Titelkatalog: b

Banewreaker von Jaqueline CareySeit Jahrhunderten haust der dunkle Herrscher Satoris in seiner Festung Darkhaven und brütet Armeen von Fjelltrollen und Weren aus, um die freien Völker zu versklaven. Aber eine Prophezeiung des Ersten Schöpfers Haomane besagt, daß Satoris vernichtet werden kann. Eine Verbindung zwischen Ellyl und Menschen ist der erste Punkt der Prophezeiung, und so planen Cerelinde, die schöne unsterbliche Herrin der Ellylon, und Aracus, der vertriebene König des Westens, zu heiraten, um die Erfüllung in die Wege zu leiten. Satoris, der sich seinem rachsüchtigen Bruder ewig widersetzt, versucht die Hochzeit zu verhindern und schickt seine drei Marschälle Tanaros, Vorax und Ushahin hinaus in die Welt. Er ficht einen verzweifelten Verteidigungskampf.

-The place was called Gorgantum.
Wounded once more, he fled there, and having fled, seethed. It was not a defeat, not wholly.-
Prologue

Wo andere Autoren sich damit begnügen, Tolkien-Epigonen zu sein, nimmt Jacqueline Carey im zweibändigen Epos The Sundering den Herrn der Ringe und Das Silmarillion auf, um mit den Themen und Aussagen Tolkiens zu arbeiten, mit seinen Figuren, seiner Weltschöpfung und seiner Interpretation von Gut und Böse. Wer Tolkien begeistert gelesen hat und sich schon lange eine Geschichte mit ähnlicher epischer Breite und mythologischem Hintergrund wünscht, wird bei The Sundering fündig werden. Vieles ist direkt entliehen, etwa die (ähnlichen) Namen und Aufgabenbereiche der der sieben Schöpfer, die ganz verdächtig Tolkiens Valar ähneln, genauso wie Carey ihre Ellylon auch gut und gerne als Elben hätte bezeichnen können. Auch sprachlich macht Carey bei ihrer Hommage eine gute Figur und beherrscht den epischen Stil, ohne ins Überkandidelte abzugleiten. Einen zweiten Herrn der Ringe hat sie allerdings trotzdem nicht erzählt.
Denn – und jetzt wird’s interessant – auch LeserInnen, die mit Tolkiens extremer Schwarz-Weiß-Malerei schon immer auf Kriegsfuß standen, die sich längst gefragt haben, ob Morgoth oder Sauron nicht doch nur Rebellen waren, und nicht die Verkörperung des absolut Bösen, bekommen hier eine interessante Variante der Geschichte aufgetischt. In erster Linie schaut man nämlich in Banewreaker (Der Herr der Dunkelheit) den überall anerkannten Bösewichten über die Schulter. Die alte Leier von Gut und Böse wird verdreht und undurchsichtig, wenn man sich plötzlich auf der Seite des großen Übels der Welt wiederfindet.

Haomane, der erstgeborene Schöpfer, der für Vernunft und rationales Denken steht, läßt seine Anhänger, die “guten” freien Völker, im besten Glauben gegen den ausgewiesenen Obermotz Satoris – einst ebenfalls einer der sieben Schöpfer, doch längst aufgrund seiner Widerspenstigkeit in Ungnade gefallen – in den Krieg ziehen, und das schon seit Jahrhunderten. Satoris, der für Leidenschaft und die fleischliche Zeugung von Leben steht, wird als mächtige, düstere Kreatur gezeichnet, die ein immerwährender Schmerz plagt und für die Rebellion gegen seinen Bruder bitter büßen muß. Verzweifelt kämpft er dagegen an, das zu werden, was die Welt in ihm sieht. Der Ansatzpunkt ist somit ein ganz anderer als bei Tolkien (und dem Großteil seiner Nachfolger).

Man verfolgt durchaus auch die Machenschaften der “guten” Seite, die sich voll im Recht fühlt, das Land vom Zerstörer zu befreien. Carey schafft dabei auf beiden Seiten faszinierende und sehr menschliche Charaktere (auch wenn eine ganze Reihe davon quasi-unsterblich ist, als würde man bei Tolkien nicht die Hobbits, sondern die Herren und Zauberer als Identifikationsfiguren anbieten), die Düsterlinge liegen ihr aber eindeutig mehr. Was durch diesen verwirrenden Standpunkt allerdings komplett wegfällt, ist das Böse. Widerlinge gibt es hier nicht, und alle Charaktere, egal welcher Fraktion, haben eine edle Seite, sie sind höchstens einmal starrköpfig und uneinsichtig oder verletzt an Körper und Geist – aber abgesehen von diesem immerwährenden Konflikt scheint die Welt Uru-alat von Schlechtigkeit relativ frei zu sein. Der dichte Reigen von Ereignissen mythischer Dimension verhindert allerdings, daß man vom Alltag der Welt (und ihrer etwaigen alltäglichen Schlechtligkeit) bis auf wenige Ausnahmen viel mitbekommt.

Ein wenig leidet die Intensität des Romans unter der Fülle von Figuren – man hätte sich gewünscht, ein wenig länger bei den Einzelnen verweilen zu können, statt gleich wieder zum nächsten aus der Riege überzugehen.
Dennoch ist Banewreaker ein großes Lesevergüngen für Fans von klassischer Fantasy. Wo es nötig ist, beherrscht Carey die epische Breite und hochtrabende Sprache und fängt so die Atmosphäre der mythischen Umwälzung der Welt sehr gut ein. Dabei bietet sie mehr Stoff zum Nachdenken – auch über die Konventionen der tolkienesken Fantasy – als ein weiterer Tolkien-Abklatsch, denn es wird deutlich, dass sie sich  ausführlich mit den Themen auseinandergesetzt und sie zu etwas Neuem verarbeitet hat. Die Vielzahl der verdrehten Anspielungen auf Tolkien zu entdecken, ist dabei noch das kleintse Vergnügen, das die Lektüre bereiten kann.

Percy Jackson: Im Bann des Zyklopen von Rick RiordanEin Jahr ist vergangen, seit Percy Jackson das letzte Mal im Camp Half-Blood war, und nur noch ein einziger Tag trennt ihn davon, ein ganzes Jahr lang nicht von einer Schule geflogen zu sein. Doch selbstverständlich kommt die Freude zu früh und die Monster zerlegen pünktlich zum letzten Schultag mit Feuerbällen die Turnhalle und lassen Percy zusammen mit dem Straßenjungen Tyson zum Camp Half-Blood flüchten. Dort angelangt offenbart sich Percy nicht nur das Sterben von Thalias Baum und ein nunmehr ungeschütztes Camp, sondern auch ein Ersatz für Chiron und ein Halbbruder …

– Mein Alptraum fing so an:
Ich stand auf einer verlassenen Straße in einem kleinen Ort am Meer. –
Mein bester Freund geht ein Brautkleid kaufen

Zu Im Bann des Zyklopen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Barbarendämmerung von Tobias O. MeißnerDer Barbar zieht durch ein nicht näher bestimmtes Land, das sich an seinen Rändern im Krieg mit den sogenannten Waldmenschen befindet. Auf seiner ziellosen Reise sieht sich der Barbar immer wieder mit der Dekadenz der Städte, ihren Regel- und Ordnungssystemen – die er weder teilt, noch nachvollziehen kann -, aber auch mit gefährlichen Monstern und sogar Heiligen und Göttern konfrontiert. Dabei wird er seiner Bezeichnung gerecht und zieht eine Spur der Verwüstung durch das Land.

-Menschen gaben sich diese Gesetze. Sie gaben sie sich selbst. Aber sie brachen sie auch. Nach eigenem Gutdünken.-
S. 258

Im Zentrum des Klappentextes zu Tobias O. Meißners Barbarendämmerung stehen vor allem die Rücksichtslosigkeit und Brutalität des titelgebenden Protagonisten, und tatsächlich nimmt die bildhafte Beschreibung von Gewalt und Grausamkeit recht viel Raum ein, die Stärken des Romans liegen aber vielmehr dort, wo den Abenteuern des Barbaren mehr abgewonnen wird als brutale Action.

Bis ungefähr zur Hälfte oder zwei Dritteln des Buches folgt auf ein in sich geschlossenes Abenteuer das nächste, sodass sich eher der Eindruck einer Sammlung von Erzählungen ergibt, auch wenn die Geschichten chronologisch aufeinander aufbauen und manchen kleinen Querverweis enthalten. Erst gegen Ende des Buches gehen die Episoden flüssiger ineinander über und sind nicht mehr für sich lesbar. Nachdem man sich aber über den Großteil des Romans auf Kapitel mit starker innerer Dramaturgie eingestellt hat, wirkt manches der abschließenden Kapitel mit überleitendem Charakter etwas belanglos, obwohl (oder vielleicht gerade weil) darin weiterhin die Regel von mindestens einem (mal mehr, mal weniger) ausführlichen Kampf pro Kapitel beibehalten wird.

Zwar lassen sich sämtliche Abenteuer flott lesen, vielleicht sollte man aber auch hier – wie bei Anthologien – immer mal wieder Pausen einlegen, um dem Repititionseffekt zu entgehen. Allerdings gibt es auch immer wieder besonders dichte Kapitel, die entweder mit ihrer Atmosphäre, der darin enthaltenen Figurenzeichnung und/oder über das Abenteuer hinausgehenden thematischen Gehalt punkten können. So fesselt etwa das Kapitel „ausSLöSCHeN“ den Leser/die Leserin mit der Verknüpfung vom Marsch durch einen Untoten-Sumpf mit retrospektiven Episoden. Grausiger Höhepunkt ist wohl die Kombination aus den Kapiteln „FReSSeN“ und „SauFeN“, die zeigt, dass nicht nur der Barbar in den Städten Chaos stiften kann, sondern auch die Städte im Barbaren.

Überhaupt gewinnt das Buch dort, wo es seinem Protagonisten etwas mehr Tiefe zugesteht, abseits des hypermaskulinen, naturverbundenen und non-konformen Barbarenklischees, dessen es sich bedient, und dem Verhältnis zwischen Barbar und StädterInnen mehr Ambivalenz verleiht. Denn das Barbarenklischee wird stellenweise ebenso dezent unterlaufen wie der damit verbundene Kulturpessimismus, der einem regellosen, „natürlichen“ Subjekt (dem Barbaren), die dekadenten und verweichlichten Städte gegenüberstellt. So etwa, wenn das Maß an Selbstdisziplinierung und -inszenierung erahnbar wird, das notwendig ist, damit der Barbar seine Wirkung erzielt, oder wenn klassisch kulturpessimistische Tiraden von einem egozentrischen und mehr auf Showeffekt, denn auf Wissenschaft schielenden Akademiker vorgetragen werden. Diesen Aspekten hätten gerne mehr Seiten gewidmet sein können, um den Abenteuern des Barbaren mehr Tiefe zu verleihen, denn das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Wertesystemen und die Geringschätzung der Städter für alles, was sie als unzivilisiert betrachten, wie die gleichzeitige seltsame Faszination, die dieses auf sie ausübt, wäre ein durchaus spannendes Thema, das hier allerdings zwischen allerhand Blutbädern eher untergeht als ausgearbeitet wird. Wie die Kapitelüberschriften zeigen, hat Tobias O. Meißner seine Freude an Experimenten nicht verloren, und in einem Kapitel kehrt er sogar der Prosa den Rücken.

The Battle of the Labyrinth von Rick RiordanDie Lage spitzt sich zu. Percy, Annabeth, Grover und Tyson bleibt keine große Verschnaufpause, denn ihr Erzfeind Luke hat einen neuen Plan, um das Camp Half-Blood zu vernichten und so den Weg zur Eroberung des Olymp freizumachen. Mit seiner Armee aus Monstern und Halbgöttern plant Luke durch das unterirdische Labyrinth in das Camp einzufallen. Doch unsere Helden scheuen natürlich wieder keine Gefahren, um Freunde und Götter zu verteidigen, stürzen sich mutig in das sagenumwobene Labyrinth des Minotauren und treffen auf Gegner, die stärker sind als alles bisher da gewesene.

– Nothing caps off the perfect morning like a long taxi ride with an angry girl. –
The underworld sends me a prank call, S.18

The Battle of the Labyrinth (Die Schlacht um das Labyrinth) beginnt geheimnisvoll mit vielen Andeutungen und zunächst nur halb verständlichen Wahrheiten. Allmählich zeichnet sich ab, dass ein Krieg zwischen Olymp und Titanen nicht zu vermeiden ist, und mittendrin stehen die Halbgötter und müssen sich für eine Seite entscheiden. Entsprechend düster ist auch die Grundstimmung des vierten Abenteuers von Percy Jackson & The Olympians, denn die Verluste in den eigenen Reihen mehren sich und hinterlassen einen bitteren Beigeschmack. Das wird vor allem in der zweiten Hälfte des Buches immer stärker deutlich. Doch Percy Jackson wäre nicht Percy Jackson, wenn er nicht auch noch im Angesicht des Todes einen kessen Spruch auf den Lippen hätte. So tritt der bisher lockere Humor zwar etwas weiter in den Hintergrund, auch dies fällt wieder besonders in der zweiten Hälfte auf, wird aber durch noch mehr zynischen und schwarzen Humor ersetzt. Für den Leser bleibt es also weiterhin zum Brüllen komisch, egal wie ernst die Lage ist.
Einzelne Inhalte von The Battle of the Labyrinth transportieren dementsprechend aber auch einiges an Tragik und genügend Gründe für einen Moment des Bedauerns. Nicht nur die Protagonisten werden älter und plagen sich neben der Monsterjagd auch noch mit ganz alltäglichen Problemen eines Teenagers, auch die Themen werden erwachsener und ein wenig herausfordernder.

Anders als im Vorgänger The Titan’s Curse (Der Fluch des Titanen) tauchen weniger neue Charaktere auf, das kommt den bereits bekannten Figuren zugute, deren Persönlichkeiten weiter ausgebaut werden oder eine größere Rolle als bisher einnehmen dürfen. Einen neuen Charakter gibt es aber, der sowohl tragend für diesen vierten Band ist, als auch interessante neue Entdeckungen offenbart. So laufen in The Battle of the Labyrinth verdächtig viele rote Fäden zusammen und sorgen für Aha!-Effekte.

Inhaltlich treten ebenfalls wieder verstärkt mythische Gestalten auf und man darf mit Freude feststellen, dass die Monster nun endgültig dazu gelernt haben. Sie fallen nicht nur nicht mehr auf die alten Tricks herein, nein – sie machen sich auch mit ironischer Selbstverständlichkeit darüber lustig, wenn man das Thema anspricht. Wenn man der Sphinx beispielsweise vorwirft, die gestellte Aufgabe sei aber nicht das Rätsel aus Ödipus’ Begegnung mit ihr, so antwortet sie hochnäsig, das sei eben der Grund, weshalb sie sich etwas neues einfallen lassen musste. Dieses neu Eingefallene sorgt dabei beim Leser für Lachtränen, doch die Details sollte jeder für sich selbst entdecken und werden hier nicht verraten.

Rick Riordan hat mit The Battle of the Labyrinth eine rundum stimmige Erzählung geschaffen und konnte wieder einige Schwächen aus den Vorgängern weiter verbessern. Auch verlagert er die Handlung aus der gewohnten Welt in ein unterirdisches Labyrinth, welches überall und nirgends mit der eigentlichen Welt verbunden ist. Die Dimensionen verschwimmen und Tunnelgänge funktionieren wie Wurmlöcher. Das Einzige, was The Battle of the Labyrinth fehlt, ist der obligatorische Minotaur, auf den man nach den Ereignissen in The Lightning Thief (Diebe im Olymp) trotz Labyrinth verzichten muss.

Unter dem Strich ist der vierte Band dieser Buchreihe etwas ruhiger und manchmal trauriger, dann aber doch wieder sehr humorvoll und auf jeden Fall eine Fortsetzung mit inhaltlich gestiegener Qualität. Das Buch spielt fast ausschließlich im Labyrinth und lässt ein wenig Abwechslung vermissen, bringt die einzelnen Handlungsstränge der Vorgänger dafür aber erstmals deutlich zusammen und lässt auf ein spannendes Finale hoffen.

Bearing An HourglassNorton verbringt einen Großteil seines Lebens außerhalb der Städte in Parks und geht den Menschen lieber aus dem Weg. Eines Tages erscheint ihm jedoch ein Geist, der ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Die frisch angetraute Braut des Geistes – Orlene – soll einen Nachkommen in die Welt setzen und Norton die Befruchtung übernehmen. Norton, zunächst wenig interessiert, stimmt jedoch zu, als er Orlene kennen lernt und sich in sie verliebt. Was zunächst mit einer glücklichen Zeit für die beiden beginnt, endet auf die schlimmstmögliche Weise und führt Norton direkt in seine Rolle als neuer Chronos, der sich rückwärts durch die Zeit bewegt.

– »Look at it this way: I have no physical body and I need an heir. I’m asking you to substitude for me in this one respect. After that you can go your way, with no further commitment. It’s like repairing my house for me, and I’ll pay you for the service–«
»Some service!« –
Kapitel 1: Ghost Marriage

Bearing an Hourglass (Der Sand der Zeit) ist der zweite Teil der Incarnations of Immortality mit Chronos, dem Vater der Zeit, als Hauptperson. Während der erste Band On A Pale Horse eher skurril und humorvoll daherkam, ist der vorliegende Band deutlich schwerfälliger, was sicher auch der tragischen Umstände zu verdanken ist, die Norton zum neuen Chronos werden lassen.
Selbstverständlich ist auch Satan wieder mit von der Partie und versucht den noch unerfahrenen Norton für sich zu gewinnen, dessen Fähigkeiten als Vater Zeit für sich zu nutzen und die Vergangenheit zu seinen Gunsten zu verändern. Im Verlaufe dieses Handlungsstrangs treffen wir wieder auf Zane als Gevatter Tod und dessen Gefährtin Luna, der es erneut an den Kragen gehen soll. Bis Chronos merkt, was er unwissentlich getan hat, ist es beinahe schon zu spät, und der Leser taucht in ein rasantes Endspiel ein.

Die Charaktere selbst sind wieder wunderbar gezeichnet, man erfährt viele Details aus dem Leben Nortons, der Funktion Chronos’, seinem Verhältnis zu den anderen Inkarnationen, aber auch einiges über diese selbst. Besonders interessant hierbei ist, dass Bearing An Hourglass keine typische Fortsetzung zu On A Pale Horse (Reiter auf dem schwarzen Pferd) darstellt, sondern sich eher wie ein Crossover liest. Die bekannten Figuren, die natürlich in beiden Romanen auftauchen, stellen zwar eine Gemeinsamkeit dar, daneben befasst sich jedoch jedes Buch der Incarnations of Immortality (Die Inkarnation der Unsterblichkeit) mit der jeweiligen Inkarnation und lässt geschehene Ereignisse aus dem Vorgängerband auf unterhaltsame Weise zu einem spät auftauchenden Nebenstrang werden. Dadurch lassen sich die einzelnen Bände dieser Reihe auch sehr gut außerhalb der Reihenfolge lesen, obwohl es für nette kleine Aha-Erlebnisse sorgt, wenn man sie beibehält.

Trotz dieser guten Ansätze kommt das Buch aber nicht so recht in die Gänge. Es ist keine leichte Unterhaltungslektüre, bei der die Seiten vor Spannung dahinfliegen, denn der deprimierende Beweggrund für Chronos, seine Position als Inkarnation einzunehmen, ist stets gegenwärtig, was ein lockeres Dahintreiben der Story recht schwierig macht. Da sich dieser Roman zusätzlich in verschiedenen Zeitlinien abspielt und das manchmal wichtige Realitätsveränderungen nach sich zieht, sollte man Bearing an Ourglass in aufmerksamem Zustand lesen, sonst verpasst man schnell einen für den logischen Ablauf wichtigen Punkt.

Das Einzige, was man Bearing An Hourglass neben einer leicht depressiven Grundstimmung negativ ankreiden muss, ist die stellenweise sehr träge Entwicklung der Handlung und ein paar störende, irgendwie unsinnig erscheinende Sequenzen, in denen Norton von Satan in eine Art Parallelwelt geschickt wird. Obwohl Piers Anthony hierfür viele nette Einfälle hatte und eindeutig Klischees des Genres durch den Kakao zieht, wirken diese Stellen manchmal etwas zu albern und letztlich auch überflüssig in ihren ausführlichen Schilderungen. Sie fügen sich nur mühsam in den Rest der Handlung ein, scheinen eher Seitenfüller als relevante Ereignisse zu sein und verhindern ein rundes Gesamtbild des Romans.
Fans etwas ungewöhnlicher Urban Fantasy mit Hang zur Science Fiction werden aber sicherlich weiterhin auf ihre Kosten kommen. Denn der Weltenbau ist, wie im Roman zuvor, interessant durchdacht, birgt ungewöhnliche Ideen, viel Fantasie, und hin und wieder kommt auch ein Spritzer Humor dazu. An die unterhaltende Qualität seines Vorgängers kommt Bearing An Hourglass aber nicht ganz heran.

Cover von Das Bernstein-Teleskop von Philip PullmanMrs Coulter hält Lyra in einer Höhle im Himalaya gefangen. Sie versetzt das Mädchen mittels Drogen in einen permanenten Tiefschlaf. Lyra träumt von Roger, der sich im Land der Toten aufhält und sie um Hilfe anfleht.
Zur gleichen Zeit begibt sich Will auf die Suche nach seiner Freundin. Doch noch ein anderer ist unterwegs: Pater Gomez, der vom Geistlichen Disziplinargericht ausgeschickt wurde, um Lyra zu ermorden.

-In einem von Rhododendren überschatteten Tal nahe der Schneegrenze, durch das schäumend ein Bach mit grünem Schmelzwasser floß und unter dessen gewaltigen Pinien sich Tauben und Bergfinken tummelten, lag unter einer Felsnase, halb versteckt hinter den schweren, harten Blättern der Büsche, eine Höhle.-
Die verzauberte Schläferin

Wie die ersten beiden Bände so besticht auch Das Bernstein-Teleskop (The Amber Spyglass) durch seine Komplexität. Das Buch ist gespickt mit literarischen Anspielungen, aber diesmal ist es für den Leser nicht sonderlich schwierig herauszufinden, worauf Phillip Pullman sich bezieht, denn er gibt in seiner Danksagung zu, daß er Ideen aus jedem Buch gestohlen hat, das er gelesen hat und daß er sich besonders durch Kleists Über das Marionettentheater, durch Blakes Werke und durch Miltons Paradise Lost hat inspirieren lassen. Außerdem bezieht er sich auf die Bibel und auf die griechische Sagenwelt. Soviel für die Literaturinteressierten, die selbst nachlesen möchten, woher Pullman seine Ideen schöpft.
Man muß die Quellen aber nicht kennen, um die Geschichte zu genießen, wobei “genießen” eindeutig das falsche Wort ist. Der Schluß der Trilogie ist traurig. Es gibt zwar Hoffnung, doch kein Happy End. Großen Raum nimmt das Thema “Tod” ein, die Passagen die davon handeln sind oft düster und beklemmend. Das Bernstein-Teleskop ist völlig ungeeignet, wenn man an trüben Herbsttagen eine Lektüre sucht, um seine Stimmung aufzuheitern. Außerdem kann es religiöse Gefühle verletzen. Verschenken Sie die Trilogie also nicht ungefragt an jemanden, der einen strenggläubigen christlichen Hintergrund hat. Auch Anhänger anderer monotheistischer Religionen könnten sich verletzt fühlen. Diese Punkte tun der hervorragenden Qualität des Buches jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie tragen zu der Klasse der Geschichte bei. Der interessanteste Charakter ist Mrs Coulter. Bis zum Schluß fragt sich der Leser, ob sie Lyra der Kirche ausliefern wird oder ob sich in ihrer schwarzen Seele nicht doch so etwas wie Mutterliebe für ihr Kind regt. Besonders gelungen ist Pullman die Beschreibung der Welt der Mulefas, einer ungewöhnlichen Tierart. Hingegen stört es etwas, daß der Autor es sich nicht verkneifen konnte, seine Botschaft ziemlich plakativ an den Leser zu bringen. Wahrscheinlich war er sich nicht sicher, ob Kinder und Jugendliche die Moral von der Geschichte verstehen, wenn er sie nicht explizit ausspricht.
Das halbe Sternchen Abzug gibt es für die unnötige Darstellung von Grausamkeiten: Klippenalpe reißen einem Fuchs den Kopf ab, Mrs Coulters Dämon, der goldene Affe, zerreißt eine Fledermaus bei lebendigem Leibe und König Iorek frißt die Leiche eines seiner Freunde. All diese Episoden sind nicht motiviert, sie sind weder für den Fortgang der Handlung nötig, noch werden sie gebraucht, um die Protagonisten zu charakterisieren. Es gibt noch genug Gewaltszenen, die durch die Geschichte bedingt sind, so daß Pullman auf diese billige Effekthascherei gut hätte verzichten können.
Noch ein Hinweis: Wie mehrmals erwähnt, ist Das Bernstein-Teleskop der dritte Band einer Trilogie. Man kann die Geschichte nicht verstehen, wenn man die ersten beiden Bände nicht gelesen hat. Wenn Sie sich für diese Reihe interessieren, fangen Sie also bitte mit Der goldene Kompaß (Nothern Lights/The Golden Compass) an. Auch sollte man die Bücher ihrer Komplexität wegen relativ schnell hintereinander lesen. Läßt man sich dazwischen zu viel Zeit, kann es passieren, daß man den Faden verliert

Bettler in Spanien von Nancy KressDer schwerreiche Roger Camden will für die geplante Tochter nur das Beste, das heißt, die neuesten und vielversprechendsten genetischen Modifikationen. Und so neu, dass es eigentlich noch im Teststadium ist, ist die Ausschaltung des Schlafbedürfnisses. Doch bald wollen mehr Eltern diese Modifikation: Die Kinder sind leistungs- und lernfähiger, da die nutzlos verbrachten Ruhestunden wegfallen, und anderen in jeglicher Hinsicht überlegen.
Doch Leisha Camden, die mit einer Schwester ohne die Modifikation aufwächst, lernt bald die Schattenseiten kennen: Die gewöhnlichen Menschen kommen nicht besonders gut mit den überlegenen Veränderten zurecht, und die »Schlaflosen« ängstigen sie zutiefst.

