Category: Zettelkasten

Lobgesang von Ken ScholesFür uns Übersetzer ergibt sich manchmal die glückliche Fügung, daß wir an Romanen arbeiten können, die uns restlos begeistern (auch dann noch, wenn wir sie mehrmals durchgekaut und sie uns haargenau angeschaut haben). In solchen Fällen möchten wir unseren LeserInnen eine besondere Empfehlung aussprechen – natürlich immer unter der Prämisse, daß wir nicht ganz unvoreingenommen sind.

Den Start unserer Reihe mit Übersetzer-Empfehlungen mache ich mit Lobgesang, dem im März frisch erschienenen zweiten Band der Legende von Isaak. (ISBN 978-3-442-26673-9)

Für die Zerstörung von Windwir, der Stadt des Wissens, wurde am Ende von Sündenfall ein Schuldiger hingerichtet, aber damit ist das Verbrechen längst nicht aufgeklärt. Und in der Tat stehen die Benannten Lande, zerrüttet und ihrer Führung beraubt, vor weiteren finsteren Machenschaften: Unbekannte, unbesiegbare Attentäter metzeln in der Nacht des Ehrenfestes von Rudolfos Erstgeborenem seine Gäste dahin. Ein Metallmann, der am Rande der Mahlenden Ödlande mit einer seltsamen Botschaft für den Verborgenen Papst Petronus auftaucht, gibt weitere Rätsel auf, während Fürst Tam sich mit seiner Familie auf die Suche nach dem wahren Feind macht …

Bei Ken Scholes hatte ich am zweiten Band noch mehr Freude als am ersten, denn der Autor legt beim zweiten Besuch seiner postapokalyptischen Welt, in der messerschwingende Frauenhelden neben bücherschreibenden Metallmännern stehen, ehemalige Mönche auf der politischen Bühne glänzen, und dornenreiche Irrgärten den Weg zur Wahrheit versperren, noch einmal eine Schippe von allem drauf, was im ersten Band schon gut war.
Nicht nur die bisher noch überschaubaren Grenzen der Welt erweitern sich, wenn man eine Expedition in die Mahlenden Ödlande begleitet – in die vernarbten Ruinen einer weit entwickelten Zivilisation –, oder mit der Eisernen Armada in die unerforschten Gewässer des Südens segelt. Auch die Charaktere offenbaren ihre ganze Tiefe (sogar ein paar neue Protagonisten gesellen sich zur Schar) und sind teilweise dank der psychologischen Lehre der Franziner zu erstaunlicher Selbstanalyse fähig. Plump wird es dabei aber nicht, denn Ken Scholes ist ein Autor, der in vielerlei Hinsicht darauf vertraut, daß seine Leser selbst Schlüsse ziehen.
Dazu paßt auch, daß die Geschichte besonders Lesern Spaß machen dürfte, die gerne miträtseln oder sich ausmalen, was hinter den vielen Geheimnissen stecken könnte, die es rund um die finsteren Manipulationen und Angriffe zu klären gilt. Es bleibt aber trotzdem eine ausgewogene Mischung aus politischen Intrigen und Abenteuern, diesmal auch mit einigen düsteren Elementen, die einem an die Nieren gehen können.
Die Stärken des ersten Bandes sind dabei in allen Belangen erhalten geblieben: Die schnellen Abschnitte, die ein akzentuiertes Schlaglicht auf Wendepunkte werfen, die vielen überraschenden Umbrüche und die anspruchsvollen Themen, die Die Legende von Isaak zu einer lohnenden Fantasy-Saga für erwachsene Leser machen, die auch gerne Charaktere verfolgen, deren Coming of Age schon ein paar Jährchen zurückliegt. Schuld und Sühne, Mythenbildung, Glaube und Wissen – um diese Dinge kreist Lobgesang und zeigt mit seiner bunt-melancholischen Welt, daß die Hinweise auf Jack Vance nach dem ersten Band nicht ganz ungerechtfertigt waren.

zur Empfehlung von Band 1: Sündenfall
zur Buchinformation mit Leseprobe: Lobgesang
zu unserem Diskussionsthread: Ken Scholes im Forum

