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The Tales of Beedle the Bard von J.K. RowlingMärchen gibt es schon seit Urzeiten in jeder Kultur. Auch die Zauberer und Hexen aus dem Harry-Potter-Universum haben ihre eigenen Märchen, die uns Muggles nun ebenfalls vorgestellt werden. Von springenden Zauberkesseln, über spitzfindige Hexen bis hin zum Zauberbrunnen begegnet der Leser allem, was das junge Herz begehrt.

– There was once a kindly old wizard who used his magic generously and wisely for the benefit of his neighbours. Rather than reveal the true source of his power, he pretended that his potions, charms and antidotes sprang ready-made from the little cauldron he called his lucky cooking pot. From miles around people came to him with their troubles, and the wizard was pleased to give his pot a stir and put things right. –
The Wizard and the Hopping Pot

LeserInnen der Harry Potter-Buchreihe wird The Tales of Beedle the Bard (Die Märchen von Beedle dem Barden) ein Begriff sein. Im siebten und letzten Band von Harry Potter, The Deathly Hallows (Die Heiligtümer des Todes), spielt eines der Märchen von Beedle dem Barden eine wichtige Rolle bei der Lüftung eines Geheimnisses rund um Schuldirektor Albus Dumbledore und ein paar sehr mächtiger, verschollener Gegenstände. Für sich betrachtet ist diese kleine Märchensammlung für heranwachsende Zauberer und Hexen aber gänzlich unabhängig von Harry Potter und seinen Abenteuern.

Man könnte The Tales of Beedle the Bard als magische Übersetzung der Märchen der Gebrüder Grimm und anderer betrachten. Was für uns das Rotkäppchen ist, ist für einen Ron Weasley vielleicht Babbity Rabbity.
Zwar werden hier insgesamt keine uns bekannten Märchen neu erzählt, doch sie erinnern gelegentlich daran und sorgen dadurch für ein vertrautes Leseempfinden. Da gibt es kurze Momente, in denen schießen einem bei Märchen wie The Hairy Heart Namen wie Dorian Gray (zugegeben, das ist kein klassisches Märchen) durch den Kopf, woanders fühlt man sich subtil an den Struwwelpeter oder Der süße Brei erinnert. Obwohl es oft nur wenige Kleinigkeiten sind, die diese Assoziationen auslösen, vermittelt das einen Bezug zu unserer vertrauten Welt und lässt die Märchen von Beedle greifbarer werden.

Wie es für Märchen üblich ist, sind The Tales of Beedle the Bard sprachlich sehr schlicht gehalten, auch für Leser mit wenig englischsprachiger Leseerfahrung kein Problem.  Es handelt sich natürlich auch um kurze Geschichten, die mit einer moralischen Botschaft aufwarten, ganz so, wie wir es von Märchen kennen. Autorin J.K. Rowling kopiert dabei das Wesen traditioneller Märchen sehr gut und baut auch solche Szenen ein, die man heute oft als nicht kindgerecht, brutal und gewaltverherrlichend bezeichnet. Sicherlich ist dies auch als Seitenhieb auf Kritiker alter Märchen gedacht, die der Meinung sind, abgeschnittene Daumen hätten in solchen Geschichten, seien sie auch Teil unseres literarischen Erbes, nichts zu suchen. Deutlich belegt wird dieser Standpunkt in einem Auszug über eine fiktive Autorin, welche die Märchen von Beedle neu erzählt hat – harmlos, zuckersüß, flauschig, kitschig rosa bis babyblau … und unerträglich zu lesen.

Da wir Muggles als nicht-Zauberer und nicht-Hexen aber auch viele erwähnte Namen und Hintergründe nicht ohne weiteres verstehen und die Moral der Geschichte dadurch verloren zu gehen droht, liefert diese Märchensammlung im Anschluss an die jeweilige Geschichte auch gleich eine Interpretation mit, die in Form von Albus Dumbledores persönlichen Notizen dazu daherkommt.
Die Autorin J.K. Rowling tritt in diesem Buch als eine Art Herausgeberin oder Muggle-Korrespondentin auf, die sich nur in Fußnoten zur weiteren Erläuterung einzelner Begriffe zu Wort meldet. So erzeugt sie den Eindruck, diese Sammlung sei von drei Personen zusammengetragen worden. Beedle der Barde, als eigentlicher Erzähler, Albus Dumbledore, als Analyst der Märchen und Rowling selbst, als Vermittlerin zwischen Zauberern & Hexen und uns den Muggle-Lesern.

Wer sich also gerne noch einmal als Kind fühlen und in die Welt der Märchen eintauchen möchte, dem bietet The Tales of Beedle the Bard die Gelegenheit dazu. Ob man solche Märchen nun seinen Kindern ebenfalls vorlesen möchte oder nicht, sei dabei jedem selbst überlassen, genug Anreiz bietet diese Märchensammlung für beide Gruppen, und Alpträume dürften sie keinem bescheren.

Ein Wort zur Aufmachung:
Bei der hier besprochenen Ausgabe handelt es sich um eine limitierte Sonderausgabe, die sehr aufwendig mit Ledereinband, Leseband, Samtbeschichtung und Buchschatulle in Goldschnitt-Manier erstellt wurde. Innenliegend findet sich nicht nur das eigentliche Märchenbuch, mit aus Metall gefertigten Fresken, die Elemente aus den Märchen zeigen, sondern auch eine Sammlung von ca. DIN A4 großen Skizzen der Illustrationen zum Buch. Der Text selbst spielt, dunkelblau auf weiß, mit verschiedenen Typografien, je nachdem, welcher der “drei” Autoren gerade das Wort hat. Die einfachen von Hand gezeichneten Illustrationen von J.K. Rowling zieren zusätzlich die Geschichten und runden das Gesamtbild eines Märchenbuches ab.
Die unten stehenden Angaben und das eingangs abgebildete Cover dagegen beziehen sich auf die handelsübliche Ausgabe, denn die limitierte Edition ist nur noch schwer und teuer zu bekommen. Da es sich aber eindeutig lohnt, die Sonderedition wenigstens einmal gesehen zu haben, hier ein paar bildhafte Eindrücke dazu:
The Tales of Beedle the Bard: Collector's Edition (1)

The Tales of Beedle the Bard: Collector's Edition (2)

Tanz der Sterne von Sara DouglassWährend sich sowohl die Truppen des Zerstörers Gorgrael als auch die der Menschen von Achar erholen, wird Axis von seinem Vater zum Zauberer ausgebildet, und dabei stoßen die beiden auf ein schreckliches Geheimnis.
Aber auf Axis wartet eine noch viel größere Aufgabe – er muß die drei Völker Tencendors vereinen, um gegen Gorgrael bestehen zu können, und gerade sein eigenes Volk, die Achariten, wehren sich mit Händen und Füßen dagegen. Schließlich und endlich hat der Sternenmann auch noch mit Frauengeschichten zu kämpfen: Obwohl er seine Liebe Faraday versprochen hat, wird seine Freundschaft mit Aschure immer tiefer…

-Er stand im verlassenen Schlafgemach der Burg, und sein Atem gefror in der eisigen Luft an seinen Hauern.-
Prolog: Die Ruinen der Feste Gorken

Auch im dritten Band ihrer Saga um den Sternenmann schafft Sara Douglass es schlicht nicht, sich aus den Niederungen der Fantasy zu erheben. So interessant ihre Geschichte sein könnte, sie bleibt durchgehend vorhersehbar und flach, zumal die Autorin keine Meisterin des Spannungsaufbaus ist: Über überraschenden Andeutungen läßt sie den Leser niemals mehr als zwei Seiten lang alleine grübeln, dann wird auch schon schnellstens alles aufgelöst – Mitdenken ist hier nicht angesagt.
Auch sonst verläuft die Geschichte in den geradlinigen Bahnen, die sie von Anfang an eingeschlagen hat. Die besseren Ideen kennt man bereits aus den ersten Bänden, einzige Innovation ist ein großer Unbekannter, der neu auf die Bildfläche tritt und anfangs ein wenig für Spannung sorgt. Das kleine Intrigenspiel der Kirche des Seneschall dagegen ist kaum der Rede wert. Man vermißt einfach durchweg etwas Besonderes, eine eigene Atmosphäre oder wenigstens den ein oder anderen Kniff, der aus Schema F ausbrechen würde.
Als solche Besonderheit werden innerhalb des Buches immer wieder die Hauptcharaktere herausgestellt – sie alle sind mit der Prophezeiung verwoben und haben spezielle Fähigkeiten. Axis hat dabei am meisten Potential, den Leser gehörig zu nerven, denn die Autorin scheint ihn so heiß und innig zu lieben, daß seine Qualitäten ständig unterstrichen werden müssen, nicht zuletzt dadurch, daß ihm die Frauen unter den Hauptcharakteren zu Füßen liegen und auch voll und ganz damit zufrieden sind, die zweite Rolle in seiner Gunst zu spielen. Dabei beweist Sara Douglass an Nebencharakteren wie Ogden und Veremund, daß sie durchaus interessante und liebenswerte Figuren schaffen kann – gerade jene, die nicht ganz perfekt und sensationell sind.
Die ständig wechselnden Perspektiven führen leider dazu, daß sehr viel heruntererzählt statt wirklich aus Charaktersicht berichtet wird. Es wirkt alles ein wenig wie ein flach dahinplätschernder Kinofilm, der nur auf Unterhaltung ausgelegt ist und alle Kitsch und Effekt-Register zieht, der aber niemals auch nur an der Oberfläche kratzen und wirklich berühren kann.

Ein Tanz mit Drachen von George R.R. MartinDaenerys, die Königin der Drachen muss eine Entscheidung treffen. Während ihre wahre Liebe einem machtlosen Söldner gilt, muss die Königin der Drachen eine politisch vorteilhafte Wahl treffen für ihren zukünftigen Gemahl. Doch elcher ihrer Adligen Freier stellt den mächtigsten Verbündeten für die Eroberung Westeros dar?
Die Intrigen der Adligen interessieren das wahre Schlachtfeld jedoch nicht. Außerhalb der sicheren Mauern entscheidet sich das Schicksal Westeros’ im Kampf.

– Der Schädel ruhte auf einem Bett aus schwarzem Filz und grinste. Alle Schädel grinsten, aber dieser erschien fröhlicher als die meisten anderen. Und größer. –
Der Beobachter

Zu Der Sohn des Greifen liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Anmerkung: Das englischsprachige Original wurde in der deutschen Übersetzung gesplittet. Die verlinkte Rezension bezieht sich daher auf die beiden deutschsprachigen Bücher Der Sohn des Greifen und Ein Tanz mit Drachen.

A Test of Mettle von Kevin HearneWährend Atticus in Asgard das Gefüge der nordischen Götter ins Wanken bringt, bleibt sein Lehrling Granuaile in Arizona zurück, wo sie der Erdelementaren Sonora helfen will, ein ökologisches Ungleichgewicht wieder ins Lot zu bringen. Unvorhergesehen tauchen jedoch die Tuatha Dé Danann auf und unterziehen Granuaile einem Test, der leicht tödlich ausgehen könnte.

– Already I am made wholly new. Though I probably do not look any different, I feel as if the world must see me in a new way now that I can see the world as it truly is. –

A Test of Mettle ist eine Kurzgeschichte aus dem Zyklus The Iron Druid Chronicles (Die Chroniken des eisernen Druiden). Den Text kann man sich kostenlos auf der Website des Autors herunterladen. Zu beachten wäre hierbei lediglich, dass die Ereignisse zeitgleich zu Hammered (dem dritten Band der Buchreihe) stattfinden, auch wenn sich die enthaltenen Spoiler in Grenzen halten. Um die kleinen Details von A Test of Mettle wirklich genießen zu können, sollte man die Reihenfolge aber beibehalten und dies als Band 3.1 betrachten.

Die Kurzgeschichte kommt anders daher als die Romane. Nicht nur erleben wir diesmal die Ereignisse aus Sicht der Lehrlings-Druidin Granuaile, Kevin Hearne schafft es auch, dieser bisher sporadisch auftauchenden Figur einen eigenen Charakter einzuhauchen. Auf den Humor muss der Leser dabei leider erst einmal verzichten, denn obwohl Oberon mit von der Partie ist, erlebt man von seinen sonst so unterhaltsamen Gedanken nichts. Es gibt hier auch keine flotten Actionszenen oder schlagfertigen Sprüche. Die Geschichte ist anders als Atticus’ Abenteuer, aber nicht schlechter.
A Test of Mettle punktet mit Einsichten in Granuailes Vergangenheit, ihre Reaktionen auf ihre neuen Aufgaben als angehende Druidin und auch einen möglichen Grund für ihren Entschluss, dem Weg des Druiden zu folgen. Was dem Leser hier präsentiert wird, ist eine zunächst unscheinbare Erzählung, die eine tiefgreifende Facette von Granuaile offenbart, die sonst neben Atticus bisher immer eher ein blasser Sidekick war. Was der Autor ihr in diesen wenigen Seiten an Persönlichkeit verleiht, könnte den Grundstein für eine spannende Nebenhandlung kommender Bücher der Reihe darstellen, und man darf gespannt sein, welche Konsequenzen dieser Einblick in Granuailes Leben haben wird.

Cover von Teufels Werke von Witali RutschinskiMoskau, Ende der achtziger Jahre, zur Zeit der Perestroika. Der junge Schriftsteller Jakuschkin ist frustriert: Niemand will seinen Roman veröffentlichen. Als Jakuschkin feststellt, daß der Dramaturg Sutenewski ihm sein Manuskript ungelesen zurückgegeben hat, obwohl er dreist behauptet, es gelesen zu haben, platzt dem Schriftsteller der Kragen. Im Haus der Literaten haut Jakuschkin Sutenewski die Mappe mit dem Roman über den Kopf. Daraufhin wird er festgenommen. Da naht unerwartet Hilfe. Jakuschkin schließt einen Pakt mit dem Teufel. Der erfolglose Autor verbrennt sein komplettes Manuskript und dafür wird eine seiner Romanfiguren lebendig. Kusja, das Kaninchen, treibt fortan in Moskau sein Unwesen. Jeder, der von ihm in den Finger gebissen wird, erforscht sein Gewissen und erzählt in aller Öffentlichkeit von den Schandtaten, die er in seinem Leben begangen hat. Das hat katastrophale Folgen.

– Vor Moskaus bedeutendstem Theater, das im ganzen Land und sogar über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, tauchte eines Abends um acht oder, um genauer zu sein, um 19.45 Uhr ein junger Mann auf.-
1. Kapitel Jakuschkin, die Zerberuska und so manch anderer

Der Untertitel des Buches lautet “Ein Roman um Bulgakows Der Meister und Margarita” und so muß der Literaturkenner nicht lange überlegen, wo er ähnliches schon einmal gelesen hat. Die Personen, die Moskau ins Chaos stürzen, sind dieselben wie in Bulgakows Roman: Der Teufel, der sich Voland nennt und seine Gehilfen, Kater Behemoth, Korowjew und Asasello. Auch vieles andere kommt dem Leser bekannt vor: Das Treffen an den Patriarchenteichen, der Roman im Roman, der Ritt auf dem Hexenbesen, der Silvesterball und der große Auftritt Volands, der diesmal nicht im Theater, sondern im Kreml stattfindet, wo der Teufel wieder zahllose wertlose Geldscheine unter den Anwesenden verteilt. Nur die Zeit ist eine andere. Witali Rutschinski nimmt mit seiner gelungenen Satire Gorbatschows Rußland aufs Korn, in dem es nicht weniger korrupt zugeht als in der von Stalin regierten Sowjetunion und das offensichtlich nicht viel anders ist als das zaristische Rußland, denn die Aufständischen der Oktoberrevolution revoltieren munter weiter, als sie durch einen Zeitspalt in die Gegenwart geraten. Rutschinski spottet auf höchst amüsante Weise über Moskaus Kulturbetrieb, über die Rivalitäten zwischen Miliz und Geheimdienst, über die herrschende Kaste, über russische Naturwissenschaftler und über deutsche Wirtschaftsberater. Teufels Werke (Woswraschtschenije Wolanda, ili Nowaja djawoliada) wäre ein perfekter Roman, dem fünf Sternchen gebührten, wenn es nicht das große Vorbild gäbe, dem er nacheifert. Der Meister und Margarita ist ein geniales Werk. Rutschinski gelingt es in seiner Hommage daran nicht, dem Original etwas Neues hinzuzufügen, das über Bulgakows Roman hinausweist. Er nutzt “nur” den Vorteil der vergangenen Zeit, der es ihm ermöglicht z.B. den Silvesterball, der diesmal den Tyrannen gewidmet ist, hervorragend in Szene zu setzen und der natürlich auch dafür sorgt, daß Rutschinski sich über das im Umbruch befindliche Rußland lustig machen kann. Er ist ein ausgezeichneter Epigone – aber nicht mehr.
Man muß Der Meister und Margarita nicht gelesen haben, um Teufels Werke zu verstehen, doch steigert es das Lesevergnügen, wenn man mit dem Original vertraut ist.

The Thief von Megan Whalen TurnerNur vereint könnten sich die rivalisierenden Staaten Sounis, Eddis und Attolia der Eroberung durch das Mederreich widersetzen – wenn es nach dem Magus des Königs von Sounis geht, unter Führung seines Herrn, dem er mithilfe eines sagenumwobenen Steins die Herrschaft über Eddis sichern will. Um das Artefakt aus seinem Versteck im feindlichen Attolia zu holen, benötigt er einen geschickten Einbrecher. Der Meisterdieb Gen, den seine Prahlerei mit einer besonders dreisten Untat ins Gefängnis gebracht hat, kommt ihm da gerade recht. Mit einigen Begleitern brechen die beiden nach Attolia auf. Doch unter den Gefährten lauert ein Verräter, und auch Götter, an die niemand mehr so recht glauben will, nehmen Einfluss auf den Ausgang des Abenteuers…

-It’s a funny thing that the new gods have been worshiped in Sounis since the invaders came, but when people need a truly satisfying curse, they call on the old gods.-
Chapter Two

Ein All-Age-Titel, der noch dazu nach allzu klassischer Questenfantasy klingt? Nichts Besonderes, so möchte man meinen, und würde damit dem ersten Band von Megan Whalen Turners Attolia-Reihe bitter unrecht tun.

Allerdings lässt sich ein Teil dessen, was den Reiz des klug aufgebauten Romans ausmacht, kaum ohne größere Spoiler benennen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass der Ich-Erzähler Gen – ein Trickster, wie er im Buche steht – zwar nicht eigentlich unzuverlässig berichtet, aber doch eine Reihe von Äußerungen tätigt, die den Leser in die Irre führen und erst in der Rückschau ihre eigentliche Bedeutung entfalten. Wer gern zwischen den Zeilen liest und aufmerksam Wortwahl und subtile Hinweise verfolgt, wird aber schon früh bemerken, dass nicht alles ist, wie es zu sein scheint.

Ohnehin ist die Bereitschaft, sich auf eine ruhig erzählte, eher durch Feinheiten als durch grelle Effekte wirkende Geschichte einzulassen, eine Grundvoraussetzung, um The Thief (Der Dieb) zu genießen, denn viel Spektakuläres geschieht zunächst einmal nicht. Anders als die meisten Fantasyhelden begegnen die Gefährten des Magus (der noch nicht einmal über Zauberkräfte verfügt) nämlich nicht hinter jeder Wegbiegung einem Ungeheuer, das nur auf sie gewartet zu haben scheint, sondern schlagen sich mit den ganz profanen Tücken des Reisealltags und Spannungen innerhalb der Gruppe herum. Die einzelnen Figuren sind dabei sehr differenziert und menschlich gezeichnet, so dass man ihre Interaktionen gespannt verfolgt, ohne aufregende Gefahren zu vermissen. Dabei lohnt es sich, auch auf Details zu achten: Vieles von dem, was zwischen geruhsamen Mahlzeiten, Reit- und Fechtstunden, Kletterpartien und Abenden am Lagerfeuer scheinbar nur am Rande Erwähnung findet, erweist sich im weiteren Verlauf der Serie (und durchaus nicht allein in diesem Buch) noch als wichtig.