-Sie saßen steif auf seinen antiken Eames-Stühlen, zwei Menschen, die gar nicht hier sein wollten – besser gesagt, eine der beiden Personen wollte es nicht, und die zweite ärgerte sich über das Widerstreben der anderen.-
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Nancy Kress betrachtet in ihrer SF vorrangig weder technologische Entwicklung, noch schaut sie hinaus in ein größeres Universum – ihre Spezialität ist der Mensch unter veränderten Bedingungen, und Bettler in Spanien (Beggars in Spain), der Roman, mit dem ihr der Durchbruch gelang, ist dafür ein Paradebeispiel. Er basiert auf einer gleichnamigen Novelle, die mit Hugo und Nebula Award ausgezeichnet wurde und immer noch den besten Teil der längeren Fassung darstellt – in den ergänzten Abschnitten werden dieselben Konflikte lediglich auf eine andere Ebene gehievt, wobei sich das vielschichtige Grundthema durchaus für eine mehrteilige Betrachtung anbietet. So kann Kress fein herausarbeiten, woraus sich das Menschliche konstituiert und die Reaktionen – gesellschaftliche und individuelle – auf das Andere, oder vielmehr das Bessere in Form der Schlaflosen ausloten. Die Befremdung und schließlich Bedrohung, die die gewöhnlichen Menschen in ihnen wahrnehmen, lässt wohlbekannte Prozesse ablaufen, die sowohl aus dem Umgang mit Fremden allgemein als auch aus der etwas spezielleren Form der Intellektuellenfeindlichkeit abgeleitet sind.

Als LeserIn verfolgt man dabei hauptsächlich Leisha Camden, die erste Schlaflose, und für sie ist die gesellschaftliche Grundhaltung eher ein mal stärkeres, mal schwächeres Hintergrundraunen, denn für die Schlaflosen selbst ist der Leistungsgedanke das bestimmende Element. Wo er hinführen kann, wenn durch eindeutige Überlegenheit Tatsachen geschaffen werden und Leistung gleichzeitig als Rechtsgrundlage dient, ist ein sehr beunruhigendes Gedankenexperiment, das zwar einerseits ein Kind seiner Zeit ist (die »Leistungsgesellschaft« bekam in den 90ern erstmals große Medienpräsenz), andererseits aber auch visionär und immer noch (oder erst recht?) gültig.
Von der anderen Seite der Medaille, den Bevölkerungsmassen, deren Leistung, aber auch Empathie im Großen und Ganzen geringer ausfällt, wird kein weniger pessimistisches Bild gezeichnet.
Aus diesen beiden Polen, den sich aufschaukelnden gesellschaftlichen Konfliktherden und dem Sicherheitsbedürfnis der Privilegierten, entwickelt sich vor allem im ersten Teil von Bettler in Spanien eine hochspannende Dynamik, in der gemäßigte Stimmen zunehmend untergehen.

Die Figuren, sowohl gewöhnliche Menschen als auch Schlaflose, sind wie bei Kress üblich keine uneingeschränkten Sympathieträger, sondern sehr anfällig für Fehler: ob fanatisch, gleichgültig, egoistisch oder fehlgeleitet, hier wird die ganze Bandbreite menschlicher Irrungen abgedeckt. Leisha Camden, die Protagonistin und der »Prototyp« der Schlaflosen, ist allerdings eine faszinierende Figur – ein perfektes Geschöpf, das durch Gen-Engineering nicht mehr ganz menschlich ist, aber als diejenige, aus deren Perspektive erzählt wird, sehr viel Menschlichkeit zeigt, ja sogar krampfhaft danach sucht.
An ihren Hauptfiguren untersucht Kress auch familiäre Strukturen, ihre langjährige Wirkung, ihre letztliche Auflösung: in der Familie der Camdens und als Gegenentwurf bei den (meist) deutlich negativer geprägten Sharifis, einer radikaleren Schlaflosen-Familie. Ambitionierte Eltern in einer ambitionierten Gesellschaft sind dabei immer ein Punkt, an dem die Brüche und Verwerfungen ihren Anfang nehmen.

Die Zukunftswelt an sich bleibt (inklusive der handlungstreibenden Gentechnik) relativ unentwickelt, Kress denkt hier eher grobe Richtungen an, ohne Details zu liefern – die Fragen, die sie stellt, sind immer die gesellschaftlichen: Die Machbarkeitsfantasien der Gentechnik werden von ihr genau an die Grenze getrieben, an der das Resultat so fremd wird, dass die Option trotz ihrer Vorteile nicht mehr in Frage kommt – und an der die künstliche Evolution auch zu einer gesellschaftlichen führt, zu einer Weggabelung, an der Systeme auseinanderdriften, weil (gefühlt) die Gemeinsamkeiten fehlen, vor allem in Bezug auf die Leistungsunterschiede. Dass dieser Schritt keiner Genforschung bedarf, muss nicht ausgesprochen werden, denn das Bettler-Motiv zieht sich durch den ganzen Roman.
Nancy Kress’ Schlaflose sind eine jener genialen SF-Ideen, die Faszination und Relevanz in sich vereinen, und in Bettler in Spanien hat sie die Spannung, die das Thema bietet, im Rahmen von Leishas Lebensgeschichte optimal genutzt. In den einzelnen Abschnitten des Romans lässt sich durch Zeitsprünge eine langfristige gesellschaftliche Entwicklung verfolgen, und diese ausführliche Auseinandersetzung mit der Thematik gewährleistet einen tiefen Einblick in die Konflikte, die zwischen Eliten und dem Rest der Gesellschaft entstehen, allerdings, ohne eine Stellung zu beziehen oder das Grundproblem aufzulösen.

Die Bienenkönigin von Thomas Burnett SwannDie Vestalin Rhea, eine Tochter des ehemaligen Königs von Alba Longa, wird zum Tode verurteilt, nachdem sie Zwillinge geboren hat. Auch ihre Söhne sollen getötet werden, doch der damit beauftragte Hirte erbarmt sich ihrer und setzt sie aus. Sie werden von der Dryade Mellonia gerettet, die sie zusammen mit der Wölfin Luperca versorgt. Als Romulus und Remus junge Männer geworden sind, wollen sie den Tod ihrer Mutter rächen und den Thronräuber von Alba Longa vertreiben.

-Aber eine Schnecke taugt auch nicht viel, nicht wahr? Aber sie kriecht, sie schwenkt die Fühler und bringt uns zum Lachen, sie hinterlässt eine silberne Spur, und wenn sie stirbt, eine hübsche Muschel, wie Perlmutt. Ich würde eine Welt ohne Schnecken hassen.-

Thomas Burnett Swann ist der einzige Fantasy-Autor, der sich mit Leidenschaft und großer Kenntnis der Mythologie der Antike verschrieben hat. Leser, die sich wünschen, dass es schnell und eindeutig zur Sache geht, sollten den Autor abhaken, denn sie werden mit seinen lyrischen und verspielten Versionen der Sagen des klassischen Altertums, angesiedelt in pastoralen Landschaften voller Fabelwesen, die einem anderen Zeit- und Werteverständnis als die Menschen folgen, nicht gut bedient. Die mythologische Fantasy von Swann funktioniert am Besten für Freunde von Geschichten voller funkelnder Details, Szenen von großer Wärme und einer generellen Wertschätzung des Wie vor dem Was einer Geschichte.

Die Bienenkönigin (Lady of the Bees) ist eine Erweiterung der älteren Kurzgeschichte Der Feuervogel und bereichert diese um einige Aspekte, wie etwa Abschnitte, die aus der Sicht der Dryade Mellonia erzählt werden – abwechselnd mit Sylvan, einem jungen Faun. Der von Swann häufig gewählte Kunstgriff, Fabelwesen als Erzähler zu nutzen, ist durch diese Dualität, die sich auch in anderen Aspekten durch den Roman zieht, besonders gelungen: Sylvans Sorglosigkeit steht die Komplexität und Altersschwere der ewig jungen Dryade entgegen, mit der Weiterentwicklung der Geschichte und ihrer Figuren kehrt sich das Verhältnis jedoch um.

Swanns Antike ist ein goldenes Zeitalter im Herbst: Die Helden blicken selbst auf eine glänzendere Zeit zurück und sind sich bewusst, dass sie einer ausklingenden Ära angehören, dass die Magie im Niedergang begriffen ist, wodurch die Geschichte stets ein Hauch der Melancholie durchweht.
Der Stil, der damit einhergeht, ist üppig, schwelgerisch, selbst in der teilweise suboptimalen Übersetzung, die aus den fließenden, poetischen Sätzen manchmal etwas sperrige Konstrukte macht. Wie kaum ein anderer Autor schafft Swann diesen Balanceakt in einer Welt, in der sich Faune im Wald tummeln und Frauen Brüste wie Melonen haben können, ohne dass der Text überladen oder unpassend wirkt.
Hintergründiger Witz lockert die Erzählung ebenso auf wie eine teils subtile, teils direkte Frivolität, wie man sie auch bei Catull oder Ovid finden könnte. Die zivilisationsfernen Erzählstimmen von Sylvan und Mellonia, die zunächst keiner menschlichen Moral folgen, lassen trotzdem keine Zweifel daran, wo im Einzelnen Gut und Böse zu finden sind, wo die Grenze verläuft zwischen Objektivierung des Gegenüber und Respekt vor dem Anderen. Auf beinahe jeder Seite strahlt eine Wärme aus der Geschichte, die ihresgleichen sucht: Sei es in der unbescheiden-drolligen (Selbst-)Beschreibung des Fauns, bei den Details, mit denen die Waldtiere auftreten, oder der Verehrung von unbedeutend scheinenden Göttern.

Die Handlung von Die Bienenkönigin ist in drei Sätzen erzählt und weder komplex noch neu, doch sie entfaltet sich trotzdem wie eine griechische Tragödie vor dem Leser, die unaufhaltsam einem Punkt entgegenstrebt, der durch Figurenkonstellation und Umstände vorgegeben ist. Die Geschichte von Romulus und Remus ist bekannt, der Konflikt der Zwillingsbrüder spielt sich allerdings fast immer unterschwellig ab, steht stellvertretend für zwei Wege, die die Menschheit einschlagen kann: einen harmonischen Weg mit der Natur und einen Weg der Gewalt, der sich durch seinen aktionistischen Charakter immer durchsetzen kann. Ein richtiger Kampf wird daraus so gut wie nie, denn der sanfte Weg von Remus ist dafür zu nachgiebig und lässt die Eskalation umso gravierender ausfallen.

So alt und vertraut der Mythos auch ist, Swann ist weit davon entfernt, einen antiken Einheitsbrei vorzusetzen – in seiner Welt ist eine ganze Bandbreite von Einflüssen sichtbar, von den Etruskern über die Minoer bis hin zum fernen Osten, Verbindungen zu anderen Swann-Werken wie der Minotaurus-Trilogie werden deutlich und vermitteln zusammen mit der fiktiven Geschichtsschreibung, von der in der Palmenblatt-Bibliothek in Die Bienenkönigin die Rede ist, ein zusammenhängendes Bild einer fiktiven, mythischen Antike.

Die lyrische Ästhetik findet sich bei Die Bienenkönigin nicht nur im Stil, sondern auch in den Beschreibungen dieser Welt, in der Mythen Wahrheit sind. Der vielbeschworene Sense of Wonder stellt sich auf unspektakuläre, beinahe spielerische Art und Weise ein, durch das Pendeln zwischen Heiterkeit und Melancholie, durch das Fernweh in eine geträumte Vergangenheit, deren Schleier Swann in seinen Romanen ein wenig lüften kann.
Die Besonderheit von Die Bienenkönigin lässt sich leichter erfahren als beschreiben, denn wenn man behauptet, dass jede Seite Freude beim Lesen macht, wird man dem Roman zwar durchaus gerecht, hat aber doch viel zu wenig gesagt. Wer Silberglocken hören und seidige Faun-Schwanzquasten spüren will, sollte sich im Antiquariat auf die Suche machen und trotz des fragwürdigen Covers einen Blick wagen.

Bitter Seeds von Ian TregillisIm Jahr 1939 wird der britische Agent Raybould Marsh Zeuge eines mysteriösen Vorgangs: Er verliert einen Informanten in einem Flammeninferno und sieht kurz darauf eine Frau, an deren Kopf Drähte angeschlossen sind. Bald wird klar: Die Deutschen verfügen über eine neue Waffe – Menschen mit übernatürlichen Kräften. Dieser Bedrohung müssen die Briten etwas entgegensetzen, und zum Glück erinnert sich Raybould an einen Freund, der behauptet, zu einer langen Tradition britischer Hexenmeister zu gehören. Doch sowohl die Zauberkunst, bei der man im glücklichsten Fall mit einem Blutopfer davonkommt, als auch die Kräfte der Übermenschen, die unter schrecklichen Schikanen ausgebildet werden, haben einen Preis.

-Murder on the wind; crows and ravens wheeled beneath a heavy sky, like spots of inks splashed across a leaden canvas.-
Prologue, 23 October 1920, 11 kilometeres southwest of Weimar, Germany

Nazi-Superhelden gegen britische Geheimagenten und Okkultisten, die mit cthulhoiden Mächten Verträge aushandeln, das klingt eher nach einem Comic als nach literarischer Phantastik, und das nicht nur, weil die Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht gerade ein Setting ist, das häufig zum Schauplatz von Fantasy-Romanen wird. Sämtliche Trash- und Fun-Assoziationen werden allerdings ausgeräumt, sobald man die Prämisse von Bitter Seeds erkannt hat: Der Roman nimmt diese Rahmenbedingungen bitter ernst und zieht sie konsequent durch.
Ian Tregillis versucht das Ungetüm Krieg zu erfassen, und die Überzeichnung mit den durch Willenskraft, Gehirnverdrahtung und brutales Aussieben und Training herangezüchteten Übermenschen und den in ihrer geheimen, verschleißreichen altehrwürdigen Tradition im Grunde nicht minder schrecklichen Hexenmeistern lässt letztlich nur zu Tage treten, was für kriegerische Zeiten ohnehin symptomatisch ist: Die Entmenschlichung des Gegners, gestützt von Völkerhass und Rachegefühlen, das Aufschaukeln der Kriegshandlungen, die Härte bzw. erzwungene Abhärtung der Entscheider und andere Mechanismen werden akzentuiert herausgearbeitet.

Gerade der letzte Punkt tritt durch die klassische Figurenzeichnung stark hervor, wenn die Protagonisten der jeweiligen Partei bei ihrem Werdegang und im Laufe der Romanhandlung abwechselnd begleitet werden: Will Beauclerk, der adlige Lebemann, der hart mit der Realität des Übernatürlichen kollidiert, als sein Land (und vor allem sein bester Freund) magischer Fähigkeiten bedürfen und ihn zum Organisator des Zusammenschlusses der eigenbrötlerischen britischen Hexer machen. Auf der Gegenseite sind es der ambitionierte Klaus, der substanzlos durch Wände gehen kann, und seine Schwester Gretel, ein undurchschaubares, aber für die Führungsriege unverzichtbares Orakel, deren Schicksal man verfolgt. Und dazwischen schließlich Raybould Marsh, der Agent ohne besondere Kräfte, der ein immer größeres persönliches Interesse an dem Konflikt entwickelt (was bestens mit seiner Aufgabe beim Staat einhergeht) und durch seinen kompromisslosen Einsatz mindestens genauso zeigt, welchen Preis kriegerische Gewalthandlungen vom Einzelnen und der Gesellschaft fordern – diese unschöne Gleichung macht Bitter Seeds auf sehr anschauliche Weise immer wieder sichtbar.
Dabei bleiben auch beide Seiten nachvollziehbar, und man könnte nicht einmal eindeutig sagen, dass die Superhelden als vollkommener Ausdruck der Nazi-Gesinnung eindeutig die schrecklichere Variante sind.

Tregillis hat auch daran gedacht, den titanischen Kräften, die er ins Spiel bringt, Begrenzungen aufzuerlegen. Während die Übermenschen stets nervös ihren Batterie-Ladestatus im Auge behalten müssen, sind die Hexer eher in Sorge um ihre Gliedmaßen und ihren Geisteszustand. Das führt neben der starken historischen Einbettung dazu, dass übernatürliche Kräfte nicht nur kreativ und klug geplant eingesetzt werden, sondern auch zu einer realistischen und glaubhaften Darstellung dieser Fähigkeiten, die man beinahe wie Raybould Marsh und sein Vorgesetzter zunächst wie auf verwackeltes Zelluloid gebannt vor sich sehen kann.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass in Bitter Seeds zwar historisches Kriegsgeschehen Eingang gefunden hat, das aber im Verlauf der Geschichte in einen stark veränderten Alternativentwurf mündet. Für den Wiedererkennungswert setzt Ian Tregillis vor allem auf Elemente, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind (etwa die Evakuierung der britischen Kinder aufs Land).

Die Ereignisse des Romans – Entscheidungen, Kämpfe, schicksalshafte Begegnungen – sind beinahe zu perfekt aneinander gereihte Streiflichter, ineinandergreifende Einzelszenen, die sich unweigerlich zur Katastrophe aufschaukeln. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade die Figurenhintergründe noch etwas besser hätten ausgeleuchtet werden können. Besonders Marsh, die “gewöhnliche” Identifikationsfigur, die in ihren ganz eigenen Abgrund taumelt, wirkt seltsam distanziert, und der maßgebliche Einfluss, nämlich sein Familienleben, bleibt letztlich eine Chiffre – aber vielleicht war auch kein Gegenpol zu dem grimmigen Schlagabtausch gewünscht.
Richtig glänzen kann Ian Tregillis vor allem in der Beschreibung des Schrecklich-Erhabenen: Wenn die Eidolons ihre Aufwartung machen, jene Wesenheiten, die seine John-Dee-Nachfolger für die Verteidigung des Königreichs heraufbeschwören, wächst er bei der Beschreibung dieser fremdartigen Präsenzen über sich hinaus.
Nicht nur ihretwegen, sondern auch aufgrund der Handlungen der fast ebenso unheimlichen Gretel, die anhand ihrer Visionen die Zukunft völlig skrupellos, aber dennoch mit dem berühmten Schmetterlings-Flügelschlag formt, lautet die Frage, die Bitter Seeds am Ende stellt, weniger: wer handelt den Preis für den Sieg aus und wer bezahlt ihn?, sondern: wer kontrolliert die entfesselten Mächte eigentlich wirklich?

Der zweite Band der Trilogie widmet sich, wie der Titel The Coldest War bereits ankündigt, einer späteren Epoche des Konflikts, so dass Bitter Seeds auch ein halbwegs abgeschlossenes Leseerlebnis bietet.

Blackbirds von Chuck WendigMiriam Black hat eine dunkle Gabe: sie kann Zeit und Art des Todes eines Menschen sehen, sobald sie dessen Haut berührt. Verhindern konnte sie einen Tod nie. Meist sieht Miriam sie im hohen Alter sterben, manche verunglücken bei einem Unfall, selten beobachtet Miriam einen Mord. Als sie den hilfsbereiten Trucker Louis trifft, sieht sie jedoch genau das – Louis’ brutale Ermordung in wenigen Wochen. Was sie jedoch am meisten schockiert, ist, dass sie dabei sein wird, wenn es passiert. Was hat das zu bedeuten und hinter wem sind die Killer wirklich her? Kann Miriam seinen Tod verhindern, wenn sie sich von ihm, so weit es geht, fernhält? Oder steht das Schicksal fest geschrieben und jeder Versuch, es zu ändern, muss scheitern?

»Es ist dein Schicksal, an deines eigenen Mundes Fleisch zu ersticken, hier in diesem gottverfickten Motel am Arsch der Welt. Ich würde ja etwas tun, wenn ich könnte, aber ich kann nicht. Würde ich dir die Brieftasche unter die Zunge schieben, würde ich die Zunge wahrscheinlich nur tiefer reindrücken. Weißt du, meine Mutter hat immer gesagt: ›Miriam, es ist, wie es ist.‹ Und so, Del Amico, ist es.«
– Der Tod von Del Amico

Blackbirds ist der Auftakt einer Reihe, die allen Roadmovie-Fans das Herz höher schlagen lassen wird. Meist in der Perspektive der abgebrühten Miriam wird der Leser in eine Achterbahn von Ereignissen geworfen. Ehe man es sich versieht, jagen Drogendealer und Killer sie quer durchs Land und metzeln alles nieder, was ihnen in den Weg kommt. Es wird mit Wonne gefoltert und zwar auch gerne mal mit Ausführungen des Täters. Es wird zwar nicht zum Splatter-Roman, doch man sollte nicht zu zart besaitet sein, wenn man Blackbirds lesen möchte.

Der Roman beginnt mit Miriam, die in einem schäbigen Hotel dem bevorstehenden Tod eines wirklich unsympathischen Scheißkerls beiwohnen möchte – nunja, „möchte“. Vielmehr fühlt sie sich verpflichtet, schließlich hat sie seinen Tod bereits gesehen, außerdem hilft ihr das Bargeld in seinen Taschen dabei, ein paar Tage über die Runden zu kommen. Sie ist knallhart, hat ein ausgesprochen derbes Vokabular, säuft, was das Zeug hält, und bevorzugt den gelegentlichen, aber auf jeden Fall unverbindlichen Sex mit Fremden. Ihre unheimliche Fähigkeit hat sie sichtlich gezeichnet und sie meidet enge Bindungen zu anderen Menschen wie der Teufel das Weihwasser. Als Straßenvagabundin macht sie also keine Gefangenen und kann ebenso heftig austeilen, wie sie einstecken kann, und sie geht keinerlei Verpflichtungen ein. Sie denkt praktisch, egoistisch und überaus zynisch. Kurz gesagt: Miriam ist selbstzerstörerisch. Umso überraschender ist es, dass sie dem vereinsamten Louis ein wenig das Herz öffnet und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit so etwas wie Zuneigung für einen Menschen zulässt. Es ist eine wackelige Beziehung, die Miriam aber etwas mehr Menschlichkeit verleiht und den Bogen an einer Stelle schlägt, wo man als Leser beinahe zu genervt ist von der schlecht gelaunten Protagonistin, um noch lange am Ball bleiben zu wollen. Denn im Grunde ist der Ansatz dieser rohen Figur nicht schlecht, nur leider übertreibt es der Autor gerne mal. Es dauert recht lange, bis man mit der Figur wirklich warm wird. Viel zu lange bleibt sie zu oberflächlich, als dass man das Verhalten glaubhaft nachvollziehen oder sich in Miriam hineinversetzen könnte.
Nach und nach erfährt man schließlich aber doch mehr über die holprige Vergangenheit von Miriam und endlich wird ihr Tiefe zuteil. Das macht den anfänglich schwachen Start zwar auch nicht wieder gut, doch mit diesem Wandel wird plötzlich die Neugier des Lesers geweckt und auch dessen Verständnis.
Den übrigen Charakteren schadet die Oberflächlichkeit nicht, da es sich dabei hauptsächlich um regelrechten Abschaum handelt, der sowieso keine Sympathien wecken soll und stattdessen für Entsetzen zuständig ist. Das betrifft vor allem die Auftragskillerin Harriet, für die zu foltern Kunst und Glücksgefühle bedeuten; und ihren Chef, den seltsamen Glatzkopf, der in seinem Beutel Menschenknochen sammelt.

