Bibliotheka Phantastika Posts

Kleine Vorbemerkung: unter dem Stichwort “Colocomicon” wird von nun an eine Comic- bzw. Cartoon-Reihe erscheinen, die sich mit mannigfaltigen Themen rund um’s Buch beschäftigt. Die Reihe beginnt heute mit der Bemühung, Natur- und Geisteswissenschaften einander näherzubringen.

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Hinweis: wenn Ihr MudSS-Wert negatv ist, sollten sie dringend einen Arzt aufsuchen.

Metaflöz

Cover von Die Träume des Jonathan Jabbok von Ralf IsauBibliotheka Phantastika gratuliert Ralf Isau, der heute 55 Jahre alt wird. Die erste offizielle Veröffentlichung des am 01. November 1956 in Berlin geborenen Ralf Isau war das Märchen Der Drache Gertrud (1994), doch so richtig angefangen hat seine Schriftsteller-Karriere ein Jahr später, als mit Die Träume des Jonathan Jabbok der erste Band der Neschan-Trilogie erschien – kurz darauf gefolgt von den Fortsetzungen Das Geheimnis des siebten Richters und Das Lied der Befreiung Neschans (beide 1996). Diese Jugendbuch-Trilogie (in der der gelähmte Titelheld in seinen Träumen die phantastische Welt Neschan besucht und dort als Yonathan im Kampf gegen den bösen Bar-Hazzat bestehen muss) machte Isau schlagartig bekannt und ebnete ihm den Weg zu weiteren Veröffentlichungen, und so sind seither mehr als zwei Dutzend (fast ausschließlich mehr oder weniger phantastische) Romane von ihm erschienen. Anfangs blieb Isau dabei mit Einzelbänden wie Das Museum der gestohlenen Erinnerungen (1997), Das Echo der Flüsterer (1998), Das Netz der Schattenspiele (1999) sowie dem vierteiligen Zyklus Der Kreis der Dämmerung (1999-2001) dem Jugendbuch treu, doch 2003 kam mit Der silberne Sinn auch sein erster “Erwachsenenroman” auf den Markt.
Bei diesem einen sollte es allerdings nicht bleiben, und mittlerweile erscheint mehr oder weniger regelmäßig jedes Jahr jeweils ein Roman für Jugendliche und einer für Erwachsene. Bei letzteren (mit Titeln wie Der Herr der UnruheDie Galerie der Lügen oder Die Dunklen) ist das phantastische Element meist geringer ausgeprägt als bei den Jugendbüchern; sie stehen thematisch und strukturell eher Thrillern nahe.
2005/2006 kehrte Ralf Isau mit den Chroniken von Mirad (Das gespiegelte HerzDer König im KönigDas Wasser von Silmao) ein erstes Mal nach Neschan – und somit gewissermaßen zu seinen schriftstellerischen Wurzeln – zurück, und im Frühjahr 2011 stattete er dem mittlerweile laut eigener Aussage erwachsen gewordenen Neschan-Kosmos mit Die zerbrochene Welt einen zweiten Besuch ab. Dieser Roman ist nicht nur der erste Band der Berith-Trilogie (deren zweiter – Feueropfer – dieser Tage erschienen ist), sondern auch sein erster echter Fantasyroman für Erwachsene.
Ralf Isaus Karriere hat vor dem Boom der phantastischen All-Age-Literatur begonnen, und seine Werke waren und sind nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland (vor allem in Japan) überaus erfolgreich. Inhaltlich und erzählerisch dürfte er einer der eigenständigsten deutschsprachigen Phantastik-Autoren sein, dessen religiös-spiritueller Hintergrund in vielen seiner Bücher mal mehr, mal weniger deutlich durchschimmert, und der auch kontrovers diskutierte Themen nicht scheut (als Beispiel mag der Roman Die Galerie der Lügen aus dem Jahr 2005 gelten, in dem es um Darwins Evolutionstheorie und Intelligent Design geht). Trotzdem – oder gerade deswegen – hat Ralf Isau mit seinen Werken, von denen hier nur ein Teil genannt wurde, über Jahre hinweg zahlreiche Leser und Leserinnen fasziniert und ist heute aus der deutschsprachigen Phantastiklandschaft nicht mehr wegzudenken.

