasie übertreffen. Fast nebenbei werden auch noch große Fragen der Menschheit gelöst: gab es Atlantis und was ist damit passiert? Gibt es Außerirdische oder andere Dimensionen? Was geschah mit den Dinosauriern?
Der Blaubär begegnet auf seinen Reisen natürlich auch vielen Wesen, die ihm entweder helfen oder ihn fressen oder einfach nur ins Verderben stürzen wollen. Mit viel Sorgfalt erschafft Moers Hempelchen, Hutzen, Waldspinnenhexen, Finsterbergmaden, Tratschwellen, Nattifftoffen, Wolpertinger, Rikschadämonen, Mittagsgespenster, Midgardschlangen und die zig anderen Wesen, die Zamonien bevölkern.

Natürlich quillt auch Zamonien selbst fast vor originellen Ideen über: Der ewige Tornade, rechteckige Sandstürme, Unbiskant (ein unerforschter Landstrich, der seinen Namen aus “unbekannt” und “riskant” erhielt), der Malstrom – das könnte hier noch ewig so weitergehen. So viele Ideen hab ich wohl noch nie in einem Buch gesehen. Und trotzdem ist der Leser nicht gleich nach den ersten Seiten gesättigt, man wartet praktisch schon auf die nächste ungewöhnliche Idee, die Moers eingebaut hat. Die Zeichnungen, mit denen ich vorher nicht anfangen konnte, fügten sich plötzlich wie von selbst in die Geschichte und von mal zu mal gefielen sie mir besser.
Und die Reise an sich? Man darf nicht vergessen, ein Blaubär neigt zum Flunkern und ein bisschen zum Übertreiben. Man sollte also mit einem Augenzwinkern den Zufall Zufall sein lassen und einfach die Geschichte genießen. Fantasie ist schließlich keine Realität. 😉

Am Ende der Straße von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– Die Dunkelheit ist lebendig, genau wie wir. –

Zu Am Ende der Straße liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von The Amulet of Samarkand von Jonathan StroudÜber das moderne British Empire herrscht eine machtgierige und paranoide Clique von Zauberern. Mr. Underwood, der einen geringen Posten in der Regierung inne hat, soll den hochbegabten Nathaniel unterrichten, unterschätzt diesen jedoch völlig. So beschließt der Junge voller Ehrgeiz und Ungeduld den uralten Djinn Bartimaeus zu beschwören, damit dieser vom arroganten Simon Lovelace das mächtige Amulett von Samarkand stielt. Unversehens geraten die beiden in eine großangelegte Verschwörung um Macht, bei der die Akteure nicht zimperlich sind und ohne zu zögern über die Leichen Unschuldiger steigen…

-The temperature of the room dropped fast.-
1

In The Amulet of Samarkand (Das Amulett von Samarkand) Geschehen findet das Geschehen weitgehend im modernen London mit Limousinen und Telefonen statt, erst gegen Ende verlagert es sich von der Stadt aufs Land. Ein besonderes Gefühl der Urbanität kommt jedoch nicht auf, das Setting ist eher Kulisse für die Handlung. Für die Briten gestaltet sich die Ordnung der intelligenten Wesen so: Ganz oben stehen natürlich die Zauberer, dann kommen die Gewöhnlichen und zum Schluß die Dämonen (Marids, Afrits, Djinn, Foliots und Imps) – aber die meisten “Dämonen” sind nicht gerne Sklaven und auch die Gewöhnlichen wollen nicht alle von Zauberern regiert werden. Um eine Dynastienbildung zu verhindern, dürfen Zauberer keine leiblichen Kinder haben. Gewöhnlichen Eltern wird ein Kind von etwa sechs Jahren abgekauft, einem Zauberer zur Ausbildung überlassen und der Geburtsname wird gelöscht, damit er niemanden in die Hände fällt – denn Wissen über den wahren Namen eines Dinges bedeutet, darüber bestimmen zu können. Von Außenstehenden wird das Kind mit dem Namen seines Meisters angesprochen, vom Meister nur als Junge oder Mädchen bis zum zwölften Lebensjahr, in dem sich der Lehrling einen Namen aussuchen darf.
Mit Zauberei läßt sich so manches vollbringen – mit einer kurzen Spruchformel und einer schnellen Geste lassen sich Schadenszauber, Schutzzauber oder Haltezauber wirken. Der wichtigste Zauber aber ist das Binden von “Dämonen”. Aufwendig muß der Zauberer den wahren Namen recherchieren, in einem anstrengenden Ritual mit seltenen Ingredienzien an sich binden und dann hat er einen Sklaven, der ihm gehorchen muß. Die “Dämonen” nun sind – je nach Grad – mächtige Wesen, ein Djinn wie Bartimaeus kann seine Gestalt fast beliebig verändern, alle sieben Ebenen einsehen – und damit leichter die wahre Natur eines Dinges erkennen – und einiges an Zaubern wirken. Doch Vorsicht ist geboten, denn nur die wenigsten “Dämonen” lieben ihren Herren, die meisten lieben es jedoch diesem Schaden zuzufügen, daher sollte ein Zauberer sich den Wortlaut seiner Befehle genau überlegen. Die arabischen/europäischen Vorbilder der magischen Elemente sind deutlich zu erkennen, was bei der Konfrontation von Magie und Moderne aber auch nicht sonderlich stört. Ärgerlich dagegen ist die Unklarheit darüber, wie mächtig etwas wirklich ist, welche Möglichkeiten die Zauberei bietet und noch schlimmer: “Dämonen” sollen gerne ihren Meistern Schaden zufügen, sagt Bartimaeus, eine unverdächtige Quelle in diesen Zusammenhang. Geboten werden dem Leser aber nur Gegenbeispiele.
Figuren treten zwar etliche auf, doch größere Rollen spielen nur wenige. Nathaniel ist der eigentliche Protagonist der Geschichte, er ist jung, ehrgeizig, höchst talentiert – und ungeduldig. Kunstvoll werden diese Eigenschaften aus einzelnen, aber wichtigen Episoden abgeleitet. Aber im Gegensatz zu seinen Zaubererkollegen hat er noch Reste eines Gewissens. Bartimaeus übernimmt die Rolle des Sidekicks, allerdings ist er nicht nur für den Humor zuständig, sondern auch ein sehr fähiger Djinn. Er ist sehr gewitzt, neigt allerdings auch zu Übertreibungen, besonders dann, wenn es um die Mängel der Konkurrenten oder die eigenen Qualitäten geht. Einen besonders ausgeprägten Charakter hat er nicht, was daran liegt, daß er hauptsächlich Nathaniels Befehlen gehorchen muß. Er ist ironisch, geistreich und nicht besonders gewaltfreudig, aber durchaus dazu fähig. Die anderen Zauberer sind alle hartherzig und machtgierig. Manche sind unfähig, wie Underwood, andere sind talentiert, wie Lovelace, aber alle sind Mächtigeren gegenüber Speichellecker und Schwächeren gegenüber arrogant. Allesamt Radfahrer, ein paar mehr Unterschiede wären schön gewesen. Gelungener ist die Darstellung der “Dämonen”, diese sind viel farbenfroher und interessanter. Auch wenn die Herleitung des Charakters Nathaniels gut gelungen ist und keiner der anderen ein bloßer Gutmensch oder ein arger Bösewicht ist, sind die Charaktere der Menschen zu einseitig tendenziös und die Befähigungen der Zauberer scheinen mir unplausibel verteilt zu sein – Nathaniel ist äußerst talentiert und ihm gelingt, was nicht einmal vielen der Regierungszauberer zusammen gelingt.
Der Plot selbst ist nicht besonders originell, es geht um eine Verschwörung, in die der rachsüchtige Nathaniel und sein Sklave Bartimaeus hineingeraten. Dennoch ist die Geschichte spannend erzählt, dafür sorgen die vielen actionreichen Sequenzen und überraschenden Wendungen. Weiterhin wird sachte der sich anbahnende Konflikt mit der Resistance, einer Gruppe von Kindern der Gewöhnlichen, die allerdings ungewöhnliche Fähigkeiten haben und gegen das Establishment agieren, angedeutet. Da schon im ersten Kapitel ernsthaft in den Plot eingestiegen wird und die Handlung vielfach rasant voranschreitet, ist die Spannung das ganze Buch über hoch – sie unterliegt nur geringen Schwankungen, wenn es mal ein erläuterndes Kapitel gibt. Aus Bartimaeus lakonischen und ironischen Bemerkungen zieht das Buch außerdem einiges an humorvollen Momenten.
Ungewöhnlich wird aber mit den Erzählperspektiven umgegangen: Bartimaeus berichtet als Ich-Erzähler mit Fußnoten, die die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens symbolisieren (und zu komischen oder erläuternden Bemerkungen genutzt werden), während Nathaniels Kapitel von einer personalen Perspektive aus erzählt werden. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Cover des Buches Das Amulett von Samarkand von Jonathan StroudIn England herrschen Zauberer. Zwar gibt es auch “Gewöhnliche”, das sind Menschen, die nicht zaubern können, aber im öffentlichen Leben spielen sie keine große Rolle. Zauberer dürfen aber keine Kinder bekommen, stattdessen ist jede Familie dazu verpflichtet ein Kind von “Gewöhnlichen” auszubilden. So kommt Nathanael zu den Underwoods, bei denen er eine solide Ausbildung erhält, auch in Zauberei. Nathanael macht schnell große Fortschritte. Als ihn der einflußreiche Simon Lovelace bei einer Prüfung demütigt, schwört Nathanael Rache. Mit zwölf Jahren hat Nathanael soviel gelernt, daß er den mächtigen Dämon Bartimäus beschwören kann und ihn beauftragt das Amulett von Samarkand aus Simon Lovelaces Haus zu stehlen. Er ahnt nicht, welche Katastrophe er damit auslöst.

-Die Temperatur im Zimmer sank rasch. Eis bildete sich auf den Vorhängen und überzog die Deckenlampen mit einer dicken Kruste. Die Glühfäden sämtlicher Birnen schnurrten zusammen und verglommen, und die Kerzen, die wie eine Kolonie Giftpilze aus jeder feien Fläche sprossen, erloschen .-
Teil 1

Jonathan Stroud scheint eine Vorliebe für den bekanntesten deutschen Dichter zu hegen. Nathanael wirkt wie eine Mischung aus einem jungen Möchtegern-Faust und dem Zauberlehrling aus Goethes gleichnamiger Ballade. Er kann weitaus besser zaubern als Underwood es ihm zutraut, aber er ist noch nicht reif genug, um zu übersehen, welche Folgen sein Verhalten nach sich zieht und prompt löst er eine Katastrophe aus. Nathanael ist zweifellos eine sympathische Figur, jedoch ist er nicht so originell, daß er aus der Vielzahl, der in Kinderbüchern neuerdings zaubernden Jünglingen, herausragen würde. Nun hat der aufmerksame Leser vielleicht schon bemerkt, daß Nathanaels Name nicht im Titel des Buches auftaucht -und das hat seinen guten Grund, denn der eigentliche Star dieses Romans ist der Dämon Bartimäus, ein Dschinn und zeitweise Ich-Erzähler. Auf höchst witzige Weise erzählt Bartimäus seine Version der Geschichte. Er besitzt einen lakonischen Humor und eine erstaunliche Urteilskraft, er ist listig und kann sich in alles Mögliche verwandeln und wenn es nötig ist, scheut er auch nicht vor dem Einsatz roher Gewalt zurück. Zur Zeit ist er leider ein wenig miesepetrig. Es paßt ihm überhaupt nicht, daß ein Zwölfjähriger ihn beschworen hat und er jetzt tun muß, was Nathanael ihm befiehlt, deshalb wartet er nur auf eine Möglichkeit, den Bann zu brechen. Doch als die Lage immer verfahrener wird, bilden die beiden eine äußerst erfolgreiche Zweckgemeinschaft.
Bartimäus ist wahrscheinlich der originellste Dämon, der in Romanen gerade sein
(Un-)Wesen treibt, allerdings hat er einen Fehler: Seine Vorliebe für ausführliche Fußnoten. Die eine Hälfte der Fußnoten hätte gut in den Text integriert werden können und die andere Hälfte hätte in einem Glossar am Schluß des Buches untergebracht werden können. So stören sie allzu oft den Lesefluß und nur die Angst, etwas von Bartimäus’ britischem Humor zu verpassen, sorgt dafür, daß man nicht den Rat befolgt, den der Dämon in einer dieser Fußnoten dem Leser erteilt: Wieso verplemperst Du eigentlich deine Zeit damit, das hier zu lesen? Lies lieber oben weiter und sieh selbst!

Cover von Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

-It begins, as most things begin, with a song.
In the beginning, after all, were the words, and they came with a tune.-
Chapter One

Es war ja nun noch nie so, dass Neil Gaimans Bücher durch eine stringente, spannende Handlung geglänzt hätten, noch sind seine Helden besonders heroische Charaktere. Im Gegenteil, die Hauptperson ist meist ein Verlierer, der eine zum Scheitern verurteilte Beziehung zu einer Frau hat. Dann gerät er in eine fantastische, aberwitzige Situation, die er zunächst nicht kontrollieren kann, an der er dann aber wächst.
Das alles ist meist nicht so wahnsinnig spannend, wenn auch gespickt mit absurden und nicht selten extrem komischen Situationen und Figuren. Und da wären wir auch schon bei Gaimans größtem Talent, nämlich seiner wunderbaren Art, die Fiesen, die Gemeinen, die Hinterhältigen und die schlichtweg Brutalen darzustellen. Dieses Gesindel stiehlt dann auch gemeinhin den Guten ganz lässig die Show. Zwar zwingt einen das als Leser immer, sich beim Lesen von einem Auftritt der Bösen zum nächsten zu hangeln, aber was soll’s, Spaß macht das allemal.
Da aber liegt der größte Schwachpunkt von Anansi Boys (Anansi Boys): es gibt keinen Bösen. Es gibt nicht einmal jemand Zwielichtigen. Nichts. Einzig Spider hat den Ansatz dazu, der sich jedoch in eine andere Richtung entwickelt.
Was bleibt, ist die übliche, etwas wirre und von Mythen durchzogene Neil-Gaiman-Geschichte, ein paar witzige Situationen, und ein furchtbarer Jammerlappen als Hauptperson. Fat Charlie ist bis zur Mitte des Romans unerträglich, er ist peinlich, weinerlich und ein Verlierer, wie er im Buche steht. Klar, das ändert sich im Verlauf der Geschichte, aber bis dahin habe ich mir ein paar Mal ernsthaft gewünscht, er möge sein Elend (und meins) doch bitte durch sein Verschwinden aus der Geschichte beenden.
Im übrigen sind die Schauplätze, die ja sonst auch immer recht eigenwillig daherkamen, diesmal ebenfalls etwas lahm. London ist ganz einfach London und Miami ist nun auch nicht eben aufregend. Ansonsten gibt es noch eine lauschige Karibikinsel und die obligatorische Mythen-Parallelwelt, also alles wie gehabt.
Sprachlich ist das Ganze auf gewohnt hohem Niveau, da gibt es nichts zu meckern, und auch Neil Gaimans bizarrer Humor ist immer wieder für einen Lacher gut. Alles in allem ist das aber einfach zu wenig, um aus Anansi Boys ein richtig gutes Buch zu machen. Fans werden es vermutlich trotzdem mögen, alle anderen lesen lieber American Gods oder Neverwhere, da ist eindeutig mehr geboten.

Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

– Es beginnt, wie es ja meistens der Fall ist, mit einem Lied.
Im Anfang waren schließlich die Worte, und dazu gab es auch gleich Melodie. So wurde die Welt geschaffen, so wurde das Nichts geteilt, so kamen sie alle in die Welt: die Landschaften und sie Sterne und die Träume und kleinen Götter und Tiere. –
Kapitel 1, S. 9

Zu Anansi Boys liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Das Cover von Artemis Fowl 1 von Eoin ColferArtemis Vater hat der russischen Mafia ins Handwerk gepfuscht und gilt seitdem als verschollen. Durch diese Unternehmung ist das Fowlsche Familienvermögen erheblich geschrumpft. Arm kann man Artemis und seine Mutter nun nicht gerade nennen – aber Milliardäre sind sie nicht mehr. Also beschließt Artemis die Einkünfte wieder aufzustocken. Der hochbegabte Junge faßt einen ebenso genialen wie verbrecherischen Plan: Er will eine Elfe kidnappen, um an das sagenhafte Elfengold zu gelangen.

-Ho Chi Minh City im Sommer. Unerträglich heiß und drückend. Artemis Fowl hätte selbstverständlich solche Unannehmlichkeiten niemals auf sich genommen, wenn nicht etwas ungeheuer Wichtiges auf dem Spiel gestanden hätte.-
Kapitel 1: Das Buch

Artemis Fowl ist ein Antiheld, aber nur fast: Ein blasses zwölfjähriges Kerlchen, das zuviel Zeit vor dem Computer verbringt, skrupellos seinen genialen Plan verfolgt und von einem gewalttätigen, ihm treu ergebenen, Leibwächter beschützt wird. Bei näherem Hinsehen ist Artemis aber keineswegs so skrupellos, wie es auf den ersten Blick scheint und wie er es gerne von sich selbst glauben möchte. Der Junge leidet unter dem Verlust seines Vaters und unter der psychischen Krankheit seiner Mutter und erkennt daher folgerichtig am Ende der Geschichte, daß Geld nicht alles im Leben ist. Aber vorher muß er sich noch mit den Unterirdischen herumschlagen, wobei das “Herumschlagen” hauptsächlich von seinem Leibwächter namens Butler übernommen wird. Artemis hat zwar einen scharfen Verstand, aber anscheinend hat er sein Körpertraining sträflich vernachlässigt, so daß ihn sogar eine kaum ein Meter große Elfe mit einem gezielten Schlag auf die Nase zu Boden schicken kann. Peinlich, peinlich. Die Elfe heißt Holly, ist der erste weibliche Officer bei der ZUP, der Polizei der Unterirdischen, und hat meistens Ärger mit ihrem Vorgesetzten, Commander Root, da sie des öfteren die Vorschriften außer acht läßt. Jetzt gerade hat sie es schon seit längerem versäumt, ihre Magie aufzuladen, was dazu führt, daß sie von Artemis gekidnappt wird und Commander Root höchstpersönlich in Aktion treten muß, um Holly zu retten. Es entspinnt sich ein Kampf zwischen Artemis und den Unterirdischen, der stellenweise recht gewalttätig geführt wird, aber bei dem letztendlich niemand wirklich zu Schaden kommt und bei dem ein pupsender Mulch eine zentrale Rolle spielt. Spätestens an dieser Stelle sollte man als Leser erkennen, daß die ganze Geschichte mit Augenzwinkern und Ironie erzählt wird. Ansonsten könnte man Artemis Fowl anstatt für einen humorvollen James-Bond/Star-Trek/Krimi-Verschnitt für die Verherrlichung jugendlichen, gewalttätigen Verbrechertums halten und würde damit dem Buch bitter Unrecht tun.
Um dieses Buch zu mögen, darf man nicht ironieresistent sein (bzw. man muß alt genug sein, um Ironie zu verstehen) und man darf sich nicht an Welten stören, die von Technik bestimmt sind, denn die Welt der Unterirdischen, wozu Elfen, Zentauren, Mulche und Trolle gehören, hat hier nichts Romantisches. Die Technik ist weiter fortgeschritten als in der Menschenwelt und in der ZUP herrscht ein militärischer Kommandoton, jedenfalls dann, wenn alle sich an die Dienstvorschriften halten. Der Ablauf des Einsatzes erinnert an die Star-Trek-Abenteuer. Es wird zwar niemand von einem Raumschiff auf einen Planeten hinuntergebeamt, aber die Unterirdischen werden aus dem Erdinneren auf die Erde hinaufbefördert. Als etwas schiefgeht, wird eine Bergungseinheit hinterhergeschickt, die nicht wirklich erfolgreich ist (und deren Mitglieder hauptsächlich daran interessiert sind, daß ihre Mama stolz auf sie ist) und schließlich müssen die verantwortlichen Offiziere die Sache selbst in die Hand nehmen.
Wenn Sie sich mit einem verletzlichen, aber arrogant wirkenden, hochbegabten, alles und jeden herumkommandierenden, reichen, halbwüchsigen Kriminellen anfreunden können und Sie keine Abneigung gegen Technik hegen, dann bietet Ihnen Artemis Fowl eine unterhaltsame Lektüre.

Artemis’ Vater geht es besser. Hollys Magie hat ihm nicht nur geholfen wieder gesund zu werden, sie hat auch seinen Charakter beeinflußt. Er möchte er ein ganz normales Familienleben ohne Verbrechen führen. Artemis kann sich mit dem Gedanken an ein bürgerliches Leben noch nicht so ganz anfreunden und plant einen letzten genialen Coup. Er benutzt den mit Elfentechnologie entwickelten Minicomputer C Cube um John Spiro, den skrupellosen Chef einer der größten Computerfirmen der Welt, zu erpressen. Doch dieser hat nicht vor, sich von einem Dreizehnjährigen um seine Firma bringen zu lassen. Er will den C Cube und damit ist auch das Erdland in Gefahr. Captain Holly Short muß eingreifen.

– Artemis Fowl war beinahe zufrieden. Sein Vater sollte bald aus dem Universitätskrankenhaus in Helsinki entlassen werden. Er selbst freute sich auf ein leckeres – wenn auch recht spätes –
Mittagessen im En Fin, einem Londoner Fischrestaurant, und der Geschäftsmann, mit dem er verabredet war, mußte jeden Moment eintreffen. Alles lief nach Plan.-
Kapitel 1 Der Würfel

Auch der erneute Anfall von Arroganz zu Beginn des Romans kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Artemis mit jedem Buch sympathischer wird. Obwohl er wieder dem Traum vom großen Geld nachjagt, lernt er recht schnell, daß Freundschaft mehr wert ist als alles Gold der Welt, auch wenn er noch so oft das Familienmotto zitiert: aurum potestas est – Gold ist Macht. Doch zunächst will er unbedingt seinen großen Coup landen, der jedoch nicht so genial ist wie Artemis glaubt. Sein Geschäft mit Spiro scheitert auf furchtbare Weise. Das hat fatale Folgen für seinen treuen Leibwächter Butler und die Bewohner von Erdland müssen ihre Entdeckung fürchten. Es kommt wieder zu gewalttätigen Szenen, die Colfer aber in bewährter Manier mit Witz und Ironie abmildert. Der Geheimcode (The Eternity Code) ist das komischste der drei Artemis-Bücher. Allerdings gilt auch hier, daß Kinder alt genug sein müssen, um die Ironie und das Augenzwinkern zu verstehen, mit denen Colfer seine Geschichte erzählt. Die Gewaltszenen sind für jüngere Kinder, die alles für bare Münze nehmen, was hier geschildert wird, zu heftig. Alle anderen dürfen sich köstlich amüsieren. Noch nie hat ein Autor so witzig beschrieben wie jemand lebendig begraben wird.
Neben Artemis und Holly spielt auch wieder Mulch Diggums eine wichtige Rolle. Er arbeitet mittlerweile für die Chicagoer Mafia. Diggums hat immer noch die Angewohnheit, im richtigen Moment Gas auszustoßen und die Tatsache, daß er seine Haut mit dicken Schichten Sunblocker zukleistern muß, weil er Sonnenlicht genauso gut verträgt wie ein Vampir, trägt auch nicht gerade zu seinem Wohlgeruch bei. Der Zentaur Foaly überwacht und dirigiert die Operation “Rettet Erdland”, bei der, wie gewohnt, ausgefeilte Technik und Hollys Magie zum Einsatz kommen und Butlers Schwester Juliet hat verschiedene Auftritte als weibliche Kampfmaschine.
Das Ende des Romans läßt auf eine Fortsetzung der Geschichte hoffen, allerdings weiß man nicht so recht, ob man sie sich wünschen soll, denn es hat den Anschein, als würde Artemis bald selbst zu seinem ärgsten Feind.

Endlich einmal ist in Erdland alles in Ordnung. Opal Koboi, die gefährliche Verbrecherin, liegt im tiefen Koma und stellt keine Bedrohung mehr dar. Artemis Fowls Gedächtnis wurde gelöscht, so dass auch er Erdland nicht mehr gefährlich werden kann. Captain Holly steht kurz vor einer Beförderung. Es ist zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich: Opal Koboi täuscht ihre behandelnden Ärzte, sie liegt überhaupt nicht im Koma. Mittels eines Klons gelingt ihr die Flucht und sie will sich an allen rächen, die ihre Machtübernahme verhindert haben. Commander Root erteilt Holly den Befehl, Artemis vor der rachsüchtigen Opal zu retten. Bald wird klar, dass Holly nicht nur Artemis, sondern ganz Erdland retten muss, doch die Lage erscheint aussichtslos.

-Die Argon-Klinik war kein staatliches Krankenhaus. Niemand wurde dort kostenlos aufgenommen. Argon und sein Psychologenteam behandelten nur Unterirdische, die es sich leisten konnten.-
Kapitel 1 Völlig besessen – Argon-Klinik, Haven City, Erdland. Drei Monate zuvor.

Erneut müssen Holly und Artemis gemeinsam das Böse in Gestalt von Opal Koboi bekämpfen und wieder einmal wenden sie dazu ihre bewährte Mischung aus Methoden á la James Bond und Star-Trek-Besatzung an. Die Spannung kommt dabei nicht zu kurz. Der Leser muss mit dem Verlust einer beliebten Figur fertig werden, es gibt Bombenanschläge auf Artemis Leben und er und Holly müssen vor liebeswütigen Trollen fliehen – das ist nicht lustig.

Genau das ist das Manko des vierten Artemis-Fowl-Romans Die Rache (The Opal Deception), die Ironie und der Witz, die bisher für Colfers Geschichten so typisch waren, kommen nur höchst selten zum Zuge. Das ist schade, denn da auf diese Weise z.B. die gewalttätigen Einsätze Butlers nicht mehr ironisch gebrochen werden, kommen sie überhaupt nicht mehr vor und das wirkt, als ob Colfer diesen Roman mit angezogener Handbremse geschrieben hätte. Vielleicht hängt dies mit der großen Popularität der Artemis-Fowl-Geschichten zusammen, eventuell fürchtet man, daß Colfers bisherige Erzählweise auf jüngere Kinder gewaltverherrlichend wirkt, weil sie die Ironie nicht verstehen. Das ist eine ehrenwerte Vorgehensweise, aber sie nimmt der Story einen Teil ihres besonderen Charakters und macht aus Artemis Fowl – Die Rache einen “normalen” Fantasykrimi mit Science-Fiction-Anteil. Außerdem verdichten sich die Hinweise, dass Artemis dem Verbrechen völlig entsagen und sein Talent ausschließlich im Dienste des Guten ausüben will. Bitte nicht.

Cover von Die Verschwörung von Eoin ColferCaptain Holly Short ist strafversetzt worden und muss jetzt einen Druckaufzugsschacht beobachten, der kaum benutzt wird. Ein total langweiliger Job – bis sie und ihr Kollege von Schmugglern angegriffen werden. Offensichtlich haben sich Menschen mit verbrecherischen Unterirdischen verbündet, mit den B’wa Kell, einer Art Kobold-Mafia. Holly hat sofort Artemis Fowl im Verdacht.
Doch den plagen im Moment ganz andere Sorgen. Es verdichten sich die Hinweise, dass die russische Mafia seinen Vater entführt hat.
Holly und Artemis schließen einen Vertrag…

-Im Alter von dreizehn Jahren wies unser Untersuchungsobjekt Artemis Fowl Zeichen einer Intelligenz auf, die größer war als die sämtlicher Menschenwesen seit Wolfgang Amadeus Mozart.-
Artemis Fowl: Ein psychologisches Gutachten, Die Jugendjahre

Artemis Fowl: Die Verschwörung (The Arctic Incident) ist noch tempo- und spannungsreicher als der erste Teil und ebenso humorvoll. Die Handlung ist so dicht, dass dem Leser kaum Zeit gelassen wird, Atem zu holen. Doch trotz aller Action, vernachlässigt Colfer nicht die Darstellung der Charaktere. Es wird immer deutlicher, dass Artemis durchaus nicht soooo skrupellos ist, wie er es selbst gern wäre. Zwar wird dem Leser noch vor dem Prolog mitgeteilt, dass er eine Reihe von Verbrechen begangen hat, aber im Roman benimmt er sich kooperativ, er steht auf der richtigen Seite und schließlich ist es bestimmt nicht ehrenrührig, seinen eigenen Vater aus der Hand von Entführern zu befreien. Über seinen Vater sagt Artemis übrigens mehrmals, dass er zwar einige illegale Dinge getan hat, aber trotzdem ein Ehrenmann ist. Es sieht ganz so aus, als ob die männlichen Mitglieder der Familie Fowl sich langsam aber sicher zu edlen Verbrechern á la Robin Hood entwickeln.
Sogar Holly, die ja bisher glaubte, alles Übel in der Welt käme von Artemis Fowl, entdeckt an dem Jungen einige positive Charakterzüge.

