Tag: Jubiläen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Margaret Weis, die heute ihren 65. Geburtstag feiert. Die am 16. März 1948 in Independence, Missouri, geborene Margaret Edith Weis steht vor allem für ein Franchise: Dragonlance.
Zusammen mit ihrem Co-Autor Tracy Hickman (der die Welt aus der Taufe gehoben hat) erweiterte sie das Rollenspiel-Setting Dragonlance und schrieb Dragons of Autumn Twilight von Margaret Weis und Tracy Hickmaneine Romantrilogie, die gleichzeitig mit den Spielemodulen erscheinen sollte. Dragons of Autumn Twilight (1984, dt. Drachenzwielicht, Drachenjäger), Dragons of Winter Night (1985, dt. Drachenwinter, Drachenzauber) und Dragons of Spring Dawning (1985, dt. Drachenkrieg, Drachendämmerung (alle deutschen Titel 1989)), die Geschichte einer bunt zusammengewürfelten Figurengruppe, die im Laufe vieler Abenteuer den Glauben an die wahren Götter wieder auf der Welt Krynn etabliert, hat das zugrundeliegende Spiel schließlich weit an Popularität überflügelt und wurde nicht nur von Rollenspielern gelesen. Die Dragonlance-Trilogie ist ein – wenn nicht der – Massenerfolg des Genres der 80er Jahre und hat (vielleicht auch in Zusammenwirkung mit den Cover-Entwürfen von Larry Elmore) die Wahrnehmung der Fantasy nachhaltig geprägt.
Erzählerisch ist die Reihe dabei leichte Kost, orientiert sich stark an den episodenhaften Grundlagen des Rollenspiels und deckt thematisch sowohl im Weltentwurf als auch in den Figuren sämtliche Stereotypen ab (ohne sie erst zu schaffen, denn Weis und Hickman haben sich stark von allen Vorläufern aus der klassischen Fantasy inspirieren lassen).
Der Erfolg der Drachenlanze-Romane rief natürlich nach Fortsetzungen, und an vielen davon war Margaret Weis, häufig im bewährten Team mit Tracy Hickman, beteiligt. Dabei handelte es sich nicht nur um chronologische Fortsetzungen, sondern auch um die Vorgeschichten der beliebtesten Figuren aus der Ursprungsserie, zu denen Weis immer wieder zurückgekehrt ist. Die zweite Trilogie Time of the Twins, War of the Twins und Test of the Twins (alle 1986, dt. Die Brüder, Die Stadt der Göttin, Der Krieg der Brüder, Die Königin der Finsternis, Der Hammer der Götter, Caramons Rückkehr (1990-91)) erzählt dabei die Geschichte des Magiers Raistlin (und seines Zwillingsbruders) zu Ende und fokussiert sich zum Positiven auf ein kleineres Figurenensemble. Mit der Trilogie Dragons of a Fallen Sun (2000), Dragons of a Lost Star (2001) und Dragons of a Vanished Moon (2002) wurde der Versuch unternommen, das Franchise mit einer groß angelegten, weit in der Zukunft angesiedelten und deutlich düstereren Handlung neu zu beleben, aber da war die Hochzeit der Drachenlanze wohl schon vorbei.
Auch die ursprünglichen Romane sind nicht unbedingt in Würde gealtert und wirken vor allem stilistisch und erzählerisch inzwischen etwas altbacken, daher ist es nicht leicht zu fassen, was ihre Faszination und ihren Erfolg ausgemacht hat: Vielleicht die leicht zugänglichen und einprägsamen Figuren, der Humor und die große Bandbreite an Abenteuern für eine Generation von Lesern und Leserinnen, die das Genre nicht mit Howard oder Moorcock kennengelernt haben?

Im Zuge des Erfolgs der Dragonlance-Romane versuchten sich Margaret Weis und Tracy Hickman auch an etlichen Roman-Reihen mit eigenen Settings ohne Bezug zu Spielewelten. Darunter sticht besonders der Death Gate Cycle hervor Fire Sea von Margaret Weis und Tracy Hickman(dt. Die Vergessenen Reiche), mit dem sie bewiesen, dass sie durchaus interessante Welt- und Plot-Ideen liefern können: Die vier Welten Arianus, Pryan, Abbarach und Chelestra, einst das Schlachtfeld zweier verfeindeter Völker, gehen mitsamt ihrer Bevölkerung aus Elfen, Zwergen und Menschen (die aber auf jeder Welt andere Rollen im Gesamtgefüge spielen) zugrunde, wenn nicht Haplo, der Späher eines der eingepferchten Herrschervölker, und der mysteriöse Kammerdiener Alfred etwas dagegen unternehmen können. Die Hintergründe werden im Laufe der siebenbändigen Reihe (Dragon Wing (1990), Elven Star (1990), Fire Sea (1991), Serpent Mage (1992), The Hand of Chaos (1993), Into the Labyrinth (1993) und The Seventh Gate (1994)) nach und nach aufgeklärt und tragen neben den auch hier wieder sehr lebendigen Hauptfiguren über die vordergründige Abenteuerhandlung hinweg. Auch diese – auf deutsch als Himmelsstürmer (1991), Elfenstern (1991), Feuersee (1992), Drachenmagier (1992), Drachenelfen (1993), Irrwege (1993) und Das siebte Tor (1995) erschienene – Romanreihe ist kein erzählerisches und stilistisches Highlight, bedient sich aber mitunter einiger unkonventioneller Kniffe wie der Erzählung eines Bandes fast ausschließlich in Tagebuchform und des großzügigen Einsatzes von Fußnoten.

