Autor: Jemisin@N. K.

The Broken Kingdoms von N.K. Jemisin10 Jahre nach der Befreiung der Götter hat sich in Sky einiges verändert: durch den wachsenden Weltenbaum haben die Bewohner an dessen Fuße nicht mehr viel vom Sonnenlicht, weshalb das Viertel, in welchem die Heldin des Romans ihr Dasein fristet, kurzerhand in Shadow unbenannt wurde. Oree Shoth, eine blinde Maroneh, die mit dem Traum vom besseren Leben in die Stadt kam, verkauft billigen Tand an gütige Pilgerer und lebt davon mehr schlecht als recht. Gut, dass sie zum einen keineswegs so hilflos ist, wie es ihre Blindheit suggeriert, und zum anderen ist es ebenso hilfreich, einige Freunde unter den Godlings – den geringeren Götter – zu haben. Und Hilfe hat sie bitter nötig, als jemand damit beginnt, Godlings zu töten und sie bald selbst unter dringendem Verdacht steht.

– I perceived a wave of brightness so intense that I cried out as it washes past, dropping my stick to clap both hands over my eyes. I didn’t know these things could hurt like that. –
Chapter 2: „Dead Goddesses“ (watercolor)

Durch den unkonventionellen, imaginativen Vorgänger The Hundred Thousand Kingdoms (Die Erbin der Welt) waren die Erwartungen sehr hoch: schafft es N. K. Jemisin erneut, den Leser derart in den Bann der Geschichte um Götter, Liebe und Macht zu ziehen? Nicht unerwähnt soll bleiben, dass ich für gewöhnlich nichts mit Liebesgeschichten anzufangen weiß, und dennoch hat mich der erste Band sehr gut unterhalten.

Dem zweiten Teil der Inheritance Trilogy (Das Erbe der Götter) gelingt dies, kurz gesagt, nur bedingt. Die Protagonistin Oree Shoth beschäftigt sich in der ersten Hälfte des Romanes mit den mannigfaltigen Problemen, die unsterbliche Liebe so mit sich bringt – besonders, wenn ein Partner tatsächlich unsterblich ist, während der andere, wenn nichts dazwischen kommt, „nur“ noch 60-70 Jahre zu leben hat. Und man ahnt es schon: natürlich kommt etwas dazwischen. Mord und Totschlag, um genau zu sein, und ein mysteriöser Hausgast – der längst nicht so mysteriös ist, wie sich das N. K. Jemisin vielleicht gewünscht hat. Doch bevor die Handlung so richtig Fahrt aufnimmt, wird dem Leser vorerst eines klar: Sex mit einem Gott ist richtig gut. Wirklich. Wer das nicht glaubt, der kann es nachlesen (Buch aufschlagen, zehn Seiten vor- oder zurückblättern). Das Liebesleben von Oree ist ungewöhnlich, aber nicht so interessant, als dass es dem Leser nach mehr Details dürstet; und dennoch beschränkt sich die erste Hälfte des Romanes leider beinahe völlig auf die anstrengenden bis nervigen Liebesdünkel Orees. Es ist unfreiwillig komisch, dass das Buch gut wird, sobald die Quelle Orees endloser Liebeleien auf tragische Art und Weise kurzzeitig die Bildfläche verlässt.

Doch mit besagtem Moment nimmt das Buch deutlich an Fahrt auf und findet zu alter Stärke zurück: mit kreativen, guten Einfällen und überzeugenden Charakterinnensichten und -geflechten weiß Jemisin auf einmal wieder zu überzeugen und zu fesseln. Das chaotische Pantheon aus Göttern, Godlings und magisch begabten Menschen – wie Oree – und, dem entgegengesetzt, die Vielfalt aus Götterkulten und religiösen Mini-Diktaturen lassen viel Spielraum für überraschende Wendungen; die Geschichte wartet auf einmal mit Witz, Brutalität und Spannung gleichermaßen auf. Von den vielschichtigen Charakteren mit so einigen Untiefen begeistern besonders der Kindgott Sieh und der bereits erwähnte fremde Hausgast Orees; hier beschränkt sich Jemisin keinesfalls auf altbewährte Muster, sondern kreiert äußerst innovativ neue, glaubwürdige Gestalten.