Wieder dabei sind auch der kampferprobte Butler, der harte aber herzliche Commander Root, Zentaur Foaly, den sein Humor auch in der prekärsten Situation nicht verlässt, die Offiziere Kelp, die leider nur kurze Auftritte haben und Meisterdieb Nummer 2 Mulch Diggums, der seine Umwelt immer noch mit seinen Abgasen belästigt.

Cover von Das Auge des Golem von Jonathan StroudNathanael ist mittlerweile vierzehn Jahre alt, seine neue Lehrmeisterin ist Sicherheitsministerin in Devereauxs Kabinett. Er selbst hat sich bald so viel Wissen angeeignet, daß er seine erste Anstellung als Assistent des Leiters der Abteilung für Innere Angelegenheiten antreten kann. Er soll die Widerstandsbewegung zerschlagen, die die Herrschaft der Zauberer bekämpft. Nach einem Attentat auf den Premierminister ist nun ein besonders brutaler und verheerender Anschlag verübt worden. Sämtliche Mitglieder des Kabinetts verdächtigen die Gewöhnlichen, doch Nathanael hat einen anderen Verdacht. Allein kann er seine Vermutung nicht beweisen und da er unter den Zauberern keinen Verbündeten findet, bleibt ihm keine andere Wahl: er muß Bartimäus beschwören.

– »Klar habe ich damit gerechnet, dass mich eines Tages wieder irgendein Schwachkof mit spitzem Hut beschwört, aber doch nicht derselbe wie beim letzten Mal!” Er zog einen Flunsch. “Ich trage keinen spitzen Hut!« –
Bartimäus (10)

Er ist selbstverliebt, eitel, arrogant, ironisch, sarkastisch, süffisant, makaber, beleidigend – und stinksauer, daß ihn derselbe Schwachkopf wie beim letztenmal beschworen hat. Kurz und gut: Bartimäus ist zurück und er ist liebenswert wie eh und je. So grummelig, muffelig und bösartig kann sich der Dschinn gar nicht geben, als daß man nicht früher oder später merken würde, daß die rauhe Fassade nur dazu dient, Bartimäus’ goldenes Herz zu verbergen, das er ohne Zweifel auf dem rechten Fleck hat. Wenn er sich zu der einen oder anderen kleinen Grausamkeit hinreißen läßt, dann nur, weil er Nathanael unbedingten Gehorsam zu leisten hat. Und Nathanael ist erstaunlicherweise derjenige, der in diesem Roman einige Sympathiepunkte einbüßt. Auch Nathanael ist arrogant und eitel, aber ohne Bartimäus’ rauem Charme und Witz. Sein Ehrgeiz ist maßlos, er bricht seine Versprechen und scheint sich langsam zu einem Zauberer wie all die anderen zu entwickeln. Das ist wahrlich kein Kompliment, denn die meisten Zauberer haben einen eher unangenehmen Charakter und außerdem wirkt das von Zauberern beherrschte Großbritannien mehr und mehr wie eine Diktatur. Man muß Nathanael allerdings zugute halten, daß er es schwer hat, weil er der Jüngste im Ministerium ist und immerhin meldet sich noch sein Gewissen. Man darf also hoffen, daß er sich richtig entscheiden wird, wenn er eines Tages zwischen Gut und Böse wählen muß.
Überraschenderweise tritt in diesem Roman eine andere Person auf, die dem Leser von Seite zu Seite sympathischer wird. Das ist ausgerechnet Kitty, die zu den jugendlichen Widerstandskämpfern gehört. Sie ist mutig, besitzt ein ungetrübtes Urteilsvermögen und läßt ihre Freunde nicht im Stich.

Bartimäus – Das Auge des Golem (The Golem’s Eye) lebt von seinen originellen und individuell gezeichneten Protagonisten, die ihre Ecken und Kanten haben und keine 08/15-Fantasy-Stereotypen sind. Aber natürlich kommt auch die Spannung nicht zu kurz. Ein seelenloses Ungeheuer macht London unsicher, das sich zielsicher und unbeirrbar seinen Weg bahnt, dabei eine Spur der Verwüstung hinter sich herzieht und jeden tötet, der sich ihm in den Weg stellt. Nathanael muß bis nach Prag reisen, mit seinen engen Gassen und alten Friedhöfen, um Hinweise zu finden, wie man ihm das Handwerk legen kann. Dann fängt auch noch ein übergeschnapptes Gerippe an, sein Unwesen in London zu treiben – und das ist keineswegs so lustig, wie es sich anhört. Es sieht sogar aus, als ob Bartimäus Nathanael nicht die vereinbarten sechs Wochen dienen muß, denn wenn der Zauberer, der ihn beschworen hat, stirbt, ist der Dschinn frei…

Blackbirds von Chuck WendigMiriam Black hat eine dunkle Gabe: sie kann Zeit und Art des Todes eines Menschen sehen, sobald sie dessen Haut berührt. Verhindern konnte sie einen Tod nie. Meist sieht Miriam sie im hohen Alter sterben, manche verunglücken bei einem Unfall, selten beobachtet Miriam einen Mord. Als sie den hilfsbereiten Trucker Louis trifft, sieht sie jedoch genau das – Louis’ brutale Ermordung in wenigen Wochen. Was sie jedoch am meisten schockiert, ist, dass sie dabei sein wird, wenn es passiert. Was hat das zu bedeuten und hinter wem sind die Killer wirklich her? Kann Miriam seinen Tod verhindern, wenn sie sich von ihm, so weit es geht, fernhält? Oder steht das Schicksal fest geschrieben und jeder Versuch, es zu ändern, muss scheitern?

»Es ist dein Schicksal, an deines eigenen Mundes Fleisch zu ersticken, hier in diesem gottverfickten Motel am Arsch der Welt. Ich würde ja etwas tun, wenn ich könnte, aber ich kann nicht. Würde ich dir die Brieftasche unter die Zunge schieben, würde ich die Zunge wahrscheinlich nur tiefer reindrücken. Weißt du, meine Mutter hat immer gesagt: ›Miriam, es ist, wie es ist.‹ Und so, Del Amico, ist es.«
– Der Tod von Del Amico

Blackbirds ist der Auftakt einer Reihe, die allen Roadmovie-Fans das Herz höher schlagen lassen wird. Meist in der Perspektive der abgebrühten Miriam wird der Leser in eine Achterbahn von Ereignissen geworfen. Ehe man es sich versieht, jagen Drogendealer und Killer sie quer durchs Land und metzeln alles nieder, was ihnen in den Weg kommt. Es wird mit Wonne gefoltert und zwar auch gerne mal mit Ausführungen des Täters. Es wird zwar nicht zum Splatter-Roman, doch man sollte nicht zu zart besaitet sein, wenn man Blackbirds lesen möchte.

Der Roman beginnt mit Miriam, die in einem schäbigen Hotel dem bevorstehenden Tod eines wirklich unsympathischen Scheißkerls beiwohnen möchte – nunja, „möchte“. Vielmehr fühlt sie sich verpflichtet, schließlich hat sie seinen Tod bereits gesehen, außerdem hilft ihr das Bargeld in seinen Taschen dabei, ein paar Tage über die Runden zu kommen. Sie ist knallhart, hat ein ausgesprochen derbes Vokabular, säuft, was das Zeug hält, und bevorzugt den gelegentlichen, aber auf jeden Fall unverbindlichen Sex mit Fremden. Ihre unheimliche Fähigkeit hat sie sichtlich gezeichnet und sie meidet enge Bindungen zu anderen Menschen wie der Teufel das Weihwasser. Als Straßenvagabundin macht sie also keine Gefangenen und kann ebenso heftig austeilen, wie sie einstecken kann, und sie geht keinerlei Verpflichtungen ein. Sie denkt praktisch, egoistisch und überaus zynisch. Kurz gesagt: Miriam ist selbstzerstörerisch. Umso überraschender ist es, dass sie dem vereinsamten Louis ein wenig das Herz öffnet und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit so etwas wie Zuneigung für einen Menschen zulässt. Es ist eine wackelige Beziehung, die Miriam aber etwas mehr Menschlichkeit verleiht und den Bogen an einer Stelle schlägt, wo man als Leser beinahe zu genervt ist von der schlecht gelaunten Protagonistin, um noch lange am Ball bleiben zu wollen. Denn im Grunde ist der Ansatz dieser rohen Figur nicht schlecht, nur leider übertreibt es der Autor gerne mal. Es dauert recht lange, bis man mit der Figur wirklich warm wird. Viel zu lange bleibt sie zu oberflächlich, als dass man das Verhalten glaubhaft nachvollziehen oder sich in Miriam hineinversetzen könnte.
Nach und nach erfährt man schließlich aber doch mehr über die holprige Vergangenheit von Miriam und endlich wird ihr Tiefe zuteil. Das macht den anfänglich schwachen Start zwar auch nicht wieder gut, doch mit diesem Wandel wird plötzlich die Neugier des Lesers geweckt und auch dessen Verständnis.
Den übrigen Charakteren schadet die Oberflächlichkeit nicht, da es sich dabei hauptsächlich um regelrechten Abschaum handelt, der sowieso keine Sympathien wecken soll und stattdessen für Entsetzen zuständig ist. Das betrifft vor allem die Auftragskillerin Harriet, für die zu foltern Kunst und Glücksgefühle bedeuten; und ihren Chef, den seltsamen Glatzkopf, der in seinem Beutel Menschenknochen sammelt.

Die Erzählung wird in mehreren Teilen immer wieder unterbrochen und fortgesetzt, so dass sich die Details wie ein Puzzle langsam zusammenfügen und spannende Stellen mit einem „Zwischenspiel“ zum Cliffhanger werden. Im Falle von Blackbirds ist das recht interessant und wertet die Erzählung auf, auch sind die Sprünge nicht so groß, dass man den Faden verlieren würde.

Blackbirds liefert eine spannende Idee und ein actionreiches Abenteuer mit ordentlich Blut. Einzig die vulgäre Sprache der Protagonisten ist auf Dauer etwas anstrengend, da hier wirklich, wirklich viele davon sich die Klinke in die Hand geben, zu jeder Gelegenheit. Vielleicht musste der Autor, der sonst Drehbücher schreibt, in seinem Debütroman etwas kompensieren, was ihm bei den Filmstudios aufgrund von Zensuren verwehrt bleibt. Man weiß es nicht. Einen Blick wert ist der Roman aber durchaus. Chuck Wending hat die Verbindung von Urban Fantasy, Thriller und Roadmovie gut hinbekommen, und wer es gerne rau, teils brutal, auf jedenfall schonungslos mag, der kommt ganz auf seine bzw. ihre Kosten. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass dieser Auftaktroman ganz klar auf die Fortsetzung baut und viel mehr Fragen aufwirft, als welche zu beantworten. So bleibt auch ungeklärt, wie Miriam zu ihrer Fähigkeit gekommen ist und was genau in ihrer Jugend mit ihr passierte. Blackbirds schließt zwar die Haupthandlung letztlich ab, liest sich aber insgesamt doch mehr wie eine Einleitung für das eigentliche Spektakel.

Noch ein Wort zum Buchcover, denn hier sind mit viel Liebe zum Detail jede Menge Hinweise auf die Story eingeflochten worden. Und wie oft kommt es bei einem Cover schon vor, dass es ernsthaft durchdacht wurde? Schöne Sache!

The Blade Itself von Joe AbercrombieDer berühmt-berüchtigte Barbar Logen Ninefingers verlässt seine Heimat, weil er sich zu viele Feinde gemacht hat, und gerät an Bayaz, eine Person, die so gar nicht zu ihm passt.
In Adua, der Hauptstadt der mächtigen Union, will der arrogante Adelsspross Jezal dan Luthar seine Karriere beim Militär dadurch befördern, dass er zum Fechtchampion wird, denn zum Kriegsheld taugt er nicht.
Ebenda gerät der ebenso verkrüppelte wie zynische Inquisitor Glokta in den innenpolitischen Machtkampf der niedergehenden Union, während sich an ihren Grenzen die außenpolitischen Bedrohungen häufen.

-They’re everywhere. You really can’t change floors without them. And down is worse than up, that’s the thing people never realise. Going up, you usually don’t fall that far.-
Seite 10

Joe Abercrombie versucht mit der Trilogie The First Law, deren erster Band The Blade Itself (Kriegsklingen) ist, etwas frischen Wind ins Fantasy-Genre zu bringen – dies gelingt ihm jedoch bisher nur teilweise. Das Cover stellt ohne Zweifel eine wirklich hübsche Abwechslung von den generischen Fantasycovern dar – allerdings nur in der englischen Version, die Heyne-Ausgabe ist dafür doppelt beliebig. Der Titel ist ein Teil des Homer-Zitates “The blade itself incites to deeds of violence”, was – gemeinsam mit den Blutspritzern auf dem Coverbild – bereits ankündigt, dass wir uns im Grim-&-Gritty-Genre befinden, so viel gleich vorweg: es ist also mit blutigen Kämpfen, einer düsteren Welt und viel Misanthropie zu rechnen.

Die Story ist den derzeitigen Standards gemäß aus der Sicht verschiedener Personen erzählt, deren Handlungsstränge sich im weiteren Verlauf kreuzen. Das Reich im Niedergang, dessen Rettung aber noch möglich ist, klingt zwar nicht nach großer Innovation, mit seinem Händchen für die Abgründe von Genrestandards und seinem flotten Stil mit mitten-drin-Effekt verhindert Abercrombie aber erfolgreich, dass Langeweile aufkommt, obwohl im ersten Band der Trilogie die Story eher gemächlich voranschreitet.

Die Faszination von The Blade Itself liegt vor allem an den zentralen Figuren, die eingeführt werden. Hier profitiert das Buch eindeutig davon, dass Abercrombie sich mit seinen Protagonisten am klassischen Heldenrepertoire der Fantasy abarbeiten möchte und dabei mit sehr viel Witz zugange gewesen ist. Dabei verkommt der Roman aber nicht zur Parodie, sondern  Abercrombie hat sich bemüht, seine Helden (und seine Heldin) ambivalent zu gestalten und sie mit liebens- und hassenswerten Charakterzügen und/oder Tätigkeitsfeldern auszustatten. Wirklich tiefschürfend sind die Figuren dadurch jedoch nicht, denn das Bemühen, sie in einer Grauzone zwischen Gut und Böse anzusiedeln, resultiert schlussendlich darin, dass sie zwischen ihrer guten und ihrer schlechten Seite hin- und herpendeln, ohne dass dieser Widerspruch irgendwo thematisiert wird. So bleiben die Figuren leider trotz des humoristischen Touchs viel zu sehr ihren klischeehaften Ausgangspunkten verhaftet.

Daher ist es dann doch zumeist der Humor, der einen durch die Handlung trägt, denn der trockene, bissige und oft auch zynische Ton unterstreicht nicht nur das Grim-&-Gritty-Element, sondern liefert in seinen hemdsärmeligen und selbstironischen Momenten auch eine angenehme Abwechslung ebendavon. Wer Grim & Gritty mag und gerne pointierte Gedankengänge vom Leben gezeichneter Charaktere liest, der ist hier bestens aufgehoben.

Blade of Tyshalle Matthew Woodring StoverHari Michaelson tritt nicht mehr als Caine auf. Seit seinem letzten Abenteuer auf Overworld hat er einen Posten beim Studio, und dort sitzt er – von der Hüfte abwärts gelähmt – seine Zeit ab, entfremdet von sich selbst und seiner Frau. Die Studio-Bosse haben allerdings Pläne, die weit über die bisherigen Eingriffe auf Overworld hinausreichen, denn wartet dort nicht eine neue Welt, die alle Ressourcen bietet, die die Menschheit bereits verbraucht hat?
Hari und seine Frau Shanna, auf Overworld die Flussgöttin Pallas Ril, wollen nicht tatenlos zusehen, ahnen aber nicht einmal, wie mächtig die Feinde sind, die sie sich auf der einen und der anderen Welt gemacht haben. Sie warten nur auf ihre Gelegenheit …

-A tale is told of twin boys born to different mothers.
One is dark by nature, the other light. One is rich, the other poor. One is harsh, the other gentle. One is forever youthful, the other old before his time.
One is mortal.-
Zero

Heroes Die, das erste Abenteuer des Schauspielers Hari Michaelson, der als Caine zum Fantasyhelden in einer Parallelwelt wird, definierte 1998 die Sword & Sorcery neu. Der Nachfolger Blade of Tyshalle sprengt Genregrenzen und überschreitet auch alle anderen Grenzen, auf die er im Laufe von knapp 800 klein bedruckten Seiten stößt.
Die Handlung könnte man zunächst als zweiten Aufguss von Heroes Die verstehen: Protagonisten, Antagonisten und der Konflikt ähneln sich, doch das Spiel mit Schauspieler und Publikum, mit der Geschichte und ihrer Verquickung mit den Rezipienten, das den ersten Band bestimmt, wird von einer breiteren Thematik abgelöst: Die Erde hat entdeckt, dass sich das von sogenannten Elfen und Zwergen bewohnte Overworld (diese Volksbezeichnungen sind ähnlich pejorativ zu verstehen wie in unserer Geschichte etwa “Rothäute”) noch viel direkter ausbeuten lässt als nur als Abenteuerspielwiese für Reality Shows. Vor allem aber ist Blade of Tyshalle größer, epischer, die Abgründe klaffen tiefer, es steht mehr auf dem Spiel, es wird mehr gelitten (oh, was wird zwischen diesen Buchdeckeln gelitten), und es gibt mehr zu bestaunen.

Statt nur Caine und hin und wieder einigen Nebendarstellern gibt es nun eine ganze Riege wichtiger Figuren; statt vorrangig auf einer Welt zu spielen, gibt es zwei Schauplätze, die nicht unterschiedlicher sein könnten: das magische Overworld kommt diesmal weit über eine bloße Kulisse hinaus, weite Teile des Romans spielen jedoch auch auf der zukünftigen Erde, in einer dystopischen, gnadenlosen Kastengesellschaft, in der nur Dinge weitergedacht wurden, die im Ansatz bereits vorhanden sind – Medienmacht, Reichtum, der bei einigen wenigen im Hintergrund bleibenden Mächtigen gebündelt ist, eine hoffnungslose Unterschicht und eine starke Polizeimacht, die dieses (anti-)soziale Gefüge zusammenhält. Stovers Gesellschaftskritik umschließt sowohl das große Ganze als auch kleine Details, wenn man von Einzelschicksalen in diversen Schichten erfährt oder das klassische Motiv des in einem solchen System gefährlichen gedruckten Buches zur Sprache kommt.
Da das Regime nun auch nach dem vergleichsweise idyllischen (wenn auch von paradiesischen Zuständen weit entfernten) Overworld lechzt, kann es seine ganze Brutalität in Form von Kolonialismus auch dort ausspielen, wo zwar keine Technik, sondern nur Magie funktioniert, indem es auf bewährte, alte Methoden zurückgreift, die schon den europäischen Konquistadoren gute Dienste geleistet haben.

Nietzsche, Heinlein und Howard, die innerhalb des Textes und in der Widmung genannt werden, zeigen die Eckpunkte für das auf, was dann als Reaktion folgt.
Trotz großer Figurenriege ist Blade of Tyshalle ein Buch Caines. Die Figur wird demontiert, filetiert sogar: Hari Michaelson/Caine (der noch viele weitere Namen bekommt und auch das Verhältnis zwischen seinen Persönlichkeiten ausloten muss) ist die Sorte Held, die erst ganz unten sein muss – und bei einem zähen Burschen wie ihm geht es verdammt weit nach unten – bis er wieder aufsteigen kann. Der Caine aus Heroes Die, der jede Situation im Griff hat, blitzt nur kurzzeitig auf, etwa dann, wenn er sich wie sein Vorgänger Conan auf einem Thron wiederfindet, ein Heer von Untertanen vor sich, obwohl er nicht zum Herrschen geschaffen ist und sein Fall bereits feststeht. Wenn man meint, aufgrund der Rückblenden in Blade of Tyshalle seine Biographie zu kennen, nimmt man Caine auch den fließenden Wechsel zwischen der Fäkalsprache des Slums seiner Herkunft und komplexen philosophischen Betrachtungen ab. Und am Ende wird man feststellen, ihn doch nicht gekannt zu haben.

Himmel und Erde werden in Blade of Tyshalle in Bewegung gesetzt, die Konflikte nehmen olympische Dimensionen an, existentialistische Philosophie steht neben knallharter Action, bluttriefender Brutalität und erhebenden, in beeindruckende Worte gefassten Momenten.
Die Grausamkeiten, die im Vorgängerband eigentlich schon eine Nummer zu groß waren, werden mit Links überschritten, Stover bedient sich hier klar aus der Effektschublade des Horrorgenres. Statt Sex und Gewalt gibt es nur Gewalt, denn brutaler Sex ist für Stover noch weniger als Gewalt ein Selbstzweck, sondern immer ein Machtmittel. Jedem Leser und jeder Leserin, die unappetitlichen Körperflüssigkeiten und Beschreibungen, bei denen man nur die Zähne zusammenbeißen und hoffen kann, sie mögen bald vorüber sein, lieber aus dem Weg gehen, kann man von der Lektüre nur abraten. Diese Szenen sind nicht nur um des Effekts willen vorhanden – extrem sind sie trotzdem.
Gerechtfertigt sind sie, wenn man so will, durch die extremen Themen, die Stover beackert: Wie in Blade of Tyshalle die Mechanismen der Adiaphorisierung und der Amoral der Massen greifbar gemacht und ins Zentrum der Handlung eines Fantasy-Romans gerückt werden, dürfte ein einzigartiges Meisterstück sein.

Die philosophischen Betrachtungen und Belastungstests der Ethik spielen sich nicht nur im Hintergrund ab, auch wenn Stover stark mit Leitmotiven arbeitet und seinen lebendigen, atemlosen Erzählstil beibehalten hat. Hinzu kommt ein Spiel mit der Erzählsituation des Romans und der Mythologisierung des Geschehens – wenn man sich also durchbeißen kann (durch die komplexe Thematik und die Brutalität) gibt es zum Ausgleich eine Ästhetik, die Ihresgleichen sucht. Die Sword & Sorcery wird in Blade of Tyshalle damit auf eine andere Ebene gehievt: Sie ist ein Erzählmodus, der den Rahmen für eine Geschichte vorgibt, die an allen Ecken und Enden aus ihrer Handlungsebene herausquillt.

Zu einem solchen monströsen Leviathan von einem Buch kann es auch nur ein persönliches Schlusswort geben: Mit Blade of Tyshalle hat Stover hoch gezielt, und es gibt allerlei Gründe, die dafür sprechen, dass er grandios gescheitert ist, dass man ein überambitioniertes, aus dem Ruder gelaufenes Projekt vor sich hat. Blade of Tyshalle ist vielleicht auch einer der Gründe, weshalb Stover trotz seiner innovativen, literarischen Romane nicht in einem Atemzug mit Steven Erikson genannt wird. Für mich ist Blade of Tyshalle dennoch ein großer Wurf, ein in allen Belangen beeindruckendes, erschlagendes Buch, das ich öfter als alle anderen aus dem Regal nehme. Und wer ein Nachwort verfassen kann, wie es in Blade of Tyshalle zu finden ist, darf vorher meinetwegen auch so oft “fuck” schreiben, wie er will.

Blood Engines von T.A. PrattMarla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.

-Marla Mason crouched in the alley beside the City Lights bookstore and threw her runes.-
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Würde man von Marla Mason behaupten, sie sei Harry Dresdens große Schwester, würde sie vermutlich ganz garstig lachen (und darauf bestehen, dass sie immerhin für ihr Alter noch ganz gute Titten hat, was sie nie müde wird, in diesem Wortlaut zu unterstreichen …), aber eine gewisse Verwandtschaft der beiden in modernen Großstädten operierenden Magier lässt sich nicht leugnen.
Die Heldin von Blood Engines (Hexenzorn), dem Auftaktband der Marla-Mason-Reihe, ist nur auf den ersten Blick ein wandelndes Klischee: Magisch universell begabt, mit einer mächtigen Waffe und einem fiesen Wendemantel ausgestattet, bestens in der Kampfkunst bewandert, immer einen zynischen Spruch auf den Lippen. Zur richtigen Sympathieträgerin wird die (von ganz unten kommende) Überfliegerin nur in wenigen Szenen, als bissig-biestigen Gegenentwurf zu den sonstigen Weibchen der Urban Fantasy macht sie dafür aber großen Spaß: Unter ihrer rauen Schale verbirgt sich auch ein harter Kern.
Marlas Sidekick, ihr dämonischer Gehilfe Rondeau, ist ein Sprücheklopfer (in jedweder Hinsicht) und Stichwortgeber für allerlei Geplänkel zwischen den Figuren; der abgestürzte Schauspieler B., der gerne das Müllorakel befragt, fungiert als unbedarfter Sympathieträger und heimlicher Star des Romans.

So schön der Humor und die skurrile Figurenriege allerdings auch sind, der Plot, der darunter liegt, ist dünn, auch wenn das zwischen all den farbenfrohen Ideen beinahe untergeht. Die titelgebenden Blood Engines werden fast nur pro forma erwähnt, und der Bösewicht mit seinen Scharen von Fröschen und Kolibris und seiner Obsession mit aztekischen Gottheiten ist zwar erfrischend anders, wie so vieles an Marla Masons Welt, aber für eine wasserdichte Geschichte taugt er nicht.
Deutliche Krimi-Elemente wie bei Jim Butchers Harry Dresden sollte man trotz der ähnlichen Ausgangslage ohnehin nicht erwarten: Im Wesentlichen gondelt Marla auf der Suche nach Verbündeten von einem Magier zum nächsten, da die magische Oberaufsicht über San Francisco im stetigen Wechsel ist und durch die Pfeilgiftmorde auch noch gehörig durcheinander gerät, und der Aztekenfiesling ist ihr stets einen Schritt voraus.

Marla Mason sollte man vor allem dann lesen, wenn man mit einem Ideenreichtum glücklich wird, der es in sich hat, und die Logik dem unterordnet. Im Unterschied zu weiten Teilen der Urban Fantasy haben die Marla-Mason-Romane einen Ausbund unterschiedlichster Magie zu bieten: Sie ist überall und existiert nicht als eine verborgene, mythische Welt neben der unseren, in der es dann tatsächlich auch Elfen, Vampire und Feen gibt, sondern in Form von menschlichen Magiern, die durchaus modernen Berufungen nachgehen: Börsenspekulierenden Wahrsagern, Internet-Technomanten, einem China-Schwarzmagier, der direkt aus Big Trouble in Little China entsprungen sein könnte, und sogar an der ausufernden Orgie eines Pornomanten kann man teilhaben – allesamt moderne Menschen, die häufig die Möglichkeiten zeitgenössischer Technik und Lebensart für sich nutzen wollen und sie in ihr Leben und die Magie integrieren.
Da verwundert es auch nicht, dass es Tim Pratt gelungen ist, San Francisco  eine eigene magische Geschichte zu verpassen (und zwar nicht nur eine vorzeitlich-mythische, sondern auch eine neuzeitliche). Nicht nur dadurch wird die Stadt zu einem sehr plastisch geschilderten Schauplatz, von dem man nach der Lektüre beinahe meint, eine (magische) Straßenkarte zeichnen zu können.
Innerhalb dieses Kosmos agieren die Magier als Unterweltbosse, regieren knallhart über ‘ihre’ Städte und Bezirke und sehen sich ähnlichen Intrigen und Konkurrenzen ausgesetzt. Doch natürlich bricht auch in dieses wohlgeordnete Setting hin und wieder unerklärliche Magie ein, und der unbeherrschte Weltenreigen nach dem Besuch bei der Hexe von Alcatraz gehört zu den schönsten Szenen von Blood Engines.

Überhaupt schafft es Pratt, in schnoddriger Sprache mit einer Vielfalt an Details der magischen Welt ein sehr weltoffenes und tolerantes Setting und Figurenensemble zu zeichnen: Ethnien, sexuelle Orientierungen, Fetische und vieles mehr trifft man bei Marla Mason in allen Varianten an, wobei Klischees und Quotenauftritte weitgehend außen vor bleiben – aber sie werden auch ohne Blatt vor dem Mund aufgetischt. Wen interessieren in einer Welt voller abgefahrener Magie schon so banale Differenzen? Der Schauplatz San Francisco tut noch ein Übriges zur Offenheit. Wer keine Lust auf eine sich über dutzende Seiten erstreckende Orgie hat, die im Übrigen eher mit Humor als mit Erotik abgehandelt wird, aber schon ins Detail geht, sollte sich lieber nicht auf Blood Engines einlassen.

Marla Masons Abenteuer werden mit Blood Engines recht spektakulär eröffnet, der Schwerpunkt liegt auf dem Humor und den Figuren, auf Anspielungen auf die Pop-Kultur und auf der Schöpfung einer magischen Gegenwartswelt. Der in diesem Band abgeschlossene Wettlauf mit einem Erzbösewicht überzeugt nicht auf ganzer Länge – aber als dreckigere und zynischere Variante zu Dresden & Co. hat Marla genug Pfiff, um ein paar Stunden solide Unterhaltung zu bieten.