Die Erzählung wird in mehreren Teilen immer wieder unterbrochen und fortgesetzt, so dass sich die Details wie ein Puzzle langsam zusammenfügen und spannende Stellen mit einem „Zwischenspiel“ zum Cliffhanger werden. Im Falle von Blackbirds ist das recht interessant und wertet die Erzählung auf, auch sind die Sprünge nicht so groß, dass man den Faden verlieren würde.

Blackbirds liefert eine spannende Idee und ein actionreiches Abenteuer mit ordentlich Blut. Einzig die vulgäre Sprache der Protagonisten ist auf Dauer etwas anstrengend, da hier wirklich, wirklich viele davon sich die Klinke in die Hand geben, zu jeder Gelegenheit. Vielleicht musste der Autor, der sonst Drehbücher schreibt, in seinem Debütroman etwas kompensieren, was ihm bei den Filmstudios aufgrund von Zensuren verwehrt bleibt. Man weiß es nicht. Einen Blick wert ist der Roman aber durchaus. Chuck Wending hat die Verbindung von Urban Fantasy, Thriller und Roadmovie gut hinbekommen, und wer es gerne rau, teils brutal, auf jedenfall schonungslos mag, der kommt ganz auf seine bzw. ihre Kosten. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass dieser Auftaktroman ganz klar auf die Fortsetzung baut und viel mehr Fragen aufwirft, als welche zu beantworten. So bleibt auch ungeklärt, wie Miriam zu ihrer Fähigkeit gekommen ist und was genau in ihrer Jugend mit ihr passierte. Blackbirds schließt zwar die Haupthandlung letztlich ab, liest sich aber insgesamt doch mehr wie eine Einleitung für das eigentliche Spektakel.

Noch ein Wort zum Buchcover, denn hier sind mit viel Liebe zum Detail jede Menge Hinweise auf die Story eingeflochten worden. Und wie oft kommt es bei einem Cover schon vor, dass es ernsthaft durchdacht wurde? Schöne Sache!

The Blade Itself von Joe AbercrombieDer berühmt-berüchtigte Barbar Logen Ninefingers verlässt seine Heimat, weil er sich zu viele Feinde gemacht hat, und gerät an Bayaz, eine Person, die so gar nicht zu ihm passt.
In Adua, der Hauptstadt der mächtigen Union, will der arrogante Adelsspross Jezal dan Luthar seine Karriere beim Militär dadurch befördern, dass er zum Fechtchampion wird, denn zum Kriegsheld taugt er nicht.
Ebenda gerät der ebenso verkrüppelte wie zynische Inquisitor Glokta in den innenpolitischen Machtkampf der niedergehenden Union, während sich an ihren Grenzen die außenpolitischen Bedrohungen häufen.

-They’re everywhere. You really can’t change floors without them. And down is worse than up, that’s the thing people never realise. Going up, you usually don’t fall that far.-
Seite 10

Joe Abercrombie versucht mit der Trilogie The First Law, deren erster Band The Blade Itself (Kriegsklingen) ist, etwas frischen Wind ins Fantasy-Genre zu bringen – dies gelingt ihm jedoch bisher nur teilweise. Das Cover stellt ohne Zweifel eine wirklich hübsche Abwechslung von den generischen Fantasycovern dar – allerdings nur in der englischen Version, die Heyne-Ausgabe ist dafür doppelt beliebig. Der Titel ist ein Teil des Homer-Zitates “The blade itself incites to deeds of violence”, was – gemeinsam mit den Blutspritzern auf dem Coverbild – bereits ankündigt, dass wir uns im Grim-&-Gritty-Genre befinden, so viel gleich vorweg: es ist also mit blutigen Kämpfen, einer düsteren Welt und viel Misanthropie zu rechnen.

Die Story ist den derzeitigen Standards gemäß aus der Sicht verschiedener Personen erzählt, deren Handlungsstränge sich im weiteren Verlauf kreuzen. Das Reich im Niedergang, dessen Rettung aber noch möglich ist, klingt zwar nicht nach großer Innovation, mit seinem Händchen für die Abgründe von Genrestandards und seinem flotten Stil mit mitten-drin-Effekt verhindert Abercrombie aber erfolgreich, dass Langeweile aufkommt, obwohl im ersten Band der Trilogie die Story eher gemächlich voranschreitet.

Die Faszination von The Blade Itself liegt vor allem an den zentralen Figuren, die eingeführt werden. Hier profitiert das Buch eindeutig davon, dass Abercrombie sich mit seinen Protagonisten am klassischen Heldenrepertoire der Fantasy abarbeiten möchte und dabei mit sehr viel Witz zugange gewesen ist. Dabei verkommt der Roman aber nicht zur Parodie, sondern  Abercrombie hat sich bemüht, seine Helden (und seine Heldin) ambivalent zu gestalten und sie mit liebens- und hassenswerten Charakterzügen und/oder Tätigkeitsfeldern auszustatten. Wirklich tiefschürfend sind die Figuren dadurch jedoch nicht, denn das Bemühen, sie in einer Grauzone zwischen Gut und Böse anzusiedeln, resultiert schlussendlich darin, dass sie zwischen ihrer guten und ihrer schlechten Seite hin- und herpendeln, ohne dass dieser Widerspruch irgendwo thematisiert wird. So bleiben die Figuren leider trotz des humoristischen Touchs viel zu sehr ihren klischeehaften Ausgangspunkten verhaftet.

Daher ist es dann doch zumeist der Humor, der einen durch die Handlung trägt, denn der trockene, bissige und oft auch zynische Ton unterstreicht nicht nur das Grim-&-Gritty-Element, sondern liefert in seinen hemdsärmeligen und selbstironischen Momenten auch eine angenehme Abwechslung ebendavon. Wer Grim & Gritty mag und gerne pointierte Gedankengänge vom Leben gezeichneter Charaktere liest, der ist hier bestens aufgehoben.

Blade of Tyshalle Matthew Woodring StoverHari Michaelson tritt nicht mehr als Caine auf. Seit seinem letzten Abenteuer auf Overworld hat er einen Posten beim Studio, und dort sitzt er – von der Hüfte abwärts gelähmt – seine Zeit ab, entfremdet von sich selbst und seiner Frau. Die Studio-Bosse haben allerdings Pläne, die weit über die bisherigen Eingriffe auf Overworld hinausreichen, denn wartet dort nicht eine neue Welt, die alle Ressourcen bietet, die die Menschheit bereits verbraucht hat?
Hari und seine Frau Shanna, auf Overworld die Flussgöttin Pallas Ril, wollen nicht tatenlos zusehen, ahnen aber nicht einmal, wie mächtig die Feinde sind, die sie sich auf der einen und der anderen Welt gemacht haben. Sie warten nur auf ihre Gelegenheit …

-A tale is told of twin boys born to different mothers.
One is dark by nature, the other light. One is rich, the other poor. One is harsh, the other gentle. One is forever youthful, the other old before his time.
One is mortal.-
Zero

Heroes Die, das erste Abenteuer des Schauspielers Hari Michaelson, der als Caine zum Fantasyhelden in einer Parallelwelt wird, definierte 1998 die Sword & Sorcery neu. Der Nachfolger Blade of Tyshalle sprengt Genregrenzen und überschreitet auch alle anderen Grenzen, auf die er im Laufe von knapp 800 klein bedruckten Seiten stößt.
Die Handlung könnte man zunächst als zweiten Aufguss von Heroes Die verstehen: Protagonisten, Antagonisten und der Konflikt ähneln sich, doch das Spiel mit Schauspieler und Publikum, mit der Geschichte und ihrer Verquickung mit den Rezipienten, das den ersten Band bestimmt, wird von einer breiteren Thematik abgelöst: Die Erde hat entdeckt, dass sich das von sogenannten Elfen und Zwergen bewohnte Overworld (diese Volksbezeichnungen sind ähnlich pejorativ zu verstehen wie in unserer Geschichte etwa “Rothäute”) noch viel direkter ausbeuten lässt als nur als Abenteuerspielwiese für Reality Shows. Vor allem aber ist Blade of Tyshalle größer, epischer, die Abgründe klaffen tiefer, es steht mehr auf dem Spiel, es wird mehr gelitten (oh, was wird zwischen diesen Buchdeckeln gelitten), und es gibt mehr zu bestaunen.

Statt nur Caine und hin und wieder einigen Nebendarstellern gibt es nun eine ganze Riege wichtiger Figuren; statt vorrangig auf einer Welt zu spielen, gibt es zwei Schauplätze, die nicht unterschiedlicher sein könnten: das magische Overworld kommt diesmal weit über eine bloße Kulisse hinaus, weite Teile des Romans spielen jedoch auch auf der zukünftigen Erde, in einer dystopischen, gnadenlosen Kastengesellschaft, in der nur Dinge weitergedacht wurden, die im Ansatz bereits vorhanden sind – Medienmacht, Reichtum, der bei einigen wenigen im Hintergrund bleibenden Mächtigen gebündelt ist, eine hoffnungslose Unterschicht und eine starke Polizeimacht, die dieses (anti-)soziale Gefüge zusammenhält. Stovers Gesellschaftskritik umschließt sowohl das große Ganze als auch kleine Details, wenn man von Einzelschicksalen in diversen Schichten erfährt oder das klassische Motiv des in einem solchen System gefährlichen gedruckten Buches zur Sprache kommt.
Da das Regime nun auch nach dem vergleichsweise idyllischen (wenn auch von paradiesischen Zuständen weit entfernten) Overworld lechzt, kann es seine ganze Brutalität in Form von Kolonialismus auch dort ausspielen, wo zwar keine Technik, sondern nur Magie funktioniert, indem es auf bewährte, alte Methoden zurückgreift, die schon den europäischen Konquistadoren gute Dienste geleistet haben.

Nietzsche, Heinlein und Howard, die innerhalb des Textes und in der Widmung genannt werden, zeigen die Eckpunkte für das auf, was dann als Reaktion folgt.
Trotz großer Figurenriege ist Blade of Tyshalle ein Buch Caines. Die Figur wird demontiert, filetiert sogar: Hari Michaelson/Caine (der noch viele weitere Namen bekommt und auch das Verhältnis zwischen seinen Persönlichkeiten ausloten muss) ist die Sorte Held, die erst ganz unten sein muss – und bei einem zähen Burschen wie ihm geht es verdammt weit nach unten – bis er wieder aufsteigen kann. Der Caine aus Heroes Die, der jede Situation im Griff hat, blitzt nur kurzzeitig auf, etwa dann, wenn er sich wie sein Vorgänger Conan auf einem Thron wiederfindet, ein Heer von Untertanen vor sich, obwohl er nicht zum Herrschen geschaffen ist und sein Fall bereits feststeht. Wenn man meint, aufgrund der Rückblenden in Blade of Tyshalle seine Biographie zu kennen, nimmt man Caine auch den fließenden Wechsel zwischen der Fäkalsprache des Slums seiner Herkunft und komplexen philosophischen Betrachtungen ab. Und am Ende wird man feststellen, ihn doch nicht gekannt zu haben.

Himmel und Erde werden in Blade of Tyshalle in Bewegung gesetzt, die Konflikte nehmen olympische Dimensionen an, existentialistische Philosophie steht neben knallharter Action, bluttriefender Brutalität und erhebenden, in beeindruckende Worte gefassten Momenten.
Die Grausamkeiten, die im Vorgängerband eigentlich schon eine Nummer zu groß waren, werden mit Links überschritten, Stover bedient sich hier klar aus der Effektschublade des Horrorgenres. Statt Sex und Gewalt gibt es nur Gewalt, denn brutaler Sex ist für Stover noch weniger als Gewalt ein Selbstzweck, sondern immer ein Machtmittel. Jedem Leser und jeder Leserin, die unappetitlichen Körperflüssigkeiten und Beschreibungen, bei denen man nur die Zähne zusammenbeißen und hoffen kann, sie mögen bald vorüber sein, lieber aus dem Weg gehen, kann man von der Lektüre nur abraten. Diese Szenen sind nicht nur um des Effekts willen vorhanden – extrem sind sie trotzdem.
Gerechtfertigt sind sie, wenn man so will, durch die extremen Themen, die Stover beackert: Wie in Blade of Tyshalle die Mechanismen der Adiaphorisierung und der Amoral der Massen greifbar gemacht und ins Zentrum der Handlung eines Fantasy-Romans gerückt werden, dürfte ein einzigartiges Meisterstück sein.

Die philosophischen Betrachtungen und Belastungstests der Ethik spielen sich nicht nur im Hintergrund ab, auch wenn Stover stark mit Leitmotiven arbeitet und seinen lebendigen, atemlosen Erzählstil beibehalten hat. Hinzu kommt ein Spiel mit der Erzählsituation des Romans und der Mythologisierung des Geschehens – wenn man sich also durchbeißen kann (durch die komplexe Thematik und die Brutalität) gibt es zum Ausgleich eine Ästhetik, die Ihresgleichen sucht. Die Sword & Sorcery wird in Blade of Tyshalle damit auf eine andere Ebene gehievt: Sie ist ein Erzählmodus, der den Rahmen für eine Geschichte vorgibt, die an allen Ecken und Enden aus ihrer Handlungsebene herausquillt.

Zu einem solchen monströsen Leviathan von einem Buch kann es auch nur ein persönliches Schlusswort geben: Mit Blade of Tyshalle hat Stover hoch gezielt, und es gibt allerlei Gründe, die dafür sprechen, dass er grandios gescheitert ist, dass man ein überambitioniertes, aus dem Ruder gelaufenes Projekt vor sich hat. Blade of Tyshalle ist vielleicht auch einer der Gründe, weshalb Stover trotz seiner innovativen, literarischen Romane nicht in einem Atemzug mit Steven Erikson genannt wird. Für mich ist Blade of Tyshalle dennoch ein großer Wurf, ein in allen Belangen beeindruckendes, erschlagendes Buch, das ich öfter als alle anderen aus dem Regal nehme. Und wer ein Nachwort verfassen kann, wie es in Blade of Tyshalle zu finden ist, darf vorher meinetwegen auch so oft “fuck” schreiben, wie er will.

Blade Runner von Philip K. DickRick Deckard lebt mit seiner Frau auf der vom dritten (atomaren) Weltkrieg verwüsteten Erde, deren Bevölkerung dazu angehalten wird, auf die Kolonien im Sonnensystem auszuwandern. Zumindest jene, deren Erbgut nicht wie das von J.R. Isidore durch den Fallout verändert wurde. Dieser ist ein Mensch zweiter Klasse und liefert elektrische (gesellschaftlich verpönte) Ersatzhaustiere aus, als plötzlich eine geheimnisvolle Frau in seinen Apartmentblock einzieht. Rick Deckard arbeitet als Kopfgeldjäger und befördert illegal von den Kolonien remigrierte Androiden in den Ruhestand. Seine neue Herausforderung besteht darin, auch bei den neuen Nexus-6-Modellen Mensch und Android zu unterscheiden.

– Die automatische Weckvorrichtung der Stimmungsorgel neben seinem Bett weckte Rick Deckard mit einem fröhlichen kleinen Stromstoß. –

Zu Blade Runner liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Blameless von Gail CarrigerVon ihrem Ehemann verschmäht, ihres Postens als Mujah enthoben und von Vampirattentätern verfolgt, begibt sich Lady Maccon auf die Suche nach Antworten in Bezug auf ihren seelenlosen und ausgesprochen schwangeren Zustand. Zusammen mit Madame Lefoux und ihrem Diener Floote reist sie nach Italien, wo vermutlich die größten aller Schrecken auf sie warten: Kaffee und Pesto!

– An image of her husband’s face momentarily broke her resolve. That look in his eyes the last time they saw each other – so betrayed. But what he believed of her, the fact that he doubted her in such a way, was inexcusable. How dare he leave her remembering some lost-puppy look simply to toy with her sympathies! –
Kapitel 1, S. 6

In Blameless (Entflammte Nacht) rückt der bisher vorhandene romantische Aspekt der Buchreihe deutlich in den Hintergrund. Wer sich die letzten Ereignisse aus Changeless (Brennende Finsternis) in Erinnerung ruft, wird darüber nicht allzu verwundert sein. Mit gewohnt bissigem Wortwitz und schrulligen wissenschaftlichen Erfindungen wie mechanischen und ausgesprochen mörderischen Marienkäfern, hebt sich Gail Carriger mit Blameless einmal mehr von der Romantasy-Welle ab und präsentiert ihren Lesern eine turbulente Abenteuergeschichte. Die Autorin greift außerdem einen Handlungsstrang auf, der in den ersten Bänden nur angedeutet bzw. als vollendete Tatsache präsentiert wurde.

Sehr sympathisch ist es, wie Gail Carriger ihre alternative Realität mit vertrauten Dingen bestückt und diese gleichzeitig in ein neues Licht setzt. So wird Pesto beispielsweise vollkommen zu Unrecht für eine leckere Speise gehalten, denn eigentlich handelt es sich hierbei, aufgrund der strategisch gut gewählten Zutaten, um eine effektive Waffe, sowohl gegen Werwölfe als auch gegen Vampire. Nicht verwunderlich also, dass Pesto sich trotz seiner zusätzlich schmackhaften Eigenschaften im von Vampiren und Werwölfen bevölkerten England keiner besonders großen Beliebtheit erfreut.
Man merkt Blameless zudem deutlicher an als den Vorgängern, dass die Autorin Archäologin ist und gerne in der Geschichte gräbt. So werden auch verschiedene bekannte Artefakte und geschichtliche Entdeckungen einer neuen Bedeutung zugeführt, die sich wunderbar in das Bild dieser multikulturellen Gesellschaft einfügt.

Wer sich auf Lord Maccon freut, wird in Blameless auf die Folter gespannt. Der grantige Werwolf hat leider nur wenige Auftritte, dafür sind diese aber kaum zu überbieten und sorgen für Lachanfälle vom Feinsten.
Fans der schrägen Hutmode dagegen wird es freuen zu hören, dass Miss Ivy Hisselpenny eine besonders delikate Aufgabe zuteil wird, die einen zunächst die Hände über dem Kopf zusammen schlagen und das Armageddon für die Modewelt befürchten lässt.

Alles in allem verliert der dritte Band aus der Reihe The Parasol Protectorate nichts von seinem Witz oder Charme und ist genauso lesenswert wie seine Vorgänger. Durch die neue Rahmenhandlung, die erst zum Schluss hin deutlich wird, gewinnt der Roman jedoch zusätzlich an Spannung. Während Soulless (Glühende Dunkelheit) in sich abgeschlossen ist und durchaus für sich allein stehen bleiben kann und auch Changeless lediglich ein weiterer Roman innerhalb der selben Welt mit den selben Protagonisten ist, lässt Blameless nun klar werden, dass es um eine größere Hintergrundgeschichte geht, welche den Ursprung aller Außer- und Übernatürlichen aufzudecken beginnt und in Heartless (Feurige Schatten) eine Fortsetzung findet. Der Leser begibt sich also nun auf Spurensuche und fühlt sich dabei ein wenig wie Indiana Jones auf der Jagd. Das Buch schließt diesmal ohne großen Cliffhanger ab, lässt aber viel Raum, um neugierig auf den vierten Band zu machen.

Cover des Buches "Der blaue Löwe" von Mary Gentle Im späten Mittelalter kämpft die Söldnerführerin Ash an der Spitze ihrer eigenen Kompanie unter dem Wappen des blauen Löwen. Seit ihrer Jugend hört sie die Stimme eines Heiligen in ihrem Kopf, die in Sachen Strategie und Taktik stets den richtigen Rat gibt. Während das Herzogtum Burgund und das Heilige Römische Reich deutscher Nation ihre Rivalitäten ausfechten und so Söldnern wie Ash goldene Zeiten bereiten, landen in Südeuropa überraschend fremdartige Invasionstruppen, deren Waffentechnologie geradezu magisch anmutet. Ash wird tiefer in diese Auseinandersetzungen hineingezogen, als ihr lieb ist. Und sie entdeckt, dass ihre “Stimme” so heilig gar nicht ist…

Ich entschuldige mich nicht dafür, eine Neuübersetzung dieser Dokumente zu präsentieren, welche unsere einzige Verbindung zum Leben dieser außergewöhnlichen Frau darstellen, Ash (geb. 1457 [?], gest. 1477 [?]), denn eine solche Neuübersetzung war schon lange nötig.-
Einführung

Mary Gentle orientiert sich unübersehbar an neueren Vertretern des Fantasygenres wie China Miéville, George R.R. Martin oder Michael Swanwick. Ihr Vorhaben ist daher durchaus ambitioniert.

Im Gegensatz zur üblichen Vorgehensweise der genannten Autoren lässt Gentle ihre Geschichte allerdings in einer historischen Epoche Europas spielen, dem 15. Jahrhundert. Es ist die Zeit des Niedergangs des Rittertums. Anstelle feudaler Heere stehen sich auf den Schlachtfeldern Söldnerkompanien gegenüber, die von Plünderung und taktischen Seitenwechseln in den zahlreichen Kriegen dieses blutigen Jahrhunderts leben.
Die Heldin Ash ist eine Art Gegenentwurf zu Jeanne d’Arc: im Tross einer Söldnerkompanie geboren, von frühester Kindheit an ans Töten gewöhnt, für das Überleben in einer harten Männerwelt bestens ausgerüstet mit einem großen Repertoire blasphemischer Flüche und zweideutiger Witze.
Mary Gentle würzt ihre Geschichte mit zahlreichen Details über spätmittelalterliche Waffentechnik, womit sicherlich nicht jeder Leser etwas anfangen kann. Die phantastischen Elemente nehmen sich anfangs spärlich aus, treten aber im Verlauf der Handlung immer stärker hervor.
Womit wir beim großen Manko dieses Romanauftakts zu einem neuen Zyklus wären: Die Handlung zieht sich wie ein Kaugummi, schleppt sich durch nichtssagende Dialoge und zerstückelt wirkende Szenen. Man wird das Gefühl nicht los, die Autorin hätte ihr Werk auf Wunsch der Verleger so ausgedehnt, denn in komprimierter Form hätte Gentle ein- und denselben Roman wesentlich spannender und dynamischer gestalten können. Ein weiterer Minuspunkt ist die deutsche Übersetzung, die selbst für Fantasy-Verhältnisse außerordentlich holprig ist, offensichtliche Grammatik- und Ausdrucksfehler sind gar nicht mal so selten.

Typische Fantasymotive und -figuren versucht die Autorin (wie ihre angenommenen Vorbilder auch) zu vermeiden. Stattdessen bedient sie sich der Technik alternativer Geschichtsverläufe. So ist das Christentum in diesem fiktiven 15. Jahrhundert weniger von der jüdischen Tradition als vielmehr vom Mysterienkult des Sonnengottes Mithras geprägt, dem in der Antike zum Beispiel Kaiser Konstantin anhing und der vor allem unter Soldaten Verbreitung fand. Es ist eine interessante Spekulation, wie das mittelalterliche Christentum ausgesehen haben könnte, wenn es sich in eine stärker synkretistische Richtung entwickelt hätte. Konstantin, der das Christentum zur römischen Staatsreligion machte, identifizierte schließlich Christus zeitlebens mit “seinem” Sonnengott. Auf mit der Materie weniger vertraute Leser dürften solche Anspielungen aber eher irritierend wirken. Auch die geheimnisvollen Invasoren im Roman sind ein im Nebel der (bekannten) Geschichte versunkenes Volk. Um wen es sich handelt, sei hier nicht verraten. Die Phantastik beschränkt sich jedoch nicht auf Alternativgeschichte: Priester und Rabbis wirken Wunder, es gibt Heiligenerscheinungen und im Hintergrund tut sich eine Welt geheimnisvoller Wesenheiten auf, die über steinerne Köpfe und Statuen mit den Menschen kommunizieren.

