Zum 95. Geburtstag von Philip José Farmer

Bibliotheka Phantastika erinnert an Philip José Farmer, der heute 95 Jahre alt geworden wäre. Es ist praktisch unmöglich, dem am 26. Januar 1918 in North Terre Haute, Indiana, geborenen und am 25. Februar 2009 verstorbenen Philip José Farmer, der zweifellos zu den wichtigsten SF-Autoren des 20. Jahrhunderts The Green Odyssey von Philip José Farmerzu zählen ist, im Rahmen dieser Jubiläumstexte gerecht zu werden, denn dafür ist sein Oeuvre bei weitem zu groß, zu vielfältig und zu bunt. Schon mit seiner zweiten veröffentlichten SF-Story “The Lovers” (in Startling Stories, August 1952, zum Roman erweitert unter dem gleichen Titel 1961) erwarb er sich den Ruf eines Tabubrechers – in der Geschichte geht es um die Liebe zwischen einem Erdenmann und einer Außerirdischen –, an dem er auch in der Folgezeit mit diversen Kurzgeschichten und Romanen kräftig weiterarbeitete. Parallel dazu erwies er sich bereits mit seinem ersten als Buch veröffentlichten Roman The Green Odyssey (1957) als einfallsreicher Autor von SF- und phantastischen Abenteuergeschichten, die von da an nicht nur einen beträchtlichen Anteil an seinem Gesamtwerk bildeten, sondern hinsichtlich ihrer Erzählstruktur und Motive der Fantasy genügend nahestehen, um auch für Fantasyleser und -leserinnen interessant zu sein. “Richtige” Fantasy hingegen hat Philip José Farmer eigentlich nie geschrieben.
Auch The World of Tiers und Riverworld, Farmers bekannteste mehrbändige Zyklen, könnte man wohl am ehesten als phantastische Abenteuerliteratur bezeichnen. In The Maker of Universes (1965), dem ersten World-of-Tiers-Roman, gerät der Erdenmann Robert Wolff durch ein Portal in eine fremde Welt, die sich als eines von mehreren pocket universes erweist. Wolff wird jünger, bekommt seine Erinnerungen zurück (von denen er nicht wusste, dass er sie verloren hatte), und stellt fest, dass er selbst zu den gottgleichen Schöpfern dieser Taschenuniversen zählt. Und er lernt Paul Janus Finnegan (man beachte die Initialen!) alias Kickaha kennen, eine Tricksterfigur, wie sie im Buche steht. Besagter Kickaha tritt in den Folgebänden The Gates of Creation (1966), A Private Cosmos (1968), Behind the Walls of Terra (1970), The Lavalite World (1977) und dem Nachzügler More Than Fire (1993), in denen es um Familienstreitigkeiten unter den Göttern und um Kämpfe gegen die Bellers und den Red Orc geht, mehr und mehr in den Mittelpunkt und muss am Ende auch den letzten, entscheidenden Kampf gegen einen ganz besonderen Feind ausfechten. Red Orc’s Rage (1991) ist so etwas wie ein Komplementärband zu dem Zyklus, denn in diesem Buch werden die ersten fünf o.g. Bände zum Bestandteil eines therapeutischen Rollenspiels für einen psychisch gestörten Heranwachsenden (was einmal mehr beweist, dass Farmer seinen Freud und seinen Jung gelesen hat).
Riverworld geht von der Prämisse aus, dass sämtliche Menschen, die jemals auf der Erde gelebt haben, an den Ufern eines Millionen Meilen langen Flusses nach ihrem Tod wieder zum Leben erwachen. In diesem Zyklus kommt ein weiteres To Your Scattered Bodies Go von Philip José FarmerFaible zum Tragen, das Farmer vor allem in seinen Werken seit den 70ern auslebte: die Verwendung historischer Persönlichkeiten (und später dann auch literarischer Figuren) als Protagonisten. Und so versuchen denn Richard Francis Burton, Mark Twain, Peter Jairus Frigate (!), Alice Liddell Hargreaves, Hermann Göring, Cyrano de Bergerac, der Extraterrestrier Monat Gratuut und der Neandertaler Kaz und viele andere in den – den Kernzyklus bildenden – Romanen To Your Scattered Bodies Go (1971), The Fabulous Riverboat (1971), The Dark Design (1977), The Magic Labyrinth (1980) und Gods of the Riverworld (1983), sich nicht nur mit ihren neuen Lebensumständen zu arrangieren, sondern auch das Rätsel zu lösen, warum sie in der Flusswelt sind.