Reaktionen

Die Entscheidung für das Buch des Monats haben wir uns diesmal nicht leicht gemacht, denn eigentlich wollten wir in dieser Rubrik weniger auf aktuelle Bücher, als vielmehr auf versunkene Perlen eingehen. Doch als wir uns vor einigen Tagen darüber unterhielten, welches in diesem Jahr erschienene Buch uns denn besonders in Erinnerung geblieben ist, fiel immer wieder der Name Lobgesang, so dass wir gar nicht umhin kamen, dieses Buch zum Buch des Monats November zu küren.
So entschieden wir kurzerhand, diesmal eine Ausnahme zu machen, zumal der Nachfolgeband Hohelied vor kurzem erschienen ist und somit Lobgesang nun keine echte Neuerscheinung mehr ist. 😉

Der wunderbaren Rezi von Colo ist natürlich nur schwerlich etwas hinzuzufügen, doch da uns ein profanes “das müsst ihr lesen!” selbstverständlich nicht ausreicht, wollen wir versuchen euch zu erklären, weshalb  Lobgesang zu recht das aktuelle Buch des Monats ist.

Als zweiter Band der Legende von Isaak macht das Buch alles richtig, was man als Folgeband richtig machen kann. Das beginnt bei der Story, die eine ganz neue Perspektive auf die Ereignisse aus Sündenfall eröffnet, als sich eine neue Fraktion rücksichtslos ihren Weg in die Benannten Lande bahnt. Aber nicht nur die politische Landschaft erfährt eine Erweiterung, sondern Scholes enthüllt uns neue Regionen des Kontinents, zu deren faszinierendsten sicher die Mahlenden Ödlande zählen, in denen sich weit mehr verbirgt als Wüstenei. In gewohnter Manier wird uns die Geschichte in kleinen Kapitelchen präsentiert, die jeweils aus der Sicht eines Charakters erzählt werden und die sofort die berühmt-berüchtigte “Eines les’ ich noch”-Lesewut aufkommen lassen.

Zwei großen Stärken kommen in Lobgesang noch deutlicher als im Vorgänger zur Geltung und machen es damit zu einem echten Buch des Monats. Da wären erstens die wunderbaren Protagonisten, die Ken Scholes mit neuen Konflikten konfrontiert und mit neuen Facetten versieht. Scholes öffnet dem Leser die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Charaktere ohne langatmig zu wirken oder in gängige Klischees abzurutschen. Etwas, das beim zentralen Thema des Buches – Familie – leicht hätte passieren können, stattdessen liefert der Autor uns durch seine Figuren unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungswelten. Die zweite Stärke ist die wunderschöne Sprache, welche die Stimmung der Szenen einfängt und die auch in der Übersetzung eine eindrucksvolle Strahlkraft entfaltet.

Buch des Monats

Neue Inhalte

Fünf Bücher auf einen Streich werden wir in Zukunft immer wieder mal verbloggen und uns für kein Thema zu schade sein, nur von den fünf Büchern für die einsame Insel lassen wir die Finger, versprochen!  

1, Greg Keyes: The Blackgod
Teil der angesichts des schwindenden Regalplatzes nicht ganz vernünftigen Initiative “Lieblingsbücher im Hardcover”, und für einen nicht allzu fernen Re-read gedacht. Da die Reihe über ein alternatives Amerika ohne Kolonialismus mit dem zweiten Band auch schon komplett ist, ist es zu verschmerzen, und die beiden Romane sind immerhin das Beste, was ein von mir sehr geschätzter Autor bisher geschrieben hat.
Ein wunderschönes Buch mit einer im Taschenbuch fehlenden, farbigen Karte und Innenillustrationen ist The Blackgod allemal.