Cover von Die blaue Stute von Jamieson FindlaySyeira, ungefähr elf Jahre alt, arbeitet in den Ställen des Königs Hulver von Heuensiel. Hulver ist ein berühmter Pferdezüchter und dank dieser Eigenschaft gelingt es ihm auch, sich den tyrannischen und eroberungswütigen Fürsten Ran vom Leib zu halten. Die besten Pferde, die es gibt, sind die arvanischen Wildpferde, schwer zu fangen und schwer zu zähmen. Doch König Hulvers Pferdefängern ist es gelungen, eine wilde Stute und ihre beiden einjährigen Fohlen zu fangen. Aber keinem gelingt es, sie zu zähmen, also werden sie zu den Tieren, die nur noch ihr Gnadenbrot bekommen, gesperrt. Nur Syeira besucht sie dort. Eines Tages kommt Fürst Ran nach Heuensiel und nimmt gewaltsam die beiden Fohlen mit. Syeira macht sich mit der Mutterstute, die sie Arwin nennt, auf den Weg, die Fohlen zu retten.

-Syeira war ein Mädchen, von dem kaum einer mehr wußte, als daß es im Stall am Fluß geboren war, zwischen alten Gäulen und den Geistern toter Pferde. Ihre Mutter war gestorben, als sie klein war, und an ihren Vater konnte sich niemand erinnern.-
Reißaus

Findlays große Stärke ist seine sprachliche Ausdruckskraft. Er erzählt eine Geschichte voller Sinnlichkeit, was aber bitte jetzt niemand mit “Erotik” verwechseln möge. Dieses Buch ist voller Gerüche, unter anderem deshalb, weil sich Syeira und Arwin auch mittels Geruchsbilder verständigen. Die intensive Darstellung dieser Geruchsbilder ist Findlay großartig gelungen, er macht den Leser glauben, ihm stiegen dieselben Gerüche in die Nase, wie den Protagonisten. Alle anderen Sinne werden ebenfalls angesprochen. Findlay schildert seine Welt sehr plastisch und manchmal kommt es einem so vor, als beschreibe er nicht eine realistische Landschaft, sondern das Landschaftsgemälde eines impressionistischen Malers.

Die Geschichte selbst ist guter Durchschnitt. Sie ist eine der unzähligen Abwandlungen der üblichen Queste: Der Held macht sich auf den Weg, um eine gefahrvolle Aufgabe zu erfüllen. In diesem Fall muß Syeira Arwin wieder mit ihren Fohlen vereinen, die vom finsteren Fürsten Ran gefangen gehalten werden. Allerdings folgt Findlay nicht dem üblichen Muster: Held begibt sich auf die Reise, Gefahr springt aus dem Busch, Kampf, Held siegt, Held reist weiter, Gefahr springt aus dem Busch und so weiter und so fort … sondern Syeiras Weg ähnelt dem eines Märchenhelden. Sie trifft unterwegs nicht auf einen Bösewicht nach dem anderen, sondern auf Helfer, die ihr Gaben schenken, die ihr auf ihrem Weg von Nutzen sind. Auch trifft sie im Wald auf einen kleinen, seltsamen Ritter. Diese Szene erinnert an andere Männlein, die in Märchenwäldern hausen, aber auch an mittelalterliche Artusromane. Leider wirkt die Abfolge von nacheinander auftretenden Helfern ein wenig einfallslos. Am Ende gibt es dann den finalen Zusammenstoß mit dem Bösewicht und einen actionreichen Showdown.

Cover von Bleicher Morgen von Colleen GleasonMiss Victoria Gardella Grantworth ist die letzte der Gardella-Blutlinie und damit auch die letzte vom Schicksal bestimmte Vampirjägerin. Sie ahnt von ihrer Bestimmung nichts, bis sie immer wieder von dem gleichen Traum heimgesucht wird, in dem Vampire sie verfolgen. Unsicher, was dies bedeutet, fragt sie ihre Tante Eustacia um Rat. Als sich das Geheimnis offenbart, muss Victoria eine Entscheidung treffen, die ihr Leben für immer verändern wird.

– Seine Schritte waren geräuschlos, und dennoch merkte Victoria, dass er sich bewegte. –
Unsere Geschichte nimmt ihren Anfang, S. 9

Zu Bleicher Morgen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Blood and Iron von Elizabeth BearIm New York der Gegenwart verfolgt Matthew der Magier, ein Mitglied des Prometheus-Clubs, die „Sucherin“ der Feenkönigin, die für ihre Herrin Kinder ins Feenreich entführt. Er zieht zwar im Kampf den Kürzeren, doch die Vorherrschaft der Menschen mit ihrem kalten Eisen ist besiegelt. Allerdings taucht ein begnadeter Magier auf – ein sogenannter Merlin – der das Gleichgewicht verschieben und den Konflikt beenden könnte. Sowohl Feen als auch Magier machen sich auf die Suche nach dem Merlin, um seine Gunst zu gewinnen. Die Sucherin, die durch grausame Bande an die Feenkönigin gebunden ist, und Matthew werden dabei in einen Strudel aus uralten und immer wieder neuen Ereignissen gerissen.

-Matthew the Magician leaned against a wrought iron lamppost on Forty-second Street, idly picking at the edges of his ten iron rings and listening to his city breathe into the warm September night.-
Chapter 1

Das Spannungsfeld zwischen modernem Großstadtleben und archaischer Märchenwelt bedient mittlerweile ein ganzes Genre mit Stoff, in dem gefährliche Vampire und Werwölfe auf toughe Frauen von nebenan stoßen oder abgerissene Detektive übernatürliche Fälle lösen müssen. Der Fokus liegt in der heutigen Urban Fantasy aber nur selten auf dem Wunderbaren, das einerseits nahtlos in den modernen Alltag eindringt und andererseits nicht seiner ureigenen Atmosphäre beraubt wird – wenn das geschieht, heißt der Autor mit großer Wahrscheinlichkeit Neil Gaiman oder Peter S. Beagle.
Elizabeth Bear könnte mit ihrer Promethean Age-Reihe in diesen illustren Kreis eintreten, wenn die guten Ansätze des Eröffnungsbandes Blood and Iron fortgeführt werden. Dabei pflegt Bear weder den elegant-sparsamen Stil eines Gaiman noch die lyrische Sprache eines Beagle, sondern fasst irgendwo dazwischen Fuß. An lyrischen Momenten fehlt es trotzdem nicht, bezieht sich doch die Handlung neben einer ganzen Reihe an anderen Mythenstoffen (von der Artus-Legende über Dracula bis hin zu nordischen Sagas und vielem mehr) auf traditionelle Balladen um Menschen, die ins Elfenland entführt worden sind, insbesondere Tam Lin. Kenntnisse in diesem Bereich eröffnen eine weitere Handlungsebene und machen das ein oder andere besser verständlich, sind aber nicht zwingend zum Genuss von Blood and Iron erforderlich.

Bear ist eine mit allen Wassern gewaschene Erzählerin, aber nicht immer einfach zu lesen. Sie verflicht ihre Handlungsstränge um die Sucherin aus den Elfenlanden und Matthew den Magier ausgesprochen vielschichtig, nutzt die Unterschiede zwischen Ich-Erzähler und Erzählern in der dritten Person für plot-relevante Kniffe und bringt eine Spirale in Gang, in der sich ihre Figuren in einem immer wiederkehrenden dramatischen Muster wiederfinden, das dem versierten Leser (und den Protagonisten) aus Geschichten und Mythen wohlbekannt ist. Sie wehren sich mit Zähnen und Klauen dagegen, sind aber so tief darin verstrickt, dass sie letzten Endes mit unlösbaren Entscheidungen konfrontiert werden. Nahezu nebenbei bekommt man auch Einblicke in eine alternative Weltgeschichte, die bis in die Moderne hinein vom ewigen Kampf menschlicher Magier gegen die Einflüsse der Elfenlande geprägt ist – ein Konzept, das Elizabeth Bear in den sehr locker zusammenhängenden Bänden der Promethean Age-Reihe weiter verfolgt und das in seiner ambitionierten Planung durchaus als eine Art Lebenswerk gesehen werden kann.

Der beschreibungsreiche Stil der Autorin fügt sich vor allem dort gut ein, wo das düster-blutige, aber trotzdem farbenfrohe Elfenland lebendig werden soll; bei den Figurenbeschreibungen grenzt er manchmal ans Überladene. Was Bear allerdings aus ihrem Drachen macht, sollte jeden Fantasyleser überzeugen, der der Ansicht ist, dass gute Drachen rar sind. Und auch den ambivalenten Kelpie namens Whiskey vergisst man garantiert nicht so schnell …
Die Bandbreite an Mythen, Literatur und Geschichte, die in Anspielungen verpackt oder direkt als Stoffgeber genutzt wird, ist riesig, und Bear liefert fast immer eine erkennbar eigene Interpretation – unter anderem trifft man etwa auf eine eifrig häkelnde und doch in keinster Weise zu unterschätzende Morgan von Cornwall.
Der im modernen New York angesiedelte Handlungsstrang um Matthew, den menschlichen Magier, ist weniger opulent und gewinnt erst in der zweiten Hälfte des Romans Dynamik, wenn sich herausstellt, wie stark alle Figuren und Geschichten ineinander verschachtelt sind, und die Ereignisse sich überschlagen.
Bears Talent für beeindruckende Szenen kann sich richtig austoben, wenn sich das ganze Drama entfaltet, und nach dem stimmigen Ende, das dem Leser viel Raum für weitere Spekulationen lässt, fragt man sich eigentlich lediglich noch ein klein wenig, weshalb der eigentliche Aufhänger der Geschichte, die Merlin-Figur, um deren Gunst die Parteien ringen, in dem ganzen Spektakel etwas zu kurz gekommen ist.

Und wenn man schon auf hohem Niveau jammern möchte: In Blood and Iron wartet man vergeblich auf große Erklärungen zu dem teils hochkomplexen Geschehen. Weite Teile kann man sich gut zusammenpuzzeln, aber hin und wieder geschehen manche Entwicklungen einfach, und dem Leser sind weder Ursachen noch Folgen bekannt. Auch die Sucherin als Protagonistin, mit der Bear gegen sämtliche Konventionen verstößt, was ihre Charakterentwicklung und die Fortführung ihrer Geschichte angeht, ist bei einigen –schwerwiegenden– Entscheidungen schlecht nachvollziehbar. Der drastischen und beeindruckenden Entwicklung der Figur tut das allerdings keinen allzu großen Abbruch, denn die Naturgesetze des Promethean Age gründen sich häufig eher auf Mythen und alte Erzählmuster als auf Rationalität, und das macht einen großen Teil der Faszination dieser Geschichte aus.

Blood Engines von T.A. PrattMarla Mason, Oberhaupt der Magier der Stadt Felport, verschlägt es nach San Francisco, um dort an ein magisches Artefakt zu kommen. Es ist ihre einzige Möglichkeit, einen tödlichen Zauber zu kontern, den eine Konkurrentin für sie vorbereitet. Doch ihren Bekannten in San Francisco, den chinesischen Magier Lao Tsung, findet sie ermordet vor – Todesursache: Pfeilgiftfrosch. Das magische Artefakt ist weg. Marla, die notgezwungen den Fall lösen muss, taucht in die magische Community von San Francisco ein und kommt finsteren Plänen auf die Spur.

-Marla Mason crouched in the alley beside the City Lights bookstore and threw her runes.-
1

Würde man von Marla Mason behaupten, sie sei Harry Dresdens große Schwester, würde sie vermutlich ganz garstig lachen (und darauf bestehen, dass sie immerhin für ihr Alter noch ganz gute Titten hat, was sie nie müde wird, in diesem Wortlaut zu unterstreichen …), aber eine gewisse Verwandtschaft der beiden in modernen Großstädten operierenden Magier lässt sich nicht leugnen.
Die Heldin von Blood Engines (Hexenzorn), dem Auftaktband der Marla-Mason-Reihe, ist nur auf den ersten Blick ein wandelndes Klischee: Magisch universell begabt, mit einer mächtigen Waffe und einem fiesen Wendemantel ausgestattet, bestens in der Kampfkunst bewandert, immer einen zynischen Spruch auf den Lippen. Zur richtigen Sympathieträgerin wird die (von ganz unten kommende) Überfliegerin nur in wenigen Szenen, als bissig-biestigen Gegenentwurf zu den sonstigen Weibchen der Urban Fantasy macht sie dafür aber großen Spaß: Unter ihrer rauen Schale verbirgt sich auch ein harter Kern.
Marlas Sidekick, ihr dämonischer Gehilfe Rondeau, ist ein Sprücheklopfer (in jedweder Hinsicht) und Stichwortgeber für allerlei Geplänkel zwischen den Figuren; der abgestürzte Schauspieler B., der gerne das Müllorakel befragt, fungiert als unbedarfter Sympathieträger und heimlicher Star des Romans.

So schön der Humor und die skurrile Figurenriege allerdings auch sind, der Plot, der darunter liegt, ist dünn, auch wenn das zwischen all den farbenfrohen Ideen beinahe untergeht. Die titelgebenden Blood Engines werden fast nur pro forma erwähnt, und der Bösewicht mit seinen Scharen von Fröschen und Kolibris und seiner Obsession mit aztekischen Gottheiten ist zwar erfrischend anders, wie so vieles an Marla Masons Welt, aber für eine wasserdichte Geschichte taugt er nicht.
Deutliche Krimi-Elemente wie bei Jim Butchers Harry Dresden sollte man trotz der ähnlichen Ausgangslage ohnehin nicht erwarten: Im Wesentlichen gondelt Marla auf der Suche nach Verbündeten von einem Magier zum nächsten, da die magische Oberaufsicht über San Francisco im stetigen Wechsel ist und durch die Pfeilgiftmorde auch noch gehörig durcheinander gerät, und der Aztekenfiesling ist ihr stets einen Schritt voraus.

Marla Mason sollte man vor allem dann lesen, wenn man mit einem Ideenreichtum glücklich wird, der es in sich hat, und die Logik dem unterordnet. Im Unterschied zu weiten Teilen der Urban Fantasy haben die Marla-Mason-Romane einen Ausbund unterschiedlichster Magie zu bieten: Sie ist überall und existiert nicht als eine verborgene, mythische Welt neben der unseren, in der es dann tatsächlich auch Elfen, Vampire und Feen gibt, sondern in Form von menschlichen Magiern, die durchaus modernen Berufungen nachgehen: Börsenspekulierenden Wahrsagern, Internet-Technomanten, einem China-Schwarzmagier, der direkt aus Big Trouble in Little China entsprungen sein könnte, und sogar an der ausufernden Orgie eines Pornomanten kann man teilhaben – allesamt moderne Menschen, die häufig die Möglichkeiten zeitgenössischer Technik und Lebensart für sich nutzen wollen und sie in ihr Leben und die Magie integrieren.
Da verwundert es auch nicht, dass es Tim Pratt gelungen ist, San Francisco  eine eigene magische Geschichte zu verpassen (und zwar nicht nur eine vorzeitlich-mythische, sondern auch eine neuzeitliche). Nicht nur dadurch wird die Stadt zu einem sehr plastisch geschilderten Schauplatz, von dem man nach der Lektüre beinahe meint, eine (magische) Straßenkarte zeichnen zu können.
Innerhalb dieses Kosmos agieren die Magier als Unterweltbosse, regieren knallhart über ‘ihre’ Städte und Bezirke und sehen sich ähnlichen Intrigen und Konkurrenzen ausgesetzt. Doch natürlich bricht auch in dieses wohlgeordnete Setting hin und wieder unerklärliche Magie ein, und der unbeherrschte Weltenreigen nach dem Besuch bei der Hexe von Alcatraz gehört zu den schönsten Szenen von Blood Engines.

Überhaupt schafft es Pratt, in schnoddriger Sprache mit einer Vielfalt an Details der magischen Welt ein sehr weltoffenes und tolerantes Setting und Figurenensemble zu zeichnen: Ethnien, sexuelle Orientierungen, Fetische und vieles mehr trifft man bei Marla Mason in allen Varianten an, wobei Klischees und Quotenauftritte weitgehend außen vor bleiben – aber sie werden auch ohne Blatt vor dem Mund aufgetischt. Wen interessieren in einer Welt voller abgefahrener Magie schon so banale Differenzen? Der Schauplatz San Francisco tut noch ein Übriges zur Offenheit. Wer keine Lust auf eine sich über dutzende Seiten erstreckende Orgie hat, die im Übrigen eher mit Humor als mit Erotik abgehandelt wird, aber schon ins Detail geht, sollte sich lieber nicht auf Blood Engines einlassen.

Marla Masons Abenteuer werden mit Blood Engines recht spektakulär eröffnet, der Schwerpunkt liegt auf dem Humor und den Figuren, auf Anspielungen auf die Pop-Kultur und auf der Schöpfung einer magischen Gegenwartswelt. Der in diesem Band abgeschlossene Wettlauf mit einem Erzbösewicht überzeugt nicht auf ganzer Länge – aber als dreckigere und zynischere Variante zu Dresden & Co. hat Marla genug Pfiff, um ein paar Stunden solide Unterhaltung zu bieten.

Blood Rites von Jim ButcherWenn man gerade einer Horde wütender Affendämonen und ihrer fäkalen Wurfgeschosse entkommen ist, gibt es sicher Schöneres, als kurz darauf einem Vampir in die Arme zu laufen. Glück im Unglück, trifft Harry auf einen vergleichsweise harmlose Ausgabe, als Thomas vom Weißen Hof Harry bittet, einen Auftrag zu übernehmen. Der Regisseur eines kleinen Filmstudios glaubt sich verflucht, da seine weiblichen Darstellerinnen der Reihe nach auf merkwürdige Weise sterben. Harry übernimmt den Fall nur als Gefallen für Thomas, dessen Succubi-Clan er nicht mehr schätzt als fliegende Affenkacke. Dabei stolpert er jedoch über Geheimnisse, die ihm die Schuhe ausziehen.

– The building was on fire, and it wasn’t my fault. –
Chapter One

Wenn bei der Rettung von Hundewelpen mit Kot werfende Affendämonen zu einem gigantischen geflügelten King Kong in lila Farbe verschmelzen, dann führt das unweigerlich zu bizarrem Kopfkino. Doch genauso startet Blood Rites (Bluthunger) in das sechste Abenteuer von Harry Dresden, und es wird noch besser. Als »Mädchen für alles« (das darf man nun nicht falsch verstehen) landet Harry am Set eines Erotikfilms, wo tatsächlich ein Fluch die Darstellerinnen umbringt. Wer dahinter steckt, bleibt lange unklar, sicher ist nur, dass es einen Hexenzirkel geben muss, der sich seine Opfer gezielt aussucht. Doch was könnte der Grund sein? Steckt eine der zahlreichen Ex-Frauen des Regisseurs dahinter? Oder vielleicht ein konkurrierendes Filmstudio, das sich von den innovativen Ansätzen des neuen Mitbewerbers bedroht sieht? Oder ist es vielleicht auch etwas ganz anderes? Harry unternimmt selbstverständlich alles, um die Damen in Nöten vor der unsichtbaren Gefahr zu schützen, tritt dabei aber nicht selten in Stolperfallen, die ihn selbst zum Hauptverdächtigen machen. Richtig spannend wird es, als er am Set einen Vampir des Weißen Hofs entdeckt, der so schön wie gefährlich ist und sich als Schwester von Thomas entpuppt. Damit werden Verwicklungen aufgedeckt, die sich bis in Harrys dubiose Vergangenheit erstrecken. Erfreulich hierbei insgesamt ist, dass einmal nicht jedes Kapitel mit Harrys potentiellem Nahtod endet, sondern mit Neugier weckenden Mini-Cliffhangern zum Handlungsstrang.

Blood Rites liefert viele Einblicke in die Charaktere, allen voran in die von Harry und Thomas. Die Beschaffenheit des Weißen Hofs der Vampire wird näher beleuchtet, ebenso die Bürde, die er für manche Zugehörige bedeutet. Bisher ist diese Vampirfamilie nur als eine Art weniger gefährlicher und weniger ernst zu nehmender Sex-Vampire in Erscheinung getreten. Nun aber erfährt man mehr darüber, wie diese Familie sich ernährt, funktioniert und lebt. Die Dinge sind dabei nicht so schwarzweiß, wie es bisher den Anschein hatte.
Trotz des zunächst eindeutigen thematischen Schwerpunktes wird die Lektüre nie platt oder besonders erotisch (weniger sogar noch als in Death Masks), sondern die entsprechenden Elemente werden eher funktional beleuchtet – sicherlich bleibt da dennoch genug Platz für den ein oder anderen kessen Spruch.
Die Entdeckungen, die Harry macht, reichen von abstoßend bis unerwartet zu ganz klassisch überraschend oder erfreulich. Im sechsten Band lernt der Leser im Wesentlichen größere Charakterhintergründe kennen, die immer mal wieder zum Teil in den vorigen Bänden angedeutet wurden, und das sorgt für Spannung.

Wie schon in Death Masks (Silberlinge) wirkt Harry mit vorlauter Arroganz auch in Blood Rites insgesamt etwas spröder und muss deswegen ein paar Sympathiepunkte abgeben. Trotzdem ist dieser Band wieder sehr stark, deckt er doch vieles aus Harrys verschleierter Vergangenheit auf und verleiht seinem Charakter mehr Substanz. Ebenso kommt der Humor wieder stärker heraus, doch das ist angesichts der Entwicklungen fast schon zu vernachlässigen. Blood Rites wird von Seite zu Seite besser, da man hier neugierig verfolgen kann, welches Geheimnis sich als nächstes lüften wird. Am Ende ist nicht nur Harry verblüfft, wohl aber treffen ihn die Veränderungen am deutlichsten.

Cover von Der Blumenkrieg von Tad WilliamsTheo ist dreißig Jahre alt und es sieht nicht danach aus, als würde er in naher Zukunft auf einen grünen Zweig kommen. Dann muß er auch noch zwei Schicksalsschläge verarbeiten, die ihn völlig unvermittelt treffen. Theo zieht sich in ein abgelegenes Haus zurück und denkt darüber nach, wie er sein Leben weiterführen soll. Manchmal fühlt er sich, als gehöre er nicht in diese Welt, er hat Albträume und gelegentlich kommt es ihm vor, als sei sein Körper von einem zweiten Ich besetzt. Kann es noch schlimmer kommen? Ja, es kann: Eines Tages erhält Theo Besuch von einer Elfe namens Apfelgriebs. Kaum hat er sich von dieser Überraschung erholt, greift ihn ein Untoter an. Theo kann sich mit Apfegriebs gerade noch durch einen mysteriösen Spalt in eine andere Welt retten.