Cover des Buches "Bone - Complete Edition" von Jeff SmithPhoney, Fone und Smiley Bone müssen ihre Heimatstadt Boneville verlassen, weil Phoney zum wiederholten Male seiner Gier nach Profit erlegen ist. Auf ihrer Flucht durch die Wüste  geraten sie in einen riesigen Heuschreckenschwarm und verlieren einander.
Auf getrennten Wegen gelangen sie in ein unbekanntes Tal, in welchem sich jeder von den Dreien auf die Suche nach seinen Cousins macht. Doch als sie endlich wieder vereint sind, sind sie längst viel zu tief in die Geschicke des Tals verstrickt, um einfach wieder nach Hause zu gehen. Außerdem sucht eine dunkle Gestalt nach Phoney, weil die Ankunft eines Bone-Wesens in einem Omen prophezeit wurde …

-“Was meinst Du, Kumpel, sollen wir ein saftiges Ragout aus ihm machen oder ihn einfach roh verschlingen?” – “Hmmm… Ich würde sagen, wir backen eine Quiche!” –

Aufmerksam geworden durch Hinweise aus dem Freundeskreis liebäugelte ich schon länger mit den knuffigen Bones, und als ich in der örtlichen Buchhandlung über die Complete Edition stolperte,  griff ich kurzentschlossen zu. Die gesamte Geschichte in einem Band – sehr schön! … dachte ich! Denn im Laufe der Lektüre wurden mir wegen des hohen Gewichts des Buches oftmals die Arme lahm.
Nach dieser Erfahrung würde ich jedem interessierten Leser raten, lieber die 9-bändige Hardcover-Ausgabe zu kaufen. Neben der größeren  Bequemlichkeit bietet Letztere auch farbige Zeichnungen, wohingegen die Complete Edition ausschließlich  Schwarz-Weiß-Zeichnungen beinhaltet. Aber solche Entscheidungen sind Geschmackssache und über diese kann man ja bekanntlich endlos streiten.

Für mein unfreiwilliges Armmuskeltraining wurde ich mit einer  vergnüglichen Geschichte mit vielen liebenswerten Charakteren belohnt, auch wenn viele von ihnen ein gerüttelt Maß an Klischees bedienen:
Thorne, das Mädchen mit großer Bestimmung, wurde auf dem Bauernhof ihrer Großmutter zu einer selbstbewussten jungen Frau erzogen, die im Notfall auch mal richtig zupacken kann. Fone Bone trifft sie, als er auf der Suche nach seinen verloren gegangenen Cousins ist, und verliebt sich auf den ersten Blick in sie. Wirklich herzzerreißend sind die Szenen, in denen er sie anhimmelt und versucht, ihr Liebesgedichte zu schreiben.
Grandma Ben, die die Rolle der Mentorin hat, ist nicht nur willensstark bis zur Sturheit, sondern  auch körperlich äußerst fit, was sie beim jährlich stattfindenden Kuhrennen gerne unter Beweis stellt.
Das Böse wird durch den Herrn der Heuschrecken und dessen Helfershelfer, den Vermummten, dargestellt. Wie es sich für eine ordentliche Fantasygeschichte gehört, verkörpern sie das Chaos und die Alpträume und sind sehr mächtig!
Und dann gibt es noch die herrlich skurrilen Nebencharaktere: Der große rote Drache mit dem wunderbar coolen Gesichtsausdruck, Ted, die winzige Wanze (die man um Himmelswillen nicht mit einem Blatt vergleichen soll – sonst holt sie ihren großen Bruder!) und das dämliche Rattenmonsterpärchen, das sich ständig darüber streitet, ob Monster gerne Quiche essen dürfen … sie seien hier nur stellvertretend für alle Anderen erwähnt.

Und die Bones selber?
Die drei knubbligen kleinen Kerle erschienen mir auf den ersten Blick nicht gerade geeignet, eine “richtige” Fantasy-Geschichte zu tragen – zu sehr sahen sie mir nach Mickey Mouse und Donald Duck aus.
Doch es brauchte nur wenige Seiten und mir wurde klar, wir haben es hier mit einem echten Heldenteam zu  tun: Da wäre zum einen Phoney, der zwar mit seiner Geldgier das Trio immer wieder in Schwierigkeiten bringt und  zeitweilig sogar ungewollt der bösen Seite in die Hände arbeitet, im Grunde aber seine Cousins liebt.
Dann haben wir Smiley, einen herzensguten Trottel, den Phoney immer wieder für seine haarstäubenden Pläne missbraucht, dessen Herz aber groß genug ist, um ein Monsterbaby zu retten.
Als Dritten natürlich den sympathischen und gewitzten Fone, welcher ein großer Fan von Moby Dick ist. Die Szenen, in denen Fone Freund wie Feind mit Moby-Dick-Lesungen “besiegt” oder unfreiwillig Ismaels Gestalt annimmt, als Hommage oder als Persiflage zu werten, mag jedem Leser selbst überlassen bleiben.

Die Beschreibung der Charaktere lässt es schon vermuten, wir haben es hier mit einer (wenn nicht gar DER) klassischen Fantasy-Geschichte zu tun.
Vor langer Zeit war die Welt ein friedlicher und glücklicher Ort, bis das Böse kam und die Welt mit Wahnsinn und Albträumen verseuchte. Ein großer Kampf führte dazu, dass das Böse zwar gebannt, aber nicht völlig besiegt werden konnte. Die Bones kommen zu einer Zeit ins Tal, in der das Böse wieder erstarkt ist und zum letzten großen Schlag ausholt …

Das kommt uns bekannt vor? Ja.
Es ist eine altbekannte Geschichte, aber sie wird hier äußerst amüsant neu erzählt. Dem Leser wird zwar nicht gerade philosophischer Tiefgang, dafür aber jede Menge Spaß, liebevoll gezeichnete Bilder und witzige Dialoge geboten.

Caine Black Knife von Matthew StoverDas Abenteuer, das Hari Michaelson in seiner Rolle Caine einst zum Star machte, ist eine Legende: Im Ödland von Boedecken hat er im Alleingang den gefürchteten Ogrilloi-Stamm der Black Knives so gut wie ausgelöscht.
Nun ist er gezwungen, sich an seine damaligen Taten zu erinnern – denn abermals brodelt es im Ödland, und Caines Adoptivbruder Orbek, einer der letzten der Black Knives, gerät in dem nun von den Rittern des Khryl beherrschten Landstrich in Nöte. Caine bricht auf und bekommt Ärger, kaum dass er angekommen ist: Seine Vergangenheit droht ihn auf vielfältige Weise einzuholen.

-»When you fuck with the bad guy –« Your true grin unfolds like a butterly knife »– the bad guy fucks you back.«-
then: Bad guy

In Blade of Tyshalle hat Caine eigentlich alles getan, was ein (Anti-)Held tun kann, seine Geschichte war zu Ende erzählt. Es war also an der Zeit, dass er seine eigene “origin story” erhält. Doch Matthew Stover wäre nicht Matthew Stover, wenn er es sich so einfach machen würde. Zwar ist Caine Black Knife – übrigens die erste Hälfte des Act of Atonement und damit der erste nicht in sich geschlossene Caine-Roman – in vielerlei Hinsicht kompakter als der ausufernde Vorgänger, aber auf seine Art nicht weniger komplex:
Statt nur das legendäre Abenteuer Retreat From the Boedecken zu erzählen, von dem man in den bisherigen Romanen schon so viele Andeutungen, aber niemals Genaues erfahren hat, verknüpft Stover die als Mitschnitte der damaligen Ereignisse präsentierte Reise in die Vergangenheit mit einer Gegenwartshandlung, die das Damals aufgrund der dreißig vergangenen Jahre, die sich nicht nur in Form von äußerlichen Narben auf Caines Schultern niedergelassen haben, kontrastieren und gleichzeitig neu verarbeiten.

Was Stover hier an Charaktertiefe liefert, ist ein wahres Fest: Der junge Caine ist ein astreines Arschloch, ein Soziopath, der bereits eine Geschichte der Gewalt hinter sich hat, während den älteren Caine die Summe seiner Erfahrungen zu dem macht, was er ist, einem gesetzten Antihelden, der vor allem in Ruhe gelassen werden will. Die Diskrepanz zwischen dem Jetzt und dem Damals, der Blick in den charakterlichen Abgrund, den man mit den Kapiteln aus der Vergangenheit erhält, wird durch viel Unausgesprochenes dazwischen unterstrichen, wie überhaupt in Caine Black Knife die Arbeit mit dem Ungesagten ein großes Spannungsmoment ist, obwohl man von Beginn an weiß, wie Retreat from the Boedecken enden wird. Patrick Rothfuss’ Kingkiller Chronicles, die ebenso auf eine Figur fokussiert sind und mit einem ähnlichen Stilmittel arbeiten, nehmen sich neben dieser Tour der Extreme nicht nur wie ein harmloser Sonntagsspaziergang aus, sondern wirken auch deutlich weniger stringent.

Doch auch wenn dieser Roman noch mehr als die Vorgänger eine reine “Caine Show” ist, nimmt sich Stover auch Raum für teilweise bitterböse Anspielungen: Er rechnet in einem wahrhaft schrecklich lustigen Kapitel mit gewaltaffinen Online-Gaming-Kids ab, mit den Mächtigen (sei es nun Adel oder Pseudoadel durch wirtschaftliche Vormachtstellung) sowieso, und am interessantesten ist diesbezüglich vielleicht sein Umgang mit den Ogrilloi, der ganz nebenbei den Rassismus von Fantasy-Welten deutlich macht, die auf allzu simple Art mit bösen oder primitiven Völkern umspringen: An den niedergerungenen Ogrilloi werden sowohl sprachlich (durch die Herrscher und auch durch die Beherrschten selbst), als auch durch das jeweilige Verhalten die Strukturen rassistischer Unterdrückung beschrieben. Das Clevere daran ist natürlich Caines Rolle darin, seine vielfache Verwicklung in den Status quo: als Kenner und Leidtragender der irdischen Kastengesellschaft, als Adoptivbruder eines Betroffenen, als Verursacher und auch früheres Opfer der nun Unterdrückten: All diese emotionalen Widersprüche sind perfekt herausgearbeitet, und Caine Black Knife ist fern von einem sterilen Lehrstück, das man mit dem wohlverdienten Label Bildungsroman vielleicht assoziieren könnte.

Steril ist hier ohnehin gar nichts – Stover wird mühelos noch derber als in Heroes Die und Blade of Tyshalle, bringt nebst den üblichen blutigen Tatsachen nun auch öfter eine deutliche Note sexueller Perversion ein. Die zu Beginn eingefügte Altersfreigabe und Warnung des Studios vor dem Abenteuer Retreat From the Boedecken ist kein effektheischendes Gimmick, sondern schlicht die Wahrheit.
Damit hat Stover es geschafft, das Sprachniveau in Caine Black Knife gleichzeitig zu senken und zu heben, denn nebst der Gewaltorgien und der nie um eine Derbheit verlegenen Dialoge pflegt der mit einem breiten Bildungshintergrund ausgestattete Caine auch einen im Vergleich noch einmal stark erweiterten Wortschatz und lässt eine Menge Kulturwissen durchscheinen.
Bevor bei den Gipfeln der Gewalt letztlich nur noch der Ausweg offensteht, sie ins Lächerliche kippen zu lassen, gibt es allerdings immer eine Pause, und überhaupt hat Stover sich ein Stilmittel zu eigen gemacht, das den Aussparungen und der Dynamik der Handlung zugutekommt: Da wir eine Aufzeichnung des alten Abenteuers “sehen”, gibt es auch eine häufig genutzte Vorspultaste.

Nebst Caines Geschichte wird auch die von Overworld in Caine Black Knife weitergeschrieben und bekommt noch mehr Tiefe, immer gut verpackt in irdisches Sagenmaterial. Besonderen Spaß macht dabei die ironische Bezugnahme auf Blade of Tyshalle, die das Spiel mit der Fiktionalität, das die Caine-Romane ohnehin auszeichnet, noch weitertreibt und manches relativiert. Wer also geglaubt hat, die Geburt von Caine schon erlebt zu haben, wird hier herausfinden, dass auch die Genese eines Helden nicht eindeutig und immer eine Frage des Standpunktes ist.
Diese Geburtsstunde findet statt, als die zweigleisige Geschichte von Caine Black Knife längst ihre Sogwirkung entfaltet hat, trotz des Sympathie-Malus, den der junge Caine verbuchen kann. Mit einer hochinteressanten Ausnahme bleibt Caine hier auch die einzige Erzählerfigur, und entsprechend universell fällt die Charakterstudie aus: Einerseits ist Caine das Ausnahmetalent, der bad guy, das Arschloch, andererseits ein Jedermann und Underdog, der dem Leser und der Leserin aufgrund der völligen Auslieferung seiner Gedanken nahe bleibt, ganz gleich, was er anstellt. Daran ist nicht zuletzt schuld, dass nach den ersten Schockern zu Beginn der Erzählung eine leichte Mäßigung eintritt, vor allem bei Caines älterer Version, die gewaltmüde ist, bei Bedarf aber immer auf die Arschloch-Persona zurückgreifen kann. Und den jungen Caine begreift man irgendwann als Menschen, der zum Rad im Getriebe der Ausbeutungsmaschinerie in zwei Welten wird, um in diesem System nicht unterzugehen. Während sich seine Geschichte immer garstiger entfaltet und zu etwas wahrhaft Bösartigem heranwächst, scheint sich die Gegenwartshandlung vordergründig konträr dazu zu bewegen, und doch rasen beide, auch durch die zwingende Spärlichkeit, mit der Stover diesmal Massen von Entwicklung auf weniger als 400 Seiten unterbringt, ohne je in Seitenstränge zu driften oder Füllmaterial zu präsentieren, mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zu. Am Ende, das dürfte jedem klar sein, kann keine Läuterung und erst recht kein Happy End stehen. Aber etwas Besseres.

Caine's Law von Matthew StoverWieder einmal ist Caine ganz unten: In den Händen der Regierung, ohne Zugriff auf Overworld und seine dortigen Kräfte, verkrüppelt, an ein Bett gefesselt – und seine Peiniger haben noch Schlimmeres mit ihm vor, während in seiner Wahlheimat Overworld die Erde ihren Einfluss wieder erhöht und die Dinge zum Schlechten stehen. Caine macht der Erdregierung ein Angebot, das sie leider ohne mit der Wimper zu zucken ablehnt, und ab diesem Zeitpunkt reißen die Merkwürdigkeiten nicht mehr ab …

“Two things I do,” she repeated. She touched her cheek below the brown eye. “Forgiveness.” She moved the hand to the ice-milk side. “Permission.”
The horse-witch: Feral

Drei Bände lang hat Caine gewütet und gemetzelt, hat skrupellose Gegner bekämpft, indem er noch weniger Skrupel hatte als sie, und nun, in Caine’s Law, dem zweiten Teil der mit Act of Atonement untertitelten Sub-Serie, soll er schließlich doch die Konsequenzen zu spüren bekommen und sühnen. Der nur vordergründig einfach gestrickte Haudrauf wird auf den Boden geholt, nicht nur durch die Ereignisse und seine Ermattung, was Kämpfe und Konflikte angeht, sondern vor allem durch die vielen Rückblicke, die wie schon in den vorausgegangenen Bänden erklären, wer er ist, und einen Mann mit vielen Schichten offenbaren. Ein häufig erwähnter Schlüsselsatz fasst sowohl die Figur als auch den ganzen Roman famos zusammen: »It’s complicated.«

Caine’s Law ist eine strukturell herausfordernde Lektüre – sie bietet keine lineare Erzählung, sondern springt zwischen Zeit- und Möglichkeitsebenen hin und her, stellt einen netten Warnhinweis voraus, dass es sich dabei teilweise nur um bald wieder ungeschehen gemachte Varianten der Ereignisse handelt, und man darf sich selbst zusammenpuzzeln, wie die einzelnen Kapitel zu ordnen sind, häufig nur von kleinen Hinweisen unterstützt. Aber erfahrene Caine-LeserInnen kann ohnehin nichts mehr schocken, und mit etwas Zutrauen in die Fähigkeit von Matthew Stover, einen am Ende nicht im Regen stehen zu lassen, stellt sich bald trotzdem eine Art Linearität ein, denn die Kapitel sind, auch wenn es anfangs anders scheinen mag, mitnichten zufällig angeordnet. Kausalitäten lassen sich herstellen, und letztlich gibt es tatsächlich einen sehr befriedigenden und überraschenden Blick auf das ganze Mosaikbild, das man sich beim Lesen erarbeitet hat, auch wenn es unterwegs ein ausgesprochen wilder Ritt mit wohlplatzierten Stolpersteinen aus dem Zeitreiseparadoxon-Baukasten war. Das Spiel mit der Fiktionalität, das stets ein hintergründiger Bestandteil der Caine-Reihe war, wird dadurch auf eine andere Ebene gehievt, auch wenn Caine nun schon lange nicht mehr »Entertainer Michaelson« ist.
Manch ein Kapitel wird man in diesem raffinierten Puzzle vielleicht zweimal lesen wollen, denn fast in jedem Abschnitt kommt es zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die das Vorausgegangene infrage stellt, und man erlebt einige erschütternde Überraschungen, in denen aus Grandiosität und Glanz plötzlich das Elend dahinter auf erschreckende Weise hervorbricht.

Mit überraschenden Erzählerfiguren, Bezugnahme auf alle drei Vorgänger, auf die menschliche Geistesgeschichte und die Mythen führt Stover Konzepte und Figuren aus 15 Jahren Caine zu einem kohärenten Ganzen zusammen, und das in einem ranken und schlanken Stil, der im Verlauf dieser Jahre noch um einiges präziser und fokussierter geworden ist: So schillernd und wild flatternd Caine’s Law auf den ersten Blick auch wirkt, hier gibt es keine Schlenker, jeder Satz sitzt und leistet seinen Beitrag zu einer Geschichte, die Figur und Mythos verwebt und es tatsächlich schafft, ein Sühne-Epos zu erzählen, das sich von den meist christlich konnotierten Begriffen lösen kann.
Caines Suche nach Erlösung ist eng verwoben mit einer faszinierenden Frauenfigur, die die Vorzüge, die bereits Stovers frühere weibliche Charaktere auszeichneten, zur vollen Entfaltung bringen kann und Stärke, leisen Humor, Tragik und einen wunderbaren Ruhepol in die Geschichte einbringt. Stover kann sein Talent für die realistische Beschreibung von Beziehungen vorführen und stellt einem der ambivalentesten Protagonisten der Science Fiction und Fantasy damit eine der coolsten Frauenfiguren zur Seite, an der alle Klischees auf eine Art und Weise abperlen, dass es eine wahre Freude ist.

Die Schuld-und-Sühne-Frage wird in Caine’s Law auf vielen Ebenen gestellt, es werden mannigfaltige Verhältnisse beleuchtet, in denen sie aufkommt – gesellschaftliche, familiäre, religiöse und ganz persönliche – doch der Fokus bewegt sich trotz wechselnder Perspektiven nie weit weg von Caine, dem Über- und Unmenschen, der menschlicher wird, je mehr er sich in die Angelegenheiten der Götter verstrickt. Die Figur, die in Caine Black Knife noch filetiert wurde, wird hier zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt, und am Ende hat Caine das getan, was Antihelden seit jeher besser können als ihre strahlenden Gegenparts: uns etwas über das Menschsein beigebracht.
Auch wenn Caine’s Law die ausufernde Breite von Blade of Tyshalle fehlt, ist es doch ein mindestens ebenso philosophischer Roman, der sich mit der Ordnung der Welt, Macht, Göttlichkeit und Menschlichkeit, letzten Dingen und dem guten Leben (und den Gründen, weshalb es meist ein frommer Wunsch bleiben muss) befasst. Dass das Ganze nicht ohne Blutvergießen geliefert wird, weiß vermutlich jeder, der bis hierher durchgehalten hat. Der neue Caine ist vielleicht etwas zurückgenommener, dafür sind die Gewaltspitzen nur umso verstörender, und es entspricht der Philosophie hinter Caine’s Law (und eigentlich allen Caine-Geschichten), dass es keine Option ist, wegzuschauen, auszublenden oder trotzdem gut zu finden, sondern man die Gewalt im Kern der Handlung mit offenen Augen wahrnehmen und akzeptieren muss.

Nach diesem Entwurf, der größer ist als alles, was auf Overworld und der Erde bisher da war, ist das Ende – wieder einmal – ziemlich definitiv, bringt alles (aufgrund der besonderen Struktur des Romans sogar augenzwinkernd) zusammen und liefert Erklärungen für die wilderen Konzepte der Handlung, auch wenn die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, immer den LeserInnen überlassen bleiben.
Da bisher jeder Roman außer Caine Black Knife der letzte Caine-Roman war, muss das nicht viel heißen. Allerdings war die Reihe nie ein großer Erfolg, und Caine’s Law ist bestimmt nicht dazu angetan, diesen Erfolg herbeizuführen, daher kann man sich im Augenblick nur schwer vorstellen, dass der vom Autor angedachte darauffolgende Act of Faith je das Licht einer Buchhandlung erblickt. Andererseits: Ist es nicht genauso schwer, sich vorzustellen, dass Caine nach allem, was wir erlebt haben, wirklich erlöst sein soll?

City of Bones von Martha WellsKhat, ein Mann aus einem katzenhaften Wüstenvolk, lebt in den Elendsvierteln von Charisat, einer Stadt inmitten des Ödlandes, das einst die Heimat der fortgeschrittenen Kultur der Alten war. Seinen Lebensunterhalt verdient er halblegal als Relikthändler und –jäger. Normalerweise sind es harmlose Objekte von höchstens archäologischem Interesse, doch nicht so bei seinem jüngsten Auftrag: Er soll sich auf die Suche nach Gegenständen machen, mit denen sich die Magie der Alten wirken lässt. Dummerweise kann er den Auftrag nicht ablehnen, denn er kommt von ganz oben. Er muss sich also den Intrigen der Mächtigen und dem lebensfeindlichen Ödland stellen.

-Somewhere else, in a room shadowed by age and death, a man readies himself to look into the future for what maybe the last time.-
Chapter One

Wenn man Ideen aus Lobgesang auf Leibowitz, Picknick am Wegesrand und einer Reihe von postapokalyptischen Geschichten nimmt und zusammenwirft, könnte das böse ins Auge gehen. Aber 1995, als Martha Wells’ zweiter Roman City of Bones veröffentlicht wurde, war die Postapokalypse noch bunter und vielfältiger als heute, und die Autorin verfolgt mit den unverständlichen Relikten einer selbstzerstörerisch agierenden, aber auch sehr fremdartigen Zivilisation (die Erde, wie wir sie kennen, war auf jeden Fall nicht das Fundament, auf dem Charisat steht) und den von ihrer Tätigkeit geprägten Reliktjägern (und –anwendern) ganz eigene Ziele.
Die Weltschöpfung erstreckt sich dabei nicht nur auf die Wüste mit ihren giftigen Bewohnern und surrealen Stätten einer vergangenen Kultur, sondern vor allem auf das Leben, das sich danach angesiedelt und angepasst hat. In Charisat, einer Handelsmetropole mit verschiedensten Einflüssen, ist vor allem die soziale Komponente fein beobachtet – meist durch die Augen von Khat, der als Mitglied eines Wüstenvolks, das den Ödlanden besser trotzt als der Mensch, keine Chance hat, auch nur ein bisschen in der streng nach ihren Ebenen gegliederten Stadt (oben gibt es noch frisches Wasser) aufzusteigen. Selbst im Elendsviertel wird er teils nur gerade eben geduldet, ohne die Möglichkeit, einen ehrbaren Beruf auszuüben, und so verwundert es nicht, dass aus ihm ein ganz schön harter Kerl geworden ist. Gerade diese unteren Ebenen erfahren eine sehr differenzierte Darstellung – gnadenlos, aber auch herzlich, ein Ort, an dem man den nötigen Überlebenskampf auf unterschiedliche Weisen führen kann.
Erst nach und nach lernt man das ganze Ausmaß des perfiden Systems kennen, das im sozialen Gefüge Charisats jeglichen Aufstieg und jede Veränderung verhindert. Da ist es auch nur logisch, dass die obere Kaste ihre eigenen Spielchen treibt und vor allem an der Wahrung des Status quo und Machtzuwachs interessiert ist, während man unten nur an guten Tagen seinen Durst löschen kann.

In einen solchen Machtkampf gerät Khat, der mit seinem gebildeten menschlichen Partner sein kleines Relikt-Unternehmen betreibt – und beiden Seiten ist bei diesem Handel von Anfang an klar, welche Rolle den entbehrlichen und machtlosen Auftragnehmern zugedacht ist. Aufgelockert wird dieses (durch Khats Undurchsichtigkeit ohnehin nicht ganz so) schwarz-weiße Gemälde durch Elen, eine Wärterin, die Khat als Kontaktperson zugeteilt wird und die jung genug ist, sich ein Herz bewahrt zu haben, allerdings auch eine nicht immer gesunde Naivität gegenüber den harten Realitäten ihrer Welt.
Die Figurenzeichnung ist eher subtil, es gibt kaum Extreme: Der harte Knochen Khat wird eigentlich niemals ein überzeugender cooler Draufgänger, sondern offenbart recht rasch seinen verletzlichen Kern, so dass er auch Elen als kompetente, aber eher zurückhaltende Frauenfigur nicht in den Schatten stellt. Manchmal wirken die Emotionen der Figuren ein wenig forciert und übermotiviert, vielleicht gerade weil Khat und Elen eher ruhige und besonnene Personen sind.

Mit seinen Geistern, den Handels- und sonstigen Aufsehern, die dafür sorgen, dass jeder auf seiner Ebene der Stadt bleibt, und den unteren Bereichen mit ihrer Platznot und Kriminalität ist Charisat ein Ort, der wie geschaffen ist für eine Abenteuerhandlung – und das ist die Reliktjagd von City of Bones letztlich, ob nun in ein Herrenhaus eingebrochen oder ein altes Heiligtum in der Wüste geplündert werden muss.
Trotzdem liegt der Fokus ein wenig anders als erwartet, denn die Intrige (die man vermutlich sehr, sehr früh in der Handlung durchschaut), der soziale Zündstoff und die Abenteuer sind vor allem Kulisse für eine Geschichte, bei der Forschung und die Aufdeckung alter Geheimnisse im Mittelpunkt stehen: Nachdem man einmal (mithilfe einer großartigen Gelehrten-Nebenfigur) erkannt hat, wie sehr die Vergangenheit in die Handlung drängt, wird aus der kleinen Geschichte etwas wirklich großes mit einer beeindruckenden Auflösung, das die detaillierten Ideen der Weltschöpfung am Ende zu einem runden Ganzen zusammenführt.
Auf dem Weg dahin mag es die ein oder andere Länge geben, aber bei dieser innovativen Weiterentwicklung macht sich der feine Aufbau der Geschichte bezahlt, und richtig langweilig wird es mit Khats Gratwanderung in Diensten der Obrigkeit, bei der er vor allem anderen seine eigene Haut retten will, eigentlich nie.

Darkness on the Edge of Town von Brian KeeneEines Morgens geht über dem kleinen Städtchen Walden die Sonne nicht mehr auf. Sämtliche Verbindung mit der Außenwelt ist abgebrochen, die Elektrizität versagt, Telefonleitungen und auch der Mobilfunk sind tot. Sonne, Mond und Sterne… das gibt es nicht mehr. Die Stadt ist lückenlos eingehüllt von alles verzehrender Dunkelheit und wer immer Walden verlässt, kommt nicht mehr zurück.
Robbie, seine Freundin Christy und ihr Nachbar Russ finden heraus, dass sich etwas in der Dunkelheit befindet, etwas Tödliches. Doch auch innerhalb der Stadtgrenzen treibt das Übel der Menschen in rasantem Tempo an die Oberfläche.

– According to the Bible, here’s how it all went down. You’ve got the word and the darkness and not much else. The two of them are just sort of hanging out together. The word and the darkness, chilling together in the void. And then the word says, “Let there be Light” and there was. And things continued just fine after that, for the most part.
Then, millennia later, some asshole comes along and fucks it all up.” –
One, S. 7

Darkness on the Edge of Town (Am Ende der Straße) ist das hinterlassene Notizbuch des Protagonisten Robbie Higgins. In Form rückblendender Aufzeichnungen schildert er dem Leser die Ereignisse, die mit der Ankunft der Dunkelheit begonnen haben. Die Art dieser Notizen und die gelegentlich direkte Ansprache des Lesers zielen einerseits auf ein unmittelbares Nacherleben ab, als würden die Aufzeichnungen just in diesem Moment gemacht, und andererseits erwecken sie den Eindruck, man habe als Leser Robbies Tagebuch gefunden.

Es gibt verschiedene kleine und große Ansätze philosophischer, religiöser und heidnischer Erklärungsversuche bis hin zu einem kritischen Blick auf die moderne Gesellschaft, in der keiner mehr seinen Nachbarn kennt und sich jeder nur noch für sich selbst interessiert. Verstärkt und beschleunigt durch den Einfluss der Dunkelheit, die im Weiteren nicht näher beschrieben wird, brechen daher in Walden die letzten verbliebenen moralischen Werte innerhalb von Stunden zusammen, Folter, Mord und Vergewaltigung werden zu einer alltäglichen, kaum beachteten Tagesordnung. Daneben sind die üblichen Ladenplünderungen schon zu vernachlässigen.

