Category: Zettelkasten

Ein leider (mit Ausnahmen) viel zu selten behandelter Aspekt von Literatur ist das leibliche Wohl in Textform. Dabei zeigen uns Lesecafés & Co., dass Lesen & Essen eine höchst erquickliche Verbindung ist! Ach, wenn ich nur so gut und phantasiereich kochen könnte wie die Köche von Hogwarts …

1. Die Legende von Attolia (M.W.Turner)
Sommer, Sonne, Hofintrigen: um alles beneide ich die Bewohner von Attolia und benachbarten Staaten nicht, da mir schon ein skandinavischer Sommer den Schweiß auf die Stirn treibt. Wenn Gen und Begleitung jedoch durch die üppigen Olivenhaine ziehen und am Ende eines anstrengenden Wandertages mit Ziegenkäse, frischem Brot und Oliven den gröbsten Hunger stillen, packt mich der blanke Futterneid.

Harry Potter und der Stein der Weisen2. Harry Potter und der Stein der Weisen (J.K. Rowling)
Alle Welt wartet auf eine Eule aus Hogwarts – ich warte auf die Schokofrösche. Kürbispastete. Lakritzzauberstäbe. Gerne löse ich ein Dauerticket für den Hogwartsexpress, wenn die Süßigkeitenverkäuferin an Bord ist (wie gut, dass Hermines Eltern Zahnärzte sind!). Auch nicht zu verachten ist das legendäre Weihnachtsbuffet in der großen Halle, da muss die gemeine europäische Weihnachtsgans vor Neid erblassen. Frau Rowling hat es sogar geschafft, dass ich manchmal mit einem Heißhunger auf Butterbier erwache. Ich mag weder Bier noch Butter, nebenbei bemerkt.

3. Diverse Werke von Terry Pratchett
Einer darf auf dieser Liste nicht fehlen. Niemand lebt den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher-zum-Millionär so voller Hingabe, ohne Teller zu waschen (oder Millionär zu werden): ich rede natürlich von Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin Schnapper. Seine sagenhaft günstigen Würstchen hinterlassen selbst schon beim Lesen einen fauligen Nachgeschmack – nur ein weiteres Zeichen von Pratchetts schriftstellerischem Genius. Schnapper hat deshalb einen Ehrenplatz in dieser Liste verdient, denn die Hoffnung auf gutes Essen lässt den Magen bekanntlich auch schon knurren. Der Wille zählt.

4. Der kleine Hobbit (J.R.R. Tolkien)
Alle Artikel, die den „Hobbit“ nicht erwähnen, sind im Moment eh verdammt, ungelesen im Orkus zu verschwinden. Trifft sich Hobbits lassen es sich schmecken (Warner Bros)aber gut: wenn die Zwerge zum Kaffeetrinken (!) bei Bilbo Beutlin vorbeikommen, wünschen sie sich Rotwein, Himbeermarmelade, Eier, Apfeltörtchen, Rosinenkuchen, Essiggurken, Käse, Pasteten, Salat, kaltes Hühnchen, „und noch ein paar Kuchen“. Dass mir auch dabei der Mund wässrig wird, zeigt deutlich, dass Fantum auch ungesunde Züge annehmen kann.

5. Die Legende von Isaak (Ken Scholes)
Auch wenn in den Benannten Landen Krieg herrscht und Zigeunerkönig Rudolfo gezwungen ist, an mehreren Fronten zu kämpfen, um sein Volk und seine Familie zu beschützen: Hungern muss in der Waldresidenz niemand. Lamm mit dampfenden Birnen, Käseplatten, geröstete Ente, wilder Reis, Waldpilze und Karotten – an Rudolfo ist ein Gourmet verloren gegangen. Hoffentlich zieht bald wieder Frieden ins Land, damit der König sein Leben und das gute Essen auch genießen kann.

Nach dem Erstellen dieser Liste decke ich jetzt erst einmal einen reichlichen Abendbrottisch, der leider sein literarisches Vorbild nicht toppen wird. Danach möchte ich von euch wissen: welche Bücher lassen euch das Wasser im Munde zusammenlaufen?

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Leo Perutz, der heute vor 130 Jahren im damals zu Österreich-Ungarn gehörigen Prag geboren wurde. Der in Schule und Studium eher erfolglose Perutz arbeitete zunächst als Versicherungsmathematiker, knüpfte aber spätestens, nachdem er 1908 nach Wien gezogen war, Kontakte zur dortigen literarischen Szene und wurde selbst zu einem recht produktiven Schriftsteller, dessen Schaffen sich zwar nicht der eigentlichen Fantasy zuordnen lässt, aber dem magischen Realismus und der Phantastik sehr nahesteht.

Eine entscheidende Unterbrechung seiner Karriere bedeutete für Perutz, der jüdischen Glaubens war, die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933, nach der Deutschland für ihn als Buchmarkt ausfiel. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 floh Perutz mit seiner Familie ins damalige Palästina, ohne sich dort jemals völlig heimisch zu fühlen, wozu sicher auch beitrug, dass ihm während seines Exils Veröffentlichungsmöglichkeiten fehlten. In den frühen 50er Jahren kehrte er nach Österreich zurück und starb dort 1957 in Bad Ischl.

Zu Perutz’ bekanntesten Werken zählt bis heute sein Debütroman Die dritte Kugel (1915), in dem ein deutscher Adliger in die Wirren der Eroberung des Aztekenreichs gerät und durch einen Teufelspakt an ein Gewehr mit drei magischen Kugeln gelangt, die sich jedoch nicht als sonderlich hilfreich erweisen, sondern für genau die falschen Menschen tödlich werden. In vielen anderen Romanen des Autors erscheinen die phantastischen Elemente dagegen zurückgenommener und oft auf das Motiv des vergeblichen Ankämpfens gegen Vorherbestimmtes oder schicksalhafte Verwechslungen reduziert, so etwa in Zwischen Neun und Neun (1918), in Der Marques de Bolibar (1920), in dem napoleonische Offiziere zwar frühzeitig den titelgebenden spanischen Widerstandskämpfer töten, aber dann selbst nolens volens die von ihm geplante Vernichtung ihrer Truppen auslösen, in Turlupin (1924), dessen naiver Titelheld im Paris Richelieus fälschlich für einen Edelmann gehalten und so in politische Wirren hineingezogen wird, oder in Der schwedische Reiter (1936), der Geschichte eines Kriminellen und eines Adligen, die vor dem Hintergrund des Großen Nordischen Krieges zwei Mal die Rollen tauschen.  Ähnliche Deutungsmuster finden sich auch in Der Judas des Leonardo (1959 postum erschienen), in dem Perutz die kunsthistorische Anekdote um die schwierige Suche nach einem passenden Modell für den Judas im Letzten Abendmahl des Leonardo da Vinci aufgreift.

Mit dem in zahlreiche Einzelhandlungen zerfallenden Roman Nachts unter der Steinernen Brücke (1953) liegt schließlich ein eindeutig phantastischer Geschichtenreigen vor, in dem Perutz nicht nur seiner Heimatstadt Prag ein eindrucksvolles literarisches Denkmal setzt, sondern auch neben den für seine Werke typischen schicksalhaften Prophezeiungen und eigenartigen Zufällen stärker als sonst die Magie selbst zum Thema macht: Im Prag des späten 16. Jahrhunderts ist der zauberkundige Rabbi Löw bestrebt, durch sein Wirken Leid nicht nur von Einzelpersonen, sondern von der gesamten jüdischen Gemeinde und letztlich von ganz Böhmen abzuwenden, doch seine gutgemeinten Eingriffe in den Lauf der Dinge ziehen für alle Betroffenen tragische Konsequenzen nach sich. Wie schon in Die Dritte Kugel erweisen sich die übernatürlichen Kräfte damit als zweischneidiges Schwert.