Ganz nebenbei taucht man auch in die liebevoll ausgearbeitete mediterrane Welt ein, deren Städte, Bauerndörfer, Gebirge und Olivenhaine einem bald lebendig vor Augen stehen und mit der ein oder anderen Anspielung auf das reale Griechenland glänzen (so findet man etwa in der Hauptstadt von Sounis Elemente des antiken Athen mit dem Löwentor von Mykene kombiniert). Das Konzept einer an das Altertum angelehnten polytheistischen Welt, die sich gleichwohl bis in die frühe Neuzeit weiterentwickeln durfte (so gibt es z.B. Feuerwaffen), fasziniert auch in Abwesenheit klassischer Fantasyelemente, für deren Fehlen zudem die äußerst authentisch wirkenden Göttersagen entschädigen, die immer wieder eingeflochten werden. Die Gefahr, sich im Zuge dieser Reisebeschreibung nach einem Urlaub am Mittelmeer zu sehnen, ist für Leser mit entsprechenden Vorlieben durchaus gegeben.

Wie weit The Thief dennoch von bloßer Wohlfühllektüre entfernt ist, wird aber spätestens im letzten Drittel der Geschichte deutlich, wenn schlagartig Leid und Tod, vor denen auch liebgewonnene Charaktere nicht gefeit sind, in das bis dahin eher harmlose Abenteuer einbrechen und moralische Fragen aufgeworfen werden, auf die es keine eindeutigen Antworten geben kann. Wenn im Zuge dessen selbst Gen, der sich bisher erfolgreich durchs Leben gemogelt hat, erkennen muss, dass List und spöttische Distanz in manchen Situationen weder weiterhelfen noch überhaupt wünschenswert sind, wirkt diese plötzliche Wahrhaftigkeit wie ein Fanal für die folgenden Bände, in denen – so viel sei hier schon vorab verraten – mit einigen der Protagonisten auch die Themen erwachsener werden.

So sollte man The Thief vielleicht vor allem als charmante erste Begegnung mit einer Welt und einem Figurenensemble lesen, die weit mehr zu bieten haben, als sie in diesem gefälligen Jugendabenteuer zeigen können.

Threads of Malice von Tamara Siler JonesDubric Byerly, der Kastellan von Faldorrah, erhält einen Hilferuf aus dem “Reach”, einer ärmlichen Gegend mit vielen verstreuten Dörfern. Dort verschwinden immer wieder junge Männer. Als eines Tages die gräßlich verstümmelte Leiche eines verlorenen Sohnes angespült wird, eskaltiert die Situation. Als Dubric eintrifft, sieht er sich mehr als zwanzig Geistern gegenüber – vor ihrem Tod mußten die Männer und Jungen Folter und Vergewaltigung über sich ergehen lassen. Dubrics Ermittlungen kommen langsam voran, und die Bevölkerung behindert mitunter seine Arbeit. Da das Gebiet weitläufig ist, trennen sich die  Gesetztesdiener notgedrungen, obwohl seine jungen Pagen genau ins Opferbild des Mörders passen. Langsam muß Dubric vermuten, daß alte Magie hinter den Morden steht.

-Braoin saw strings.
They streamed from somewhere above, dangling before his eyes. Black and shining in reflected firelight, they rustled in the slightest breeze and hung before him, just out of reach.-
Chapter I

Wer gerne Fingernägel kaut, die Augen auch bei expliziten Beschreibungen von Obduktionen und Folterungen offen behalten kann und sich zusammen mit den Gesetzeshütern aus diversen Hinweisen zusammenrätseln möchte, wer der Mörder ist, sollte unbedingt Dubric Byerly kennenlernen, die eigenwillige Fantasy-Variante unter den kriminalistischen Schlauköpfen. Er und seine Mannschaft sind sympathisch, vor Fehlern nicht gefeit, und da dieser Fantasy-Thriller vornehmlich aus den Perspektiven der Wache von Faldorrah – quer durch alle Alterstufen – erzählt wird, wird es mit dem mit seinen mehr als 60 Jahren für mittelalterliche Verhältnisse schon beinahe greisen Dubric auch nie langweilig.
Abgesehen vom Kastellan, seinem Knappen und den beiden jungen Pagen darf man mitunter auch dem Bösewicht selbst und seinen Opfern über die Schulter schauen, in diesem Fall eine eher unangenehme (und nicht ganz klischeefreie) Erfahrung. Zimperlich sollte man nicht sein, um Threads of Malice genießen zu können, denn die Autorin ist es auch nicht und mutet selbst ihren Protagonisten allerhand zu, so daß man unter anderem gespannt sein darf, wie sie deren traumatische Erfahrungen in den nächsten Bänden verarbeitet.

Die gelungenen Charaktere sind dann auch eher Triebfeder des Romans als die Handlung. Es bestätigt sich, was sich bereits im ersten Band gezeigt hat: Tamara Siler Jones schreibt keine einzige überflüssige Szene. Dadurch wird Threads of Malice zwar schön straff, aber man wird zum Meta-Lesen verführt und kann durchaus Elemente der Handlung erraten, weil die Aufmerksamkeit auf ‘unwichtige’, aber dadurch hoch gewichtete Details gelenkt wird. Die Spannung leidet aber nur teilweise darunter, denn da diesmal auch den liebgewonnenen Charakteren ernste Gefahr droht, legt sich das Buch nur schwer aus der Hand und hat viel stärkere Thriller-Anleihen als der erste Band, so daß es nicht nur ums Rätsellösen geht.

Im Prinzip ist der Plot klug konzipiert – die ausgestreuten Puzzlestückchen sind gar nicht so leicht zusammen zu setzen. Viel stärker als im ersten Band kommt Magie zum Einsatz, und leider hat sich die Autorin damit am Ende etwas verzettelt: Wie genau das hinter der Auflösung stehende Phänomen funktioniert, vermag sie dem Leser nicht zur vollen Befriedigung zu erklären, und ihre Beschreibungen sind an dieser Stelle nur schwer vorstellbar. Abgesehen davon findet sich aber alles, was das Ermittler-Herz höher schlagen läßt: Eine Schnitzeljagd nach verketteten Hinweisen, Zeitdruck, um ein noch lebendes Opfer zu befreien, sich ergänzende Beweise, die leider von örtlich getrennten Charakteren gefunden werden, und falsche Spuren.

Der stark romantische Einschlag des Vorgängers wurde auf ein annehmbares Maß reduziert und ist hier als Auflockerung der düsteren Handlung angenehm zu lesen. Leider gibt es auch einige sehr schwache Szenen aus Sicht des Antagonisten, die den vergewaltigenden Bösewicht ganz plakativ als winselndes Muttersöhnchen darstellen.
Für Abwechslung von der Weltrettungs-Fantasy mit einem halben Ausflug ins Thriller-Genre hat sich Tamara Siler Jones hier dennoch ein weiteres Mal bewährt, und die sympathische Burgwache Faldorrahs begleitet man auch in Zukunft gerne auf ihre nervenzerreißenden Abenteuer.

Three Parts Dead von Max GladstoneVierzig Jahre nach dem Krieg zwischen den alten Göttern und den gleichmächtigen Magiern gibt es nur noch wenige Städte, die von einer der alten Gottheiten regiert werden. Kos Everburning ist die Gottheit von Alt Coulumb und gerade dahingeschieden, als der Novize Abelard sein Gebet abhält. Mit dem unerwarteten Ableben des Gottes droht das von Götterkraft angetriebene Alt Coulumb nun beim nächsten Vollmond in sich zusammen zu fallen. Wen ruft man in so einem Fall? Die Thaumaturgen von Kelethres, Albrecht & Ao natürlich – um mit etwas Glück ein Fragment des Gottes wiederauferstehen zu lassen und die Stadt so vor dem sicheren Untergang zu bewahren.

– When the Hidden Schools threw Tara Abernathy out, she fell a thousand feet through wisps of cloud and woke to find herself alive, broken and bleeding, beside the Crack in the World. –
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Willkommen zu Three Parts Dead, der vermutlich besten Neuentdeckung des gesamten Jahres! Selten ist mir ein solch gelungenes Konzept untergekommen wie in diesem Roman von Autor Max Gladstone. Es beginnt mit einem schlüssigen Magiesystem: Menschen beten zu ihrer Gottheit, die Gottheit erhält dadurch Macht, die Gottheit nutzt die Macht, um das Leben der Menschen zu verbessern, indem z.B. für warme Häuser gesorgt wird oder für ein Verteidigungssystem der Stadt. Auf dieser Basis ist eine ganze Wirtschaft entstanden. Nicht-Anbeter können gegen eine Gebühr Verträge mit den Göttern abschließen. Sie gewinnen dadurch temporär etwas Macht von der Gottheit und zahlen sie gewinnbringend zurück. Das Ganze führt zu einem fantastisch ausgearbeiteten Weltenbau mit facettenreichen Charakteren. Als nun Kos Everburning stirbt, ist es die Aufgabe von Miss Kevarian und ihrer Auszubildenden Tara Abernathy, herauszufinden, wie es zum Tod von Kos kommen konnte, dessen Verträge auf den ersten Blick ausgeglichen aussehen – und doch führte irgendetwas zu einem Machtverlust, der schlagartig so groß war, dass es ihn das Leben gekostet hat. Die Basis dieses durchdachten Romans bildet die daraus resultierende Kriminalermittlung.

Der Roman spielt sich irgendwo in einer Parallelwelt ab in der die Menschen gelernt haben sich einer Magie zu bedienen, die den Göttern ebenbürtig ist. Zeitlich oder örtlich lässt sich die Welt nicht eindeutig zuordnen. Es gibt Elemente von Frühindustrie, epischer Fantasy, Gaslichtatmosphäre und ein teils vertrautes Rechtssystem wie vertraute Gottheiten. Das Stadtbild von Alt Coulumb kommt eindrucksvoll, lebendig und voller Gegensätze daher: ein moderner Club, im Aufbau Dantes sieben Stufen der Hölle nachempfunden, wird monolithischen Steinbauten gegenübergesetzt, die an die goldenen 20er Jahre oder Gotham City erinnern, fahrerlose Pferdekutschen fungieren als Taxis und verströmen einen Hauch von 19. Jhrd. und dann ist da noch das vermutlich coolste Polizeisystem seit Erfindung der Fantasy.
Seril, einst Göttin der Gerechtigkeit und Geliebte des Feuergottes Kos, starb vierzig Jahre zuvor im Krieg zwischen Göttern und Magiern. Ihre Macht wurde von einem Thaumaturgen gewandelt und so entstand »Justice« – ein transformiertes und wiederbelebtes Fragment der einstigen Göttin, das nun für Gesetz und Ordnung in Alt Coulumb sorgt. Justice wird von vielen freiwilligen Menschen verkörpert, die für die Dauer ihrer Arbeitsschicht zu sogenannten »Blacksuits« – einem Teil von Justice selbst – werden. In dieser Zeit werden die Blacksuits von dem kollektiven Geist geleitet, die persönlichen Emotionen verstummen, der Verstand wird ausschließlich auf das bestehende Recht ausgerichtet. Die Blacksuits gewinnen übermenschliche Kraft, sind nahezu unverwundbar und ihr äußeres Erscheinungsbild verändert sich zu einer monochromen Maske in der Masse nachtschwarzer Gestalten. Nachteile hat das System für die Blacksuits allerdings auch, denn die Zeit als Teil von Justice wirkt wie eine Droge auf die Freiwilligen und führt bei manchen zu Entzugserscheinungen. Wenn nichts anderes an diesem Roman interessant genug wäre, ihn zu lesen, so würde diese Personifizierung der Gerechtigkeit schon ausreichen, um das Ruder noch herumzureißen. Doch glücklicherweise gibt es mehr!

All das erfährt man als LeserIn schon auf den ersten Seiten, und doch stecken hierin ungleich viele Informationen, die es erst einmal zu verarbeiten gilt. Dies wird im Verlauf der Handlung durchaus nicht viel einfacher. Autor Max Gladstone fackelt in seinem Roman nicht lange mit Vorgeschichte und Aufbau von Hintergrundwissen. Er wirft seine Leserschaft einfach mitten ins Geschehen und lässt sie nach und nach das Puzzle dieser Welt zusammentragen. Für Schnellleser und jene, die einfach nur seichte Unterhaltung möchten, dürfte sich Three Parts Dead daher als Stolperfalle erweisen, denn hier ist ein eingeschaltetes Hirn und aufmerksames Lesen Pflicht, will man den Zusammenhängen folgen können. Das ist jedoch alles andere als negativ zu sehen. Dieses Buch ist tatsächlich erfrischend anders und sein Autor widersetzt sich mit Bravour dem Trend, das Denken für die Leserschaft zu übernehmen.

Auch die Charaktere lassen nichts zu wünschen übrig. Von der kleinsten Nebenfigur bis zur tragenden Hauptrolle böten alle Figuren dieses Romans genug Stoff für eine eigene Geschichte. Da gibt es den kettenrauchenden jungen Novizen Abelard, der gerade eine berechtigte Glaubenskrise durchmacht und dazu verdonnert wird, Tara Abernathy zur Hand zu gehen. Tara ist gerade erst von den Hidden Schools als Magierin graduiert und anschließend unsanft aus den Wolken gestoßen worden. Abelard ist eher der ruhige, etwas sensible und schüchterne Typ, Tara dagegen hat sich bereits ihre Narben verdient und ist sowohl schlagfertig als auch unkompliziert im Umgang mit anderen. Sie scheut sich nicht davor, jemandem das Gesicht zu stehlen, was durchaus blutig und wörtlich zu nehmen ist. Das Besondere an Tara ist außerdem, dass sie sich ihr Leben ausgesucht hat. Gerade bei weiblichen Charakteren ist es oft so, dass sie in ihre Rolle gedrängt wurden, Tara dagegen ist eine starke Persönlichkeit, die eine bestimmte Karriere anstrebt.
Neben diesen beiden Hauptfiguren gesellen sich noch eine ganze Menge weiterer hinzu, die mal prominenter, mal seltener in Erscheinung treten. Shale, der Gargoyle, Cat, die Vampirbiss-Abhängige, Raz, der Vampir-Pirat … Es ist gesellig und lebendig in Three Parts Dead.

Was die Lektüre zusätzlich zu etwas Besonderem macht, ist, dass hier auf ganz außergewöhnlich leichte Art und Weise sämtliche Klischees und Vorurteile umschifft werden. Sei es nun das Thema Rasse oder die allseits (un-)beliebten Genderrollen, in Max Gladstones Welt sind alle gleich. Hautfarben spielen in der Gesellschaft überhaupt keine Rolle und werden nur beiläufig als körperliches Merkmal genannt. Genderprobleme gibt es nicht. Männer denken im maskulinen Wortschatz, Frauen im femininen. Gibt es z.B. einen unbekannten Täter mit unbekanntem Geschlecht, so denkt Tara »die Täterin war vermutlich…« während ein männlicher Kollege mit »der Täter war vermutlich…« beginnt. Wer nun glaubt das müsse verwirrend sein, der täuscht. Es funktioniert völlig unproblematisch und ist wunderbar zu lesen.

Three Parts Dead ist ein absolut gelungener Roman. Er bietet eine große Vielfalt und komplexe Inhalte, die so nahtlos ineinandergreifen, dass der Roman auf eine fiktive Art realistisch wird. Er versucht nicht »historisch korrekt« zu sein, sondern logisch durchdacht, um in einem eindeutig als Alternativwelt erkennbaren Setting überzeugend zu werden.

Es gibt eine Fortsetzung (Two Serpents Rising), die im kommenden August erscheinen soll. Bisher scheint es aber nur eine Geschichte in der selben Welt mit anderen Charakteren zu sein. Ob dort auch bekannte Figuren auftauchen oder Aspekte der Handlung aus Three Parts Dead wieder aufgegriffen werden ist noch nicht bekannt. Three Parts Dead ist daher zunächst einmal als Einzelroman zu betrachten.

Cover des Buches "Der Thron der Libelle" von Wolfgang Hohlbein Zehn Jahre nach dem letzten Angriff durch feindliche Drachen herrscht nach langer Unruhe endlich Frieden. Nach Meinung der Bürger von Schelfheim sind Angella, Kara und ihre Drachenreiter ohne weiteren Nutzen, denn die Gefahren scheinen gebannt. Doch dann häufen sich unerklärliche Phänome: Auf dem Land erscheinen giftige Seen aus dem Nichts, geheimnisvoller Staub tötet alle Menschen über 30 Jahre und in einem Landstrich hört es seit Monaten nicht auf zu regnen. Während die Drachenreiter die Phänome untersuchen, stellt sich heraus, dass dies nur die Vorboten einer weitaus größeren Gefahr sind, die nicht nur Schelfheim, sondern den ganzen Planeten bedroht.

-»Da siehst du, wie weit du mit deiner famosen Technik kommst«, erwiderte Kara verärgert. Sie gab sich Mühe, das Wort möglichst abfällig auszusprechen. »Wenn man sie einmal wirklich braucht, funktioniert sie nicht!«-
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Ganz im Stil des Vorgängers (Die Töchter des Drachen) gehalten, entwickelt der Autor auch hier wieder einen spannenden Roman, der überraschend tiefgründig wird.
Was vor 1100 Seiten als eine eher mittelalterliche anmutende Drachengeschichte beginnt, endet hier als Kampf zwischen Natur und Technik, Drachen gegen Maschinen, Veränderung gegen Erhaltung. Ich war besonders überrascht, dass der Roman in eine völlig andere Richtung steuert, als man es zunächst erwartet. Wer nur ein bisschen Abenteuer mit ein paar exotischen Tieren erwartet, wird enttäuscht bzw. überwältigt von der Tiefe, die der Autor in dieses unscheinbare Buch packt.

Drachen spielen zwar eine wichtige Rolle, aber nicht die entscheidende. Vielmehr wird die Entwicklung eines ganzen Volkes erzählt, die Geschichte der Erde, wie sie vielleicht ablaufen könnte. Unglaublich detailreich lässt Hohlbein eine Welt entstehen, die auf den ersten Blick fremd und bizarr erscheinen mag, bei genauerem Hinsehen aber gar nicht so abwegig wirkt. Die Handlung ist wider erwarten gut durchdacht und strukturiert, sie enthält kaum Längen und hält sich nicht mit unwichtigen Nebenaspekten auf. Kleinere Schwächen wie z.B. die vielen kleinen “Zufälle”, mit denen Kara wieder einer tödlichen Gefahr entgeht, stören zwar etwas, dafür wird man diesmal mit einem starken Finale belohnt.
Die letzten vierzig Seiten sind hier das Wichtigste, denn sie lassen die beiden Romane erst im richtigen Licht erscheinen. Sie krempeln die Geschichte nochmal fast völlig um.

Alles in Allem zwei wunderbare Bücher, die so ganz anders sind als das, was man sonst von Hohlbein kennt.