Was nun zunächst einmal gar nicht so schlecht beginnt und eine mysteriöse Endzeit-Geschichte mit Gruselfaktor versprechen mag, entpuppt sich als langweiliger Klon hundertfach erzählter Geschichten, ein bisschen Stephen King, ein bisschen Nebel des Grauens etc. – wäre es wenigstens eine gut durchdachte, spannende Erzählung, so könnte man den Roman sicher trotzdem genießen, so jedoch ist Darkness on the Edge of Town eine große Enttäuschung und leider auch eine Beleidigung für das Horror-Genre.
Der sprachliche Stil ist sehr einfach, man könnte auch sagen: zum Erbrechen simpel und stellt eine Ansammlung von Slang, Schimpfworten und gerauchten Joints dar. Die Handlung wirkt stark konstruiert und in sich nicht konsequent, es geschehen immer wieder die gleichen Dinge, dieselben Formulierungen tauchen regelmäßig auf, bestimmte Tatsachen werden zur Genüge wiederholt, auf dass der Leser sie auch wirklich zwischendurch nicht vergesse. Ein Widerspruch jagt den nächsten und weitere zahlreiche Ungereimtheiten tummeln sich unter dem Mantel des Mystery-Horrors.
In jedem Satz spürt man die Bemühung des Autors, etwas von der Furcht und dem Horror zu vermitteln, von dem der Ich-Erzähler in allzu gelangweilter, emotionsloser Manier berichtet, er scheitert dabei entsprechend auf ganzer Linie, trotz der eingangs erwähnten guten Ansätze. Auch der Versuch, einen Running-Gag einzubauen, muss vor der erzwungenen Komik der Sache kapitulieren.

Von den Charakteren kann man leider ebensowenig erwarten wie vom Rest dieses schmalen Romans. Sie bleiben bis zum Schluss blass und vermögen es nicht, den Leser in irgendeiner Form zu beeindrucken. Falls sie etwas anderes als uninteressant sind, dann kann man wohl nur sagen dumm und unglaubwürdig, zumindest verhalten sie sich häufig so, wenn sie nicht gerade wieder eine Bong mit Mariuhana rauchen.
Es mag eine Frage des persönlichen Geschmacks sein, doch es gab schon deutlich besser funktionierende Anti-Helden oder auch völlig normale Alltagsmenschen, die sich im Mittelpunkt einer hoffnungslosen Situation wiederfinden.

Was bleibt abschließend über diesen Roman zu sagen? Nachdem man sich schließlich fast 190 Seiten lang durch diese trockene Erzählung gekämpft hat, in der Hoffnung, die letzten Seiten würden einen für das Durchhalten entschädigen, schließt Darkness on the Edge of Town mit einem offenen Ende ab, welches noch einmal einen letzten kläglichen Versuch unternimmt, ein “Ende-der-Welt” Gefühl aufkommen zu lassen.
Eine insgesamt gute Idee, die leider völlig laienhaft umgesetzt wirkt und wohl eher als notdürftiger Lückenfüller taugt. Schade.

Cover von Der Drachentöter von Martin ScottPrivatdetektiv Thraxas erhält von der Königstochter den Auftrag, Liebesbriefe zurückzuholen, die sie unvorsichtigerweise einem ausländischen Diplomaten geschrieben hat. Kaum hat Thraxas den Auftrag angenommen, wird er auch schon wegen Mordes verhaftet. Außerdem gerät er in Verdacht das wertvolle Rote Elfentuch gestohlen zu haben. Und das sind nicht die einzigen Schwierigkeiten, die Thraxas meistern muß, um seinen ersten Fall zu lösen.

-Turai ist eine magische Stadt. Von den Hafenanlagen im Stadtteil ZwölfSeen bis zum Park der Mondfinsternis, von den stinkenden Elendsvierteln bis zu den duftenden Gärten des Kaiserlichen Palastes, findet ein Besucher alle Arten erstaunlicher Personen, erstaunlicher Dinge und erstaunlicher Dienstleistungen.-
1. Kapitel

“Ich bin dreiundvierzig, übergewichtig, bar jeden Ehrgeizes, und habe einen fatalen Hang zu ausgedehnten Sauftouren.” Falls Sie jetzt auf eine ausführliche Lebensbeichte des Rezensenten hoffen, muß ich Sie enttäuschen. Dieser Anfall von Selbsterkenntnis stammt von Thraxas, dem Helden des Romans Der Drachentöter (Thraxas). Er ist außerdem geschieden, chronisch pleite und von Beruf Detektiv und Zauberer – ein ziemlich schlechter Zauberer. Der Fall liegt klar: Thraxas ist der typische Verlierer und das macht ihn so sympathisch.
Martin Scott verbindet in seinem Roman ein historisches Ambiente mit sehr gegenwärtigen Problemen. Die Stadt Turai, in der Thraxas ermittelt, ist an das antike Rom angelehnt. In ihr wohnen Menschen, Orgks und Elfen. Zwei Verbrecherorganisationen kämpfen um die Vorherrschaft. Der Handel mit Boah, einer mit Kokain oder Heroin vergleichbaren Droge, blüht. Wer nicht Boah konsumiert, berauscht sich mit Thazis. Die Oberschicht, bestehend aus Königshaus, Adel und Priesterschaft ist korrupt. In den Abwasserkanälen hausen Alligatoren und Frauen haben in Turai ziemlich wenig zu melden. Damit sind wir bei der zweiten sympathischen Figur, die Scott geschaffen hat: Makri. Makri ist ehemalige Gladiatorin und bedient in Thraxas’ Stammkneipe, der Rächenden Axt, in einem kaum vorhandenen Kettenhemd, die Kundschaft. Feministinnen dürfen das Buch dennoch zur Hand nehmen, Makri verdient sich in der Kneipe nämlich nur das Geld für ihre Kurse an der Innungshochschule. Die Universität ist zu Makris äußerstem Mißfallen, ausschließlich Männern vorbehalten. Deshalb unterstützt sie die Vereinigung der Frauenzimmer, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt. Außerdem hilft sie Thraxas schlagkräftig bei der Lösung dieses Falles.

Scott zeichnet originelle Charaktere; Turai ist glücklicherweise nicht die siebenhundertsechsundreißigste Version einer mittelalterlichen Stadt; mit der Schlacht im Feenhain schildert Scott eine der schönsten und niedlichsten (!) Kampfszenen im Fantasy-Bereich; und außerdem verfügt der Autor über Sprachwitz. Das merkt der Leser aber erst, wenn er beschlossen hat, über die Mängel des Buches großzügig hinwegzusehen: Die Namensgebung im Roman zeugt von Holzhammer-Humor oder von dem übermäßigen Konsum von Asterix-Heften. Der Fischhändler heißt Iglox, die Prostituierte Nitribix, der Mafiaboß Corleonaxas, die Prinzessin Du-Lackai und wer weiß, ob das Schlagerduo Cindy und Bert glücklich damit ist, daß ihm der Übersetzer mit den fahrenden Sängern Cimdy und Bertax ein Denkmal gesetzt hat. Überhaupt scheint die Übersetzung manchmal auf wackeligen Füßen zu stehen, so ist z.B. die Anspielung auf den “Superbowl” im Deutschen völlig daneben gegangen. Das Cover ist eine Geschmacklosigkeit sondergleichen und veranlaßt den Rezensenten, die Redaktion zu bitten, eine Seite mit einer Bastelanleitung für Buchumschläge aus marmoriertem Papier einzurichten. Auch bei der Wahl des Titels sind die Wege des Verlages wieder einmal unergründlich. Im Original lautet der Titel des Buches aus gutem Grund einfach nur “Thraxas”.

Der eiserne Rat von China MiévilleEin Geschäftsmann aus New Crobuzon plant eine transkontinentale Eisenbahnlinie, und sie entsteht durch Tausende Arbeiter verschiedener Klassen und Rassen mit einem Tross an Huren und Glücksrittern hinter sich, auch Judah Low findet hier sein Auskommen. Doch New Crobuzon wird außenpolitisch bedroht, und nach einem Befreiungsschlag sind die Arbeiter plötzlich die neuen Herren, und aus dem Zug wird etwas wie ein eigener kleiner Stadtstaat, der Eiserne Rat, der durch seine Revolte den Hass der Obrigkeit von New Crobuzon auf sich geladen hat. Während es in New Crobuzon gesellschaftlich bereits zu brodeln beginnt, macht sich Cutter auf, seinen Geliebten, Judah Low, und den Eisernen Rat zu finden.

Zu Der eiserne Rat liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der Feigling und die Bestie von Barış MüstecaplıoğluPerg ist eine Inselwelt voller unterschiedlicher Kulturen, doch Fürst Asuber schickt sich an, die Inseln zu unterwerfen: Er wird vom Buch Tshermons verführt, das Asuber schreckliche Zauber lehrt. Nur der Zauberer Geryan weiß, wie man das Unheil aufhalten kann, doch er schafft es nicht ohne Hilfe. Leofold, ein einstiger Ritter, der inzwischen in ein Ungetüm verwandelt wurde und sich ständig fürchten muss, die Kontrolle zu verlieren, und der Bauer Guorin, der nicht den Mut hatte, zum Krieger zu werden und seine Heimat zu verteidigen, schließen sich ihm an.

-»Reißt euch ein wenig zusammen, ich will schließlich nicht wegen eines dummen Gerüchts zu spät zu der Hochzeit kommen!«, herrschte Harkul seine Familie an, die ängstlich am Eingang des Tunnels wartete.-
Prolog

Fantasy, ganz besonders in ihrer klassischen und epischen Ausprägung, findet das deutsche Lesepublikum in der Regel bei der Handvoll Großverlage, die ein Genreprogramm auflegen. Der Verlag von Der Feigling und die Bestie, dem Auftaktband eines vierbändigen Zyklus, ist keiner davon, vielmehr ist die Spezialität von Binooki das Veröffentlichen türkischer Autoren und Autorinnen in Deutschland. Eine spannende Sache, die natürlich getestet werden muss!
Fantasy scheint in der Türkei keine große Tradition zu haben – tatsächlich wurde Barış Müstecaplıoğlu durch das Lesen englischsprachiger Fantasy dazu angeregt, ein eigenes Epos in diesem Stil zu verfassen. Bei Der Feigling und die Bestie findet man letztlich beides: An der Oberfläche viele Elemente, die man aus der generischen Fantasy kennt, im Detail, vor allem bei den Erzählkonventionen und dem Erzähltempo, allerdings auch viel Eigenwilliges und Ungewohntes.

Die Inselwelt von Perg mit ihren Piraten, Ungeheuern, Magiern und auf jeder Insel unterschiedlichen Gesellschaften macht einen ganz klassischen Eindruck und ist auch nicht sonderlich detailliert ausgestaltet, die Queste, die nötig ist, um den finsteren Asuber zu stoppen, wird höchst simpel eingeflogen – der Zauberer Geryan weiß Bescheid und rekrutiert Mitstreiter. Mit dieser effektiven, relativ knappen Konstruktion, die sich nicht groß mit Erklärungen und lang und breit vorbereiteten Hintergründen aufhält, geht es auch weiter, was zwischen den aktuellen, oft extrem geschliffen konstruierten Plots kantig und auch ein wenig wie aus dem Jugendbuch wirkt.
Dazu passen auch die Abenteuer, die im schnellen Wechsel auf Leser und Leserinnen einprasseln – Kämpfe, Bootsfahrten, Schlachten, wilde Fluchten und letztlich, nach dem Übergang in eine Welt, die nach anderen Regeln funktioniert, etliche bizarre Begegnungen. Genauso schnell wechseln die Personen, die die Perspektive haben, manchmal sogar zeilenweise.

Das erstaunliche ist der menschenfreundliche, warme Umgang, den der Autor mit den Figuren pflegt. Trotz des knappen Stils können sich ihre inneren Dramen entfalten und werden sehr feinfühlig zur Sprache gebracht, sei es nun das Ringen des Feiglings Guorin mit seinem Versagen und seiner Furcht, oder der mühsam zurückgehaltene Selbsthass des ehemaligen Ritters Leofold, der, verwandelt in eine Bestie, ständig um die Güte in seinem Herzen bangen muss. Die beiden sind wahrhaft kein klassisches Abenteurergespann, und auch der zurückhaltende und nur begrenzt mächtige Zauberer Geryan kann sie zunächst nicht dazu zusammenschweißen. Aber an ihnen werden ständig ganz leise die moralischen Werte infrage gestellt, die gerade eine Geschichte tragen, in der Gut und Böse an der Oberfläche so eindeutig festzustehen scheinen. Die Figuren entwickeln sich zum Teil auf geradezu verschmitzte Weise weiter, müssen etliche Proben bestehen, und ob sie zu Helden werden, muss der Leser oder die Leserin am Ende selbst entscheiden.
Die Einblicke in ihr Gefühlsleben finden aber mitunter ruckartig statt, und ihre Geheimnisse werden sehr offen angekündigt, was man vielleicht auch als etwas plumpes Vorausdeuten verbuchen könnte.
Die Figuren und ihre Rollen lassen die Welt von Perg wie eine Männerwelt aussehen, allerdings gibt es Ausnahmen, die dann sehr zu überraschen wissen, und für den zweiten Band scheint sich auch ein weibliches Mitglied in der Truppe anzudeuten. Schön wäre im Übrigen auch, wenn sich die Figuren demnächst entscheiden würden, ob sie sich Siezen oder Ihrzen, das wechselt sich nämlich munter ab.

Durch die verknappte Erzählweise bekommt Der Feigling und die Bestie auch etwas von einem Mosaik, in dem immer wieder kleine Geschichtensplitter auftauchen, die später im großen Bild noch ungeahnte Bedeutung erlangen. Gleichzeitig ereignet sich Großes oft schnell und plötzlich, und auch das Finale geht rasch über die Bühne, überrascht aber mit seiner Konsequenz, auch wenn Perg am Ende noch lange nicht gerettet ist. Zum Guten oder Schlechten holt Müstecaplıoğlu nicht überall den größten Effekt heraus – seine Stärke liegt in der Figurenzeichnung und im unumwundenen und dadurch manchmal unspektakulären Vorwärtsdrängen der Erzählung. Bis zum Schluss oszilliert das Ganze zwischen “etwas in die Jahre gekommener Standardfantasy” und “originell”, aber wenn man mit einem distanzierteren und kargen Erzählstil keine Probleme hat, kann man durchaus einmal einen Blick auf diese Fantasy-Reihe werfen, die andere Akzente setzt als die übliche Genre-Kost.

Feuertaufe von Andrzej SapkowskiNach der Revolte der Zauberer auf der Insel Thanedd ist die halbe Welt dem Chaos verfallen. Nilfgaard überzieht die nördlichen Königreiche mit Krieg, und auch auf die Anderlinge wird weiterhin erbarmungslos Jagd gemacht.
Geralt ist dank der Hilfe der Dryaden halbwegs von seinen Verletzungen genesen und versucht um jeden Preis, nach Nilfgaard zu gelangen, wo er Ciri vermutet. Er weiß nicht, dass die Verlobung des Nilfgaarder Kaisers mit ihr nur eine Farce ist…
Auf seinem Weg gerät er gemeinsam mit Rittersporn und der Bogenschützin Milva zwischen die Fronten des Krieges, erhält jedoch auch von unerwarteter Seite Unterstützung bei seiner Suche.

-“Ich meine nur, dass dieses Mädchen… dass sie nicht gefunden worden ist, weil sie spurlos verschwunden ist, wie diese Zauberer… Verzeih mir.”-
Das erste Kapitel

Nachdem im vorherigen Band sehr viele politische Intrigen gesponnen und Kriege vorbereitet wurden, erlebt Geralt in Feuertaufe (Chrzest ognia) nun die Folgen dieser Machtspiele. Die Handlung kommt erheblich schneller voran, es gibt wieder mehr Actionszenen und weniger undurchschaubare Dialoge. Das soll jedoch nicht heißen, dass Feuertaufe zu einem reinen Abenteuer-Spektakel verkommt.
Sapkowski schafft es immer wieder, in die kleinsten Dialoge Philosophie einzubringen. Auch die Art und Weise, in der er Bezug nimmt auf Probleme unserer realen Welt, ist beispielhaft.
Selten hat ein Fantasy-Roman den Eskapismus-Vorwurf weniger verdient; es werden Themen wie die Ausgrenzung Andersartiger, Gruppenzwang und Abtreibung verarbeitet. Selbst die Überfischung der Meere bringt Sapkowski ein, ohne dass es den Lesefluss oder die Atmosphäre der Welt zerstören würde.

Der Autor ist außerdem ein Profi, was den Umgang mit verschiedenen sprachlichen Niveaus angeht. Diese setzt er sehr geschickt ein, um die Personen zu charakterisieren oder einen komischen Effekt zu erzielen. Selbst an Stellen, wo man es nicht erwartet hätte, schafft er es, dem Leser ein Schmunzeln zu entlocken und die insgesamt sehr düstere Atmosphäre aufzulockern.
Der Roman profitiert davon, dass Geralt wieder stärker im Vordergrund steht. Der Hexer ist nun einmal die zentrale Figur der Reihe, und die Aufteilung der Handlung auf zu viele Schauplätze im Vorband hat das Lesevergnügen leicht geschmälert. Die neuen Charaktere seiner Truppe fügen sich wunderbar ein und haben alle so ihre Eigenarten. Lediglich Milvas Motivation, den Hexer zu begleiten, ist anfangs rätselhaft.
Durch die große Sympathie, die man als Leser für jeden einzelnen der Charaktere entwickelt, ist das Buch auch wieder emotional packend. So unwahrscheinlich es zu diesem Zeitpunkt der Handlung auch scheint, wünscht man sich doch ein irgendwie geartetes Happy End.

Zum Schluss ist jedoch noch eine kurze Warnung angebracht: Vorkenntnisse aus den vorherigen Romanen und teilweise auch aus den zwei Kurzgeschichtenbänden sind für den Lesegenuss unbedingt nötig, ich selbst musste an mehreren Stellen nochmal nachblättern, worum genau es dort eigentlich ging. Eine Karte der nördlichen Königreiche wäre auch sehr hilfreich, ist allerdings nur im Internet zu dem Computerspiel zu finden.
Insgesamt ist Feuertaufe für mich der bisher beste Roman aus der Geralt-Reihe. Er ist sehr spannend und bewegend, gleichzeitig regt er zum Nachdenken an, und das in einer sehr ausgewogenen Mischung. Bedingt durch die Handlung ist die Grundatmosphäre sehr düster und es gibt ein paar heftige Szenen – Krieg ist nun einmal grausam.
Fans von Geralt sollten auf ihre Kosten kommen, für den Einstieg in die Reihe ist das Buch ungeeignet.

Flesh and Spirit von Carol BergValen, ein Magier, der seit Jahren seiner Familie und den Häschern entflieht, die entlaufene „Reinblütige“ jagen – wird nach einer Schlacht vor den Mauern des Klosters Gillarine schwer verletzt zurückgelassen. Die Mönche retten Valen und gewähren ihm Asyl. Valen verschweigt allerdings seine magischen Fähigkeiten und eine damit einhergehende Erkrankung, die ihn in eine Abhängigkeit von den Nivat-Samen getrieben hat. Der Krieg der drei Prinzen um das Land Navronne macht aber auch vor den Klostermauern nicht halt, und Valens Buch, das er von seinem Großvater geerbt hat und das ins Land der Engel führen soll, scheint dabei eine Rolle zu spielen.

-On my seventh birthday, my father swore, for the first of many times, that I would die face down in a cesspool.-
Chapter 1

Flesh and Spirit steht und fällt damit, ob man sich mit dem Protagonisten anfreunden kann oder nicht. Wie andere Romane von Berg ist es vor allem eine Charaktergeschichte, und Valen, Ich-Erzähler und unfreiwilliges Zentrum der Handlung, ist anfangs keine Identifikationsfigur und niemand, den man auf Anhieb mögen wird.
Anders als Seyonne (aus den Rai-Kirah-Romanen) oder Seri und Karon (aus der Bridge of D’Arnath-Reihe) ist Valen keinesfalls ein Held – und er entwickelt auch kaum heldenhafte Züge. Er ist ein Opportunist (anfangs auf eine liebenswert-lustige Art, später, wenn sein Opportunismus hauptsächlich auf seine von einem masochistischen Ritual geprägte Drogenabhängigkeit zielt, weniger einnehmend). Gegen Ende des Romans zeichnet sich ein Charakterwandel ab, aber nahezu auf der ganzen Strecke hat er neben seiner persönlichen Freiheit nur wenige Prinzipien. Valen ist zwar ein nachvollziehbarer, aber keinesfalls ein positiver Charakter. Nebenfiguren, die sich als Ersatz-Lieblinge anbieten, gibt es im ersten Band der Reihe nicht, was auch aus der wieder sehr gelungenen Ich-Perspektive resultiert.
Die Nebenfiguren sind abgesehen davon typisch für Berg (und daher möglicherweise auch leicht zu durchschauen): Wie in jedem ihrer bisherigen Romane gibt es wieder Böse, die sich als ganz nette Zeitgenossen entpuppen, und besonders gute und freundliche, die dann doch gar keine so edlen Motive haben. Leider hat das inzwischen einen stereotypen Charakter.

Sprachlich ist der Roman etwas elaborierter als Bergs bisheriges Werk, und sowohl sprachlich wie inhaltlich wird es gleichzeitig auch derber. Ob dies an „grim & gritty“-Trends anknüpfen soll oder ein Zugeständnis an die mondäne Natur des Erzählers ist, sei dahingestellt.
Die Welt, beschränkt auf Navronne bzw. seine drei Provinzen, ist nur angezeichnet. Sie ist deutlich ans Mittelalter angelehnt, und zwar ein Mittelalter, in dem düstere Prophezeiungen vom Ende der Welt, Kälte, Dunkelheit, Hunger, Pest sich bewahrheiten. Die Aurellian, von denen die Magier abstammen, und ihre Sprache (oftmals Latein-Derrivate) und Errungenschaften (z.B. Aquädukte) lassen diese Anlehnung noch deutlicher scheinen.
Vor allem das Klosterleben wird detailreich und kompetent geschildert, und da zu Beginn ein Mord hinter den Klostermauern das spannungstreibende Moment ist, kommt einem durchaus Der Name der Rose in den Sinn.

Der Endzeitaspekt gewinnt im Verlauf der Handlung immer mehr Gewicht und trägt zur Atmosphäre von Flesh and Spirit bei. Treibende Kräfte sind die Entfremdung des Menschen von der Natur (durch Städte und die Kultivierung des Landes) und eine kultische Gruppe, die eine pervertierte Naturordnung aufbauen will. Anfangs entwickeln sich die Dinge langsam – ein widerspenstiger Protagonist muss neugierig gemacht und ins Zentrum der Handlung geschoben werden. Hier sind das Klosterleben, das Einfügen des Protagonisten, sein Versteckspiel mit den Magierhäschern und die wenigen Puzzlestücke für die Hauptgeschichte die Motoren der Handlung. Später verschiebt sich die Spannung etwas auf das Schicksal Navronnes, allerdings bleiben immer Valens persönliche Fährnisse und sein drogenbedingt unzuverlässiger Charakter das mitreißendste Moment.
Nach und nach gewinnt die für einen Zweiteiler recht komplexe Geschichte Zugkraft. Nachdem die Handlung einmal ins Laufen gekommen ist, manövriert die Autorin ihren Protagonisten geschickt von einem Dilemma ins nächste.

Zumindest im Zusammenspiel mit den restlichen Berg-Veröffentlichungen lässt sich aber eine gewisse Vorhersehbarkeit nicht leugnen, und der von Sucht und Selbsthass zerfressene Valen aalt sich unerfreulich lange in seinem Elend. Wer eher an Abenteuer und Abwechslung interessiert ist, wird vielleicht enttäuscht sein, dass sich die Geschichte doch ganz auf Valens Schicksal konzentriert und seine Anteilnahme an der restlichen Welt über weite Teile des Romans nicht groß ist. Die zauberhaften Aspekte der Welt, die durchaus vorhanden sind, zeigen sich in Flesh and Spirit erst spät und nur in Ansätzen und kommen erst im zweiten Band Breath and Bone zur Entfaltung.

Der Geist des Speers von Alan Dean FosterIn der Nähe eines kleinen Küstendorfes werden die Leichen von hellhäutigen Fremden an den Strand gespült. Einer der Männer lebt noch und richtet seinen letzten Wunsch an den Dorfbewohner Etjole Ehomba: Eine Dame muss gerettet werden, eine Seherin, die von einem finsteren Zauberer entführt wurde. Etjole, der mit seiner Frau und seinen Kindern zufrieden als Hirte lebt, hat zwar kein großes Interesse an edlen Damen und abenteuerlichen Questen, doch für ihn ist es Ehrensache, den letzten Wunsch eines Sterbenden zu respektieren, und daher zieht er aus ins Ungewisse.

– Es geschah am Morgen nach dem sinnlichen zweiten Frühlingsmond von Telengarra, dem Vorboten des Frühlingsregens.-
I

Etjole Ehomba, der Hirte vom Volk der Naumkib, der ohne irgendein Eigeninteresse (sei es nun Gier, Abenteuerlust oder eine andere Art von Suche) nur aufgrund der letzten Worte eines Fremden Frau und Kinder zurücklässt und um die halbe Welt reist, um eine Seherin zu befreien, die ihm nichts bedeutet, hat sich einen ganz besonderen Platz in der Riege der unfreiwilligen Helden verdient. Auch im Angesicht der größten Gefahren und bezauberndsten Wunder der überbordend phantastischen Welt, die Alan Dean Foster in seiner Katechisten-Trilogie entwirft, bleibt er stets die Ruhe selbst (was nicht heißt, dass ihn die Umstände unbeeindruckt lassen, aber Etjole ist eher ein Mann stiller Freude) und zieht im richtigen Augenblick den richtigen Gegenstand aus seinem unerschöpflichen Repertoire an eigentlich ganz gewöhnlichen Reiseutensilien. Ist es nicht vernünftig, ein Säckchen Erde aus der Heimat mitzunehmen, um ihren Duft nicht zu vergessen? Oder den primitiven Jagdspeer, dessen Klinge aus dem Zahn eines ausgestorbenen Tieres besteht?
Etjole beharrt darauf, nicht mehr zu sein als ein einfacher Hirte, und schon gar kein Magier, auch wenn es der Leserschaft immer schwerer fällt, das zu glauben, genauso wie seinem späteren Reisegefährten, dem Schwertkämpfer Simna ibn Sind, der in allem Etjoles vollkommener Gegenpart ist – laut, geschwätzig, prahlerisch und immer zuallererst im eigenen Interesse (mehr Frauen, mehr Schätze, mehr Ruhm) unterwegs. Deus ex machina? Etjole hat sie zu Dutzenden in der Tasche.

Damit wird nicht nur klar, dass Leser und Leserinnen, die mit solchen Kniffen ein grundsätzliches Problem haben, mit Der Geist des Speers (Carnivores of Light and Darkness) wohl nicht glücklich werden, sondern vor allem, dass ein verwickelter Plot, bei dem man sich die Nägel abkaut, nicht das ist, was den Roman ausmacht. Er lebt vielmehr von seiner hochmagischen, prallbunten Welt, in der man mit Tieren sprechen kann, Kaninchen mit Riesenwuchs und Mauern mit Beinen auftreten und das Land Naturphänomene mit eigenem Bewusstsein hervorbringt. Das vage an Afrika angelehnte Setting ist erfreulich frei von problematischen Exotismen und bringt vielmehr durch überschäumenden Ideenreichtum das Phantastenherz dazu, schneller zu schlagen. Zwischen den Buchdeckeln von Der Geist des Speers macht man so viele umwerfende Entdeckungen, dass man sich angesichts der aktuellen Zurückgenommenheit (sprich: des Realismus) der epischen Fantasy nach Autoren und Autorinnen wie Alan Dean Foster sehnt, die Bizarres und Wunderbares wagen.
Die einfache Erzählstruktur kommt diesen Stärken entgegen: Der Geist des Speers ist eine episodenhafte Abenteuerreise, die sich über viele Hindernisse hinweg langsam auf ein fernes Ziel zubewegt, und jedes Kapitel enthält ein neues Abenteuer, bei denen nicht selten bekannte Märchen- und Sagenmotive anklingen. Alan Dean Foster scheut dabei auch nicht vor verspielten Experimenten zurück – ein Kapitel wird etwa komplett aus der Sicht eines Baumes erzählt und kann durchaus als skurriler Höhenflug des Genres gewertet werden.

Doch bei aller Schrulligkeit kippt der Roman eigentlich nie ins Alberne. Wie bei jedem guten Märchen steht hinter jedem Abenteuer auch eine Erkenntnis, und wenn Etjole vielleicht auch kein Magier ist, so ist er doch wenigstens ein Philosoph, denn obwohl er dem Muster des simplen Helden folgt, der durch sein unschuldiges, reines und einfaches Denken alle Ziele erreicht, stellt er immer die richtigen Fragen und versucht auch die absurdesten Probleme erst einmal auszudiskutieren.
Damit man bei so viel Gelassenheit und Einsicht nicht einschläft, müssen aber natürlich dennoch immer wieder die Schwerter gezogen werden, und Etjole kann sich in herrlichen Gesprächen an den Gefährten reiben, die er unterwegs aufsammelt – neben dem egoistischen Simna rettet er auch die große Katze Einlöward (im Original Ahlitah – und das ist nicht der einzige Eigenname, der sich beim Übersetzen ein wenig sperrt), die fortan etwas widerwillig, aber doch aus freien Stücken eine Lebensschuld bei Etjole abträgt.