Trotz ihres zumeist eher düsteren Ausgangs entfalten Perutz’ auch sprachlich sehr schön gestaltete Werke oft einen gewissen melancholischen Charme, zu dem auch die intensive und überzeugende Schilderung der verschiedenen historischen Epochen beiträgt, die den Hintergrund der Romane bilden. Wer bereit ist, sich auf hochkarätige deutschsprachige Phantastik am Rande des Genres einzulassen, sollte Leo Perutz ausprobieren und wird sicher keine Enttäuschung erleben!

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“Das beste seit abc!”, “Ein würdiger Nachfolger von xyz.”, “Der neue zyx!”. Wir alle kennen diese Blurbs. Sie erwecken den Eindruck, man bekäme nun Lesestoff, der einem ähnliche Leseerlebnisse beschert wie das Vorbild, mit dem es verglichen wird. Doch wieviel Übereinstimmung findet man in diesen So-genial-wie-Büchern tatsächlich?
 Autoren bedienen sich häufig ähnlicher Grundlagen für ihre Buchreihen und die Parallelen sind durchaus nicht ganz von der Hand zu weisen. Was sie letztlich daraus machen, rechtfertigt den Vergleich mit dem Namen eines erfolgreichen Vorgängers aber häufig nicht. Man frage sich nur, wieviele Erben des Tolkien es bereits gibt und wie selten man selbst zu derselben Meinung gelangte.
Um das Dilemma mal an einem konkreten (spoilerfreien) Beispiel zu veranschaulichen: Harry Potter vs. Percy Jackson.

1. Der Plot

Harry Potter ist ein Zauberer und besucht eine im Verborgenen existierende Schule für Hexen und Zauberer. Er ist ein Waisenjunge, ungeliebt von der Familie, bei der er aufwächst, und hat bis zu seinem zehnten Lebensjahr keine Ahnung, dass er etwas besonderes ist. Mit Eintritt in die magische Welt offenbart sich ihm ein großes Schicksal, er lernt zum ersten Mal Freundschaft kennen und findet eine Art familiäres Zuhause in dem Internat Hogwarts – aber auch Gefahren, die für ihn bisher nur in Märchen existierten. Seine prominente Rolle behagt dem bescheidenen Jungen nicht und macht ihn auch dort zum Außenseiter.
Percy Jackson ist ein Halbgott, kann sich auf keiner Schule länger als ein Jahr halten, leidet an Legasthenie und ADS, bis ihm klar wird, dass er kein normaler Junge ist, sondern der Sohn eines olympischen Gottes. In den Sommerferien besucht er fortan ein geheimes Camp speziell für Halbgötter, wo er lernen soll, sich gegen Monster zu wehren und Heldentaten zu vollbringen; außerdem kann er dort zum ersten Mal echte Freundschaften knüpfen. Er hat eine sehr gute Beziehung zu seiner menschlichen Mutter, seinen olympischen Vater sieht er dagegen nur selten; die beiden hegen keine greifbaren familiären Gefühle füreinander. Auch er fühlt sich unwohl damit, selbst unter den anderen Halbgöttern etwas besonderes zu sein.
Die ersten Parallelen fallen dem geneigten Leser natürlich gleich auf: eine spezielle Bildungseinrichtung mit Internatsqualitäten und zwei herausragende Jungen, die sich mit ähnlichen Ausgangsproblemen herumschlagen.

2. Die Helden
Harry und Percy sind beides Außenseiter innerhalb einer Gesellschaft von Sonderlingen, in der sie nicht weiter auffallen dürften. Sie sind beide besonders, und das wider eigenen Willen. Percy ist deutlich zynischer, offensiver und eigenständiger als der junge Potter und dadurch oft überzeugender als sein vom Schicksal geplagter Gegenpart Harry. Gäbe es hier Punkte für den sympathischeren Charakter, fiele meine Wahl auf Percy, obwohl ich ein bekennender Fan beider Buchreihen bin. Percy ist im Gegensatz zu Harry offensiv, selbstständig und, womit er mich endgültig gewonnen hat, sarkastisch bis zum Abwinken. Während man über Harrys Naivität und Ahnungslosigkeit oft den Kopf schütteln muss, stürzt sich Percy gleich darauf, Erklärungen und Lösungen zu finden, kurzum: er geht einem seltener auf die Nerven. Das macht die gesamte Erzählung der Jackson-Bücher deutlich unterhaltsamer und bietet viele Momente zum laut Loslachen. Harry dagegen ist ein eher ruhiger, in sich gekehrter Junge, der die Dinge mehr erträgt, als dass er sich eigenständig bemühen würde. Nur mit Hilfe seiner Freunde kann er wirklich Taten walten lassen und Erfolge erzielen, manchmal fällt ihm die Antwort auch einfach so vor die Füße. Percy hat eine recht aufgeklärte Lebenseinstellung und arbeitet mit seinen Freunden, Harry wirkt dagegen sehr viel naiver, jünger und hilfloser ohne klügere Begleiter. Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden sind also eher oberflächlich.

3. Der böse Mann
Sowohl Harry als auch Percy haben einen durch und durch bösen Gegenpart. Beiden Gestalten ist der Körper schon vor Beginn der Bücher abhanden gekommen, und beide stehen für das ultimative Böse. In beiden Buchreihen erleben wir, wie die Kreatur mächtiger wird, um schließlich ihre alte Macht wiederzuerlangen – und alles könnte so herrlich einfach sein, wenn da nicht zwei impertinente Jungen wären, die alle diabolischen Pläne zunichte machen wollen.
Die vermutlich größte Gemeinsamkeit hierbei zeigt sich darin, dass beide Helden ungeplant in der Lage sind, Gedankenschnipsel oder Momentaufnahmen des Gegners mitzuerleben. Doch auch hier gilt wieder: die Ähnlichkeiten sind eher oberflächlich. Inhaltlich gibt es an der Stelle wirklich nichts zu verleugnen, doch die Umsetzung macht einmal mehr den großen Unterschied und führt zu völlig unvergleichbaren Ergebnissen. Voldemort ist böse, herzlos und allgegenwärtig. Man versteht ihn, hasst ihn, bemitleidet ihn manchmal sogar. Kronos dagegen versucht böse zu sein, wird so genannt, bleibt aber relativ blass und wenig eindrucksvoll. Er hat keine richtige Lebensgeschichte und windet sich auch nicht heimlich durch jede Buchzeile. Im Kampf gegen Voldemort bliebe Kronos vermutlich nur winselnde Kapitulation übrig. Das liegt nicht etwa an den vollbrachten Taten dieser beiden Charaktere, sondern allein daran, wie plastisch der eine und wie eindimensional der andere gezeichnet wurde.