Margaret Weis ist vielleicht keine Autorin, deren Werke gut in die Fantasy des 21. Jahrhunderts passen, doch durch die Art, wie die Dragonlance-Romane dem Genre ihren Stempel aufgedrückt haben, ist ihr Einfluss bis heute wirksam, und sie hat damit nicht zuletzt die Sparte der Romane zu Spiele-Franchises enorm popularisiert, wenn nicht gar etabliert.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Käthe Recheis, die heute ihren 85. Geburtstag feiert. Die am 11. März 1928 in Engelhartszell geborene österreichische Schriftstellerin kann auf ein großes und mehrfach ausgezeichnetes Oeuvre in der Kinder- und Jugendliteratur zurückblicken. Viele ihrer Geschichten sind auf der Basis ihrer Begegnungen mit den amerikanischen Ureinwohnern im Rahmen ihrer Arbeit für die International Catholic Migration Commission entstanden und sind mit Abenteuer- und Märchenelementen angereichert. Für interessierte Phantastik-Leser und –Leserinnen stechen vor allem zwei Jugendbücher aus ihrem Werk heraus.
Bereits 1982 (und damit im gleichen Jahr wie Märchenmond von den Hohlbeins) erschien Der weiße Wolf, was Käthe Recheis zumindest im Jugendbuch zu einer deutschsprachigen Pionierin des Genres macht. Der Weisse Wolf von Kaethe Recheis Er erzählt die Geschichte von Thomas, einem Jungen aus unserer Welt, der eines Tages einem Ruf und einem weißen Wolf in ein ihm eigentlich gut bekanntes Wäldchen folgt, nur um sich alsbald in einer anderen Welt wiederzufinden – und einem fremden Mädchen namens Onari gegenüberzustehen. Thomas und Onari sind zwei von drei Kindern, die gemäß einer alten Prophezeiung das Land Aran vom Großen Gond befreien können, und als die beiden kurz darauf auf Eldar aus besagtem Land Aran treffen, können sie diese Aufgabe in Angriff nehmen. Auch wenn Der weiße Wolf heutzutage vielleicht ein bisschen zu linear erzählt wirken mag und die Probleme sich vielleicht ein bisschen zu leicht lösen lassen, punktet der Roman sowohl mit seiner Schilderung einer düsteren Diktatur wie auch und vor allem mit seinem Aufruf zu Vertrauen (in die eigenen Fähigkeiten und in andere Menschen) und Toleranz und stellt somit immer noch eine geeignete Einstiegslektüre für jugendliche Fantasy-Neulinge dar.
Während der titelgebende weiße Wolf im vorgenannten Roman kaum mehr als eine Nebenrolle spielt, erhalten die Wölfe in Wolfsaga (1994 – ein Jahr vor dem thematisch sehr ähnlich gelagerten ersten Band der Wölfe der Zeit von William Horwood) schließlich die Hauptrolle: Das Wolfsrudel, in dem der introvertierte Jungwolf Schiriki lebt, wird von Schogar Kan unterworfen und in sein Rudel Zahllos eingegliedert, dem alle Wölfe der Welt angehören sollen. Doch damit verstößt er gegen Waka, das Gesetz der Natur, und Schiriki, der zunächst bis ins südliche Sandland flüchtet, muss sich dem riesenhaften Leitwolf stellen, wenn er sein Rudel wieder vereinen und die Wölfe vor dem Verderben in dem totalitär organisierten Riesenrudel bewahren will. Das Ganze ist weniger moralisierende Fabel, auch wenn diese Anklänge sehr bewusst gewählt sind, sondern vor allem eine Tierfantasy mit einer Coming-of-Age-Geschichte, die allerdings einen interessanten Protagonisten (der eher Schamane als klassischer Held wird) und eine schöne Übertragung des Themas auf eine für ein Jugendbuch gut ausgearbeitete Wolfswelt bietet, in der verschiedene Spezies glaubhaft kooperieren und das Verhalten von Wölfen angemessen eingebunden wird.
Mit den Anleihen aus indianischen Weltbildern und Questen-Erzählungen, die thematisch und in ihrem Setting eindeutig der Fantasy zuzuordnen sind, stellen Käthe Recheis’ phantastische Jugendbücher ein Beitrag zum Genre dar, den man durchaus guten Gewissens nicht nur jungen Lesern und Leserinnen in die Hand drücken kann.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Peter Tremayne, der heute 70 Jahre alt wird. Es dürfte eine ganze Reihe deutschsprachiger Leser und Leserinnen geben, denen dieser Name – den der am 10. März 1943 in Coventry, Warwickshire, geborene Historiker Peter Berresford Ellis für den größten Teil seines belletristischen Werks benutzt – ein Begriff ist, weil sie Bekanntschaft mit der Nonne Schwester Fidelma gemacht haben, die in mittlerweile mehr als zwanzig im 7. Jahrhundert spielenden Krimis mit Verstand und Intuition Verbrechen aufklärt. Doch Tremaynes Karriere hat viel früher angefangen – und zwar mit etlichen Horror- und Fantasyromanen, von denen allerdings nur ein kleiner Teil ins Deutsche übersetzt wurde.
In seinen ersten Romanen greift er dabei tief ins reichhaltige Reservoir der populären Kultur, etwa wenn er in The Hound of Frankenstein (1977) den bekannten Baron erneut fragwürdige Experimente durchführen und dieses Mal einen Hund erschaffen lässt oder in der zeitlich vor Bram Stokers Roman angesiedelten Dracula TrilogyDracula Unborn (1977; auch als Bloodright (1979); dt. Die Chronik der Draculas (1979)), The Revenge of Dracula (1978) und Dracula, My Love (1980), das Ganze auch als Sammelband Dracula Lives! (1993) – die Familienverhältnisse und -geschichte der Blutsauger unter die Lupe nimmt. Oder indem er Henry Rider Haggards unsterbliche Ayesha in The Vengeance of She (1978; dt. SIE rächt sich (1987)) in der Gegenwart auftauchen lässt.
Danach wandte er sich mit Romanen wie The Ants (1979) oder The Curse of Loch Ness (1979) dem Tierhorror zu und machte mit der Lan-Kern TrilogyThe Fires of Lan-Kern (1980), The Destroyers of Lan-Kern (1982) und The The Buccaneers of Lan-Kern von Peter TremayneBuccaneers of Lan-Kern (1983) -, in der es einen Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts in eine postapokalyptische, neobarbarische, von den Legenden des alten Cornwall geprägte Zukunft verschlägt, einen ersten Ausflug in die Fantasy. Weitere Horrorromane folgten, die sich immer dann, wenn sie – wie The Morgow Rises! (1982) oder Snowbeast! (1983) – fest in der keltischen Mythologie verwurzelt waren, deutlich glaubwürdiger anfühlten (und weitaus besser lesbar waren) als die meisten anderen Hervorbringungen dieses nicht gerade für Qualität bekannten Subgenres.
Die Legenden und Mythen der Inselkelten sorgen auch für das authentisch wirkende Setting und die stimmige Atmosphäre – und damit die eindeutigen Stärken – der drei Heroic-Fantasy-Romane Tremaynes. In Raven of Destiny (1984) geht es um die keltische Invasion Griechenlands im dritten vorchristlichen Jahrhundert, während in Ravenmoon (1988; auch als Bloodmist) eine erst kurz zuvor wiederentdeckte alte Legende und die irische Anderswelt eine wichtige Rolle spielen, und Island of Shadows (1991) die Geschichte der schottischen Kriegerin Scáthach nacherzählt. Auch wenn diesen Romanen die erzählerische Kraft der besseren Werke eines Robert E. Howard oder Karl Edward Wagner oder der feinsinnige Humor eines Fritz Leiber fehlen mag, kann man sich gerade im Bereich der Heroic Fantasy oder Sword & Sorcery mit Leichtigkeit weit schlimmere Fehlgriffe leisten (wobei nicht verschwiegen werden soll, dass es auch hier kräftig zur Sache geht).
