Bibliotheka Phantastika Posts

Villa Fantastica WienAm 04.10.2011 öffnete in Wien-Hietzing (Eitelbergergasse 24, 1130 Wien) die Villa Fantastica, Bibliothek für phantastische Literatur und Science-Fiction, ihre Tore für die leihfreudigen Lesewürmer Wiens und Umgebung. Grund genug für uns mal vorbeizuschauen und einen Blick in die Regale zu riskieren.

Bereits von außen wird die Villa Fantastica ihrem Namen gerecht. Schließlich gilt der Bezirk Hietzing als einer der nobleren Stadtteile Wiens. Die Nähe zu Schloss Schönbrunn war ein Anreiz für Adelige und hohe Beamte sich dort entsprechende Residenzen zu erbauen, was bis heute seine beeindruckenden architektonischen Spuren hinterlassen hat. So hat auch die Bibliothek ihren Platz in einer Villa gefunden.

Villa Fantastica WienGeplant sind insgesamt drei Etagen, auf denen der begeisterte Leser seine Auswahl zukünftig treffen darf, zur Zeit befindet sich aber alles noch ein wenig in der Anlaufphase: geöffnet und ausgestattet ist vorerst nur die untere Etage, manch ein Regal dort ist noch nicht ganz gefüllt, Kartons mit noch nicht erfassten Büchern harren der Bearbeitung und auch der Besucherandrang hält sich noch in Grenzen. Dabei geht dem bibliophilVilla Fantastica Wienen Mensch und Fan von Science Fiction und Fantasy schon jetzt das Herz auf, wenn man die ersten Räumlichkeiten betritt.
Unter den 14.000 bereits gelisteten und gut sortierten Titeln befinden sich unter anderem eine eigene Abteilung für englischsprachige Literatur, eine umfangreiche Sammlung alter Zeitschriften für Phantastik , aber auch einiges an Sekundärwerken und Kurzgeschichtensammlungen. Man fühlt sich gleich wie im siebten Buchhimmel, wenn man die teilweise “alten Schinken” sieht, von denen vieles bereits vergriffen und im Buchhandel gar nicht mehr zu bekommen sein dürfte. An dieser Stelle sei daher auch gleich gesagt: Wer historisches Interesse an phantastischer Literatur hat oder einfach ein älteres Buch sucht, dem sei ein Blick in die Villa Fantastica empfohlen. Die Auswahl ist umfangreich und wächst stetig.

Villa Fantastica WienDie vorhandenen Titel stammen übrigens alle aus privaten Sammlungen und reichen bis in die 50er Jahre und darüber hinaus zurück. Entsprechend bunt ist die Mischung an Titeln. Neben Klassikern wie H.G. Wells und Isaac Asimov tummeln sich natürlich auch zahlreiche zeitgenössische Autoren. Manche davon sehr bekannt, andere verkannt und bei dem ein oder anderen mag man sich sicher über die Qualität des Autors streiten könnenVilla Fantastica Wien. 😉 Geschmäcker aber sind bekanntlich verschieden und so hält das Sortiment der Villa Fantastica für jeden etwas interessantes bereit.
Um einen ersten Eindruck von der Vielfalt der Villa Fantastica zu vermitteln, hier einfach mal ein paar unsortierte Namen, die wir beim Stöbern in der Bibliothek entdeckten: Michael Moorcock, Markus Heitz, Kurd Laßwitz, Justina Robson, die Gebrüder Strugatzki, Patricia McKillip, Jack Vance, Stephen King, Thomas Burnett Swann, Ursula K. LeGuin und viele, viele mehr.

Villa Fantastica WienDie Villa Fantastica ist eine gemeinnützige Kultureinrichtung und finanziert sich größtenteils über Sponsoren und Spenden. Die Mitgliedschaft, die zum Ausleihen der Bücher berechtigt, ist somit kostenlos und einmal im Monat gibt es für Interessierte einen Club-Abend. Darüberhinaus werden Autorenlesungen angeboten und eine eigene Science Fiction Schriftenreihe befindet sich in der Planung. Auf der informativen und regelmäßig aktualisierten Website der Villa Fantastica kann man sich über all das auf dem Laufenden halten und noch weitere Themen entdecken.