4. Die Zielgruppe wächst mit. Oder nicht?
Bei noch keiner anderen Buchreihe, die ich gelesen hätte, ist ein Protagonist so auffällig mit seinen Lesern gealtert wie Harry Potter. Wir lernen ihn kurz vor seinem elften Geburtstag kennen und trennen uns von ihm nach sieben Bänden, wenn er ca. siebzehn Jahre alt ist. In der Zwischenzeit ist aus den Kinderbüchern der Anfänge ein Jugendbuch und in Teilen später ein Buch für Erwachsene geworden (oder ein All-Age-Roman, wie es heute gerne heißt). Man hat auch erlebt, wie aus dem kleinen Jungen Harry der launisch aggressive und verantwortungslose Teenager wurde, bis hin zum Übergang ins von bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen geprägte Erwachsendasein. Man erlebt Harrys Heranwachsen spürbar mit, und wer bei Erscheinen der ersten Bücher als Kind dabei war, der wird diese Buchreihe sicherlich ganz anders erlebt haben, als ein erwachsener Leser, der von einer wesentlich weiterentwickelten Perspektive aus startet. Letzterem wird die drastische Veränderung, die zwischen Band 1 und Band 7 stattfindet, vermutlich deutlich stärker auffallen.
Bei Percy Jackson ist dagegen alles etwas einfacher und universeller. Auch Percy ist gerade elf Jahre alt, als seine Abenteuer beginnen. Anders als sein Mitstreiter Harry wirkt er aber, wie bereits erwähnt, von Anfang an reifer und älter. Im letzten Band erreicht er ein Alter von sechzehn Jahren, und obwohl dazwischen eine recht einschneidende Entwicklung vom Kind zum jungen Mann stattfinden sollte (und sicher noch weitergehen müsste), verändert sich Percy nicht wesentlich und wirkt konstant wie ein Erwachsener. Vielleicht liegt es an der Art, wie er aufgewachsen ist, vielleicht hat ihn der Autor auch bewusst so abgeklärt und resolut geschrieben, dass er sowohl für junge Leser als auch für Erwachsene in jedem Lebensjahr eine Person darstellt, mit der man sich als Leser identifizieren kann. Percy wirkt also etwas zeitlos. Es ist egal ob er elf oder sechzehn ist, er ist einfach Percy von Anfang bis Ende.

5. Das World-Building
Da wären das Camp Half-Blood & Hogwarts, die Konstellation dreier ungleicher Kinder, die Freunde werden und ein aussichtsloses Abenteuer bestehen müssen, und etliches mehr. Sowohl Percy als auch Harry fallen durch ihren besonderen Status aus der Reihe. Auch ihre Mitstreiter sind sich ähnlich. Grover zeigt sich ebenso tollpatschig und treu wie Ron, und Anabeth nimmt wie Hermine die Rolle der intelligenten und schlagfertigen weiblichen Heldin ein. Auch die Verschmelzung von realer und magischer Welt zeigt Ähnlichkeiten. So gelangt man jeweils über scheinbar gewöhnliche Orte in verborgen existierende, magische Gefilde. Die Atmosphäre beider könnte dabei nicht unterschiedlicher sein. Hier trifft eine zeitlose, nostalgische Kerzenlichtatmosphäre Großbritanniens auf die vor Elektrizität und Modernität summende Großstadt Manhattan in den USA.
Während bei Harry Potter viel Wert auf kleine Details gelegt wurde (man denke nur an die Namen und Gadgets) und man in eine beinahe vorindustrielle Welt versetzt wird, kommt Percys Welt viel moderner, härter und gegenwärtiger daher. Die Nostalgie der Potter-Bücher wird man bei Percy Jackson vergeblich suchen, denn hier ist die Welt eher funktional notwendiger Schauplatz als ein stimmungsvolles, atmendes Setting mit einem eigenen Leben.
Für Leser dürfte hierin daher der größte, aufdringlichste Unterschied und das deutlichste Potential für enttäuschte Leseeindrücke zu finden sein. Gerade wenn man als Fan der Potter-Bücher zu Percy Jackson kommt, werden hier etliche Erwartungen nicht erfüllt. Percy Jackson birgt seine eigene Faszination, wenn man ihn für sich betrachtet, aber eben doch auf völlig andere, sterile Art und Weise als bei dem sehr bildstarken Harry Potter. Potter überzeugt durch einen einmalig homogenen und lebendigen Weltenbau, Jackson durch seinen charmanten Charakter.

1 Rezept, 2 Köche = 2 ganz verschiedene Gerichte auf dem Teller: Blurbs entpuppen sich oft als Lesefalle, wenn sie nicht wirklich mit Bedacht geschrieben wurden, sich nur an Oberflächlichkeiten bedienen und nur dem Marketing zu verdanken sind. Beide Buchreihen, um beim Beispiel zu bleiben, wirken meinem Leseeindruck nach völlig unterschiedlich, und die wenigen Gemeinsamkeiten sind zunächst sogar sowohl leicht zu übersehen, als auch erst einmal zum Nachteil des Jacksons (weil ich tatsächlich etwas wie Harry Potter erwartet habe). Wäre ich ohne diesen vorherigen Vergleich an das Buch herangegangen, es hätte mich wesentlich schneller in den Bann gezogen und ich wäre nie auf die Idee gekommen, es mit Harry Potter zu vergleichen oder es im Hinterkopf immerzu an Harry zu messen. So hat der eher schlechte Blurb in diesem Fall zwar mein Interesse auf die Buchreihe gelenkt, aber auch zu einem Lesekonflikt geführt, der sich nicht so einfach wieder abschalten oder ausblenden ließ. War das nun ein Erfolg oder nicht? Gekauft habe ich die Bücher schließlich, und somit war das Marketing erfolgreich. Auf der anderen Seite wurde ich auch erfolgreich abgeschreckt. Der Blurb hat seine eigentliche Wirkung verloren und eignet sich höchstens noch für Wetteinsätze, wenn es in humorvoller Runde darum geht, die kurioseste Version zu finden.

Wie seht ihr das? Traut ihr Blurbs noch über den Weg?

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Im Rahmen des BuCon wurde am Samstag der Deutsche Phantastik Preis 2012 verliehen, die Gewinner können auf der Homepage des dpp eingesehen werden. Wir gratulieren allen ganz herzlich und möchten uns bei dieser Gelegenheit auch bei den Lesern und Leserinnen bedanken, die in der Kategorie “Beste Internetseite” für uns abgestimmt und uns wieder auf den seit Jahren konstanten zweiten Platz gewählt haben. Wir werden uns weiterhin ins Zeug legen – so viele Zweitplatzierungen zu horten wie Markus Heitz Phantastikpreise ist schließlich auch ein ambitioniertes Ziel. 😉

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WitchbladeDas Leben ist eines der härtesten: Sarah Pezzini ist alleinerziehende Mutter, arbeitet in der Mordkommision, ist Trägerin eines mystischen Artefakts, und zu allem Überfluss hat Mutter Natur ihr zwei prall gefüllte Montgolfière vor den Brustkorb gesetzt, die nicht nur der Gravitation trotzen, sondern auch jedes Bekleidungsstück vor eine Zerreißprobe stellen. Leserinnen sollten dennoch davon absehen, aus Solidarität vornüber zu kippen, denn der Klappentext belehrt uns, dass wir es mit einer starken Frau zu tun haben. Was für eine Erleichterung, ist sie doch mit ihrer Witchblade (sic!) der Schlüssel im Kampf der Darkness (sic!) gegen die Angelus. Denn Körbchengröße ist nicht alles; man muss auch als Kind in den Mecho-Tentakel-Kessel gefallen sein, um sich als Frau behaupten zu können.

Doch lasst uns am Anfang beginnen. Witchblade – ein neuer Anfang, ein Comic von Ron Marz und Stjepan Sejc, erzählt die Geschichte nicht nur einer, sondern gleich zweier „starker Frauen“; beide tragen sie die Witchblade als Schmuck am Handgelenk oder, zwecks Aussicht, als Kette, doch bei Gefahr verwandelt sich das Glasperlenprodukt in ein tentakeloides Schnitzelwerk. Das verpflichtet natürlich zum Kampf gegen die Finsternis, die in Witchblade gleich in mannigfaltiger Form auftritt: völlig unauffällige, romantisch ambitionierte Stelldicheiner mit dunklen Absichten, zu exorzierende Hausgeister und … Zombietempelritter.