-Theo verspürte einen leisen Gewissensbiß, als er das Handy wieder anstellte, vor allem als er merkte, daß er es über zwei Stunden lang nicht angehabt hatte.-
1 Wolken

Die originellste Figur in Tad Williams Roman Der Blumenkrieg (The War of the Flowers) ist ohne Zweifel die kleine Elfe Apfelgriebs. Ein klarer Fall von “klein, aber oho”. Sie ist mutig, treu, gewitzt, burschikos, kann Shakespeares Kaufmann von Venedig zitieren, bedient sich jedoch gewöhnlich einer derberen Sprache, deren Ton zwischen rauh und herzlich changiert und die man eher einem Matrosen auf Landgang zutrauen würde, als einer zarten Elfe. Es macht Spaß zu verfolgen, wie Apfelgriebs dem durch die Ereignisse leicht verstörten Theo hilft, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Leider übernimmt diese Aufgabe nach einiger Zeit der Laborassistent Wuschel Segge, auch ein treues, aufopferungsvolles und symphatisches Kerlchen, dem aber die Originalität und der Witz der kleinen Elfe fehlt. Und ohne Apfelgriebs ist Der Blumenkrieg ein Fantasy-Roman, der dem üblichen Muster folgt: 1. Held muß die Welt retten. 2. Held gerät zwischen die Fronten rivalisierender Elfenclans und rebellierender Goblins. 3. Held wird von den Bösen verfolgt und wird auf der Flucht mit überraschend auftauchenden und gar schröcklichen Gefahren konfrontiert, aus denen er ebenso überraschend gerettet wird. 4. Held findet Freunde und verliebt sich. 5. Happy End. Das ist nun wahrlich nicht neu, aber Tad Williams ist ein guter Schriftsteller und deshalb gehört Der Blumenkrieg zu den besseren Fantasy-Romanen. Tatsächlich ist einiges in diesem Buch zu gut beschrieben. In einer Vobemerkung entschuldigt sich der Ator, daß es Abschnitte gibt, die die Leser an den 11. September und die Vernichtung der Twin Towers in New York erinnern könnten, er habe diese Szenen aber schon im Jahr 2000 konzipiert und sie seien so elementar für den Roman, daß er nicht gänzlich darauf verzichten konnte.
Das Problem ist weniger, daß es diese Szenen überhaupt gibt, das Problem ist, daß sie zu wenig verfremdet sind. Es gibt einzelne Sätze, die klingen, als sage sie ein im World Trade Center Verschütteter und plötzlich verfolgt der Leser nicht mehr distanziert die Geschehnisse in einem phantastischen Elfenland, sondern er befindet sich für einen Moment in der Realität des 11. Septembers 2001 und da will er mit Sicherheit nicht sein. Es genügt nicht, die Flugzeuge durch etwas anderes zu ersetzen und die Opfer durch Fabelwesen. Gewalt in Romanen kann nur so lange unterhaltsam sein, wie sie sich eindeutig in einem fiktiven Rahmen abspielt und der Leser in seinem bequemen Sessel sicher sein kann, daß sie mit der Realität nicht das Geringste zu tun hat.

Cover des Buches "Die Blutgräfin" von Wolfgang HohlbeinEuropa im 16. Jahrhundert: In einem abseits gelegenen, tief verschneiten Wald stoßen Andrej und Abu Dun auf brutal ermordete Menschen und werden gegen ihren Willen in gefährliche Ereignisse verwickelt. Der Bauer Ulric macht die  Blutgräfin  für die grausamen Morde und für das Verschwinden von mehreren jungen Frauen verantwortlich. Auf der Suche nach dem Täter begegnen sie dem dämonischen Leibwächter der Gräfin. Ihm gelingt das nahezu Unmögliche: Er besiegt Andrej und Abu Dun und bringt sie tatsächlich in Lebensgefahr. Anscheinend unverwundbar und unbezwingbar ist der Unbekannte doch kein Unsterblicher wie sie. Aber wer oder was ist er dann? Und wer verbirgt sich hinter der rätselhaften Blutgräfin?

-Es war die bei weitem größte Eule, die Andrej jemals gesehen hatte. In aufrechter Haltung würde sie ihm mühelos bis zum Oberschenkel reichen, und ihre Spannweite übertraf vermutlich die eines Adlers. (…) Ihr Schnabel, von dem zähflüssig rotes Blut tropfte, machte den Eindruck, als könne sie damit mühelos einem erwachsenen Mann die Hand zermalmen.-

Obwohl Hohlbein eine recht solide Fortsetzung geschrieben hat, hat mich das Buch nicht so wirklich überzeugt. Die Handlung setzt ein paar Wochen nach der Begegnung mit Frederic ein, die Unsterblichen sind wieder mal in einer abgelegenen Gegend mit misstrauischen Bewohnern. Erneut stoßen die beiden Unsterblichen auf ein Gemetzel, finstere Gestalten und dämonische Feinde. Ein altbewährtes Rezept, das auch hier zu einer recht spannenden Geschichte verarbeitet wird, jedoch gibt es einige kleine Schwächen.

Andrej wirkt im ganzen Buch unbeholfen, obwohl er doch eigentlich der erfahrerene Unsterbliche des Duos ist. Er stürzt von einem Gefühlschaos ins nächste, während er selbst kaum an der Handlung teilnimmt und eher von den Ereignissen mitgerissen wird. Ohne zuviel zu verraten, war mir von Anfang an klar, wer die Blutgräfin ist, jedoch gibt es überraschende Wendungen, die den Roman teilweise unvorhersehbar machen.
Pluspunkte verdient der Roman auch durch Andrejs Gegner: mit Blanche hat Hohlbein eine interessante Figur geschaffen, die nicht nur geheimnisvoll, sondern auch glaubwürdig ist, und einen Großteil zur Spannung beiträgt. Die Geschichte an sich ist im Nachhinein ganz gut gelungen, obwohl es hier und da einige Längen gibt.

Das Ende ist ebenso überraschend wie abgeschlossen. Offene Fragen vom fünften und sechsten Band werden überwiegend beantwortet und bilden einen runden Abschluss. Wie Hohlbein die Chronik der Unsterblichen weitererzählen will, bleibt abzuwarten. Der sechste Band jedenfalls ist lesenswert, wenn man ein Fan von Hohlbein ist. Es ist aber nicht der beste Teil der Chronik.

Bluthunger von Jim ButcherWenn man gerade einer Horde wütender Affendämonen und ihrer fäkalen Wurfgeschosse entkommen ist, gibt es sicher Schöneres, als kurz darauf einem Vampir in die Arme zu laufen. Glück im Unglück, trifft Harry auf einen vergleichsweise harmlose Ausgabe, als Thomas vom Weißen Hof Harry bittet, einen Auftrag zu übernehmen. Der Regisseur eines kleinen Filmstudios glaubt sich verflucht, da seine weiblichen Darstellerinnen der Reihe nach auf merkwürdige Weise sterben. Harry übernimmt den Fall nur als Gefallen für Thomas, dessen Succubi-Clan er nicht mehr schätzt als fliegende Affenkacke. Dabei stolpert er jedoch über Geheimnisse, die ihm die Schuhe ausziehen.

Zu Bluthunger liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Blutrote Schwestern von Jackson PearceScarlett und Rosie March sind seit dem Angriff eines Fenris-Wolfs in ihrer Kindheit gezeichnet. Ihre Großmutter, die Einzige, die sich je um sie gekümmert hat, wurde bei dem Angriff getötet, während Scarlett bei der Verteidigung ihrer kleinen Schwester schwer verwundet wurde und ihr rechtes Auge verlor. Seit jenem Tag ist sie besessen davon, jeden Fenris-Wolf zu töten. Zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Partner Silas macht sie des Nachts Jagd auf die Monster. Doch dann wird ihre Routine von einem besonderen Ereignis unterbrochen: Die Fenris-Wölfe haben einen Potentiellen gewittert, der zu einem von ihnen gewandelt werden kann. Die drei Jäger setzen alles daran, dies zu verhindern und den Potientellen vor den Wölfen zu finden.

– Er folgt mir. Wurde auch Zeit. (…) Ich täusche ein Zittern vor, als mir ein Windstoß durch die glänzenden Haare fährt. So ist es richtig … komm weiter, komm nur. Denk daran, wie brennend es dich nach meinem Fleisch verlangt. Denk daran, wie gut mein Herz dir schmecken wird. –
Kapitel 1, Scarlett March

Zu Blutrote Schwestern liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Tierführer Translunarien von Ludwig/KoegelEin Bestimmungsbuch für fantastische Geschöpfe, wie man sie noch nie gesehen hat: Schleudernase, Stadtkrake und Lassofant sind nur einige Tierarten, deren Vorkommen, Verhalten und Erkennungsmerkmale der vorliegende Tierführer erläutert. Ein Vorwort über Evolution klärt über die Umstände auf, unter denen solcherlei Tierarten vielleicht hätten entstehen können oder womöglich noch entstehen werden.

-Diese Fülle an überbordendem Leben, an außergewöhnlichen Kreaturen haben Sie wohl nicht erwartet. »Der BLV Tierführer Translunarien« stellt Ihnen einige der ungewöhnlichsten Geschöpfe unseres Planeten vor.-
Translunarien ist überall

Inspiriert von Loriots Steinlaus, Halbritters Tier- und Pflanzenwelt & Co., allerdings ohne die künstlerische Finesse in Bild und Text, hat sich der renommierte BLV-Verlag mit dem 2009 pünktlich zu Darwins 200. Geburtstag erschienenen Tierführer Translunarien einen kleinen Jux im Programm erlaubt. Und dabei ist es auch geblieben, zu einem großen Wurf scheinen letztlich der Mut oder die Ideen gefehlt zu haben.
Nachdem ein Vorwort in trocken-schulmeisterlicher Manier die Wirkweise der Evolution erklärt (und dabei unvermeidlich den alten Bekannten Birkenspanner auspackt), und es das erklärte Ziel des Tierführers ist, die Leserschaft über die Entstehung der Arten zu unterrichten, darf man Humor leider nur in sehr sparsamen Dosen erwarten, Ironie fehlt völlig – und genau diese beiden Zutaten geben dem Genre der Mockumentary oder dem fiktiven Forschungsbericht erst die Würze.
Gewiss, das Ansinnen, klassische Bestimmungsbücher zu imitieren, ließe sich auf seine Weise würdigen, aber wer sich erwartet, die Literaturgattung  (oder etwa gar der oder die Bestimmende) würde aufs Korn genommen, wartet vergeblich. Ebensowenig vorhanden sind Kommentare auf die Gesellschaft, das Leben, das Universum und den ganzen Rest, oder sie sind – wenn überhaupt – sehr versteckt und zaghaft angelegt.

Dass beim Eintrag zur »Steinlaus« Loriot selbst zitiert wird, mehrt den Ruhm des Tierführers Translunarien nicht: zu auffallend ist der Unterschied zwischen wohlgesetzten Seitenhieben mit feinster Komik und dem gewollten, aber nicht gekonnten Versuch, an diesen Tonfall anzuschließen.
Aber auch sonst scheinen die Vorbilder der beiden Autoren Friedrich Kögel und Mario Ludwig häufig zu stark durch. So findet man mitunter mehr oder weniger direkt aus den (auch in den Quellen angegebenen) Vorgängern After Man von Dougal Dixon und Halbritters Tier- und Pflanzenwelt inspirierte Kreaturen.

Die eigens für dieses Buch erfundenen Tiere und ihre besonderen Merkmale wirken bis auf wenige Ausnahmen einfallslos, nicht selten geschaffen, um eine bestimmte evolutionäre Eigenheit zu demonstrieren, ganz gleich, ob das Gesamtbild ein stimmiges ist oder nicht. Dieser Eindruck mag aber auch durch die nicht immer überzeugenden Illustrationen verstärkt werden. Dennoch hätte man sich insgesamt etwas mehr Ideenreichtum erwartet, anstatt nur Ohren zu sehen, die an Beine geklebt wurden, grotesk verlängerte Nasen oder Schwänze, oder ein Spiel mit der Größe verschiedener Tierarten. Lichtblicke wie die Christbaumleuchtschlange oder die Linksrumgämse bleiben eine Seltenheit im evolutionären Mittelmaß.
Wenn Wissenschaft vor Humor geht, möchte man meinen, dass zumindest ein Blick auf das Ökosystem möglich sein sollte, in dem die translunarischen Arten existieren. Doch Fehlanzeige – die Zusammenhänge bleiben nebulös, mit Ausnahme weniger direkter Jäger-Beute-Beziehungen leben die Tiere separat vor sich hin, und das auch nicht in irgendeiner ansatzweise ausgearbeiteten Umgebung, sondern in wild eingestreuten Weltgegenden irgendwo im Nirgendwo.

Man sollte aber kein Buch dafür rügen, dass es etwas nicht ist, was es nie sein wollte. Wo genau der Tierführer Translunarien allerdings hin wollte, erschließt sich auch nicht, wenn man sich durch alle Tierarten durchgeblättert hat – künstlerisch-ideenreicher Überschwang, der von bildungsbeflissenen Ambitionen eingebremst wurde, ehe er sich entfalten konnte? Putziges Geschenkbuch, das nach ein paar leisen Lachern in der Schublade verschwinden kann? Ein bisschen Spaß zwischen all den ernsten Bestimmungsbüchern, aber bitte nicht übertreiben?
Da mit dem Coverbild der optische Höhepunkt bereits abgedeckt ist, und nicht einmal die wissenschaftlichen Namen, die Raum für etwas Hintersinn geboten hätten, zur genaueren Betrachtung einladen, ist ein (kleines) Schmunzeln und ein wenig Anregung der Fantasie beim Darüberblättern vermutlich alles, was man aus dem Tierführer Translunarien mitnehmen wird, außer natürlich, man besitzt das Humorgen, mit dem man Länderbezeichnungen wie Lichtstrahlien oder Pommfritzien zum Schießen findet. Wenn nicht, greift man vielleicht besser zu den großen Vorbildern.

Cover des Buches "Bone - Complete Edition" von Jeff SmithPhoney, Fone und Smiley Bone müssen ihre Heimatstadt Boneville verlassen, weil Phoney zum wiederholten Male seiner Gier nach Profit erlegen ist. Auf ihrer Flucht durch die Wüste  geraten sie in einen riesigen Heuschreckenschwarm und verlieren einander.
Auf getrennten Wegen gelangen sie in ein unbekanntes Tal, in welchem sich jeder von den Dreien auf die Suche nach seinen Cousins macht. Doch als sie endlich wieder vereint sind, sind sie längst viel zu tief in die Geschicke des Tals verstrickt, um einfach wieder nach Hause zu gehen. Außerdem sucht eine dunkle Gestalt nach Phoney, weil die Ankunft eines Bone-Wesens in einem Omen prophezeit wurde …

-“Was meinst Du, Kumpel, sollen wir ein saftiges Ragout aus ihm machen oder ihn einfach roh verschlingen?” – “Hmmm… Ich würde sagen, wir backen eine Quiche!” –

Aufmerksam geworden durch Hinweise aus dem Freundeskreis liebäugelte ich schon länger mit den knuffigen Bones, und als ich in der örtlichen Buchhandlung über die Complete Edition stolperte,  griff ich kurzentschlossen zu. Die gesamte Geschichte in einem Band – sehr schön! … dachte ich! Denn im Laufe der Lektüre wurden mir wegen des hohen Gewichts des Buches oftmals die Arme lahm.
Nach dieser Erfahrung würde ich jedem interessierten Leser raten, lieber die 9-bändige Hardcover-Ausgabe zu kaufen. Neben der größeren  Bequemlichkeit bietet Letztere auch farbige Zeichnungen, wohingegen die Complete Edition ausschließlich  Schwarz-Weiß-Zeichnungen beinhaltet. Aber solche Entscheidungen sind Geschmackssache und über diese kann man ja bekanntlich endlos streiten.

Für mein unfreiwilliges Armmuskeltraining wurde ich mit einer  vergnüglichen Geschichte mit vielen liebenswerten Charakteren belohnt, auch wenn viele von ihnen ein gerüttelt Maß an Klischees bedienen:
Thorne, das Mädchen mit großer Bestimmung, wurde auf dem Bauernhof ihrer Großmutter zu einer selbstbewussten jungen Frau erzogen, die im Notfall auch mal richtig zupacken kann. Fone Bone trifft sie, als er auf der Suche nach seinen verloren gegangenen Cousins ist, und verliebt sich auf den ersten Blick in sie. Wirklich herzzerreißend sind die Szenen, in denen er sie anhimmelt und versucht, ihr Liebesgedichte zu schreiben.
Grandma Ben, die die Rolle der Mentorin hat, ist nicht nur willensstark bis zur Sturheit, sondern  auch körperlich äußerst fit, was sie beim jährlich stattfindenden Kuhrennen gerne unter Beweis stellt.
Das Böse wird durch den Herrn der Heuschrecken und dessen Helfershelfer, den Vermummten, dargestellt. Wie es sich für eine ordentliche Fantasygeschichte gehört, verkörpern sie das Chaos und die Alpträume und sind sehr mächtig!
Und dann gibt es noch die herrlich skurrilen Nebencharaktere: Der große rote Drache mit dem wunderbar coolen Gesichtsausdruck, Ted, die winzige Wanze (die man um Himmelswillen nicht mit einem Blatt vergleichen soll – sonst holt sie ihren großen Bruder!) und das dämliche Rattenmonsterpärchen, das sich ständig darüber streitet, ob Monster gerne Quiche essen dürfen … sie seien hier nur stellvertretend für alle Anderen erwähnt.

Und die Bones selber?
Die drei knubbligen kleinen Kerle erschienen mir auf den ersten Blick nicht gerade geeignet, eine “richtige” Fantasy-Geschichte zu tragen – zu sehr sahen sie mir nach Mickey Mouse und Donald Duck aus.
Doch es brauchte nur wenige Seiten und mir wurde klar, wir haben es hier mit einem echten Heldenteam zu  tun: Da wäre zum einen Phoney, der zwar mit seiner Geldgier das Trio immer wieder in Schwierigkeiten bringt und  zeitweilig sogar ungewollt der bösen Seite in die Hände arbeitet, im Grunde aber seine Cousins liebt.
Dann haben wir Smiley, einen herzensguten Trottel, den Phoney immer wieder für seine haarstäubenden Pläne missbraucht, dessen Herz aber groß genug ist, um ein Monsterbaby zu retten.
Als Dritten natürlich den sympathischen und gewitzten Fone, welcher ein großer Fan von Moby Dick ist. Die Szenen, in denen Fone Freund wie Feind mit Moby-Dick-Lesungen “besiegt” oder unfreiwillig Ismaels Gestalt annimmt, als Hommage oder als Persiflage zu werten, mag jedem Leser selbst überlassen bleiben.

Die Beschreibung der Charaktere lässt es schon vermuten, wir haben es hier mit einer (wenn nicht gar DER) klassischen Fantasy-Geschichte zu tun.
Vor langer Zeit war die Welt ein friedlicher und glücklicher Ort, bis das Böse kam und die Welt mit Wahnsinn und Albträumen verseuchte. Ein großer Kampf führte dazu, dass das Böse zwar gebannt, aber nicht völlig besiegt werden konnte. Die Bones kommen zu einer Zeit ins Tal, in der das Böse wieder erstarkt ist und zum letzten großen Schlag ausholt …

Das kommt uns bekannt vor? Ja.
Es ist eine altbekannte Geschichte, aber sie wird hier äußerst amüsant neu erzählt. Dem Leser wird zwar nicht gerade philosophischer Tiefgang, dafür aber jede Menge Spaß, liebevoll gezeichnete Bilder und witzige Dialoge geboten.

Cover von Das Böse kommt auf leisen Sohlen von Ray BradburyObwohl die beiden Jungen Jim Nightshade und Will Halloway völlig unterschiedlich sind, verbringen sie jede freie Minute miteinander und sind ein Herz und eine Seele. Das ändert sich, als eine Woche vor Halloween ein Jahrmarkt in die Stadt kommt. Der Roman spielt ungefähr in den dreißiger Jahren und so gibt es zwar ein Karussell, aber es handelt sich eher um eine Kuriositätenschau. Die Erwachsenen merken es nicht, doch den Jungen ist bald klar, daß mit den Jahrmarktleuten das Böse in die kleine Stadt Einzug gehalten hat. Trotzdem zieht es Jim immer wieder zu den Attraktionen des Jahrmarktes, während Will versucht, seinen Freund davon abzubringen. Bald wird die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt.

-Denn jene können nicht schlafen, wenn sie nicht übel getan, und sie ruhen nicht, wenn sie nicht Schaden getan. Sie nähren sich vom Brot des Frevels und trinken vom Wein der Gewalttat.-
Sprüche, 4: 16-17

Über sechzig Seiten plätschert die Geschichte so vor sich hin: Die Jungen genießen unbeschwert ihr Leben, man erfährt etwas über ihre Eltern und ab und zu philosophiert Bradbury über die Zeit, das Leben und die Menschheit. Alles ganz nett, aber nicht so, daß es den Leser vom Hocker reißen würde. Trotzdem horcht man schon von Zeit zu Zeit auf: Das Gewitter, das in der Luft liegt, dieser Blitzableiterverkäufer, und daß plötzlich überall diese Zettel herumfliegen, die den Jahrmarkt ankündigen -im Oktober, wenn die fahrenden Leute eigentlich nicht mehr durchs Land ziehen; normal ist das alles nicht. Und dann sind sie plötzlich da. Nachts um drei, bringt sie eine altertümliche Dampflok in die kleine Stadt, von niemandem bemerkt, außer von Jim und Will. Von diesem Zeitpunkt an wird die Geschichte von Seite zu Seite unheimlicher, bis sich das Geschehen in einem atemberaubend spannenden Finale entlädt.
Ray Bradbury erzählt allegorisch eine Geschichte über das Leben, über Trauer, über Zeit, über Freundschaft, über die Verbundenheit zwischen Vätern und Söhnen und natürlich über den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, der nicht hoffnungslos sein muß, weil das Böse nur siegen kann, wenn man sich ihm überläßt. Nur wenn man sich dem Bösen überläßt, dann kann auch das Böse den Sieg davon tragen. Und der Leser weiß bis zum Ende nicht, ob sich nicht irgend jemand in diesem Roman von dem Bösen korrumpieren lassen wird. Ich werde es hier ganz bestimmt nicht verraten. 🙂
Noch ein Hinweis für die Literaturfreunde unter den Lesern: Das Böse kommt auf leisen Sohlen (Something Wicked This Way Comes) weist einige Parallelen zu Der Name der Rose auf, auch wenn beide Bücher völlig unterschiedliche Handlungen besitzen und zu völlig verschiedenen Zeiten spielen.
Ach ja, und falls sich jemand vom Diogenes Verlag auf diese Seite verirren sollte: Auf das Cover gehört natürlich nicht ein Briefe lesendes Mädchen, das von einer Katze beobachtet wird, sondern ein Bild, das etwas mit einem Jahrmarkt zu tun hat, zum Beispiel ein schönes altes Karussell mit Holzpferdchen.

Brennende Finsternis von Gail CarrigerLady Alexia Maccon findet das heimatliche Anwesen unerfreulicherweise ohne Ehemann vor. Während dieser sich ebenso ohne Vorankündigung nach Schottland begeben hat, haust im Vorgarten ein ansehnliches Rudel Werwölfe, das auf Alexias Gartengestaltung wenig Rücksicht nimmt. Als sich eine Art Krankheit, die aus den Übernatürlichen wieder Sterbliche macht,  in Conell Maccons Richtung bewegt, begibt sich Alexia kurzentschlossen selbst auf den Weg nach Schottland. Gewisse Ereignisse verlangen jedoch, dass sie dabei von der Erfinderin Madame Lefou, ihrer Freundin Ivy Hisselpenny und sogar ihrer Schwester begleitet wird – ein chaotisches Gespann mit Lachgarantie.

– Lord Conall Maccon, der Earl of Woolsey, brüllte. Laut. –
Alexia ärgert sich über Zelte und Ivy hat etwas bekannt zu geben, S. 7

Zu Brennende Finsternis liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von The Briar King von Greg KeyesVor rund 2000 Jahren konnten sich die Vorfahren der heutigen Bewohner der Kingdoms of Thorn and Bone mithilfe von Genia Dare, der “Born Queen”, aus der Sklaverei der Skasloi-Lords befreien. Doch der Frieden, den das Zeitalter von Everon den Menschen brachte, ist in Gefahr:
Nicht nur der aufkeimende Konflikt zwischen den Königreichen von Hansa und Crotheny, sondern auch eine im Königswald von Crotheny aufwachende, uralte Macht werfen ihre Schatten voraus. Aspar White, der Beschützer des königlichen Waldes, Stephen Darigde, ein junger Priester, Neil MagVren, ein Knappe, Anne, die junge Tochter des Königs, sowie der König selbst werden als Hauptakteure in diesen Konflikt hineingezogen.