Bleibt abschließend nur zu sagen: Wien wurde um eine beachtliche Buchsammlung bereichert und wer das Glück hat, dort zu leben oder zu arbeiten, der sollte sich in der Villa Fantastica einmal umsehen und eine Mitgliedschaft in Erwägung ziehen.

Reaktionen

Neue Inhalte

Der Dieb von Megan Whalen TurnerMit der Übersetzung von Megan Whalen Turners Die Legenden von Attolia  ist für mich – so abgedroschen das auch klingen mag – ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen. Kaum eine Fantasyserie hat mich in den letzten Jahren so überzeugt wie diese außergewöhnliche Reihe.

Der Dieb Gen hat durch Prahlereien mit seinen Missetaten selbst kräftig dazu beigetragen, dass er im Gefängnis des mediterranen Kleinstaats Sounis gelandet ist. Bald bietet sich ihm die Gelegenheit, vorzeitig die Freiheit wiederzuerlangen: Er soll dem Magus des Königs helfen, ein sagenumwobenes Artefakt, das die Macht des Herrschers mehren soll, aus dem Nachbarland Attolia zu stehlen …

Was so als scheinbar ganz unspektakuläre Queste einer kleinen Schar ungleicher Gefährten beginnt, erweist sich schon im Laufe des ersten Bandes als weitaus mehr als das. Doch auch das von der Autorin mit spürbarem Genuss betriebene Verwirrspiel, in dem kaum etwas so ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint,  macht noch nicht den hauptsächlichen Reiz der Legenden von Attolia aus.

Dieser besteht vielmehr darin, wie glänzend es Megan Whalen Turner ohne grelle Effekte, aber dafür mit viel Wärme und Humor gelingt, etwas, das zu einer nicht weiter weltbewegenden Schilderung genretypischer Intrigen und Konflikte hätte geraten können, zu einem über sich selbst hinausweisenden Blick auf das menschliche Dasein zu machen. Welchen Wert die Autorin dabei mit einem Augenzwinkern immer wieder gerade mythischen und phantastischen Geschichten als Weltdeutungshilfe zubilligt, muss eigentlich jeden Fantasyfan bezaubern. Die differenziert gezeichneten Charaktere und die lebensvolle Welt einer in die Frühe Neuzeit hinübergeretteten griechischen Antike tun ein Übriges, die Lektüre zu etwas Besonderem zu machen.

Hier finden sich Leseproben aus den ersten drei Bänden, die am 15. November 2011 erscheinen:

Band 1: Der Dieb (ISBN: 978-3-442-26843-6)
Band 2: Die Königin (ISBN: 978-3-442-26849-8)
Band 3: Der Gebieter (ISBN: ISBN: 978-3-442-26852-8)

Meine Rezensionen zu den englischsprachigen Originalen gibt es hier:

