The Narrative Dare: Jasper Fforde am 07.11.11 in Berlin

Bühne frei für Fforde! (Alle Aufnahmen: © Juliana Socher.)

Während am 7. November 2011 um 19 Uhr im Buchtempel Dussmann in Berlin Heerscharen über die Ladentische herfallen, haben sich im Untergeschoß die Anhänger von Thursday Next, Eddie Russett und Jack Spratt versammelt, um den britischen Schriftsteller Jasper Fforde zu treffen.

Zu Beginn liest Fforde im mustergültigen Oxfordenglisch eine Passage aus seinem neuen Roman Grau, und auch der deutsche Sprecher Oliver Rohrbeck erfüllt die Ohren mit Freude: mit einem eindrucksvollen Sprachgefühl liest der Synchronsprecher, der jüngeren Rätselfreunden als die Stimme von Justus Jonas aus Die drei ??? bekannt sein dürfte, eine Szene vom Ende des Buches und setzt damit Maßstäbe für kommende Lesungen.

Oliver Rohrbeck, der Sprecher der deutschen Buchpassagen.

Im zweiten Teil des Abends jedoch dreht sich alles um die ars scribendi: gutgelaunt plaudert Fforde aus dem Schriftstellernähkästchen und lehrt in 30 Minuten mehr über das Schreiben als jeder Autorenratgeber. 10 Jahre lange schrieb Fforde, ohne dass er veröffentlicht wurde. Sieben vollständige Romane entstanden in dieser Zeit und fristeten bis zur Veröffentlichung seines ersten Romanes The Eyre Affair 2001 ihr Leben in der Schublade. Die höflichen Absagen der Verlage könne er, so Fforde, aus heutiger Sicht sehr gut nachvollziehen. Das kalte Grausen, das ihn überkam, als er nach Jahren seinen ersten Roman – der 2005 schließlich nach einer umfassenden Überarbeitung unter dem Titel The Big Over Easy erschien – wieder zur Hand nahm, zeigt ihm vorallem eines: dass er sich weiterentwickelte hatte. Jeder, der eine Literaturleiche im Keller liegen habe, sollte also beruhigt sein – für Fforde gibt es kein besseres Zeichen dafür, dass man auf dem besten Weg zum Schriftsteller ist, und überließ es ganz dem Zuhörer, sich dadurch entweder motiviert oder demotiviert zu fühlen – sein Grinsen legte jedoch ersteres nahe.
Weiterhin empfahl er allen Schreiberlingen, die ersten schriftstellerischen Gehversuche innerhalb einer Kurzgeschichte zu machen. Die Ideen dazu liefert das, was Fforde als “narrative dare” bezeichnet: man nehme die bizarrste Idee, die einem in den Sinn kommt, und mache diese auf drei Seiten dem Leser plausibel. Warum sitzt im Vorgarten ein Silberrücken-Männchen auf dem Baum? Und warum ist der Porridge der Drei Bären unterschiedlich warm, wenn er doch gleichzeitig verteilt wurde? Sollte je ein Kurzgeschichtenband des Autors erscheinen, ich würde jedem zum Kaufe raten. Während sich das Publikum vor Lachen bog, löste Fforde diese letzten Rätsel der Menscheit und erzählte von der Schwierigkeit, einen Menschen literarisch-logisch in eine Banane zu verwandeln.

Jasper Fforde in seinem Element: dem Ffabulieren.

Der “narrative dare” für Grau war die Vorstellung, dass die Farbwahrnehmung eines Menschen seine gesellschaftliche Stellung, seinen Beruf, seine Beziehung, schlicht: alles bestimmt. Doch, und auch das betonte Fforde, eine Idee allein ergibt noch keinen Roman, auch wenn – wie in den Thursday-Next-Büchern – in einem Buch gleich mehrere Romane stecken können. Nach der Idee kommt also die Entwicklung; und wenn diese aus dem Ruder läuft, dann landen ganze Szenen, Kapitel oder Figuren eben wieder in der Schublade – um vielleicht eines schönen Romanes später genutzt zu werden.