Nachdem sich der geneigte Leser von dem unerhörten Kunstgriff erholt hat, die ollen Chainmail-Zausel auch für diesen Kampf zu reanimieren, kann man sich getrost den ekelerregenden Botschaften des Werkes widmen. Wie bereits erwähnt, werden Sarah und die ebenfalls gut bebrüstete Danielle als starke Frauen angepriesen; gleichzeitig sind sie mit einer Dummheit gesegnet, die das Leben in dieser Comicwelt vermutlich erst erträglich macht, und trotz Witchblade müssen beide einsehen, dass sie gegen einen bewaffneten Mann im Kampf chancenlos sind (aber ich kann beruhigend hinzufügen – im Bett sieht das natürlich anders aus). An Sexismus jedoch nicht zu übertreffen sind die Umstände von Sarahs Schwangerschaft: der Lord der Darkness hat mit Sarah das Kind gezeugt, als sie im Koma lag. Paraphrasiert wird dies im Comic mit „das Baby war nicht geplant“; mit wenigen Worten wird so diese brutale Vergewaltigung zum Lapsus heruntergespielt. Somit hat Witchblade nicht einmal das Trash-Prädikat verdient, sondern gehört ohne Umwege auf den Papiermüll. Außer es erbarmt sich ein Leser und schickt den Autoren nicht nur einen Anatomieatlas, sondern auch die Menschenrechtscharta, die dort wiederum hoffentlich nicht gleich wieder auf dem Müll landen.

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Ein Problem, das wir alle kennen: Das Regal ist voll. Nieten aussortieren ist eine Sache. Level 2 allerdings sind ungelesene Bücher, bei denen man eine Ahnung hat, dass sie auch fürderhin ungelesen bleiben werden. Zu Beginn eine einfache Übung: Folgebände mehrteiliger Reihen. Man hat sie sich im ersten Enthusiasmus angeschafft, aber wenn man wie ich Reihen kaum je hintereinander wegliest, stellt man irgendwann fest, dass das Interesse erloschen ist.

1. The Oracle’s Queen (Lynn Flewelling)
Bei der Tamír Trilogy hat mir der erste Band Spaß gemacht. Als die Reihe erschienen ist, war es das, was ich damals gern mochte, schöne (Gender-)Trickspielchen mit ausführlich ausgeleuchteten Charakteren. Schon beim zweiten Band hatte sich das Konzept ein klein wenig abgenutzt, und als dann ein paar Jahre ins Land zogen, ehe der dritte erschien, war die Reihe zum Großteil aus meinem Gedächtnis verschwunden. Schlechtes Zeichen. Nochmals einlesen werde ich mich wohl nicht.

2. A Fortress of Grey Ice (J.V. Jones)
Die Sword of Shadows-Reihe war J.V. Jones’ Beitrag zur damals heranwogenden grim&gritty-Welle. Den ersten Band habe ich ganz nett in Erinnerung, vor allem das eisige Setting war nach meinem Geschmack. Und am Ende so gestrickt, dass man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Also her mit dem zweiten Band. Allerdings kam danach sehr, sehr lange kein dritter, und den zweiten habe ich nie zur Hand genommen. Was ich damals unbedingt wissen wollte, ist mir inzwischen auch entfallen, deswegen werden Raifs Abenteuer wohl ohne mich weitergehen.

Red Seas Under Red Skies von Scott Lynch3. Red Seas Under Red Skies (Scott Lynch)
Jetzt kommen wir zu den Titeln, bei denen der Abschied etwas schwerer fällt. Den Vorgänger Lies of Locke Lamora fand ich gewitzt und spannend, wenn auch etwas merkwürdig strukturiert. Ich hätte gern noch einen Roman mit ähnlichen Hintergründen gelesen. Dass der zweite dann so eine piratige Anmutung hatte, hat mich wohl bisher vom Lesen abgehalten. Und der dritte Band ist eines DER Problembücher der Fantasy, die (in diesem Fall aus guten Gründen) schon ewig auf sich warten lassen. Ein bisschen schade finde ich es trotzdem, den Autor fallenzulassen, aber an Red Seas Under Red Skies habe ich trotzdem so gar kein Interesse entwickelt.

4. Kushiel’s Chosen (Jacqueline Carey)
Schon Kushiel’s Dart war ein harter Brocken. Die ganze Fifty-Shades-of-Kushiel-Nummer mit der mit Schürhaken und ähnlichem traktierten Heldin dürfte zwar inzwischen niemandem mehr ein müdes Lächeln entlocken, aber der Roman hat gebraucht, bis er sich zwischen Hofintrigen, Bettgeschichten und Benimmregeln in ein famoses Abenteuer entwickelt hat. Und das war leider nicht nur toll erzählt und sprachlich wie weltschöpferisch interessant, sondern hatte auch sehr viel verzwickt-tragische Romantik. Die Andeutungen, wie es rund um die Romantik weitergehen könnte, waren für mich doch nicht überzeugend genug, um weiterzuverfolgen, wie Phèdre nó Delaunay und ihr Leibwächter Joscelin nicht zusammen glücklich werden können. Ach!

The Great Hunt von Robert Jordan5. The Great Hunt (Robert Jordan)
Einen Band vom Rad der Zeit muss man einfach mal testen, wenn man epische Fantasy mag. Und ganz unspanned war es auch nicht. Ich wollte mir also anschauen, wo das Ganze hinläuft, wenn es mal über den ersten Vorstoß nach Mittelerde hinaus ist. Ob es allerdings die abschreckende Vorstellung der vielen Bände, die merkwürdigen Frauenfiguren oder das doch etwas zu klassische und wenig reizvolle Setting war, das dazu geführt hat, dass ich nie weiterlesen wollte, kann ich nicht einwandfrei klären. Vielleicht ist das eine der Reihen, die man eher in einem zarten Alter lieben lernen muss, um ihr zu verfallen?

Und die Moral von der Geschicht könnte heißen: Autoren und Autorinnen, braucht nicht zu lange. Zum Glück habe ich auch etliche Reihen im Regal, in die ich problemlos nach langer Pause oder auch über viele Bände hinweg gerne wieder einsteige. Aber damit das für mich klappt, muss das Gelesene wohl eine bessere Langzeitwirkung auf mich haben als bei den hier vorgestellten, auch wenn ich von den ersten Bänden seinerzeit mitunter viel gehalten habe.

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Das Drachenschwert von Daniel HanoverEs ist mal wieder an der Zeit, eine frisch erschienene Übersetzung zu empfehlen, an der ich mit großem Vergnügen gearbeitet habe: Daniel Hanovers Das Drachenschwert (ISBN 978-3-442-26865-8), den ersten Band der auf fünf Teile ausgelegten Reihe Dolch und Münze.
Damit sind auch die beiden Hauptkomponenten abgesteckt, die die Welt antreiben, die die Drachenimperatoren den dreizehn von ihnen geschaffenen Rassen hinterlassen haben: Konflikt, teils offen-kriegerisch, teils verdeckt-intrigant umgesetzt, und Handel, Bank- und Geldwesen. Diese beiden unterschiedlichen Wege zur Macht erweisen sich jeder auf seine Art als grausam, werden aber immer von Menschen eingeschlagen, die ihre ureigenen Gründe für das Machtstreben haben.