Peter Tremayne hat auch eine ganze Reihe von phantastischen Kurzgeschichten verfasst, die in zwei Sammelbänden erschienen sind: My Lady of Hy-Brasil and Other Stories (1987) versammelt dabei die Geschichten, die sich auf die keltische Mythologie beziehen, während in Aisling and Other Irish Tales of Terror (1992; dt. Der Todesstein: Irische Gruselgeschichten (1999)) moderne Gruselgeschichten zu finden sind. Mit den Krimis um Schwester Fidelma (seit 1994) scheint Tremayne dann das Metier und die Figur gefunden zu haben, die seinen Neigungen und Interessen am ehesten entgegenkommen, nachdem er sich – unter dem Pseudonym Peter MacAlan – bereits zwischen 1983 und 1993 an zeitgenössischen Thrillern versucht hatte.
Unter seinem richtigen Namen hat Peter Tremayne alias Peter Berresford Ellis eine ganze Reihe von Sachbüchern über englische Geschichte, vor allem aber über keltische und irische Mythologie verfasst, die teilweise als Standardwerke gelten. Abgesehen von The Druids (1994; dt. Die Druiden: Von der Weisheit der Kelten (1996)) sind sie bisher genausowenig auf Deutsch erschienen wie ein Großteil der o.g. phantastischen Romane oder Ellis’ Biographien über Henry Rider Haggard (H. Rider Haggard: A Voice from the Infinite (1978)) und Talbot Mundy (The Last Adventurer – The Life of Talbot Mundy (1984)). Was zumindest für Freunde des Abenteuerromans und der Heroic Fantasy durchaus bedauerlich ist.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Thomas Wharton, der heute 50 Jahre alt wird. Schon mit seinem ersten Roman Icefields (1995; dt. Der Klang des Schnees (1999)) erregte der am 25. Februar 1963 in Grande Prairie in der kanadischen Provinz Alberta geborene Thomas Wharton einiges Aufsehen und gewann mehrere literarische Preise. Auf diesen Erstling, in dem sich abgesehen von einer Engelserscheinung, die der Protagonist beim Sturz in eine Gletscherspalte hat, keine phantastischen Elemente finden, folgte sechs Jahre später mit Salamander (2001; dt. Salamander (2003)) ein überaus ungewöhnliches, eindeutig dem phantastischen Genre zuzurechnendes Werk.
Salamander von Thomas WhartonSalamander erzählt die Geschichte des Londoner Buchdruckers Nicholas Flood, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von dem verwitweten, von Rätseln aller Art faszinierten Grafen Ostrow in dessen an der Grenze zwischen Böhmen und Oberungarn gelegenes Schloss eingeladen wird und den Auftrag erhält, ein Buch ohne Anfang und Ende herzustellen. Ein Auftrag, der zu dem Schloss passt, denn in dem geheimnisvollen Gebäude gibt es keine festen Mauern; sämtliche Wände und auch das Mobiliar werden permanent von einem gigantischen Uhrwerk bewegt. Und ähnlich sonderbar sind auch seine Bewohner, neben Graf Ostrow selbst etwa dessen Tochter Irena, die aufgrund eines schwachen Rückgrats ein Stahlkorsett tragen muss, ein neunjähriger, blonder dunkelhäutiger Junge namens Djinn oder auch ein auf den Namen Ludwig hörender Roboter aus Porzellan. Natürlich verliebt Flood sich in Irena, natürlich bekommt Graf Ostrow davon Wind – und natürlich greift er ein. Doch damit fängt das Abenteuer erst so richtig an, das für Flood und ein paar Begleiter eine Schiffsreise rund um die ganze Welt und eine Fülle absonderlicher Begebenheiten und Begegnungen bereithält und Wharton reichlich Gelegenheit gibt, seine Fabulierkunst zu zeigen.
The Logogryph: A Bibliography of Imaginary Books (2004) wirkt auf den ersten Blick weit weniger phantastisch. Doch die Geschichte des jungen namenlosen Erzählers, der von seinen Nachbarn, den Weavers, einen Koffer voller alter Bücher geschenkt bekommt und diese mehr oder weniger wahllos liest, erweist sich als ähnlich faszinierend und ungewöhnlich wie Salamander. Dabei ist The Logogryph kein Roman im eigentlichen Sinn, sondern am ehesten eine Sammlung von – vordergründig – mal mehr, mal weniger miteinander verbundenen Kurzgeschichten, die sich letztlich zu etwas zusammenfügen, das weit mehr ist als die Summe seiner Teile. Die einzelnen Erzählungen handeln teilweise von ganz profanen alltäglichen Begebenheiten (und bringen einem allmählich die Weavers ebenso wie das Verhältnis des namenlosen Erzählers zu ihnen näher), größtenteils allerdings von so merkwürdigen Dingen wie der Literatur von Atlantis oder einer wiederentdeckten Bibliothek von Alexandria. Aber genau betrachtet geht es in dieser Bibliographie imaginärer Bücher um die Liebe zu Büchern, zum Lesen, zum Erzählen – und zu Dingen, die niemals waren …
Verglichen mit Salamander und The Logogryph kommt The Shadow of Malabron (2008), der erste Band von Thomas Whartons Jugendbuch-Trilogie The Perilous Realm, recht konventionell daher. Linear und weitaus mehr plotorientiert als in den beiden The Fathomless Fire von Thomas Whartonvorgenannten Werken wird die Geschichte des jungen Halbwaisen Will Lightfoot erzählt, der eines Nachts das Motorrad seines Vaters stiehlt, um einen Vergnügungspark namens “The Perilous Realm” zu besuchen – und prompt einen Unfall hat. Doch Will landet nicht im Krankenhaus, sondern in einem ganz anderen Perilous Realm, einem Reich, das ganz nah neben unserer Welt liegt und aus dem alle Geschichten kommen. Alle – auch unsere. Er wird von einem Mann, der ihm augenscheinlich Übles will, verfolgt, trifft auf ein junges Mädchen namens Rowen, später dann auch auf ihren Großvater Pendrake, einen Loremaster, der fast alle Geschichten beider Welten kennt. Und der weiß, wie Will wieder nach Hause kommen kann. Doch bis es soweit ist, muss der Junge – unterstützt von Shade, einem sprechenden Wolf, und einem fahrenden Ritter namens Finn – noch etliche Abenteuer überstehen. Und in The Fathomless Fire (2012) ins Reich der Geschichten zurückkehren.
Die beiden Jugendbücher sind zwar – vermutlich den Erfordernissen des Markts geschuldet – weitaus konventioneller erzählt als Whartons phantastische Romane für Erwachsene, dennoch finden sich in ihnen viele Elemente, die Letztgenannte zu so phantastischen Leseerlebnissen machen. Auch in The Perilous Realm geht es neben der vordergründigen, durchaus spannenden und abenteuerlichen Handlung um Geschichten, um ihre Bedeutung für den Menschen und um die Kraft, die ihnen innewohnt. Darüberhinaus sind die Bücher auch stilistisch ein Genuss und ein heißer Tipp für alle Leser und Leserinnen, die keine Berührungsängste mit gut geschriebener Jugendliteratur und ein Faible für klassische Fantasy-Motive und tierische Heldenbegleiter haben, denn sehr viel besser kriegt man das heutzutage kaum präsentiert. Und wer Lust auf einen wirklich in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Lesetrip hat, sollte sich Salamander oder den (leider nicht ganz problemlos erhältlichen) Logogryph ruhig mal genauer ansehen, denn in diesen beiden Werken erweist sich Thomas Wharton als einer der faszinierendsten jüngeren Erzähler des Genres, der auch literarischen Ansprüchen mehr als genügt.