Die Entscheidung, die Handlung aus der – nun ja – Sicht einer blinden Frau zu erzählen, die außer Magie nichts visuell wahrnehmen kann, halte ich für gewagt und ambitioniert – und sehr interessant. Jemisin gelingt es, bis auf einige kleine Momente der Unschlüssigkeit, die Geschichte spannend, leb- und glaubhaft zu erzählen, obwohl der Leser auf gewohnte Landschafts- und Personenbeschreibungen weitgehend verzichten muss. Besonders der teilweise beinah lyrische, doch zumeist sehr lockere bis flapsige Erzählstil charakterisiert die Protagonistin besser, als jede Beschreibung es könnte. Dass Oree gut aussieht und schöne Brüste hat, bleibt dennoch nicht unerwähnt, und auch der Fakt, dass sie aus offensichtlichen Gründen Nacktheit nicht beschämend findet und deshalb dieser frönt, erzwingt gewissermaßen die ein oder andere (auf Dauer ermüdende) Schlüpfrigkeit. Dass der Roman mit einem wortwörtlichen Höhepunkt den Spannungsgipfel erreicht, wird da niemanden überraschen.

Das Wiedersehen mit den Charakteren aus Band 1 und besonders die tiefer ausgearbeitete, komplexe Hintergrundgeschichte des Götterkrieges dürfte alle Leser gleichermaßen erfreuen und die Leser des ersten Bandes begeistern, und Freunde des Romantischen werden das Buch schon von der ersten Seite an verschlingen. Für die sehr gelungene zweite Hälfte des Buches verschmerzt man im Nachhinein gern den ansonsten teilweise langatmigen und nervraubenden Beginn und freut sich schon auf den finalen Band The Kingdom of Gods (Die Rivalin der Götter) der Inheritance Trilogy der ambitionierten und einfallsreichen Autorin.

Die Gefährtin des Lichts von N.K. Jemisin10 Jahre nach der Befreiung der Götter hat sich in Sky einiges verändert: durch den wachsenden Weltenbaum haben die Bewohner an dessen Fuße nicht mehr viel vom Sonnenlicht, weshalb das Viertel, in welchem die Heldin des Romans ihr Dasein fristet, kurzerhand in Shadow unbenannt wurde. Oree Shoth, eine blinde Maroneh, die mit dem Traum vom besseren Leben in die Stadt kam, verkauft billigen Tand an gütige Pilgerer und lebt davon mehr schlecht als recht. Gut, dass sie zum einen keineswegs so hilflos ist, wie es ihre Blindheit suggeriert, und zum anderen ist es ebenso hilfreich, einige Freunde unter den Godlings – den geringeren Götter – zu haben. Und Hilfe hat sie bitter nötig, als jemand damit beginnt, Godlings zu töten und sie bald selbst unter dringendem Verdacht steht.

– Es waren tausend Stimmen, die gleichzeitig erklangen. Das Lied war kaum hörbar. Sein Text bestand aus einem einzigen mächtigen Wort, das die ganze Welt mit seiner Kraft erschütterte. –
Prolog

Zu Die Gefährtin des Lichts liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Der Kindgott Si’eh schließt mit den sterblichen Geschwistern Shahar und Dekarta einen Pakt: sie wollen auf ewig Freunde sein. Nach dem Blutschwur ist jedoch nichts, wie es vorher war: Si’eh verfällt in einen langen Schlaf, und als er erwacht, ist er ein Sterblicher, und auch das Reich der Amn sieht sich mit neuartigen Gefahren konfrontiert. Wird der Schwur der drei Bestand haben, um die Zerstörung der Welt aufzuhalten?

– Ein Liebhaber war noch nie genug für einen von uns”, sagte Itempas und lächelte traurig, als ob er wüsste, wie wenig er ihres Verlangens würdig war. –
Kapitel 1, S. 14

Gute Nachrichten für alle Hippies unter uns: Jemisins Elysium ist ein Ort der freien Liebe. Götter im Bett mit Menschen, flotte Dreier, wechselnde Geschlechter je nach Tagesvorliebe, Inzest, Hass als Grundlage für Sex, Liebe als Grundlage für Sex, Väter mit ihren Kindern, Mütter mit ihren Kindern, Frauen mit Katzen, kurz: jeder mit jedem, und da all das noch nicht genug ist, ist der Protagonist ein pubertierender Gott. Der Kindgott Si’eh, der mit dem Erwachsenwerden und seinem Penis konfrontiert wird, und in seiner freien Zeit schmollt oder durch den Palast erigiert, bestätigt eine alte Wahrheit: den Wirrungen der Jugend zuzusehen macht in den seltesten Fällen Spaß.
Der noble Vorsatz, vorurteils- und wertungsfrei für sexuelle Selbstbestimmung einzutreten, muss der Autorin zugute gehalten werden. Gleichzeitig ist das zentrale Thema des Romans auch seine größte Schwäche: erscheint die gnadenlose Übersexualisierung jeder menschlichen Beziehung, Handlung, Geste und Äußerung am Anfang noch verrucht und gewagt, verkommen die erotischen Ausflüge, in denen zwangsläufig alle Begegnungen enden, durch die ständige Repetition des Schema F zur langweilenden Effekt- und Orgasmushascherei. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fehlt völlig, sodass jegliches kritisches, gesellschaftlich relevantes Potential ungenutzt bleibt. Von Jemisin, die sich selbst als „politische Kommentatorin“ bezeichnet, hätte ich mir mehr erwartet.