Da wäre zunächst Marcus Wester, Söldnerhauptmann und Schrecken von Königen, dem sein Trupp abhanden kommt, als er von einem Fürsten zum Kriegsdienst erpresst werden soll. Um einen Vertrag als Karawanenwache einzuhalten, sieht Wester sich gezwungen, kurzfristig eine Gruppe Schauspieler anzuheuern, die sich als Wächter ausgeben. Gemeinsam mit seinem lakonischen Stellvertreter Yardem bildet er zwar nicht nur im Kampf ein unschlagbares Duo, doch hat er keine Ahnung, was ihn auf dem Treck nach Norden wirklich erwartet: In der Karawane befindet sich nämlich auch das Bankmündel Cithrin, die inkognito die Reichtümer der Bank in ihrem Wagen aus der Stadt schmuggelt.
In die Gegenrichtung unterwegs ist dagegen der dickliche Bücherwurm Geder Palliako, ein junger niederer Adliger auf seinem ersten Feldzug, der leider nicht die erhoffte Schwertkameradschaft erlebt, sondern als Kompanieclown verlacht wird.
Und im Herzen der Macht der erstgeborenen Menschen, der ehemaligen imperialen Hauptstadt von Antea, sitzt Baron Dawson Kalliam, Freund des Königs aus Kindertagen, Ehrenmann, und verzweifelt darum bemüht, das Reich zusammenzuhalten, notfalls auch mit Verschwörungen und Gewalt.

Hanover, der bereits mit George R.R. Martin zusammengearbeitet hat und mit dessen Assistenten unter einem anderen Pseudonym SF schreibt, entwirft Dolch und Münze mit vielen Parallelen zu Das Lied von Eis und Feuer: Die Intrigenspiele des Adels, das Geschacher um Macht, bei dem leichtfertig mit dem Leben der Untertanen gespielt wird, der marode Zustand der Welt, so dass das gegenseitige Zerfleischen nur einer winzigen Anregung durch übernatürliche Mächte von Außen bedarf – und nicht zuletzt die Kapitel, die die Namen der Hauptfiguren tragen, aus deren Perspektive abwechselnd erzählt wird. Dennoch liest sich Das Drachenschwert eher wie ein erwachsenerer Bruder von Martins Epos, denn der Fokus liegt nicht nur beim Umgang mit den Figuren letztlich auf feinen Beobachtungen und Veränderungen, die sich zunächst oft im Verborgenen abspielen, aber später die Welt erschüttern werden. Über die menschlichen, nicht über-menschlichen Helden, die sich nicht immer in die antizipierte Richtung entwickeln, werden politische und gesellschaftliche Themen verhandelt, und ganz nebenbei zaubert Hanover individuelle Interpretationen etlicher Figuren-Klischees – des Tyrannen, des “auserwählten” Waisenkindes, des Heroen, die vermutlich auch die alten Haudegen unter den LeserInnen eiskalt erwischen werden.
Damit gelingt es Hanover, in diesem Auftakt die Anlagen für etwas zu schaffen, das der epischen Fantasy ein realistisches Update geben kann, was die Komplexität der Welt (nicht der Weltschöpfung, wohlgemerkt) und der Beziehungen der Menschen darin angeht. Man darf gespannt sein, was in dieser Reihe noch drinsteckt, wenn sie schon mit dem ersten Band ein so spannendes Geflecht von Figuren und Ereignissen vorlegt und das “Werden” großer Spieler in der Welt auf eine ziemlich einzigartige Art und Weise beleuchtet.

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In diesem Frühsommer ist Tobias O. Meißners jüngster Roman Barbarendämmerung erschienen und noch heuer soll der dritte Band seiner Reihe Hiobs Spiel veröffentlicht werden. Er ist einer der experimentierfreudigsten deutschsprachigen Phantastikautoren und hat sich ein bisschen Zeit freigeschaufelt, um für Bibliotheka Phantastika ein paar Fragen zu beantworten und spricht mit uns unter anderem über seinen jüngsten Roman und seine neuesten Projekte …

Cover von Frauenmörder von Tobias O. MeißnerBilbiotheka Phantastika: Hiobs Spiel wird demnächst bei Golkonda fortgesetzt, dein sonstiger Hausverlag ist Piper. Wie siehst du deine Situation als Autor heute zwischen großen Publikumsverlagen und kleinen Liebhaberprojekten, zwischen Self-Publishing und traditionellen Formen?

Tobias O. Meißner: Für mich ist es natürlich komfortabel, dass ich einerseits in Zusammenarbeit mit einem Publikumsverlag verhältnismäßig sicher meine Brötchen verdienen kann, andererseits aber auch für völlig verrückte und unbequeme Projekte noch Abnehmer finde. Kreativ betrachtet ist der Unterschied zwischen beidem jedoch gar nicht so groß, wie man glauben könnte. Das liegt daran, dass Piper mir erstaunlich freie Hand lässt beim Gestalten meiner Projekte.

bp: Zu deinem Mammut-Zyklus ist mit Die Vergangenheit des Regens letztes Jahr nach 6 der geplanten 12 Bände ein “Finale” erschienen: Ist das das Ende? Gibt es in Zeiten des eBooks eventuell eine Möglichkeit, die Geschichte fortzuführen, oder soll sie mit den vagen Aussichten am Ende von Band 6 offen bleiben?

TOM: Ich würde das Projekt sehr gerne noch so wie ursprünglich geplant zuende führen, also: zwölf Bände, Gesamtumfang 4000 Seiten. Immerhin ist der gesamte Handlungsverlauf bereits detailliert schriftlich entworfen worden.
Das Problem dabei ist halt die Finanzierung. Ich würde für jedes fehlende Buch ein halbes Jahr Arbeitszeit brauchen, also drei Jahre für den gesamten Rest. Diese drei Jahre über muss ich jedoch meine Miete zahlen können, und das scheint im Augenblick mit diesem Projekt nicht möglich zu sein. Aber ich betrachte das langfristig. Wer weiß, wie sich die Lage in ein paar Jahren geändert haben wird.

bp: Die RPG-Elemente im Mammut, Das Paradies der Schwerter, bei dem die Ergebnisse ausgewürfelt wurden, Hiobs Spiel: Inwiefern prägt der Spiel-Gedanke deine Literatur? Kommst du oft aus dieser Richtung, mit ungewissen Ausgängen, festen Regeln oder der Betrachtung von Literatur allgemein als Spielwiese?

TOM: Ich finde, dass Spielregeln etwas Philosophisches haben: Sie versuchen, komplexe Geschehnisse zu ordnen und erfahrbar zu machen. Sie sind gleichzeitig abstrakt und konkret. Genau wie gute Literatur. Ich sehe da Zusammenhänge, wahrscheinlich beeinflussen sich deshalb Buch und Spiel bei mir immer gegenseitig.

Cover von Das Paradies der Schwerter von Tobias O. Meißnerbp: Fast alle deine Werke, vom Debut Starfish Rules bis zum aktuellsten Roman Barbarendämmerung, setzen sich aus vielen, kleinen in sich geschlossenen Texten/Geschichten/Abenteuern zusammen, die sich in ein größeres Ganzes fügen, woher kommt diese Art des Erzählens – von Pen-&-Paper-Rollenspielen, von Computerspielen?

TOM: Eher von meinem Faible für Comics. Das serielle Erzählen, das Plotten in Fortsetzungen bin ich von Comics und Romanheften gewöhnt, Literaturformen meiner Kindheit. Und ich habe darin immer sehr große Stärken gesehen. Heute verfahren auch Fernsehserien nach diesem Muster. Es gibt sowohl Episodenzusammenhänge als auch einzelne Episoden, die für sich stehen, aber Randbereiche der Gesamtserie ausloten. Das ist ein ausgesprochen komplexes und ergiebiges Feld.

bp: An die vorherige Frage anschließend: Würde es dich reizen, mehr Kurzgeschichten zu schreiben oder ist es gerade der große Rahmen, der diese zusammenhält, der für dich interessant ist?