Reaktionen

10 Jahre Bibliotheka PhantastikaDas Bibliotheka-Phantastika-Jubiläum ist für mich Anlass zu einem Rückblick auf die letzten zehn Jahre Fantasylektüre: Welche Bücher, die in diesem Zeitraum erschienen sind, haben mir eigentlich besonders viel bedeutet und sind mir im Gedächtnis hängengeblieben? Gerade, da ich zu denjenigen gehöre, die oft genug über das Angebot auf dem derzeitigen Buchmarkt jammern, ist es mir wichtig, mir vor Augen zu führen, dass auch in diesen letzten zehn Jahren viel Gutes erschienen ist, an dem ich Freude hatte und noch habe.
Nicht immer habe ich die Bücher gleich in ihrem Erscheinungsjahr gelesen, und die Auswahl, die ich getroffen habe, um ein Buch aus jedem der letzten zehn Jahre zu präsentieren, ist notwendigerweise ganz persönlich. Manch ein eigentlich guter Autor wie Patrick Rothfuss oder Daniel Abraham hat es nicht auf die Liste geschafft, weil ich in der Rückschau erkannt habe, dass mir andere Werke eigentlich wichtiger waren (ohne dass ich unbedingt in jedem Fall von Anfang an damit gerechnet hätte).

Hier also meine etwas eklektische Übersicht über meine Lieblingsfantasy der letzten zehn Jahre:

2003 Olivier Merle – L’épée maudite

Zwar darf man von Olivier Merle keinen großen Roman nach dem Vorbild seines Vaters Robert Merle erwarten, aber diese kleine, feine Erzählung für junge Leser entführt in eine verzauberte Bretagne und behandelt im Kern ein erstaunlich tiefgründiges Problem.

2004 Eric Shanower – Age Of Bronze 2: Sacrifice

Gut, ein bisschen kann man sich sicher streiten, ob Age of Bronze, Eric Shanowers Comicfassung der Sagen um den Trojanischen Krieg, im eigentlichen Sinne Fantasy ist, verzichtet er doch auf übernatürliche Elemente, um eine glaubwürdige bronzezeitliche Welt zu zeichnen, aber zu den besten Umsetzungen eines phantastischen Stoffs, die mir in den letzten zehn Jahren begegnet sind, zählt sie allemal.

2005 Luca Trugenberger – Damlo und der Weg zum Glück

Die Nähe zum Jugendbuch ist Trugenbergers Geschichte um den Jungen Damlo eindeutig anzumerken, aber die wunderbaren Landschaftsschilderungen und die Auslotung der Queste als Selbstfindung machen sie zu einer angenehmen und streckenweise durchaus amüsanten Lektüre, ganz abgesehen davon, dass klassische Fantasywesen wie z.B. Zwerge hier eine sehr nette, nicht überzogene Schilderung erfahren.

2006 Megan Whalen Turner – The King of Attolia

Dieser dritte Teil ist für mich immer noch der beste Band der ohnehin äußerst gelungenen Attolia-Reihe, mit dem ich seinerzeit auch in die Abenteuer des quirligen Meisterdiebs Gen und sein ganz besonderes Verhältnis zu den Göttern eingestiegen bin. Ich kenne kaum ein Buch, das bitterernste Sachverhalte so humorvoll und mit leichter Hand erzählt wie dieses.

2007 J.R.R. Tolkien – The Children of Húrin

Als bekennender Gwindor-Fan war ich natürlich entzückt, diese Episode aus dem Silmarillion noch einmal als Einzelroman präsentiert zu bekommen, und die schönen Illustrationen von Alan Lee haben ein Übriges getan, mich zu überzeugen.

2008 Heide Solveig Göttner – Der Herr der Dunkelheit

Der zweite Band aus Die Insel der Stürme ist vielleicht mein Lieblingsband der Reihe, nicht nur, weil er äußerst solide Fantasy in einem originellen und unverbrauchten Setting bietet, sondern auch, weil er ganz und gar nicht an den üblichen Übergangsbandschwächen krankt, die sonst in Trilogien sehr häufig sind.

2009 J.R.R. Tolkien – The Legend of Sigurd and Gudrún

Der große Altmeister der Fantasy hat es ein zweites Mal in die Liste geschafft, weil seine Art, hier mit mittelalterlicher Dichtung zu spielen, die Mediävistin in mir einfach entzückt hat – gut, ein richtiger Fantasyroman ist es nicht, aber doch etwas in jeder Beziehung Phantastisches.

2010 Martin Schemm – Der Goldschatz der Elbberge

Der Rest der (fantasylesenden) Menschheit kann wahrscheinlich nicht mehr hören, dass ich diesen Roman für gelungene Fantasy halte, aber eine im mittelalterlichen Norddeutschland angesiedelte Geschichte mit Zwergenschatz, Lindwurm und Untoten aus der Bronzezeit? Ich war begeistert.