Der Thron des Drachen von John M. FordDer junge Hywel Peredur trifft einen Zauberer, der vom Byzantinischen Reich gefangen gehalten wird. Für seine Hilfe will er selbst in der Magie ausgebildet werden. Der junge Dimitrios ist Erbe einer byzantinischen Thronlinie und wurde vom Herrscher in die abgelegene Provinz Gallien geschickt. Cynthia ist eine Ärtztin aus Florenz, die den schwerkranken Lorenzo di Medici betreut.
In einem Europa, in dem Byzanz die Vorherrschaft hat und nur noch die britischen Inseln gegen das übermächtige Reich rebellieren, versuchen diese Menschen einige Jahre später, unterstützt von Gregor von Bayern, einem Fachman für Munition und Vampir, König Richard III. auf dem Thron zu halten und so die englische Unabhängigkeit zu garantieren.

-Die von den Römern gebaute Straße durchzog Nordwales ein wenig landeinwärts. Sie verlief zwischen der Irischen See und den Bergen von Gwynedd und Powys, an dem Kupfer und Blei vorbei, nach dem das Imperium lechzte.-
Gwynedd

John M. Ford taucht tief in die mittelalterliche Geschichte Europas ein, und erzählt mit einigen entscheidenden Veränderungen an verschiedenen Punkten unter anderem die Geschichte der englischen Rosenkriege neu. In seinem Europa ist Byzanz nach wie vor die mächtigste Kraft, und ein byzantinischer Herrscher war es, der einst nicht das Christentum als alleinige Religion in den Vordergrund rückte, sondern diesem riesigen Reich absolute Religionsfreiheit verordnete, so daß die Christen in der Minderheit sind und zahlreiche heidnische Kulte, wie etwa ein verbreiteter Mithras-Kult, vorherrschen. Hinzu kommen eine bunte Mischung mythischer und magischer Elemente, in der alte und neuere Sagen – von altägyptischen Mythen über den britischen Sagenkreis bis zum Vampirismus – mit geschichtlichen Elementen zusammenfließen. Unter diesen Vorzeichen läuft einiges ganz anders, als es die Geschichtsbücher berichten, und für den vollen Genuß des Romans ist es nicht unerheblich, zumindest ein paar geschichtliche Eckdaten zu kennen, um in der Mixtur aus alternativer und althergebrachter Geschichte nicht völlig verloren zu sein.
Selbst dann aber ist Fords Geschichte noch reichlich verworren: Die Struktur des Romans ist schwer überschaubar, er besteht nur aus einzelnen Fragmenten aus verschiedenen Zeiten, die zwar chronologisch, aber mit vielen großen Lücken erzählt werden. Charaktere treffen aufeinander und stellen Unternehmungen an, ohne daß dem Leser ihre Motivation ganz klar wird – die steckt wohl irgendwo in den Teilen, die Ford nicht erzählt hat. Immer wieder bleiben zentrale Fragen offen, und wer gerne Erklärungen für das Geschehen möchte, statt einfach nur zu akzeptieren, ist mit diesem Roman denkbar schlecht beraten. Vieles muß man sich aus kleinen Andeutungen selbst erarbeiten, anderes hingegen passiert – mit völlig neuen Hintergründen – genauso, wie man es auch in einem Geschichtsbuch lesen könnte. Doch der fragmentarische Charakter bleibt bis zum Schluß erhalten, und im Finale steigert sich all das zu noch größerer Unverständlichkeit – hier hätte man gerne eine ausführlichere Variante gelesen.

Dennoch ist Ford ein exzellenter Schriftsteller, das zeigt sich in jedem einzelnen der Versatzstücke, aus denen Der Thron des Drachen aufgebaut ist, und das rettet den Roman auch vor dem völligen Versinken im Chaos. Seine Figuren sind von menschlichen Leidenschaften getrieben, oder von unmenschlichen, wie der Vampir Gregor, der trotz seiner “Krankheit” auf das Blut von Menschen verzichten will – aber manchmal keine andere Wahl hat. Jede der Episoden ist an sich mit Genuß und auch Spannung zu lesen, man hört einem sehr guten Erzähler zu, dessen Sprache immer punktgenau trifft und der Emotionen wie Action zu beschreiben weiß. Aber wenn man sich dann im nächsten Kapitel erst wieder mühsam den Anschluß erarbeiten muß, bleibt letztendlich trotzdem die Frage, ob sich der Aufwand lohnt – zumal am Ende nicht das Gefühl vorherrscht, einen runden und gänzlich durchdachten Roman gelesen zu haben. Einen interessanten schon, denn Fords verändertes Europa ist eine Entdeckung, die sich lohnt.

Cover des Buches "Through the looking glass" von Lewis CarollIm Spiel mit ihrem kleinen schwarzen Kätzchen vertieft, überlegt das Mädchen Alice sich, wie lustig es auf der anderen Seite des Spiegels wohl sein mag, und so geht sie durch diesen ins Spiegelhaus. Sich dort umschauend sieht sie, wie die Figuren des Schachspiels lebendig werden. Auch sonst ist einiges sonderbar, und Alice beschließt sich den Garten anzusehen, was ihr zunächst sehr schwer fällt, da die Wege vom Haus weg zum Haus hinführen. Erst nach einigen Anstrengungen kann sie dem Haus entkommen. Im Garten trifft sie auf die Schwarze Königin, die dem Mädchen erklärt, wie es vom Bauern zur Königin werden kann. Alice nimmt die Herausforderung an und beginnt eine höchst bizarre Reise…

-One thing was certain, that the white kitten had had nothing to do with it: – it was the black kitten’s fault entirely.-
Chapter 1 Looking-Glass House

Die Welt hinter dem Spiegel ist eine höchst eigenartige, verzerrte und verdrehte Variante des “realen” Englands des späten 19. Jh., auch wenn es nirgends explizit erwähnt wird, so schimmert doch das Britische überall durch.
Um ihr Ziel zu erreichen, muss Alice zur anderen Seite des Landes reisen, welches in schachbrettartige Felder unterteilt ist. Wobei es beim Überqueren der Feldergrenzen zu drastischen Veränderungen kommen kann – während sie im ersten Feld noch auf einer Wiese geht, sitzt sie nach dem Übergang plötzlich in einem fahrenden Zug und wird von einem Schaffner angeschnauzt.

Unterwegs trifft Alice auf äußerst bizarre Figuren; so unterhält sie sich mit sprechenden Blumen – einige sind hilfsbereit, andere sind besserwisserisch; sie lernt die Weiße Königin, eine etwas hilflos wirkende Dame, die in der Zeit rückwärts lebt, und die Schwarze Königin, die sich Alice gegenüber sehr ambivalent verhält, kennen; sie muss sich mit den aufgeblasenen Brüdern Tweedledum und Tweedledee auseinandersetzen, die Höflichkeit einfordern, aber selbst unhöflich sind; sie lässt sich vom eiförmigen Humpty Dumpty das Gedicht vom Jabberwocky erklären und vom tolpatschigen Weißen Ritter, der viele fragwürdige Erfindungen macht, gegen den Schwarzen Ritter, der die Kleine gefangen nehmen will, verteidigen.
Daneben trifft sie ein Schaf, das einen Kaufmannsladen führt, den Weißen König und seine Boten, den Löwen und das Einhorn und zahllose andere groteske Gestalten.

Das die Figuren irgendwie plausibel seien, wird niemand behaupten, denn sie verhalten sich dermaßen absurd, dass selbst die einfachsten Gespräche zur Herausforderung werden – die anderen akzeptieren kaum die alltäglichen Deutungen. Besonders deutlich wird dieses bei Redewendungen: Als Humpty Dumpty erklärt, dass er lieber Un-Geburtstagsgeschenke möge, bittet Alice mit “Beg your pardon?” um eine Erläuterung, doch ihr Gesprächspartner nimmt es wörtlich: “I’m not offended.” Dennoch sind die Figuren alle einzigartig, keine ist ein bloßes Klischee oder unausgereift.

Alice selbst ist genau sieben Jahre und sechs Monate alt, sie hat viel Phantasie und Abenteuerlust. Während sie in der “Realität” die Unvernünftige ist, wird sie in der Spiegelwelt scheinbar zur Vernünftigsten, gemessen an den normalen Maßstäben; gemessen an denen der anderen Welt ist sie auch hier unvernünftig. In der ganzen Geschichte ist sie die einzige plausible Figur, Carroll trifft die Eigenarten eines Kindes wieder sehr gut.

Der Plot an sich ist relativ nebensächlich: Um eine Königin zu werden muss Alice, die als Weißer Bauer startet, ins achte Feld und so macht sie sich auf die Reise. Der Schwerpunkt der Story liegt ganz deutlich auf den grotesken Begegnungen, die mal komisch sind (oder furchterregend, wenn man sie ernst nimmt) und mal zum Nachdenken über Sinn und Unsinn von Sprache und Gebräuchen anregen.
Dieses erreicht Carroll einerseits durch seine Wortspiele und andererseits durch die (alp-)traumhaften Wandlungssequenzen. Im Vergleich zum ersten Buch ist Through the Looking Glass (Alice hinter den Spiegeln) düsterer geraten; es fehlt zwar an einer Bedrohung, aber durch die schnellen Verwandlungen und abrupten Wechsel wird das gewohnte Kausalitätsgefüge noch stärker aufgebrochen.

Außerdem werden viele Gedichte und Lieder zum Besten gegeben, die durchaus gelungen und nicht bloßer Selbstzweck sind. Der geneigte Leser sollte einmal das Jabberwocky-Gedicht mit getragener Stimme vortragen; gerade die erste Strophe klingt sehr bedeutsam und bedeutet doch nichts. Das Lied vom Walross und Tischler, welche die Austern zum Picknick überreden und diese dann verspeisen, dient dazu, ein moralisches Dilemma aufzuwerfen: Wer ist schlimmer, das Walross, welches mehr Austern aß, aber den Tod der Austern betrauert, oder der Tischler, der weniger aß, aber soviel, wie er bekam? Das Gedicht regte Terry Gilliam (Monty Python) zum Film Jabberwocky an und auf das Lied bezieht sich Matt Damon als Loki in dem Film Dogma, als er der Nonne erklärt, warum er seinen Glauben verlor. Man sieht, auch der zweite Teil ist nicht ohne Wirkungsgeschichte.

Zum ersten Teil, Alice’s Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland), gibt es allerdings nahezu keine Beziehung – Alice ist dieselbe, allerdings etwas selbstsicherer, und es gibt ein paar Andeutungen, so ist wohl Haigha der Hase und Hatta der Hutmacher der verrückten Teeparty.

Die Sprache ist wiederum unglaublich elegant und flüssig, allerdings nicht ganz so kunstvoll wie im Vorgänger. Außerdem wird es etwas schwieriger, da Carroll ungebräuchlichere Worte wählt. Dennoch sollte man sich nicht von der englischen Ausgabe abschrecken lassen.

Timeless von Gail CarrigerZwei Jahre nach der Geburt des gemeinsamen Töchterchens Prudence leben Alexia und Conall Maccon weiterhin im Ex-Kleiderzimmer des exzentrischen Vampirs Akeldama, als eine Einladung der Vampirkönigin Alexandrias die gefürchtete Badenacht unterbricht und die Familie zu einer Reise nach Ägypten nötigt. Da bei den Maccons nichts ohne fliegende Fetzen von Statten geht, wird die Reise selbst zum Auftakt abenteuerlichen Chaos, bei dem die anwesende Theatergruppe der Familie Tunstell selbstverständlich nicht zu einer Verbesserung der Ordnung beiträgt.

– »I believe that it is bath night, madam.«
Lady Maccon paled in horror. »Oh, goodness. We had best escape quickly, then, Conall, or I’ll never be able to get away in time for–«
Clearly summoned by her fear of just such a delay, a knock sounded at Lord Akeldama’s third closet door. –
Kapitel 1, S. 3

Willkommen zum Finale des Parasol Protectorates!
Um es gleich vorweg zu nehmen: Timeless (Sengendes Zwielicht) ist ein solider Abschluss, durchaus, jedoch kommt das Buch nicht mehr an die Genialität des Auftaktromans Soulless (Glühende Dunkelheit) heran und verliert, wie schon bei Heartless geschehen, noch einmal etwas von dem ursprünglichen Charme und Witz dieser Reihe, da es zu viele Baustellen bei gleichbleibender Seitenzahl gibt.
Doch sie tauchen zwischendurch immer mal wieder auf, die urkomischen Momente, in denen sich der geneigten Leserschaft herrliche Bilder absurdester Komik präsentieren. Das zeigt sich besonders in Tochter Prudence’ kindlichen Aktionen, sowie in ihren Auftritten als Mini-Vampir oder Mini-Werwolf, in Ivy Tunstell, die nicht nur eine Vorliebe für peinlich geschmückte Hüte hat, sondern auch für peinliche Namen, in miteinander flirtenden Werwölfen, luftkranken Alphas und lispelnden Jung-Vampiren.
Da hier aber sehr viele Charaktere ihr ganz persönliches (Happy-)End bekommen, treffen in Timeless viele, wenn auch zusammenhängende, Handlungsstränge aufeinander, bei denen die weitere Entwicklung der einzelnen Figuren zwangsläufig etwas auf der Strecke bleibt und so an Tiefe vermissen lässt. Deutlich wird dies insbesondere bei Conall Maccon und Alexia selbst, deren Entwicklung zum Stillstand gekommen ist, vielleicht auch, weil sie, zumindest in emotionaler Hinsicht, keine neuen Wege beschreiten können. Die Ereignisse zwischen ihnen sind so oder so ähnlich schon da gewesen und man ahnt als LeserIn sofort, dass da schon eine Lösung für das gerade entstanden Problem hinter der nächsten Ecke wartet. Ein Mitfiebern mit den Charakteren gestaltet sich daher eher schwierig.

Während sich jeder Charakter auf seinen persönlichen Abschluss zubewegt, bleiben viele Fragen der übergeordneten Handlung und Vergangenheit um Alexias Vater und der gemeinsamen Vergangenheit von Werwölfen, Vampiren und Seelenlosen ungeklärt. Somit liefert auch Timeless keine wirkliche Auflösung zu dem Gesamtthema, was sehr schade und leider auch enttäuschend ist, da man sich als LeserIn von dem Aufbruch nach Ägypten doch ein bisschen mehr Hintergrundgeschichte dieser Parteien und ein wenig archäologische Graberei verspricht.
Natürlich hält diese Auslassung für die Autorin aber auch die Option offen, beizeiten noch einmal zu dieser Serie zurückzukehren oder das Thema vielleicht in dem geplanten Sequel um Tochter Prudence fortzusetzen.

Ein großes Plus gewinnt Timeless dafür durch seinen ästhetischen und liebevollen Umgang mit der Homosexualität zwischen zwei männlichen Hauptfiguren des Parasol-Protectorate-Universums. Selten so selbstverständlich und alltäglich in das Gesellschaftsbild eingearbeitet, schafft Timeless es ganz problemlos, die gedankliche Hürde zu nehmen, die einen solche Entwicklungen häufig als ungewohnt und persönlich unzugänglich empfinden lassen. Die nunmehr deutlich vorhandenen Andeutungen homosexueller Interaktionen wirken jedoch zu keiner Zeit befremdlich. Im Gegenteil, man freut sich für das frische Paar und lächelt mit ihm.
Auch die Idee eines Nomadenvolks der Lüfte, mechanische Reitkäfer, die optische Rettung eines scheinbar hoffnungslos verunstalteten Sonnenschirms sowie die lebenserhaltende Apparatur einer Vampirkönigin mit Todeswunsch sorgen für Steampunk-Atmosphäre und wecken Erfinderlaune.

Am Ende von Timeless und damit auch am Ende des Parasol Protectorate angelangt, hat man gelacht, geweint, sich manchmal etwas mehr Spannung und mehr Antworten gewünscht, doch man wird die Serie vermissen und sich auf jeden Fall fragen, ob es in Prudence und Imprudence, welches im selben Universum spielen wird, ein Wiedersehen mit alten Bekannten in neuen Positionen geben wird. Verstärkt wird diese Frage durch verschiedene überraschende Entwicklungen, die die Londoner Gesellschaftsverhältnisse ordentlich aufmischen und sowohl große Veränderungen für das Werwolfsrudel, als auch für die örtliche Vampir- und Modeszene bedeuten. Mit möglicherweise fatalen Folgen für letztgenannte …
Im Zuge dieser Entwicklungen jedenfalls fällt die Angabe eines Zeitraums “in 15-20 Jahren vielleicht”, was sich mit dem Alter der Protagonistin deckt, das sie, ersten Angaben der Autorin zufolge, in Prudence und Imprudence haben wird.

Timeless ist vielleicht nicht das beste Buch in dieser Reihe und bietet auch keinen Abschied mit fulminantem Abgang, doch es schließt die Reihe würdig und rechtzeitig ab und lässt darüber hinaus Raum für Spekulationen.

Praise the ruffled parasol!

Cover von Timeline von Michael CrichtonITC, eine Firma, die Anwendungen der Quantentechnologie entwickelt, sponsort archäologische Ausgrabungen an der Dordogne in Frankreich. Geleitet werden diese von einem amerikanischen Historikerteam, das die mittelalterlichen Gebäude rekronstruieren soll. Doch ITC weiß bereits bestens Bescheid, wie die Anlagen auszusehen haben, denn die Firma verfügt über Zeitmaschinen. Und bald findet sich eine Gruppe Geschichtsstudenten mit einem gefährlichen Auftrag mitten im Frankreich des Jahres 1357 wieder.

-Er hätte diese Abkürzung nie nehmen dürfen.-

Ich verstehe nicht viel von Quantenphysik oder mittelalterlicher Geschichte, aber dieser Roman macht einen gut recherchierten Eindruck auf mich (könnte an den sieben Seiten Bibliographie liegen). Gefallen hat mir die Darstellung des Lebens im Mittelalter – nicht als “statisch, grausam und rückständig”, sondern als “dynamisch” und “Zeit rasanter Entwicklungen”, wie Historiker inzwischen auch der Meinung sind (so der Autor).

Ansonsten hat mich Timeline aber eher zum Erbrechen gebracht (Entschuldigung). Als Fantasy-Leser ist man ja völlig unrealistischen Ausgangssituationen durchaus gewogen (also keine Kritik an Zeitreisen etc.), aber ich erwarte dann doch eine nachvollziehbare Entwicklung von Charakteren und Story. Beides ist hier leider nur unglaublich platt und klischeehaft dargestellt.
An Personen wäre da der gutaussehende Möchtegern-Frauenheld Chris, dessen Eltern zu Beginn seines Studiums tragischerweise starben, und dessen Professor (der, der aus der Vergangenheit gerettet werden muss) sich dann väterlich seiner annahm (nicht dass diese Infos, die bei Chris’ Einführung runtergerattert werden, später jemals auch nur irgendeine Rolle spielten!). Dann ist da der noch besser aussehende Dozent André, der am liebsten im Mittelalter leben würde und total gut mit Pfeil, Bogen und Breitschwert (das Wort “Breitschwert” kommt mir im ganzen Buch etwas zu oft vor. Es scheint im 14. Jh. keine anderen Schwerter zu geben) umgehen kann. Und was für ein glücklicher Zufall, dass die hübsche Kate passionierte Freeclimberin ist! Denn irgendwie muss sie enorm viel herumklettern.