TOM: Tatsächlich fasziniert es mich am meisten, wenn das Kurze Teil eines Größeren ist. Ich finde, dass dann das Kurze sowohl zur Geltung kommt, als auch einem übergeordneten Ziel dient. Das beste beider Welten sozusagen.

bp: In einem Interview vor ein paar Jahren hast du dich mal dazu geäußert, mit einer zwölfbändigen Fantasy-Reihe (dem Mammut-Zyklus *g*) Neuland zu betreten. Ist diese Form deiner Meinung nach gescheitert – es kommen ja generell in letzter Zeit eher einzelne oder lose verbundene Bände heraus als lange Fantasy-Reihen, und auch deine letzten Sachen waren Einzelbände?

TOM: Es sieht so aus, als gäbe es für ausgeklügelte Zyklen á 4000 Seiten momentan nur einen sehr, sehr engen Markt. Aber wie gesagt kann das in zehn Jahren ja schon wieder ganz anders aussehen.

bp: Du hast ja nun schon mehrere Romane veröffentlich, die formal unter die sogenannten “Völkerromane” fallen. Ist das ein notwendiges Übel, oder bist du der Meinung, dass man sich diese Form auch zu eigen machen kann?

TOM: Ich hatte ja vollkommene kreative Freiheit und musste keines von Tolkiens Völkern nehmen. Das hätte mich überhaupt nicht gereizt, da wäre ich mir wie ein Wilderer vorgekommen. Aber so, mit der Dämonen-Trilogie, konnte ich in einem bereits etablierten Format etwas vollkommen Eigenständiges machen. Und so zu arbeiten ergibt für mich in jeder Hinsicht sehr viel Sinn.

bp: Beim Mammut stand zunehmend die Frage nach dem richtigen Handeln im Vordergrund (z.B. wenn Ökos es mit autochthonen Völkern zu tun haben).Wie kann Fantasy Fragestellungen behandeln, die für den modernen Menschen von Belang sind? Und was für Fragen treiben dich um?

TOM: Fantasy kann wirklich ALLE Fragen behandeln, von der sexuellen Unerfüllbarkeit bis hin zum Völkermord. Und da mich Grundprobleme von Ethik, Menschlichkeit, Unmenschlichkeit und verantwortungsvollem Handeln („Wie weit würdest du gehen, um einer gerechten Sache zu dienen?“) brennend interessieren, werden diese Bereiche auch immer wieder in meinen Romanen eine wichtigere Rolle spielen als zum Beispiel die Frage „Kriegen sie sich am Schluss?“ (an deren Antwort „Ja“ ich nie so richtig glaube, weil sie sich ja fünf Tage später schon wieder scheiden lassen können …)

bp: (Phantastische) Literatur kann entweder subversiv-aufrüttelnd sein oder affirmativ-tröstend; bei dir steht ja eher ersteres im Vordergrund. Mit welchen Mitteln versuchst du deine LeserInnen aus der Komfortzone zu locken?

TOM: Ich scheue mich nicht, dahin zu gehen, wo’s wehtut.
Und was ich auch überhaupt nicht mag, sind eindeutige Gut-Böse-Zuordnungen. Wenn Fantasy nur noch Kitsch ist, dann gehört sie meiner Meinung nach eingestampft. Und aus der Pulpe solch zahnlosen Mainstreams könnte man dann wahnwitzig subversives Zeug drucken.

Cover von Barbarendämmerung von Tobias O. Meißnerbp: Du hast in einem Interview anlässlich der Leipziger Buchmesse gesagt, dass du von deinem Leben in Neukölln zum Roman Barbarendämmerung inspiriert worden bist, möchtest du dazu ein bisschen was sagen? Angesichts der laufenden Migrationsdebatte ist der Roman mit dem Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wertesysteme und der Mischung aus Furcht und Faszination, die dem „Anderen“ entgegengebracht wird, hochaktuell.

TOM: Es geht nicht nur um Migranten, sondern ganz allgemein um eine Gesellschaftsschicht, die niemals Bücher liest, aber immer großspurig auftritt und sich mit Gewalt Gehör zu verschaffen sucht. Neukölln war jahrelang ein schmuddeliger Problembezirk (ich lebe seit über zwanzig Jahren hier), und in den letzten Jahren wurde es von Hipstern zum Trend erklärt. Das ist absurd, weil die Barbaren sich dadurch nur umso entschlossener zusammenrotten werden, um ihre Recht aufs Barbarenbleibendürfen einzufordern.

bp: Die Gewaltdarstellung ist in den meisten deiner Werke sehr explizit. Wann ist für dich die Grenze zwischen „Gewalt als Stilmittel“ und „Gewalt als Selbstzweck“ überschritten?

TOM: Ich sehe das gar nicht als Gegensatzpaar. Ich setze Gewalt sehr bewusst ein, um Handlung zu beschleunigen, so, wie ein Choreograph Tanzsprünge einsetzt oder ein Maler Action Painting. Es geht mir nicht immer um ein Hinterfragen und Problematisieren á là „Gewalt ist keine Lösung“. Davon gehe ich ohnehin aus, und 99 % aller Leser ebenfalls. Aber wenn ich einen Roman wie Barbarendämmerung mache, muss die Gewalt zum Selbstzeck werden, muss sogar stellenweise zum alleinigen Inhalt heranreifen können. Ansonsten würde ich mich um das Thema der Barbarei herum mogeln, und dann braucht man ein solches Buch ja gar nicht erst zu beginnen.

bp: Kann man wirklich annehmen, dass ein Großteil der LeserInnen bei einer plakativen Gewaltdarstellung die (gewalt-)kritische Metaebene entweder schon hat oder gleich mitrezipiert? Gerade unter dem Gesichtspunkt – um einen direkten Werkbezug herzustellen – dass du in Barbarendämmerung zeigst, wie fadenscheinig die Grenzziehung zwischen „Barbarei“ und „Zivilisation“ ist, besteht doch auch immer die Gefahr, dass die unproblematisierte Darstellung von Gewalt auch aus den falschen Gründen von Lesern geschätzt werden und eine fragwürdige positive Resonanz hervorrufen könnte.

TOM: Bücher sind eine sehr abstrakte Angelegenheit. Sie können nicht so unmittelbar körperliche Reaktionen auslösen wie z. B. Musik das kann, oder auch Filme oder Computerspiele (die ja beide ebenfalls mit Musik arbeiten). Dass jemand durch das Lesen einer ausschließlich mit Buchstaben bedruckten Seite zum axtschwingenden Killer wird, ist vielleicht höchstens in einem religiös fanatisierten Kontext denkbar, bei Fantasy und anderen unterhaltsamen Abenteuerromangenres jedoch noch niemals vorgekommen. Und wenn jemand sagt: „Die Gewalt in Meißners Büchern ist geil!“, dann findet diese Begeisterung immer noch auf einer harmlosen, weil eben sehr abstrakten Ebene statt, und muss nicht sonderlich beunruhigen.

bp: Du arbeitest hauptsächlich mit männlichen Protagonisten – Frauen sind bei dir tendenziell eher Randfiguren. Liegen dir männliche Figuren eher, oder hast du das Gefühl, dass sie erzählerisch mehr Möglichkeiten bieten?

TOM: Dieser Missstand ist mir selbst schon vor zwei Jahren bewusst geworden. Deshalb gibt es in dem Manuskript, an dem ich gerade arbeite, überhaupt keine wichtige Männerfigur mehr, sondern lediglich zwei handlungstragende Frauen, in meinem nächsten Buch für Piper wird eine Frau die Protagonistin sein, und in Die Dämonen – Am Ende der Zeiten war die Hauptfigur ein Hermaphrodit, also männlich und weiblich zugleich. Man könnte sagen, da zeichnete sich der Wechsel in meinem Gesamtwerk bereits ab. Aber ich habe vor etwa zehn Jahren schon ein Hörspiel fürs DeutschlandRadio geschrieben, in dem es nur drei Figuren gab, und alle drei waren Frauen.

bp: Wenn du dazu schon was verraten willst – schreibt sich das neue Projekt mit der starken Fokussierung auf Frauenfiguren anders? Was können wir da erwarten?

