Blut schmeckt besser als Wasser
Die letzten Tage war ich in einen neuen Kreis meiner ganz persönlichen Hölle hinabgestiegen. Die Öffentlichkeit hatte nach der Lösung des Falls geschrien, hatte ihre eigenen Theorien über Opfer und Mörder in die Welt hinausposaunt, während mir im Revier Commissioner Fell täglich im Nacken saß und Ergebnisse verlangte. Viel schlimmer war jedoch mein eigener Jagdtrieb gewesen, bis spät nachts brütete ich über den Akten und jeder noch so winzigen Spur, bis ich selbst in meinen Alpträumen hinter dem Mörder herjagte. Alles erfolglos, bis eines Morgens Tooth in mein Büro stürmte (normalerweise ein schlechtes Omen und ein Grund sich einen Doppelten einzuschenken) und zwar noch fröhlicher als sonst (ein Grund den Doppelten ja schnell zu trinken). „Whiskers, Sie werden nicht glauben, was ich gerade entdeckt habe!“ Dass er seinen üblichen Seitenhieb vergaß, bedeutete, dass es wirklich wichtig war – schlagartig war ich nüchtern. „Wir konnten die Identität des Opfers feststellen. Einige Hinweise aus der Öffentlichkeit haben sich bestätigt, es handelt sich um Jonathan Strange & Mr. Norrell, ein unschuldiges englisches Taschenbuch. Aber ich habe noch etwas besseres!” Zweifelnd zog ich die Augenbraue hoch. “Das Opfer hat sich gewehrt! Ich habe an einer Seitenkante Blut gefunden, das kann nur das Blut des Täters sein!“ Ich sprang auf, der Stuhl kippte nach hinten: „Was hat die Analyse ergeben?“ „Der Täter ist weiblich, die Blutgruppe hilft uns allerdings nicht weiter, die Frau ist nicht in unseren Akten, aber ich habe einen Plan!“ Sein diabolisch-entzücktes Grinsen jagte mir einen Schauer über den Rücken. „Ich werde das Blut untersuchen, mit meinen Vampirsinnen kann ich sicher mehr herausfinden.“ Ich verschluckte mich am Whiskey, den ich gegen die Gänsehaut getrunken hatte. „Sind Sie wahnsinnig, Tooth?! Wissen Sie noch was das letzte Mal passiert ist? Wir mussten Sie in der Pathologie einsperren, Blutkonserven einkaufen und Knoblauchkränze tragen, nur damit Sie nicht über uns herfallen! Ich riskiere keinen Blutrausch mehr, Sie Irrer!“
Aber natürlich riskierte ich es schließlich doch, ich musste den Mörder … die Mörderin fangen! Mürrisch betrachtete ich den Knoblauchkranz um meinen Hals, dessen Gestank selbst den Whiskeygeschmack und den Zigarrengeruch verdrängte – ich hasste das Ding. Das nächste Mal würde ich mich lieber beißen lassen, beschloss ich. Hinter den verschlossenen Türen der Pathologie, durch deren runde Fenster ich starrte, beugte sich Tooth zu dem aufgeschlagenen Opfer hinab, zwinkerte mir noch einmal vergnügt zu und fing an, die Seite zu beschnüffeln. Seine Nasenflügel blähten sich und hinter seiner Oberlippe schoben sich die gewachsenen Eckzähne hervor. Ich nahm einen Schluck aus meinem Flachmann und schmeckte … Knoblauch. Angewidert schleuderte ich den Kranz in eine Ecke. Tooth hatte sich inzwischen vor das Opfer gekniet und befühlte die Seite mit der Zunge. Plötzlich sprang er hoch, drehte sich zur Tür und stand auf der anderen Seite des Fensters – er hatte sich schneller bewegt, als das menschliche Auge wahrnehmen konnte – und starrte mir mit weit aufgerissenen Augen entgegen, die Zähne gebleckt. Nun trauerte ich dem Kranz doch nach, aber bevor ich mich suchend umblicken konnte, sprach Tooth: „Die Mörderin ist Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig, ein guter Jahrgang.“ Seine Augen leuchteten kurz auf. „Außerdem schmecke ich eine deutliche Note von vigna fugiens, Fluchtbohne, ein äußerst exotisches Gewächs. Wir müssen zurück zum Tatort, wenn der Geruch dieser speziellen Blutnote dort noch stark genug ist, können wir die Täterin vielleicht aufspüren.“, er blähte die Nasenflügel wie ein Bluthund kurz vor der Jagd. Verdutzt starrte ich ihn an, trotz seines wahnhaften Äußeren wirkte seine Stimme vollkommen rational. „Ich habe nach dem letzten Mal mit Yoga angefangen“, kam er meiner Frage zuvor. „Sollten Sie auch mal versuchen, ist gesünder als Whiskey!“ Die Stichelei überzeugte mich endgültig davon, dass er sich unter Kontrolle hatte. „Werde ich dann auch so ekelhaft fröhlich wie Sie?“, konterte ich und entriegelte die Türen. „Kommen Sie, Tooth, suchen wir nach dieser … Fluchtbohne.“
Tagebuch einer Mörderin:
Nun, da die einzelnen Kapitel seziert und und in all ihrer massakrierten Pracht vor mir lagen, überkam mich eine seltene und tief empfundene Ruhe. Ich hatte das Buch in seine einzelnen Kapitel zerlegt und mich jedem ganz individuell gewidmet. 69 Kapitel, 69 Foltermethoden. Es war ein herrlicher Spaß gewesen. Mit einer frischen Tasse Tee neben mir, die ich auf einer Seite des Buches abstellte und perfekte Teekränze darauf hinterließ, begann ich die Reihe der Kapitel wieder zu einem buchähnlichen Gebilde zusammen zu setzen. Sie hatten keine Nummern mehr, ich hatte ihnen Titel gegeben. So folgte Kapitel Marmelade auf Kapitel Fetzen, Kapitel Konfetti auf Kapitel Waschmaschinenschnipsel und so fort. Es war schwer, noch etwas von dem ursprünglichen Buch auszumachen. Ich liebte seinen neuen Zustand.