Kein Fan kam zu kurz, keine Signatur war Fforde zu lang.

Die Möglichkeit, mit den Grundregeln unserer Gesellschaft, den Naturgesetzen und den unzähligen Annahmen und Voraussetzungen, die unser Leben bestimmen, brechen zu können: dies ist für Fforde der größte Reiz des Fantasy-Genres. Er nennt es “breaking the ground rules” und setzt diese Regel des Regelbrechens auch in Grau konsequent um.

Als in der offenen Runde die Gretchenfrage “Wie hast du’s mit dem Genre, ist das wirklich ‘Fantasy’?” gestellt wird, schrammt die versammelte Zuhörerschaft knapp an einer ausgewachsenen Genrediskussion vorbei. Doch Fforde nutzt die Gelegenheit und spricht ein beherztes Plädoyer für Genreunschärfe aus. Tatsächlich sieht er die Konfusion um die Einordnung von Grau in eine Schublade als die größte Errungenschaft seines Romanes an. Da verstummen schließlich auch alle “Aber es spielt doch in der Zukunft!”-Rufe.

Der Eintritt zur Veranstaltung war frei, und auch das verschmitzte Grinsen gab's umsonst. Übrigens gibt's es vom bp-Team bald eine Überraschung für die Fforde-Fans unter uns. Also: Augen im Blog schön offen halten!

Doch ob nun Thriller, Human Drama, Fantasy oder ein Fford’sches Mash-Up: eines haben all diese Genres und Nicht-Genres gemeinsam, so der britische Autor, nachdem alle Zuhörer bereits an Lachmuskelkater leiden: der Humor kommt zu kurz, wo doch aber noch an den dunkelsten Orten Lachen zu hören ist. Mit Ernsthaftigkeit ist in der Literatur niemandem geholfen, und nach eineinhalb Stunden Gespräch kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass er damit eine grundlegende Wahrheit formuliert hat. Mit viel Humor und Freude am eigenen Werk und Denken erzählt Fforde von der Ideenfindung, magischen Mobilfunknetzen und Bananen, immer wieder Bananen. Als es dann soweit ist und die Signierstifte und die Bücher gezückt werden, begegnet Fforde seinen Fans mit demselben Witz und Charme und der Freundlichkeit, den und die er schon auf der Bühne bewiesen hat. In den Zeiten der exzessiven Selbstinszenierung ein erstaunlich-erfreulich uninszenierter Abend, der sich erst dem Buch widmet, und dann dem Autor, und dem Leser das Gefühl gibt, zumindest ein Stück der Bookworld™ bereist zu haben.

Auch eine bp-Reporterin wagt sich in Begleitung an den Signiertisch.

Übrigens: wenn Fforde, wie die Charaktere in den Thursday-Next-Romanen, durch die Bücherwelt reisen könnte, so würde er den Kleinen Prinzen besuchen und einen kleinen Planeten beziehen, in direkter Nachbarschaft zum Laternenanzünder. Der Planet würde natürlich nur aus Büchern bestehen, und einzig von ihm bewohnt werden. Und während er sich langsam durch die Bücherstapel arbeitet, vergisst er immer wieder, was er anfangs las. Eine unendliche Lesegeschichte. Ffamos.

 

3 Kommentare zu The Narrative Dare: Jasper Fforde am 07.11.11 in Berlin

  1. Keksmotte sagt:

    Schöner Bericht. Da werd ich richtig neidisch. Schade, dass der Herr nicht hier irgendwo in der Nähe ne Lesung hat.

  2. Ivy sagt:

    Ach, Jasper. Du und ich, in einem anderen Leben… 😀

  3. Sarah sagt:

    Da kann ich auch nur sagen: ich ergraue, nein, ergrüne vor Neid! Wäre Berlin doch gleich hier um die Ecke! 🙂

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