2, Jack Yeovil: Dark Future 1 – Dämonenjagd
und
3, Jack Yeovil: Dark Future 2 – Krokodilsjagd
Das Kontrastprogramm zum bibliophilen Luxus aus Nummer 1:Krokodilsjagd von Jack Yeovil Nachdem ich mit Jack Yeovil aka Kim Newman schon mit Warhammer-Romanen so gute Erfahrungen gemacht habe, muss ich ein weiteres Games-Workshop-Setting antesten, das Richtung Cyberpunk geht. Ein Gelegenheitskauf, denn die englischen Ausgaben wären definitiv hübscher gewesen. Bitte unbedingt einen Blick auf die Cover werfen, schöneren 80er-Action-Revival-Trash wird man wohl kaum finden.
Dämonenjagd von Jack YeovilUngeachtet der ästhetischen Anmaßung freue ich mich auf die Lektüre, denn die durchgeknallten Ideen des Entwurfs mit Elvis als Kopfgeldjäger und Leonard Nimoy als Astronaut versprechen eine tour de force durch die Popkultur. Und darauf, dass Yeovil/Newman interessante Geschichten schreibt, verlasse ich mich blind.

4, Kate Elliott: Cold Magic
Nicht ganz so unverzagt optimistisch bin ich bei Cold Magic. Ich mochte Kate Elliotts Sternenkrone, und das neue Setting hat einige Elemente, die mich im Vorfeld stark angesprochen haben: Mit Eiszeiten kann man mich immer ködern, und nach der Beschreibung der Autorin, “Afro-Celtic post-Roman Icepunk Regency novel with airships, Phoenician spies, and the intelligent descendants of troodons”* kommt man an dem Roman doch eigentlich gar nicht mehr vorbei, oder?
Aber ob mir die Regency-Elemente gut gefallen werden? Oder wird das Ganze doch nur eine hübsch verpackte Romanze? Das angetestete erste Kapitel mit der doch sehr mädchenhaften weiblichen Hauptfigur hat mich zunächst nicht zum sofortigen Weiterlesen animiert. Aber zumindest bis zum Auftauchen des ersten Dinosauriers muss auf jeden Fall noch durchgehalten werden.

5, Julian May: The Pliocene Companion
Es bleibt bei den alternativen Welt-Entwürfen: Da ich einen lockeren Re-read der Pliocene Exiles-Romane von Julian May durchführe, in denen eine Tür in die Erdgeschichte geöffnet wird, durch die etliche Menschen in ein von ihnen erhofftes Paradies im Pliozän fliehen, wollte ich mir auch den Pliocene Companion anschaffen. Das ist mehr oder weniger die gesammelte Recherche für die Roman-Reihe, mit Materialien zu den Figuren und vielem mehr. Solche Meta-Literatur finde ich eigentlich immer interessant und bin auch von den Ausführungen im Nachwort der Pliozän-Romane schon recht angetan – eine unausweichliche Anschaffung also, die leider nicht ganz leicht zu bekommen ist.

*Ist eigentlich noch jemand der Meinung, dass man es mit den *-punk-Subgenres auch ein bisschen übertreiben kann? Im aktuellen Locus wurde die Kurzgeschichtensammlung Love and Romanpunk rezensiert – mein bisheriges Highlight.

Zettelkasten

Bibliotheka Phantastika gratuliert Jim Butcher, der heute 40 Jahre alt wird. Seit Anfang dieses Jahrtausends macht der am 26. Oktober in Independence, Missouri, geborene Butcher mit seiner Urban-Fantasy-Serie um den Magier Harry Dresden vor allem in den USA Furore (der deutschen Übersetzung war und ist deutlich weniger Erfolg beschieden). Mittlerweile hat er parallel zu den derzeit aus elf Bänden bestehenden, aber auf mehr als zwanzig Bände konzipierten Dresden Files auch einen sechsbändigen, deutlich an “klassischer” Fantasy orientierten Zyklus mit dem Titel Codex Alera abgeschlossen. Mehr über den Autor, Harry Dresden und das Reich Alera in Butchers Portrait.