Schließlich nähte ich Kapitel um Kapitel mit unordentlichen Stichen am Rücken zusammen, achtete nicht auf einen glatten Anschnitt oder die einst korrekte Reihenfolge. Als ich das entstellte Buch dann in all seiner Hässlichkeit vor mir liegen sah, wusste ich, es war Zeit, Abschied zu nehmen. Ein Lächeln umspielte meine Lippen, ich konnte die Zufriedenheit bis in die Zehen spüren. Ich nahm das Nie-wieder-Buch in die Hände und warf es in eine Plastiktüte, zog die Gummihandschuhe aus, die ich zum Schutz vor Fingerabdrücken trug, und warf sie auf den Tisch, nahm die Tüte und verließ mit ihr die Wohnung. Im Hausflur traf ich eine Nachbarin, sie grüßte mich höflich, unschuldig grüßte ich zurück und begab mich zum Ausgang. Niemand ahnte etwas von dem traurigen Opfer, das ich bei mir trug.
Es hatte drei Tage lang ununterbrochen geregnet und in den Straßen hatten sich überall Pfützen gebildet. Welch wundervolle Fügung. Noch eine allerletzte Qual bot sich mir an, als ich nach einem ausgiebigen Fußmarsch in einen fremden Stadtteil einbog und eine kleine dunkle Gasse betrat. Hinter einem Müllcontainer hatte sich eine besonders große, dreckige und schleimige Pfütze gebildet, die zusätzlich nach Abfallsäften stank. Ich warf einen verstohlenen Blick in beide Richtungen der Gasse. Niemand zu sehen. In einem finalen Akt schüttelte ich das Nie-wieder-Buch aus der Tüte direkt in die Wasserlache hinein. Es platschte wie ein Stein zu Boden und blieb reglos in der Pfütze liegen. Das Wasser verschlang es zur Hälfte.
Ich warf einen letzten Blick darauf, prägte mir das einzigartige Bild genauestens ein und verließ glücklich die jämmerliche Ruhestätte.
Als ich wieder Zuhause war, beseitigte ich die letzten Spuren des Nie-wieder-Buchs, als ich es entdeckte: Ein Schnitt im Zeigefinger. Hektisch rannte ich zu meinen Gummihandschuhen, die noch immer auf dem Tisch lagen, und überprüfte sie. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Auch hier ein Schnitt im Zeigefinger und daran winzige Spuren meines Blutes. Das Biest hatte sich gewehrt …
Hah, ich wusste es! 😀
Dieses böse Nie-mehr-Buch, da bin ich ja mal gespannt, wann unsere Bohne dann tatsächlich zur Strecke gebracht wird! 😀 Und das Opfer würde ich auch gerne mal sehen – immer nur diese Beschreibungen… 😛
Hey immerhin gibt es Fotos! 😀
Nebenbei darf ich dann auch mal offiziell verkünden, dass Elric und Sisterdew die beiden Gewinner dieses kleinen Rätsels sind.
Preise werden (bzw. wurden) demnächst zugestellt. 😉
Gratulation an die beiden Gewinner auch von mir! 😀
Oh, ein Preis!? WOW! *thud*
Da bin ich ja mal gespannt! 😀
Danke Fremdl!
@Moya: du kennst doch den “Voyeurismus”… 😉
Eine kleine Belohnung, die ich nur noch auf den Weg bringen muss… ich hoffe, ich schaffe es morgen zur Post!