Von Der Geist des Speers muss man sich in erster Linie überraschen lassen und sich darauf einlassen, dass der Roman von der ungewöhnlichen Hauptfigur und den Reiseabenteuern getragen wird – hier ist eindeutig der Weg das Ziel, und etwas anderes sollte man auch nicht erwarten, wenn man mit Genuss von Ameisen, die Geschenke bringen, engagierten Affenanführern und aufgeblasenen Winden lesen will – und einer Fantasy-Welt, in der man es mit Freundlichkeit und Beharrlichkeit weit bringen kann.

Cover von Der Gejagte von Wolfgang HohlbeinAndrej und Abu Dun haben nach vielen Jahren der Verfolgung und Ruhelosigkeit endlich einen Ort der Zuflucht gefunden. Malta ist für sie eine neue Heimat geworden. Doch der Friede währt nicht lange. Im Jahr 1565 bedroht das Osmanische Reich das christliche Abendland. Die übermächtige türkische Flotte bereitet einen Angriff auf die kleine Insel im Mittelmeer vor, der das endgültige Ende von Ruhe und Frieden für ihre Bewohner, aber auch für die beiden Unsterblichen bedeutet. Denn die Ordensritter kämpfen nicht nur gegen einen zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, sondern auch gegen einen ungeheuer mächtigen Vampyr …

-Es war nicht das erste Mal, dass er gegen ein Wesen seiner eigenen Art antrat, auch nicht das erste Mal, dass er es mit einem Gegner zu tun bekam, der ihm überlegen war, und doch hatte er noch niemals eine solche … ja, es hatte keinen Sinn zu leugnen: Angst gehabt.-
20. Mai 1565, Seite 216

Das Zitat oben sagt eigentlich so ziemlich alles aus. Andrej und Abu Dun haben es (man staune!) schon wieder mit einem mächtigen Gegner zu tun, dem sie nicht gewachsen sind. Nebenbei wird noch die Geschichte eines aussichtslosen Krieges des Johanniterordens gegen die Türken beschrieben, der aber im ganzen Buch weder richtig in Fahrt kommt, noch irgendwie Spannung erzeugt. Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Manko, denn eines ist der Roman auf keinen Fall: spannend. Die Handlung ist vorhersehbar, die Personen sind nach Schema F konstruiert – es kann einfach keine Spannung aufkommen. Hier und da werden ein paar Antworten auf das Wesen des Vampyrs (wonach Andrej ja seit Anfang des Zyklus sucht) eingestreut, aber natürlich erfährt weder Andrej noch der Leser wirklich etwas über den Vampyr. Und auch der übermächtige Gegner der beiden Gefährten gibt natürlich keine Antworten, sondern wirft weitere Fragen auf, die unbeantwortet bleiben. Am Ende weiß man weder, wer der Vampyr war, noch welche Motive er hat oder was er letztendlich ist. Auch die anderen Personen, die vorkommen, sind sehr streng durchkonstruiert: der alte, aber weise Großmeister, sein ebenso weiser Sekräter, der skeptische (und später böse) Widersacher aus den eignen Reihen und schließlich die armen Opfer des Vampyrs, die Andrej und Abu Dun retten müssen. Und im Hintergrund natürlich die grauenhafte türkische Armee, die aber ohnehin nur wie eine Wolke am Rand des Lesehorizonts auftaucht. Versuche, die menschlichen Schicksale von Belagerung und Krieg zu beleuchten, sind zum Scheitern verurteilt, einfach aus dem Grund, weil Hohlbein es nicht ernsthaft versucht – die Leiden von Andrej (die er seit Jahrhunderten mit sich herumträgt und die mehr als einmal ausführlich erklärt wurden) und später Abu Dun sind ja auch viel interessanter.
Einzig der Schluss rettet das Buch doch noch irgendwie vor dem totalen Absturz, wird doch zumindest die Tragik der Lage deutlich und wie sehr die Unsterblichen eigentlich unter ihrer Unsterblichkeit leiden. Das reicht aber bei weitem nicht aus um das Buch weiterzuempfehlen, einzig eingefleischte Hohlbeinfans, die wissen wollen, wie es weitergeht, könnten es sich überlegen, es zu kaufen. Ein Muss ist es nicht.

Cover von Glas von Stephen KingDer Vorgänger Tot entließ den Leser mit einem Cliffhanger, der seinesgleichen suchte. Glas setzt exakt an diesem Punkt an, Jake hat den rettenden Einfall, mit dem das Ka-Tet ihre Wette gewinnt und Blaine (wenn auch widerwillig) zum Anhalten gebracht wird. Roland und die anderen machen sich zu Fuß auf ihren weiteren Weg, und unterwegs beschließt Roland, seinen Kameraden von seiner Vergangenheit und seiner großen Liebe zu erzählen …

-Am Ende schrie er kein Wort mehr, nicht einmal “nein”, er heulte wie ein waidwundes Tier, und seine Hände blieben mit der Kugel verschmolzen, die wie ein gehetztes Herz pochte.–
Teil 2, Kapitel 10: Unter dem Dämonenmond (III)

Die Absicht, die der Autor mit diesem Buch verfolgt, scheint klar. Die mythisch-stilisierte Figur des Revolvermanns soll gleichsam vermenschlicht, fast schon entzaubert werden. Dafür muss King weit zurückgehen, zu den Erlebnissen, die den jungen Roland in den harten und innerlich abgestorbenen Mann machten, den wir aus drei Vorgänger-Bänden kennen.
Man mag King vorwerfen, wiedereinmal unverhohlen nach großen Vorbildern zu schielen (die von Anfang an unter keinem guten Stern stehende Liebe von Roland und Susan trägt deutliche Züge von Romeo und Julia), doch seine schiere sprachliche Gewalt fegt dieses Mal jeden Zweifel hinweg. Obwohl die Entwicklung der Beziehung vorhersehbar zu sein scheint, ist sie doch in jedem Moment glaubwürdig, wirken die zur Schau gestellten Gefühle niemals aufgesetzt oder verkitscht. Im Gegenteil, durch die behutsame Annäherung Kings an seine beiden Adoleszenten wird die Tragik der Ereignisse beinahe fühlbar.

Dennoch ist Glas weit davon entfernt, ein Liebesroman zu sein. Wie King schon früher andeutete, ist Rolands Mittwelt an den klassischen Western angelehnt und gemischt mit Mittelalter-Elementen (die monarchisch anmutenden Herrschaftsstrukturen, der “Revolvermann” als Pendant zum Ritter, etc.) – dass dies beim Leser gewisse Erwartungen weckt, ist dem Autor bewusst. In erster Linie sind Roland und seine Freunde nämlich trotz ihrer Jugend Revolvermänner, und so entwickeln sich die Ereignisse in Mejis recht schnell zu einem düsteren, unkontrollierbaren Mahlstrom, in dessen Verlauf etliche Menschen umkommen werden und nichts mehr so wie vorher sein wird. Durch die abwechselnde Schilderung der beiden Erzählstränge kann King beide Spannungsbögen auf einem hohen Niveau halten. Auch sprachlich findet King in Glas genau das richtige Mittelmaß zwischen “modernen” Formulierungen und der “alten Sprache von Mittwelt”.

Pluspunkte kann der Roman auch durch seine Nebenfiguren für sich verbuchen. Personen wie Sheemie Ruiz oder Eldred Jonas hätten bei anderen Autoren wohl nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, was aber mit einem deutlichen Verlust an Dreidimensionalität verbunden gewesen wäre. Dadurch, dass die Handlungen/Denkweisen auch von Personen außerhalb des Zentrums beleuchtet werden, entsteht eine gewisse Vertrautheit, wodurch für den Leser auch ungewöhnliche oder abwegige Handlungen nachvollziehbar werden.
Schade, dass King hier zum letzten Mal einen größeren Ausflug in Rolands Vergangenheit unternimmt. Gerne hätte ich noch mehr über ihn erfahren, oder über seine Freunde Alain, Jamie und Cuthbert, sowie (vor allem) die Schlacht am Jericho Hill. Rückblickend wird man zudem etwas wehmütig, dass viele neugierig machende Dinge und Personen (z.B. Rhea vom Cöos, Maerlyns Regenbogen) in den Nachfolgebänden nicht den Raum einnehmen, den man sich gewünscht hätte.

Cover von The Golem's Eye von Jonathan StroudNach den Ereignissen um das Amulett von Samarkand sind zwei Jahre vergangen, zwei Jahre, in denen aus Nathaniel immer mehr John Mandrake, ein ehrgeiziger, gewissenloser Zauberer wurde. Er ist nun mit der Aufgabe betraut worden, die Resistance zu zerschlagen, aber Anhaltspunkte hat er wenige: Er war vor zwei Jahren Kitty, Stan und Fred begegnet. Dann aber richtet etwas Mächtiges großen Schaden in London an – die Verantwortlichen entscheiden, daß es in Mandrakes Ressort fällt, dieses aufzuklären. Aber auch die Resistance um Kitty steht vor einem großen Problem, denn die gegenwärtige Strategie ist ausgereizt. Da teilt ihr Anführer mit, er habe einen Plan, nach dessen Erfolg London in den Grundfesten erschüttert werden könnte…

-At dusk, the enemy lit their campfires one by one, in greater profusion than on any night before.-
Prologue. Prague, 1868

Das Geschehen in the Golem’s Eye (Das Auge des Golem) findet hauptsächlich in London statt, aber es gibt auch kurze Ausflüge nach Prag. Die Herrschaft des von einer Clique machtgieriger, arroganter und hartgesottener Zauberer kontrollierten Britischen Empire zeigt erste Risse: Die Yankees der nordamerikanischen Küste streben nach Unabhängigkeit, das vor 150 Jahren zerschmettere Tschechische Kaiserreich beginnt sich wieder zu rühren und daheim in London agiert die Resistance gegen das Diktat der Zauberer.

In vielen Punkten scheint es die Moderne zu sein: Die Zauberer fahren in dunklen Limousinen, lassen Fotokopien machen und fliegen mit Flugzeugen. Doch dann gibt es eigenartige Rückständigkeiten: Die Schiffahrt wird mit Windkraft betrieben, Soldaten tragen bunte, klimpernde Uniformen und benutzen keine vollautomatischen Waffen. Die Geschichte spielt zwar ausschließlich in Städten, aber ein Gefühl der Urbanität wird nicht vermittelt. Die magischen Elemente dominieren die Geschichte. Da sind die Zauberer, die von ihnen kontrollierten Dämonen, beide sprechen Zaubersprüche und die Mitglieder der Resistance, die alle eine gewisse Resistenz gegenüber Magie besitzen, haben häufig noch eine weitere magische Fähigkeit. Echte nicht-magische Leute und Gegenstände treten nur sehr am Rande auf und haben fast keine Bedeutung. Insgesamt bleibt unklar, welche Zaubersprüche nur Dämonen sprechen können und welche auch von Zauberern genutzt werden können. Dann ist nicht klar, was sich mit Zaubersprüchen alles anfangen läßt oder welche Dämonen über welche Fähigkeiten verfügen: Irgendein kleiner Foliot kann sich unsichtbar machen und Bartimaeus nicht – warum? An diesem Kritikpunkt hat sich also seit dem ersten Band nichts verändert.

Figuren treten zwar nur drei zentrale auf, doch daneben gibt es eine ganze Anzahl weiterer: Kittys Eltern, die anderen Mitglieder der Resistance, ein alter Freund, dann zahllose Zauberer aus den unterschiedlichen Ministerien und “Dämonen”. Einige haben allerdings so kurze Auftritte, daß man sich fragt, warum die überhaupt einen Namen erhalten haben. Vielfach neigen die Figuren leider dazu, sehr ähnliche Charaktere zu haben: Alle Zauberer sind machtgierig und gewissenlos, die meisten “Dämonen” neigen zu einer fatalistischen Sklavenhaltung. Interessant und gelungen dagegen sind die Gewöhnlichen (inklusive der Resistance), hier finden sich Kollaborateure, zögerliche Regimegegner und aktive Widerständische mit vielen unterschiedlichen Motivationen. Die drei zentralen Figuren sind Kitty, Nathaniel und Bartimaeus. Kitty ist seit drei Jahren ein Mitglied der Resistance. Zunächst will das Mädchen einfach nur Rache, aber langsam entsteht ein Einsehen, daß diese Haltung zu nicht viel führen wird. Nathaniel, der sich John Mandrake nennt um seinen wahren Namen zu schützen, ist der Assistent von Mr. Tallow, dem Vorsitzenden der Internen Angelegenheiten. Nathaniel will einerseits Rache für die Demütigung, die er vor zwei Jahren von der Resistance erlitten hatte, und andererseits mehr Macht. Auch wenn er mehr und mehr John Mandrake wird, ist da noch ein Rest vom idealistischen Nathaniel. Bartimaeus schließlich ist ein uralter Djinn, der mehr oder minder widerwillig die Befehle seines Meisters – Nathaniel – ausführt. Mit einem sarkastischen Kommentar ist er allerdings schnell bei der Hand.
Die Geschichte besteht aus zwei Plotsträngen, die nach und nach zusammengeführt werden – allerdings nicht so, wie man meinen könnte. In einem Strang geht Nathaniel den sonderbaren Geschehen in London nach und muß sich immer wieder Gedanken über die Resistance  machen. Dieser Strang erinnert an eine hardboiled Detektiv-Geschichte – nur nicht so “hard”. Nathaniel und Bartimaeus ziehen umher, sammeln Hinweise und geraten in gefährliche Situationen. Hinzu kommt noch ein bißchen Intrigengerangel und viel Korruption. Der andere Strang ist auf Kittys Entwicklung fokussiert – quasi eine Entwicklungsgeschichte. Hier werden ihre wichtigsten Erfahrungen geschildert – warum sie schlecht auf Zauberer zu sprechen ist, wie sie zur Resistance kam und wie sie bemerkte, daß es so nicht weitergeht, bis hin zum großen Coup – und was daraus wird. Hätte es nicht eine so starke Anbindung an die Politik und die Moderne, dann wäre diese Abenteuerhandlung klassischer Sword & Sorcery mit dem vielen Verstecken, Schleichen, Stehlen, Kämpfen und Flüchten sehr ähnlich.

Die Geschichte hat Schwächen am Anfang: Einiges wirkt zu gewollt; Bartimaeus kann man bei seinem schnellen Einknicken seine Wut kaum abnehmen, ausgerechnet Nathaniel soll die Resistance zur Strecke bringen, etc. Auch kommt die Geschichte nur langsam in Fahrt, erst nach knapp hundert Seiten geht es im Hauptplot voran, Kittys Vorgeschichte zieht sich sogar noch etwas länger hin. Dann aber wird es spannend und spannender, es gibt einige echte Überraschungen und ein Ende, das auf die Fortsetzung gespannt macht.
Die Geschichte ist der zweite Teil der Bartimaeus-Trilogie. Zwar ist sie im Großen und Ganzen abgeschlossen, doch es gibt auch einige Fäden, die aus dem ersten Teil stammen und einige Fäden, die noch am Ende offen bleiben.
Es werden drei Erzählperspektiven genutzt. Kittys und Nathaniels Kapitel werden jeweils aus der personalen Perspektive erzählt, Bartimaeus tritt dagegen als Ich-Erzähler auf. In Bartimaeus’ Kapiteln wird häufig von Fußnoten Gebrauch gemacht, um die unterschiedlichen Ebenen seines Denkens zu symbolisieren. Leider tendiert der Autor dazu Action-Szenen durch Fußnoten massiv an Geschwindigkeit – und damit an Spannung zu nehmen. Während seine Kapitel vor Ironie und Sarkasmus sprühen, sind die der beiden Anderen deutlich ernster. Die Sätze sind einigermaßen unauffällig und die Wortwahl ist immer treffend.

Cover von Hagen von Tronje von Wolfgang HohlbeinHagen von Tronjes Treue gehört Gunther von Burgund, dessen Waffenmeister, Freund und engster Vertrauter am Hofe zu Worms er ist. Seine Liebe, wenn es je eine gegeben hat in seinem Leben, gehört Kriemhild, Gunthers Schwester. Als Hagen, erschöpft und verwundet, von einem Erkundungsritt zu den Grenzen des Reichs nach Worms zurückkehrt, wird er von bösen Ahnungen geleitet, und diesmal soll er damit recht behalten. Die Ankunft Siegfrieds und seiner Nibelungenreiter birgt bereits den Keim allen künftigen Unheils.

-Die Hufe der Tiere hinterließen eine breit aufgeworfene Spur im feuchten Sand; winzige Mulden, die von geduldig nachsickerndem Wasser zuerst in kleine runde Spiegel verwandelt und dann ausgelöscht wurden, als wolle der Fluß den Menschen zeigen, wie vergänglich all ihr Tun war.-
1. Kapitel

“Der Hagen von Tronje“, so lautete Hohlbeins Antwort auf die Frage, welches seiner vielen Bücher ihm seiner Meinung nach am Besten gelungen wäre. Neugierig geworden, besorgte ich mir also das Buch und erwartete recht viel. Zu viel.
Hagen von Tronje besteht ausnahmsweise mal nicht aus dem bekannten Hohlbein-Strickmuster, da sich der Autor hierbei zwangsläufig an die literarische Vorlage halten mußte. Das hält ihn freilich nicht davon ab, bestimmte Passagen des mittelhochdeutschen Liedes sehr frei zu interpretieren: Um den Hohlbein-typischen Stil kommt denn auch die deutsche Volkssage Nr. 1 nicht herum! Die Grundidee des Buches, das Nibelungenlied einmal aus der Sicht des Schurken Hagen zu betrachten, sorgt jedoch für einige Spannung.

Da der Leser das Ende der Sage in der Regel schon kennt, macht Hohlbein den Hauptdarsteller Siegfried kurzerhand zur Randfigur und rückt dafür Personen wie etwa Giselher in den Vordergrund, der in der eigentlichen Sage kaum zum Tragen kommt. Zudem macht er deutlich, dass das Christentum zu dieser Zeit noch längst nicht vollständig in das Bewusstsein der “Gläubigen” vorgedrungen war und viele Burgunder noch zu Odin (es hätte eigentlich Wodan heißen müssen) beteten, ein interessanter Punkt, auf den in der Sage kaum eingegangen wird. Gute Ansätze also, aber Hohlbein kann nunmal nicht aus seiner Haut, das Sprichwort “weniger ist mehr” ist ihm offenbar fremd. So überspannt er den Bogen auch in seinem “besten” Werk und macht die zum Teil sehr gelungenen Ansätze am Schluss der Erzählung wieder zunichte, indem er kurzerhand den Spieß umdreht: Er macht einfach Siegfried zum Schurken und Hagen zum Helden. Aus dem heimtückischen Mord am Drachentöter wird bei Hohlbein ein Sieg in einem ehrlichen Kampf – völlig unnötig, denn Hagen ist gerade deshalb so interessant, WEIL er sich den gängigen Wertevorstellungen entzieht und die Treue zu seinem König über die Moral stellt! Überdies bricht Hohlbein seine Erzählung mit Siegfrieds Tod ab, obgleich die fehlende, zweite Hälfte der Sage ungleich aufschlußreicher und entlarvender ist, vor allem für die Figur des Hagen.

Heroes Die von Matthew Woodring StoverMillionen von Zuschauern sind dabei, wenn der Schauspieler Hari Michaelson seine Rolle “Caine” spielt, einen grimmigen, brutalen Kämpfer, der in die andere Welt Overworld – einen Planeten mit feudalen Strukturen und Fantasy-Völkern – befördert wird und dort seine Abenteuer erlebt. Auf Overworld allerdings weiß kaum einer, daß er zum Setting der irdischen Unterhaltungsindustrie gehört.
Auf der Erde lebt Hari in einem unterdrückenden Kastensystem; und als seine Frau, ebenfalls eine Schauspielerin, auf Overworld vermißt wird, hat das Studio endlich ein Druckmittel in der Hand, mit dem es Caine zu seinem größten Abenteuer zwingen kann: Er darf seine geliebte Frau retten, wenn er ein ungeheuerliches Attentat begeht. Zähneknirschend wetzt Caine die Messer …

-With my hand on the doorjamb, some buried-alive instinct thumps within my chest: this is going to hurt.-
Prologue, 1

Heroes Die ist ein düsteres Heldenepos, das ganz der Figur Haris/Caines gewidmet ist, einem egoistischem Haudrauf, der zwischen seiner unterdrückten Existenz als Hari und seinem überragenden Helden-Alter-Ego Caine gefangen ist, einem Charakter, der mit seiner äußerst aufdringlich-virilen Präsenz zwar nicht gleich sympathisch ist, aber von der ersten Seite an mitzureißen vermag.
Man findet sich auf einer Erde der nahen Zukunft wieder, mit einem rigiden Kastensystem, in dem Privilegierte sich die Zeit damit vertreiben, Schauspielern zuzusehen, sogar ihre Rollen zu verkörpern, wenn diese auf der dank fortgeschrittener Technik erreichbaren Welt Overworld Abenteuer erleben, und zwar nicht die kuschelige Sorte aus dem Kinderfernsehen, sondern die blutdurchtränkte Realität einer feudalen Welt, in der das Faustrecht herrscht. Diese Gewalt kommt auch ungefiltert beim Leser an, und dadurch werden nicht nur die Kampfszenen schön realistisch, sondern auch die letzte Mahlzeit im Magen rebellisch. Der Brutalitätsfaktor schwingt sich in diesem Roman in ungeahnte Höhen auf, und fast könnte man glauben, die Gewalt sei ein reiner Selbstzweck, ein voyeuristischer Aufsehens-Erreger.
Aber die Anwendung und Instrumentalisierung von Gewalt ist auch ein zentrales Motiv der Handlung: Stover stellt eine Gesellschaft dar, die an ihren größten Stars schätzt, daß man durch ihre Augen brutalste Tötungen erleben kann – in der vielleicht nur vordergründig archaischeren Gesellschaft auf Overworld, in der Gewalt das vornehmliche Machtmittel ist (verkörpert in dem in jeder Hinsicht gewaltigen und gewalttätigen Herrscher Mael’Koth) – und er stellt nicht zuletzt die Frage, zu welchen Zwecken Gewalt eingesetzt wird und wie sie im Menschen, vor allem seinem Helden Caine, verankert ist. Dennoch gibt es gerade in der ersten Hälfte des Buches Szenen, deren Sinn bzw. deren Härte man hinterfragen muß, und Caine erscheint anfangs als roher Typ, der nach seinen “Helden”taten auch noch witzige Sprüche auf den Lippen hat. Konsequenterweise geht die Gewalt in der zweiten Hälfte des Romans auch deutlich zurück, als Hari immer mehr mit seiner Rolle Caine interagiert.

Overworld, ein äußerlich relativ gewöhnliches Fantasy-Setting, in dem Stover auch Elfen und Zwerge untergebracht hat, wird in all seinem Dreck und seiner Brutaltität gezeigt – Szenen voller Helden-Pathos schließt das zwar absolut nicht aus, und die Ereignisse im Fantasy-Kontext können sich in der Größenordnung durchaus mit den Highlights der Sword & Sorcery messen, aber Caines zynisch-egoistische Art erdet jegliche Hochstimmung recht schnell wieder.
Overworld selbst erscheint im Vergleich zu anderen Settings etwas blaß, ebenso die meisten Charatkere abseits von Caine – allerdings sind es meist universelle Archetypen, so daß man die Lücken leicht selbst füllen kann. Und sie erfüllen innerhalb des Roman-Kosmos’ vornehmlich die Aufgabe der Kulisse und der Statistenrollen – nur eine Ebene, auf der Text- und Leserrealität sich überlappen.

Die Beziehungen zwischen Overworld und der Erde sind vielschichtiger, als es den Anschein hat, und ein idealer Ausgangspunkt für Caines verschachtelte Pläne, um das Unmögliche, das das Studio von ihm verlangt, umzusetzen. Entsprechend clever ist auch die Auflösung, und über die Handlung hinweg verteilen sich etliche Dreh- und Angelpunkte, an denen sich wieder neue Blickwinkel einstellen. Dazu trägt auch der überlegte Einsatz verschiedener Erzählperspektiven bei: Caine zum Beispiel berichtet in der Ich-Perspektive, wenn er “auf Sendung” ist und man ihm wie seine Zuschauer über die Schulter blickt, und die Perspektive schwenkt zwischenzeitlich auch zu einer Hand voll weiterer Protagonisten des Abenteuers. Dies macht sich Stover mitunter für den Spannungsaufbau zunutze und enthält dem Leser mit distanzierteren Perspektiven  Informationen vor.

In die actionreiche Handlung sind eine Reihe moralischer Spielereien und Fragen eingebettet, die allerdings nicht für den Leser beantwortet werden, sondern nur für den eingeschränkten und nicht gerade moralisch integren Standpunkt der Charaktere, und selbst da bleiben viele Fragezeichen stehen. Noch unbequemer wird es, wenn der Leser selbst angesprochen und als Zuschauer – die treibende Kraft hinter Caine – in sein Abenteuer mit einbezogen wird.
Auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und Anspruch bleibt Stover dabei auf der ganzen Strecke der Handlung sehr sicher, aber es ist in keiner Weise ein Sandkastenspaziergang.
Wenn man die Brutalität auf sich nehmen will, ist Heroes Die eine absolute Empfehlung, ein vielschichtiger, verschachtelter Roman, der neben jeder Menge Action und interessanten Ideen auch einen erstaunlich gefühlvollen Blick auf Zwischenmenschliches erlaubt.

Herr Apropos von Nichten von Peter DavidApropos ist das Produkt der Vergewaltigung seiner Mutter durch einen der angeblich ach so edlen Ritter, und er hasst den in seinen Augen verlogenen Stand aus ganzem Herzen. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, und da er ein verkrüppeltes Bein hat, ist es meistens seine spitze Zunge, die ihn aus brenzligen Situationen befreit. Aber körperliche Gebrechen und niedere Geburt hindern ihn nicht daran, über viele Umwege dennoch zum Knappen aufzusteigen und letztendlich von König Runzibel für eine besondere Mission ausgewählt zu werden – insgeheim ist er aber immer auf der Suche nach seinem unbekannten Vater und nach Rache für seine Mutter.

-Wie ich so mit dem Schwert in der Hand da stand und es von der Klinge nur so tropfte, fragte ich mich doch, ob dieses Blut wirklich von meinem Vater stammte.-
Kapitel eins

Peter David lässt in diesem Anti-Ritter-und-Questen-Roman Herrn Apropos selbst seine Abenteuer schildern, dessen spitze Zunge aber letztlich nicht so spitz ist, wie ständig beteuert wird – aber über den ein oder anderen Witz kann man durchaus schmunzeln. Die klassische Ritterwelt wird dabei recht respektlos durch den Kakao gezogen, wobei sich der Autor immer einer leicht anachronistischen Sprache bedient und gerade eben die Kurve kriegt, nicht zu flapsig zu werden. Immerhin gibt Apropos selbst zu, dass er manchmal ganz schöne Kalauer hinlegt.
Einige der (auch im Original oftmals mauen) Sprachwitze, wie etwa Apropos’ Namensgebung, gehen im Deutsch ein wenig verloren, andere sind aber äußerst pfiffig gelöst.

Zunächst wird der Werdegang des Apropos in Rückblenden erzählt, was an dieser Stelle vielleicht ein etwas langer Ausflug abseits der Haupthandlung ist, der sich allerdings im weiteren Verlauf noch auszahlt. Wir lernen einen feigen und egoistischen Protagonisten kennen, der auch seinen besten Freund für seine guten Taten verachtet und hauptsächlich vom (mit seinen Zeugungsumständen verbundenen) Hass auf den Ritterstand getrieben wird.
Apropos’ Weg zum Knappen ist zwar ungewöhnlich, aber dennoch vorhersehbar, und auch als Knappe erlebt er typische Ritterabenteuer: Turniere, Schäferstündchen mit holden Maiden und derlei mehr. Apropos holde Maiden: Vor allem zu Beginn des Romans kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Autor das weibliche Geschlecht im Allgemeinen für geistig minderbemittelt hält, und es gibt eigentlich im ganzen Buch auch nur eine Ausnahme (und die ist ebenfalls fragwürdig). Ja, ein lustiger Ritterroman braucht vielleicht Klischees, aber muss dazu wirklich nahezu jede auftretende Frau ein williges Dummerchen sein? Die Schenkelklopfer ziehen den ohnehin lauen Humor des Romans auf ein wahrhaft unterirdisches Niveau.