Zur Story: natürlich geht alles schief, was schief gehen kann. Ereignisse und Personen (z.B. der “Grüne Ritter”) werden so konstruiert eingebaut, dass die Figuren ständig aufgehalten werden und die knapp bemessene Zeit (warum ausgerechnet exakt 37 Stunden?!) immer noch knapper wird. Außerdem finden auftretende Fragen oft genug keine Antwort, angefangene Handlungsstränge kein Ende, und scheinbar wichtige Details spielen später keine Rolle mehr. Und, achja, wir sind im Mittelalter! Also kann das größte Klischee gar nicht ausgelassen werden, so dass die Herren, kaum angekommen, auch schon an einem Ritterturnier teilnehmen müssen!
Na, so ist es auch kein Wunder, dass Hollywood das Ganze verfilmt hat. Platte Geschichte, gutaussehende Menschen ohne tieferen Charakter, Happyend – alles was ein guter Blockbuster braucht!

Cover des Buches "Tintenblut" von Cornelia Funke Ein Jahr nach den Ereignissen in Tintenherz ist wieder Ruhe und Glück in Meggies Leben eingekehrt. Sie lebt mit ihren Eltern bei ihrer Tante Elinor und die Schrecken des vergangenen Jahres verblassen allmählich. Doch das Glück währt nicht lange. Immer noch versucht Staubfinger zusammen mit Farid zurück in seine Welt zu kommen und endlich scheint es so, als ob sie Erfolg hätten. Denn Orpheus, eine zwielichtige Gestalt, verfügt über ähnliche Kräfte wie Meggies Vater und erklärt sich bereit, Staubfinger in seine Welt zu lesen. Doch auch Basta und Mortola haben die Ereignisse in Capricorns Dorf überlebt und sind ebenfalls auf Orpheus aufmerksam geworden …

-Am längsten hatte sie drüber nachgedacht, welches Buch sie mitnehmen sollte. Ohne eins fortzugehen, wäre ihr vorgekommen, als würde sie ohne Kleider aufbrechen, aber es durfte nicht zu schwer sein, also kam nur ein Taschenbuch in Frage. »Bücher in Badekleidern«, nannte Mo sie, »schlecht gekleidet für die meisten Anlässe, aber im Urlaub eine praktische Sache.«-
Meggie liest

Endlich! Der neue Roman aus der Tintenwelt hat ein bisschen auf sich warten lassen, dafür wird der Leser aber umso mehr für seine Geduld belohnt.
Bereits beim Durchblättern fällt die liebevolle Gestaltung des Buches auf. Vor jedem Kapitel findet sich ein passendes Zitat und Zeichnungen (von der Autorin selbst erstellt) am Ende der Kapitel runden das Ganze noch ab. Außerdem gibt es eine Karte der Tintenwelt und ein Personenverzeichnis, die passenden Extras machen Lust, den Roman endlich zu lesen.

Schon nach den ersten Seiten ist man gefesselt von Cornelia Funkes Stil. Satz für Satz fügt sich die Geschichte stimmungsvoll zusammen und man taucht sofort wieder ein in Meggies Welt. Scheinbar mühelos erschafft die Autorin Bilder vor dem geistigen Auge des Lesers und fast scheint es, als gäbe es die Tintenwelt mit all ihren Bewohnern wirklich und man könnte sie durch das Buch ebenso leicht erreichen, wie Meggie oder Mo es können.

Zu den liebgewonnen Charakteren aus Tintenherz kommen weitere interessante Personen, die die Tintenwelt erst richtig lebendig werden lassen. Fast möchte man der Tintenwelt selbst mal einen Besuch abstatten, um all den Charakteren wirklich gegenüberzustehen.

Die Handlung weist mehr Komplexität auf als in Tintenherz und ist ein wenig blutiger, dennoch ist es vorbehaltlos auch für jüngere Leser zu empfehlen. Einziger Wermutstropfen: Das Ende des Buches ist nicht das Ende der Geschichte. Das offene Ende ist wirklich nicht leicht zu verkraften, wenn man so abrupt wieder aus der Tintenwelt in die Realität geschubst wird. Bleibt einem nur zu hoffen, dass der nächste Teil nicht so lange auf sich warten lässt …

Cover von Tintenherz von Cornelia FunkeDie zwölfjährige Meggie wohnt mit ihrem Vater Mo, einem Buchbinder, auf einem alten Bauernhof. Beide sind wahre Leseratten und die Bücher stapeln sich im ganzen Haus. In einer regnerischen Nacht sieht Meggie eine dunkle Gestalt im Garten stehen. Doch bald stellt es sich heraus, dass der Fremde Mo’s alter Freund Staubfinger ist, der gekommen ist, um ihn vor Capricorns Männern zu warnen. Diese ebenso bösartigen wie gnadenlosen Schurken sind hinter einem Buch her, das Mo gehört. Meggie versteht das nicht. Wer ist Capricorn? Was ist an diesem Buch so besonders? Und warum nennt Staubfinger ihren Vater “Zauberzunge”? Am nächsten Tag bringt Mo Meggie und das geheimnisvolle Buch zu Tante Elinor, die in ihrem Haus Tausende Bücher hortet, aber es nützt nichts: Capricorns Männer spüren sie auf…

– Es fiel Regen in jener Nacht, ein feiner, wispernder Regen. Noch viele Jahre später mußte Meggie bloß die Augen schließen und schon hörte sie ihn wie winzige Finger, die gegen die Scheibe klopften. Irgendwo in der Dunkelheit bellte ein Hund, und Meggie konnte nicht schlafen, so oft sie sich auch von einer Seite auf die andere drehte.-
Ein Fremder in der Nacht

Es ist einfach ein rundum gelungenes Buch. Lesen Sie’s und Sie werden es schon merken. Aber wenn ich mich so kurz fasse, bekomme ich Ärger mit der Redaktion ;-), deshalb also ein bißchen ausführlicher: Am Anfang fand ich Tintenherz ganz nett und als Mo und Meggie bei Tante Elinor wohnen, dachte ich, jetzt könnte die Geschichte mal bitte ein bißchen an Fahrt gewinnen. Genau in diesem Moment wurde der Roman so spannend, daß ich ihn nicht mehr aus der Hand gelegt habe, bis ich ihn ausgelesen hatte und bei der Lektüre habe ich dreimal eine Gänsehaut bekommen. Ich lese durchschnittlich drei Bücher in der Woche, eine Gänsehaut bekomme ich dabei höchst selten und für gewöhnlich nicht bei Kinderbüchern. Dieser Roman ist eine Hommage ans Lesen. Er macht deutlich, welchen Zauber Bücher auf Menschen ausüben und welche Macht gute Schriftsteller besitzen.

Die Charaktere sind voller Leben und es gibt für jeden Leser eine Figur mit der er sich identifizieren kann. Da ist Mo, ein Vater, wie ihn sich jedes Kind nur wünschen kann; Meggie, die beherzt und tapfer ist, auch und gerade, wenn sie Angst hat und in gefährlichen Situationen steckt; die dicke, resolute Tante Elinor, die glaubt, dass man Gangstern am besten die Polizei auf den Hals hetzt und die von den Ordnungshütern ständig enttäuscht wird; Staubfinger, ein Gaukler, der sich nach seiner Heimat sehnt; Farid, ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge, der einer Räuberbande entkommen ist; Fenoglio, ein Großvater mit Schreibtalent; und falls Sie ein Haustier besitzen, das lesen kann, dann wird es sich wahrscheinlich mit Gwin, einem kleinen Marder identifizieren. Sie alle nehmen den Kampf gegen Capricorn und seine finsteren Gesellen auf und jeder von ihnen wird gebraucht, um ihn zu gewinnen.

Mehr kann ich über den Inhalt des Romans nicht schreiben, sonst müsste ich einen Spoiler an den anderen hängen. Stattdessen möchte ich noch etwas über die Aufmachung des Buches sagen: Jedem Kapitel ist ein Zitat aus einem anderen Buch vorangestellt, das einen Hinweis darauf gibt, worum es in diesem Kapitel geht. Auch in der Geschichte werden andere Bücher erwähnt. Für Vielleser sind diese Bezüge sehr reizvoll, Kinder, die noch nicht so viel gelesen haben, verstehen den Roman aber auch, wenn sie z.B. mit der Erwähnung von “Indianer Joe” nichts anfangen können. Das, was man aus anderen Kinderbüchern wissen muss, um die Geschichte zu verstehen, wird in den Roman eingeflochten. Am Ende jeden Kapitels gibt es eine kleine Illustration. Außerdem ist das Cover sehr schön gestaltet. Das Buch hat ein Lesebändchen, denn wie Tante Elinor Meggie erklärt, darf man Bücher nicht aufgeschlagen liegen lassen, weil man ihnen sonst den Rücken bricht, und es hat ein dunkelrotes Vorsatzblatt. Es müssen dunkle Vorsatzblätter sein, meint Mo, und am besten dunkelrote, wenn man ein solches Buch aufschlägt, dann ist es als ob im Theater der Vorhang aufgeht. Und damit hat er vollkommen Recht…

The Titan's Curse von Rick RiordanBei dem Auftrag, ein Geschwisterpaar von Halbgöttern sicher ins Camp zu bringen, wird Annabeth von einem uralten Feind entführt, der mit Kronos im Bunde steht. Doch das ist nicht Percys einziges Problem. Neben Annabeth verschwindet auch die Göttin Artemis, die den Olymp als einzige überzeugen kann, sich gegen die drohende Gefahr durch die Titanen zu wappnen. Percy, Halbgöttin Thalia, Satyr Grover und zwei von Artemis’ Jägerinnen machen sich auf den Weg, um Annabeth und Artemis zu finden und zu befreien. Doch die Gefahren sind größer denn je und Verluste scheinen unvermeidlich.

– Annabeth was kneeling under the weight of a dark mass that looked like a pile of boulders. She was too tired even to cry out. Her legs trembled. Any second, I knew she would run out of strength and the cavern ceiling would collapse on top of her. –
Everybody hates me but the horse, S. 106

Im dritten Band von Percy Jackson wird es allmählich ernst. The Titan’s Curse (Der Fluch des Titanen) startet düsterer als seine beiden Vorgänger The Lightning Thief (Diebe im Olymp) und The Sea of Monsters (Im Bann des Zyklopen), denn die Bedrohung durch die Monster und den Titan Kronos rückt immer näher. Längst vergessene Kreaturen erwachen aus ihrem Schlaf und bedrohen die Herrschaft der olympischen Götter. Die Stimmung ist sowohl unter den Göttern, als auch unter den Halbgöttern angespannt. Obwohl sich die Handlung in erster Linie um die Rettung von Annabeth und Artemis dreht, baut Riordan im vorliegenden Roman den roten Faden der Buchreihe deutlich weiter aus, wirft gleich mehrere Geheimnisse in den Raum, die auch zum Teil zunächst ungelöst bleiben. All das trägt dazu bei, dass der dritte Band an Spannung gewinnt.

Wie auch die beiden Vorgänger kommt The Titan’s Curse aber zunächst nur langsam in Fahrt und auch die ersten Verluste vermögen keine großen Emotionen auszulösen. Doch gerade als man davon überzeugt ist, das Buch präsentiere sich ähnlich distanziert wie seine Vorgänger, wird man eines besseren belehrt.
Die Götter, die zunächst weiterhin unnahbar wirken und sich bisher nicht gerade als Eltern des Jahres gezeigt haben, treten zum Ende hin endlich einmal stärker in Erscheinung. Sie gewinnen merklich an Substanz und Persönlichkeit und man merkt zum ersten Mal, dass sie tatsächlich die Eltern unserer Helden sind. War es anfangs noch schwierig, emotionale Brücken herzustellen oder gar Sympathien für eine der Gottheiten zu entwickeln, werden einem im Verlauf von The Titan’s Curse gleich mehrere zur Auswahl geboten.

Einen besonders charmanten Auftritt geben sich die Göttin der Jagd, Artemis, und ihre ewig Kind bleibenden Jägerinnen, die mit Frauenpower – oder in diesem Fall Mädchenpower – nicht nur den Monstern das Fürchten lehren. Das selbstbewusste Auftreten der Jägerinnen, deren Gruppe ausschließlich und absichtlich nur aus Mädchen besteht, sorgt auch immer wieder für Momente zum Schmunzeln. Als Jägerinnen im Dienste von Artemis haben sie alle der romantischen Liebe abgeschworen und tragen ihre emanzipierte Denkweise gerne und ausgiebig zur Schau. Das sorgt für unterhaltsame Gefechte zwischen ihnen und der männlichen Belegschaft, aber auch mit den Töchtern der Aphrodite lassen sie gerne einmal die Fetzen fliegen. Es ist einfach amüsant, Percys sarkastischen Gedanken zu folgen, wenn die Jägerinnen ihm einmal mehr unter die Nase reiben, dass er als Junge nun wirklich nicht das große Los gezogen hat. Trotzdem artet es nie in ein Frauen-vs.-Männer-Bashing aus, sondern wird zu einem gut ausbalancierten Geflecht weiblicher und männlicher Stärke, die gleichberechtigt miteinander funktionieren.
In diesem Zusammenhang lernt der Leser auch Artemis’ Zwillingsbruder, den Gott Apollo, kennen. Apollo ist das ganze Gegenteil seiner Schwester: großspurig mit einem Ego so groß wie die Welt, ein Charmeur, der die gewählte Enthaltsamkeit seiner Schwester so gar nicht teilt und auch gerne mal einen Flirt mit einer der Jägerinnen versucht. Daneben gibt er mittelmäßige Gedichte zum Besten, fährt einen buchstäblich heißen Wagen und wirkt wie ein Teenager mit zuviel Energie.
The Titan’s Curse lebt daher vor allem durch die gegensätzlichen Charaktere, die sich hier gegenübertreten und für viel Wirbel sorgen. Mit diesen und anderen neu eingeführten Figuren bringt Riordan außerdem gänzlich neue Möglichkeiten und Zweifel beim Leser auf den Plan. Keiner ist so schlicht, wie er im ersten Moment wirkt.

Ein ganz großes Plus des Buches ist die Weiterentwicklung der Mythologie. Wurde in den vorigen Bänden hauptsächlich bereits Bekanntes neu nacherzählt und im Prinzip auf gleiche Weise erlebt, so bewegt sich Riordan diesmal erfreulicherweise aus den Schablonen der Geschichte heraus und erzählt etwas neues mit alten Bekannten. Vorbei das Zähneknirschen, wenn man sich als Leser fragte, ob so ein Monster nicht aus seiner Vergangenheit gelernt haben müsste.

Zusammengefasst lässt sich sagen, The Titan’s Curse stellt den bisher stärksten Band dieser Buchreihe dar. Es lässt nichts an Humor fehlen, gewinnt aber zusätzlich an Spannung, Innovation und Charakterzeichnung – obwohl die Handlung insgesamt ernster ist als in den Vorgängern. Wer sich also von The Lightning Thief und The Sea of Monsters schon gut unterhalten gefühlt hat, der wird mit The Titan’s Curse noch zufriedener sein.

Toad Words von T. KingfisherIn sieben Kurzgeschichten, einer Novella und drei Gedichten begleitet man junge Mädchen in finstere Wälder und bezeugt die Auswirkungen schrecklicher Flüche, kurzum, man befindet sich auf dem vertrauten Gebiet der Märchennacherzählungen. Doch wer mit Altbekanntem rechnet, wird feststellen, dass man den Worten der Kröte vielleicht nicht ganz so viel Vertrauen schenken sollte wie denen eines Frosches.

-It has come to my attention
that people like me
are generally not welcome in fairy tales.-

Es gibt viele Gründe für die Wahl eines klangvollen Pseudonyms – bei T. Kingfisher, keiner anderen als der famosen Ursula Vernon, war es die Notwendigkeit, sich mit ihren Geschichten für Erwachsene von ihren weitaus erfolgreicheren Kinderbüchern abzugrenzen. Das kann man durchaus als Warnung verstehen: Kingfishers Geschichten sprühen zwar vor dem zu erwartenden Humor, scheuen aber nicht davor zurück, einen Blick auf die Düsternis hinter den Kulissen bekannter Märchen zu werfen.
Das erste Gedicht der Sammlung, It Has Come To My Attention, dient als Quasi-Einleitung: fehlender “Märchenglauben” führt Kingfisher dazu, an Märchen ganz andere Fragen zu stellen als die üblichen, und diese Fragen sind es, die ihr einen neuen Blickwinkel verschaffen und es ihr gestatten, im Subgenre der Märchen-Neuinterpretation knapp 35 Jahre nach Angela Carters The Bloody Chamber noch frische Akzente zu setzen.
Dabei kommt ihr zugute, dass sie häufig popkulturelle Ausprägungen der Märchen mit einbezieht – also Arielle statt Andersen, wie etwa im herrlich bildreichen The Sea Witch Sets The Record Straight. Meerhexe Ursula klärt nicht nur darüber auf, wie es wirklich war mit der kleinen Meerjungfrau, sondern liefert auch ein komplettes Unterwasser-Worldbuilding in weniger Text als ein Disney-Song.

Viele der Erzählungen sind derartige Rückblicke oder Bestandsaufnahmen, aus denen sich auf kleinstem Raum eine Geschichte entfaltet. Einzigartig ist dabei immer die Perspektive: Es sind ausschließlich Frauen, die mit ihren Flüchen, Schicksalsschlägen und der falschen Fremdwahrnehmung auf bodenständige, realistische Weise umgehen, so gut sie es vermögen. Sie sind stark, obwohl sie häufig keine klassischen Heldenrollen einnehmen, sondern eher häuslich veranlagt sind – und vor allem ihre Ruhe wollen.
Die Geschichten sind witzig und herzerwärmend – voller eloquenter Hexen, Amphibienretterinnen und ungeliebten Töchtern, die ihr eigenes Glück suchen – und manchmal brechen sie einem das Herz: das robuste Rotkäppchen erfährt etwas über Stalker, die sich als nette Kerle präsentieren (und nicht als Wölfe, wie in der Urform des Märchens), Peter Pan und die Schneekönigin wetteifern in glitzernd kalter Grausamkeit, und das Biest aus die, pardon, der Schöne und das Ungeheuer entdeckt eine schlimmere Komponente seines Fluches als das Monsterdasein.

Bluebeards Wife lässt Leser und Leserinnen mit seiner Erkundung des Monströsen und schwieriger Familienverhältnisse moralisch etwas durchgerüttelt zurück, und Boar & Apples, der längste Text der Sammlung, ist eine Schneewittchen-Interpretation, die mit Neil Gaimans brillantem Snow Glass Apples mithalten kann, auch wenn sie einen völlig anderen Weg beschreitet und den Zwergen deutlich mehr Haare verpasst als das Original.
Die einzige Geschichte, die ein wenig abfällt, ist Night, vor allem, weil sie nicht ganz zum ansonsten überall präsenten Märchenmotiv passt – mit zwei Seiten ist sie aber auch nur ein kurzes Intermezzo.

Alle Texte aus Toad Words sind, mit Ausnahme von Boar & Apples, auch auf dem Blog der Autorin erschienen und können dort nach wie vor gelesen werden. Man kann allerdings nicht viel falsch machen, wenn man sich die komplette Sammlung dieser geerdeten und trotzdem zauberhaften Märchen zulegt, die auf gewisse Weise mit ihrem unmittelbaren und pragmatischen Magieverständnis nicht ganz weit entfernt von den ursprünglichen Volksmärchen wurzeln.

Cover von Tochter der Nacht von Marion Zimmer BradleyDas Buch erzählt die Geschichte der Zauberflöte aus der allseits bekannten Oper nach: Der edle Prinz Tamino soll im Auftrag der Königin der Nacht ihre Tochter Pamina aus den Fängen des Sarastro retten. An dessen Hof angekommen, stellt sich jedoch heraus, dass die Rollen von Gut und Böse nicht so verteilt sind wie anfangs gedacht, und so müssen sich Tamino und Pamina gemeinsam den vier Prüfungen der Elemente unterziehen.