Reaktionen

Asche zu Asche, Buch zu Buch:
Ein (Buch-)Mord: AktenfotoIch stand vor der Flügeltür zur Pathologie. Der Geruch nach Formaldehyd und Desinfektionsmitteln brannte in meiner Nase. Eine olfaktorische Mischung, die ich inzwischen instinktiv mit dem Tod verband und bei der sich mir die Nackenhaare sträubten. Hinter der Türe, wo der Geruch in all seiner Stärke wie ein eiserner Schlag ins Gesicht auf mich wartete, lagen die ausgefliesten Gänge und ihr allgegenwärtiges kaltes Neonlicht, die mich zur sterilen und vorzeitigen Ruhestätte entstellter Leichen führten.
Ich drückte meine Zigarre sorgfältig an der Wand aus und steckte den Stummel in meine Manteltasche. Ein schwarzer Fleck blieb am Verputz zurück – einer von vielen, eine düstere Statistik meiner Besuche im Reich der Toten und zugleich eine Metapher für diese verkommene Stadt: kaum noch zu erkennendes Weiß. Unweigerlich wurde mir klar, dass sich das Sinnbild meines Lebens in den Taschen meines Mantels verbarg: Flachmann und Zigarrenstummel – Rausch und Rauch …
Seufzend betrat ich Tooth‘ kaltes Reich durch die quietschende Flügeltür – war unter den Toten der Untote König? Als ich den unerbittlich ausgeleuchteten Gang entlangschritt, wies mir sein fröhliches Pfeifen den Weg – wie er so fröhlich sein konnte, war mir ein Rätsel, aber für Rätsel hatte ich schließlich etwas übrig – und ich betrat den kahlen Sezierraum aus Stahl und Fliesen. „Tooth“, war meine spartanische Begrüßung. Meine Stimme klang kratziger als üblich. Die Folge einer von Alpträumen geplagten Nacht, die mit Schweiß und Schreien in der Dunkelheit geendet hatte. Das ausgiebige Whiskeyfrühstück danach hatte meine Stimmbänder sicher auch nicht geschont. „Ah, Whiskers, ein bezaubernder Anblick wie immer. Das Ergebnis der Obduktion ist …“, er sah kurz an mir herab, “… Leberzirrhose.” “Wenn ich sterbe, dann entweder an dem verdammten Gestank oder Ihrem elenden Humor – der Whiskey hilft gegen beides!” Unwillig deutete ich auf das Opfer und beendete damit das Begrüßungsritual. Die Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto CUntersuchung hatte sichtlich ihre Spuren hinterlassen und der Anblick war dadurch gewiss nicht schöner geworden. „Die Identität konnten wir noch nicht mit abschließender Sicherheit feststellen, aber es kann nicht mehr lange dauern. Dafür habe ich eine Bestandsaufnahme der Brutalitäten gemacht und konnte die Reihenfolge bestimmen. Wollen Sie es hören?“ Natürlich wollte ich es nicht hören, aber wir wussten beide, dass es eine rhetorische Frage gewesen war, nur dazu da, Zeit zu schinden. Das Opfer wurde noch einmal – völlig zweckentfremdet – durchgeblättert. Grausame Details entfalteten sich vor meinen Augen wie eine obszöne Landkarte des Verbrechens. Es verging eine halbe Ewigkeit, bis Tooth seufzend zum Ende kam, sich den Schweiß von der Stirn wischte und verdutzt auf die glosende Zigarre in meinem Mundwinkel starrte – er hatte nicht einmal bemerkt, dass ich sie mir während des Vortrags angezündet hatte.