2011 David Anthony Durham – Acacia: Die Fernen Lande

Ja, das ist ein wenig geschummelt: Im Original ist dieser zweite Band der Acacia-Reihe schon früher erschienen, aber da ich ihn auf Deutsch gelesen habe, zählt er vielleicht doch. Trotz aller Aspekte, die mir an dem Buch nicht hundertprozentig gefallen, kann ich mich Durhams meisterlicher Figurenzeichnung nicht entziehen. Seine Gestalten bleiben einem im Gedächtnis haften, und so hat er sich einen Platz auf dieser Liste verdient.

2012 Michael J. Sullivan – Percepliquis

Der letzte Band der Riyria Revelations, die für mich eindeutig eine guilty pleasure sind, war tatsächlich nach langer Zeit wieder einmal ein Buch, auf dessen Erscheinen ich sehnsüchtig gewartet habe, und es hat mich nicht enttäuscht: Eine absolut klassische Questengeschichte, weit entfernt von hoher Literatur, aber einfach wohlig-nostalgisch zu lesen.

Welche Bücher haben euch im Laufe der letzten zehn Jahre besonders angesprochen – und welche davon sind euch bis heute im Gedächtnis geblieben, während andere langfristig vielleicht nicht halten konnten, was sie zuerst versprochen haben?

Eselsohr

Bibliotheka Phantastika erinnert an Philip José Farmer, der heute 95 Jahre alt geworden wäre. Es ist praktisch unmöglich, dem am 26. Januar 1918 in North Terre Haute, Indiana, geborenen und am 25. Februar 2009 verstorbenen Philip José Farmer, der zweifellos zu den wichtigsten SF-Autoren des 20. Jahrhunderts The Green Odyssey von Philip José Farmerzu zählen ist, im Rahmen dieser Jubiläumstexte gerecht zu werden, denn dafür ist sein Oeuvre bei weitem zu groß, zu vielfältig und zu bunt. Schon mit seiner zweiten veröffentlichten SF-Story “The Lovers” (in Startling Stories, August 1952, zum Roman erweitert unter dem gleichen Titel 1961) erwarb er sich den Ruf eines Tabubrechers – in der Geschichte geht es um die Liebe zwischen einem Erdenmann und einer Außerirdischen –, an dem er auch in der Folgezeit mit diversen Kurzgeschichten und Romanen kräftig weiterarbeitete. Parallel dazu erwies er sich bereits mit seinem ersten als Buch veröffentlichten Roman The Green Odyssey (1957) als einfallsreicher Autor von SF- und phantastischen Abenteuergeschichten, die von da an nicht nur einen beträchtlichen Anteil an seinem Gesamtwerk bildeten, sondern hinsichtlich ihrer Erzählstruktur und Motive der Fantasy genügend nahestehen, um auch für Fantasyleser und -leserinnen interessant zu sein. “Richtige” Fantasy hingegen hat Philip José Farmer eigentlich nie geschrieben.
Auch The World of Tiers und Riverworld, Farmers bekannteste mehrbändige Zyklen, könnte man wohl am ehesten als phantastische Abenteuerliteratur bezeichnen. In The Maker of Universes (1965), dem ersten World-of-Tiers-Roman, gerät der Erdenmann Robert Wolff durch ein Portal in eine fremde Welt, die sich als eines von mehreren pocket universes erweist. Wolff wird jünger, bekommt seine Erinnerungen zurück (von denen er nicht wusste, dass er sie verloren hatte), und stellt fest, dass er selbst zu den gottgleichen Schöpfern dieser Taschenuniversen zählt. Und er lernt Paul Janus Finnegan (man beachte die Initialen!) alias Kickaha kennen, eine Tricksterfigur, wie sie im Buche steht. Besagter Kickaha tritt in den Folgebänden The Gates of Creation (1966), A Private Cosmos (1968), Behind the Walls of Terra (1970), The Lavalite World (1977) und dem Nachzügler More Than Fire (1993), in denen es um Familienstreitigkeiten unter den Göttern und um Kämpfe gegen die Bellers und den Red Orc geht, mehr und mehr in den Mittelpunkt und muss am Ende auch den letzten, entscheidenden Kampf gegen einen ganz besonderen Feind ausfechten. Red Orc’s Rage (1991) ist so etwas wie ein Komplementärband zu dem Zyklus, denn in diesem Buch werden die ersten fünf o.g. Bände zum Bestandteil eines therapeutischen Rollenspiels für einen psychisch gestörten Heranwachsenden (was einmal mehr beweist, dass Farmer seinen Freud und seinen Jung gelesen hat).
Riverworld geht von der Prämisse aus, dass sämtliche Menschen, die jemals auf der Erde gelebt haben, an den Ufern eines Millionen Meilen langen Flusses nach ihrem Tod wieder zum Leben erwachen. In diesem Zyklus kommt ein weiteres To Your Scattered Bodies Go von Philip José FarmerFaible zum Tragen, das Farmer vor allem in seinen Werken seit den 70ern auslebte: die Verwendung historischer Persönlichkeiten (und später dann auch literarischer Figuren) als Protagonisten. Und so versuchen denn Richard Francis Burton, Mark Twain, Peter Jairus Frigate (!), Alice Liddell Hargreaves, Hermann Göring, Cyrano de Bergerac, der Extraterrestrier Monat Gratuut und der Neandertaler Kaz und viele andere in den – den Kernzyklus bildenden – Romanen To Your Scattered Bodies Go (1971), The Fabulous Riverboat (1971), The Dark Design (1977), The Magic Labyrinth (1980) und Gods of the Riverworld (1983), sich nicht nur mit ihren neuen Lebensumständen zu arrangieren, sondern auch das Rätsel zu lösen, warum sie in der Flusswelt sind.