Band 1: The Thief
Band 2: The Queen of Attolia
Band 3: The King of Attolia

Zettelkasten

Cover von Carnivores of Light and Darkness von Alan Dean FosterBibliotheka Phantastika gratuliert Alan Dean Foster, der heute 65 Jahre alt wird. Auch wenn im Mittelpunkt des Schaffens des am 18. November 1946 in New York geborenen Foster eindeutig die SF steht – sei es in Form von genuinen Romanen wie der aus mehreren Unterzyklen und Einzelbänden bestehenden Reihe um das Homanx Commonwealth, sei es in Form von Filmnovelisationen wie denen zu den ersten drei Alien-Filmen –, so hat der Autor im Laufe seiner langen Karriere doch auch zwei Abstecher in die Fantasy gemacht.
Im ersten findet sich der Jurastudent, Möchtegern-Rockgitarrist und Teilzeit-Hausmeister Jonathan Thomas Meriweather in Spellsinger (1983; dt. Bannsänger (1986)) plötzlich in einer Fantasywelt voller sprechender Tiere wieder, die vom “Plated Folk” (den “Gepanzerten”) bedroht wird. Wie Meriweather mit der ihm versehentlich zugefallen Rolle umgeht und als “Jon-Tom” – nachdem er entdeckt hat, dass er mittels Musik Magie wirken kann, wobei ihm natürlich sein Rockrepertoire zugute kommt – mehrfach die Welt rettet, erzählt Foster in diesem und den folgenden Bänden (The Hour of the Gate, The Day of the Dissonance, The Moment of the Magician (alle 1984), The Paths of the Perambulator (1985) und The Time of the Transference (1986)) des nach dem Auftaktroman benannten Zyklus. Dass er dies auf humoristische Weise tut, wird bereits an der Heldengruppe deutlich, denn Jon-Tom wird bei seinen abenteuerlichen Unternehmungen von dem Magier Clothahump (oder Clodsahamp) – einer aufrecht gehenden Schildkröte – und dem Otter Mudge unterstützt. Anfang der 90er Jahre kehrte Foster mit Son of Spellsinger (1993; hier steht Jon-Toms Sohn im Mittelpunkt, der – wen wundert’s – mit Freunden eine Rap-Band gegründet hat) und Chorus Skating (1994) noch einmal ins Bannsänger-Universum zurück, doch der Zauber, der schon bei den späteren Bänden der Ursprungs-Sequenz spürbar nachgelassen hatte, wollte sich nicht mehr einstellen.

Wesentlich interessanter waren und sind da die Reisen des Ziegenhirten Etjole Ehomba, die in der Trilogie Journeys of the Catechist geschildert werden. Ehomba hat einem sterbenden, ans Ufer seiner Heimat angeschwemmten Fremden ein Versprechen gegeben, und da er ein ehrenhafter Mann ist, muss er dieses Versprechen auch halten, selbst wenn er dazu die halbe Welt durchqueren muss. Wohin die Reise ihn und seine sich ihm schon bald anschließenden Begleiter Simna ibn Sind und die große Katze Ahlitah führt, das wird in Carnivores of Light and Darkness (1998), Into the Thinking Kingdoms (1999) und A Triumph of Souls (2000) gezeigt. Die drei episodenhaft angelegten Romane weisen nicht nur stilistische Besonderheiten auf – so finden sich anfangs deutliche Elemente afrikanischer und indianischer Sagen sowie der tall tales der amerikanischen Folklore bzw. europäischer Lügengeschichten, in die sich im weiteren Verlauf auch groteskere und düsterere Bilder mischen – sondern sie bedienen sich darüber hinaus auch gelegentlich ungewöhnlicher Erzählperspektiven, so dass man die Trilogie zweifellos zu den originelleren Erscheinungen des Ende der 90er doch schon recht stromlinienförmigen Fantasymarktes zählen kann (wobei nicht verschwiegen werden soll, dass sowohl Held wie Erzählduktus gewöhnungsbedürftig sind).
Die Fortsetzungen des Bannsänger-Zyklus sind unter den Titeln Die Stunde des Tors, Der Tag der Dissonanz, Der Augenblick des Magiers (alle 1986), Die Pfade des Wanderers, Die Zeit der Heimkehr (beide 1988), Der Sohn des Bannsängers und Die Entführung der Musik (beide 1996) ebenso auf Deutsch erschienen wie die Katechisten-Trilogie (Der Geist des Speers, Die gefangene Zeit, Die Kälte des Schwerts (2001-2002)) – genau wie viele andere Romane Alan Dean Fosters, der generell hierzulande zu den meistübersetzten angloamerikanischen SF- und Fantasyautoren zählen dürfte.