TOM: Etwas sehr Heikles. Würde ich bei meinem Fokus auf Frauenfiguren die erotische Ebene ausblenden, käme ich mir wie ein Heuchler vor. Also versuche ich, aus einer erotisch faszinierten Sichtweise heraus nicht einfach nur Männerfantasien zu entwickeln, sondern so etwas wie Frauenbeunruhigungen angesichts einer männlich dominierten Perspektive zu formulieren. Klingt kompliziert und ist es auch, mal sehen, ob dabei etwas Außergewöhnliches herauskommt.

Die dunkle Quelle von Tobias O. Meißnerbp: Du arbeitest mit Querverweisen zwischen deinen eigenen Romanen und Zyklen, hast eine Verbindung zwischen deiner Mammut-Reihe und dem Zeitalter der Wandlung deines Kollegen Markolf Hoffmann geschaffen: Sind das Gelegenheiten, die du beim Schopfe packst, oder steckt mehr dahinter?

TOM: So jemanden wie Markolf Hoffmann muss man einfach am Schopfe packen, wenn er des Weges kommt, man kann ja vorher nicht wissen, dass es so ein Talent überhaupt gibt. Was Querverweise innerhalb meiner eigenen Bücher angeht, plane ich sehr langfristig. So ist Das Paradies der Schwerter beispielsweise in meinem Roman Neverwake eine Art Kultroman mit gesellschaftsrelevanten Auswirkungen. Und sogar zwischen Hiobs Spiel und Im Zeichen des Mammuts gibt es eine seit Jahrzehnten vorbereitete Verzahnung.

bp: Wenn du darüber schon etwas verraten möchtest, würde uns interessieren, wie du angesichts dessen die weitere Entwicklung des Hiobs Spiel-Zyklus planst?

TOM: Darüber möchte und kann ich eigentlich nicht allzu viel verraten, weil Hiobs Spiel außer seiner insgesamten Laufzeit von 50 Jahren keinen Regeln unterworfen sein soll. Das heißt, dass ich keine Versprechungen machen möchte, weil ich jederzeit auch wieder alles umstürzen könnte. Ich habe aber grobe thematische Abläufe für die Bände 4, 5 und 6 im Kopf. Darüberhinaus – und ob es überhaupt mehr als sechs Bücher werden – bin ich überfragt.

bp: Im Mammut spielen göttliche Eingriffe in den Weltenlauf eine große Rolle, und auch hinter Das Paradies der Schwerter steckt letztlich ein ähnliches Thema. Inwiefern reflektierst du in deinem Schreiben, dass der Autor Gott auf seiner Welt ist, oder eben Gamemaster?

TOM: Der Autor ist Gott. Es sei denn, er beschließt zu würfeln. Dann wird er zum rasenden Reporter.

bp: Für dieses schöne Schlusswort und das ganze Interview sagen wir vielen Dank!

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Wir wollen unsere Rezensententätigkeit und unser Leseverhalten hin und wieder auch kritisch beleuchten, und dazu haben vier unserer eab-Mitglieder eine Auswertung ihrer bisherigen Lektüre 2012 vorgenommen, diesmal nicht in Form von Bestenlisten oder Tops und Flops, sondern um euch eine kleine Statistik zu präsentieren.

Colophonius
colos Lesestatistik für das erste Halbjahr 2012

7 gelesene Neuerscheinungen! Diese Quote ist bei mir sensationell. Während meine prä-bp-Einkäufe von Blindgriffen in die Neuerscheinungskisten dominiert waren, lese ich seit mehreren Jahren beinah ausschließlich junggebliebene Lektüremethusalems auf Empfehlung. Neuerscheinungen reizen mich zum Großteil nicht mehr, die aus dem deutschsprachigen Raum erst recht nicht (das ist eindeutig ein Fall für ein beherztes “leider!”). Dieses Halbjahr war durch einige Geschenkbücher von der Neuerscheinungsfront (5 insgesamt) ein Sonderfall, doch im nächsten heißt es wieder: neue Eriksons, Ffordes, Scholes, Rothfusses und einige andere Kandidaten bilden die Ausnahme. Das Büchergeld, was dann noch übrigbleibt, wird in zeitlos-alte Werke investiert, denn während sich viele Neuerscheinungen für mich wie ausgetretene Schuhe lesen, die belanglose Wege wieder und wieder begehen, begeistern mich viele alten Eisen durch ihre Aktualität und Relevanz.

mistkaeferl
Kaeferl's Lesestatistik für das 1. Halbjahr 2012

Frappierend ist bei mir der geringe Anteil an Autorinnen, vor allem, da ich bis auf wenige Ausnahmen nicht sonderlich AutorInnen-fixiert lese, sondern es meist Inhaltliches ist, das mich zu einem bestimmten Buch greifen lässt. Ein Blick ins Regal zeigt, dass aber auch dort Autorinnen nicht gerade üppig vertreten sind. Das mag z.T. an meinen bevorzugten Subgenres liegen – die epische Fantasy ist z.B. bis auf wenige Ausnahmen immer noch Männerdomäne. Des weiteren wäre es eine interessante Frage, ob nicht teilweise Verlagspolitik (und LeserInnenwünsche) Autorinnen in Bereiche treiben, die ich eher uninteressant finde (Stichwort “Romance”). Dennoch mag ich nicht alles auf äußere Gründe schieben und denke, dass ich mich mit dieser Schieflage noch genauer auseinandersetzen muss. Höchste Zeit für ein Autorinnen-Special bei bp!

moyashi
Moyas Lesestatistik für das erste Halbjahr 2012

Nachdem ich mir meine persönliche Statistik angeschaut hatte, fiel mir zunächst auf, dass ich nur deutschsprachigen Bücher abgebrochen habe, wobei ich davon schon nur sehr wenige zur Hand genommen hatte. Bei näherer Überlegung dämmerte mir die so offensichtliche und doch überraschende Erkenntnis einer der Gründe dafür. Die simple Erklärung: das Sie. Siezen und gesiezt werden war mir noch nie sympathisch. Es wirkt auf mich, solange ich mich erinnern kann, unpersönlich und unfreundlich. Da ist das englische you mit seiner universellen Verwendbarkeit wesentlich zugänglicher, und es verrät auch nicht gleich, wie das Verhältnis zu der Person gegenüber tatsächlich ist, ermöglicht Spekulationen, und die Verlegenheit des Wechsels vom Sie zum Du entfällt. Im Deutschen ist dagegen schon mit der Ansprache geklärt, wo man steht, und es fühlt sich, gerade in der Fantasy, immer merkwürdig für mich an, ein Sie zu lesen. Das ist zwar nicht mein einziger Grund, ein Buch abzubrechen, doch wenn sich ein nicht wirklich fesselnder Plot mit diesem geschwollenen Sie paart, dann ist das der fehlende Nagel im Sarg des Buches.

Wulfila
Wulfilas Lesestatistik für das erste Halbjahr 2012

Mir ist in diesem ersten Halbjahr 2012 eines bewusst geworden: Ich habe trotz eines insgesamt recht ordentlichen Lektürepensums entsetzlich wenig Fantasy gelesen. Bei der Auswertung ist mir vor allem aufgefallen, dass die beiden Bücher, die ich mir selbst ausgesucht habe, von Autoren stammen, die ich bereits kannte (in einem Fall handelt es sich um eine Neuerscheinung von einem längst verstorbenen Autor, so dass sie womöglich auch eher unter die “älteren” Bücher fällt). Spontankäufe aktueller Fantasyromane sind bei mir in letzter Zeit kaum vorgekommen, sei es, dass ich kritischer geworden bin, sei es, dass das Angebot einfach weniger attraktiv geworden ist.