Anfang der 70er Jahre – auf dem Höhepunkt des Heroic-Fantasy-Booms – versuchte sich auch Farmer an diesem Subgenre. Das Ergebnis waren die beiden Romane Hadon of Ancient Opar (1974) und Flight to Opar (1976), die in und am Rande eines vorgeschichtlichen zentralafrikanischen Binnenmeeres spielen und im Prinzip Sword & Sorcery ohne Sorcery darstellen. Ein dritter Roman, The Song of Kwasin, wurde erst nach Farmers Tod von Christopher Paul Carey vollendet und ist nur in dem Sammelband Gods of Opar: Tales of Lost Khokarsa (2012; Omnibus) erschienen. Mit dem Opar- bzw. Khokarsa-Zyklus auf sehr spezielle Weise verbunden ist die Zeitreisegeschichte Time’s Last Gift (1972).
Einzelromane, die fantasytypische Erzählmuster wie eine Queste und/oder fantastische, mehr oder weniger göttergleiche Wesen aufweisen, sind beispielweise der bereits erwähnte The Green Odyssey (1957; die Odyssee eines gestrandeten irdischen Raumfahrers auf einem fremden, mittelalterlichen Planeten), Inside Outside (1964; Menschen werden nach ihrem Tod in einer sehr merkwürdigen “Hölle” wiedergeboren) oder Dare (1965; irdische Siedler auf einem fremden Planeten im Kampf mit den dortigen Lebensformen). Lord Tyger (1970) ist eine etwas andere Tarzangeschichte, während The Other Log of Phileas Fogg (1973) uns das erzählt, was Jules Verne verschwiegen hat – und er hat viel verschwiegen.
Weit in einer bizarren, nichttechnischen Zukunft angesiedelt sind The Stone God Awakens (1970; ein Mann des 20. Jahrhunderts erwacht nach einem schiefgegangenen Experiment 25 Millionen Jahre später auf einer Erde, auf der die intelligenten Nachkommen von Tieren seiner Zeit leben – und “der Baum”), The Wind Whales of Ishmael (1971; eine reichlich phantastische Fortsetzung von Melvilles Moby Dick) und Dark is the Sun (1979; eine Queste auf einer von ungewöhnlichen Kreaturen bevölkerten Erde, die Milliarden Jahre in der Zukunft in einem sterbenden Universum um eine längst erloschene Sonne kreist).
A Feast Unknown von Philip José FarmerFarmers Faszination für die Pulphelden führte zu einer Trilogie, in der sich Lord Grandrith und Doc Caliban (Lord Greystoke aka Tarzan und Doc Savage) einen erbitterten Kampf mit den Neun – einer Geheimgesellschaft aus Unsterblichen – liefern. Vor allem der erste Band, A Feast Unknown (1969), überzeugt erzählerisch und inhaltlich trotz einiger (besonders für die damalige Zeit) ungewöhnlich drastischer Szenen, doch auch die Folgebände Lord of the Trees (1970) und The Mad Goblin (1970) sind für alle, die ein gewisses Faible für die klassischen Pulps hegen, immer noch gut lesbar. Die letztgenannten drei Romane sind außerdem Bestandteil eines Megazyklus namens Wold Newton Family, mit dem Farmer einem Großteil seines Oeuvres (teilweise auch nachträglich) einen eigenen mythologischen Überbau verschafft hat. Ausgangspunkt dieses Zyklus ist die Prämisse, dass im 18. Jahrhundert unweit des kleinen Dorfes Wold Newton in Yorkshire ein Meteor gelandet ist, dessen Strahlung sich auf mehrere schwangere Frauen ausgewirkt hat, deren Kinder dann als Übermenschen zur Welt kamen. Zu den Romanen, die Teil der Wold Newton Family sind, zählen u.a. auch die bereits erwähnten Lord Tyger und The Other Log of Phileas Fogg, sowie die Opar-Bände und The Adventure of the Peerless Peer (1974), in dem Sherlock Holmes eine zentrale Rolle spielt.

Es ließe sich noch Vieles über Philip José Farmer und seine Romane und Kurzgeschichten sagen, doch wie schon eingangs erwähnt, ist in diesem Rahmen nicht mehr als ein kurzer, lückenhafter Blick auf sein Oeuvre möglich. Wer spannende Abenteuergeschichten in teils sehr konventionellen, teil schlicht bizarr zu nennenden Settings mag und keinen allzu großen Wert auf tiefgründige Charakterisierungen legt, kommt an Farmer eigentlich nicht vorbei (wobei es ein bisschen unfair ist, ihn auf sein Wirken als Autor von Abenteuerliteratur zu reduzieren, denn er konnte auch ganz anders). Anzumerken bliebe vielleicht noch, dass man bei seinen Zyklen – die häufig mehr Bände umfassen sollten, als dann tatsächlich erschienen sind – gelegentlich den Eindruck haben kann, er hätte ein bisschen die Lust verloren, wenn die Idee in Band drei oder vier nicht mehr so neu und frisch war (was bei einem Autor, bei dem fast alles um die Idee kreiste, eigentlich nicht verwunderlich ist), denn z.B. im Riverworld-Zyklus fallen die letzten beiden Bände deutlich gegen die ersten ab. Deshalb ganz zum Schluss noch ein kleiner Tipp: wer einmal eine Queste in Form einer Space Opera erleben will, dem sei The Unreasoning Mask (1981) empfohlen – nebenbei bemerkt die einzige Space Opera, die Farmer je geschrieben hat –, denn Captain Ramstans Suche nach dem Wesen, das das intelligente Leben im Universum auszulöschen droht, ist Philip José Farmer mit all seinen Stärken (und wenigen Schwächen) in Bestform.

P.S.: Ein Großteil der genannten Bücher ist auch auf Deutsch erschienen. Da eine Nennung der entsprechenden deutschen Titel den Rahmen dieses Beitrags aber endgültig gesprengt hätte, werden sie demnächst in einem Kommentar nachgeliefert.