Reaktionen

Blut schmeckt besser als Wasser
Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto FDie letzten Tage war ich in einen neuen Kreis meiner ganz persönlichen Hölle hinabgestiegen. Die Öffentlichkeit hatte nach der Lösung des Falls geschrien, hatte ihre eigenen Theorien über Opfer und Mörder in die Welt hinausposaunt, während mir im Revier Commissioner Fell täglich im Nacken saß und Ergebnisse verlangte. Viel schlimmer war jedoch mein eigener Jagdtrieb gewesen, bis spät nachts brütete ich über den Akten und jeder noch so winzigen Spur, bis ich selbst in meinen Alpträumen hinter dem Mörder herjagte. Alles erfolglos, bis eines Morgens Tooth in mein Büro stürmte (normalerweise ein schlechtes Omen und ein Grund sich einen Doppelten einzuschenken) und zwar noch fröhlicher als sonst (ein Grund den Doppelten ja schnell zu trinken). „Whiskers, Sie werden nicht glauben, was ich gerade entdeckt habe!“ Dass er seinen üblichen Seitenhieb vergaß, bedeutete, dass es wirklich wichtig war – schlagartig war ich nüchtern. „Wir konnten die Identität des Opfers feststellen. Einige Hinweise aus der Öffentlichkeit haben sich bestätigt, es handelt sich um Jonathan Strange & Mr. Norrell, ein unschuldiges englisches Taschenbuch. Aber ich habe noch etwas besseres!” Zweifelnd zog ich die Augenbraue hoch. “Das Opfer hat sich gewehrt! Ich habe an einer Seitenkante Blut gefunden, das kann nur das Blut des Täters sein!“ Ich sprang auf, der Stuhl kippte nach hinten: „Was hat die Analyse ergeben?“ „Der Täter ist weiblich, die Blutgruppe hilft uns allerdings nicht weiter, die Frau ist nicht in unseren Akten, aber ich habe einen Plan!“ Sein diabolisch-entzücktes Grinsen jagte mir einen Schauer über den Rücken. „Ich werde das Blut untersuchen, mit meinen Vampirsinnen kann ich sicher mehr herausfinden.“ Ich verschluckte mich am Whiskey, den ich gegen die Gänsehaut getrunken hatte. „Sind Sie wahnsinnig, Tooth?! Wissen Sie noch was das letzte Mal passiert ist? Wir mussten Sie in der Pathologie einsperren, Blutkonserven einkaufen und Knoblauchkränze tragen, nur damit Sie nicht über uns herfallen! Ich riskiere keinen Blutrausch mehr, Sie Irrer!“

Aber natürlich riskierte ich es schließlich doch, ich musste den Mörder … die Mörderin fangen! Mürrisch betrachtete ich den Knoblauchkranz um meinen Hals, dessen Gestank selbst den Whiskeygeschmack und den Zigarrengeruch verdrängte – ich hasste das Ding. Das nächste Mal würde ich mich lieber beißen lassen, beschloss ich. Hinter den verschlossenen Türen der Pathologie, durch deren runde Fenster ich starrte, beugte sich Tooth zu dem aufgeschlagenen Opfer hinab, zwinkerte mir noch einmal vergnügt zu und fing an, die Seite zu beschnüffeln. Seine Nasenflügel blähten sich und hinter Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto Gseiner Oberlippe schoben sich die gewachsenen Eckzähne hervor. Ich nahm einen Schluck aus meinem Flachmann und schmeckte … Knoblauch. Angewidert schleuderte ich den Kranz in eine Ecke. Tooth hatte sich inzwischen vor das Opfer gekniet und befühlte die Seite mit der Zunge. Plötzlich sprang er hoch, drehte sich zur Tür und stand auf der anderen Seite des Fensters – er hatte sich schneller bewegt, als das menschliche Auge wahrnehmen konnte – und starrte mir mit weit aufgerissenen Augen entgegen, die Zähne gebleckt. Nun trauerte ich dem Kranz doch nach, aber bevor ich mich suchend umblicken konnte, sprach Tooth: „Die Mörderin ist Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig, ein guter Jahrgang.“ Seine Augen leuchteten kurz auf. „Außerdem schmecke ich eine deutliche Note von vigna fugiens, Fluchtbohne, ein äußerst exotisches Gewächs. Wir müssen zurück zum Tatort, wenn der Geruch dieser speziellen Blutnote dort noch stark genug ist, können wir die Täterin vielleicht aufspüren.“, er blähte die Nasenflügel wie ein Bluthund kurz vor der Jagd. Verdutzt starrte ich ihn an, trotz seines wahnhaften Äußeren wirkte seine Stimme vollkommen rational. „Ich habe nach dem letzten Mal mit Yoga angefangen“, kam er meiner Frage zuvor. „Sollten Sie auch mal versuchen, ist gesünder als Whiskey!“ Die Stichelei überzeugte mich endgültig davon, dass er sich unter Kontrolle hatte. „Werde ich dann auch so ekelhaft fröhlich wie Sie?“, konterte ich und entriegelte die Türen. „Kommen Sie, Tooth, suchen wir nach dieser … Fluchtbohne.“