„Die zierliche und zarte Prinzessin Pamina stand auf dem Balkon und blickte erschrocken auf den fahlen, blutroten Nebel, der über das Gesicht der silbernen Scheibe, über das Gesicht des Mondes kroch.“

Es gibt Bücher von der Autorin, die ich mit Begeisterung gelesen habe – aber dieses gehört eindeutig nicht dazu.
Der Prolog ist extrem verwirrend. Er erinnert an eine misslungene Kopie aus dem Silmarillion, denn es werden die Namen von allerlei Göttern und deren Rollen bei der Schaffung der Welt aufgezählt. Von Anfang an wirken die Welt und die darin wohnenden Personen dennoch platt und zu wenig durchdacht. Die Charaktere bleiben blass und stets in ihrer Rolle, die stattfinden Entwicklungen verlaufen so, wie es zu erwarten war. Wer die Oper kennt, darf auch von der Handlung her kaum Überraschungen erwarten.
Warum Tamino die verschiedenen Prüfungen ablegen soll und möchte, ist unklar. Es scheint, als müsste die Antwort auf alle Fragen nach dem Sinn der Handlung „weil es im Libretto steht“ lauten.
Die Prüfungen an sich wurden schön ausgestaltet und an phantastischen Elementen und Moral angereichert, diese Szenen lassen sich gut lesen .

In Atlas-Alamesios, der Welt von Tochter der Nacht (Night’s Daughter), spielen Halblinge, also Mischwesen aus Mensch und Tier, eine große Rolle. Diese sind durch genetische Experimente entstanden und werden in der Gesellschaft meist unterdrückt – was irgendwie überhaupt nicht zum ansonsten märchenhaften und auch so erzählten Rest des Romans passt. Auch wurde das Thema der Rassenideologie nicht immer angemessen behandelt und meiner Meinung nach zuweilen zu unkritisch betrachtet.

Ein wenig Positives kann man jedoch auch finden. Die kurzen Kapitel und die Beschränkung auf wenige Handlungsorte und -personen erleichtert dem Leser die Übersicht. Die Autorin hat glücklicherweise darauf verzichtet, die Vorlage in dieser Hinsicht unnötig auszuweiten und zu verkomplizieren. So fällt der Roman auch relativ dünn aus und lässt sich schnell weglesen. Streckenweise kommt auch ein wenig Spannung auf, vor allem im Verlauf der Prüfungen.

An sich ist die Umsetzung der Zauberflöte in Romanform eine schöne Idee. Es ist Marion Zimmer Bradley jedoch nicht geglückt, das im inneren Klappentext als „krude und nicht immer einleuchtend“ bezeichnete Libretto in eine nachvollziehbare Geschichte umzuschreiben, sondern auch durch ihren Roman ziehen sich Logiklöcher. Zudem ist der Stil zu plakativ und wenig magisch, daher würde ich das Buch selbst Opernliebhabern nicht empfehlen – schade um die Idee.

Cover des Buches "Die Töchter des Drachen" von Wolfgang HohlbeinAls Talianna noch ein Kind war, töteten Drachen ihre Eltern und legten ihr Dorf in Schutt und Asche. Nun, fast 20 Jahre später, zieht sie durch die Welt, um die grausamen Drachen zu finden und Rache zu nehmen. Ihr Weg führt sie durch eine zerstörte Welt, durch endlose Wüsten und ausgetrocknete Meere, wo jeder Schritt tödliche Gefahren birgt…

-Die Mauer ragte schwarz gegen den Nachthimmel auf, nicht mehr als ein Schatten, dessen Umrisse die Sterne auslöschten, die wie kleine blankpolierte Augen am Firmament standen; ein finsteres Loch, das jemand in den Himmel gestanzt hatte.-
Prolog

Ups – Moment! Habe ich mich beim Autor vermacht?
Ich habe einige Bücher von Hohlbein gelesen und war danach immer mehr oder weniger enttäuscht, also hatte ich entsprechende Vorurteile von diesem etwas älterem Werk. Aber nein, ich wurde überrascht. Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass ein Hohlbein-Roman mich nochmal so fesseln könnte.

Die Story enthält viele interessante Ideen und überraschende Wendungen. Besonders das Ende lässt den Roman dann in einem völlig anderen Licht erscheinen, als man zu Beginn erwartet hätte. Kleine Schwächen in der Handlung sind leicht zu verzeihen, da ist man wirklich Schlimmeres vom Autor gewohnt.
Anstatt wie üblich durch die Gegend zu hetzen und seine Charaktere möglichst viele tödliche Gefahren überleben zu lassen, nimmt sich Hohlbein Zeit, die Welt auszuarbeiten und zum Leben zu erwecken, in der Tally und ihre Gefährten sich befinden. Die Charaktere wirken nicht nur wie bloße Abziehbilder, sondern sind wie die Welt ziemlich gut beschrieben und glaubwürdig.

Einzig die Aufmachung bedarf Besserung. Vor Rechtschreibfehlern sind wir alle nicht gefeit, aber ein bisschen Mühe darf man sich schon geben. Ab und zu fehlen Buchstaben oder werden Personen vertauscht (was zu ulkigen Selbstgesprächen führen kann, wenn eine Person mit sich selbst streitet, was aber nicht Sinn der Sache ist), das könnte man besser hinbekommen. Dies stört aber den Lesefluss nur unwesentlich und man kann in aller Ruhe Tally bei ihrer Reise begleiten.

Cover von Tochter des Windes von Elizabeth HaydonDie ehemalige Prostituierte Rhapsody flieht vor einem gewalttätigen Freier. Sie trifft auf den Meuchelmörder Achmed und den monströsen Riesen Grunthor, die auf der Flucht vor einem Dämon sind. Die drei schließen sich zusammen. Um ihren Verfolgern zu entgehen, steigen sie in das Erdinnere hinab und geraten schließlich in eine andere Welt.

– Meridion setzte sich an den Zeit-Editor und fing an zu arbeiten. –
Meridion

Dieser Roman ist vom Anfang bis zum Ende eine sprachliche Katastrophe und eine Zumutung für den Leser. Der Erzählstil ist dem Sujet völlig unangemessen und selbst für eine Liebesschmonzette zu schwülstig. Die Sätze sind umständlich konstruiert und die Autorin benutzt häufig Wörter und Wendungen, die im Kontext der Erzählung anachronistisch sind. Die Dialoge sollen oft einen witzigen oder ironischen verbalen Schlagabtausch darstellen, sie wirken aber bemüht und sind unnatürlich. So spricht einfach kein Mensch. Hier verschiedene Kostproben der sprachlichen Verirrungen: Als zwei Protagonisten Sex haben, glaubt die Autorin dem Leser folgendes mitteilen zu müssen: »Wie lange sie sich liebten, war aus Mangel an Vergleich oder Anhaltspunkten weder für sie noch für ihn nachzuvollziehen.« Der gewalttätige Freier sagt zu Rhapsody: »Ich träume fast jede Nacht von dir, und ich weiß, dir ergeht es ähnlich in Bezug auf mich.« Und um die Gefahr zu verdeutlichen, in der sich die Helden befinden, wählt Haydon folgenden Vergleich: »Als sich ihre Blicke trafen, verzogen sich beider Mienen zu einem Lächeln, wie es wohl auch in den Gesichtern von Schiffbrüchigen geschrieben stand, die, an irgendeinem Schwimmkörper festgeklammert, im Wasser trieben.«

Inhaltlich ist der Roman genauso schlecht wie sprachlich: Ein bißchen Edda, ein wenig König Artus-Legende, eine Prise keltische Mythen, die Sage von Atlantis und viel Naturmagie, das sind die Quellen aus denen die Autorin die Geschichte hauptsächlich zusammengeschustert hat. Die Handlung, die auf 150 Seiten Platz finden würde, wird auf 765 Seiten breitgetreten und strotzt nur so vor Längen. Die Charaktere sind unglaubwürdig. Mit keinem der Protagonisten kann sich der Leser identifizieren, daher kommt auch keine Spannung auf. Wenn Haydon Spannung erzeugen will, läßt sie die Bösewichte sich an Kindern vergreifen. Diese Szenen sind aber nur widerlich und abstoßend. Das Buch bewegt sich sprachlich wie inhaltlich auf unterstem Niveau und ist nur für Hardcore-Romantiker unter den Fantasyfans einigermaßen erträglich, aber auch die sind mit anderen Büchern besser bedient.

Der Schwertkämpfer Andrej ist auf der Suche nach der Puuri Dan, einer weisen Zigeunerin. Sie, so hofft Andrej, kann ihm womöglich das Geheimnis seiner Herkunft enthüllen.
Die Reise führt ihn und den ehemaligen Piratenkapitän Abu Dun bis nach Bayern. In dem kleinen Ort Trentklamm stoßen sie auf schreckliche, menschenähnliche Geschöpfe. Andrej wird von einer dieser Bestien angegriffen, verletzt und verliert seine übermenschlichen Kräfte.
Fast zu spät muss er entdecken, dass das Geheimnis der Ungeheuer enger mit seiner eigenen Existenz verbunden ist, als ihm lieb sein kann …

-»Sie sind dort unten auf der anderen Seite des Hügels. Vielleicht zwanzig, möglicherweise auch mehr«.-
Seite 5

Dass Wolfgang Hohlbein gute Bücher schreiben kann, hat er mehrmals bewiesen. Doch anstatt sich auf ein Buch zu konzentrieren und daran gründlicher zu arbeiten, veröffentlicht er mehrere Bücher im Jahr, deren Niveau immer weiter fällt. Leider ist dies auch im dritten Teil der Chronik der Unsterblichen zu sehen. Hohlbein schafft es, durch seinen Erzählstil zweifellos Spannung zu erzeugen, doch dies allein reicht einfach nicht aus. Und so schlittert Andrej von einem Ereignis zum nächsten, ohne dass er Einfluss darauf nehmen kann. Während der aufmerksame Leser bereits Seiten vorher ahnt, dass wieder mal nichts ist, wie es scheint, bleibt Andrej bis zum Schluss blind für die offensichtlichen Fakten. Auch Abu Dun bringt wenig Neues in die Geschichte mit ein und zeigt trotz einiger Ansätze kaum Tiefe oder Lebendigkeit.
Auch die Geschichte selbst birgt wenig Neues. Bereits zum dritten Mal benutzt Hohlbein dasselbe Prinzip wie in den Büchern davor (und danach), aber diesmal kommt noch weniger dazu und das Ende ist wie immer anders, als zunächst erwartet. Das Buch beweist wieder einmal, dass es kein Konzept für gute Bücher gibt. Wollen wir hoffen, dass Hohlbein das auch bemerken wird.

Tor der Verwandlung von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

– Die ezzarischen Propheten sagen, dass die Götter ihre Schlachten in den Seelen der Menschen austragen und dass sie das Schlachtfeld gemäß ihrem Willen neu gestalten, wenn es ihnen nicht gefällt. –
1

Zu Das Tor der Verwandlung liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Das Tor ins Gestern von Dave Duncan1914 in England: Edward Exeter ist eines grausamen und eigentlich unmöglichen Mordes angeklagt, er hat jedoch keine Erinnerung an die Vergangenheit. Es stellen sich ihm viele Fragen, vielleicht liegt die Antwort bei den Toren zu anderen Dimensionen, die sich plötzlich öffnen … auf “Nebenan”: Eleal Singer, das jüngste Mitglied einer Schauspieltruppe, wird von den Schergen einer korrupten Göttin gefangen genommen. Doch damit ist ihr Schicksal nicht besiegelt, denn ihr ist ein Treffen mit einem Mann aus einem weit entfernten Land angekündigt…

-Das große Spiel der Götter dauert schon Jahrhunderte an und erstreckt sich über alle Dimensionen in alle Welten: ein tödlicher Kampf, in dem skrupellose Zauberer ihre Kräfte messen….-

Nach längerer Zeit habe ich endlich wieder ein Fantasybuch zur Hand genommen und fand sofort wieder Gefallen an dem Genre. Die Geschichte von Eleal und Edward (oder D’ward, je nachdem, wo man gerade ist) liest sich spannend und fesselnd. Trotz einiger Schwierigkeiten am Anfang, besonders mit den Göttern und ihren Avataren, kommt man schnell in die Geschichte rein, nicht zuletzt dank der vorangestellten Glossare.
Besonders gelungen fand ich die Geschichte, die zu Beginn noch parallel jeweils auf der Erde und auf “Nebenan” verläuft und dann geschickt zusammengeführt wird. Allerdings muss der Leser auf manche Antworten lange warten. Wie Edward tastet er sich Stück für Stück in die Welt hinein und erfährt immer nur das Nötigste. Zum Glück erhält man am (offenen) Ende viele (nicht alle!) Antworten, die Lust machen auf den Fortsetzungsroman.

Der Autor gibt gut die Atmosphäre Englands kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges wieder – die Begeisterung der jungen Männer für den Krieg, Englands Kolonialpolitik und die gekünstelte, behütete Welt der Privatschulen werden überraschend genau dargestellt. Und auch bei “Nebenan” gab sich der Autor Mühe: ein ausgefeilter Götterkult ist nur eines von vielen Details, mit denen der Autor die Welt aufbaut. Leider vermisst man trotz aller Details eine Karte, was es dem Leser einfacher machen würde, dem Geschehen zu folgen.
Die Charaktere sind liebevoll gestaltet und glaubwürdig, was dem Roman zusätzlich lesenswert macht.
Im ersten Teil zeigt Duncan seine beste Seite und man kann nur hoffen, dass es auch so bleibt.

Das Tor von Ivrel von C. J. CherryhTore, die verschiedene Welten miteinander verbinden, sind neben vereinzelten Waffen beinahe alles, was von der Zivilisation der qhal geblieben ist, die sich durch die Technologie der Tore selbst zerstört hat. Nun müssen alle Tore geschlossen werden, um diese Gefahr für die Zukunft zu bannen.
Der ausgestoßene Krieger Vanye befreit unabsichtlich eine Frau aus einer “magischen” Anomalie, und aus Erzählungen erkennt er in ihr Morgaine wieder, eine Kriegerin, die vor hundert Jahren auf einem Feldzug gegen den Herrscher Thye Tausende in den Tod führte. Mithilfe des komplexen Ehrsystems von Vanyes Heimat gelingt es ihr, den jungen Mann an sich zu binden, damit er sie beim erneuten Kampf gegen Thye unterstützt.

-Die Tore waren der Untergang der qhal.-
Prolog

Eine Fantasy-Geschichte mit SF-Hintergrund, vordergründig eine klassische Queste, die allerdings als ungewöhnliche Charakterstudie erzählt wird, mit Action, mächtigen Zauberwaffen, etlichen Umstürzen und einem Bruderzwist – und das alles auf wenig mehr als 200 Seiten? Das müssen die 70er sein, als man noch mit allerlei bunten Weltentwürfen und die Vorstellungskraft sprengenden Ideen herumexperimentierte, um das Fantasybewußtsein ein wenig zu erweitern.
Zugegeben, so richtig bunt wird es nicht in C. J. Cherryhs Debutroman, der den Grundstein für ihre langlebige Karriere legte. Bis auf ein paar als Magie interpretierte Überreste – und die Tore – ist kaum etwas vom galaktischen Imperium geblieben, und die relativ ahnungslose Menschheit lebt in einer mittelalterlichen, stark von einem Ehrenkodex und Blutsbanden geprägten Kultur. Die vor allem im Prolog abgehandelten SF-Topoi sind voll in diese Fantasy-Welt integriert, so daß die Queste, auf der der gefürchtete Herrscher vernichtet und das Tor unter seiner Kontrolle geschlossen werden soll, im Fantasy-Duktus erzählt werden kann. Trotzdem ist die Struktur des Romans erfreulich wenig stereotyp, vielmehr liegt der Fokus auf der Interkation der beiden Hauptfiguren, die sich in einem komplizierten Abhängigkeitsverhältnis befinden, das aus der Sicht des schwächeren Parts dieser Zwangs-Liaison berichtet wird. Die (zum Gutteil von den beiden ausgelösten) vielschichtigen Geschehnisse in der Welt – politische, magische, individuelle – tauchen eher am Wegesrand auf und dominieren die Handlung nicht, und letzten Endes geht es auch nicht unbedingt in erster Linie um die Bewältigung der Queste.

Cherryh setzt vor allem auf das Spannungsfeld zwischen ihren beiden ungleichen Figuren mit dem starken Machtgefälle: Die unmenschliche, aus der Vergangenheit angereiste Heldin mit üblem Leumund bleibt für den Erzähler Vanye (und damit auch für den Leser) ein Geheimnis, mit seinen Annahmen über sie liegt er nur manchmal richtig, auch wenn sie im Verlauf der Geschichte menschlicher und verständlicher wird, auch dadurch, daß der Leser langsam die Schutzwälle erahnen kann, die sie errichten muß, um ihrer Tätigkeit nachzugehen. Der allzu menschliche, schwache Vanye fungiert als ihr Gewissen, denn seine Ehre bindet ihn zwar an seine Herrin, allerdings auch an die beiden Völker, in denen seine Wurzeln liegen. Dieser Loyalitätskonflikt wird durch einen stark portraitierten Bruderzwist verschärft, den Vanye auszutragen hat. Die angebliche Vorherbestimmung durch Blutsverwandtschaft und ererbte Charakterzüge spielt bei all diesen Beziehungen eine große Rolle und erweist sich manchmal als richtig, viel häufiger jedoch als nichtig.

Ohne großes Bohei bekommt so auch die Welt eigene Züge, die ausgestoßenen ilin–Krieger erinnern stark an Ronin, die unterschiedlichen Menschenvölker werden mit kleinen Details charakterisiert, und die geschichtlich und kulturell verarbeiteten Bezüge auf das untergegangene Reich der qhal blitzen hier und da auf.
Die Abenteuer der beiden Figuren sind jedoch ausgesprochen realistisch, Kämpfe und Flucht unter widrigen Umständen fordern immer ihren Tribut, so daß Vanye bis zum Ende regelrecht auf dem Zahnfleisch kriecht. Die klassischen Fantasyelemente stechen dabei um so deutlicher hervor, etwa Wechselbalg, die cherryh’sche Variante des seelenverschlingenden Schwertes. Sogar die Pferde bekommen ganz genretypisch Namen und Persönlichkeit, doch klassisch episch wird es trotzdem kaum. Vielmehr wirken die Reiseabenteuer von Morgaine und Vanye bisweilen wie ein Kammerspiel unter offenem Himmel, unterbrochen durch kurze Kampfszenen und actionreichere Aufenthalte auf Burgen und in Herrscherhallen.

Mit ihrer feinen Charakterisierung in Das Tor von Ivrel war Cherryh ihrer Zeit definitiv ein Stück voraus, allerdings muß man einräumen, daß auch die Übersetzung aus den 70ern stammt und bei weitem nicht so gut wie der Roman gealtert ist.

Cover von Tore der Dämmerung von Robert NewcombDer Kampf gegen den grausamen Bund der Zauberinnen hat Eutrakien schwer verwüstet: Der Palast ist zerstört, der König und etliche seiner Untertanen sind getötet worden. Zwar wurden die Zauberinnen vertrieben, doch der Friede ist brüchig, der Stein, der alle Magie in sich vereint, verliert langsam an Kraft. Die Magie droht aus Eutrakien zu verschwinden und merkwürdige Dinge geschehen.
Prinz Tristan und der Zauberer Wigg werden mit einem machtvollen Zauberer konfrontiert, der ihnen überlegen ist. Wieder müssen sie um ihr Leben und für ihr Land kämpfen.