Reaktionen

Cover von The Prince of Morning Bells von Nancy KressBibliotheka Phantastika gratuliert Nancy Kress, die heute 65 Jahre alt wird. Begonnen hat die schriftstellerische Karriere der am 20. Januar 1948 in Buffalo, New York, als Nancy Ann Koningisor geborenen Nancy Kress mit SF (genauer gesagt mit der Story “The Earth Dwellers” in der Dezemberausgabe des Magazins Galaxy 1976), und der überwiegende Teil ihres Werkes ist ebenso wie ihr größter Erfolg – die mit der Erzählung “Beggars in Spain” begonnene bzw. aus ihr hervorgegangene Reihe The Sleepless – diesem Genre zugehörig, doch ihre ersten Romane zählen ohne jede Frage zur Fantasy.
Ihr Erstling The Prince of Morning Bells (1981; dt. Der Weg zum Herz der Welt (1982)) handelt von einer Queste – allerdings einer, die man nicht unbedingt klassisch nennen kann. Denn die Suche nach dem Herz der Welt, auf die sich Prinzessin Kirila begibt, und auf der sie zeitweise von einem sprechenden großen Hund mit etwas ungewöhnlicher Fellfarbe begleitet wird, der sich für einen verzauberten Frosch – Pardon, Prinz – hält, läuft ein bisschen anders ab, als man das von Questen allgemein gewohnt ist. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Kirila überaus dickköpfig sein kann, und so gerät sie mehrfach in Situationen, die ihre Suche zu einem deutlich langwierigeren Unterfangen machen als ursprünglich geplant. Trotz seiner gelegentlich absurden oder komischen Szenen ist The Prince of Morning Bells allerdings keine Parodie, sondern ein mit leichter Hand entworfenes Spiel mit den Klischees des Genres, die sich damals teilweise erst zu bilden begannen.
Kress’ zweiter Roman The Golden Grove (1984; dt. Der goldene Hain (1985)) ist wesentlich ernster und düsterer, und seine Hauptfigur Arachne reist auch nicht auf der Welt herum, sondern bleibt die ganze Zeit auf ihrer vage ans antike Griechenland erinnernden Insel mit dem titelgebenden goldenen Hain, in dem blinde, heilige Spinnen leben, aus deren Netzen die Kleider der Inselbewohner gewoben werden – und ihr Schicksal. Doch eines Tages beginnt der Hain zu sterben, und die Hilfe, die man sich von der Außenwelt versprochen und geholt hat, erweist sich als Bedrohung. Als dann auch noch die Spinnen giftig werden und die Träume der Inselbewohner vergiften, scheint die Zeit des Friedens und der Harmonie endgültig vorbei zu sein.
Ebenso wie in den beiden vorangegangenen Romanen steht auch in The White Pipes (1985; dt. Schalmeienklänge (1985)) eine Frau im Mittelpunkt der Handlung: Fia ist eine Geschichtenspielerin, die über die Begabung verfügt, ihrem Publikum Märchen und Geschichten mittels kleiner, scheinbar lebendiger Figuren vorzuspielen. Am Hof des Königs eines typischen mittelalterlichen Fantasyreiches gerät sie in einen Strudel aus Intrigen und Machenschaften, der sich als ziemlich gefährlich für sie und ihren kleinen Sohn erweist, so dass sie sich auf die Suche nach den weißen Schalmeien begeben muss, mit deren Tönen man jeden Menschen versklaven kann. Und natürlich ist nicht nur sie hinter den machtvollen Instrumenten her.
Nach The White Pipes wandte Nancy Kress sich ganz der SF zu, was ein bisschen schade für die Fantasy ist, denn in ihren ersten drei Romanen hat die Autorin gezeigt, dass sie dem Genre durchaus originelle Impulse geben kann. Am besten ist ihr das zweifellos bei The Prince of Morning Bells gelungen, wohingegen bei The Golden Grove eher die Atmosphäre als die Handlung überzeugt (und man sich fragen kann, ob es wirklich sinnvoll ist, die Hauptfigur eines Romans, in dem es auch stark um Spinnen geht, ausgerechnet Arachne zu nennen); The White Pipes belegt in dieser kleinen Liste einen guten Mittelplatz.
Auffällig ist außerdem, dass die drei Romane vergleichsweise “klein” daherkommen, was das Figurenarsenal und/oder das Setting betrifft – und dass sie alle drei überzeugend gezeichnete Frauenfiguren aufweisen, neben denen so manches moderne Pendant wie eine Karikatur erscheint.
Verglichen mit diesen Romanen (die – nebenbei bemerkt – als ein weiteres Beispiel für die Vielfalt des Genres in den 80er Jahren dienen können) wirkt die Jugendbuch-Trilogie, die Nancy Kress unter dem Pseudonym Anna Kendall schreibt, deutlich weniger ambitioniert. Die bisher aus den Romanen Crossing Over (2010; dt. Der Pfad der Seelen (2011)), Dark Mist Rising (2011; dt. Das Land hinter den Nebeln (2012)) und A Bright and Terrible Sword (2013) bestehenden Soulvine Moor Chronicles (dt. Buch der Seelen), in deren Mittelpunkt der vierzehnjährige Roger Kilbourne steht, der über die Gabe verfügt, mit seinem Geist ins Land der Toten zu reisen, bieten typische All-Age-Kost, die sich allenfalls durch die düstere Atmosphäre und die Thematisierung der sexuellen Nöte des Helden vom Genre-Umfeld abhebt. Das mag jetzt nicht per se schlecht sein, aber es ist gewiss nicht die Einlösung des Versprechens, als das man Nancy Kress’ in den 1980er Jahren erschienene Fantasyromane betrachten kann (und hält auch einem Vergleich mit ihren SF-Romanen nicht stand).

Reaktionen

Jawohl, liebe LeserInnen, es ist kaum zu fassen, doch die Bibliotheka Phantastika feiert heute ihren 10. Geburtstag!
Zehn Jahre Rezensionen sammeln, zehn Jahre stöbern in allem, was das Genre der Phantastik hergibt (und manchmal auch in dem, was es uns aufdrängt), zehn Jahre Bücher bis unter die Decke stapeln, und zwar nicht nur bei uns, sondern vor allem bei euch, unserer geneigten Leserschaft!
10 Jahre Bibliotheka Phantastika

Zeit also, die grünen Partyhüte aufzusetzen und diesen Meilenstein ordentlich zu celebrieren. Wir rufen daher Jubiläumswochen aus, in denen wir die letzten zehn Jahre genauer unter die Lupe nehmen werden. Damit aber noch nicht genug, wir feiern gleich das ganze Jahr und haben uns dazu einige Challenges gestellt, in denen wir literarische Experimente wagen, ins Metaflöz absteigen, Empfehlungen in 10 Sätzen präsentieren, 10 bibliophile Kunstwerke erstellen. Die Ideen sind so zahlreich, wie das eab Köpfe hat.

Wir beginnen unsere kleine Feier zum einen mit dem passenden Kleidungsstück für unsere härtesten Fans im frisch überarbeiteten T-Shirt-Shop und, das darf schließlich nicht fehlen, einem ersten halb nostalgischen Rückblick auf 10 Jahre bp:

bp anno 2004
"Krankenhausklogrün" war eine der ersten Reaktionen auf bp, doch wir sind #bad588 treu geblieben.

18. Januar 2003: Nach einem großen Batzen Vorarbeit geht die Bibliotheka Phantastika mit ein paar Rezis, Autorenvorstellungen und ohne großartigen Plan online, zu dieser Zeit noch als Solo-Projekt von mistkaeferl.

Oktober 2003: Nach dem Eintrudeln erster fleißiger Gastrezensenten und einigen hochaktiven Monaten gibt es das erste Rezensionsexemplar für bp: Den neu aufgelegten Meister-Li-Roman Die Brücke der Vögel von Barry Hughart. Wir fühlen uns wie im Schlaraffenland, was aber schnell verfliegt, als wir Bekanntschaft mit der weiten Welt der Self-Publisher (und Selbst-Rezensierer) machen.

September 2004: Ein Jahr und hunderte Rezis später haben sich die aktivsten und interessiertesten zu einem kleinen Redaktionsteam zusammengeschlossen, dem zunächst Top Dollar und später Theophagos angehörten.