Tagebuch einer Mörderin:
Nun, da die einzelnen Kapitel seziert und und in all ihrer massakrierten Pracht vor mir lagen, überkam mich eine seltene und tief empfundene Ruhe. Ich hatte das Buch in seine einzelnen Kapitel zerlegt und mich jedem ganz individuell gewidmet. 69 Kapitel, 69 Foltermethoden. Es war ein herrlicher Spaß gewesen. Mit einer frischen Tasse Tee neben mir, die ich auf einer Seite des Buches abstellte und perfekte Teekränze darauf hinterließ, begann ich die Reihe der Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto HKapitel wieder zu einem buchähnlichen Gebilde zusammen zu setzen. Sie hatten keine Nummern mehr, ich hatte ihnen Titel gegeben. So folgte Kapitel Marmelade auf Kapitel Fetzen, Kapitel Konfetti auf Kapitel Waschmaschinenschnipsel und so fort. Es war schwer, noch etwas von dem ursprünglichen Buch auszumachen. Ich liebte seinen neuen Zustand.
Schließlich nähte ich Kapitel um Kapitel mit unordentlichen Stichen am Rücken zusammen, achtete nicht auf einen glatten Anschnitt oder die einst korrekte Reihenfolge. Als ich das entstellte Buch dann in all seiner Hässlichkeit vor mir liegen sah, wusste ich, es war Zeit, Abschied zu nehmen. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, ich konnte die Zufriedenheit bis in die Zehen spüren. Ich nahm das Nie-wieder-Buch in die Hände und warf es in eine Plastiktüte, zog die Gummihandschuhe aus, die ich zum Schutz vor Fingerabdrücken trug, und warf sie auf den Tisch, nahm die Tüte und verließ mit ihr die Wohnung. Im Hausflur traf ich eine Nachbarin, sie grüßte mich höflich, unschuldig grüßte ich zurück und begab mich zum Ausgang. Niemand ahnte etwas von dem traurigen Opfer, das ich bei mir trug.
Es hatte drei Tage lang ununterbrochen geregnet und in den Straßen hatten sich überall Pfützen gebildet. Welch wundervolle Fügung. Noch eine allerletzte Qual bot sich mir an, als ich nach einem ausgiebigen Fußmarsch in einen fremden Stadtteil einbog und eine kleine dunkle Gasse betrat. Hinter einem Müllcontainer hatte sich eine besonders große, dreckige und schleimige Pfütze gebildet, die zusätzlich nach Abfallsäften stank. Ich warf einen verstohlenen Blick in beide Richtungen der Gasse. Niemand zu sehen. In einem finalen Akt schüttelte ich das Nie-wieder-Buch aus der Tüte direkt in die Wasserlache hinein. Es platschte wie ein Stein zu Boden und blieb reglos in der Pfütze liegen. Das Wasser verschlang es zur Hälfte.
Ich warf einen letzten Blick darauf, prägte mir das einzigartige Bild genauestens ein und verließ glücklich die jämmerliche Ruhestätte.

Als ich wieder Zuhause war, beseitigte ich die letzten Spuren des Nie-wieder-Buchs, als ich es entdeckte: Ein Schnitt im Zeigefinger. Hektisch rannte ich zu meinen Gummihandschuhen, die noch immer auf dem Tisch lagen, und überprüfte sie. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Auch hier ein Schnitt im Zeigefinger und daran winzige Spuren meines Blutes. Das Biest hatte sich gewehrt …

Scriptorium

Jasper Fforde beim Signieren unseres Verlosungsbuches.
Jasper Fforde signiert das zu gewinnende Exemplar von "Grau"!