-Aspar White smelled murder. Its scent was like a handful of autumn leaves, crisped by the first frost and crusted in the palm.-
The Holter

Ein abschließendes Urteil über The Briar King (Der Dornenkönig) zu fällen, ist schwer. Zum einen stellt es nun einmal nur den ersten Band einer vierteiligen Reihe dar, sodass man nur begrenzt abschätzen kann, wie gut und stimmig die Geschichte und die Welt, in der sie spielt, aufgebaut sind.
Zum anderen weist auch dieser erste Teil Schwankungen in der Qualität auf. Auf den ersten Blick sieht die Geschichte nach einem Standard-Weltuntergangs-Setting aus, in dem dann der Held oder die Helden zur Rettung aller im allerletzten Moment das Ruder herumreißen. Das muss an sich nicht schlecht sein. Schließlich gibt es nicht unendlich viele Möglichkeiten, eine spannende Geschichte zu schreiben, und man muss das Rad ja nicht neu erfinden. Außerdem lassen einige Details die Möglichkeit offen, dass der Verlauf vielleicht nicht ganz so vorhersehbar sein könnte, wie es scheint.
Die Handlung hat also durchaus Potential und auch die Sprache des Autors vermag es zu fesseln. Allerdings nicht durchgehend. Keyes lässt nämlich sich und seinen Figuren teilweise recht viel Zeit und treibt die Story nur gemächlich vorwärts. Wenn es dann jedoch spannend wird, bricht er die Handlung teilweise recht unvermittelt mit einem Kapitelende ab. Da aufeinander folgende Kapitel fast nie den gleichen Charakter als Hauptperson haben, findet sich der Leser also auf einmal in einem Handlungsstrang wieder, der zwar nicht uninteressant ist, aber dem Vergleich mit der gerade gesteigerten Spannung im anderen Handlungsstrang nicht gewachsen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass bei der Rückkehr zu einer der Personen in brenzliger Situation diese eventuell schon längst vorbei ist. So kommt es des Öfteren vor, dass interessante Ereignisse, über die man zu lesen hoffte, nur kurz und indirekt in Form von Rückblicken, die in die Geschichte integriert sind, beschrieben werden. Hier verschenkt Keyes einiges an Möglichkeiten.
Doch trotz all dieser Störungen des Leseflusses schafft er es, viele seiner Figuren glaubhaft und sympathisch mit Leben zu füllen. Manche ein wenig klischeehaft, aber dann oft mit einem Augenzwinkern versehen, ohne dass sie ihre Glaubwürdigkeit verlieren würden. Auch die Welt, mit wenig offensichtlicher, jedoch einiger verborgener Magie kann in der Regel überzeugen. Wenn es also auch nicht der ganz große Wurf ist, so ist Greg Keyes doch zumindest ein gut vorzeigbares Werk gelungen.

The Broken Kingdoms von N.K. Jemisin10 Jahre nach der Befreiung der Götter hat sich in Sky einiges verändert: durch den wachsenden Weltenbaum haben die Bewohner an dessen Fuße nicht mehr viel vom Sonnenlicht, weshalb das Viertel, in welchem die Heldin des Romans ihr Dasein fristet, kurzerhand in Shadow unbenannt wurde. Oree Shoth, eine blinde Maroneh, die mit dem Traum vom besseren Leben in die Stadt kam, verkauft billigen Tand an gütige Pilgerer und lebt davon mehr schlecht als recht. Gut, dass sie zum einen keineswegs so hilflos ist, wie es ihre Blindheit suggeriert, und zum anderen ist es ebenso hilfreich, einige Freunde unter den Godlings – den geringeren Götter – zu haben. Und Hilfe hat sie bitter nötig, als jemand damit beginnt, Godlings zu töten und sie bald selbst unter dringendem Verdacht steht.

– I perceived a wave of brightness so intense that I cried out as it washes past, dropping my stick to clap both hands over my eyes. I didn’t know these things could hurt like that. –
Chapter 2: „Dead Goddesses“ (watercolor)

Durch den unkonventionellen, imaginativen Vorgänger The Hundred Thousand Kingdoms (Die Erbin der Welt) waren die Erwartungen sehr hoch: schafft es N. K. Jemisin erneut, den Leser derart in den Bann der Geschichte um Götter, Liebe und Macht zu ziehen? Nicht unerwähnt soll bleiben, dass ich für gewöhnlich nichts mit Liebesgeschichten anzufangen weiß, und dennoch hat mich der erste Band sehr gut unterhalten.

Dem zweiten Teil der Inheritance Trilogy (Das Erbe der Götter) gelingt dies, kurz gesagt, nur bedingt. Die Protagonistin Oree Shoth beschäftigt sich in der ersten Hälfte des Romanes mit den mannigfaltigen Problemen, die unsterbliche Liebe so mit sich bringt – besonders, wenn ein Partner tatsächlich unsterblich ist, während der andere, wenn nichts dazwischen kommt, „nur“ noch 60-70 Jahre zu leben hat. Und man ahnt es schon: natürlich kommt etwas dazwischen. Mord und Totschlag, um genau zu sein, und ein mysteriöser Hausgast – der längst nicht so mysteriös ist, wie sich das N. K. Jemisin vielleicht gewünscht hat. Doch bevor die Handlung so richtig Fahrt aufnimmt, wird dem Leser vorerst eines klar: Sex mit einem Gott ist richtig gut. Wirklich. Wer das nicht glaubt, der kann es nachlesen (Buch aufschlagen, zehn Seiten vor- oder zurückblättern). Das Liebesleben von Oree ist ungewöhnlich, aber nicht so interessant, als dass es dem Leser nach mehr Details dürstet; und dennoch beschränkt sich die erste Hälfte des Romanes leider beinahe völlig auf die anstrengenden bis nervigen Liebesdünkel Orees. Es ist unfreiwillig komisch, dass das Buch gut wird, sobald die Quelle Orees endloser Liebeleien auf tragische Art und Weise kurzzeitig die Bildfläche verlässt.

Doch mit besagtem Moment nimmt das Buch deutlich an Fahrt auf und findet zu alter Stärke zurück: mit kreativen, guten Einfällen und überzeugenden Charakterinnensichten und -geflechten weiß Jemisin auf einmal wieder zu überzeugen und zu fesseln. Das chaotische Pantheon aus Göttern, Godlings und magisch begabten Menschen – wie Oree – und, dem entgegengesetzt, die Vielfalt aus Götterkulten und religiösen Mini-Diktaturen lassen viel Spielraum für überraschende Wendungen; die Geschichte wartet auf einmal mit Witz, Brutalität und Spannung gleichermaßen auf. Von den vielschichtigen Charakteren mit so einigen Untiefen begeistern besonders der Kindgott Sieh und der bereits erwähnte fremde Hausgast Orees; hier beschränkt sich Jemisin keinesfalls auf altbewährte Muster, sondern kreiert äußerst innovativ neue, glaubwürdige Gestalten.

Die Entscheidung, die Handlung aus der – nun ja – Sicht einer blinden Frau zu erzählen, die außer Magie nichts visuell wahrnehmen kann, halte ich für gewagt und ambitioniert – und sehr interessant. Jemisin gelingt es, bis auf einige kleine Momente der Unschlüssigkeit, die Geschichte spannend, leb- und glaubhaft zu erzählen, obwohl der Leser auf gewohnte Landschafts- und Personenbeschreibungen weitgehend verzichten muss. Besonders der teilweise beinah lyrische, doch zumeist sehr lockere bis flapsige Erzählstil charakterisiert die Protagonistin besser, als jede Beschreibung es könnte. Dass Oree gut aussieht und schöne Brüste hat, bleibt dennoch nicht unerwähnt, und auch der Fakt, dass sie aus offensichtlichen Gründen Nacktheit nicht beschämend findet und deshalb dieser frönt, erzwingt gewissermaßen die ein oder andere (auf Dauer ermüdende) Schlüpfrigkeit. Dass der Roman mit einem wortwörtlichen Höhepunkt den Spannungsgipfel erreicht, wird da niemanden überraschen.

Das Wiedersehen mit den Charakteren aus Band 1 und besonders die tiefer ausgearbeitete, komplexe Hintergrundgeschichte des Götterkrieges dürfte alle Leser gleichermaßen erfreuen und die Leser des ersten Bandes begeistern, und Freunde des Romantischen werden das Buch schon von der ersten Seite an verschlingen. Für die sehr gelungene zweite Hälfte des Buches verschmerzt man im Nachhinein gern den ansonsten teilweise langatmigen und nervraubenden Beginn und freut sich schon auf den finalen Band The Kingdom of Gods (Die Rivalin der Götter) der Inheritance Trilogy der ambitionierten und einfallsreichen Autorin.

Cover des Buches "Brücke der brennenden Blumen" von Tobias O. MeißnerEin neuer Auftrag führt das Mammut in den bizarren Thost-Wald. Die heimische Kaninchenpopulation hat sich dramatisch reduziert und das ganze Ökosystem ist bedroht. Da Rodraeg noch immer mit dem Tod ringt, brechen Bestar und Eljazokad auf, um sich mit dem Verbindungsmann im Thost zu treffen. Dort angekommen müssen sie feststellen, dass eben jener Selbstmord begangen hat. Völlig auf sich allein gestellt betreten sie den Thost, um herauszufinden, was dort vor sich geht. Doch niemand hätte sie auf den Schrecken vorbereiten können …

-Rot barg der Schnee den schwarzen Wald.-
Prolog

Nach drei Teilen durchbricht der Meißner nun erstmals das gewohnte Schema des Questelösens und widmet sich mehr der vielfach angedeuteten Hintergrundhandlung. Anstatt diese jedoch langsam nach und nach aufzudecken, werden sowohl die Protagonisten als auch der Leser ins kalte Wasser geschubst.

Teil 4 beginnt wie gewohnt mit einem Auftrag, jedoch reisen nur zwei der vier Personen dieses Mal los. Die übliche Handlung, also das Reisen, Erkunden und Nachfragen, endet abrupt nach etwa einem Drittel des Buches und macht einer ziemlichen wirren “zweiten Reise” (ohne jetzt zu viel verraten zu wollen) Platz. Die erinnert am Anfang ziemlich arg an einen Drogentrip, zu fantastisch und effektheischend werden Schlag auf Schlag neue Orte aus dem Boden gestampft, ohne dass man diese in einen Kontext bringen könnte. Im Laufe der Zeit werden aber viele Andeutungen und Gegebenheiten aus den vorherigen Büchern wieder aufgenommen und mit neuen Aspekten versehen. Ein richtiges Gesamtbild erhält man freilich noch nicht, aber das Flickenmuster nimmt langsam Gestalt an.
Zwar erhält man einige Antworten und endlich mehr als eine Ahnung, wie die so lange nur angedeutete Hintergrundhandlung aussehen könnte, letztendlich werden jedoch mehr neue Fragen aufgeworfen als alte beantwortet. Das Ziel der nächsten Bücher bleibt also weiterhin, Licht ins Dunkel zu bringen, aber man hat jetzt wenigstens das sichere Gefühl, dass wirklich mehr in den Büchern steckt als ein reines Questelösen. Ein entsprechender Epilog, der wie jedes Mal scheinbar keinerlei Bezug zur bisherigen Handlung hat, macht das Warten auf den nächsten Teil auch nicht leichter.

Cover von Die Brüder Löwenherz von Astrid LindgrenDer neunjährige Karl Löwe, genannt Krümel, ist krank. Aber erst als er zufällig seine Mutter belauscht, erfährt er, dass er bald sterben muß. Er wird traurig und bekommt furchtbare Angst. Sein älterer Bruder Jonathan erzählt ihm, daß der Tod nichts Schreckliches ist, denn danach kommt man in das Land Nangijala, wo man ein Abenteuer nach dem anderen erlebt. Aber dann stirbt Jonathan vor Krümel. Doch bald sind die Brüder in Nangijala vereint, im Kirschtal, das genauso schön ist wie Jonathan gesagt hat. Bald jedoch bemerkt Krümel, daß seltsame Dinge vor sich gehen. Der Frieden des Kirschtals ist bedroht. Im benachbarten Heckenrosental herrscht der grausame Tyrann Tengil, der jetzt auch das Kirschtal einnehmen will.

-Jetzt will ich von meinem Bruder erzählen. Von ihm, Jonathan Löwenherz, will ich erzählen. Es ist fast wie ein Märchen, finde ich, und ein klein wenig auch wie eine Gespenstergeschichte, und doch ist alles wahr. Aber das weiß keiner außer mir und Jonathan.-
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Die Brüder Löwenherz (Bröderna Lejonhjärta) ist das schönste traurige Buch der ganzen Welt. Besonders die ersten beiden Kapitel und das Ende sind so rührend, daß Ihnen die Tränen in die Augen treten werden. Das gilt selbstverständlich nicht für Männer, die ja bekanntlich höchst selten weinen und schon gar nicht bei der Lektüre von Kinderbüchern. Es könnte aber ganz zufällig passieren, daß Sie beim Vorlesen der erste Allergieanfall des Jahres erwischt, mit tränenden Augen und laufender Nase. Also legen Sie trotzdem ein paar Taschentücher in Ihre Nähe, sicherheitshalber.
Astrid Lindgren thematisiert in diesem Buch Tod, Trauer und den Kampf gegen das Böse. Kann man ein solches Buch Kindern überhaupt zumuten? Ja, man kann. Denn das Wunderbare an Die Brüder Löwenherz ist, daß Astrid Lindgren trotz dieses Themas eigentlich eine ganz andere und sehr spannende Geschichte erzählt. Sie erzählt von Liebe, Selbstlosigkeit, Freundschaft, Treue und Mut. Sie erzählt von der Liebe zwischen den Brüdern Löwenherz, die alle Gefahren und sogar den Tod überwindet. Sie erzählt von der Selbstlosigkeit des alten Matthias, der Jonathan vor den Schergen des Tengil versteckt, obwohl darauf die Todesstrafe steht und sie erzählt vom Mut des kleinen ängstlichen Krümel und dem Mut der Antonia. Deren Mann wird von Tengils Männern getötet. Später sehen Krümel und Matthias wie sie auf der Türschwelle ihres Hauses sitzt und sich das Haar abschneidet. Während der erwachsene Leser noch denkt, sie mache dies als Zeichen der Trauer fragt Matthias: “Was tust du, Antonia? Was machst du mit deinem Haar?” “Bogensehnen”, sagte Antonia.

Eigentlich ist Die Brüder Löwenherz gar kein Kinderbuch, es ist ein Lehrbuch für Diktatoren. Aber selbst, wenn sie es läsen, würden sie nur darüber lachen, weil sie nicht verstünden, daß es bald keine Diktatoren mehr gäbe, wenn jedes Kind dieser Welt dieses Buch gelesen hätte. Also lesen SIE es. Verschenken Sie es an jeden, den Sie kennen, ob er neun oder neunzig Jahre alt ist. Spenden Sie es an öffentliche Büchereien in Schulen, Krankenhäusern, Horte und Kirchengemeinden. Schenken Sie es Ihrem Abgeordneten. Die Brüder Löwenherz gehören in jedes Haus.

Die Bruderschaft des Talisman von Clifford D. SimakIm Herrensitz von Standish House wird eine uralte Schriftrolle gefunden – womöglich ein Beweis für die Existenz der historischen Person Jesus. Doch um die Echtheit der Schrift zu überprüfen – eines Dokuments, das den Menschen der verwüsteten Welt wieder bitter benötigte Hoffnung geben könnte –, muß es vom Norden Englands nach Oxenford gebracht werden. Dazwischen liegt das ‘Öde Land’, in dem sich die sogenannten Verheerer aufhalten: Schreckliche Monstren aller Art, die seit Jahrhunderten über die Menschheit herfallen. Der junge Adlige Duncan Standish wird auserwählt, die Schriftrolle durch das Feindesland zu transportieren, zusammen mit einigen treuen Begleitern.

-Das Herrenhaus war das erste unzerstörte Gebäude, das sie in den zwei Tagen ihrer Reise durch ein unglaublich gründlich verwüstetes Gebiet sahen.-
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Aus dem Jahr 1978, also dem Jahr nach der Mutter aller Tolkien-Klone (The Sword of Shannara von Terry Brooks), stammt diese Questengeschichte um einen jungen Adligen, der ein kostbares Artefakt mitten durch’s Feindesland transportieren muß, und sie ist einer der wenigen Ausflüge des SF-Autors Clifford D. Simak in die Fantasy. An vielen Kleinigkeiten erkennt man, daß das Genre damals noch nicht in die starren Schemata der Tolkien-Epigonen gepreßt war, auch wenn Die Bruderschaft des Talismans rein äußerlich dieser Blaupause durchaus zu folgen scheint und schon am Originaltitel The Fellowship of the Talisman erkennbar ganz offen in diesen Revieren wildert. Simaks gemächliche Erzählweise und die vielen mit großer Ernsthaftigkeit verfolgten klassischen Motive haben allerdings zur Folge, daß der Roman nicht ohne Einschränkungen empfohlen werden kann.

Am Helden Duncan Standish hat der Zahn der Zeit ganz besonders genagt: Er ist für heutige Verhältnisse lächerlich naiv und gutherzig, ein junges, unbeschriebenes Blatt, das nicht einmal groß über sich selbst hinauswachsen muß, weil er von Anfang an schon ein aufrechter und hervorragender Kämpfer ist. Dieser Part fällt eher seinem Gefährtentrupp zu, der bunt wie frisch importiert aus der Sesamstraße daherkommt: ein loyaler Diener, ein treuer Kampfhund (dessen Geschlecht in der deutschen Übersetzung mitunter changiert), ein zweifelnder Eremit, ein Geist, der nicht spuken kann, eine Hexe ohne magische Kräfte, ein Schlachtroß und ein kämpferischer Esel, eine Banshee und eine (nach ihrer Etablierung als Love interest des Helden zunehmend häusliche) Kampfmaid mit einem Reitgreif namens Hubert.

Die Queste, die nicht ganz konsequent umgesetzt (aber dadurch auch wenig störend für nicht gläubige Leser) auf christlicher Mythologie fußt, ist von Anfang an eine Verzweiflungsmission, denn das heilige Artefakt muß sicher durch einen wahren Todesstreifen gebracht werden, in dem die sogenannte Horde marodiert, eine Ansammlung abgrundtief böser Lebewesen und Bestien, die dafür gesorgt haben, daß die Menschheit bis zur Gegenwart auf dem Entwicklungsstatus des Mittelalters verharrt. Diese nicht-entwickelte Welt, in der durchaus manchmal moderne Einsprengsel und vor allem kurze Blicke auf eine mögliche andere –unsere– Gegenwart durchschimmern, hat eine gewisse postapokalyptische Anmutung, zumal beinahe die gesamte Handlung im verheerten Öden Land angesiedelt ist. Dieser Odem des Zerfalls unterscheidet sich stark vom  gewohnten Ambiente epischer Fantasy.
Die Hintergründe der Welt und der Queste nimmt man besser nicht zu sehr unter die Lupe, denn einer genaueren Betrachtung halten sie weder stand, noch werden die großen Fragen, die sich im Verlauf der Handlung stellen, zufriedenstellend geklärt. Simak greift statt dessen auf sein bevorzugtes Genre zurück, die SF, wodurch Die Bruderschaft des Talisman zu einem merkwürdigen Hybrid wird.

Welche Gründe gibt es also, diesen leicht unausgegorenen und nicht mehr ganz zeitgemäßen Roman trotzdem zu lesen? Vorweg ist zu sagen, daß man, um ihn überhaupt genießen zu können, willens sein muß, sich mit einer gewissen nostalgisch-verklärten Gutmütigkeit auf alte Fantasy einzulassen. Dann besticht Die Bruderschaft des Talisman durch viele Kleinigkeiten, in denen man Simaks große Stärken wiederfindet, die er auch in seiner SF zur Schau stellt: Vor allem anderen eine menschen- und tierfreundliche Warmherzigkeit, ein milder Blick auf menschliche Schwächen, durch die die skurrilen Charaktere, die sich oft in ausführlichen Zweifeln ergehen und auf die ein oder andere Weise unzulänglich fühlen, eine Menge Charme versprühen können – besonders der Eremit Andrew und die alte Hexe Meg sind ein herziges Pärchen. Und sie sind nicht die einzigen beiden Figuren, die Duncans altmodische Ritterfahrt durch ihre Zögerlichkeit aufhalten. Damit gehen auch amüsante Dialoge einher, und insgesamt sind es eher die ruhigen als die actionreichen Passagen des Romans, die gut funktionieren. Immer wieder gelingen Szenen mit viel Atmosphäre in der menschenleeren Landschaft, und kuriose Ideen blitzen auf, manche gelungen und manche weniger (so etwa ein kleiner Ausflug in die Artussage, beim Handlungsort auf den britischen Inseln wohl unerläßlich). Und über allem liegt ein feiner, leiser Humor. Wenn man Die Bruderschaft des Talisman nicht wegen der Spannung liest, findet man eine schlicht und ergreifend nette Abenteuergeschichte, nicht mehr und nicht weniger.

Auf Deutsch wurde der Roman in zwei Versionen veröffentlicht, 1979 unvollständig als Die Brüderschaft vom Talisman (Cover mit einem Drachenkämpfer), 1987 in einer überarbeiteten Ausgabe als Die Bruderschaft des Talisman mit dem gezeigten Rattencover.

Cover des Buches "Im Brunnen der Manuskripte" von Jasper FfordeUm vor ihren Widersachern geschützt zu sein, zieht sich die schwangere Thursday Next in einen im Brunnen der Manuskripte lagernden Kriminalroman mit dem Titel Caversham Heights zurück, der so schlecht ist, dass er wahrscheinlich nie veröffentlicht werden wird. Aber lange kann sie ihren Aufenthalt dort nicht ungestört genießen. Ein Mörder geht um, der einen Jurisfiktion-Agenten nach dem anderen ins Jenseits befördert, Aornis manipuliert immer noch Thursdays Erinnerungsvermögen und ein weiteres Mal versucht ein Großkonzern die Welt der Bücher unter seine Kontrolle zu bringen.

-In einem unveröffentlichten Roman zu wohnen hatte durchaus seine Vorteile. Die ganzen Alltagsgeschäfte, die uns im sogenannten wirklichen Leben auf Trab halten, wären für eine Erzählung in der Regel zu langweilig und werden deshalb meist ausgeblendet. Der Wagen brauchte nie aufgetankt zu werden, ich wählte nie die falsche Nummer, es gab immer ausreichend heißes Wasser, und die Beutel für den Staubsauger paßten auch immer.
1. Die Abwesenheit des Frühstücks

Der dritte Thursday-Next-Roman ist nicht ganz so temporeich und überdreht wie seine Vorgänger, trotzdem steht er ihnen an Skurrilität, Humor und Spannung in nichts nach. Die zahlreichen Anspielungen auf die Weltliteratur sind an Witz kaum zu überbieten. Miss Havisham führt in Emily Brontes Wuthering Heights mit sämtlichen Protagonisten eine Jurisfiktion-Wutberatungs-Therapiesitzung durch, zwei russische Klatschbasen tratschen im Fußnotofon bis zum bitteren Ende über die Ehe der Karenins und vor Thursday Nexts Tür stehen die drei Hexen aus Macbeth und ergehen sich wie gewöhnlich in undurchsichtigen bedrohlichen Prophezeiungen. Endlich erfährt der Leser, warum es sinnlos ist weiter auf Godot zu warten und was hinter dem scheinbaren Idyll in Enid Blytons Geschichten lauert. Und dank Jasper Fforde wissen die Deutschen nun, was mit ihrer schönen Sprache geschehen ist: sie wurde vom NeuSchreib-Vyrus befallen.

Den Mispeling Vyrus hatte Konrad Duden nahezu gänzlich unter Kontrolle gebracht aber in letzter Zeit hat eine Clique von größenwahnsinnigen Qmiehs einen NeuSchreib-Vyrus in Umlauf gebracht, der gegen jede Vernunft resistent ist und auch schon einige literarische Werke zerstört haben soll. Die Deutschen können einem schon leid tun. Neulich stand ein ganzes Rudel am Tor und hat nach verloren gegangenen Adverbien gesucht. Ich hab’ sie natürlich nicht reingelassen. Man konnte gleich sehen, dass sie schwere Regelwut hatten.