Oktober 2004: Auf vielfachen Wunsch geht ein Boardy-Forum der bp online, das in der Folge vom nicht immer ganz zuverlässigen Forumshamster Bonzo mit Strom aus dem Laufrad versorgt wird und sofort ein paar famose User anzieht, die teilweise bis heute geblieben sind.
Von Anfang an dabei sind neben mistkaeferl: Scultore, TD (alias TeichDragon) und Naegar aus dem Sumpf. Im restlichen Verlauf des Jahres schließen sich u.a. Lord Elric, Cormi und Freebird an.

Bonzo in Aktion
Pläne, den Forenhamster Bonzo zu besserer Leistung im Laufrad zu dopen, wurden schnell aufgegeben.

Juni 2005: Wir haben die 1000 Rezensionen durchschlagen und über 100 Beiträger. Dem Forum haben sich im ersten Halbjahr u.a. elora, maschine, gero, Rippington, Wulfila, Arha und Quecksilber angeschlossen.

September 2005: Ein erstes Forentreffen in Köln findet statt.
Im zweiten Halbjahr schließen sich außerdem Bohemé, Colophonius, wurling, Threepwood, Zoso und moyashi an.

Juni 2006: 1500 Rezensionen – und die bp testet nicht immer erfolgreich ihre Grenzen aus: News, Vorschauen, viel aus dem Kinder- und JuBu-Bereich sprengen langsam auch die Kapazitäten am Nadelöhr der bp, die immer noch fast datenbanklos und ohne CMS läuft.

Januar 2007: Bonzo, der Boardy-Hamster, hat sich den Ruhestand wohl verdient, das Forum zieht auf seinen heutigen Standort um.

bp anno 2007
Jetzt für alle leicht erkennbar: Bücher öffnen Tore in fremde Welten.

März 2007: Die bp bekommt ein neues Design von moyashi, wozu auch das immer noch aktuelle Logo zählt.

Januar 2008: Mit über 200 Beiträgern und einer langen Warteliste für die Veröffentlichung ist ein Zeitpunkt erreicht, an dem wir die Veröffentlichungskriterien einengen müssen und das Konzept der für jegliche Meinungsäußerung offenen bp endgültig an seine Grenzen stößt.

September 2009: Das ruhigste Jahr der bp – es gibt nur ein Update. Warum wir trotzdem für den DPP nominiert sind, wissen wir selbst nicht so genau. Immerhin haben wir eine ordentliche “Backlist” mit fast 2000 Rezis und über 600 Autoren.

Juli 2010: Es formt sich ein 10-köpfiges Team, das einen Relaunch der bp austüftelt.

18. Januar 2011: Vor genau zwei Jahren ging die neue bp online, diesmal gestärkt durch die Programmier-Expertise des Elfs und mit einem motivierten und kompetenten eab, das seither und auch weiterhin, wenn auch nicht mehr mit dem Fokus auf Masse und volle Abdeckung, aber dafür hoffentlich mit umso ausgesuchteren Empfehlungen im Gepäck, die Welt der Fantasy- und phantastischen Literatur ehrenamtlich für euch durchstreift.

Und schon habt ihr den historischen Teil und das Äquivalent zur Jubiläumsrede überstanden, liebe Leser und Leserinnen! Wir hoffen, ihr hattet 10 phantastische regalsprengende Jahre mit uns und lasst euch auch im Jubiläumsjahr von der bp zu weiteren Leseabenteuern verführen.

Reaktionen

John BellairsBibliotheka Phantastika erinnert an John A. Bellairs, der heute 75 Jahre alt geworden wäre. Der am 17. Januar 1938 in Michigan geborene Autor war bekannt für seine Schauergeschichten, in denen Lewis Barnavelt und seine Freunde übernatürliche Kriminalfälle aufdecken. Auch Bellairs einziger Ausflug in die High Fantasy The Face in the Frost (1969; dt. Das Gesicht im Eis (2009)) trug zur Beliebtheit dieses Autors bei.

Mehr über John Bellairs und seine Werke erfahrt ihr im Autoren-Portrait. Dazu bitte hier entlang.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Ken Scholes, der heute 45 Jahre alt wird. Der am 13. Januar 1968 in den USA geborene Schriftsteller begann seine Karriere mit Kurzgeschichten, die auch heute noch einen bedeutenden Teil seines literarischen Schaffens ausmachen.
Etliche dieser Geschichten aus den vergangenen zwölf Jahren wurden in den beiden Sammlungen Long Walks, Last Flights and Other Strange Journeys (2008) und Diving Mimes and Weeping Czars and Other Unusual Suspects (2010) gesammelt und decken eine ganze Bandbreite an Subgenres und Themen ab, die Scholes immer wieder aufgreift.
Eine der Geschichten der ersten Sammlung, “Of Metal Men and Scarlet Thread and Dancing with the Sunrise” (2006) inspirierte ihn zu seinem Romandebut Lamentation (2009, dt. Sündenfall Lamentation von Ken Scholes(2010)), dem Auftakt der fünfbändigen Reihe Psalms of Isaak (Die Legende von Isaak), die mit Canticle (2009, dt. Lobgesang (2011)) und Antiphon (2010, dt. Hohelied (2011)) fortgesetzt wurde. Die Geschichte des Metallmanns Isaak, den der Zigeunerkönig Rudolfo in einem Krater findet – dem beinahe einzigen Überbleibsel einer Stadt des Wissens und des Fortschritts – wird 2013 mit dem vorletzten Band Requiem weitergeführt werden.
Die postapokalyptische Welt, das Zusammentreffen von Fantasy- und SF-Motiven und die Dichotomie von Glauben und Wissen, die im Kern von Psalms of Isaak steht, gehören zu Ken Scholes’ Leib- und Magenthemen. Pläne für weitere Romane, oftmals basierend auf Settings und Figuren, die bereits in Kurzgeschichten einen Auftritt hatten, gibt es zur Genüge, so dass man gespannt sein kann, was als nächstes auf dem Plan steht, nachdem Scholes sich seit letztem Jahr ausschließlich dem Schreiben widmet.

Wer Genaueres über den Autor und sein Werk erfahren will, kann einen Blick in das Interview werfen, das wir mit ihm geführt haben – oder, wenn es anlässlich des Jubiläums eher etwas Literarisches sein soll, die wunderschöne Kurzgeschichte Edward Bear and the Very Long Walk lesen, in der ein wohlbekannter Stoffbär ein forderndes Abenteuer auf einem fremden Planeten erlebt.
In diesem Sinne: Alles Gute zum Geburtstag, Ken!

Reaktionen