Anfang der 70er Jahre – auf dem Höhepunkt des Heroic-Fantasy-Booms – versuchte sich auch Farmer an diesem Subgenre. Das Ergebnis waren die beiden Romane Hadon of Ancient Opar (1974) und Flight to Opar (1976), die in und am Rande eines vorgeschichtlichen zentralafrikanischen Binnenmeeres spielen und im Prinzip Sword & Sorcery ohne Sorcery darstellen. Ein dritter Roman, The Song of Kwasin, wurde erst nach Farmers Tod von Christopher Paul Carey vollendet und ist nur in dem Sammelband Gods of Opar: Tales of Lost Khokarsa (2012; Omnibus) erschienen. Mit dem Opar- bzw. Khokarsa-Zyklus auf sehr spezielle Weise verbunden ist die Zeitreisegeschichte Time’s Last Gift (1972).
Einzelromane, die fantasytypische Erzählmuster wie eine Queste und/oder fantastische, mehr oder weniger göttergleiche Wesen aufweisen, sind beispielweise der bereits erwähnte The Green Odyssey (1957; die Odyssee eines gestrandeten irdischen Raumfahrers auf einem fremden, mittelalterlichen Planeten), Inside Outside (1964; Menschen werden nach ihrem Tod in einer sehr merkwürdigen “Hölle” wiedergeboren) oder Dare (1965; irdische Siedler auf einem fremden Planeten im Kampf mit den dortigen Lebensformen). Lord Tyger (1970) ist eine etwas andere Tarzangeschichte, während The Other Log of Phileas Fogg (1973) uns das erzählt, was Jules Verne verschwiegen hat – und er hat viel verschwiegen.
Weit in einer bizarren, nichttechnischen Zukunft angesiedelt sind The Stone God Awakens (1970; ein Mann des 20. Jahrhunderts erwacht nach einem schiefgegangenen Experiment 25 Millionen Jahre später auf einer Erde, auf der die intelligenten Nachkommen von Tieren seiner Zeit leben – und “der Baum”), The Wind Whales of Ishmael (1971; eine reichlich phantastische Fortsetzung von Melvilles Moby Dick) und Dark is the Sun (1979; eine Queste auf einer von ungewöhnlichen Kreaturen bevölkerten Erde, die Milliarden Jahre in der Zukunft in einem sterbenden Universum um eine längst erloschene Sonne kreist).
A Feast Unknown von Philip José FarmerFarmers Faszination für die Pulphelden führte zu einer Trilogie, in der sich Lord Grandrith und Doc Caliban (Lord Greystoke aka Tarzan und Doc Savage) einen erbitterten Kampf mit den Neun – einer Geheimgesellschaft aus Unsterblichen – liefern. Vor allem der erste Band, A Feast Unknown (1969), überzeugt erzählerisch und inhaltlich trotz einiger (besonders für die damalige Zeit) ungewöhnlich drastischer Szenen, doch auch die Folgebände Lord of the Trees (1970) und The Mad Goblin (1970) sind für alle, die ein gewisses Faible für die klassischen Pulps hegen, immer noch gut lesbar. Die letztgenannten drei Romane sind außerdem Bestandteil eines Megazyklus namens Wold Newton Family, mit dem Farmer einem Großteil seines Oeuvres (teilweise auch nachträglich) einen eigenen mythologischen Überbau verschafft hat. Ausgangspunkt dieses Zyklus ist die Prämisse, dass im 18. Jahrhundert unweit des kleinen Dorfes Wold Newton in Yorkshire ein Meteor gelandet ist, dessen Strahlung sich auf mehrere schwangere Frauen ausgewirkt hat, deren Kinder dann als Übermenschen zur Welt kamen. Zu den Romanen, die Teil der Wold Newton Family sind, zählen u.a. auch die bereits erwähnten Lord Tyger und The Other Log of Phileas Fogg, sowie die Opar-Bände und The Adventure of the Peerless Peer (1974), in dem Sherlock Holmes eine zentrale Rolle spielt.

Es ließe sich noch Vieles über Philip José Farmer und seine Romane und Kurzgeschichten sagen, doch wie schon eingangs erwähnt, ist in diesem Rahmen nicht mehr als ein kurzer, lückenhafter Blick auf sein Oeuvre möglich. Wer spannende Abenteuergeschichten in teils sehr konventionellen, teil schlicht bizarr zu nennenden Settings mag und keinen allzu großen Wert auf tiefgründige Charakterisierungen legt, kommt an Farmer eigentlich nicht vorbei (wobei es ein bisschen unfair ist, ihn auf sein Wirken als Autor von Abenteuerliteratur zu reduzieren, denn er konnte auch ganz anders). Anzumerken bliebe vielleicht noch, dass man bei seinen Zyklen – die häufig mehr Bände umfassen sollten, als dann tatsächlich erschienen sind – gelegentlich den Eindruck haben kann, er hätte ein bisschen die Lust verloren, wenn die Idee in Band drei oder vier nicht mehr so neu und frisch war (was bei einem Autor, bei dem fast alles um die Idee kreiste, eigentlich nicht verwunderlich ist), denn z.B. im Riverworld-Zyklus fallen die letzten beiden Bände deutlich gegen die ersten ab. Deshalb ganz zum Schluss noch ein kleiner Tipp: wer einmal eine Queste in Form einer Space Opera erleben will, dem sei The Unreasoning Mask (1981) empfohlen – nebenbei bemerkt die einzige Space Opera, die Farmer je geschrieben hat –, denn Captain Ramstans Suche nach dem Wesen, das das intelligente Leben im Universum auszulöschen droht, ist Philip José Farmer mit all seinen Stärken (und wenigen Schwächen) in Bestform.