-Und daran werdet ihr ihn erkennen – den schändlichen Mutanten, der dazu bestimmt ward, das Volk gegen den Erwählten aufzuhetzen. Denn sein Denken wird gespalten sein – in das der magisch begabeten, aber auch in das der Verdammten …-
Prolog – Die Diener

Im Großen und Ganzen ist der zweite Teil der Trilogie seinem Vorgänger sehr ähnlich – sieht man davon ab, dass der Autor den exzessiven Gewalteinsatz größtenteils unterbunden hat. Der Rest – Handlung und Charaktere – erfährt leider keine größeren Veränderungen, sodass man am Ende genauso weit ist wie zu Beginn.
Besonders auffällig ist dieses Auf-der-Stelle-Treten beim Protagonisten Tristan. Während er im ersten Buch noch eine Entwicklung durchgemacht hat, passiert hier eigentlich gar nichts mit ihm. Aus unerfindlichen Gründen wird er von den Magiern noch nicht in Magie unterwiesen und steht so den neuen Gegnern mehr oder weniger passiv gegenüber. Shailiha, geheilt und jetzt Mutter, bekommt wenigstens noch eine größere Rolle. Wigg, tränenreich wie immer, und Faegan, kindgeblieben mit Anwandlungen zu seltsamem Verhalten, bleiben so, wie sie sind, ohne dass da irgendeine Entwicklung in Sicht wäre. Sie begehen sogar die gleichen Fehler wie im ersten Buch, indem sie Tristan nicht weiter auf die Rolle als Erwählter vorbereiten und sich stattdessen um sonst irgendetwas kümmern (müssen). Von den Nebenpersonen sind einzig Ragnar und Geldon einigermaßen interessant, über die anderen kann man kaum einen Satz verlieren.

Wenigstens die Handlung bekommt einige neue Aspekte. Ab der Mitte des Romans steigt die Spannung bis knapp vor dem Ende kontinuierlich an, sodass man fast von einem fesselnden Roman sprechen kann. Aber eben nur fast. Das eigentliche Ende kommt 50 Seiten zu früh und ist leider recht unspektakulär. Nachdem man die Hilflosigkeit von Tristan über die vielen Seiten hinweg verfolgen konnte, ist auch das Ende gezeichnet von der Passivität des Auserwählten, der nur beobachten und hoffen kann. Und da weder Magier noch Auserwählter irgendetwas gegen den Gegenspieler tun können, lässt sich das Ende einfach mit “Glück gehabt” zusammenfassen. Natürlich hat man dann ja noch fünfzig Seiten Zeit, das pure Glück ausreichend zu erklären, besser wird es dadurch aber auch nicht. Die fadenscheinigen Erklärungen erscheinen zwar im Zusammenhang durchaus nachvollziehbar, aber überzeugen konnten sie mich nicht. Dafür passieren einfach zu viele Zufälle. Durch das am Ende reichlich vorhandene Glück kommt auch niemand auf die Idee, das eigene Verhalten oder diverse Fehler zu hinterfragen – es ist ja auch so alles gut gegangen. Mal schauen, ob der Erwählte je die Magie beherrschen wird …

Transformation von Carol BergSeyonne gehörte einst einem Volk aus mächtigen Zauberern und Kämpfern an, doch ist er seit sechzehn Jahren Sklave im Imperium der Derzhi, seiner Kräfte beraubt. Abgestumpft und ohne Hoffnung beginnt er den Dienst bei seinem neuen Herrn Aleksander, dem Kronprinzen der Derzhi, der sich als grausamer und unbedachter junger Mann entpuppt. Doch eines Tages entdeckt Seyonne in ihm mit den Resten seiner früheren Fähigkeiten die Kraft, die Welt zu verändern – und genau dies hat er einst geschworen zu beschützen. Denn die Dämonen, die aus ihrer eisigen Heimat in die Seelen der Menschen eindringen, um sich an menschlichem Leid  zu nähren, haben die außergewöhnliche Seele des Prinzen schon entdeckt und trachten danach, sie sich zu Nutzen zu machen.

-Ezzarian prophets say that the gods fight their battles within the souls of men and that if the deities mislike the battleground, they reshape it according to their will.-
Chapter 1

Dieses ungewöhnliche Erstlingswerk hat viele Stärken, eine davon ist das an klassische Abenteuerromane erinnernde Wüsten-Setting, in dem das Geschehen angesiedelt ist und das Carol Berg auch gut zu nutzen weiß. Jenseits von allen Elfen-und-Zwerge-Stereotypen wird zwar nicht bis ins Kleinste ausgearbeitet, aber stimmig und überzeugend  eine Wüstenkultur dargestellt; nebst dieser alt-orientalisch angehauchten Umgebung spielt noch ein keltisch anmutendes Volk eine Rolle, das aber so eigenständig entwickelt ist, daß die Ursprünge am ehesten noch in der Namensgebung und einer magielastigen Lebenswelt zu finden sind.

Die Darstellung von Magie folgt in Transformation (Das Tor der Verwandlung) ohnehin einem eigenen Konzept – magische Handlungen sind zweckgebunden und streng reglementiert und definieren sich aus kulturellen und mythologischen Mustern (etwa die Waffen des ‘Wächters’, der Seelen vor Dämonen schützt: Spiegel und Silbermesser).
Diese Magie ist Kern der Handlung und folgt damit keinen ausgetretenen Pfaden – der Sklave entpuppt sich weder als heimlicher König noch als formbarer Held,  sondern ist vielmehr längst nicht mehr der Jüngste und benimmt sich auch dementsprechend sklavenhaft, was dem Leser zu Beginn einen sehr desillusionierten Hauptcharakter beschert, der sich mit trockenem Humor mehr schlecht als recht über Wasser hält. Die Geschichte gewinnt aber schnell an Dynamik und Spannung und schaukelt sich zu einem furiosen Finale auf, das von einem stimmigen Schluß abgerundet wird.

Der Protagonist berichtet seine Abenteuer als Ich-Erzähler , und diese Technik beherrscht Carol Berg so gut, daß selbst eingefleischte Verächter dieses Stils hier zugreifen dürfen. Seyonne erweist sich als vielseitig genug, um Einseitigkeit zu vermeiden. Man erlebt die Ereignisse aus erster Hand, ohne daß die üblichen Schwächen des Ich-Erzählers wie unglaubwürdiger Spannungsaufbau ins Gewicht fallen würden. Die Charaktere sind extrem plastisch, die Entwicklungen, die sie durchmachen, glaubhaft – in der Wandlung der Hauptcharaktere liegt die große Stärke der Autorin.
Bleibt nur zu sagen, daß der Band zwar als erster Teil einer  Trilogie fungiert, aber in sich abgeschlossen ist und duchaus als Stand-Alone gelesen werden kann.

Trapped von Kevin HearneEigentlich sind Atticus’ Ansprüche recht niedrig, möchte er doch nichts weiter als Granuailes Training beenden und ihre Tattoos auftragen, die sie zu einem vollwertigen Druiden machen und ihr die Fähigkeiten verleihen, die sie zum Überleben braucht. Doch bevor Atticus sie an die Erde binden kann, platzt Donnergott Perun in die Szene, dicht gefolgt von Loki. Das russische Götterreich wurde völlig niedergebrannt von dem nordischen Gott der Lügen, der sich zu früh aus seinem Gefängnis befreit hat. Steht Ragnarök nun ein ganzes Jahr früher bevor als gedacht? Und wird es Atticus gelingen, seine Schülerin an die Erde zu binden, bevor er, sie oder beide getötet werden?

– When in doubt, blame the dark elves. –

Im nunmehr fünften Teil der Iron Druid Chronicles wird Atticus von dem Chaos eingeholt, welches er zwölf Jahre zuvor in Asgard verursacht hat. Loki wurde zu früh befreit, Donnergott Perun, seiner Heimat beraubt, sucht Unterschlupf im Reich der keltischen Götter, wo er nichts anbrennen und seinen rustikalen Charme spielen lässt. Irgendwo dort befindet sich vermutlich auch ein Verräter, der oder die gleich mal Attentäter in Form von u.a. Dunkelelfen auf Atticus und Granuaile ansetzt. Dunkelelfen sind nicht nur grundsätzlich zu beschuldigen, sondern auch ernst zu nehmende Gegner, wie Atticus wenig begeistert feststellen muss. Zwerge rasieren sich nebenbei auch noch die Bärte ab und die Vampire sind ebenfalls nicht fern. Wurden die Mörder-Clowns schon erwähnt?

Eines kann man über Trapped gleich sagen: es passiert verdammt viel!

Nicht nur, dass sich nordische, keltische, griechische und römische Mythologie und ihre verschiedenen Götter die Klinke in die Hand geben, es tut sich auch einiges im Bereich Charakterentwicklung. Es gibt tiefe Einblicke in Atticus früheres Leben, Granuaile tritt zum ersten Mal als Druidin auf (und was für eine!) und das keltische Reich Tír na nÓg wird deutlicher in den Mittelpunkt gerückt. Sehr gefallen dürfte auch, dass in Trapped verschiedene lose Handlungsstränge aus den vorherigen Bänden eine würdige Zusammenführung finden. Trotz der vielen Ereignisse in diesem Band hat man dabei erfreulicherweise nie das Gefühl, der Autor überstürze etwas oder arbeite eine Art Einkaufsliste ab. Die Geschichte ist wieder sehr gut gelungen und die gewohnte Portion Humor ist freilich auch mit dabei.

Trapped bietet letztlich alles, was sich der eingefleischte Fan dieser Serie nur wünschen kann. Die Handlung ist stimmungsvoll, glaubhaft, zum Brüllen komisch, ein bisschen sexy, ein bisschen romantisch und außerdem spannend bis zum letzten Moment. Wie der Appetit auf Popcorn außerdem brenzlige Situationen auflösen kann, erfährt man ebenfalls in diesem Band.
Für einen kurzen Moment Panik bei der Leserschaft sorgt eventuell das unerwartet offene Ende, welches unseren Druiden in einer Situation verlässt, die man nur als haarsträubend bezeichnen kann. Manchmal fragt man sich schon, wie viel Steigerung geht da eigentlich noch?
Die Empfehlung zum Schluss lautet also: Legt euch Hunted rechtzeitig als Reserve auf den Bücherstapel!

Sonstiges:
Es ist nicht unbedingt nötig, aber es lohnt sich doch, vor Trapped die Kurzgeschichte Two Ravens and One Crow gelesen zu haben. Trapped nimmt häufiger Bezug auf die dortigen Ereignisse und fasst sie im Roman nur sehr kurz angebunden zusammen.

Cover von Die Träumer von Kendra von Elizabeth A. LynnKendra ist die prachtvollste Stadt im Land Arun, die Metropole der Handelsherren und Kauffahrer. Hier lebt das Mädchen Sorren als Leibeigene einer großen Handelsfamilie, bis sie eines Tages im Traum einen Ruf aus der Vergangenheit erhält. Dort, wo einst ihre Vorfahren herkamen, steht es nicht zum besten, und Sorren muss ihre Stadt und ihre Liebe verlassen, um den Wächtern der sagenumwobenen Festung Tornor in ihrem letzten Kampf beizustehen – dem Kampf gegen das Vergessen …

-Ich hasse dich, dachte Sorren und meinte damit das Meer. Die salzgeschwängerte Sommerluft machte sie müde. Der Goldreif, den Arré ihr für die Einkäufe gegeben hatte, hatte auf ihrem Arm eine rote Drucklinie hinterlassen.-
1. Kapitel

Auch im letzten Teil der Trilogie, die erneut etwa 100 Jahre später spielt, bleibt sich die Autorin treu: Der Erzählstil baut eine komplexe und fesselnde Welt auf, die den Leser sofort mitreißt. Die ganze Welt hat im Laufe der Trilogie eine unglaubliche Lebendigkeit gewonnen und wird nun noch weiter ausgebaut. Spielte der erste Band im hohen Norden, der zweite in der “Mitte”, so wird die Handlung diesmal in den äußersten Süden verlegt. Im Roman selbst werden zwei Schicksale erzählt: Sorren kommt ursprünglich aus dem Norden und wünscht sich nichts sehnsüchtiger, als endlich wieder dahin zurückzukehren. Als Leibeigene der Arré Med jedoch muss sie erst ihre Dienstzeit hinter sich bringen. Arré ist die zweite Hauptperson, sie hat mit Intrigen und Machtspielen im Rat der Häuser von Kendra zu kämpfen. Mit einem unglaublichen Gespür für Details erzählt die Autorin die Wege und Schicksalsschläge der Personen und schafft es dabei sogar, das recht trockene Thema “Politik” spannend dem Leser zu vermitteln. Dieses Thema ist es auch, das den Hauptteil des Buches einnimmt. Erst gegen Ende hin rückt dann die Festung Tornor Keep wieder in den Mittelpunkt, was aber dem Lesespaß keinen Abbruch tut.
Das Buch jedenfalls macht Lust auf mehr, zu schade, dass die Autorin danach lange nichts mehr geschrieben hat.

Traveller von Richard AdamsNachdem das Pferd Traveller eine schöne Zeit als Fohlen erlebt hat, hört es immer wieder, daß viele Pferde in den Krieg ziehen, und bald auch ist er selbst unterwegs zu diesem seltsamen Ort, den unbedingt alle erreichen wollten. Nach einigen Besitzerwechseln und ersten schrecklichen Kriegserlebnissen geht Traveller endlich in den Besitz seines richtigen “Meisters”, General Robert E. Lee, über und dient ihm treu durch den ganzen amerikanischen Bürgerkrieg hindurch.
Nach dem Ende des Krieges hat er ein schönes Leben im Ruhestand und erzählt dem teilweise im Stall residierenden Kater Tom Beißer seine Erinnerungen an die schreckliche Zeit …

-Die blauen Männer! Die blauen Männer! Sie sind hinter uns gelangt, sie sind da drin unter den dichten Bäumen.-
1

Ein Kriegsveteran, der seine Erinnerungen teilen will, gibt sie wohl immer auf ganz subjektive, eigene Art und Weise preis, und so erzählt in Traveller Robert E. Lees gleichnamiges Pferd auch dem Stallkater Stück für Stück seine ganze Lebensgeschichte, berichtet vom Krieg mit dem Verständnis eines Pferdes. Allerdings ist Traveller – auch für ein Pferd, wie man erfährt – eher simpel gestrickt, aber eine durch und durch gute Seele; und er spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase ist das ein wunderbar lebensnaher Stil – im Original war es wohl tiefster Südstaatenakzent, und die Übersetzung ist ein einfach gehaltener Soziolekt, der ganz hervorragend zu Travellers Charakter paßt.

Zusammen mit Traveller und dessen Herrn, Marse Robert, der für das Pferd das Gute in der Welt repräsentiert und damit sehr liebevoll dargestellt ist, erlebt der Leser den amerikanischen Bürgerkrieg auf der Südstaatenseite. Kaum nötig zu erwähnen, daß sämtliche Details minutiös exakt recherchiert wurden, bei der Fülle an Informationen und Umsetzungen, die zu diesem Thema schon zu haben sind. Wer nun ein blutiges, für Mensch und Tier leidvolles Gemetzel erwartet, liegt nur teilweise richtig. Aus Travellers etwas eingeschränkter Perspektive rauscht das Geschehen regelrecht am Leser vorbei – teilweise auch ohne große Abwechslung mit seitenlangen Wanderungen durch den Matsch und immer wieder aufflackernden Scharmützeln. Die großen Ereignisse werden eher beiläufig berichtet – Traveller versteht die Menschen und ihren Tötungswahn ohnehin nicht – und nur an wenigen Stellen rücken einzelne Grausamkeiten in den Blickpunkt. Allgegenwärtig sind allerdings das langsame Ausmergeln und die Strapazen während des langen Feldzuges.
Das Geschehen ist in viele chronologisch ablaufende Episoden zerpflückt, die Traveller nach und nach Tom Beißer erzählt, und läßt sich daher auch recht gut in Häppchen lesen. Zwischendurch stehen hin und wieder neutrale Passagen, die den genauen Ablauf des Krieges zum Inhalt haben. Und die hat man als Leser – sofern man nicht ohnehin mit der Materie vertraut ist – auch bitter nötig: Traveller, einfach gestrickt und das Pferd, das er nun einmal ist, leidet nämlich an einer katastrophalen Fehleinschätzung der Ereignisse und ist damit ein unzuverlässiger Erzähler, wie er im Buche steht.

Durch die einzelnen Häppchen ist Traveller nicht so sehr für eine spannende, durchgehende Handlung ausgelegt – es handelt sich eher um einzelne Episoden zwischen Mensch und Pferd, erzählt aus einer in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlichen Perspektive. Aber aus dem Flickwerk ergibt sich nach und nach ein großes Bild, eine Pferdebiographie, eine halbe Menschenbiographie aus einem neuen Blickwinkel, eine andere Geschichte des Bürgerkriegs und eine enthüllende Betrachtung des Menschbleibens in unmenschlichen Zuständen.
Mythische Aspekte und ein drängendes Tempo fehlen vielleicht in dieser Tierfantasy, Richard Adams’ gewohnte tiefgehende Wärme ist der Geschichte aber erhalten geblieben, und spricht besonders auch aus dem versöhnlichen Ende des Romans.

Tricked von Kevin HearneAtticus’ Auftritt in Asgaard hat dem Druiden mehr als genug Feinde gemacht und ihm und Granuaile bleibt nichts anderes übrig, als unter neuer Identität ein anderes Leben anzufangen. Im Navajo Reservat scheint die nötige Ruhe gegeben, bis Coyote, trickreicher Gott der Navajos, einen Gefallen bei Atticus einfordert. Kaum angekommen sehen sich Atticus, Granuaile und Wolfshund Oberon einer weiteren schlecht gelaunten Gottheit sowie einem Duo von Gestaltwandlern gegenüber, und ein neuer Vampirchef gibt sich ebenfalls die Ehre. Da bleibt nicht viel Zeit für Ruhe und Glückseligkeit.

– The best trick I ever pulled off was watching myself die. –
Chapter 1

Man muss diese Buchreihe aus vielen verschiedenen Gründen einfach lieben. Der Humor, die ungezwungene Leichtigkeit, die rasante Action und selbstverständlich die unvergleichlichen Lacher. Oberons Obsession mit Speck erreicht einen neuen Höhenpunkt, als ihm die Geschichte von Francis Bacon (BACON!) erzählt wird, und die Morrigan lässt keine Gelegenheit ungenutzt, um die Leserschaft beschämt den Kopf schütteln zu lassen.
Positiv hervorzuheben ist an der Stelle auch, dass wir mehr über Atticus’ Vergangenheit erfahren, wie er nach Amerika kam, wie er mit dem Mythos von Big Foot in Verbindung steht und vor allem gibt es nun eine erste nicht abwegige Erklärung dafür, weshalb Atticus selten in Erinnerungen schwelgt oder generell nur wenig in der Vergangenheit lebt und sich lieber dem Zeitgeist anpasst. Hat man 2.000 Jahre erlebt und hinter sich, was Atticus bereits an Erfahrungen gesammelt hat, so ist es vermutlich nicht unrealistisch ein Meister der bewussten Verdrängung zu sein, um sich selbst zu schützen. Man stelle sich all die Verluste im Verlaufe eines so langen Lebens vor!