Zettelkasten

Sieht man den Punkt vor lauter Lettern nicht mehr, müssen Bilder her. Bilder, die im Text stehen könnten, ohne zu stören – Bilder von Büchern. Mit Begeisterung fing ich an, für die Bibliotheka Phantastika im improvisierten Heimstudio die Schätze aus aller Herren Schränke, das Rascheln der Seiten und so mancherlei offenes Ende abzulichten.
Doch was als kleines Fotoprojekt für die Bibliotheka begann, wurde für mich bald zum großen Faszinosum. Ich hatte das Gefühl, sehr stark ausgeprägte Persönlichkeiten vor der Linse zu haben: während der eine Band sich durch Geduld und Beharrlichkeit auszeichnete, konnte so manches Taschenbuch die Seiten nicht stillhalten. Manche Bücher schüchterten mich ein, manche waren eingeschüchtert. Deshalb nahm ich am vergangenen Dienstag nur meine elf vertrautesten Regalkameraden mit in den nahegelegenen Park, um dort die letzten Bilder für mein Fotoprojekt aufzunehmen.
Das nachfolgende Interview entstand während des Fotoshootings und ist das Erste einer Reihe von Gesprächen.

F.: Herzlich Willkommen! Ich freue mich, Sie hier zu treffen!

B.: Vielen Dank.
Die Seiten des Buches rascheln.

F.: Nehmen Sie doch Platz. Sind sie nervös?

B.: Ein wenig. Ich stand noch nie vor der Kamera.

F.: Das verwundert mich, Sie haben doch die Idealmaße: 28 x 20 x 5, Sie wiegen perfekte 900 Gramm. Und Ihre 41 Jahre sieht man Ihnen wunderbar an.

B.: Aber meine knittrigen Kanten … Die Zeit im Regal, wissen Sie? Und die Kinderhände…

F.: Vorm Ausbleichen ist keiner gefeit, glauben Sie mir. Aber erzählen Sie doch etwas über sich, bevor wir beginnen!

B: Sehr gern. Ich erzähle eigentlich sehr gut. (Pause)
Nicht lange, nachdem ich dem Dunkel der Druckerpresse entflohen war, wurde ich auch sogleich dem bequemen – aber etwas langweiligen – Platz im Regal des örtlichen Bücherladens entrissen. Ich hatte es mir dort gerade gemütlich gemacht. Wenn man jung ist, hat man das Gefühl, von allen gelesen werden zu wollen, wissen Sie? Doch als mich tatsächlich eine Kinderhand nahm und zur Kasse brachte – zwei kleine Rotzbengel hatten ihre letzten Pfennige zusammengeklaubt –, konnte ich es nicht richtig fassen.

F.: Ein Wendepunkt in Ihrem Leben?

B.: Zweifelsohne, auch wenn die beiden Brüder mich noch für eine Nacht wieder zurück ins Regal stellen mussten. Es fehlten zwei Groschen, die ihr Vater jedoch am nächsten Tag vorbeibrachte. Meine Zeit im Buchladen war also tatsächlich vorbei.
Zuhause angekommen, wurde ich mit mächtiger Geheimnistuerei auf einen Schreibtisch gelegt, und der ältere Bruder schrieb mit einer dicken Kugelschreibermine einige Worte auf meine zweite Seite. Er musste sich sehr konzentriert haben, ich erinnere mich noch heute daran, wie die Spitze seiner Zunge im Mundwinkel festzuklemmen schien. (Pause)
Das nächste, woran ich mich erinnern kann, war eine unbestimmte Zeit, die ich in Geschenkpapier eingewickelt hinter einem Schrank verbrachte. Ich hörte nur die aufgeregten Stimmen dreier Kinder, die in dem Zimmer tobten. Eines Tages jedoch wurde ich hervorgezerrt – davon die Schramme auf dem Rücken – und wurde der Schwester der beiden überreicht. Ihre Geburtstagfeier war bunter als alles, was ich bisher gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich ein Jahr alt.

F.: Und Sie waren kein unbeschriebenes Blatt mehr.

B.: Das war ich wohl nie. Doch diese Zeit war wunderbar, trotz der klebrigen Kinderfinger auf meinen Seiten. Ich habe viel gesehen von der Welt. Picknick im Grünen, zwischen grauen Häusern, Urlaubsfahrten nach Ungarn und nach Rumänien, ich war dabei. Einmal geriet ich in die Finger eines Grenzbeamten. Das war der schlimmste Moment meines Lebens.

F.: Wie haben Sie reagiert?

B.: Die Kinder reagierten, bevor ich es tun konnte. Vielleicht hatten sie das gelernt, als sie in meinen Seiten blätterten … – ich weiß es nicht. Doch sie zogen mich aus den ruppigen Händen des Beamten, und dem darauf folgenden Geräusch und der plötzliche Nässe auf meinem Einband zu urteilen, steckte eines der Kinder dem Mann die Zunge heraus.