Ungefähr zur Hälfte des Romans beginnt dann Apropos’ große Aufgabe und Peter David macht nahezu eine Kehrtwendung von einer selten wirklich witzigen Parodie zu einem klassischen Abenteuer mit vielen überraschenden Wendungen. Es bleibt zwar nach wie vor komisch, aber Apropos wandelt sich vom eher unsympathischen, egoistischen und feigen Tropf zu jemandem, der immerhin hin und wieder eine gute Tat in Betracht zieht. Allerdings gibt es zum Ende hin zweimal einen sehr harten und ungemütlichen Aufprall auf Tatsachen, die sich in einem ernsteren Buch besser gemacht hätten und so gar nicht zur locker flockigen Umgebung passen wollen (König Meanders Geschichte und der eigentliche Clou am Ende des Buches).
Bei allen liebenswerten Figuren, die mitunter am Rande des Weges auftauchen, und den hin und wieder gelungenen Lachern bleibt Herr Apropos von Nichten damit irgendwo zwischen Parodie und Antiheldenreise stecken.

Hexenzorn von T.A. PrattMarla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.

– Marla Mason kauerte in der Gasse neben der Buchhandlung »City Lights« und warf ihre Runen.
1

Zu Hexenzorn liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

The Hounds of Ash von Greg KeyesFool Wolf, ein von seinem Stamm ausgestoßener verhinderter Schamane, der sich nun als Krieger, aber vor allem als Betrüger durchschlägt, hat ein Problem mit seiner Totemgöttin: Wann immer er die unberechenbare Chugaachik anruft, übernimmt die wilde Göttin seinen Körper und richtet gegen seinen Willen verheerende Blutbäder und Übleres an. Obwohl Chugaachik ihn unüberwindbar macht, ist Fool Wolf darauf aus, sie loszuwerden, doch das gestaltet sich schwierig und führt ihn von einem Abenteuer ins nächste, zu wunderschönen Frauen, bösen Zauberern, zu Riesen und Dämonen, wobei er nicht immer vermeiden kann, in brenzligen Situationen auf Chugaachiks Hilfe zurückzugreifen.

-Fool Wolf glared angrily at the ghost of his father.
“Quit telling Yellowhammer what to do”, he snapped, trying in vain to turn his horse’s head back the way it had pointed.-
Wakes the Narrow Forest

Einen Schamanen-Versager namens Fool Wolf, der sich, verfolgt vom Geist seines ehrgeizigen Vaters, mehr schlecht als recht durch die Welt schlägt, muß man sich natürlich unbedingt näher ansehen, sobald er am Lese-Horizont auftaucht. Doch es kommt ganz anders und nicht halb so vordergründig komisch, wie vielleicht erwartet: Fool Wolf ist eigentlich ein schlaues Kerlchen und könnte direkt einer Geschichte von Fritz Leiber entsprungen sein – der Möchtegern-Schamane von den Mang, einem halbnomadischen Reitervolk der Prärie, ist unterm Strich eher Dieb, Betrüger und charmanter Frauenheld, dem das Schicksal in Form seiner abgrundtief bösen Totemgöttin übel mitgespielt hat. Sie weiß sein Glück so effektiv zu verhindern, daß ihm nichts anderes übrig bleibt, als auszuziehen und zu versuchen, die unerwünschte Verbindung zu lösen, und dieser Zweck heiligt fast alle Mittel, denn Fool Wolf ist sich immer selbst der Nächste. Daß dieser Antiheld das Herz trotzdem am rechten Fleck hat, zeigt die Tatsache, daß er die beeindruckende Macht der Gottheit niemals wollte – er kennt ihren Preis zu gut.

Über diese und noch einige Hintergründe mehr wird man in der ersten Geschichte Wakes the Narrow Forest aufgeklärt, die gleichsam eine Einführung in Figuren und Situation ist und vor allem mit leisen Zwischentönen glänzt.
Außerdem lernt man hier auch die Prinzipien des ausgesprochen phantasievollen Settings kennen, eine Art alternatives präkolumbisches Amerika, in dem die Götterwelt mit ihren großen und kleinen Gottheiten und Dämonen gleich unter der Oberfläche lauert, und der Held durch seinen Sonderstatus eigentlich stets schon mit einem Fuß mitten in diesem (Alp-)Traum-Reich steht. Greg Keyes, um den es in letzter Zeit sehr still geworden ist (er ist momentan wohl ausschließlich im Bereich der Game-tie-ins tätig), hat sich mit diesem phantastischen Amerika ohne koloniale Einflüsse einem Lieblingsthema zugewandt, das er schon in seinem ersten Roman The Waterborn (dt. Aus Wasser geboren) behandelt hat, und man merkt dem prächtigen Entwurf an, daß der Autor mit Herz und Seele bei der Sache ist (und als Anthropologe auch weiß, was er tut).

Diese Kurzgeschichten-Sammlung entführt in weite, unbekannte Teile der Waterborn-Welt: Das Prärieland von Fool Wolfs Stamm lernt man dabei nur noch als ferne Erinnerung kennen, denn die Abenteuer führen ihn erst in den düsteren Norden, dann in den farbenprächtigen Süden seines Kontinents. Von einer Karl-May-Idylle könnten Fool Wolfs Jagdgründe nicht weiter entfernt sein – hin und wieder kommen Anklänge an meso-amerikanische Kulturen auf, aber Vieles ist auch völlig eigenständig, oder hat man schon einmal von indigenen Völkern gehört, die Wolkenkratzer bauen? Menschenleere Wälder stehen neben lebendigen Metropolen, deren Existenz sich in dieser magiedurchwirkten Welt nicht selten auf einem Handel mit einem der vielen Götter gründet, und damit auf tönernen Füßen steht, sobald Fool Wolf mit seiner nicht ganz unbedeutenden Göttin seine Aufwartung macht.

Die Geschichten selbst sind abenteuerliche, kleine Juwelen, vom Geist der Sword & Sorcery durchweht, in denen sich Fool Wolfs ganze trickreiche Brillanz offenbart, aber auch die Abgründe seines Totems deutlich werden, bis es in der dreiteiligen, fast schon als Novelle durchgehenden Finalgeschichte The Hounds of Ash dann richtig zur Sache geht, indem alle vorherigen Figuren und Ereignisse zu einem großen, beeindruckenden Mosaik zusammengebracht werden.
Neben vielen Überraschungen und Wendungen in jeder Geschichte sorgt vor allem der launige Humor für Abwechslung – auch in übelsten Lagen ist Fool Wolf nie um einen trockenen Spruch verlegen, und trotz seines bedrückenden Totems verliert er kaum je die Zuversicht und ist allzeit bereit für aberwitzige Rettungsversuche und unkonventionelle Lösungen. Ein Glanzstück, das den schmalen Grat zwischen Düsternis und Heiterkeit hervorragend meistert, ist The Fallen God, in dem Fool Wolf in einer Stadt mit einem grausamen Blutkult den edlen Helden Uzhdon trifft, den “Opal von Nah”, der mit seiner unumstößlichen Rechtschaffenheit zur Heldenkarikatur und zum leichten Opfer für den Trickster-Helden wird.

The Hounds of Ash und die restlichen Geschichten von Fool Wolf sind eine vergnügliche, kurzweilige Lektüre, nach deren Beendigung man sich eigentlich nur wünschen kann, Greg Keyes würde noch viele Male zu seinem unbekümmerten Antihelden zurückkehren, denn er weiß offenbar sehr wohl, wie man die Totemgötter der Pulp- und Abenteuer-Literatur beschwört.

I Am Not A Serial Killer von Dan WellsJohn Wayne Cleaver ist fünfzehn Jahre alt und studiert mit Vorliebe das Verhalten von Serienmördern, denn John ist ein Soziopath, der gegen seine Neigungen ankämpft, um nicht selbst zum Killer zu werden. Dazu hat er zahlreiche Regeln für sich selbst aufgestellt. Doch als ein echter, praktizierender  Serienkiller in seiner Stadt Einzug hält, beginnen Johns mühsam errichtete Regeln zu zerfallen und der Killer in ihm drängt immer weiter an die Oberfläche. Als John erkennt, dass der Serienkiller kein Mensch ist, sieht er seine Chance gekommen, seiner mordlüsternen Phantasie nachzugeben unter dem Deckmantel dabei etwas Gutes zu tun.

– In coming here, I was digging at the foundations of something larger and deeper, scratching tiny lines in a wall I dare not breach. There was a monster behind that wall, and I had built it strong to keep the monster at bay; now it stirred and stretched, restless in its dreaming. There was a new monster in town, it seemed – would its presence awaken the one I kept hidden? –
Kapitel 2, S. 30

I Am Not A Serial Killer (Ich bin kein Serienmörder) ist ein Buch, das unter die Haut geht und dort langsam und unheimlich unter der Oberfläche herum kriecht. Es laufen einem mitunter eiskalte Schauer über den Rücken, der Roman ist also nicht unbedingt etwas für Zartbesaitete. Im klassischen Sinne handelt es sich bei dieser dreiteiligen Buchreihe auch nicht gerade um waschechte Fantasy, vielmehr ist es ein Psychothriller mit einem Dämon in der Nebenrolle. Soviel vorweg gesagt, auf ans Eingemachte!

Der Debütroman des Autors Dan Wells schlägt eine sehr ungewöhnliche Richtung ein, indem er seine Geschichte aus der Sicht eines potentiellen Serienmörders erzählt. John Cleaver hat es bisher geschafft, seine dunklen Gelüste zu kontrollieren, doch der Leser bemerkt schon von den ersten Sätzen an, dass der Junge eine tickende Zeitbombe ist, die jeden Moment explodieren könnte. In seiner Freizeit hilft er leidenschaftlich gerne im Bestattungshaus seiner Mutter aus, seine Schulreferate drehen sich immer um Serienmörder. Nach außen hin wirkt John trotzdem fast wie ein normaler Teenager, doch in seinem Inneren herrscht ein unerbittlicher Kampf zwischen Gut und Böse. Es ist insbesondere dieser immer gegenwärtige Kampf mit sich selbst und der ungewöhnliche Einblick in den Geist eines Menschen, der davon träumt, jemanden zu töten, was I Am Not A Serial Killer so eindringlich macht. Man erlebt düstere Gedanken darüber, wie John im Geiste mit einer erschreckend analytischen und gut informierten Routine die Funktionen und Schwachpunkte des menschlichen Körpers durchgeht, wie er lauernd auf den richtigen Moment wartet und seine Anspannung aufspart. Der Junge weiß, wie er morden kann, aber auch, dass er nicht morden darf. Hin- und hergerissen zwischen Wunsch und Rechtsbewusstsein, fesselt der Protagonist den Leser auf diese Weise an das Buch, seien seine Schilderungen auch noch so “alltäglich”. Was für John zum normalen Tagesablauf gehört, wirkt auf den normalen Leser meist doch ziemlich erschreckend.

Als Antiheld tritt John nun einem Dämon gegenüber, der in vielen Belangen wesentlich menschlicher erscheint in seinem Handeln und seinen Beweggründen als der Junge. Trotzdem ist John ein Charakter, den man nicht hassen kann und dem man wünscht, dass er irgendwann einfach “gesund” werden kann. Der Dämon selbst wird dabei fast zur Nebensache, denn der Hauptgegner bleibt immer Johns eigene unterdrückte Seite. Nichtsdestotrotz bekleidet der Dämon eine wichtige Position in diesem Roman, denn er ist es, der Johns Tätigkeiten und Gedanken beflügelt. Alles wird von einem sarkastisch-zynischen Unterton des Protagonisten begleitet, der Galgenhumor als eine Option sieht, mit seinem inneren Ich zurechtzukommen. Das macht dieses Buch nicht nur extrem spannend, sondern auch sehr unterhaltsam, und stellenweise lockt es dem Leser ein böses Lachen über die Lippen.

I Am Not A Serial Killer ist ein Pageturner von der unheimlichsten Sorte, da er soviel realistische Möglichkeiten beleuchtet. Die Erzählung wirkt sehr glaubhaft konstruiert und nachvollziehbar. Zumindest für Leser, die weder Soziopathen noch Therapeuten sind, dürfte es sehr überzeugend erzählt sein und eine buchstäblich unheimliche Wirkung entfalten.
Wer sich neben Fantasy auch gerne mal in die Welt der Krimis und Thriller begibt und mit wenig phantastischen Elementen zufrieden ist, der wird John Cleaver garantiert lieben. Für eher schwache Nerven und Freunde klassischer Phantastik ist das Buch dagegen nicht zu empfehlen.

Ich bin kein Serienkiller von Dan WellsJohn Wayne Cleaver ist fünfzehn Jahre alt und studiert mit Vorliebe das Verhalten von Serienmördern, denn John ist ein Soziopath, der gegen seine Neigungen ankämpft, um nicht selbst zum Killer zu werden. Dazu hat er zahlreiche Regeln für sich selbst aufgestellt. Doch als ein echter, praktizierender Serienkiller in seiner Stadt Einzug hält, beginnen Johns mühsam errichtete Regeln zu zerfallen und der Killer in ihm drängt immer weiter an die Oberfläche. Als John erkennt, dass der Serienkiller kein Mensch ist, sieht er seine Chance gekommen, seiner mordlüsternen Phantasie nachzugeben unter dem Deckmantel dabei etwas Gutes zu tun.

– Hinten in der Leichenhalle war niemand außer mir und Mrs Andersons Leiche. –
Eins

Zu Ich bin kein Serienkiller liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Iron Council von China MiévilleEin Geschäftsmann aus New Crobuzon plant eine transkontinentale Eisenbahnlinie, und sie entsteht durch Tausende Arbeiter verschiedener Klassen und Rassen mit einem Tross an Huren und Glücksrittern hinter sich, auch Judah Low findet hier sein Auskommen. Doch New Crobuzon wird außenpolitisch bedroht, und nach einem Befreiungsschlag sind die Arbeiter plötzlich die neuen Herren, und aus dem Zug wird etwas wie ein eigener kleiner Stadtstaat, der Eiserne Rat, der durch seine Revolte den Hass der Obrigkeit von New Crobuzon auf sich geladen hat. Während es in New Crobuzon gesellschaftlich bereits zu brodeln beginnt, macht sich Cutter auf, seinen Geliebten, Judah Low, und den Eisernen Rat zu finden.

-In years gone, women and men are cutting a line across the dirtland and dragging history with them. They are still, with fight-shouts setting their mouths.-

Iron Council (Der Eiserne Rat) ist Miévilles dritter Bas-Lag-Roman. Auch, wenn die einzelnen Romane unabhängig voneinander zu lesen sind, so bietet sich Iron Council nicht unbedingt als Einstieg an, da es doch verhältnismäßig wenige Erklärungen zu New Crobuzon liefert und außerdem einige Anspielungen auf Perdido Street Station, den ersten Bas-Lag-Roman, für den Kenner oder die Kennerin bereithält.
Hatte in Perdido Street Station der Stadtmoloch New Crobuzon die düster-faszinierende Kulisse geliefert und in The Scar die schwimmende Piratenstadt Armada für Seefahrerflair gesorgt, so verleiht Iron Council der Bau einer Bahnlinie von New Crobuzon aus quer über den Kontinent Westernatmosphäre mit allem, was dazugehört: skrupellose Unternehmer, einsame Revolverhelden und selbstbewusste Prostituierte. Wie schon in The Scar wird die Welt außerhalb des autoritär regierten Stadtstaates New Crobuzon weiter erkundet. Die politische Landschaft bleibt zwar weiterhin eher schemenhaft, nimmt aber konkretere und bedrohlichere Formen an, das eigentliche Schmankerl des Romans in dieser Hinsicht ist aber die faszinierende Geographie, die Miéville wieder mit phantastischen Naturerscheinungen und Lebewesen füllt, aber auch mit einfallsreichen Kulturen, die unter die Räder des Eisenbahnexpansionismus geraten.

Besonders der Handlungsstrang rund um Judah Low, der die Vorgeschichte und die Entstehung des titelgebenden Eisernen Rats schildert, profitiert vom Wilder-Westen-Flair, aber auch von den interessanten Nebenfiguren. Die Suche Cutters nach seinem Geliebten dagegen leidet hauptsächlich unter dem spröden Protagonisten. Der dritte Handlungsstrang rund um den jungen Ori spielt dagegen in New Crobuzon und ist auf vielfache Weise mit den anderen beiden verwoben. Wieder lernt man die Metropole etwas besser kennen, andere Stadtviertel und Milieus geraten in den Mittelpunkt. Gerade die Figur des jungen, ebenso idealistischen wie ungeduldigen Ori, der die soziopolitischen Verhältnisse in seiner Heimatstadt unbedingt verändern möchte, und seine Geschichte tragen durch den Roman, auch weil sie eine andere Perspektive auf die zugrundeliegende Thematik politischer Veränderungen liefern.

Iron Council ist somit Miévilles bisher politischster Bas-Lag-Roman, ist allerdings weit davon entfernt ein Manifest zu sein. Wer mit der sozialen und politischen Thematik nichts anfangen kann, der bekommt zwar immer noch eine spannende und wendungsreiche Geschichte, wer sich aber auch nur ein wenig für gesellschaftliche und politische Themen und die Frage, wie man eine Gesellschaft gerechter machen kann (Reform oder Revolution?) interessiert, dem/der eröffnet sich eine zusätzliche Ebene des Romans, die ebendies vielschichtig behandelt, ohne eine endgültige Antwort liefern zu wollen. Das verdeutlicht auch das Ende, das einen genialen Kontrapunkt zu den sich zunehmend überschlagenden Ereignissen des Romans setzt und einen nachdenklich zurücklässt. (Weswegen wir es auch in einem Blog zum Thema “Buchenden” angesprochen haben.)

Neben den politischen Fragestellungen greift Miéville auch phantastische Ideen auf, diesmal ist es das Schaffen eines Golems, wobei das Konzept im Verlauf der Handlung weiter entwickelt wird und die Kontrolle über tote wie lebendige Materie (und anderes) im Mittelpunkt steht.
Wie auch schon in den vorangegangenen Werken ist Miévilles Stil ein zweischneidiges Schwert. Einerseits passt seine Sprachkraft wunderbar zu der von ihm erschaffenen Welt und es gelingt ihm mit seinem schon monströsen Wortschatz bildgewaltige Szenen zu erschaffen, andererseits wird das Lesen und Verstehen des Romans so selbst für geübte Leser/Leserinnen zu einer echten Herausforderung und der Grat zwischen überbordend und Schreiben um der Sprache willen ist schmal. Wer sich den Griff zum Original daher nicht zutraut, kann die Geschichte von Judah Low, Cutter und Ori in der deutschen Übersetzung Der Eiserne Rat (die erste ungesplittete Bas-Lag-Übersetzung) genießen.

Cover des Buches "Jürgen" von James Branch CabellNachdem Jürgen auf dem Heimweg das Gute an der Arbeit des Teufels gepriesen hat, bedankt sich bei ihm ein schwarz gekleideter Mann für die freundlichen Worte und wünscht Jürgen ein sorgenfreies Leben. Doch der entgegnet, der gute Wunsch käme zu spät, er sei schon verheiratet. Zu Hause angekommen stellt Jürgen fest, dass seine Frau “wohl von einem Teufel entführt wurde. Der arme Kerl.” So macht sich Jürgen auf eine lange Irrfahrt, auf der er seine Jugend zurückerhält und Gebiete wie Cameliard, der Heimat von Guinevere, und Leuke, der Heimat von Helena, die Hölle seiner Ahnen und den Himmel seiner Großmutter besucht, um das Mannhafte zu tun und Lisa zurückzuholen…

-Im Land Poictesme erzählt man eine Geschichte: Vor langer Zeit lebte dort ein Pfandleiher namens Jürgen; doch die Namen, die seine Frau ihm gab, waren sehr oft viel schlimmer.-
Warum Jürgen das Mannhafte tat

Jürgen ist ein schräger Vogel; in seiner Jugend war er ein Draufgänger, Charmeur und Dichter – im Alter ist er ein dickbäuchiger Pfandleiher geworden, der keine wunderschöne Gräfin geheiratet hat, sondern die nette Tochter des Pfandleihers. Mit seiner Jugend, die er von Sereda erhält, tollt der knapp fünfzigjährige Jürgen durch eine skurrile Welt und versucht sein Glück zu finden. In der Wahl der Mittel ist er nicht zimperlich; schmeicheln, lügen und betrügen sind an der Tagesordnung und kann er einen Gegner nicht im fairen Kampf bezwingen, dann erdolcht er diesen auch schon einmal heimtückisch. Doch die Reise und sein ihn verspottender Schatten verändern ihn.

Gerade oder gar edle Charaktere gibt es hier nicht – König Gogyrvan will belogen werden, König Smoit hat seine Ehefrauen reihenweise ermordet und König Artus taucht persönlich nicht auf. Auch wenn außer Jürgens Charakter keiner näher beleuchtet wird, trifft man nie auf bloße Klischees.
Da Jürgen bereit ist, es mit jeder schönen Frau zu versuchen, begegnet man vielen – einige sind aber mehr als sie zunächst scheinen. Dorothee, seine Jugendliebe, leitet Jürgens Abenteuer ein, die Leschie Sereda ermöglicht es. Im Kern stehen Guinevere, Anaitis und Helena. Mit ihrer Hilfe kann Jürgen seinem Ziel näher kommen – einem Ziel, welches er eigentlich nicht kennt. Bis dahin versucht er seine Frau Lisa zu befreien.

Magie spielt eine gewisse Rolle, so gibt es Zentauren, Trolle, Naturmythen, Engel und Teufel. Doch nichts ist wie gewohnt; die Engel verspotten Petrus und die jungen Teufel wollen die Sünder nicht mehr quälen – sie wollen mehr Freizeit. Jürgen führt ein Zauberschwert, trägt ein magisches Hemd und nutzt den Zauberspruch des Meisterphilologen. Trotzdem drückt sich die Magie eher im Anarchismus der Geschichte als in magischen Gegenständen oder Zauberei aus.
Die Geschichte ist klar an die Odyssee angelehnt, Jürgen versucht Befriedigung zu finden, symbolisiert in der Suche nach seiner Frau Lisa. Für eine Fantasy-Geschichte scheint mir dieses höchst originell zu sein, zumal wenn man bedenkt, dass sie 1919 veröffentlicht wurde. Jürgen stolpert nolens-volens von einer Eskapade zur nächsten um sich langsam über sich selbst klar zu werden.

Insgesamt ist dieses eine Geschichte der Zweideutigkeit, des “Statt dessen”, der Kompromisse. Die Ereignisse sind zwar amüsant, aber immer mit einem tragischen Unterton hinterlegt; Jürgen erhält zumeist das, was er anstrebt, selten ist es aber das, was er will.
Bekannt geworden ist Jürgen als Geschichte der pornographischen Anspielungen. Die sind natürlich enthalten – sogar zu Hauf – da Cabell sich u. a. gegen die Sexualmoral der USA des frühen 20. Jhd. wendet. Jürgen ist ein Auftakt der “Roaring Twenties” – der junge Jürgen würde sich in den 20ern wohlgefühlt haben. Alle Phallus-Symbole (Schwert, Lanze, Szepter, Keule etc.) sind ernst zu nehmen – wenn der betrunkene Jürgen nächtens mit seinem Schwert vor dem Zimmer der Anaitis herumfuchtelt, hat dieses zwei Lesarten. Doch die Geschichte ist mehr als das; sie ist zunächst sehr humorvoll – die Nüchternheit, mit der Anaitis auf die zuvor geschilderte Szene reagiert, ist bezaubernd komisch. Vor allem aber ist es eine Reflexion auf die Jugend, das Alter, Menschlichkeit und deren Auffassung. Auch wenn das Buch für bare Münze genommen an vielen Stellen eine Männerphantasie zu sein scheint – alle Frauen lassen sich von Jürgen betören – löst sich dieses auf, wenn man die Symbole zu interpretieren beginnt. Anzumerken ist noch, daß die Stellen eindeutig zweideutig sind. Man weiß ganz genau, dass Jürgen sich gerade sexuell betätigt, doch lässt sich diese Szene auch ohne Problem ohne sexuelle Anspielung verstehen.

Auch wenn Jürgen Teil des Poictesme-Zyklus ist, lässt sich die Geschichte ohne weiteres verstehen; wer den Rest kennt, kann noch ein wenig mehr über der Part von Koshchei und vor allem Horvendil rätseln, darüber hinaus ist Jürgen aber das extreme Gegenteil von Dom Manuel; im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).
Sprachliche ist das Werk durchaus gelungen, es gibt keine Fehltritte und manch schöne Wendung – an die Sprachgewalt Lord Dunsanys oder Lewis Carrolls Zauber kann es aber nicht heranreichen.

Kriegsklingen von Joe AbercrombieDer berühmt-berüchtigte Barbar Logen Ninefingers verlässt seine Heimat, weil er sich zu viele Feinde gemacht hat, und gerät an Bayaz, eine Person, die so gar nicht zu ihm passt.
In Adua, der Hauptstadt der mächtigen Union, will der arrogante Adelsspross Jezal dan Luthar seine Karriere beim Militär dadurch befördern, dass er zum Fechtchampion wird, denn zum Kriegsheld taugt er nicht.
Ebenda gerät der ebenso verkrüppelte wie zynische Inquisitor Glokta in den innenpolitischen Machtkampf der niedergehenden Union, während sich an ihren Grenzen die außenpolitischen Bedrohungen häufen.

– Logen hechtete zwischen den Bäumen hindurch; seine nackten Füße rutschten auf dem nassen Boden, dem Schlamm und den glitschigen Kiefernnadeln immer wieder aus. Pfeifend schoss der Atem aus seinem Mund, und das Blut dröhnte in seinem Kopf. –
Ende, S. 7

Zu Kriegsklingen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Le peuple turquoise von Ange GuéroDer ehemalige Spion und Meuchelmörder Arekh fristet ein erbärmliches Dasein als Galeerensträfling und hat mit dem Leben eigentlich schon abgeschlossen. Doch als sein Schiff in einem Gefecht versenkt wird, rettet Marikani, die Thronerbin des Königreichs Harabec, Arekh unversehens das Leben, so dass er sich im Gegenzug widerwillig bereitfindet, ihr und ihrer Hofdame Liénor bei der gefahrvollen Rückkehr in ihre Heimat zu helfen. Schon bald müssen sie jedoch erkennen, dass nicht nur äußere Feinde ihnen Steine in den Weg legen: Aus dem Königshaus von Harabec droht Verrat, die mächtige Priesterschaft spinnt ihre eigenen Intrigen, und in den Reihen des versklavten Türkisvolks gärt es…

Le niveau de l’eau montait, atteignant maintenant la poitrine des prisonniers des derniers rangs. Les rayons du soleil chauffaient les visages, murmurant des promesses de printemps.
Puis la galère se renversa et Arekh se retrouva sous l’eau.
Chapitre 1

Französische Fantasy steht in dem Ruf, zwar gelungene Comics hervorzubringen, im Romanbereich aber bestenfalls Durchschnittliches zu bieten. Gelegentlich stößt man jedoch auf ein Buch, das einen eines Besseren belehrt –  und das trifft auf Ange Guéros Le peuple turquoise (in deutscher Übersetzung als Rune der Knechtschaft erschienen) voll und ganz zu. Unter dem sonst gemeinsam mit ihrem Mann Gérard genutzten Pseudonym Ange entwirft Anne Guéro das düstere Bild einer von Religiosität und Rassismus ebenso wie von Lebensfreude und Dekadenz geprägten Gesellschaft, die lange die Gefahr verkennt, in der sie schwebt. Das orientalisch inspirierte Tanjor mit seinen Palästen, Städten, grandiosen Landschaften und unterirdischen Gangsystemen ist dabei bis ins Detail liebevoll und plastisch ausgestaltet und von einer Vielzahl glaubhaft geschilderter Ethnien bevölkert, so dass sich wirklich das Gefühl einstellt, Einblicke in eine fremde Welt zu erhaschen, statt es nur mit der Kulisse einer Romanhandlung zu tun zu haben.  Auf allzu viele Fantasyelemente sollte man allerdings nicht hoffen, denn wann immer Übernatürliches ins Spiel zu kommen scheint, sind dem religionskritischen Unterton des Romans gemäß auch ganz profane Erklärungen für die Vorgänge denkbar.

Diese Abwesenheit von Magie mindert jedoch keinesfalls die Faszination des Settings, dessen ausführliche Hervorhebung in dieser Rezension nicht überraschen sollte: Da die ersten zwei Drittel des Buchs ausschließlich aus einer Reiseschilderung bestehen, sind die Handlungsorte, mit denen sich die Protagonisten teilweise durchaus intensiv auseinandersetzen, statt sich nur hindurchzubewegen, für die Atmosphäre weit bestimmender als der eigentliche Plot, der zwar erwartungsgemäß nicht mit Verfolgungsjagden, Kämpfen, Intrigen, Mord und Totschlag geizt, aber nicht den hauptsächlichen Reiz der Geschichte ausmacht.

Denn vor allem lebt dieser erste Band der Trilogie Les Trois Lunes de Tanjor (deutsch: Die Legende von Ayesha) von dem sperrigen Antihelden Arekh, dessen Verurteilung zur Galeerenstrafe durchaus nicht unverdient ist und der auch nach seiner Befreiung immer wieder moralisch ambivalent agiert. Obwohl er also nicht als klassischer Sympathieträger angelegt ist, gelingt Guéro mit ihm die fein beobachtete Charakterstudie eines Menschen, der sich zwar zynisch gibt, unbewusst aber zutiefst von den Moral- und Glaubensvorstellungen der Gesellschaft, in der er lebt, beeinflusst wird. Die philosophischen Rededuelle, die er sich immer wieder mit der idealistischen Marikani liefert, führen in die zunächst recht generisch wirkende Flucht- und Abenteuerhandlung früh die Themen ein, die im weiteren Verlauf der Trilogie an Bedeutung gewinnen: Besonders am Beispiel von Sklaverei und Götterglauben geht es um äußerliche wie innere Abhängigkeit und nicht zuletzt auch um die Frage, inwieweit das persönliche Schicksal von übernatürlichen sowie irdischen Faktoren vorherbestimmt oder aber vom Einzelnen frei zu gestalten ist.