P.S.: Ein Großteil der genannten Bücher ist auch auf Deutsch erschienen. Da eine Nennung der entsprechenden deutschen Titel den Rahmen dieses Beitrags aber endgültig gesprengt hätte, werden sie demnächst in einem Kommentar nachgeliefert.

3 Kommentare zu Zum 95. Geburtstag von Philip José Farmer

  1. elric sagt:

    Wir haben ja auch einiges von dem Herrn zu Hause…
    Ich werd ihn mir sicher mal zu Gemüte führen – besonders nach dieser wunderschönen Zusammenfassung! Danke Gerd!

  2. gero sagt:

    Danke, Elric. Und wenn du noch was wissen willst – du weißt ja, wen du fragen kannst. 😉

    Hier jetzt noch die versprochenen deutschen Titel – falls es denn welche gibt – der im Text genannten Romane, und zwar in der Reihenfolge, in der sie erwähnt wurden. Die Angabe von Jahreszahlen habe ich mir in diesem Fall größtenteils gespart, weil die vernünftig zusammenzusuchen ziemlich nervig und zeitraubend ist (und in diesem Fall ja eigentlich nicht wichtig).

    The Lovers (Romanversion) = Die Liebenden
    The Green Odyssey = Die Irrfahrten des Mr. Green ( auch im gleichnamigen Sammelband zusammen mit Der Steingott erwacht und Lord Tyger)

    Die ersten fünf World-of-Tiers Romane The Maker of Universes, The Gates of Creation, A Private Cosmos, Behind the Walls of Terra und The Lavalite World sind als Einzelromane (Meister der Dimensionen, Welten wie Sand, Lord der Sterne, Hinter der irdischen Bühne und Planet der schmelzenden Berge) sowie als dicker Sammelband unter dem Zyklustitel (Die Welt der tausend Ebenen) erschienen. Die ersten beiden gab’s auch als Heftromane (Kampf der Weltenmacher, Tor der Schöpfung), wobei es schon ein bisschen faszinierend ist, was da vor allem vom ersten Band noch übrig geblieben ist. More Than Fire ist nie auf Deutsch erschienen. Red Orc’s Rage = Der Zorn des Roten Lords

    Der Riverworld-Zyklus wurde auf Deutsch logischerweise zum Flusswelt-Zyklus:
    To Your Scattered Bodies Go = Die Flusswelt der Zeit, The Fabulous Riverboat = Auf dem Zeitstrom, The Dark Design = Das dunkle Muster, The Magic Labyrinth = Das magische Labyrinth, Gods of the Riverworld = Die Götter der Flusswelt. (Die Bände sind Ende der 70er / Anfang der 80er erstmals bei Heyne erschienen; 2008 gab’s ‘ne Neuauflage bei Piper, in der in einigen (aber mW nicht allen) Bänden eine zusätzliche Erzählung enthalten war. Auf Englisch gibt’s noch ein bisschen mehr.)

    Hadon of Ancient Opar = Die Krone von Opar, Flight to Opar = Flucht nach Opar, Band drei gibt’s nicht auf Deutsch; Time’s Last Gift = Vermächtnis der Zeit

    Inside Outside = Die synthetische Seele
    Dare = Die Welt der Wiyr
    Lord Tyger = Lord Tyger
    The Other Log of Phileas Fogg = Das echte Log des Phileas Fogg
    The Stone God Awakens = Der Steingott erwacht
    The Wind Whales of Ishmael = Ismaels fliegende Wale
    Dark is the Sun = Dunkel ist die Sonne

    Die Lord Grandrith/Doc Caliban-Trilogie ist nie auf Deutsch erschienen.

    The Adventure of the Peerless Peer = Sherlock Holmes und die Legende von Greystoke (soll demnächst erscheinen)

    The Unreasoning Mask = Die toten Welten des Bolg

  3. Tecbuy sagt:

    Vielen Dank für diese kleine Reise durch die Zeit. Ich liebe die Geschichten von Philip José Farmer und habe da einiges in meiner Sammlung. Für mich sind viele seiner Fiktionen nach wie vor aktuell und auch in der heutigen Zeit spannend.

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