Tagebuch einer Mörderin:

Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto DEs waren Tage vergangen seit meiner letzten Begegnung mit der dunklen, mörderischen Seite in mir. Noch immer lag dieses verabscheuungswürdige “Meisterwerk” der phantastischen Literatur draußen auf dem Gartentisch und trotzte Wind, Regen und Sonneneinfall. Jeden Morgen hatte ich in den vergangenen Tagen mit meiner Teetasse vor den verschlossenen Glastüren gestanden und hinaus gestarrt. Ich wollte es zermalmen, es in Stücke reißen, es durch einen Reißwolf drehen … ich musste mich beruhigen. Selbstbeherrschung war gefragt. Ich musste mit Bedacht an die Sache herangehen. Mein erster impulsiver Übergriff, das war mir inzwischen bewusst geworden, war gefährlich gewesen. Um Haaresbreite hätte ich das Buch schon zu Beginn zu Tode ertränkt. Einige Sekunden länger unter Wasser, und es wäre womöglich zu nichts mehr zu gebrauchen gewesen. Ja, ich hatte diese Tage vorbeistreichen lassen müssen, um die Kontrolle über meine rachsüchtigen und ungezähmten Gelüste festigen zu können. Das Buch durfte keinen schnellen und einfachen Tod finden, was ich brauchte, war ein Plan. Eine Liste!
Einen ganzen Tag lang sammelte ich Ideen, eine führte zur anderen, jede grausamer und effektiver als die vorherige. Bald schon begann ich manche Einfälle zu verwerfen, nur die besten sollten auf die Liste. Ein Glück, dass dieses falsche Meisterwerk von Buch so viele Seiten bot. Mehr Seiten, mehr Material, mehr Möglichkeiten, es ihm heimzuzahlen … Dann, als meine Liste fertig war und meine Hände voller Vorfreude zu zittern begannen, war es soweit. Ich warf einen letzten Blick aus dem Fenster.
Gleich, mein Liebes, gleich.
Ein (Buch-)Mord: Beweisfoto EIch legte meine Werkzeuge bereit: Klebstoff, Skalpell, Streichhölzer und Kerzen, einen Tacker, einen Locher … der böse kleine Schatz würde nicht einfach nur brennen, nicht einfach nur reißen, er würde von allem ein bisschen ertragen. Eine eigene, individuelle Qual für jedes Kapitel. Mein Opfer hatte bezaubernd viele Kapitel. Kapitel, die einst mich gequält hatten mit ihren endlosen Schilderungen vermeintlich magischer Orte, so gar nicht spannender Kämpfe und ach so schöner Geschöpfe! Rage hämmerte bei der Erinnerung daran gegen die sorgfältig aufgebauten Mauern meiner Selbstbeherrschung.

Es war soweit.
Mit stoischer Ruhe öffnete ich eine der Türen und trat an das Buch heran. Begeistert erkannte ich als erstes, dass sich inzwischen ein Vogel darauf erleichtert hatte. Das Buch flatterte mit seinen nunmehr gewellten Seiten im lauen Wind, als hoffte es darauf, erlöst zu werden. Wie hilflos es dabei knisterte. So ausgeliefert. So entzückend verwundbar!
Ich nahm das Buch, dessen Buchdeckel nunmehr wie eine Trophäe an meiner Wand hing, in die Hände – Zeit für den zweiten Akt.

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Die Ermittler bitten um Unterstützung bei der Identifizierung
des unbekannten Buchopfers:

Zeugen, die sachdienliche Hinweise zu der Identität des Buchs liefern können, haben die Chance eine kleine Belohnung zu gewinnen.
Hinweise können in Form eines Kommentars unter dem Text eingereicht werden.

Scriptorium

Neue Inhalte

Man kann nur ahnen, was einen Journalisten dazu treibt, einen solchen Artikel zu verfassen: ist es Angst? Neid? Empörung darüber, dass die Klickzahlen auf Youtube die Auflage der FAZ überschreiten?
Schon längst erfahren nicht nur Elfriede Jelinek oder Herta Müller literarisches Lob, denn es ist eine Wendung eingetreten, die dem altehrwürdigen Feuilleton das wohlgehütete Meinungsmonopol aus der Hand reißt: der Leser hat seine Stimme erhoben. Allerorts erschallt die eigene Meinung, und plötzlich sieht sich das Feuilleton mit der Gefahr der Zweitrangigkeit konfrontiert: auf einmal lässt sich der Leser nichts mehr sagen. Er glaubt selbst zu wissen, was ihm gefällt, ohne auf ein fremdes Gut-oder-Böse-Urteil angewiesen zu sein. Welche Aufgabe bleibt da noch dem Feuilleton? Natürlich seine ureigene: den Untergang des Abendlandes einzuläuten.