…ist alle Theorie.
Um unseren theoretischen Betrachtungen von Büchern auch etwas bunte Praxis beizumischen, haben wir bei der Lesung von Jasper Fforde keine Kosten und Mühen gescheut und nicht nur unsere eigenen Bücher signieren lassen, sondern gleich eins mehr.
Dieses Exemplar wollen wir nun verlosen, dazu braucht ihr nur die folgende Frage zu beantworten:

In seinem Roman Grau beschreibt Jasper Fforde eine wohlgeordnete und streng hierarchisch aufgebaute Welt. Auf welcher Stufe in der Hierarchie ein Mensch steht, wird davon bestimmt, welche Farben er wahrnehmen kann.
Welche Farbe muss man sehen können, um auf die höchste Stufe der Gesellschaft zu kommen?

Eure Antwort, zusammen mit eurer Adresse, schickt bitte bis 20.11.2011 23:59Uhr an info[ät]bibliotheka-phantastika.de. Aus allen richtigen Einsendungen losen wir den Gewinner aus.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Das bp-Team wünscht allen Teilnehmern viel Glück!

Zettelkasten

Neue Inhalte

Heute wollen wir euch mit einer kleinen Auswahl zeigen, dass Fantasycover auch tolle äußere Werte haben können – und nicht nur die inneren verbergen:

Enchanted Glass – Diana Wynne Jones
erschienen 2010, Covergestaltung: David Wyatt
Enchanted Glass von Diana Wynne Jones

Das Cover zu Enchanted Glass fasziniert mich schon seit einer ganzen Weile, und damit ist es wohl an der Zeit zu akzeptieren, dass es in meine Top 10 gehört. Vor allem die leuchtenden Farben, die halb verborgenen Illustrationen innerhalb der verschiedenen Teile des Glasmosaiks und letztlich auch die Idee dieses altertümlichen Fensterbaus wirken auf mich verzaubernd. Mir gefällt auch, wie die Typo in dieses Muster mit eingebunden wurde. Dadurch wirkt sie nicht einfach drauf gesetzt und macht das Cover zu einer schönen, runden Sache. (moyashi)

 

The Name of the Wind – Patrick Rothfuss
erschienen 2007, Covergestaltung: Donato Giancola
The Name of the Wind von Patrick Rothfuss Das Cover landete in meiner Auswahl, weil es das Thema des Titels auf interessante Weise aufgreift. Das steinerne Bildnis eines personifizierten Windes weckt ebenso Assoziationen mit alten Kulturen wie mit Mystik. Es wirkt vergessen in der herbstlichen Umgebung und diese melancholische Stimmung wird durch die Farbgebung wunderbar eingefangen. Die wehenden Blätter verleihen dem Cover außerdem eine gewisse Dynamik. Im Vergleich zu den Kapuzenmännchen, die sich später auf den Büchern tummelten, gewinnt diese Covervariante von The Name of the Wind an zusätzlichem Reiz. (Fremdling)

 

Mainspring – Jay Lake
erschienen 2007, Covergestaltung: Stephan Martiniere
Mainspring von Jay LakeVon den vielen gewaltigen Bildern aus Jay Lakes Steampunk-Abenteuer Mainspring hat man sich für das Cover das großartigste ausgesucht: Das Luftschiff Bassett, wie es die vertikalen Städte des äquatorialen Walls erkundet. Bildaufbau und Perspektive transportieren die schiere Größe und Erhabenheit der Scheidewand dieser alternativen Erde, und Stephan Martinieres monumentaler Stil wird dem Sujet bestens gerecht. Die ganze Pracht lässt sich am besten mit der dezenten Typo auf dem HC-Cover bewundern. Auch das Cover der deutschen Ausgabe Die Räder der Welt ist per se gut gelungen, die Illustration kann allerdings nicht annähernd mit dem Original mithalten. (mistkaeferl)

 

The Story of the Stone – Barry Hughart
erschienen 1988, Covergestaltung: Mark Harrison
Cover von The Story of the Stone von Barry Hughart

In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts fanden sich vor allem auf den britischen Fantasytiteln häufig Motive, in denen die “landscape”, die mal mehr, mal weniger fantastische Landschaft – sprich: die Welt, die im Roman geschildert wurde – dominierte. Ein beeindruckendes Beispiel für ein solches Bild, das die Leser und Leserinnen auf die Welt einstimmt, die sie hinter dem Buchdeckel erwartet, ist Mark Harrisons Cover-Illu zum zweiten Roman um Meister Li und Nummer Zehn den Ochsen. (gero)