Doch zurück zum Kern! In Tricked dreht sich die Haupthandlung diesmal hauptsächlich um die indianische Mythologie, die mit interessanten Motiven aufwartet, ein paar neue Charaktere einführt und Gott Coyote in Bestform zeigt.
Nach den verheerenden Zuständen, die Druide Atticus mit seinem Eindringen in Asgaard in Hammered hinterlassen hat, schlängelt er sich nun zunächst etwas zu geschmeidig aus der Misere, indem er mit Hilfe des trickreichen Coyote seinen Tod vortäuscht, und niemand stellt das infrage. Während einem an dieser Stelle erste Zweifel an der Vorgehensweise des Autors kommen, lauert hinter der nächsten Ecke aber schon wieder der Preis für die viel zu leichte Lösung. Denn Coyotes Hilfe kommt den Druiden teurer zu stehen, als dieser erwartet hatte. Im Reservat, wo Atticus lediglich eine Goldader verschieben sollte, tummeln sich Gestaltwandler, mit denen Coyote sich lieber nicht selbst befassen will, und die blutige Drecksarbeit daher Atticus aufzwingt. Angefacht durch Hel, nordische Göttin der Unterwelt, die es sich im gestohlenen Körper einer toten alten Lady bequem gemacht hat, landet da schonmal der ein oder andere knackige Druidenhappen schnell im Magen einer dieser dämonischen Kreaturen. Damit noch nicht genug hat Atticus’ alter Vampirfreund Leif nach seiner annähernden Zerstörung durch Thors Hammer ganz eigene Probleme, die er ebenfalls mit Atticus’ erzwungener Hilfe zu lösen gedenkt und dabei auch zu Mitteln greift, die alles andere als freundschaftlich sind. Die Opfer sind vorprogrammiert und Atticus’ Zorn damit sicher.
Tricked ist, wie der Titel schon sagt, voller Versteckspiele, Verrat, hinterlistigen und eigennützigen Entscheidungen und alle gehen sie auf Kosten von Atticus und derer, die ihm nahe stehen.

Hier und da gibt es sicherlich ein paar Knackpunkte, die bei längerer Betrachtung nicht ganz überzeugend rüberkommen. Die kleinen Mankos werden allerdings von so vielen positiven Faktoren überlagert, dass man gerne weiter darüber hinweg sieht.
Auch die wenigen offenen Enden dienen wohl der Fortsetzung in kommenden Bänden und sind daher positiv zu sehen. Die Serie und ihre Charaktere entwickeln sich stetig weiter und werden zu einem immer besser funktionierenden, sehr unterhaltsamen Gefüge, das man nicht verpassen sollte.

Die Triffids von John WyndhamNach einem weltweit kosmischen Ereignis, bei dem sich der Himmel vorübergehend grün färbte, ist die Zivilisation zusammengebrochen. Jeder, der das grüne Licht beobachtet hat, ist wenige Stunden später erblindet. Glück im Unglück für Bill Masen, der durch einen Arbeitsunfall zum fraglichen Zeitpunkt eine Augenbinde tragen musste und der Erblindung dadurch unfreiwillig entgehen konnte. Als er nach Tagen im Krankenhaus aufwacht und weder Schwestern noch Ärzte auf seine Rufe reagieren, entblättert sich vor ihm eine Welt im Chaos. Doch damit noch nicht genug, die Triffids – fleischfressende, intelligente und lauffähige Pflanzen, die in riesigen Farmen als Nutzvieh gehalten und gezüchtet wurden – sind ausgebrochen und machen Jagd auf die Menschen.

– »Da haben Sie’s. Da haben Sie den Beweis. Sie haben nicht zugeschaut: Sie sind nicht blind. Alle anderen haben zugeschaut« – er schwenkte vielsagend den Arm – »alle stockblind. Hat alles der verdammte Komet angerichtet, sag’ ich.«
»Alle blind?« wiederholte ich.
»Alle. Ohne Ausnahme. Wahrscheinlich auf der ganzen Welt.« Dann besann er sich. »Nur Sie nicht. Sonst alle.« –
Kapitel 1, Das Ende beginnt

Die Triffids (The Day of the Triffids) ist ein kleines Buch mit großem Inhalt. Auf nicht einmal 200 Seiten schafft es der Autor, ein hervorragendes Buch abzuliefern, ohne unnötige Längen oder störende Nebenhandlungen. John Wyndham serviert seinen Lesern hier ein Szenario zum Nachdenken. In flüssiger und betont sachlicher Herangehensweise beschreibt Die Triffids eine Invasion der etwas anderen Art. Nicht Aliens, Zombies oder Vampire fallen hier über die Welt her, sondern semi-intelligente Pflanzen. Dieser postapokalyptische Science-Fiction Klassiker, geschrieben im Jahre 1951, kommt anfangs etwas schwer in Fahrt und wirkt eher zäh und trocken. Hat man diese Hinführung jedoch gemeistert, baut die Handlung stetig Spannung auf und bedient sich dabei bewährter Elemente: eine Katastrophe, welche die Menschheit praktisch über Nacht unfähig macht, für sich selbst zu sorgen, eine Bedrohung, die der Mensch selbst herangezüchtet hat und nun nicht mehr kontrollieren kann, ein Kampf ums Überleben weniger verschont gebliebener Personen und der Einblick in die Charakterstärke und -schwäche des Menschen. Im Zentrum stehen dabei die Menschen selbst, ihre unterschiedlichen Reaktionen auf diese gravierende Umstellung: von Überlebenskampf, Tragik und Hoffnung bis hin zum religiösen Fanatismus. Soll man den Schwachen helfen und vielleicht mit ihnen zu Grunde gehen? Oder kümmert man sich nur um sich selbst, damit wenigstens die Starken eine Chance haben zu überleben? In diesem Szenario sind die Schutzbedürftigen auch einmal nicht per se gut und rechtschaffen dargestellt, sondern haben ebenso niedere Absichten wie unversehrte Menschen.
Der weitgehende Verzicht auf spezifische Angaben zu Architektur oder Technik lässt Die Triffids dabei auch 60 Jahre nach der Entstehung noch zeitlos wirken.

Erzählt wird dieser Roman aus der Sicht von Bill Masen. In seinen persönlichen Aufzeichnungen schildert er die Vorgeschichte der Triffids und seine Erlebnisse in einer plötzlich von Anarchie beherrschten Welt. So wie er selbst bleibt auch der Leser im Unklaren darüber, was wirklich zu der Katastrophe geführt hat, und so teilt man die Ungewissheit, Gedanken und Sorgen dieses lebendig gezeichneten Protagonisten. Die Triffids selbst spielen dabei gar keine so große Rolle, wie es der Titel vermuten lässt. Vielmehr vertiefen und beschleunigen sie nur die Konflikte und Ängste, in denen sich die Überlebenden befinden. Sie zeigen auch, wie schnell der Mensch durch eine solche Katastrophe als Anführer der Nahrungskette abgelöst werden und durch eine dominantere Spezies ersetzt werden kann. Im Roman tauchen die Pflanzen selbst jedoch nur sporadisch auf.

Sprachlich ist dieser Roman vielleicht ein wenig gewöhnungsbedürftig. Den insgesamt sehr sachlichen Ton verliert das Buch bis zum Schluss nicht, das ist der Geschichte jedoch eher zuträglich und macht die Ereignisse umso wirkungsvoller. Einstellen muss man sich dagegen auf die Sprachverhältnisse der 50er Jahre, in denen doch deutlich mehr (aus heutiger Sicht) Fremdworte ihren Platz im täglichen Sprachgebrauch hatten und auch Formulierungen so heute nicht mehr gebräuchlich sind und etwas geschwollen oder seltsam wirken. Dessen ungeachtet verdient Die Triffids aber eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle Endzeit-Interessierten.

Verfilmung:
Das Buch wurde bisher dreimal verfilmt. Erstmals 1962 unter dem Titel The Day of the Triffids (Blumen des Schreckens) mit Howard Keel in der Hauptrolle. Unter gleichem Titel erschien 1981 eine sechsteilige Mini-TV-Serie, die in Deutschland jedoch nie ausgestrahlt wurde.
Die jüngste Verfilmung stammt aus dem Jahr 2009, Die Triffids – Pflanzen des Schreckens, und wurde von BBC als Zweiteiler produziert. Die Hauptrolle übernahm diesmal Dougray Scott.

Cover von Die Trolle von Christoph HardebuschIm Land Wlachkis kämpft der junge Rebell Sten cal Dâbran gegen den tyrannischen Herrscher Zorpad. Doch eines Tage verlässt ihn sein Glück, und er endet – in einem Metallkäfig ausgesetzt – mitten in den dichten Wäldern. Dort wird er ausgerechnet von Kreaturen gerettet, die er eigentlich für Märchen und Legenden hielt: Trolle. Die bösartigen und gewalttätigen Wesen sind an die Oberfläche gekommen, um Antworten zu finden, denn auch ihr unterirdisches Reich wird bedroht. Im Laufe einer gefahrvollen Reise zeigt sich: Nur wenn Menschen und Trolle sich verbünden, kann eine Zeit der Finsternis verhindert werden.

-In den Eingeweiden der Welt, weit unter dem Land, herrschten ewige Wärme und Dunkelheit. Endlose Tunnel und Höhlen zogen sich durch die Knochen der Berge und boten unzählige Verstecke.-
Founding, 1

Der Roman Die Trolle von Christoph Hardebusch führt den erfolgreichen Titelreigen rund um Tolkiens Geschöpfe fort, zu dem auch Markus Heitz’ Zwergenromane und Bernhard Hennens Elfenzyklus gehören. Diesmal dreht sich die Handlung um die namensgebenden Trolle, jedoch wird hier, anders als in anderen Romanen dieser Art, die Geschichte nicht aus Sicht der Trolle erzählt, sondern aus dem Blickwinkel der Menschen, die ihnen über den Weg laufen.
Die Geschichte selbst folgt einem klassischen Questenmuster, das der Autor aber immer wieder variiert. Besonders gut gelungen ist die Skizzierung der Verhältnisse von Gut und Böse, die ja in der Fantasy häufig eindimensional und platt dargestellt werden. Hier jedoch erscheinen nur wenige Handlungsträger als eindeutig definiert, denn obwohl die Trolle grausam und brutal sind, werden sie differenziert gezeichnet. Gleiches gilt für die menschlichen Protagonisten. Mir persönlich hat gut gefallen, dass die fremden Wesen auch tatsächlich fremdartig bleiben und nicht für den Lesefluss “vermenschlicht” werden.
Die Welt ist wunderschön ausgearbeitet, und es macht großen Spaß, sie während des Lesens zu entdecken. Die Beziehungen der Völker untereinander, ihre Geschichte und Kulturen werden detailliert und ausführlich beschrieben. Die vorhandene Magie ist schwach und spielt keine Hauptrolle. Generell erscheint die Welt sehr realistisch und gemahnt an Osteuropa im Mittelalter.
Sprachlich versteht der Autor sein Handwerk und weiß den Leser zu fesseln.
Neben all diesen ansprechenden Faktoren muss aber auch gesagt werden, dass der Roman recht schleppend beginnt, um sich gegen Ende stark im Tempo zu steigern. Dieser langsame Anfang erleichtert nicht gerade den Einstieg, da teilweise allzu ausufernd beschrieben wird. Ein überzeugender Debütroman, der auf mehr hoffen lässt.

Cover des Buches "Trolle, Wichtel, Königskinder" von John Bauer (Illustrator)Trolle, Wichtel, Königskinder ist eine Sammlung von 29 Kunstmärchen verschiedener Autoren, die alle von John Bauer illustriert wurden. Nähere Angaben zum Inhalt findet Ihr in der Buchbesprechung.

-Allmählich wurde es ungemütlich für die Trolle im Großen Wald. Die Menschen verhielten sich immer aufdringlicher.-
Als sich die Trollmutter um die Wäsche des Königs kümmerte

John Bauers Märchenwelt ist in Schweden genauso beliebt wie es die Märchen der Brüder Grimm in Deutschland sind. Ihre große Beliebtheit verdankt die Sammlung aber nicht den in ihr enthaltenen Kunstmärchen bekannter und geschätzter schwedischer Autoren, sondern der Tatsache, dass der Jugendstilmaler John Bauer die Illustrationen dazu geschaffen hat. Ursprünglich erschienen diese Märchenbände jährlich von 1907 bis 1915. Als John Bauer den 1911 erscheinenden Band wegen eines Streits mit seinem Verleger nicht illustrierte, ging der Absatz schlagartig zurück.

Trolle, Wichtel, Königskinder (Bland tomtar och troll) ist ein wahres Kunstbuch. Natürlich soll man auch die Märchen lesen und vorlesen, die ebenso poetisch und stimmungsvoll sind wie die Bilder, aber es ist viel zu schade, um kleine Bücherwürmer unbeaufsichtigt mit ungewaschenen Fingern, unbeholfen und eselsohrgefährlich darin herumblättern zu lassen. 🙂

Die Märchen handeln -das wird Euch jetzt nicht völlig überraschen- von Trollen, Wichteln und Königskindern. Häufig tritt ein kecker, unbekümmerter junger Bursche auf, der einem gefährlichen Troll mutig und listig ein Schnippchen schlägt, es gibt aber auch einen kleinen Jungen, der einen Troll, der ihm übel will, mit seiner Zutraulichkeit und seinem Vertrauen außer Gefecht setzt und ein kleines vierjähriges Mädchen, das mit denselben Charaktereigenschaften einen verbitterten König erweicht. Manche Trolle sehnen sich nach der Menschenwelt, aber die Erkenntnis, die in diesen Märchen steckt, lautet, daß Trolle und Menschen unter sich bleiben sollten. Oft lehren die Geschichten auch, daß wahres Glück, Zufriedenheit und Reichtum nur durch rechtschaffene Arbeit erworben wird und nicht durch magische Wunscherfüllung.
Das anrührendste Märchen trägt den Titel Agneta und der Seekönig. Die schöne Agneta heiratet den Seekönig, der auf dem Grunde des Sees wohnt und lebt glücklich und zufrieden mit ihm und ihren Kindern bis sie eines Tages Glockengeläut hört. Sie erbittet sich von ihrem Mann die Erlaubnis am Gottesdienst teilnehmen zu dürfen. Der Seekönig ist entsetzt, gestattet es ihr aber und nimmt ihr das Versprechen ab, wieder zu ihm und den Kindern zurückzukehren. In der Kirche sieht Agneta ihren Vater und fängt an zu weinen. Der Gottesdienst dauert lange und plötzlich sieht Agneta, wie sich die Heiligenbilder abwenden. Der Seekönig ist gekommen und bittet sie inständig, nach Hause zu kommen, die Kinder sehnten sich nach ihrer Mutter. Aber sie weist ihn mit heftigen Worten zurück und bleibt bei ihrem Vater.
Dieses Märchen von Helena Nyblom bildet mit den Illustrationen von John Bauer eine besonders gelungene Einheit. Es ist zum Erbarmen, wie traurig der Seekönig nackt in der Kirche vor seiner Frau steht. Obwohl man ihn nur von hinten sehen kann, ist die Traurigkeit dieses Mannes, mit dem gesenkten Kopf und den hängenden Schultern, mit Händen zu greifen. Der Seekönig steht vor seiner Frau wie Jesus vor dem Volk, das “Kreuziget ihn!” brüllt. Eigentlich erzählt dieses Märchen von der Verdrängung des heidnischen Glaubens durch das Christentum, aber die Sympathien des Lesers und des Betrachters liegen eindeutig bei dem heidnischen König.

Der Turm von Stephen KingRoland Deschain, der letzte Revolvermann in einer Welt, die sich weiterbewegt hat, steht endlich vor dem Ziel seiner epischen Reise, dem Turm selbst, dem Zentrum aller Zeiten, der Mitte aller Welten. Die Gruppe seiner Gefährten ist auf schmerzliche Weise kleiner geworden, und Mordred und die bösen Kräfte des scharlachroten Königs setzen ein letztes Mal alles daran, Roland doch noch aufzuhalten.

-Und daher, meine lieben treuen Leser, sage ich euch Folgendes: Ihr könnt hier aufhören.-
Bär und Knochen

Das ist es also. Das Ende des Zyklus um den Dunklen Turm. Nach 16 Jahren (der erste Band erschien auf Deutsch 1988 als Schwarz) und den wildesten Abenteuern in diversen Welt- und Zeitebenen kommt die Gruppe (Ka-Tet) des Revolvermanns Roland an das von ihnen (und dem Leser) heiß ersehnte Ziel. Nach so vielen Jahren und mehreren tausend Seiten Handlung ist die Erwartungshaltung des Lesers so hoch wie die Seitenzahl. Kann ein Autor diesem Druck überhaupt standhalten? Ich habe mir gewünscht, dass King seiner Reihe einen würdigen Abschluss verleihen kann, ein Ende, das alle Handlungsstränge auflöst und den Leser zufrieden zurücklässt. Vor allem wünschte ich mir einen “Aha-Effekt”, etwas beispiellos Überraschendes: Was ist im Dunklen Turm? Was geschieht mit Roland, wenn er ihn erreicht? Was oder wer ist der scharlachrote König?
Um es kurz zu machen: Leider kann Stephen King keine der (hohen) Erwartungen erfüllen.

Eine Rezension ist unmöglich ohne Rückblick auf die vorherigen Bände, auch Spoiler lassen sich nicht ganz vermeiden. Wer den letzten Band selbst lesen möchte, sei an dieser Stelle gewarnt.
Der dunkle Turm ist für Stephen King eine Obsession. Spätestens gegen Ende von Band V und mehr noch in Band VI hatte ich den Eindruck, dass er den Zyklus zu einem Abschluss bringen und zugleich bis in alle Ewigkeit von einer Reise ohne Ziel erzählen wollte. Nun ist aber Band VII der Letzte, auf die eine oder andere Weise müssen jetzt also alle Handlungsstränge zusammengeführt werden. In einer so komplexen Geschichte wie dem Dunklen Turm ein ambitioniertes Vorhaben, und genau darin liegt das Problem:
Die schiere Unzahl an aufzulösenden Strängen führt dazu, dass King fast mechanisch die einzelnen Punkte (Personen, Orte, Dinge, etc.) abhakt, was zu regelrecht absurden Situationen führt, etwa wenn Rolands Nemesis, der über alle Bände als Oberschurke aufgebaute Walter O’Dim (auch bekannt als Randall Flagg) bereits im ersten Drittel des Buches von Rolands Sohn Mordred beiläufig getötet wird. Aber auch Mordred, um den sich immerhin fast der ganze Band VI dreht, wird reduziert auf wenige, nur noch sporadisch eingestreute Kapitel.

Dies hinterlässt ein schales Gefühl. Was soll ich davon halten, dass behutsam aufgebaute Elemente (u.a. die Schildkröte, die schwarze 13, Mordred, Walter O’Dim, u.v.m), denen hunderte von Seiten gewidmet waren, plötzlich als “unwichtig” gelten und Knall auf Fall aus der Geschichte befördert werden? Dass der Autor keine Lust mehr hatte, sich damit zu befassen und lieber auf den allerletzten Seiten völlig neue Bausteine (z.B. den Künstler Patrick Danville) erfindet, die nie zuvor auch nur erwähnt wurden und dann doch von entscheidender Bedeutung sind?
Stattdessen baut King sich selbst in immer stärkerem Maße in die Geschichte ein, was spätestens dann albern wird, wenn der Romanheld-King als Autor-King den Helden den entscheidenden Hinweis gibt, um einer drohenden Gefahr zu entrinnen. Diese Katalysatorfunktion ist weder amüsant noch aufregend, sondern selbstzweckhaft und arrogant.