Danke Jasper Fforde, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Cover des Buches "Das Buch Atrus" von Robin & Rand Miller und David WingroveAtrus lebt mit seiner Großmutter am Rande eines erloschenen Vulkans mitten in der Wüste. Das Leben ist hart, aber Atrus kann sich kein anderes vorstellen. Eines Tages kommt ein Fremder zu ihm und seiner Großmutter und stellt sich als sein Vater Gehn vor. Er will Atrus mitnehmen nach D’ni, jener mysteriösen Welt, die seine Großmutter Anna bereits so oft erwähnt hat. Gemeinsam machen sich Vater und Sohn auf, die Rätsel von D’ni zu erkunden. Dort angekommen, erwarten Atrus viele Überraschungen und Wunder, aber auch viele Gefahren, denn sein Vater verheimlicht ihm etwas …

-»Gehn«, sagte Atrus leise und wiederholte den Namen wie ein Echo.
Der Fremde nickte, dann legte er die Hand von Atrus’ Kopf. »Gut. Geh jetzt und sag deiner Großmutter, dass sie einen Gast hat.«-
4

Das Buch Atrus (The Book of Atrus), der erste Band der Myst-Trilogie, ist ein halbwegs spannendes Buch rund um die Entstehung der “Kult”-Insel Myst, die dem geneigten PC-Spieler bereits hinlänglich bekannt ist. Das Buch entpuppt sich als gut durchdachte Saga, die sich harmonisch in die Myst-Reihe einfügt, ohne irgendwelche Lücken offen zu lassen. Die Spannung bleibt aber irgendwo zwischen dem siebenunddreißigsten und fünften Zeitalter auf der Strecke. Erst gegen Ende bessert es sich wieder, aber auch da ist relativ leicht vorhersehbar, was passieren wird.

Ein riesiger Pluspunkt ist die Welt der D’ni, die durch ihre unglaubliche Komplexität auffällt. Alles ist genauestens durchdacht, jeder Mosaikstein fügt sich am Ende an seinen Platz und erweitert so das Bild über ein Volk, das einmal Millionen von Welten beherrschte.
Wenn sich der Roman wieder auf Atrus und seinen Vater konzentriert, wird das zwar nicht gerade langweilig, quillt aber auch nicht vor Spannung über. Anders als im Nachfolgeband stehen hier eher die Personen und nicht die D’ni im Vordergrund, und da müssten die Autoren noch ein bisschen an sich arbeiten.

Mir war aus dem zweiten Teil schon Gehns Geschichte bekannt und so wusste ich, warum dieser so oder so handelt – für Neueinsteiger dürfte genau das ein Problem sein, denn oft bleiben die Hintergründe der Handlungen der Personen im Dunkeln. Außerdem wäre es hier (mehr als im Buch Ti’ana) hilfreich, das Spiel zu kennen oder zumindest mal von Myst gehört zu haben. Andernfalls dürfte man Probleme bekommen, der Handlung zu folgen, denn die Autoren erklären wenig und setzen voraus, dass der Leser bereits das Spiel kennt.

Schade eigentlich, denn wie der Nachfolger zeigt, steckt viel Potential in D’ni, das man zu spannenderen Geschichten verarbeiten kann.

Cover von Das Buch der Drei von Lloyd AlexanderTaran träumt davon, ein Held zu sein und Abenteuer zu erleben. Bisher hat er es aber nur zum Hilfsschweinehirt gebracht. Als eines Tages das Zauberschwein Hen Wen davonläuft, macht sich Taran auf die Suche nach dem Tier und gerät dabei in höchste Gefahr.

-Taran hätte lieber ein Schwert geschmiedet; doch Coll, der mit der praktischen Seite seiner Erziehung betraut war, bestand auf Hufeisen.-
Der Hilfsschweinehirt

Dem Cover sieht man es nicht auf Anhieb an, daß es sich bei diesem Roman um ein Kinderbuch handelt. Wahrscheinlich hat man wegen der neu ausgebrochenen Fantasy-Begeisterung versucht, mit Hilfe des Titelbildes das Buch auch für Erwachsene attraktiv zu machen. Das Buch der Drei (The Book of Three) ist aber schon vor Jahren im Arena Verlag erschienen, unter dem Titel Taran und das Zauberschwein.

Bei diesem Roman handelt es sich mit Sicherheit nicht um einen Meilenstein der Fantasy, wie der Verlag behauptet. Dazu sind die Charaktere zu eindimensional: Die Guten sind gut und die Bösen sind böse. Der einzige, der ansatzweise eine Entwicklung durchmacht, ist Taran. Die Handlung ist nicht genügend motiviert und durchschaubar. Die Gefahren, die Taran und seine Freunde bedrohen, tauchen plötzlich und unerwartet auf, ebenso schlagartig und unmotiviert folgt die Rettung auf dem Fuße. Kinder werden das aber so nicht wahrnehmen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Kinder die Handlung spannend und abwechslungsreich finden und sie können sich gut mit den Hauptfiguren identifizieren. Unterhaltsam geschrieben ist das Buch allemal, dafür sorgt allein schon der witzige Gurgi, der sich auf eine Art und Weise benimmt, daß den Leser der begründete Verdacht beschleicht, daß Gurgi als Vorlage für J.K. Rowlings Hauself Dobby gedient hat.

Bastei Lübbe hätte gut daran getan, den Roman mit der Altersangabe Ab neun zu versehen. Für erwachsene Leser ist das Buch zu oberflächlich und hat zu wenig Tiefgang, obwohl die übliche Moral -Freundschaft ist etwas wertvolles und das Gute siegt- natürlich auch hier vorhanden ist. Wenn man für zwei Stunden schnelle Unterhaltung sucht, z.B. um sich von einem bevorstehenden Zahnarztbesuch abzulenken oder wenn man sich daran erinnert, Taran als Kind verschlungen zu haben, dann kann man das Buch auch als Erwachsener lesen, ohne daß man Schaden am guten Geschmack erleidet.

Das Buch der Entscheidung von James ClemensDie Vorbereitung für die entscheidende Schlacht gegen den dunklen Herrscher in Schwarzhall läuft gerade an, als plötzlich der Harlekin Qual in A’loatal auftaucht – er kommt direkt aus Gul’gotha und berichtet von den Plänen des Gegners, schon in Kürze einen entscheidenden Schlag gegen das Land zu führen.
Elena kann sich nicht entscheiden, schon anzugreifen, zumal ihre Verbündeten sich gegenseitig misstrauen und Verrat in der Luft liegt. Doch dann wird ihr die Entscheidung in einer Nacht voller Magie abgenommen, und sie und ihre Gefährten befinden sich wieder auf einer gefährlichen Mission, während ihre Heere auf Schwarzhall marschieren …

-Ist es nicht seltsam, an einem strahlenden Frühlingstag vom Tod zu träumen?-
Hexenstern

James Clemens gelingt es im Abschluss-Band der Banned & the Banished-Reihe, einen schönen Bogen zum Beginn der Geschichte zu schlagen, indem er die Geschehnisse wieder an den Ausgangsort zurückführt und die Handlung teilweise parallel zum ersten und zweiten Band laufen lässt – Elena ist wieder mit ihren Freunden allein in der Wildnis unterwegs und muss sich teilweise sogar mit altbekannten Gegnern herumschlagen.
Doch die schweren Geschütze, die für das Finale der fünfbändigen Reihe aufgefahren werden, erschlagen Leser und Leserinnen förmlich: Alle paar Seiten gibt es spektakulärste magische Effekte, es glüht, glitzert und kracht ohne Unterlass. Nun ließ sich die Welt Alasea zwar von Anfang an in die äußerst magiebetonten Gefilde der Fantasy einordnen, aber dieser bunte Overkill an Erscheinungen schafft sehr schnell einen sehr abgebrühten Leser, und für das eigentliche Ende hat Clemens dann all sein Pulver schon verschossen.

Trotzdem weiß er an einigen Stellen noch zu überraschen – die mysteriöse Identität seiner Erzählerfigur klärt sich beispielsweise tatsächlich erst ganz am Ende des Romans auf. Von der Rahmengeschichte über die “verbotenen Schriften” hätte man sich hingegen ein bisschen mehr Aha-Effekt erwartet, und ebenso vom eigentlichen Ende von Elenas Geschichte, das leider keine großen Überraschungen mehr bietet. Der Kampf gegen den dunklen Herrscher läuft ab wie erwartet, auch wenn Clemens noch einmal alles in die Waagschale wirft, was jemals gegen die Helden angetreten ist.

Wie bisher sind es hauptsächlich die Figuren, die den Roman dennoch lesenswert und auch außergewöhnlich machen; in diesem Bereich werden fast alle Geschichten zu ihrem manchmal tragischen Ende geführt, und es gibt einige kleine, in sich geschlossene Nebenhandlungen, die sehr gut gelungen sind – wie etwa die Geschichte vom Steinmagus. Der Hang zu Kitsch und Tragik, den Clemens bereits in den Vorgängern zur Schau gestellt hat, wurde eher noch versschärft, doch alles andere würde in einer solch monumentalen Umgebung sowieso untergehen.
Mit zwei offenen Handlungsfäden hat sich Clemens eventuell sogar ein Türchen offen gelassen, durch das er eines Tages nach Alasea zurückkehren könnte – für die Fans von bunter, eher leichter Abenteuerfantasy wäre das ein Gewinn, vor allem, wenn eine etwas weniger durchkonstruierte und magisch überladene Erzählung dabei herauskäme, denn unter all der grellen Tünche lässt sich erkennen, dass Clemens den Zauber durchaus beherrscht.

Cover der Buches "Das Buch der toten Tage" von Marcus SedgwickBoy lebte auf der Straße, als der Zauberkünstler Valerian ihn in einer Kirche aufgelesen hat. Er kann sich an kein anderes leben erinnern. “Boy” ist auch kein richtiger Name, Valerian ruft ihn so. Boy ist Valerians Gehilfe bei den Vorstellungen. Aber er erledigt auch andere Dienste für seinen Herrn, etwa Briefe bei allen möglichen Leuten abliefern. Dabei gehen gerade unheimliche Dinge vor sich, bestialische Morde geschehen und Gräber werden geplündert. Sogar Valerian ist nervöser als sonst. Am 27. Dezember, dem ersten der “toten Tage” bricht aus Valerian heraus, worüber er sich sorgt: ihm bleiben noch vier Tage, dann muß er sterben. Es gibt nur einen Weg, Valerians Leben zu retten. Er muß das Buch der toten Tage finden…

-Hast du je die Reglosigkeit dieser sonderbar stillen Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr gespürt? Für mich sind das tote Tage. Tage, an denen die Türen zwischen unserer Welt und jener unsichtbaren, die gleich darunter liegt, geöffnet sind.-
Vorbemerkung des Autors

Ein Junge ohne Vergangenheit, ein zwielichtiger Magier, mysteriöse Morde, nächtliche Grabungen auf einem Friedhof, unterirdische Labyrinthe und ein Pakt mit dem Bösen – das sind ein paar der Fäden aus denen Marcus Sedgwick seinen spannenden Roman Das Buch der toten Tage (The Book of Dead Days) gestrickt hat.
Die interessanteste Figur ist Valerian: Ein Mann voller Ehrgeiz, Bühnenzauberkünstler, “richtiger” Magier und Gelehrter, der Boy in einer Kirche aufgelesen und das Waisenkind bei sich behalten hat, obwohl dieser strenge und unfreundliche Mann keineswegs den Eindruck macht, als hätte er eine soziale Ader und würde sich mit Vorliebe um das Elend anderer Leute kümmern. Boy ist vor allen Dingen durch seine mysteriöse Herkunft interessant und natürlich ist er der Held der Geschichte, der von einer atemberaubenden Gefahr in die andere gerät.

Aber der Roman hat noch eine andere faszinierende “Hauptfigur” und das ist diese düstere Stadt, die Sedgwick geschickterweise nicht in einer bestimmten Epoche ansiedelt und auch nicht benannt hat, so daß die Phantasie jedes Lesers genügend Spielraum hat, um sich ihren eigenen finsteren Moloch auszumalen. Sedgwick hat aber dem Leser genügend Hinweise gegeben, um diesen Phantasien Nahrung zu geben. So schreibt er in seiner Vorbemerkung:

Und plötzlich sah ich eine Welt vor mir oder eher eine Stadt, so riesig und wuchernd, daß sie eine Welt für sich bildet. Magische Orte haben diese Stadt inspiriert, Paris mit seinen Meilen unsichtbarer Katakomben, Bologna mit seinem versteckten Kanalsystem und Krakau mit seinen überfüllten Friedhöfen und Schneemassen zur Weihnachtszeit.

Der Rezensent hat sich allerdings eher das alte Prag mit seinen engen, verwinkelten Gassen und alten Friedhöfen vorgestellt und auch das mit gutem Grund: Dem Engländer Marcus Sedgwick sei zunächst einmal Dank, daß er darauf verzichtet hat, als Schauplatz das neuerdings so beliebte viktorianische London zu wählen und obwohl er keine genaue Zeitangabe macht, nennt er einen Namen, der dem Leser eine zeitliche Vorstellung vermittelt: Valerians ehemals bester Freund und Wissenschaftskollege heißt Kepler, ist Doktor der Medizin, betrieb aber zugleich spezielle Forschungen auf dem Feld der Himmelskunde. Er besaß Geräte aller Art, mit denen er die Sterne beobachtete … Kepler hatte Boy einmal erzählt, er könne Voraussagen aller Art über Menschen und ihre Handlungen treffen, er brauche dazu nur den genauen Zeitpunkt ihrer Geburt zu wissen. Das ist natürlich mehr als nur eine leise Anspielung auf den berühmten Astronomen Johannes Kepler, der von 1571 bis 1630 lebte, 1600 nach Prag übersiedelte und Wallensteins Horoskop erstellte. Es ist aber eindeutig, daß Sedgwick seinen Roman in keiner identifizierbaren vergangenen Epoche ansiedeln möchte, denn die beiden Gelehrten machen Experimente mit Elektrizität, die an Galvanis berühmte Versuche erinnern, die dieser aber in der Realität erst um 1780 durchführte. Auch ist der Herrscher über Boys Welt, König Frederik, nicht historisch. Diese höchst geglückte Verquickung von realen und phantastischen Motiven macht Das Buch der toten Tage zu einer fesselnden Lektüre.

Die toten Tage sind in Deutschland übrigens besser unter dem Begriff Zwischen den Jahren bekannt, der natürlich keinen wohlklingenden Titel für ein phantastisches Buch geliefert hätte. Es handelt sich um die Tag vom 27. bis zum 31. Dezember. Jedem dieser Tage ist ein Kapitel des Romans gewidmet und hier gibt es allerdings einen Kritikpunkt: Die Kapitelüberschriften sind nicht immer ganz geglückt. Während sich Der Tag des größten Unglücks oder Der Tag der schlimmen Entwicklungen noch ganz gut anhören, so klingen die doppeldeutigen Titel Der Tag des geschickten Mitarbeiters oder Der Tag der vollkommenen Beförderung eher nach Aktionen eines mittelständischen Unternehmens zur Mitarbeitermotivation oder gar nach den alten sozialistischen “Gedenktagen”.

Cover von Das Buch der Wunder von Miriam Kronstädter/Hans-Joachim Simm (Hgg.)Miriam Kronstädter und Hans-Joachim Simm haben für dieses Buch siebenundvierzig phantastische Geschichten bedeutender Autoren aller Herren Länder zusammengetragen. Wie immer bei Anthologien gibt es mehr Informationen zum Inhalt in der Buchbesprechung.

-In einer norddeutschen Seestadt, in der sogenannten Düsternstraße, steht ein altes verfallenes Haus. Es ist nur schmal, aber drei Stockwerke hoch; in der Mitte desselben, vom Boden bis fast in die Spitze des Giebels, springt die Mauer in einem erkerartigen Ausbau, vor, welcher für jedes Stockwerk nach vorne und an den Seiten mit Fenstern versehen ist, so daß in hellen Nächten der Mond hindurchscheinen kann.-
Theodor Storm: Bulemanns Haus

Diese Anthologie ist eine Fundgrube für Freunde der phantastischen Literatur. Berühmte Autoren wie Nikolaj W. Gogol, Gabriel Garcia Márquez, Jack London, H.P. Lovecraft, August Strindberg, Ludwig Tieck, Joseph Sheridan Le Fanu, E.T.A. Hoffmann, Stanislaw Lem, Tania Blixen, Edgar Allan Poe und Prosper Mérimée teilen sich einträchtig die Seiten mit Schriftstellern, die nicht ganz so bekannte Namen tragen: Fjodor Sologub, Adolfo Bioy Casares, Stefan Grabinski, Mircea Eliade, Boris Vian oder Tommaso Landolfi. Ob weltbekannt oder nicht – erzählen können sie alle.
Die Themen ihrer Geschichten könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Leser findet hier klassische Geistergeschichten wie Le Fanus Erzählung von der Gespensterhand oder Becqers Geschichte vom Geisterberg, in der eine Frau ihrem Cousin eine unheimliche Mutprobe abverlangt. Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit? Diese Frage stellt sich bei der Lektüre von Ludwig Tiecks Märchen Der blonde Eckbert oder von Edith Nesbits Das violette Automobil. Stefan Grabinskis Erzählung Das Abstellgleis hingegen ist so beklemmend, weil sie real wirkt, so real, daß sie jedem heute oder morgen passieren könnte und man dennoch fühlt, daß etwas Unheimliches im Gange ist, das unerbittlich und unaufhaltsam das Ende bringt. Nicht alle Geschichten sind unheimlich oder gruselig, manche sind voller Witz und Ironie wie die vom Werwolf, der sich in ein erotisches Abenteuer stürzt oder die von Wolfgang Hildesheimer, in der der Ich-Erzähler erläutert, warum er sich in eine Nachtigall verwandelt hat. Andere sind der literarische Ausdruck politischen Widerstands wie die Parabel Der Basilisk von Werner Bergengruen. Ein eitler Wichtigtuer tritt in die SA ein und spukt nach seinem Tode im Haus herum, bis das Dritte Reich endgültig zusammenbricht.
Häufig sind Künstler die Protagonisten, die, wenn sie auch nicht unbedingt mit dem Teufel im Bund sind, doch offensichtlich besonders gefährdet sind, in den Bannkreis übernatürlicher Mächte zu geraten und nur selten, wie in Beheim-Schwarzenbachs Geschichte Das Spinett sind die Begegnungen mit dieser anderen Welt hilfreich.
Allen Geschichten ist gemeinsam, daß die Normalität und die Realität durch den Einbruch des Übernatürlichen gestört werden. Das kann auf den Leser beängstigend, verstörend und beklemmend wirken oder auch nur verwunderlich, seltsam oder gar lustig, aber jedesmal ist es im doppelten Sinne des Wortes phantastisch.
Die Übersetzung hakt an manchen Stellen etwas. Das Wort Katalanin liest sich doch viel schöner als Katalanerin, schlurfende Schritte sind den schlürfenden Schritten auf jeden Fall vorzuziehen und das Wort ausgepowert gehört nicht in eine Geschichte, die im Jahre 1840 spielt. Liest man solche sprachlichen Stolpersteine, fühlt man sich als hätte man sich den Ellbogen an einer Kante gestoßen. Es wird zwar kein großer Schaden angerichtet, aber es schmerzt doch.

Das Buch des Feuers von James ClemensDie Familie von Elena lebt und arbeitet in einem idyllischen Apfelhain. Als sie ihre erste Monatsblutung hat, färbt sich ihre Hand blutrot und die seltsame Hexengabe manifestiert sich in ihr. Wie aus dem Nichts tauchen sogleich finstere Gestalten auf, die ihre Familie bedrohen und ihrer habhaft werden wollen. Elena kann fliehen, aber unter großen Opfern.
Den Kämpfer Er’ril – einen der Wenigen, die wissen, welch dunkle Schatten über dem Land Alasea liegen – zieht es in Elenas Nähe, und er ist nicht der Einzige: Das Schicksal schart Beschützer und Begleiter um sie, damit sie sich den bösen Mächten stellen kann, die sie selbst und ihre Heimat bedrohen.

-Auf diese Weise endete die Welt, und wie Sandkörner, die in den Wind im Horst des Winters geworfen werden, ist dies der Beginn aller anderen Welten.-
Hexenglut

Der Beginn des fünfbändigen Zyklus The Banned and the Banished mag nach einem famosen Vorwort voller mysteriöser Warnungen an den Leser ein bisschen nach Matriarchats-Fantasy klingen, mit der ersten Menstruation als Katalysator für magische Kräfte und der daraufhin einsetzenden Verfolgung der Protagonistin Elena als Hexe, aber damit täuscht man sich gewaltig: James Clemens’ Fantasy-Saga steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden der epischen Fantasy, und Terry Brooks wäre definitiv ein besseres Stichwort zur Einordnung als Marion Zimmer Bradley.
Die Hauptrolle spielt eindeutig die von Magie durchzogene Welt Alasea, die im Laufe der fünf Bände auch fast bis in die letzten Winkel erkundet werden wird. Befreit von jeglichem Intrigenspiel und Throngerangel, verfolgt man eine bunt aus allen Völkern zusammengestellte Figurengruppe, die zur Weltrettung antritt. Die Pfade, die Clemens einschlägt, könnten kaum ausgetretener sein, aber dennoch wirkt die Erzählung zumindest an der Obefläche recht frisch und nimmt Leser, die gerne Welten entdecken, mühelos mit auf die Reise der Helden, auf der eine Menge Magie, Fabelwesen und der Kampf gegen das absolut Böse warten.

Obwohl die Haupthandlung in Das Buch des Feuers (Wit’ch Fire) nicht großartig vorwärtskommt, wird dieses Vorgeplänkel sehr actionreich und spannend präsentiert; vor allem der Einstieg läuft glatt wie am Schnürchen, wobei sogar einige Horror-Elemente für Spannung (und eindeutige Identifizierung des Bösen als solches) sorgen.
Der Schwerpunkt der Weltenschöpfung liegt eher bei “spektakulär” als bei “originell”, eine bunte Kulisse war definitiv wichtiger als eine realistische, in der versucht wird, authentische Kulturen zu schaffen. Damit ist es immerhin gelungen, ein wahrhaft magisches Land zu kreieren, das eher Endes Phantasíen als Martins Sieben Königreichen gleicht. Nur wartet hinter dieser Kulisse kein Gespinst aus Traum, Einbildung oder Trug, deswegen ist es ratsam, nicht allzu sehr darin herumzustochern.

Geschickt verbindet Clemens verschiedene Handlungsstränge, und jeder Charakter hat eine eigene Geschichte und Aufgabe. Die einzelnen Figuren sind insgesamt gut gelungen, wenn auch einige Klischees mitgenommen werden – sie entwickeln sich und wachsen einem schnell ans Herz, manchmal wirkt allerdings ihre Motivation stark konstruiert, ihre Handlungen sind fast zu gut begründet, alles passt zusammen wie zurechtgeschnitzt. Auch böse Handlungsträger sind mitunter gut charakterisiert und lassen trotz der bedingungslosen Schwarzweißzeichnung der Moral auf Alasea individuell Raum für Interpretation.

Passend zur magischen Welt ist der Stil bildreich und märchenhaft, Clemens und seine Übersetzerin Irene Bonhorst wissen dabei zu überzeugen, so dass sich alles zu einem stimmigen Gesamtbild fügt. Nur mit seiner Apostrophenwut verschandelt der Autor so manchen Namen, man kann höchsten den Kopf dazu schütteln: Elv’en? Og’er? Meint er das ernst? Wenn das James Clemens’ Auffassung von Exotik und zauberischem Reiz entspricht, lässt das nichts Gutes ahnen.
Insgesamt ist Clemens allerdings trotzdem ein guter Erzähler, und wenn man sich auf Das Buch des Feuers und die Märchenwelt Alaseas einlässt, macht der Auftaktband Lust auf mehr, zumal Fantasy im Terry-Brooks-Stil recht selten geworden ist. Als großes Manko bleibt, dass auf den ersten gut 400 Seiten doch sehr wenig passiert – im Hinblick auf die Folgebände, in denen sich die Ereignisse überschlagen, kann man aber darüber hinweg sehen.

Das Buch des Sturms von James ClemensNachdem alle Verletzten geheilt sind, machen sich Elena und ihre Begleiter auf den langen Weg nach A’loatal, um in der versteckten Stadt das Buch des Blutes zu erlangen, mit dessen Hilfe das Land vom dunklen Herrscher befreit werden soll. Doch dieser stellt ihnen auf ihrem Weg seine Diener entgegen, und gegen das Versprechen von Macht sind auch Elenas vermeintliche Freunde nicht immun … Zu allem Übel ist A’loatal schon dem Bösen anheim gefallen. Die Magier Schorkan und Greschym erwarten Elena dort, ohne dass jemand etwas davon ahnt – bis auf ihren Bruder Joach, der unter dem Bann der bösen Magier steht.