 

Making Money – Terry Pratchett
erschienen 2007, Covergestaltung: Paul Kidby
Making Money by Paul KidbyDafür, dass Moist von Lipwig auf diesem Cover eine Berufsgruppe verkörpert, die im Moment zu den wohl am meisten verfluchten gehört, macht er eine sehr gute Figur. Vielleicht liegt es daran, dass Großmeister Kidby ihn mit einer sympathischen Nonchalance ausgestattet hat, oder an seinem goldenen Anzug, oder vielleicht doch nur am Mops. Fakt ist: Paul Kidby hat auch mit diesem Cover ein perfekt kompositioniertes Kunstwerk geschaffen, welches den schönen Schein ins wahrlich beste Licht rückt. Und, ja, für einen Moment denkt man: so schlimm sind sie gar nicht, diese Gold-Anzugträger. Bis einem klar wird, dass man doch nur zu den Schemen im Hintergrund gehört. (Colophonius)

Scriptorium

Bühne frei für Fforde! (Alle Aufnahmen: © Juliana Socher.)

Während am 7. November 2011 um 19 Uhr im Buchtempel Dussmann in Berlin Heerscharen über die Ladentische herfallen, haben sich im Untergeschoß die Anhänger von Thursday Next, Eddie Russett und Jack Spratt versammelt, um den britischen Schriftsteller Jasper Fforde zu treffen.

Zu Beginn liest Fforde im mustergültigen Oxfordenglisch eine Passage aus seinem neuen Roman Grau, und auch der deutsche Sprecher Oliver Rohrbeck erfüllt die Ohren mit Freude: mit einem eindrucksvollen Sprachgefühl liest der Synchronsprecher, der jüngeren Rätselfreunden als die Stimme von Justus Jonas aus Die drei ??? bekannt sein dürfte, eine Szene vom Ende des Buches und setzt damit Maßstäbe für kommende Lesungen.

Oliver Rohrbeck, der Sprecher der deutschen Buchpassagen.

Im zweiten Teil des Abends jedoch dreht sich alles um die ars scribendi: gutgelaunt plaudert Fforde aus dem Schriftstellernähkästchen und lehrt in 30 Minuten mehr über das Schreiben als jeder Autorenratgeber. 10 Jahre lange schrieb Fforde, ohne dass er veröffentlicht wurde. Sieben vollständige Romane entstanden in dieser Zeit und fristeten bis zur Veröffentlichung seines ersten Romanes The Eyre Affair 2001 ihr Leben in der Schublade. Die höflichen Absagen der Verlage könne er, so Fforde, aus heutiger Sicht sehr gut nachvollziehen. Das kalte Grausen, das ihn überkam, als er nach Jahren seinen ersten Roman – der 2005 schließlich nach einer umfassenden Überarbeitung unter dem Titel The Big Over Easy erschien – wieder zur Hand nahm, zeigt ihm vorallem eines: dass er sich weiterentwickelte hatte. Jeder, der eine Literaturleiche im Keller liegen habe, sollte also beruhigt sein – für Fforde gibt es kein besseres Zeichen dafür, dass man auf dem besten Weg zum Schriftsteller ist, und überließ es ganz dem Zuhörer, sich dadurch entweder motiviert oder demotiviert zu fühlen – sein Grinsen legte jedoch ersteres nahe.
Weiterhin empfahl er allen Schreiberlingen, die ersten schriftstellerischen Gehversuche innerhalb einer Kurzgeschichte zu machen. Die Ideen dazu liefert das, was Fforde als “narrative dare” bezeichnet: man nehme die bizarrste Idee, die einem in den Sinn kommt, und mache diese auf drei Seiten dem Leser plausibel. Warum sitzt im Vorgarten ein Silberrücken-Männchen auf dem Baum? Und warum ist der Porridge der Drei Bären unterschiedlich warm, wenn er doch gleichzeitig verteilt wurde? Sollte je ein Kurzgeschichtenband des Autors erscheinen, ich würde jedem zum Kaufe raten. Während sich das Publikum vor Lachen bog, löste Fforde diese letzten Rätsel der Menscheit und erzählte von der Schwierigkeit, einen Menschen literarisch-logisch in eine Banane zu verwandeln.