(*) Titel die innerhalb der letzten 3 Jahre erstmalig veröffentlicht wurden.

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Da wir uns unsere Lektüre meist rein nach Präferenz aussuchen, sind die Rezensionen, die ihr bei bp zu lesen bekommt, zum größten Teil durch unsere persönlichen Auswahlkriterien gefiltert. Wir würden aber trotzdem gerne erfahren, wo eure Präferenzen liegen, wovon ihr gern mehr oder weniger sehen würdet: Bei einem Blick in die Spalte mit den neuen Rezensionen stehen oft überwiegend englische Titel, hättet ihr gern mehr Übersetzungen? Mehr aktuelle Titel? Oder andere Wünsche, die wir in unseren Auswertungen gar nicht bedacht haben?

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Jeder von uns hat sie, die dunklen Geheimnisse unserer abgebrochenen Bücher. Manchmal kann das breite Publikum noch so begeistert von einem Werk sein, man selbst gehört dann zu dieser kleinen Minderheit, die ungewollt gegen den Strom schwimmt.
Hier kommen nun die fünf bisher dunkelsten Kapitel meiner verschmähten Bücher, deren Schreibstil oder Inhalt mich derart langweilte, dass ich es trotz eisernem Willen nicht geschafft habe, sie komplett zu lesen:

1. Die Chroniken von Narnia – C.S. Lewis
Die Chroniken von Narnia von C.S. LewisEin Klassiker der Fantasy, der für mich leider trotzdem ungenießbar war. Da hier der religiöse Unterton viel zu aufdringlich und der Schreibstil eindeutig eher etwas für Kinder ist, habe ich es hier nicht über 30 Seiten hinaus geschafft. Viel mehr kann ich dazu gar nicht sagen, die Grundidee fand ich immer recht interessant und ich habe mir als Kind die damals populäre Verfilmung angesehen (ich glaube es war eine von BBC produzierte Serie), von der ich damals sehr begeistert war. Vermutlich muss man einfach Kind sein, um die Die Chroniken von Narnia wirklich genießen zu können.

1. Dracula – Bram Stoker
Dracula von Bram StokerDracula! Der bissigste aller Vampire und Meister der Gänsehaut! Was hat man nicht schon alles an Geschichten und Filmen über Dracula gesehen und banges Herzklopfen erlebt, wenn sich der durstige Blutsauger durch die Schatten der Nacht bewegt und seine Fänge in den Hals seines unschuldigen Opfers schlägt. Lange bevor man das erste Mal von dem eigentlichen Buch erfährt, kennt man Dracula und sein Wesen schon in- und auswendig und hat ihn als Verkörperung der Furcht vor der Dunkelheit verinnerlicht. Welche Freude ist es dann die Romanvorlage für all die abgespaltenen Versionen von anderen Autoren und Filmemachern in die Finger zu nehmen und sich unter der Bettdecke auf das vermutlich unheimlichste aller Vampirbücher zu freuen. Wie groß die Enttäuschung, wenn man dann feststellt, dass alles ganz anders ist. Gruselig? – Fehlanzeige. Eine seichte Sammlung von Tagebucheinträgen verschiedener involvierter Personen, die weder logisch denken, noch unheimlich oder atmosphärisch wirkungsvoll schildern, was hier geschieht, trifft es da schon eher. Besonders enttäuschend war nicht nur Dracula selbst, sondern auch Van Hellsing, der mehr wie ein begriffsstutziger Tattergreis wirkt, anstatt wie ein Vampirjäger mit Vorbildfunktion.
Zu seiner Zeit war Dracula sicher neu und faszinierend, nach heutigem Stand allerdings konnte mich dieses Buch nicht beeindrucken und musste aufgrund akuten Gähnens nach der Hälfte abgebrochen werden.

3. Die Glasbücher der Traumfresser – Gordon Dahlquist
Die Glasbücher der Traumfresser von Gordon DahlquistEin Buch mit vielversprechenden Ansätzen. Da haben wir ein viktorianisches Setting, einen Hauch von Traumnovelle mit geheimen Maskenbällen einer verschwörerischen Geheimorganisation und eine kleine Gruppe von gänzlich unterschiedlichen Menschen, die zu Verbündeten werden, um die Welt zu retten. Nicht zu vergessen die todschicke Aufmachung dieses Buches, dessen Kapitel einzeln gebunden und in einem Schuber kombiniert wurden.
Doch Die Glasbücher der Traumfresser begannen schnell meine Träume und die Hoffnung zu fressen, es würde noch besser werden. Mit seiner unmöglichen Zahl an langen Fluren, Gängen, Korridoren, nicht nachvollziehbaren Beweggründen, immer wiederkehrenden Seidenunterhöschen und einem fehlenden Sinn dahinter oder wenigstens einem Anzeichen dafür worauf das Buch überhaupt hinaus will, haben die Glasbücher meine Erwartungen bestmöglich unerfüllt gelassen und wurden im vorletzten Kapitel endgültig als nicht zu retten eingestuft.

4. Der Hobbit oder hin und zurück – J.R.R. Tolkien
Der Hobbit oder hin und zurück von J.R.R. TolkienNoch ein Meilenstein der Fantasy, der meinem gnadenlosen Urteil zum Opfer gefallen ist. J.R.R. Tolkien scheint nicht mein Autor zu sein. Nachdem ich es als Teenager mit Silmarillion schon versucht hatte und gescheitert bin, mich später ein halbes Jahr durch den ersten Band des Herr der Ringe gequält hatte, musste sich nun zuletzt auch der Hobbit meiner Mittelerde-Abneigung geschlagen geben. Ich weiß nicht genau, woran es liegt, dass ich mit diesem Urvater der Fantasy nicht zurecht komme. Ein damaliger Freund sagte einmal zu mir: »Tolkien war für manche eben doch mehr Professor als Autor«. Ich glaube das beschreibt es für mich sehr gut, denn ich finde seine Texte irgendwie trocken und leblos. Wulfila hat da in ihrem Blogbeitrag neulich etwas geschrieben, was mich u.a. sehr stark an meine Tolkienversuche denken ließ: ich lese und erfahre gerne Dinge über Tolkiens Bücher und die darin erschaffene Welt. Das macht mir Spaß und formt Bilder vor meinem geistigen Auge. Doch die Bücher selbst zu lesen, gestaltet sich leider als Qual, obwohl ich die umfangreichen Ideen des Autors beeindruckend finde und schätze, was er für das Genre der Fantasy geleistet hat.

5. Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär – Walter Moers
Cover des Buches "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von Walter MoersAch Walter, deine Geschichten! Als Fan seiner Illustrationen, die ich mit diesem eigenen Stil einfach immer herrlich und amüsant anzusehen finde, dachte ich mir, lies doch einmal das Buch! Gesagt, getan und abgebrochen. Moers’ erzählerischer Humor trifft meinen Geschmack leider gar nicht. Was ich an seinen Illustrationen liebe, wirkt in seinen Texten zu albern und bemüht lustig. Da schaue ich mir eben weiter die Bilder an, erfreue mich an den absurd witzigen Szenen, die dort dargestellt werden und lese auch hier lieber über Zamonien, als in Zamonien.
Die Stadt der Träumenden Bücher fand ich übrigens wieder sehr ansprechend zu lesen.

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