Auf der positiven Seite bleiben einige großartige Szenen, die für einen King-Fan alleine den Kauf von Der Turm rechtfertigen, so z.B. Jakes Erstürmung des Nachtclubs gleich zu Beginn oder die Lebensgeschichte von Ted Brautigan mit anschließendem Angriff auf die Brecherunterkünfte gegen Mitte des Romans. Auch Kings einzigartige Fähigkeit zur Erschaffung noch so beiläufiger Nebenfiguren ist spürbar und sei an dieser Stelle erwähnt. Sprachlich aber fällt vor allem die zunehmend wirre Verklausulierung (Can-No-Rey, Dan-Tete, An-Tete, Und-noch-mehr-Tet) auf.

Vom Ende, dem Erreichen des Dunklen Turms selbst, will ich nur so viel verraten: Es ist verblüffend und doch fade. Vielleicht hätte es dem Epos besser gestanden, auf eine simple aber geradlinige Weise zu enden als eine pseudo-artifizielle Wendung zu nehmen. Mir scheint es bezeichnend, dass King vor dem letzten Kapitel davor warnt, das Ende seines eigenen Buches zu lesen. Und was ich immer noch nicht weiß: Was ist der scharlachrote König?
Der Turm bietet mit Abstrichen die ordentliche Unterhaltung, die ein King immer bietet, als Gesamtwerk (und auch als Abschluß seines vollmundig beworbenen Epos) ist er aber leider (um es mit Kings eigener Formulierung auszudrücken) nur ein Bumhug. Vielleicht war aber die Meßlatte von Band I-IV auch einfach zu hoch.

Cover des Buches "Der Turm der Göttin" von Jane GaskellCija ist die Tochter der Königin, deren Geschlecht sich von den Göttern ableitet. Um eine Prophezeiung, die Fremdherrschaft für das Land verheißt, zu verhindern, wurde sie siebzehn Jahre lang in einem Turm fernab der Gesellschaft gehalten, doch nun verlangt der mächtige Feldherr Zerd, der mit seinen Truppen das Land besetzt hält, einige Geiseln, so auch Cija. Sie erhält die Aufgabe ihn zu verführen und dann in der Nacht zu ermorden. Zerd aber scheint zunächst an ihr nicht interessiert zu sein, sein Ziel ist es, das ferne und unerreichbare Atlantis zu erobern. Dazu jedoch benötigt er die Flotte des Südreiches. So macht sich Cija, die Tochter der Götter, auf eine lange Reise in den tiefen Süden, auf der sie in der Gesellschaft immer tiefer sinkt…

-Von keinem anderen Fenster aus kann ich die Dinge so gut sehen.-
Der Turm

Das Geschehen findet wohl in einem prähistorischen Mittel- und Südamerika statt, es könnte aber genauso auf einer Sekundärwelt stattfinden, so wenig hat diese Welt mit der unseren gemein. In Cijas Heimat herrscht eine matriarchalische Dynastie, die allerdings von den Priestern stark unter Druck gesetzt wird. Die Nordländer, deren Feldherr Zerd ist, haben einen sehr militaristischen König als Herrscher, die Südländer einen militaristischen Gottkaiser.

Bei der Beschreibung der Techniken der Kulturen bleibt Gaskell einigermaßen vage: Es gibt Bauern, die Pflüge und künstlichen Dünger benutzen, Brennstoffhändler, die mit Torf und Holz handeln, prachtvolle Steinbauten und Springbrunnen. Großer Reichtum Weniger ist mit allgemeiner Armut gepaart. Die Soldaten nutzen Speere und Schwerter, die Nordländer reiten große straußenähnliche Reitvögel, die Südländer Pferde. Die sehr phantasievoll und prachtvoll herausgeputzten Frauen werden z.T. detailliert beschrieben. Gaskell hat eine sehr originelle Welt geschaffen, die bis heute ungewöhnlich geblieben ist.
Die magischen Elemente sind jedoch auf einem sehr niedrigen Niveau angesiedelt, z.T. muss der Leser schon genau hinsehen um eines als solches zu erkennen. Einige sind jedoch für den Verlauf der Geschichte nicht unerheblich.

Die phantastischen Elemente, die sich am Feldherrn Zerd manifestieren, gehören zu den weniger bedeutsamen, aber dafür offensichtlicheren, denn seine Mutter entstammt einer dunkel-schuppigen nicht-menschlichen Rasse, nur sein Vater war ein Mensch. Zerd selbst hat ebenfalls eine Haut wie von einer Schlange – daher rührt auch sein Spitzname: Der Drache.
Zerd ist ein begnadeter Feldherr und gewiefter Politiker, auch physisch ist er herausragend, dennoch ist er kein Übermensch – auch er kann nur das Machbare schaffen. Er kann grausam und hart sein, aber auch mitfühlend und freundlich – generell scheinen andere Menschen aber nur Instrumente für ihn zu sein.

Cija ist die Hauptperson, die ihr Tagebuch schreibt. Da sie Gespräche z.T. wörtlich wiedergibt, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen, wenn Cija jemand ihr Verhalten vorwirft. Sie ist feinfühlig und naiv, auch wenn sie  sehr schnell und sehr viel hasst, so wird sie doch eher von ihrem Mitgefühl bestimmt. Sie ist nicht dumm, denn sie hat in ihrer Jugend ihre Bibliothek ausgiebig genutzt. Daher kann sie z.B. erkennen, dass die meisten Männer nur den Körper der Frauen gebrauchen und deren Aussehen relativ egal ist – dennoch will sie Zerd, den sie doch hasst, gefallen und schön für ihn aussehen.
Mal reflektiert sie bewusst über derartige Zwiespältigkeiten, mal nicht. Je nachdem, in welcher Lage sie sich gerade befindet, übernimmt sie passende Ansichten, um sich in der Situationen zurecht zufinden – sie ist auf der Suche nach einer Gemeinschaft, der sie sich anschließen kann, dafür gibt sie viele ihrer alten Positionen auf.

Daneben gibt es noch unzählige weitere Figuren, einige spielen größere Rollen, wie Smahil, der auch eine Geisel ist, die ungewöhnliche Priesterin Ooldra, die kleine Narra, die Cija verehrt oder die Schönste, welche die Konkubine Zerds ist, andere treten nur kurz auf. Alle Figuren wirken glaubwürdig, vielfach streiten kleine Eitelkeiten, das Gewissen und Rationalität der Figuren miteinander. Auch ist es der Autorin gelungen eine ungewöhnliche Bandbreite von Charakteren darzustellen. Die Figuren sind sicherlich eines der Glanzstücke der Geschichte.

Cija beschreibt in ihrem Tagebuch ihren Alltag, der allerdings von Leiden massiv geprägt ist. Auch wenn Cijas Geschichte zunächst einigermaßen geradlinig aussieht, wird sie im Laufe der Zeit doch immer verworrener und zielloser.
Es werden viele unangenehme Themen angeschnitten: Es geht um Gewaltanwendung als Strafmaßnahme und aus Langeweile, es geht um Vergewaltigung und die Stellung der Frau in der Gesellschaft, insbesondere wenn ein feindliches Heer in ein Territorium eindringt, Armut, Sklaverei, Fremdenfeindlichkeit und Genderbending. Vieles davon erfährt Cija am eigenen Leib, so muss sie sich eine Zeit lang als Junge verkleiden und lernt einen Jungen kennen, der lieber eine Frau wäre. In seinem Heimatdorf würden ihn die Mitbewohner töten, würden sie von seiner “Perversion” erfahren.

Auch wenn es sich vielfach ausgedehnte Beschreibungen gibt, besonders am Anfang, ist die Geschichte doch spannend und der Leser will erfahren, wie es mit Cija weitergeht. Als Manko könnte man aber die vielen Zufälle, die sich ereignen, werten. Der Stil ahmt den eines Tagebuchs tadellos nach, selbst die Wandlungen, denen Cija unterliegt, werden leicht angedeutet.
Jane Gaskell hat The Serpent als einen Roman verfasst, erst später wurde dieser zweigeteilt – in den “ersten” Band The Serpend/Der Turm der Göttin und den “zweiten” Band The Dragon/Der Drache, das Ende ist daher nicht besonders befriedigend – man muss dafür schon den “zweiten” Teil lesen.

Two Ravens and One Crow von Kevin HearneWenn die Morrigan an die Tür klopft und einem sagt »wir verreisen«, dann ist das keine Bitte, sondern eine Aufforderung zu packen. Als sich Atticus mit genau dieser Situation konfrontiert sieht, ahnt er, dass ihm kein Wellness-Ausflug angeboten wird und die Wiederherstellung seiner Tattoos nur eine Ausrede für größere Pläne darstellt, die einmal mehr mit unliebsamen Gefahren einhergehen.

– What would it be like, I wonder, if humans could slobber as freely as dogs? There’s no social stigma for dogs when they slobber and it looks like a lot of fun, so envy them that freedom. –

Wichtige Info vorweg: Diese Kurzgeschichte (IDC #4.5) spielt zwischen den Romanen Tricked und Trapped und enthält eindeutige Spoiler zu ersterem. Außerdem überbrückt sie den recht großen Zeitraum von zwölf Jahren zwischen den beiden Romanen und sollte daher in jedem Fall innerhalb der chronologischen Reihenfolge gelesen werden.

Two Ravens and One Crow setzt sechs Jahre nach den Ereignissen von Tricked an. Atticus steckt mitten in der Ausbildung von Granuaile und hat mit ihr die letzten Jahre unauffällig auf seiner neuen Farm im Navajo-Reservat verbracht. Als die Morrigan ihm einen Besuch abstattet, ändert sich das freilich unverzüglich, denn die hat ein Treffen mit den überlebenden nordischen Göttern vereinbart. Wie man anhand des Titels vielleicht schon erraten kann, trifft man u.a. auf Hugin und Munin, die Raben von Allvater Odin. Ärger vorprogrammiert? – Aber Hallo!
Das ist deswegen spannend, weil einen das Ende von Hammered doch etwas in der Luft hat hängen lassen und die Ereignisse nicht den Eindruck machten schon gänzlich abgeschlossen zu sein. Die vorliegende Kurzgeschichte sorgt nun dafür, dass der Handlungsstrang wieder aufgegriffen wird, und schafft zugleich eine Basis für zukünftiger Bücher.

Die Geschichte liefert wieder sehr viel Humor zum lauthals Auflachen. Die Dialoge zwischen Oberon und Atticus sind zwar in ihrer Anzahl begrenzt, dafür aber von meisterlicher Qualität. In Kombination mit Granuailes wohl platzierten Versuchen ihrem Sensei die Sinne zu rauben wird das Ganze zu einer der bisher herrlichsten Episoden. Insgesamt schwirren in Two Ravens and One Crow eine ganze Menge Hormone durch die Luft, allerdings auf eine unterhaltsame, nicht fingiert wirkende Art und Weise, die man gerne verfolgt.

Während die üblichen Erwartungen an eine Geschichte aus den Iron Druid Chronicles bestens erfüllt werden, gibt es aber auch überraschende Extras. Eines davon ist der tiefere Einblick in den Charakter der Morrigan, die diesmal eine tragende Rolle erfüllen darf und dadurch deutlich an Substanz gewinnt. Sie wirkt gleich menschlicher, etwas weniger berechnend und eiskalt, ja sie weckt glatt Sympathien und man versteht ihre Art zu handeln und zu denken ein gutes Stück besser.
Was Atticus angeht, so wird seine nebulöse Vergangenheit auch in Two Ravens and One Crow weiter aufgedeckt. Man erfährt etwas über die Hintergründe dessen, wie er an das Rezept für seinen Immortalitea gekommen ist, und erlebt ihn zu einer Zeit, da er noch am Anfang seiner Karriere als Druide stand. Wer sich schon die ganze Zeit gewünscht hat, endlich mal ein wenig uralte Luft zu schnuppern, der wird in dieser Kurzgeschichte ein wenig belohnt.

Two Ravens and One Crow ist eine wunderbare Mischung aus Humor und Tiefe, die man als Fan der Buchreihe nicht verpassen sollte. Wer keinen eReader besitzt muss leider dennoch erst einmal auf dieses reine eBook verzichten, wobei »leider« hier sehr groß geschrieben werden sollte. Wer schon immer mit dem Gedanken spielte sich ein solches Gerät zuzulegen, dies wäre die passende Gelegenheit sich einen finalen Ruck zu geben. 😉

Two Serpents Rise von Max GladstoneDie Wüstenmetropole Dresediel Lex ist abhängig von Magie und der Kraft gefallener Götter, um den Durst der Stadt zu stillen. Als Dämonen im Wasserversorgungsreservoir auftauchen, muss Red King Consolidated – ein Unternehmen, das die Funktion der gefallenen Götter ersetzt – herausfinden, ob es sich um einen terroristischen Anschlag handelt oder um einen gewöhnlichen Konkurrenzkampf. Caleb Altemoc, Risk Manager bei RKC und Sohn des letzten Hohepriesters, wird beauftragt herauszufinden, was hinter dem verseuchten Wasser steckt. Was zunächst nach einem einfachen Fall klingt, wird plötzlich zu einer halsbrecherischen Jagd über den Dächern der Stadt.

– A carved black stone altar rose from the center of the roof, large enough to hold a reclining man, or woman, or child. From the iron fence around the altar hung a bronze plaque embossed with a list of dates an victims’ names. –
Book One, Cliff Running

Mit Two Serpents Rise reisen wir erneut in die Welt von Alt Coulumb – dem Handlungsschauplatz in Three Parts Dead – wenn auch nicht zu dessen Charakteren. Autor Max Gladstone bricht mit der gängigen Tradition der meisten Autoren und konzentriert sich in seiner Reihe nicht auf einzelne Figuren, sondern auf die Welt, die er erschaffen hat. In Two Serpents Rise lernen wir daher nicht nur neue Figuren kennen, sondern auch eine gänzlich andere Landschaft und andere Sitten, eben einen anderen Teil von Gladstones vage vertrauter Parallelwelt, die einem ebenso traditionell wie fortschrittlich erscheint.

Dresediel Lex, der Schauplatz dieses Romans, ist anders als Alt Coulumb: eine Stadt, die mitten in der Wüste von Göttern erschaffen und durch Menschenopfer am Leben erhalten wurde. Die beschriebene Architektur und die rituellen Opferungen, die bis zum Sturz der Götter an der Tagesordnung waren, erinnern stark an ein präkolumbisches Vorbild, so dass man als LeserIn unweigerlich die Maya im Sinn hat. Inzwischen sind die Götter abgelöst und Red King Consolidated hat das Sagen. RKC schließt nun als modernes Unternehmen die Lücke, welche die Götter unfreiwillig hinterlassen haben. Keine Menschenopfer, keine persönlichen Verluste mehr, damit die Stadt zu trinken bekommt, sondern moderne Technik und die Magie der Crafter. Man reist entweder per Bus durch die 17-Millionen-Metropole oder, wenn man über das nötige Kleingeld verfügt, per Opteran. Was ein Opteran ist? Ach, Entomologen werden jetzt glänzende Augen kriegen, denn der Opteran ist ein überdimensional großes Fluginsekt, das einst den Göttern diente und nach deren Fall von den Craftern dressiert und zum Flugtransporter umerzogen wurde. Wer es sich leisten kann, chartert also eines dieser langbeinigen Tierchen, lässt sich von ihm in sechs Arme bzw. Beine schließen und bequem über die Stadt fliegen. Es ist vermutlich eine ebenso geniale wie gruselige Idee, je nachdem, wie sypathisch einem die Krabbler sind …
Außerdem wird der (Welt-)Krieg zwischen Göttern und Menschen in diesem Roman zu einem weniger flüchtigen Ereignis, was im dritten Band Full Fathom Five hoffentlich noch weiter ausgebaut wird.

Die Charaktere in Two Serpents Rise haben auch wieder einiges zu bieten. Humor, Vielschichtigkeit, ernsthafte Gedanken, Ängste und mutige Entscheidungen. Egal ob männlich oder weiblich, die Figuren haben es in sich. Allen voran steht natürlich Hauptfigur Caleb Altemoc, der Sohn des letzten Eagle Knight, des letzten Hohepriesters der alten Götter. Ein junger Mann, dessen Körper von rituellen Narben übersät ist und der ein fester Anhänger der modernen Entwicklung ist. Während sich Vater Temoc auf der Flucht vor dem Gesetz befindet und immer mal wieder terroristische Anschläge gegen RKC verübt, hat sich Sohn Caleb also der modernen Entwicklung verschrieben und arbeitet noch dazu für RKC. Man kann also schon erahnen, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein angespanntes ist, und auch die immer mal wieder auftauchenden Einblicke in Calebs Vergangenheit vergrößern die Kluft zwischen diesen beiden Menschen, die doch nicht ganz voneinander lassen können. Max Gladstone schafft es, auch in Two Serpents Rise wieder solide Charaktere zu erschaffen, die alle nicht ganz schwarz oder weiß sind. Als LeserIn wird man regelmäßig gezwungen, die eigene Perspektive zu überdenken und sich die Beweggründe und Argumente aller Parteien einzuverleiben. Es gibt keinen eindeutigen Feind in diesem Roman, so wie es keinen eindeutig guten Retter gibt. Alle Beteiligten agieren meist mit guten Absichten und haben nachvollziehbare Argumente, auch wenn manches Ergebnis zu Lasten anderer geht.
Die traditionellen Menschenopfer spielen eine große und wichtige Rolle in Two Serpents Rise, denn sie sind das Kernelement der Gesellschaft, auf der Dresediel Lex beruht. Durch den Wegfall der Götter entstehen spannende Konflikte in der Gemeinschaft und zwischen den vorgestellten Charakteren. Stärker noch als in Three Parts Dead macht der Autor in seinem zweiten Roman auf die sozialen und psychischen Folgen aufmerksam und wirft dabei interessante Fragen auf. Ist der Kapitalismus wirklich besser als das alte Blutopferverfahren, oder ist er letztlich nur eine andere, eine stillere Form des Menschenopfers?

Wer in Three Parts Dead aufgepasst hat, wird sich außerdem an die Erwähnung der unsterblichen Skelettkönige erinnern. Die wenigen Sätze, die ihnen in Three Parts Dead zugestanden wurden, zeichneten ein recht düsteres Bild dieser Kreaturen. Im zweiten Teil nun lernen wir einen dieser Skelettkönige, den Red King Kopil kennen, und man ist zunächst überrascht, wie menschlich er noch immer ist. Anfangs bleibt Kopil nur der Arbeitgeber, der mächtige Vorstand eines Unternehmens, das die Stadt am Leben hält. Gefürchtet von denen, die nur seinen Namen hören. Doch Max Gladstone haucht diesem Skelett nach und nach eine überraschende Vergangenheit ein, eine leidenschaftliche Überzeugung und eine Suche nach Gerechtigkeit. Es sammeln sich kleine Hinweise darauf, was Kopil dazu getrieben hat, sich gegen die Götter zu erheben und ihren Platz einzunehmen, und man fängt an, ihn nur zu gut zu verstehen.

Auch die weiblichen Heldinnen kommen selbstverständlich nicht zu kurz. Was an der Stelle wieder positiv auffällt, ist, wie wünschenswert alle Charaktere miteinander umgehen. Ob es nun um die sexuelle Orientierung geht oder Geschlechterrollen, irgendwie schafft es der Autor, alle ganz selbstverständlich miteinander leben zu lassen, ohne dass sie dabei unecht oder konstruiert wirken oder in traditionelle Klischees gesteckt werden.

Wem Three Parts Dead gefallen hat, dem ist auch Two Serpents Rise zu empfehlen. Zwar ist die sandige Atmosphäre ortsbedingt eine gänzlich andere, wirkt überschaubarer, weniger monolithisch, aber man ist doch eindeutig noch immer in derselben spannenden Welt.