Der Gegensatz von Liebe und Hass, ein weiteres Grundmotiv des Romans, verkommt ebenfalls zur Plattitüde, da die beiden Gefühle in der Welt von Si’eh & Co. auf das selbe hinauslaufen, und der findige Leser wird schnell erraten, worauf genau. Richtig. Tatsächlich endet oder beginnt beinah jede Szene mit einem Geschlechtsakt, sodass dem Leser nichts anderes übrig bleibt, als sich mit hintergründigen Fragen die Zeit zu vertreiben: fallen sie vor oder nach dem bedeutungsschwangeren Dialog über die Geschicke der Welt übereinander her? Und – wird Si’eh den Akt wieder mit einer pubertären Peinlichkeit ausklingen lassen?

Das Potential der unheimlich interessanten und ambivalenten Figur des Kindgottes nutzt die Autorin in dem dritten Band ihrer Reihe leider nicht aus; zu schnell spult sich auch hier ein Schema ab: entweder Si’eh spielt, oder er tötet. Nachdem dieses Muster einmal präsentiert wurde, bleibt kein Raum für Überraschungen. Wut und Albernheiten wechseln sich ab wie Wolken und Sonne, ernste Szenen werden zwanghaft durchbrochen, und die mangelnde Reife des Protagonisten manifestiert sich mehr als deutlich auf sprachlicher Ebene, die in der deutschen Übersetzung nicht nur nervig-albern, sondern schlicht haarsträubend ist. Jede Andeutung von Atmosphäre wird durch eine sprachliche Unbeholfenheit und Ausdruckssprofanität ins Lächerliche gezogen, grammatische Stolpersteine reihen sich an völlig fehlplatzierte Anglizismen. Die Debatte um die Übersetzung von Eigennamen mag ihre Berechtigung haben, doch wenn ein in Sorge befindlicher Bürger „Bright Vater, hilf uns!“ [sic! S.464] schreit, dann ist klar, dass dem Leser in diesem Roman vieles geboten werden soll – Niveau jedoch nicht. Das wäre kein Problem, wenn unser aller Verstand da sitzen würde, wo Si’ehs Lebens- und Körpermittelpunkt ist, doch der denkende Leser kann nicht anders, als an der Ernsthaftigkeit zu zweifeln, mit der der Verlag seine Leser betrachtet.

Die Autorin bemüht sich durchaus, Spannung aufzubauen und die Handlung voranzutreiben, doch dabei offenbart sich leider die letzte Schwäche des Romans. Durch die bereits angesprochene Sprachprofanität und durch eine das Werk wie ein roter Faden durchziehende Unglaubwürdigkeit der Figuren wird jegliche Spannung genommen. Liebe und Hass, die inflationär als Handlungsmotoren eingesetzt werden, verkommen zu sinnentleerten Begriffen, die alles rechtfertigen: Verrat, Sex, Folter, Krieg, Besitzansprüche. Das Pendel, das zwischen Kitsch und Endzeitstimmung schwingt, verharrt schließlich im rosaroten Bereich, und beinah möchte man rufen: Bright Vater, erlöse uns!

Nach einem herausragenden Auftakt der Reihe mit dem Erstling Die Erbin der Welt (The Hundred Thousand Kingdoms), einem bereits nachlassenden zweiten Band Die Gefährtin des Lichts (The Broken Kingdoms) und diesem enttäuschenden Abschlussband kann man nur empfehlen, Die Erbin der Welt als sprachlich und inhaltlich außergewöhnlichen Einzelband zu lesen, in dem die Magie von Jemisins geschaffener Welt noch ungemindert den Leser zu verzaubern weiß.