Iron Council

Cover von Iron Council von China MiévilleEin Geschäftsmann aus New Crobuzon plant eine transkontinentale Eisenbahnlinie, und sie entsteht durch Tausende Arbeiter verschiedener Klassen und Rassen mit einem Tross an Huren und Glücksrittern hinter sich, auch Judah Low findet hier sein Auskommen. Doch New Crobuzon wird außenpolitisch bedroht, und nach einem Befreiungsschlag sind die Arbeiter plötzlich die neuen Herren, und aus dem Zug wird etwas wie ein eigener kleiner Stadtstaat, der Eiserne Rat, der durch seine Revolte den Hass der Obrigkeit von New Crobuzon auf sich geladen hat. Während es in New Crobuzon gesellschaftlich bereits zu brodeln beginnt, macht sich Cutter auf, seinen Geliebten, Judah Low, und den Eisernen Rat zu finden.

-In years gone, women and men are cutting a line across the dirtland and dragging history with them. They are still, with fight-shouts setting their mouths.-

Iron Council (Der Eiserne Rat) ist Miévilles dritter Bas-Lag-Roman. Auch, wenn die einzelnen Romane unabhängig voneinander zu lesen sind, so bietet sich Iron Council nicht unbedingt als Einstieg an, da es doch verhältnismäßig wenige Erklärungen zu New Crobuzon liefert und außerdem einige Anspielungen auf Perdido Street Station, den ersten Bas-Lag-Roman, für den Kenner oder die Kennerin bereithält.
Hatte in Perdido Street Station der Stadtmoloch New Crobuzon die düster-faszinierende Kulisse geliefert und in The Scar die schwimmende Piratenstadt Armada für Seefahrerflair gesorgt, so verleiht Iron Council der Bau einer Bahnlinie von New Crobuzon aus quer über den Kontinent Westernatmosphäre mit allem, was dazugehört: skrupellose Unternehmer, einsame Revolverhelden und selbstbewusste Prostituierte. Wie schon in The Scar wird die Welt außerhalb des autoritär regierten Stadtstaates New Crobuzon weiter erkundet. Die politische Landschaft bleibt zwar weiterhin eher schemenhaft, nimmt aber konkretere und bedrohlichere Formen an, das eigentliche Schmankerl des Romans in dieser Hinsicht ist aber die faszinierende Geographie, die Miéville wieder mit phantastischen Naturerscheinungen und Lebewesen füllt, aber auch mit einfallsreichen Kulturen, die unter die Räder des Eisenbahnexpansionismus geraten.

Besonders der Handlungsstrang rund um Judah Low, der die Vorgeschichte und die Entstehung des titelgebenden Eisernen Rats schildert, profitiert vom Wilder-Westen-Flair, aber auch von den interessanten Nebenfiguren. Die Suche Cutters nach seinem Geliebten dagegen leidet hauptsächlich unter dem spröden Protagonisten. Der dritte Handlungsstrang rund um den jungen Ori spielt dagegen in New Crobuzon und ist auf vielfache Weise mit den anderen beiden verwoben. Wieder lernt man die Metropole etwas besser kennen, andere Stadtviertel und Milieus geraten in den Mittelpunkt. Gerade die Figur des jungen, ebenso idealistischen wie ungeduldigen Ori, der die soziopolitischen Verhältnisse in seiner Heimatstadt unbedingt verändern möchte, und seine Geschichte tragen durch den Roman, auch weil sie eine andere Perspektive auf die zugrundeliegende Thematik politischer Veränderungen liefern.

Iron Council ist somit Miévilles bisher politischster Bas-Lag-Roman, ist allerdings weit davon entfernt ein Manifest zu sein. Wer mit der sozialen und politischen Thematik nichts anfangen kann, der bekommt zwar immer noch eine spannende und wendungsreiche Geschichte, wer sich aber auch nur ein wenig für gesellschaftliche und politische Themen und die Frage, wie man eine Gesellschaft gerechter machen kann (Reform oder Revolution?) interessiert, dem/der eröffnet sich eine zusätzliche Ebene des Romans, die ebendies vielschichtig behandelt, ohne eine endgültige Antwort liefern zu wollen. Das verdeutlicht auch das Ende, das einen genialen Kontrapunkt zu den sich zunehmend überschlagenden Ereignissen des Romans setzt und einen nachdenklich zurücklässt. (Weswegen wir es auch in einem Blog zum Thema “Buchenden” angesprochen haben.)

Neben den politischen Fragestellungen greift Miéville auch phantastische Ideen auf, diesmal ist es das Schaffen eines Golems, wobei das Konzept im Verlauf der Handlung weiter entwickelt wird und die Kontrolle über tote wie lebendige Materie (und anderes) im Mittelpunkt steht.
Wie auch schon in den vorangegangenen Werken ist Miévilles Stil ein zweischneidiges Schwert. Einerseits passt seine Sprachkraft wunderbar zu der von ihm erschaffenen Welt und es gelingt ihm mit seinem schon monströsen Wortschatz bildgewaltige Szenen zu erschaffen, andererseits wird das Lesen und Verstehen des Romans so selbst für geübte Leser/Leserinnen zu einer echten Herausforderung und der Grat zwischen überbordend und Schreiben um der Sprache willen ist schmal. Wer sich den Griff zum Original daher nicht zutraut, kann die Geschichte von Judah Low, Cutter und Ori in der deutschen Übersetzung Der Eiserne Rat (die erste ungesplittete Bas-Lag-Übersetzung) genießen.