Ungesehen und unerkannt haben außerirdische Wesen die Erde besucht; Zeugnis dafür sind sechs Gebiete auf der Erde, die durch ihren Besuch gezeichnet sind: fremdartige Gegenstände ohne erfassbaren Sinn liegen wie vergessene Abfälle über den Zonen verstreut. Während die Wissenschaft die Zonen und ihre Artefakte systematisch untersucht, versuchen illegale Schatzgräber, dem Gebiet seine geheimnisvollen Gebilde zu entreißen und auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Eine Zone liegt in der Stadt Harmont, und der Schatzgräber Roderic Schuchart scheut weder Gefängnisstrafen, noch die bewaffneten Patrouillen, noch die Gefahren einer Schatzjagd, wenn es darum geht, sich seine (finanzielle) Unabhängigkeit zu bewahren. Erst als seine Tochter, gezeichnet von genetischer Mutation, zur Welt kommt, ist Schuchart gezwungen, sein Handeln in Frage zu stellen.
Der Mensch ist zum Denken geboren.
– Letztes Kapitel
Fernab von maschinenzentrierten Fortschrittsutopien konzentriert sich der Roman Picknick am Wegesrand (Piknik na obotschinje) der Strugatzki-Brüder auf den Kern einer jeden Entwicklung: den Wunsch des Menschen, Unbekanntes zu verstehen und die Fähigkeit, die Realität an die eigenen Vorstellungen anzupassen, wenn nichts verstanden werden kann.
Die Bewohner der Stadt Harmont stehen schon bald völlig unter dem Bann dessen, was sie nicht verstehen. Roderic Schuchart ist einer von ihnen: er kennt die Regeln der Zone besser als jeder andere Schatzgräber, auch wenn er sie ebenso wenig wie alle anderen erklären kann. Die Artefakte der Zone sind primär eine Geld-, keine Erkenntnisquelle. Der Versuch, durch die Benennung der Artefakte dem Nichtweltlichen den Stempel der Menschheit aufzudrücken, kann als hilfloser Ersatz für Verständnis gedeutet werden. Fliegenklatsche, Hexensülze, Nullen – naive Übersetzungen des Unbegreiflichen in ein irdisches Vokabular. Der Benennungswahn findet seinen unheilvollen Höhepunkt im Kosenamen der Tochter Schucharts, der genau wie die zuvor genannten Begriffe nur das beschreibt, was der Mensch sehen kann – und in seiner grausamen Hilflosigkeit zeigt, dass der Mensch durch seine Unwissenheit zum blinden Weitermachen verdammt zu sein scheint.
Die Sucht nach Erkenntnis ist allen zu eigen, die sich mit den Geschehnissen in der Zone befassen – doch auf die dringlichste Frage für viele, was der Grund für den Besuch war, liefert ein alternder Physiker eine für seine Zuhörer nur unbefriedigende Antwort: vielleicht war es nur Unachtsamkeit, gepaart mit völliger Gleichgültigkeit für die Erde und ihre Bewohner. Keine versuchte Kontaktaufnahme, keine Begegnung, keine Wiederkehr der außerirdischen Besucher: es ist, als ob die Menschheit einfach nicht interessant genug war.
Doch während sich die Menschen im Kreis drehen in ihrer Suche nach Wissen, finden einige Gegenstände ihren Nutzen im Alltag. Attacks werden als Autoanlasser genutzt, Schwarze Splitter als exklusiver Schmuck um den Hals getragen. Auch von einem Nutzen der Artefakte für das Militär oder für die Wissenschaft ist die Rede; dieser Wunsch jedoch erscheint utopisch. Greifbarer sind ganz andere Erscheinungen, die in Erzählungen durch die Stadt spuken: Tote, die wieder auferstehen, der Vagabund Dick, die lustigen Gespenster; und nicht zuletzt die Goldene Kugel, jenes Artefakt, welches dem Finder alle Wünsche erfüllen soll. Hoffnung und Schrecken liegen nah beieinander, wenn es um die Zone geht, und das Grauen überkommt den Leser auf leisen Sohlen.
Krankheiten, genetische Mutationen und unheilbare Verletzungen sind die greifbaren Folgen des Besuchs. Deutlich subtiler ist die Veränderung des Geistes: der Alltag der Bewohner Harmonts ist geprägt von Rücksichtslosigkeit und beiläufiger Gewaltbereitschaft, von der Angst, verraten zu werden und von der Versuchung, andere zu verraten. Roderic Schuchart strebt nach Reichtum, nach Sicherheit, nach Frieden, doch sein Streben artet in eine umfassende Selbstentfremdung aus. Es ist die große Stärke dieses beklemmenden, außerordentlichen Romans, dass er den Menschen versteht, der seinerseits nicht einmal mehr sich selbst zu begreifen vermag. Schucharts Suche nach der Goldenen Kugel gibt seiner Hoffnung Ausdruck, mehr zu sein als ein bloßes Tier, auch wenn er nichts menschliches mehr in sich entdecken kann. Der Leser erfährt nur bruchstückhaft die Fährnisse des Lebens nach dem Besuch, doch mit jeder weiteren Seite wird deutlich: die wahre Unmenschlichkeit versteckt sich nicht in der Zone, sondern in dem Wesen des Menschen selbst.