-Elena schob den Ledervorhang beiseite, der die behagliche Wärme des Feuers im Innern hielt, und trat aus der Höhle.-
1

Der zweite Band der Serie The Banned and the Banished legt im Vergleich mit dem halbwegs soliden Auftakt noch um einiges an Action und Spannung zu. Besonders herausragend erscheint bei Das Buch des Sturms (Wit’ch Storm) die farbenfrohe, ideenreiche Welt, von der man ein gutes Stück mehr vorgeführt bekommt: ein märchenhaftes, von Magie durchzogenes Panorama wird vor den LeserInnen entfaltet, in dem sich alles von Meeresvolk bis zum Drachen tummelt, ohne dass es allzu quietschebunt wirkt. Diese in Kreaturen und Völkern größtenteils wahrhaft klassische Fantasy-Welt kann man staunend durchstreifen, ganz besonders, wenn man ein Einsteiger ins Genre ist, ansonsten wird man vielleicht ein wenig enttäuscht von der Geradlinigkeit des Entwurfs sein.
Im Großen und Ganzen folgt die Erzählung auch einem klassischen Gut-Böse-Schema – die Bedrohung durch den eindeutig bösen Herrscher muss ausgeschaltet werden -, aber die einzelnen Charaktere sind erfreulicherweise nicht unbedingt leicht einzuordnen und haben Licht- und Schattenseiten. Überhaupt pflegt der Autor einen sehr gefühlvollen Umgang mit den unterschiedlichen Figuren, und gibt den zunächst klischeehaften Entwürfen genug Eigenarten, so dass sie einem ans Herz wachsen, auch wenn vor allem die Geschlechterrollen leider eher konservativ und stereotyp bleiben.

Seine Handlungsstränge kann Clemens geschickt verknüpfen; aber manchmal läuft alles ein klein wenig zu glatt ab – schicksalhafte Begegnungen und Prophezeiungen spielen in der Handlung eine große Rolle, und der Einsatz dieser Stilmittel wirkt häufig übertrieben. Gelungener sind dagegen kleine Geschichten in der Geschichte, die zum Teil innerhalb weniger Kapitel abgeschlossen werden, zum Teil aber auch als spannende und nervenaufreibende Geheimnisse in den nächsten Band hineinreichen. Eine dieser Geschichten ist der sich von Band zu Band fortsetzende Prolog über das “Studium” der eigentlichen Erzählung, und man fragt sich von Seite zu Seite mehr, was denn da noch kommen mag, um eine solch bombastische Einleitung zu rechtfertigen – da bleibt nur zu hoffen, dass die nächsten Bände diesen Erwartungen gerecht werden können.
Das Zusammenwirken von Sprache, Welt und Handlung zu einem stimmungsvollen und locker fließenden Ganzen ist Clemens’ größte Stärke, mit der er LeserInnen trotz der nicht zu leugenden Schwächen – und von der Apostrophenflut war in dieser Rezension noch nicht einmal die Rede, aber verflüchtigt haben sich die O’ger und ihre Genossen keineswegs – durchaus in seinen Bann schlagen kann.

Cover von Die Burg der Verräter von Mercedes Lackey/Josepha ShermanDem Bardenlehrling Kevin ist sterbenslangweilig, er möchte zeigen, was in ihm steckt, und Abenteuer erleben. Doch er bekommt von seinem berühmten Meister Aidan nur den Auftrag, in der Burg des Grafen Volmar ein altes Lehrbuch zu kopieren. Dort angekommen stellt Kevin schnell fest, daß etwas mit dem Manuskript nicht stimmt – auch Carlotta, die Halbschwester des Königs, versucht herauszufinden, was der mächtige Aidan mit diesem Buch will. Einst versuchte sie den König zu töten, was Aidan verhinderte, seitdem gibt sie vor tot zu sein und hält sich im Verborgenem. Zunächst macht sie sich in der Verkleidung der jungen Charina an Kevin heran. Als dieses scheitert, täuscht sie vor entführt zu werden und Kevin soll eine Rettungsgruppe anführen …

-Zoing!-
1. Kapitel

Das Geschehen findet auf einer leider nur schwach beschriebenen Sekundärwelt statt, und zwar im Reich des Königs Amber. Knappen, Ritter, Burgen, Feudaladel und Turniere mit reisenden Gauklern lassen ein vom typischen Mittelalter geprägtes Bild entstehen. Auch wenn es sehr oberflächlich dargestellt wird, schimmern an einigen Stellen schon gewisse Ungerechtigkeiten des Systems durch – eine Kritik wird allerdings nicht geäußert. Knapp ein Viertel der Geschichte spielt in der großen Stadt Westerin; auch sie wird oberflächlich und klischeehaft beschrieben (z.B. die typische Gaunerkneipe), sodaß teilweise ein leichtes Gefühl von Urbanität aufkommt.

Die Geschichte ist reich gesegnet mit magischen Elementen: So gibt es Weiße Elfen, spitzohriges, magisch affines, schönes Volk mit hellen Haaren und ambivalentem Charakter, und Schwarze Elfen, die ihre dunkelhäutigen Cousins sind, sie sind bekannt für ihr böses Wesen und dunkle Magie – ein freundschaftliches Verhältnis besteht zwischen den Völkern nicht. Dann sind da noch die ewig spottenden und nicht nur nette Streiche spielenden Feen und die sonderbaren, pedantischen Arachnia, intelligente, menschenartige Spinnen. Und Zwerge, Untote und weitere bunte Monster. Es wird außerdem viel gezaubert: Licht, Verwirrung, Schutz oder Blitz, fast nichts ist undenkbar. Insgesamt liest sich dieses wie ein von D&D inspiriertes (z.B. die Schwarzen Elfen erinnern sehr an die D&D Drow) und von Hollywood inszeniertes Spektakel.

Es gibt eine Reihe von Figuren, die tendenziell flache Exzentriker sind. Da ist der Protagonist Kevin der Bardling, ein Lehrling des Helden Aidan; er ist jung und will sich dringend beweisen. Wie es sich für einen angehenden Barden gehört, liegen seine Stärken nicht im Kampf, sondern darin, die Gruppe zusammenzuhalten und die Moral zu heben. Lydia ist eine Amazone, eine geschickte Waldläuferin, aber auch eine gewiefte Schurkin – der Schönheit fällt im Zweifelsfall immer ein Ausweg ein. Ihre Gefährtin ist die Fee Tich’ki. Sie unterstützt die Gruppe mit ihren Tricks und hat vor allem den unerfahrenen Kevin auf dem Kieker – er entgeht nur selten ihrem Spott. Eliathanis ist ein Krieger der Weißen Elfen und Naitachal ist ein Geisterbeschwörer der Dunkel Elfen – die beiden sind einander nicht freundlich gesonnen, aber gerade Naitachal hat einige Überraschungen zu bieten. Die wichtigsten Antagonisten sind die böse Hexe Charlotta, die sich selbst auf den Thron setzen will. Dazu schmiedet die kluge Frau heimtückische Pläne und nützt eine Vielzahl von Zaubern. Nur den Barden Aidan fürchtet die herzlose Intrigantin. Ihr “treuer” Verbündeter ist Graf Volmar; er plant der Mann an ihrer Seite zu sein, wenn sie den Thron besteigt – was danach passiert… So lange stellt er der gemeinsamen Sache seine Ressourcen zur Verfügung. Daneben gibt es noch viele kleine Figuren: korrupte Stadträte, kalte Schwarzmagier, hilfreiche Gaukler und schamlose Schurken.

Bei dem Wunsch Kevins, selbst Abenteuer zu erleben, wird es den Leser kaum verwundern, daß es sich hier um eine Abenteuergeschichte handelt. Ein wenig episodenhaft werden eine Reihe von Standardsituationen präsentiert. Dazu gehört die gruppeninterne Spannung (zwischen Eliathanis und Naitachal, bzw. Tich`ki und dem Rest der Gruppe), das Herabblicken der erfahrenen Kämpen auf den jungen und unerfahrenen Protagonisten, ein Überfall von Wegelagerern, Taschendiebstahl in der Stadt, die billige Anmache von Betrunkenen, derer sich die schöne Amazone erwehren muß, bis hin zur Verkleidung als Frau um gewissen Leuten aus dem Weg zu gehen. Doch es gelingt dem Autoren-Duo dieses mit einer flotten Leichtigkeit und viel Charme zu erzählen, so daß erfahrene Leser zwar nur selten überrascht, aber dennoch amüsiert werden – so hat z.B. der Geisterbeschwörer an der gender-bending Verkleidungssequenz am meisten Spaß.
Auch wenn es eingestreute Episoden gibt, ist der Handlungsverlauf progressiv und dramatisch; die Spannung entsteht zu gleichen Teilen aus den bedrohlichen Situationen wie auch den unterschiedlichen Charakteren.
Erzählt wird diese Geschichte aus der Perspektive des Bardling Kevin. Nur einige wenige Male wird diese von kurzen Zwischenspielen unterbrochen, die aus der Perspektive des Grafen Volmars geschildert werden. Es gibt nur einen Erzählstrang, der in einem neutralen Sil gehalten ist. Die Sätze sind eher unauffällig, lassen sich aber flüssig lesen, was gut zur flotten Abenteuergeschichte paßt. Die Wortwahl ist stellenweise etwas zu modern geraten, sonst aber durchaus angemessen.
Die Burg der Verräter (Castle of Deception) ist der Auftakt der Bard’s Tale Reihe, die von verschiedenen Autoren verfaßt wurde und an das Computer-Spiel gleichen Namens, welches 1987 erschienen ist, anzuknüpfen versucht. Ähnlichkeiten – sieht man vom lockeren Stil ab – sucht man aber vergebens.

Maxim Kammerer, Raumpilot der Gruppe für Freie Suche, Erdbewohner und fest verwurzelt in seiner irdischen sozialistischen Utopie, muss auf einem Planeten notlanden und findet sich in einem Land wieder, das lebensfeindlicher nicht sein könnte: der radioaktiv verstrahlte Staat wird von einer Militärdiktatur regiert, die Bürger ergehen sich in blindem Patriotismus. Maxim gerät auf der Suche nach einer Möglichkeit, den Planeten zu verlassen, in die Mühlen der Diktatur und weiß bald nicht mehr Gut von Böse zu unterscheiden …

Von denen, die am Boden lagen, würden einige sterben, andere waren bereits tot. Und jetzt wusste er: Sie waren Menschen, nicht Affen oder Panzerwölfe, wenn auch ihr Atem stank, ihre Berührung schmutzig, die Absichten viehisch und abscheulich waren. Trotz allem empfand er Bedauern und fühlte Verlust. Ihm war, als habe er gerade etwas von seiner Reinheit verloren, ein entscheidendes Stückchen Seele des früheren Maxim. Er wusste, sein früheres Ich war jetzt für immer verschwunden, und das war bitter – weckte aber auch einen bis dahin unbekannten Stolz.
– Robinson, S. 84

Maxim Kammerer, moderner Robinson, Soldat, Terrorist, Sträfling – er ist weit gereist, um Zustände anzutreffen, die wir von unserer Erde kennen. Für ihn jedoch liegen irdische Kriege, atomare Zerstörung und Diktatoren so weit in der Vergangenheit, dass ihre Namen bereits in Vergessenheit geraten sind; der Diktator „Hilmer oder so ähnlich“ und seine Verbrechen sind nicht mehr gegenwärtig. Umso härter trifft ihn die geistige Verrohung der Bevölkerung der „bewohnten Insel“, deren Weltbild eine perfekte Parabel ihrer Egomanie ist: in ihrem diktierten, unangefochtenen Weltbild leben sie auf der Innenseite einer Kugel; der Blick ist immer auf das eigene System gerichtet, dessen zentrales Merkmal die Unveränderlichkeit ist.
In dieser Welt wird Maxim, der von außen kommt und nicht dem System zugehörig ist, als Übermensch angesehen. Die Anstrengungen, ihn in das diktatorische System zu integrieren, müssen jedoch auf Dauer zwangsläufig scheitern – die korrumpierenden Strukturen versagen an ihm, die Ideologie, die sich einzig auf gewaltsam eingeforderte Gefügigkeit stützt, ist dem frei denkenden Menschen zutiefst zuwider und nährt seinen Hunger nach Widerstand, Rache und Veränderung.

Bald ist Maxim von Freunden zur Heldenfigur stilisiert, von Feinden als Übermacht gefürchtet, und seine Kraft, sein breitgefächertes Wissen und seine heilenden Fähigkeiten bewirken das ihre. Doch nicht allen ist es vergönnt, sich in blinder Bewunderung zu ergehen: schnell wird dem Leser bewusst, dass Maxim trotz allem keine glorreiche Verheißung bringen kann. Doch die Desillusionierung des gestrandeten Raumfahrers selbst schreitet nur langsam voran; zu übermächtig ist die Hoffnung, die Regierung schließlich doch noch zu stürzen, den Menschen Frieden zu bringen, den Planeten doch noch zu retten.

Dieser ausgedehnte Verstehensprozess verleiht dem Science-Fiction-Klassiker Züge eines Abenteuerromans. Maxim wechselt von einer Terrorzelle – staatlich organisiert oder im Untergrund tätig – in die nächste und stößt auf der Suche nach einer Möglichkeit, seine Ideale durchzusetzen, allerorts auf Widerstand. Die Organisation des staatlichen Militärs wurde durch die Unbekannten Väter, die anonymen Diktatoren des Reiches, perfektioniert; der Widerstand ist in mannigfaltige Splittergruppen mit höchst unterschiedlichen Zielen zerteilt und, wie Maxim schmerzlich erfahren muss, in größerem Rahmen nicht handlungsfähig. Ihr Aktionismus geht über organisierte Himmelfahrtskommandos nicht hinaus; langfristige, gemeinsame Ziele gibt es in der zerstrittenen Untergrundbewegung nicht. Schmerzlich klar formulieren die Strugatzkis die Kraft und die Grenzen des Widerstandes gegen ein übermächtiges System.

Ein wiederkehrendes Thema der Brüder Strugatzki wird auch in diesem Roman subtil bearbeitet: Wann hört der Mensch auf, Mensch zu sein? Die Definition von Menschlichkeit wird von der Militärdiktatur auf optische und biologische Faktoren begrenzt – die Opfer einer Genmutation, „Entartete“ genannt, werden vom Staat erbittert gejagt, obgleich sich die höchsten Ränge aus ihren Reihen rekrutieren. Denn den Entarteten zueigen ist eine besondere Reaktion auf die Emitterstrahlen, die von den Diktatoren eingesetzt werden, um die Bevölkerung zu passiven Akteuren innerhalb des Systems zu degradieren. Diese besondere Reaktion macht sie zu gefährlichen Gegnern – oder zu mächtigen Verbündeten. Es ist eine feine Ironie, dass diese Entarteten und die Mutanten der Wüste, deren bloßer Anblick Maxim in größte Furcht versetzt, mehr Menschlichkeit in sich tragen, als die staatlich anerkannten Menschen, die wie geistlose Maschinen funktionieren. Und so münden alle Kämpfe, Kriege und äußeren Konflikte in der Frage, wie viel Maxim von seiner eigenen Menschlichkeit aufzugeben bereit ist, um seine Ideale den Prinzipien einer Unterdrückungskultur entgegenzustellen.

Arkadi und Boris Strugatzki haben mit Die bewohnte Insel* (Обитаемый остров) eine Studie des Widerstandes geschrieben, ein Plädoyer für Vernunft und einen Roman über die Sinnlosigkeit der durch das Gewissen gebilligten Zerstörungswut. Sie loten die Untiefen des menschlichen Geistes aus, ohne sich daran zu ergötzen und analysieren ihn genau – und deshalb bleibt Maxim immer das, was er ist: kein Held, sondern ein Erdenmensch.

* Eine Anmerkung zu den Ausgaben: vom rezensierten Roman Die bewohnte Insel existieren mehrere gekürzte Versionen. Erstmals ungekürzt ist das Buch 2010 bei Heyne erschienen, im Strugatzki-Sammelband 1. Diese Ausgabe ist deshalb dringend zu empfehlen und hat außerdem den Vorteil, dass die beiden Folgebände ebenfalls enthalten sind.

Nachdem Hezhi, Prinzessin von Nhol, gemeinsam mit Perkar und dem Schamanen Brother Horse aus dem Einflussgebiet des Großen Flußgottes fliehen konnte und sich in Sicherheit wähnt, sammelt dieser gerade erst seine Kräfte: Ghe, von den Toten auferstanden und mehr Geist als Mensch, wird zur mächtigsten Waffe seines Herren.
Angesichts dieser Gefahr verbündet sich Hezhi mit dem Gott Karak, der Krähe, um den Flußgott für immer zu besiegen, und bald wird es unmöglich, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden …

Wake up, my guest
You have slept long
In the house of my ribs,
The house of my heart
Wake up now,
See through my eyes,
Walk with my feet,
Yush, my old friend.-
XIX. Drum Battle

Waterborn Fans will be jubilant“, lautet das Versprechen auf der Rückseite des zweiten Romans der Chosen of the Changeling-Reihe, The Blackgod, in welchem uns Greg Keyes einmal mehr in die Welt eines alternativen Amerika entführt, wo indianische Nomaden und sesshafte Hirtenvölker neben orientalisch angehauchten Hochkulturen existieren. Es ist eine Welt, die von ursprünglicher Magie erfüllt und und wo jeder Baum, jeder Stein, jedes Lebewesen beseelt ist. Der Schamanismus und Mystizismus, der von den Naturvölkern praktiziert wird, steht deshalb im scharfen Gegensatz zu dem aggressiven und krankhaft-dekadenten Monotheismus der Stadt Nhol, und tatsächlich ist auch in The Blackgod die Anbetung des großen Flußgottes Ausgangspunkt aller Konflikte.

Der Fortsetzungsband The Blackgod schließt inhaltlich nahtlos an seinen Vorgänger an und rückt den Kampf von Hezhi und Perkar gegen den Flußgott in den Mittelpunkt, denn die Flucht Hezhis aus Nhol beendete keineswegs den kranken Einfluss des Flußgottes auf ihr Schicksal und das Schicksal ihres Volkes. Denn der Gott hat sich eine mächtige Waffe erschaffen: Ghe, schon zu Lebzeiten ein tödlicher Gegner, wird nach seiner Wiedererweckung durch den Fluß ein übermächtiger Feind, dessen Macht übermenschlich erscheint und einen hohen Tribut fordert – die Menschlichkeit selbst. Keyes schildert meisterhaft und bedrückend, wie der Ghul, weder Mensch noch Tier noch Gott, an physischer und magischer Stärke gewinnt und auf diesem Weg seine Menschlichkeit schleichend verliert. Die Entwicklung des einstigen Assassinen zeigt, wie mit anormaler, pervertierter Logik sämtliche Moralvorstellungen scheinbar außer Kraft gesetzt und durch Pflichterfüllung ersetzt werden können – danach finden alle Taten ihre Rechtfertigung, und es ist für den Leser keine bequeme Aufgabe, Ghe in seine Gedankenwelt zu folgen. Simple Kategorien wie „Gut“ oder „Böse“ wird man in The Blackgod nicht antreffen; denn auch die Jäger von Hezhi haben treffliche Gründe für ihr Handeln, Perkars Weg – der des Helden – ist mit Leichen übersät, und für die Götter existiert keine Moral, kein Gesetz, sondern die Notwendigkeit und das Gutdünken. Das Brechen mit den etablierten Vorstellungen von Gut und Böse ist eine der größten Stärken des Romans; dies macht The Blackgod nicht zu einer einfachen, aber mehr als lohnenswerten Lektüre.

Keyes beschränkt sich in seiner Charakterzeichnung jedoch keinesfalls nur auf das Ausloten (un)menschlicher Abgründe. Vielmehr entwickelt er mit Hezhi und Perkar zwei Protagonisten, die in ihrem Streben, das Richtige zu tun, unterschiedlicher nicht sein könnten. Da ist Hezhi, die ihrer Rolle der Prinzessin und den festgelegten Bahnen ihres Lebens komplett entfliehen möchte und sich nur in Momenten der tiefen Trostlosigkeit nach dem ihr vorherbestimmten Leben im Palast von Nhol zurücksehnt. Perkar hingegen ist ein Held: er lebt für das Schicksal, für das Erfüllen von Aufgaben und Questen, für schicksalsschwere Kämpfe und seine Ehre als Mann und Krieger. Eine Rolle also, wie sie scheinbar klischeebeladener nicht sein könnte – doch Keyes ironisiert den Heldenmythos derart, dass Perkars von Ehrgefühl geleiteten Taten, seine Schwüre und seine heroisch-verzweifelten Kämpfe immer eine tragisch-komische Saite zum Klingen bringen. Er ist in seiner Rolle derart determiniert, dass alle Regungen, all das Gerede von Schicksal und Ehre, das den fantasyerfahrenen Lesern zu gut bekannt sein dürfte, hohl und leer erscheinen. Der Kampf Perkars gegen seine Heldenrolle ist für mich eines der ehrlichsten Auseinandersetzung mit den Themen Schicksalsergebenheit und Eigenbestimmung, die ich aus der phantastischen Literatur kenne.

Während Perkar also mit dem Heldentum hadert, aber sich gleichzeitig an dieses Rollenkonstrukt klammert wie ein Ertrinkender an den Rettungsring, ist es Hezhis größter Wunsch, all ihre Rollen ablegen zu können wie Kleidungsstücke, um sich endlich als Mensch – nicht als Prinzessin, Gefangene, Schamanin oder Anführerin – zu erfahren. Doch da manche in ihr die einzige Hoffnung, andere in ihr die vollständige Zerstörung sehen, erscheint Hezhi ihr Wunsch nach Selbstbestimmung wie eine egoistische, eitle Regung.

Die Tiefsinnigkeit und Authentizität des Romans wird auch bei einem weiteren Thema spürbar: der Ethnologe Keyes nähert sich den verschiedenen Kulturen seiner geschriebenen Welt, ohne in einen populären romantisierend-entwürdigenden Exotismus zu verfallen, und schildert glaubhaft und detailliert die verschiedenen kulturellen Konzepte. Ohne dies aufdringlich oder plakativ zu gestalten, beschäftigt sich Keyes dabei mit rassistischen Denkweisen, die mehr als vertraut wirken: für die Bewohner des ‘zivilisierten’ Nhol sind die indianischen Mang nicht mehr als Barbaren, wenn auch mit einer „exotischen Schönheit“ behaftet, und ihre Kultur wird nur aus größtmöglicher Ferne studiert und belächelt wie ein skurriler Witz. Der Roman wird inhaltlich auf eine neue Ebene gehoben, als die linguistischen Spurensuchen der Protagonisten ergeben, dass beide Völker die gleichen Wurzeln haben; spätestens an dieser Stelle wird deutlich, mit wie viel Hintersinn und Ironie sich der Autor mit interkulturellen Problemen und dem Toleranzgedanken auseinandergesetzt hat. Besonders in den komplexen Beziehungen der kulturell gemischten Gruppe um Hezhi und Perkar spielen die Themen Freundschaft, Offenheit und Misstrauen allem Fremden gegenüber eine große Rolle und halten dem Leser mehr als ein mal freundlich, aber bestimmt, den Spiegel vor, ohne das der Roman einen belehrenden Tonfall erhält.

Mit viel Sensibilität und Gespür für Menschlichkeit beschreibt Keyes die Entwicklungen seiner Protagonisten, die neben der spannungsgeladenen Handlung einen ganz eigenen Sog entwickeln und den Leser nicht mehr loslassen. So ist es kein Wunder, dass das letzte Viertel des Romanes in atmenloser Spannung am Stück gelesen werden will – mit seiner poetischen und zum Weinen schönen Sprache erschafft Keyes eine von Leben erfüllte Welt, die, es darf nicht anders sein, irgendwo in all ihrer schrecklichen und zerbrechlichen Schönheit und ihrer Naturerhabenheit existieren muss. Wer einmal die Wälder des Balat bereiste und gemeinsam mit behuften, geflügelten und gehörnten Gottwesen unter die Oberfläche des Sees tauchte, um auf Sternenpfaden zu wandern, wird wissen, wovon ich spreche.