Dementsprechend ist es auch kein Wunder, dass die zahlreichen äußerlichen Bewährungsproben eigentlich fast sekundär sind und vor allem die Folie für die Entwicklung eines nicht unkomplizierten Beziehungsgefüges bilden, in dem Misstrauen, Sympathie und wechselseitige Verpflichtungen sich die Waage halten. Die pessimistische Erkenntnis, dass gemeinsam durchgestandene Widrigkeiten beileibe nicht immer Anlass genug sind, über den eigenen Schatten zu springen, zieht sich dabei fast leitmotivisch durch den Roman und führt als zentrales Element des nachdenklich stimmenden Endes zu den noch weit stärker von einer sehr abgeklärten Weltsicht geprägten Folgebänden hin.

Cover des Buches "Die Legende von Manuel" von James Branch CabellManuel ist ein einfacher Schweinehirt, als ein Fremder an ihn herantritt und dazu überredet Gisèle, die Tocher des Königs, aus den Klauen des bösen Magiers Miramon zu befreien. Dazu überlässt er Manuel sogar das magische Schwert Flamberge, aber irgendwie verläuft die Rettung dann doch nicht wie erwartet: Manuel verliebt sich in die Falsche. Auf dem Heimweg begegnet er Horvendile, aus dessen Ratschlag Manuel sein Lebensmotto ableiten wird: “Mundus vult decipi.” – Die Welt will betrogen sein. Sich dieses zu Herzen nehmend scheint seinem Aufstieg nichts mehr im Wege zu stehen. So wird aus ihm der größte und von Skrupeln unbeleckteste Glücksritter, schließlich sogar der Erlöser Poictesmes.

-Man erzählt sich in Poictesme, dass in den alten Zeiten, als Wunder so gewöhnlich waren wie Pasteten, ein junger Schweinehirt namens Manuel lebte, der still und bescheiden des Müllers Schweine hütete.-
I. Wie Manuel den Schweinen Lebewohl sagte

Die fiktive Grafschaft Poictesme liegt an der französischen Küste des Golf du Lion, umgeben von mehr oder weniger fiktiven feudalistischen Gesellschaften des Mittelalters, doch dieses dient hauptsächlich als Kulisse für die Legendenbildung.

Wie der Titel vermuten lässt, ist Manuel die zentrale Figur der Geschichte, doch er bleibt dem Leser fremd. Manuel ist selbstsüchtig und er versucht stets seine egoistischen Taten mit Idealen als gut oder zumindest gerechtfertigt hinzustellen. Am Ende muss der Leser sich fragen, wieviel von diesem mutigen, gewitzten und liebenswürdigen Abenteurer nur gespielt ist – ist er vielleicht einfach nur ein kaltherziger Opportunist – Mundus vult decipi – der der Welt zu zeigen vermag, was sie sehen will? Cabell schreibt die Legende nicht für Manuels Mitmenschen, sondern für den Leser.

Aufgrund der starken Episodenhaftigkeit der Legende wirken die anderen Figuren mehr wie ein bestimmtes menschliches Verhalten, als wie eine ganze Figur. Dennoch sind sie nicht bloß konsequent die Verkörperungen einer einzelnen Eigenschaft, sondern weichen ein wenig von ihrem klaren Kurs ab – sie haben doch mehr als eine Eigenschaft.
Die wichtigste Figur nach Manuel ist sicherlich seine Frau. Er formt ihren Körper nach seinen Vorstellungen aus Lehm und beseelt ihn mit dem Geist einer Toten. Doch ist es ihm gut gelungen? Die anderen Männer verwundern sich, warum er diesen kleinen Krüppel anderen Frauen vorzieht. Sie liebt ihn und er liebt sie, doch scheint ihre Liebe hauptsächlich aus Meinungsverschiedenheiten zu bestehen. Sie verändert ihn mehr, als er es anderen gestattet.
Durch Prinzessin Alianora erhält Manuel den Schlüssel zur weltlichen Macht, denn sie will einen großen König aus ihm machen. Von Königin Freydis erhält er die Fähigkeit, Lehmstatuen zu beleben, denn sie will einen großen Künstler aus ihm machen. Daneben treten noch weitere Figuren auf, die seine Leben beeinflussen: Math, seine Halbschwester; Suskinde, seine Jugendliebe; Horvendil, der Dichter; der Gott Sesphrada, den er selbst schuf und seine Tochter Melicent, die ein ungewöhnlich dummes Balg ist.

Auch wenn alle magischen Elemente der Sword & Sorcery auftreten – Miramon, der finstere Magier; das magische Schwert Flamberge; ein Drache und sogar Sesphrada der Gott – so sind diese doch alle schräg: Der Gott ist ein mieser, selbstgeschaffener Götze und den Drachen kann man nur als Leichnam bemerken. (Manuel: “Und wenn ich daran denke, dass für den Rest der Zeit diese Kreatur [seine Frau] meine Lebensgefährtin sein soll, dann gehe ich gewöhnlich hinaus und bringe jemanden um. Dann komme ich zurück, weil sie weiß, wie ich gern mein Toast habe.”, S. 195-196)

Wie der Titel richtig feststellt, behandelt die Geschichte die Legende von Manuel – im doppelten Sinne. Einerseits wird geschildert, wie aus dem einfachen Schweinehirten der Erlöser Poictesmes wird, wobei zumeist die großen Heldentaten nur sehr summarisch zusammengefasst werden (weil sie vermutlich nie stattgefunden haben), und andererseits wird in einigen Episoden gezeigt, wie Manuel aus Zufällen und egoistischen Taten eine Legende um sich herum strickt. Wie bei Legenden üblich trägt auch die Manuels biographische Züge.

Die Episoden der Legende Manuels behandeln parabelförmig die großen Fragen. Was sind die Bedürfnisse der Menschen? Was ist die Liebe? Wie unterscheidet die Gesellschaft zwischen guten Menschen und schlechten? Und im Kern die Frage: Was macht das menschliche Dasein aus und wieviel davon können andere erkennen? Manche Diskussionen sind außerordentlich gehaltvoll – im Kapitel XVII – Die Magie der Bildnismacher liefert der Autor die Kernfrage der Diskursanalyse: Bestimmt der Mensch den Diskurs oder der Diskurs den Menschen? Auch die Frage inwiefern der Beruf den Charakter formt wird neben anderen angeschnitten. In seiner ironischen Art ist dieses ein psychologischer Roman, der relevante Fragen der Gesellschaft aufgreift – Psychologische Fantasy.

Hinzukommt, dass die Geschichte einerseits durch einen gewissen trockenen Humor, viel Ironie und völlig ernstgenommenen Metaphern eine zuweilen bizarre Komik entwickelt.
Der Schreibstil unterstützt dieses, da er manchmal abrupt zwischen alltagsprachlichen Zusammenfassungen und pompöser, altmodischer Rhetorik springt. Aber so oder so – die Sprache bleibt immer elegant. Wie schon bei  Jürgen ist vieles konsequent doppeldeutig, dem Leser stellt sich z.B. die Frage, ob der Storch tatsächlich die Kinder bringt, oder ob es nur eine Metapher ist.

Als erster Teil des Dom Manuel-Zyklus liefert die Geschichte die Grundlagen für die Folgenden, auch wenn diese durchaus für sich gelesen werden können. Wer etwas der anderen kennt, kann noch ein wenig mehr über der Part von Horvendil rätseln. Darüber hinaus ist Manuel aber das extreme Gegenteil von Jürgen; im Zyklus legt Cabell seine Ansichten über Lebensauffassungen dar, die Vertreter sind Dom Manuel (Chevalereske/Ernste), Jürgen (Galante/Ironische) und Horvendil (Poetische/Schaffende).

Die letzte Wallstatt von Stephen R. DonaldsonDie Lage im Land ist aussichtsloser als je zuvor. Die Horden des finsteren Lord Foul haben das Land mit Zerstörung überzogen und mit Hilfe des Weltübelsteins die Riesen bis auf den letzten Mann vernichtet. Sogar die uralten Bande der Bewohner zu den Bluthütern wurden zerschnitten. Als auch noch die Baumstadt Schwelgenholz unter dem Ansturm von Fouls Wüterich Satansherz fällt und die Feinde sich anschicken, der Menschen letzten Hort Schwelgenstein zu belagern, scheint das Schicksal besiegelt. Hoch-Lord Mhoram fällt einen folgenschweren Entschluss: Er holt den Schriftsteller Thomas Covenant, als “Zweifler” mehr berüchtigt als berühmt, zurück ins Land. Dessen wilde Magie, ausgehend vom Weißgold seines Eherings, könnte die letzte Rettung sein …

-Thomas Covenant sprach im Schlaf. Zeitweise wußte er, was er tat; Bruchstücke seiner Stimme durchdrangen schwach, wie Andeutungen von Unschuld, seinen Stupor.-
1: Die Gefahr in Träumen

Im abschließenden Teil der ersten Trilogie um Covenant den Zweifler kommt Donaldson dem Leser ein weiteres Stück entgegen. Band eins der Chroniken krankte für viele unter dem teilweise extrem unsympathischen “Helden”, insbesondere weil sich zu Anfang fast alles um Covenant drehte, dieser quasi omnipräsent war. Donaldson hebt diese Sperrigkeit hier auf, ohne seinen Hauptcharakter dabei völlig zu verändern: Er führt einen zweiten Handlungsstrang, der parallel zu den Erlebnissen von Covenant verläuft und der auch den gleichen Raum einnimmt, nämlich die Belagerung von Schwelgenstein – was dem Roman unheimlich gut tut und aus Die letzte Wallstatt (The Power That Preserves) den eingängigsten und damit wohl besten Teil der ersten Trilogie um Thomas Covenant macht.
Der Kampf um Schwelgenstein ist äußerst mitreißend, fast ein Paradestück moderner Fantasy. Gleichzeitig vermeidet Donaldson so weitgehend Ermüdungserscheinungen beim Leser, die sich bei Covenants ewig gleicher Verweigerung sonst durchaus einstellen könnten. Wer aber nun auf den Gedanken kommt, die Ereignisse um Covenant selbst (nun also “nur” noch etwa die Hälfte der Seiten umfassend) seien “nur die dritte Quest im dritten Roman” liegt aber daneben. Elegant schlägt der Autor einen Bogen zu den Ereignissen des ersten Bandes, als Covenant zum ersten Mal in die Fantasy-Welt gezogen wurde. Folgerichtig werden viele Personen des Beginns thematisiert, an erster Stelle natürlich der Riese Salzherz Schaumfolger, schmerzlich vermißt im mittleren Band. Auch im Finale schafft es Donaldson, auf phantasiereiche Weise den Kreis zu schließen, so dass ich zu guter Letzt ein rundum gelungenes Leseerlebnis festhalten möchte.

Cover des Buches "Percival und die schöne Elfe" von Anne Eliot CromptonAlle acht Söhne Alannas waren Ritter und jeder einzelne von ihnen ist umgekommen. Nach dem Tod ihres Mannes geht Alanna mit ihrem neugeborenen Sohn Percival in den von Elfen bewohnten Wald. Sie möchte ihn in der Einsamkeit großziehen, um zu verhindern, dass auch er ein Ritter wird. Percival wächst heran und hat nur wenig Kontakte, er ist naiv, ungebildet und ist schwer von Begriff. Eines Tages trifft Percival auf Ritter und wünscht sich von nun an nichts sehnlicher als auch ein Ritter zu werden. Elfe Lili möchte unbedingt ein menschliches Herz, da es die größte magische Macht der Welt ist. Die beiden verlassen den Elfenwald und machen Bekanntschaft mit dem wahren Leben.

-Bis zu den Knien im Teich des Elfenwalds stehend, beuge ich mich über das Wasser, um mein neues, mein anderes Gesicht zu betrachten.-
1 Zum Ritter geboren

Falls Sie demnächst einmal nach Eschenbach kommen und dort im Erdreich mysteriöse Geräusche hören sollten, dann liegt es wahrscheinlich daran, dass Wolfram von Eschenbach in seinem Grab rotiert, aus Verzweifelung darüber, was Anne Eliot Crompton aus dem Parzival-Stoff gemacht hat. Dem französischen Dichter Chrétien de Troyes dürfte es ähnlich ergehen.

Die Artuslegende ist natürlich eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für Fantasyautoren, aber gerade die Parzivalgeschichte erfordert auch in einem belletristischen Roman etwas mehr Tiefgang und Ernsthaftigkeit.
Falls Sie also die mittelalterlichen Versepen kennen, verdrängen Sie dieses Wissen bei der Lektüre des Romans aus dem Gedächtnis, falls Sie die Vorlage nicht kennen, schätzen Sie sich glücklich. Nimmt man Cromptons Geschichte als das, was sie ist, als einen leichten, netten Unterhaltungsroman, dann kann die Lektüre durchaus Spaß machen. Es sei denn, sie sind ein strenggläubiger Christ, dann könnten Sie an Percivals Lieblingsflüchen Anstoß nehmen, die da lauten “Gottverdammich” und “Bei Gottes Hoden”.

Percival und die schöne Elfe (Percival’s Angel) ist wieder ein Buch, das die Romantiker unter den Fantasyfreunden ansprechen dürfte. Zwar kommt gelegentlich jemand zu Tode, trotzdem ist der Roman nahezu gewaltfrei. Wie Percival, hier meistens Percy genannt, dank seiner Unerfahrenheit von einem Abenteuer ins andere stolpert und trotz seiner Naivität alle Tücken des Ritterlebens siegreich besteht, entbehrt nicht der Komik. Und schließlich ist da noch die Elfe Lili, die Percy heimlich liebt und die einen erheblichen Anteil daran hat, dass Percy weder von hinterhältigen Rittern, noch von durchtriebenen Frauen ernsthafter Schaden zugefügt wird.

Laut Klappentext schrieb USA Today über das Buch: Großartig wie Marion Zimmer Bradleys “Nebel von Avalon.” Betrachtet man allein den Umfang des Buches, merkt man schon, dass dieser Vergleich wieder einmal nicht stichhaltig ist. Weder die Charaktere, noch die Handlung sind in Percival und die schöne Elfe so komplex und lebensnah gestaltet wie bei Zimmer Bradley.

Cover des Buches "Phönix" von Steven BrustVlad sitzt im Keller eines Holzgebäudes in Süd-Adrilankha und versucht, nicht von drei finsteren Kerlen, die er nicht einmal sehen kann, umgebracht zu werden. In dieser ausweglosen Lage schickt er ein Stoßgebet zu seiner Schutzgöttin Verra – und wird erhört. Diese hat diesen Überfall nur inszeniert, um Vlad einen Auftrag erteilen zu können. Er soll König Haro auf der Insel Grünewehr ermorden. Zwar ist die Insel vor Zauberei geschützt, aber trotzdem ist der Auftrag für einen Berufsmörder nicht besonders schwierig auszuführen. Dumm nur, dass Vlad bei der Auftragserledigung über einen mysteriösen Trommler stolpert und sich nun beide in Gefangenschaft befinden. Ungefähr zur gleichen Zeit wird Vlads Frau Cawti in der Heimat als Rebellin verhaftet.

-Ständig fragen die Leute mich: “Vlad, wie machst du das? Warum bist du so gut darin, Leute umzubringen? Was ist dein Geheimnis?” Ich antworte: “Es gibt kein Geheimnis. Das ist genauso wie alles andere auch. Manche verputzen Wände, andere machen Schuhe, ich lege Leute um. Man muß eben sein Handwerk erlernen und üben, bis man gut genug ist.”-
Prolog

Die Stärke dieses Buches ist der Ich-Erzähler Vlad Taltos, der seine Abenteuer mit trockenem, lakonischem Humor zum Besten gibt, dabei aber nie albern wird oder in Gefahr gerät, im Klamauk zu enden. Für Komik sorgt auch Vlads Helfer Loiosh, ein kleiner Flugdrache, dessen Benehmen Ähnlichkeit mit dem der tierischen kleinen Helfer der Helden in den Disneyfilmen aufweist, die meist von Otto synchronisiert werden.
Außerdem gibt es Vlads Frau Cawti, mit der er sich zwar gerade nicht allzu gut versteht.  Trotzdem möchte er nicht, dass sie im Imperialen Gefängnis eingekerkert bleibt. Cawti allerdings möchte das schon – obwohl sie begnadigt wurde, weigert sie sich strikt das Gefängnis zu verlassen, so lange ihre Freunde nicht ebenfalls freigelassen werden. Sture Ehefrauen können ein richtiges Problem sein, da spielt es dann auch keine größere Rolle mehr, dass jemand ein Kopfgeld auf Vlad ausgesetzt hat und er Gefahr läuft, selbst ermordet zu werden.

Da wir gerade über Familienangehörige sprechen: Großväter stellen ein weiteres Problem dar. Vlads Großvater findet den Beruf seines Enkels überhaupt nicht gut. Seit Vlad das weiß, plagt ihn das schlechte Gewissen, weil er sich bezahlen lässt, um Menschen das Leben zu nehmen und vor dem Mord an Haro bekommt er eine moralische Krise.
Das ist alles überhaupt nicht witzig!
Komisch ist es allerdings schon und so wird glücklicherweise verhindert, dass Vlad Taltos der erste Auftragsmörder der Literatur ist, über dessen Schicksal der Leser vor Mitleid in Tränen ausbricht, was politisch überaus inkorrekt wäre.

Aber Phönix (Phoenix) bietet noch mehr als trockenen Humor, es bietet auch Lebenshilfe.
Haben Sie sich schon einmal klar gemacht, auf wie viele verschiedene Arten Sie sterben können? Vlad erzählt davon: Jedes einzelne ihrer lebenswichtigen Organe kann auf hundert verschiedene Arten versagen, unzählige Krankheiten warten darauf, Ihnen den Garaus zu machen, sie können von Tieren gerissen werden, sie können das Opfer von Naturkatastrophen werden, kleine Missgeschicke, tragische Unfälle lauern bei jedem Schritt, den Sie machen und haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen es darauf abgesehen haben, Sie absichtlich um die Ecke zu bringen…

Wie alt sind Sie? Siebzehn, achtundzwanzig oder sogar schon über vierzig und Sie leben noch???? Wenn Sie diesen Abschnitt des Buches gelesen haben, dann werden Sie nie wieder morgens muffelig im Bett liegen und den Tag verfluchen, weil Sie einer langweiligen Arbeit unter einem miesen Chef nachgehen müssen. Sie werden fröhlich aus dem Bett springen, das Fenster aufreißen, den Tag begrüßen und glücklich sein, dass Sie LEBEN. Was kann man von einem Buch mehr verlangen???

P.S. Spannend ist Phönix natürlich auch. Sie werden nie darauf kommen, welches Geheimnis sich hinter dem Trommler verbirgt.

Rune der Knechtschaft von Ange GuéroDer ehemalige Spion und Meuchelmörder Arekh fristet ein erbärmliches Dasein als Galeerensträfling und hat mit dem Leben eigentlich schon abgeschlossen. Doch als sein Schiff in einem Gefecht versenkt wird, rettet Marikani, die Thronerbin des Königreichs Harabec, Arekh unversehens das Leben, so dass er sich im Gegenzug widerwillig bereitfindet, ihr und ihrer Hofdame Liénor bei der gefahrvollen Rückkehr in ihre Heimat zu helfen. Schon bald müssen sie jedoch erkennen, dass nicht nur äußere Feinde ihnen Steine in den Weg legen: Aus dem Königshaus von Harabec droht Verrat, die mächtige Priesterschaft spinnt ihre eigenen Intrigen, und in den Reihen des versklavten Türkisvolks gärt es…

– Die Galeere sank langsam, als täte sie es nur widerwillig. Die Besatzungsmitglieder waren schon in den ersten Minuten getötet worden; dann hatte sich die Schlacht zum Südufer des Sees verlagert, und das Schiff und die Sträflinge blieben ihrem Schicksal überlassen. –
Kapitel 1

Zu Rune der Knechtschaft liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Der Schwalbenturm von Andrzej SapkowskiDunkle Vorzeichen rauben rund um die Herbst-Tagundnachtgleiche Menschen auf dem gesamten Kontinent den Schlaf. Ciri ist in Gefahr, ihr Treiben mit den Ratten, ihre Abstammung und ihre Bestimmung führen dazu, dass sie von vielen Akteuren fieberhaft gesucht wird, und der unerbittliche Kopfgeldjäger Bonhart ist ihr dicht auf den Fersen. Wesentlich dichter als der Hexer, der sich mit seinen Begleitern kaum aus den Mühlen des Krieges befreien kann …

 – Die Ziegenmelker sangen mit wilden Stimmen die Totenklage, den Himmel jedoch bedeckten Wolken, die den Rest des Mondlichtes auslöschten. Da begann eine schreckliche Beann’shie zu heulen, die jemandes raschen und gewaltsamen Tod ankündigte, und am schwarzen Himmel preschte die Wilde Jagd einher – ein Heerhaufen flammenäugiger Gespenster auf Pferdegerippen, mit laut flatternden Fetzen von Kleidung und Standarten. – S. 9

Andrzej Sapkowskis Der Schwalbenturm (Wieża Jaskółki) ist der vorletzte Band der Hexer-Reihe und hat mit dem zu erwartenden Problem zu kämpfen, die verschiedenen Handlungsfäden langsam in Richtung Finale zu führen … oder eben auch nicht.

Auf den ersten Seiten des Romans wird ein kurzer, augenzwinkernder Überblick über die wichtigsten Personen gegeben, die von den dunklen Erscheinungen heimgesucht werden (gesegnet sind diejenigen, bei denen der Abstand zum vorangegangenen Band Feuertaufe nicht zu groß war). Man könnte sagen, dies ist bezeichnend für den gesamten Roman, denn Sapkowski bietet eine Vielzahl von Perspektiven auf die Ereignisse der Geschichte. Dabei verschachtelt er die mitunter auch zeitlich zueinander versetzten Erzählebenen durchaus geschickt, vieles wird in Rückblenden erzählt, die zumeist tatsächlich als Erzählung beginnen, bevor Sapkowski direkt ins Geschehen springt. Die zahlreichen Perspektivenwechsel binden größere politische Ereignisse ein und verweben kleinere Geschichten von Nebenfiguren mit der Hauptstory. Allerdings scheint diese Multiperspektivität etwas auf Kosten Geralts und seines Erzählstrangs zu gehen, Ciri hat längst seinen Platz als Hauptfigur eingenommen und macht dem alle Ehre. Ihre dramatische und grausame Geschichte, ihre undurchsichtige Bestimmung und die Entwicklung, die ihre Person durchlaufen hat, machen sie zu einer unglaublich spannenden, ambivalenten Figur, die außerdem noch einen nicht weniger interessanten Sidekick erhält, der gut zu ihr passt, obwohl oder gerade weil die beiden so gegensätzlich erscheinen.

Daneben weist der Band die bereits aus den Vorgängern bekannten Stärken auf: Geschickt eingestreute moralische Dilemmata, eine vielschichtige Welt und augenzwinkernden Humor. Allerdings ist dies der bisher brutalste und düsterste Teil des Geralt-Zyklus, vielleicht ex aequo mit Die Zeit der Verachtung, hier wie da ist besonders Ciris Geschichte davon betroffen. Wie sich das Finale in Die Dame vom See gestalten wird, lässt sich auch am Ende des vorliegenden Bandes kaum erahnen, aufgrund der Multiperspektivität wirkt er manchmal etwas disparat und das rätselhafte Ende verlangt geradezu danach, dass man sofort den nächsten Teil der Reihe liest. Man darf gespannt sein, ob dieser es schafft, die Geschichten gelungen zusammenzuführen.

Cover von Susannah von Stephen KingMia hat im Körper der hochschwangeren Susannah die Flucht in das New York von 1977 ergriffen, und es gelingt Roland und seinen Gefährten Eddie, Jake und Callahan ihr durch die Tür in der Höhle zu folgen. Sie geraden in einen Hinterhalt und werden von Balazars Leuten überfallen, die es ebenfalls auf den dunklen Turm abgesehen haben. Nur mit Hilfe eines neuen Freundes gelingt ihnen die Flucht. In ihrer Verzweiflung beschließen sie, ihren Schöpfer (sic, Stephen King selbst) aufzusuchen, während Susannah in New York Rolands Sohn zur Welt bringen will.

-Auch wenn Geschichtenerzählen nicht meine Stärke ist, werde ich mein Bestes tun.-
11. Strophe (Der Schriftsteller)

Die Inhaltsbeschreibung klingt wirr? Ist aber so.
Was sich im Vorgänger Wolfsmond abzeichnete, wird traurige Realität. Der vollkommen unnötige Handlungsstrang um die bevorstehende Niederkunft von Susannah und die Geburt von Rolands Sohn wird zu einem ganzen Roman von x Seiten Stärke ausgewalzt. Der Grund dafür bleibt nebulös, und so sitzt Band VI des dunklen Turms zwischen allen Stühlen:
Um dem Epos die zusätzliche Facette eines Vater-Sohn-Konflikts à la Artussage zu verleihen, beschäftigt sich der Roman zu sehr mit Susannah und ihrem Alter Ego Mia Niemandstochter, und um die Hassliebe-Beziehung der beiden Frauen tiefer zu reflektieren, ist das ganze Grundkonzept einer Hetzjagd einfach zu atemlos. Obwohl Mias Verhalten durchaus verständlich sein mag (will sie doch letztendlich nur einmal Mutterfreuden genießen und ihr Kind im Arm halten), bleibt der ganze Charakter oberflächlich und damit bedeutungslos. Fast möchte man meinen, der ganze Roman ist nur entstanden, damit sich der Autor selbst unauffällig in die Geschichte reinschreiben kann. Man kann grundsätzlich geteilter Meinung über so einen deus ex machina sein, aber wenn die ganze Geschichte darüber hinaus wenig Aufregendes zu bieten hat, kann auch das nicht begeistern.
Letztlich bleibt die Geschichte trotz einiger netter Detail-Ideen und einer zugegeben originellen Kapitelstruktur Stückwerk. Negativ fällt vor allem auf, mit welch platten Anspielungen King auf den Artusmythos verweist (Mordred). Das wäre subtiler auch möglich gewesen.

Nachdem Hezhi, Prinzessin von Nhol, gemeinsam mit Perkar und dem Schamanen Brother Horse aus dem Einflussgebiet des Großen Flußgottes fliehen konnte und sich in Sicherheit wähnt, sammelt dieser gerade erst seine Kräfte: Ghe, von den Toten auferstanden und mehr Geist als Mensch, wird zur mächtigsten Waffe seines Herren.
Angesichts dieser Gefahr verbündet sich Hezhi mit dem Gott Karak, der Krähe, um den Flußgott für immer zu besiegen, und bald wird es unmöglich, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden …

Wake up, my guest
You have slept long
In the house of my ribs,
The house of my heart
Wake up now,
See through my eyes,
Walk with my feet,
Yush, my old friend.-
XIX. Drum Battle

Waterborn Fans will be jubilant“, lautet das Versprechen auf der Rückseite des zweiten Romans der Chosen of the Changeling-Reihe, The Blackgod, in welchem uns Greg Keyes einmal mehr in die Welt eines alternativen Amerika entführt, wo indianische Nomaden und sesshafte Hirtenvölker neben orientalisch angehauchten Hochkulturen existieren. Es ist eine Welt, die von ursprünglicher Magie erfüllt und und wo jeder Baum, jeder Stein, jedes Lebewesen beseelt ist. Der Schamanismus und Mystizismus, der von den Naturvölkern praktiziert wird, steht deshalb im scharfen Gegensatz zu dem aggressiven und krankhaft-dekadenten Monotheismus der Stadt Nhol, und tatsächlich ist auch in The Blackgod die Anbetung des großen Flußgottes Ausgangspunkt aller Konflikte.

Der Fortsetzungsband The Blackgod schließt inhaltlich nahtlos an seinen Vorgänger an und rückt den Kampf von Hezhi und Perkar gegen den Flußgott in den Mittelpunkt, denn die Flucht Hezhis aus Nhol beendete keineswegs den kranken Einfluss des Flußgottes auf ihr Schicksal und das Schicksal ihres Volkes. Denn der Gott hat sich eine mächtige Waffe erschaffen: Ghe, schon zu Lebzeiten ein tödlicher Gegner, wird nach seiner Wiedererweckung durch den Fluß ein übermächtiger Feind, dessen Macht übermenschlich erscheint und einen hohen Tribut fordert – die Menschlichkeit selbst. Keyes schildert meisterhaft und bedrückend, wie der Ghul, weder Mensch noch Tier noch Gott, an physischer und magischer Stärke gewinnt und auf diesem Weg seine Menschlichkeit schleichend verliert. Die Entwicklung des einstigen Assassinen zeigt, wie mit anormaler, pervertierter Logik sämtliche Moralvorstellungen scheinbar außer Kraft gesetzt und durch Pflichterfüllung ersetzt werden können – danach finden alle Taten ihre Rechtfertigung, und es ist für den Leser keine bequeme Aufgabe, Ghe in seine Gedankenwelt zu folgen. Simple Kategorien wie „Gut“ oder „Böse“ wird man in The Blackgod nicht antreffen; denn auch die Jäger von Hezhi haben treffliche Gründe für ihr Handeln, Perkars Weg – der des Helden – ist mit Leichen übersät, und für die Götter existiert keine Moral, kein Gesetz, sondern die Notwendigkeit und das Gutdünken. Das Brechen mit den etablierten Vorstellungen von Gut und Böse ist eine der größten Stärken des Romans; dies macht The Blackgod nicht zu einer einfachen, aber mehr als lohnenswerten Lektüre.