Der Autor beschwört das Bild des Schmuddellesers herauf und bedient sich sogleich dessen Argumentationsstrategie: inhaltsleere und unreflektierte Phrasen werden aneinandergereiht, und während noch der Leser am Stuhl des Feuilletons sägt, greift der Autor zum letzten Mittel – der Beleidigung. Die entstandene Schmähschrift mit ihren Youporn-Vergleichen und Begriffen wie „Frauenliteratur“ und „Bestsellerschrott“ befindet sich auf dem Niveau, vor dem es dem gemeinen Feuilletonist so graust. Anderorts würde ich sagen: Chapeau für so viel Selbstironie. An dieser Stelle möchte ich es jedoch bei einem profanen „Eigentor“ belassen.

Was nun, neben den Ausdrucksschwächen, ist der Denkfehler des Autors? Graust es uns nicht auch manchmal vor unausgereiften Rezensionen? Haben wir nicht alle Angst vorm Amazonstern?
Der geneigte Leser weiß, dass die Bibliotheka Phantastika seit dem Relaunch mit strengen Qualitätskriterien arbeitet. Sätze wie „Das ist wirklich eine sehr süße Geschichte: es geht um Zeitreisen und natürlich jede Menge Liebe, erste-Liebe-mäßig“ würden den Weg in eine veröffentlichte Rezension nicht finden. Und dabei befinden wir uns schon im schmuddeligsten aller Genres. Weshalb nun können wir beruhigt schlafen, während Reni in ihrem Videoblog Literaturrezensionen verliest?

Die Antwort ist denkbar einfach: der Autor übersieht die enorme Wichtigkeit der Meinungspluralität. Ein 14-jähriges Mädchen in Pubertätswirren will nichts wissen von Lidderadur (eine 22-jährige Linguistikstudentin übrigens auch nicht). Der moderne Leser, egal welchen Alters oder Geschlechts, unterwirft sich nicht der Diktatur des Feuilletons, sondern lebt sein Bücherleben selbstbestimmt. Für eine lebendige Literaturlandschaft braucht es Leser, die eine Kerze am Max-Frisch-Altar im Wohnzimmer anzünden – und Leser, die Edward Cullen auf ihrem Twilight-Poster küssen. Und sie braucht Meinungen, die so vielfältig sind wie der Literaturmarkt selbst.

Nicht zuletzt formt sich im Umgang mit den mannigfaltigen Rezensionsangeboten des Internets auch die Fähigkeit, inhaltsleere Meinungen von inhaltsvollen zu unterscheiden. Das Prinzip der freien Meinungsäußerung ist nicht so verrückt, wie es im ersten Moment klingt. Der Leser braucht keine huldvolle Daseinsberechtigung. Er liest einfach. Probieren Sie es auch mal. Buchdeckel auf, erstes Kapitel. Und jetzt, ganz unter uns: wie fanden Sie’s?

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Philip Pullman, der heute 65 Jahre alt wird. Der am 19. Oktober 1946 in Norwich, UK, geborene Pullman schuf mit der eigentlich als Jugendbuch (und Gegenentwurf zu C.S. Lewis’ Narnia-Chroniken) konzipierten, aber auch von Erwachsenen gern gelesenen Trilogie His Dark Materials (1995-2000) eines der erfolgreichsten Fantasywerke des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Mehr zum Autor und der aufgrund ihrer Thematik vor allem in christlichen Kreisen teilweise kontrovers diskutierten, sich über mehrere Parallelwelten erstreckenden Trilogie – deren erster, in einem viktorianisch angehauchten Setting spielender Band mittlerweile unter seinem US-Titel The Golden Compass verfilmt wurde – in seinem Portrait.

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