Jasper Fforde in seinem Element: dem Ffabulieren.

Der “narrative dare” für Grau war die Vorstellung, dass die Farbwahrnehmung eines Menschen seine gesellschaftliche Stellung, seinen Beruf, seine Beziehung, schlicht: alles bestimmt. Doch, und auch das betonte Fforde, eine Idee allein ergibt noch keinen Roman, auch wenn – wie in den Thursday-Next-Büchern – in einem Buch gleich mehrere Romane stecken können. Nach der Idee kommt also die Entwicklung; und wenn diese aus dem Ruder läuft, dann landen ganze Szenen, Kapitel oder Figuren eben wieder in der Schublade – um vielleicht eines schönen Romanes später genutzt zu werden.

Kein Fan kam zu kurz, keine Signatur war Fforde zu lang.

Die Möglichkeit, mit den Grundregeln unserer Gesellschaft, den Naturgesetzen und den unzähligen Annahmen und Voraussetzungen, die unser Leben bestimmen, brechen zu können: dies ist für Fforde der größte Reiz des Fantasy-Genres. Er nennt es “breaking the ground rules” und setzt diese Regel des Regelbrechens auch in Grau konsequent um.

Als in der offenen Runde die Gretchenfrage “Wie hast du’s mit dem Genre, ist das wirklich ‘Fantasy’?” gestellt wird, schrammt die versammelte Zuhörerschaft knapp an einer ausgewachsenen Genrediskussion vorbei. Doch Fforde nutzt die Gelegenheit und spricht ein beherztes Plädoyer für Genreunschärfe aus. Tatsächlich sieht er die Konfusion um die Einordnung von Grau in eine Schublade als die größte Errungenschaft seines Romanes an. Da verstummen schließlich auch alle “Aber es spielt doch in der Zukunft!”-Rufe.

Der Eintritt zur Veranstaltung war frei, und auch das verschmitzte Grinsen gab's umsonst. Übrigens gibt's es vom bp-Team bald eine Überraschung für die Fforde-Fans unter uns. Also: Augen im Blog schön offen halten!

Doch ob nun Thriller, Human Drama, Fantasy oder ein Fford’sches Mash-Up: eines haben all diese Genres und Nicht-Genres gemeinsam, so der britische Autor, nachdem alle Zuhörer bereits an Lachmuskelkater leiden: der Humor kommt zu kurz, wo doch aber noch an den dunkelsten Orten Lachen zu hören ist. Mit Ernsthaftigkeit ist in der Literatur niemandem geholfen, und nach eineinhalb Stunden Gespräch kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass er damit eine grundlegende Wahrheit formuliert hat. Mit viel Humor und Freude am eigenen Werk und Denken erzählt Fforde von der Ideenfindung, magischen Mobilfunknetzen und Bananen, immer wieder Bananen. Als es dann soweit ist und die Signierstifte und die Bücher gezückt werden, begegnet Fforde seinen Fans mit demselben Witz und Charme und der Freundlichkeit, den und die er schon auf der Bühne bewiesen hat. In den Zeiten der exzessiven Selbstinszenierung ein erstaunlich-erfreulich uninszenierter Abend, der sich erst dem Buch widmet, und dann dem Autor, und dem Leser das Gefühl gibt, zumindest ein Stück der Bookworld™ bereist zu haben.

Auch eine bp-Reporterin wagt sich in Begleitung an den Signiertisch.

Übrigens: wenn Fforde, wie die Charaktere in den Thursday-Next-Romanen, durch die Bücherwelt reisen könnte, so würde er den Kleinen Prinzen besuchen und einen kleinen Planeten beziehen, in direkter Nachbarschaft zum Laternenanzünder. Der Planet würde natürlich nur aus Büchern bestehen, und einzig von ihm bewohnt werden. Und während er sich langsam durch die Bücherstapel arbeitet, vergisst er immer wieder, was er anfangs las. Eine unendliche Lesegeschichte. Ffamos.

 

Reaktionen

Neue Inhalte