Keyes beschränkt sich in seiner Charakterzeichnung jedoch keinesfalls nur auf das Ausloten (un)menschlicher Abgründe. Vielmehr entwickelt er mit Hezhi und Perkar zwei Protagonisten, die in ihrem Streben, das Richtige zu tun, unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist Hezhi, die ihrer Rolle der Prinzessin und den festgelegten Bahnen ihres Lebens komplett entfliehen möchte und sich nur in Momenten der tiefen Trostlosigkeit nach dem ihr vorherbestimmten Leben im Palast von Nhol zurücksehnt. Perkar hingegen ist ein Held: er lebt für das Schicksal, für das Erfüllen von Aufgaben und Questen, für schicksalsschwere Kämpfe und seine Ehre als Mann und Krieger. Eine Rolle also, wie sie scheinbar klischeebeladener nicht sein könnte – doch Keyes ironisiert den Heldenmythos derart, dass Perkars von Ehrgefühl geleiteten Taten, seine Schwüre und seine heroisch-verzweifelten Kämpfe immer eine tragisch-komische Saite zum Klingen bringen. Er ist in seiner Rolle derart determiniert, dass alle Regungen, all das Gerede von Schicksal und Ehre, das den fantasyerfahrenen Lesern zu gut bekannt sein dürfte, hohl und leer erscheinen. Der Kampf Perkars gegen seine Heldenrolle ist für mich eines der ehrlichsten Auseinandersetzung mit den Themen Schicksalsergebenheit und Eigenbestimmung, die ich aus der phantastischen Literatur kenne.

Während Perkar also mit dem Heldentum hadert, aber sich gleichzeitig an dieses Rollenkonstrukt klammert wie ein Ertrinkender an den Rettungsring, ist es Hezhis größter Wunsch, all ihre Rollen ablegen zu können wie Kleidungsstücke, um sich endlich als Mensch – nicht als Prinzessin, Gefangene, Schamanin oder Anführerin – zu erfahren. Doch da manche in ihr die einzige Hoffnung, andere in ihr die vollständige Zerstörung sehen, erscheint Hezhi ihr Wunsch nach Selbstbestimmung wie eine egoistische, eitle Regung.

Die Tiefsinnigkeit und Authentizität des Romans wird auch bei einem weiteren Thema spürbar: der Ethnologe Keyes nähert sich den verschiedenen Kulturen seiner geschriebenen Welt, ohne in einen populären romantisierend-entwürdigenden Exotismus zu verfallen, und schildert glaubhaft und detailliert die verschiedenen kulturellen Konzepte. Ohne dies aufdringlich oder plakativ zu gestalten, beschäftigt sich Keyes dabei mit rassistischen Denkweisen, die mehr als vertraut wirken: für die Bewohner des ‘zivilisierten’ Nhol sind die indianischen Mang nicht mehr als Barbaren, wenn auch mit einer „exotischen Schönheit“ behaftet, und ihre Kultur wird nur aus größtmöglicher Ferne studiert und belächelt wie ein skurriler Witz. Der Roman wird inhaltlich auf eine neue Ebene gehoben, als die linguistischen Spurensuchen der Protagonisten ergeben, dass beide Völker die gleichen Wurzeln haben; spätestens an dieser Stelle wird deutlich, mit wie viel Hintersinn und Ironie sich der Autor mit interkulturellen Problemen und dem Toleranzgedanken auseinandergesetzt hat. Besonders in den komplexen Beziehungen der kulturell gemischten Gruppe um Hezhi und Perkar spielen die Themen Freundschaft, Offenheit und Misstrauen allem Fremden gegenüber eine große Rolle und halten dem Leser mehr als ein mal freundlich, aber bestimmt, den Spiegel vor, ohne das der Roman einen belehrenden Tonfall erhält.

Mit viel Sensibilität und Gespür für Menschlichkeit beschreibt Keyes die Entwicklungen seiner Protagonisten, die neben der spannungsgeladenen Handlung einen ganz eigenen Sog entwickeln und den Leser nicht mehr loslassen. So ist es kein Wunder, dass das letzte Viertel des Romanes in atmenloser Spannung am Stück gelesen werden will – mit seiner poetischen und zum Weinen schönen Sprache erschafft Keyes eine von Leben erfüllte Welt, die, es darf nicht anders sein, irgendwo in all ihrer schrecklichen und zerbrechlichen Schönheit und ihrer Naturerhabenheit existieren muss. Wer einmal die Wälder des Balat bereiste und gemeinsam mit behuften, geflügelten und gehörnten Gottwesen unter die Oberfläche des Sees tauchte, um auf Sternenpfaden zu wandern, wird wissen, wovon ich spreche.

Welt aus Stein von Chris WoodingOrna, Elitekämpferin und Attentäterin des Magnaten Ledo, wird in einer tragisch gescheiterten Schlacht von den verfeindeten Eskaranern gefangengenommen und in das berüchtigte, ausbruchsichere Gefängnis Farakza gebracht. Ihre trostlose Situation wird nicht nur von ihren Mitgefangenen durchbrochen, zu denen sie langsam Beziehungen aufbaut, sondern vor allem dadurch, daß sie an Informationen über den fortwährenden Krieg gelangt, die nicht nur ihre Sichtweise umwerfen, sondern ihr offenbaren, in welcher Gefahr ihr ebenfalls als junger Soldat kämpfender Sohn schwebt. Sie entschließt sich zu einem riskanten Gefängnisausbruch …

-Unter meinem Fuß bricht sein Knie zur Seite weg, aber ehe er den Schmerz spürt, habe ich ihn beim Kopf gepackt und ihm das Genick gebrochen.-
30

Es gibt Geschichten, die glänzen vor allem an der Oberfläche, wo sie Spannung und Schauwerte bieten, und solche, die eher subtil durch ihre Themen und Strukturen überzeugen. Am besten wird es immer dann, wenn beides zusammenkommt, und das passiert in Welt aus Stein (The Fade).
Wobei Schauwerte an der Oberfläche hier nicht ganz zutreffend sind, denn in Chris Woodings kompaktem Fantasy-Drama steigt man in die Tiefe eines gewaltigen Höhlensytems hinab, eine bunte und imaginative unterirdische Welt, die mit den üblichen Zwergentunneln und Drachenhöhlen der Fantasy nicht viel gemein hat und ökologisch und kulturell weit ausgearbeitet ist: Während die Sonnen der Welt Callespa ein Leben an der Oberfläche unmöglich machen, haben sich unter der Erde Flora und Fauna, eigene Jahreszeiten und vor allem verschiedene Zivilisationen entwickelt – zu modernen Nationen, die sozial und kulturell etwa im Zeitalter des Imperialismus angelangt sind: Drogenhöhlen und Tanzclubs für die Adligen stehen neben Schlachten, die mit Schwert und Dolch ausgetragen werden, Intrigen schmiedet man in seltsamen Höhlengärten oder Palästen, die in die Stämme gigantischer Pilze geschnitzt wurden. Zwei Nationen – eine mit einem rigiden Kastensystem und viel Platz für Laster und Korruption, die andere mit Sklavenhaltung und einem gelehrten, religiös-künstlerischen Ideal – halten sich für die jeweils überlegene Kultur und sind in einen ewigen Krieg verstrickt.

Mitten darin – im Krieg und der Kastengesellschaft – befindet sich die Heldin, eine drahtige kleine Elitekämpferin, die sich das Prädikat ‘tough’ ausnahmsweise wirklich verdient hat. Diese derbe Ich-Erzählerin steckt jede aktuelle Kick-ass-Lady in die Tasche, denn sie bringt zusätzlich zur kämpferischen Qualifikation auch noch die richtige Geisteshaltung für ihren Job mit. Als Killermaschine, Mutter und Liebhaberin läßt sie sich von ihrem miesen Temperament und ihren Vorurteilen in so manche verfahrene Situation treiben.
Während Orna in der Erzählgegenwart im Gefängnis sitzt und aufgrund ihrer Situation gewollt verzweifelt, wird gleichzeitig ihre Vergangenheit aufgerollt. Chris Wooding hat damit eine psychologisch fein ausgearbeitete Heldin geschaffen, deren Verletzungen und Brüche sich nach und nach offenbaren – auch in ihrer fatalen Wirkung auf die Gegenwartshandlung. Konflikte zwischen Mutter und Sohn, Mann und Frau, und in Zweckgemeinschaften, aus denen sich Freundschaft entwickelt, zeichnen Orna in ihrer ganzen, aufrichtigen Widersprüchlichkeit und Selbstbezogenheit, die sie ihre eigene Situation im perfiden Verpflichtungssystem ihrer Gesellschaft nicht zur Gänze erkennen läßt, so daß sie ihren Haß nach außen projiziert und zum Instrument des ewigen Krieges wird.

In Welt aus Stein steckt daher eine Menge Gesellschaftskritik, die auch in der Weltschöpfung immer wieder aufblitzt: die High Society der mondänen, etwas heruntergekommenen Höhlenwelt ergeht sich in Mode-Sperenzchen und ist von gewöhnlichen Lebensproblemen völlig unbeleckt, aber Orna begegnet auch Freiheitskämpfern mit erschreckend wenig Ahnung vom echten Leben, und am anderen Ende der Skala einem schäbigen Giftmischer, der Frau und Kind ernähren muß, und noch größeren Verlierern einer Gesellschaft, die fast nur Verlierer produziert. Wem nicht bereits das an New Weird gemahnende Edward-Miller-Cover aufgefallen ist, der fühlt sich wahrscheinlich spätestens jetzt an China Miéville erinnert, und in diesem Kontext kann man Welt aus Stein durchaus einordnen. Das trifft auch auf die Sprache zu, denn da eignet sich der Roman eher für die Furchtlosen: Es wird ganz angepaßt an die Hauptfigur und ihre Gesellschaft ‘gefickt’ und geflucht, bis die Balken krachen, und wer davor noch nicht zurückschreckt, sollte sich darauf einstellen, daß weite Teile der Handlung im eher ungewöhnlichen Präsens erzählt werden. Im besten Fall verleiht das dem Text eine gewisse (der Action oft angemessene) Atemlosigkeit, aber leider wirkt es auch schnell künstlich und überkandidelt, was dem Autor, der hier Form über Gefälligkeit stellt, des öfteren passiert.
Denn die Präsens-Erzählung und die gleichzeitig eigenwillige Kapitelanordnung (los geht es mit Kapitel 30, Erzählgegenwart im Präsens und abwechselnde Aufarbeitung der Vorgeschichte im Präteritum werden dann jeweils abwärts und aufwärts gezählt) ist nicht nur eine innovative Spielerei, sondern klärt durch die Aufdeckung der Vergangenheit der Heldin über ihr Handeln in der Gegenwart und die tieferen Zusammenhänge auf und wirft immer wieder neues Licht auf ihre Entscheidungen, wie bei einem Mosaik, dessen Bild immer klarer wird, bis man nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen möchte.

Bis man von diesen feineren Themen und der geschickten Konstruktion, die eine große Sogwirkung entfaltet, ganz eingefangen ist, serviert Chris Wooding mit seiner im Gefängnis schmachtenden Heldin aber auch astreine Action und Spannung – ein turbulenter Gefängnisausbruch sorgt für Herzklopfen, und dann ist man auch schon mittendrin in dieser Geschichte von Rache und Mißverständnis, in einem tradierten Krieg, bei dem sich immer mehr die Frage stellt, wer eigentlich davon profitiert, und in der von diesem Strudel gefangenen, zerrissenen Heldin, die ihren eigenen Feldzug führt und dabei so viel zertrampelt, daß man der Geschichte eine gewisse Düsternis nicht absprechen kann, hin und wieder durchbrochen vom sardonischen Humor Ornas.
Ihre faszinierende Anti-Heldenreise durch verschiedene Milieus und Kulturen, ihre in mehrfacher Hinsicht finstere Höhlenwelt, in der sich doch hin und wieder ein glitzerndes Geheimnis findet, und ihre innere Werdung und Wandlung sind definitiv einen Blick wert, vor allem für entdeckungs- und experimentierfreudige Leser.

Cover von Wolfsmond von Stephen KingRoland von Gilead ist in Mittwelt noch immer auf der Suche nach dem magischen dunklen Turm. Mit seinen Gefährten gelangt er in den kleinen Ort Calla Bryn Sturgis, wo den Farmern auffallend häufig Zwillinge geboren werden. Doch seit Generationen überfallen Wolfsreiter das Dorf und rauben jeweils einen der Zwillinge. Wenn das Kind dann zurückkehrt, ist es geistig behindert. Als Andy, der Boten-Roboter, erneut einen Überfall angekündigt, erklären sich Roland und seine Freunde bereit, den hilflosen Farmern beizustehen. Dabei entdecken sie in einer Höhle des Dorfes eine geheimnisvolle Tür, die sich als Verbindung zur Erde und zu anderen Welten entpuppt. Die Freunde nutzen die Tür, um im New York des Jahres 1977 eine Rettungsaktion zu unternehmen …

-Hier in der Calla ernten die Wölfe Kleinkinder.-
Kapitel 5 (Die Versammlung der Folken)

Offensichtlich war Stephen King beim Schreiben dieses Buches gedanklich noch stark dem Vorgängerroman verhaftet, spielt die Handlung doch größtenteils abermals in einer an den Wilden Westen gemahnenden Umgebung. Das ist auch der größte Pluspunkt des Buches, denn damit kann King einen Großteil der Atmosphäre von Glas nach Wolfsmond (Wolves of Calla) hinüberretten. Nur vordergründig geht es um den Kampf Gut gegen Böse, auf einer tiefer liegenden Ebene behandelt King aber wiederum ein Grundproblem der menschlichen Gesellschaft. Ging es in Glas darum, ob die eigenen Prinzipien schwerer wiegen als ein geliebter Mensch, geht es in Wolfsmond um die Frage, wie man mit einer Entscheidung umgehen muss, bei der beide Auswahlalternativen schlecht sind.
Im Falle der Bewohner der Calla Bryn Sturgis bedeutet das: Sollen sie sich für die vermeintlich “sichere” Variante entscheiden und ein Kind für die Sicherheit aller opfern oder kämpfen und den Tod aller riskieren? Darf man so eine Entscheidung überhaupt über den Kopf der Betroffenen (nämlich der zu opfernden Kinder) hinweg treffen?
Das daraus resultierende moralische Dilemma der Hauptpersonen nimmt den größten Teil des Buches ein, was der Geschichte sehr viel Realitätsnähe verleiht und die Ausweglosigkeit der handelnden Personen spürbar macht. King ist eben immer dann am stärksten gewesen, wenn er weniger auf äußere denn auf innere Spannung setzt.
Die Glaubwürdigkeit der inneren Konflikte schließlich bereitet auch den Nährboden für das furiose Finale, das auch in seiner Konsequenz und Schonungslosigkeit dem von Glas kaum nachsteht.
Problematisch dagegen ist die im Laufe des Romans immer mehr in den Vordergrund rückende Schwangerschaft von Susannah. Zum einen kommt dieser neue Handlungsstrang recht unvermittelt und wirkt dadurch irgendwie gekünstelt, zum anderen lenkt sie stark von der eigentlichen Handlung ab. Richtiggehend störend wird der neue Faden zum Schluss des Romans, denn der folgende Cliffhanger hinterlässt den Leser frustriert und ratlos, was den großartigen Showdown des Romans konterkariert und entwertet.
Darüber hinaus total daneben: Die unfreiwillig komischen Gegenwartsbezüge (z.B. die Schnatz-Handgranate Marke “Harry Potter”).
Die Handlung erinnert übrigens nicht von ungefähr an den Filmklassiker Die glorreichen Sieben (seinerseits ein Plagiat des genialen Kurosawa-Streifens Die sieben Samurai), vielmehr stellt sie eine liebevolle Hommage dar an diese Meilensteine der Filmgeschichte, was ganz deutlich am Schauplatz der Geschichte abzulesen ist: Calla BRYN (Yul Brynner ist der Hauptdarsteller in Die glorreichen Sieben) STURGIS (John Sturges der Regisseur).

Y: The Last Man, 1: Unmanned von Brian K. VaughanYorrick telefoniert gerade mit seiner Freundin, die am andere Ende der Welt ein Praktikum in Australien macht, als eine nie da gewesene Katastrophe die Welt heimsucht. Durch eine Seuche ungeklärter Ursache fallen weltweit in Sekunden alle männlichen Lebewesen, von der Maus bis zum Humanoid, tot um. Nur Yorrick und sein Kapuzineräffchen Ampersand überleben. Doch was macht die beiden so besonders? Und was bedeutet eine Welt ohne Männer?

»It’s too late. It’s like this everywhere. My partner. My husband. All over the city. All over the world, maybe. It’s the men … All of the men are dead.«

Y: The Last Man (Y – The Last Man) ist ein ungewöhnliches und zugleich großartiges Endzeitszenario, wie es seinesgleichen sucht. Brian K. Vaughan, der auch in Pride of Baghdad (Die Löwen von Bagdad) sein Talent gezeigt hat, ernste Themen in Comicform erzählen zu können, ohne dabei Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen, stellt sich hier dem schwierigen Thema Patriarchat vs. Feminismus. Erstaunlicherweise macht er das so mühelos und lässt es so ungeplant erscheinen, dass einem die explosive Thematik angesichts des dramatischen Ereignisses zunächst gar nicht so recht entgegen springt. Denn vorerst ist der Leser geschockt von dieser speziesübergreifenden Seuche, die in Sekunden das Leben jedes männlichen Lebewesens beendet. Einfach so, mitten im Alltag ohne Vorzeichen oder Gründe zur Warnung. Erklärungsversuche reichen von der Entwendung eines magischen Artefakts bis hin zu wissenschaftlich umstrittenen Theorien.
Was wäre das aber nun für eine Welt, die ausschließlich von Frauen bevölkert wird? Ein utopisches Paradies ohne Kriege und Konflikte? Eine Ära des harmonischen Zusammenlebens? Würde die Sprache plötzlich genderneutral oder gar vollkommen feminisiert werden? Gehörten Kriminalität, Prostitution oder Machtspiele nun endlich der Vergangenheit an? Oder wäre all das am Ende nicht viel anders, weil Frauen und Männer sich gar nicht so sehr unterscheiden?
In Brian K. Vaughans Idee einer Welt ohne Männer ist eindeutig letzteres der Fall.

Manche/r LeserIn wird nun vielleicht (gelangweilt) denken »toll, noch ein Beitrag zur Feminismuswelle«. Lasst euch gleich sagen: Nein.
In Y: The Last Man lernen wir viel über die menschliche Existenz, deren Sehnsüchte, dunkelsten Geheimnisse, Stärken und Schwächen, die beide Geschlechter gleichermaßen teilen. Dieser Comic ist kein Gloriengesang an die Frauen und keine Ballade auf gefallene Helden. Es ist ein erschreckend trauriges Szenario für alle Beteiligten, wenn man sich mit Yorick und Agentin 355 auf die Ausmaße einlässt, aber kein hoffnungsloses. Es ist die Geschichte einer Gesellschaft, die von einem tragischen Ereignis unvorhergesehenen Ausmaßes erschüttert wird und sich nur langsam und holprig davon erholt, vor einer völlig neuen Situation zu stehen. Die zurückgebliebenen Frauen gehen ganz unterschiedlich mit dem Tod der Männer um. Viele weinen um den Verlust ihrer Väter, Söhne, Brüder und Partner. Andere fühlen sich von einer Jahrtausende alten Fessel des Patriarchats befreit und trauern trotzdem um ihre Lieben, wieder andere werden zu erbarmungslosen und radikalen Extremistinnen, die jede Erinnerung an die männliche Bevölkerung auslöschen wollen. Samenbanken werden niedergebrannt, Gedenkfeiern rüpelhaft gestört, Frauen, deren Gesinnung nicht purer Hass auf alle Männer ist, werden zum Feindbild solcher Extremistinnen. Andernorts gibt es Machtkämpfe um die Besetzung des Weißen Hauses, und dies sind nur die Anfänge einer Welt, die sich erst noch aus dem Chaos des plötzlich entstandenen Machtvakuums erheben muss, bis sie, Jahre später, zurück zur Normalität findet.

Mitten drin stecken nun der junge Yorick und sein Kapuzineräffchen Ampersand – die beiden letzten männlichen Geschöpfe auf Erden. Eingehüllt in weite Umhänge und eine Gasmaske, um zu verbergen, was er ist, ist Yorick wahrhaft allein, bis ihm die Agentin 355 zur Seite gestellt wird, um ihn sicher auf die andere Seite des Landes zu der Genetikerin Dr. Mann zu bringen. Yorick, der passenderweise nach Shakespeares Hofnarr in Hamlet benannt wurde, ist eine sehr ambivalente Figur. Er freundet sich nur langsam mit seiner Beschützerin an und mag die ganze Lage zunächst nicht recht akzeptieren. Mit seinen knapp zwanzig Jahren ist er oft noch unreif, impulsiv, doch ein liebenswerter Chaot, der manchmal völlig überfordert damit ist, der letzte Mann auf Erden zu sein, und oft wie ein verlorenes Kind wirkt. Manch einer wird sich im Scherz denken »der letzte Mann unter Milliarden von einsamen Frauen? Ja, super!« Doch so spaßig sieht Yorick die Lage höchstens ein paar Minuten lang, obwohl sein schlagfertiger Witz in der Regel für gute Unterhaltung sorgt und diese dystopische Erzählung auflockert. Doch der letzte seiner Art zu sein, seien wir ehrlich, das ist ein starker Tobak, den wohl niemand so leicht schluckt. Was Yorick in seiner mal stärker mal schwächer ausgeprägten Verzweiflung antreibt, ist seine Freundin Beth, die seit dem Ausbruch der Plage irgendwo im australischen Outback verschwunden ist und die er um jeden Preis finden will. Da mit dem Aussterben der Männer aber auch die Telekommunikation und die Infrastruktur weitestgehend zusammengebrochen sind, gestaltet sich sein Vorhaben als mühselig und schwierig. Im Laufe der Jahre wächst Yorick so vom Jungspund zum Erwachsenen heran, tauscht seine jugendliche Leichtigkeit gegen ein wenig Zynismus ein und entdeckt mit seinen Begleiterinnen Stück für Stück diese neue Welt, die ihm nicht immer freundlich gesonnen ist. Piratinnen, Drogenhändlerinnen, Geheimdienste, die ihre eigenen Ziele verfolgen, Sträflinge, Ex-Top-Models und etliche andere Frauen kreuzen ihren Weg. Die Frauen beginnen ihre Welt auch ohne Männer neu zu ordnen, eine Welt, in der Yorick immer mehr zu einem nicht benötigten, aber geduldeten Relikt wird. Es ist eine Verlagerung der Machtverhältnisse und eine spannende und abenteuerliche Jagd nach Antworten und Lösungen quer über den Globus, die von einer komplexen Story, starken Charakteren und Freundschaften, sprühendem Sarkasmus und popkulturellen wie literarischen Zitaten getragen wird. Lediglich an den häufig wechselnden Zeichenstil muss man sich gewöhnen, doch der Erzählung tut dies keinen Abbruch.

Y: The Last Man (Folge 1: Unmanned/ Entmannt) ist eine Comicreihe mit überraschendem Tiefgang und realistischen Überlegungen, die in nicht immer linearen Rückblicken erzählt wird. Ob alles wirklich genauso liefe, wenn die Männer plötzlich vollständig verschwinden würden? Man weiß es nicht, doch das Szenario ist nachhaltig, wirkt glaubhaft, menschlich und hält beiden Geschlechtern auf bewegende Weise und ohne Schuldzuweisungen vor Augen, wie ähnlich wir einander letztlich alle sind. Für dieses grandiose Gesamtgefüge gibt es eine unbedingte Leseempfehlung!

Cover von Das Zaubergift von Martin ScottEigentlich möchte Thraxas Ferien machen. Im Sommer ist es in Turai viel zu heiß, um zu arbeiten. Doch dann stürzt ein junger Mann in Thraxas’ Büro, der beschuldigt wird, einen stadtbekannten Bildhauer umgebracht zu haben und der den Privatdetektiv anfleht, seine Unschuld zu beweisen. Ein Hippiemädchen will Thraxas unbedingt engagieren, damit er ein paar Delphinen hilft und zwei Mönche beauftragen ihn, nach einer Statue zu suchen. Was bleibt unserem Helden übrig? Thraxas wirft seine Ferienpläne über Bord.

– Makri betritt die “Rächende Axt” mit dem Schwert an der Hüfte und einem Bündel Notizen aus ihrem Philosophiekurs in der Hand. Der Schweiß rinnt ihr in Bächen den Hals hinunter.-
1. Kapitel

Die englische Originalausgabe trägt den Titel Thraxas and the Warrior Monks. Dieser Titel entbehrt auch nicht einer gewissen Logik, denn der ganze Fall dreht sich um zwei rivalisierende Mönchsorden, die sich nach Art der Shaolin heftig bekämpfen. Wahrscheinlich haben sich aus diesem Grund die europäischen Verlage dazu entschlossen, diesen Titel in der jeweiligen Landessprache beizubehalten. Ob in Frankreich, den Niederlanden, in Rußland oder Polen, in ganz Europa stehen die kriegerischen Mönche auf der Titelseite. In ganz Europa??? Nein!!! Ein kleines starrsinniges Völkchen im Herzen Europas wehrt sich standhaft gegen einleuchtende Titel und verteidigt stur seine eigenartige Auffassung, daß der Titel und das Cover eines Buches mit dem Inhalt nichts, aber auch rein gar nichts, zu tun haben dürfen. Richtig geraten lieber Leser, das kleine aufrechte Völkchen, das sich so energisch der europäischen Einheit verweigert, ist der Blanvalet bzw. Goldmann-Verlag in Deutschland, der sich in seiner unerforschlichen Weisheit dazu entschlossen hat, als Titel des Romans ausgerechnet Das Zaubergift zu wählen. Kein Mensch in diesem Buch hat irgend etwas mit Zaubergift zu tun. Aber ich will nicht lügen: Sarin, die gnadenlose Mörderin, ist wieder am Werk. Sarin ist auch der Name eines Nervengiftes, das im zweiten Weltkrieg entwickelt, aber dann doch nicht als chemische Waffe eingesetzt wurde. Also wenn man es so sieht…

Für die Umschlaggestaltung ist das Design Team München verantwortlich, für die Umschlagillustration Schlück/Maitz. Es wäre interessant zu erfahren, warum man sich auch für ein Cover entschieden hat, das mit dem Roman nichts zu tun hat. Was haben die Drachen und dieser Jung-Siegfried-Verschnitt auf dem Titelbild zu suchen? Um Thraxas kann es sich nicht handeln, denn der ist fett und trägt sein blondes Haar zu einem Zopf gebunden. Und Drachen kommen in dem Buch genauso oft vor wie Zaubergift, eher seltener.

Die Namensgebung hat sich gegenüber dem ersten Band ebenfalls nicht verbessert. Neu sind der ermordete Bildhauer Rodinaax (ja, man bemüht sich auch das Bildungsbürgertum als Leser zu gewinnen), der des Mordes Verdächtige Gesox, die Jugendbande Kuul-Tiens und besonders geschmacklos ist die einmalige Erwähnung des hohen Bonzen des Gaststättengewerbes namens Juhnkar. Dem Fischhändler Iglox ist sein Name mittlerweile anscheinend so peinlich, daß er sich in Tranox umbenannt hat.
Schade, schade, schade. Wenn man das Glück hat, zehn zusammenhängende Zeilen lesen zu können, ohne daß man auf diese ach so originellen Namen stößt, dann merkt man, daß Martin Scott dem Leser eigentlich eine gelungene Parodie auf die alten Detektivromane der Schwarzen Serie bietet. Diese Reihe könnte dem Leser gute leichte Unterhaltung bieten, wenn der Verlag nicht mit aller Gewalt darauf hinarbeiten würde, das Lesevergnügen zu ruinieren.
Nehmen Sie es dem Autor nicht übel, der kann nichts dafür. Wenn es Ihnen möglich ist, lesen Sie das Original (obwohl die englischen Cover auch eine Qual für das Auge sind) und irgendwie habe ich den diffusen Verdacht, daß Sie mit der französischen, niederländischen, polnischen und russischen Ausgabe auch besser bedient sind als mit der deutschen. Deutsche Leser, bildet Euch weiter: Lernt Fremdsprachen!