F.: Eine Heldentat!

B.: Ich kann Ihnen nur zustimmen.

F.: Sie reisten mit der Familie durch die Hohe Tatra, und als die Mauer fiel, waren Sie sogar ein Wochenende an der Ostsee.

B.: Der Salzgeruch hängt noch immer an mir.

F.: Bald jedoch begann eine ruhige Zeit für Sie: Sie zogen in das Kinderbücherregal, während –

B.: Klassiker. Ins Klassikerregal.

F.: Verzeihung. Sie zogen ins Klassikerregal, während ihre Besitzer immer größer und älter wurden.

B.: Sie denken vielleicht, das wäre eine traurige Zeit gewesen. Doch im Gegenteil, es war sehr spannend: das kleine Mädchen wurde groß, sie lernte einen Mann kennen, sie zog von Zuhause aus und nahm mich mit.
Und obwohl ich langsam in ein Alter kam, wo die Aussicht auf ein unbeschwertes und unbewegtes Leben in einem der oberen Regalfächer stetig an Reiz gewann, gab es schon nach einigen Jahren erneut klebrige Finger, die an meinen Seiten zerrten. Wieder drei Kinder, wieder zwei Jungen und ein Mädchen.

F.: War es ein schönes Gefühl, wieder gelesen zu werden?

B.: Ja. Doch auch ich werde nicht jünger, und die Drei tobten lebhaft herum. Glücklicherweise gab es noch viele andere meiner Art in den Regalen. Ich erinnere mich an Jim Knopf. Netter Kerl.

F.: Haben Sie noch Kontakt?

B.: Ja, er steht im Regal gegenüber. (Kurze Pause)
Es ist sehr seltsam, doch der Lauf der Dinge schlug wieder einen bekannten Weg ein. Erneut wurde ich, später, als die Kinder groß waren, an das Mädchen weitergeben. Bei ihr lebe ich nun seit drei Jahren.

F.: Bei mir.

B.: Ja, richtig.

F.: Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl?

B.: Ich befinde mich in bester Gesellschaft.

Nur hier draußen, hier ist es etwas kühl, und der Wind blättert so schnell in meinen Seiten, dass ich es für ausgeschlossen halte, dass er tatsächlich liest. Bei dieser Geschwindigkeit kann er bestenfalls die Illustrationen betrachten.

F.: Höchst bedauerlich.

B.: Und jetzt werde ich selbst zur Illustration, zum Bild. Das ist ein befremdlicher Gedanke. Ich kann mir ein Kunstwerk ohne Buchstaben nicht vorstellen. Es macht mich nervös.

F.: Wie wäre es, wenn Sie den Betrachtern eine Geschichte erzählen? Ihre Geschichte.

B.: Ja, Sie haben Recht. Im Erzählen bin ich eigentlich sehr gut. Sie haben sicher schon von den Windmühlen gehört? (Räuspert sich) In einem Dorfe der spanischen Landschaft La Mancha lebte einst ein Edler, der eine Lanze und einen alten Schild besaß, …

Gekürztes Interview. Die Fragen stellte die Fotografin.

Die Ausstellung ars legendi – „die Kunst des Lesens“ – ist vom 22.  März bis zum 27. April in Dresden zu sehen.

Zettelkasten

In unserem Portrait-Bereich wollen wir Euch die Persönlichkeiten aus dem Bereich der Phantastik näher bringen, die uns wichtig sind. Da Portraits aber leider nicht auf Bäumen wachsen, setzen wir uns also hin und erstellen sie Beitrag für Beitrag von Hand.

Als großer Fan der Bilder von Charles Vess beschloss ich, mich an seinem Portrait zu versuchen. Schon allein der Entschluss kostete mich einiges an Überwindung. Würde ich einen Text zustande bringen, der länger als 3 Zeilen ist? Würde er in den Augen des EAB bestehen können? Und würde es überhaupt jemanden interessieren? Fragen über Fragen und jede Menge Unsicherheit.
Ich versuchte es trotzdem.

Da Charles Vess ein Meister des Stiftes und des Pinsels ist, wollte ich in dem Portrait auch einige seiner Bilder unterbringen. Und in meinem ersten Portrait, wollte ich natürlich alles richtig machen. Also wollte ich erst einmal bei ihm anfragen, ob ich Fotos und Bilder von seiner Web-Seite benutzen darf. Ich fasste mir ein Herz und schrieb eine eMail.
So weit der Plan, aber so einfach war die Sache dann auch wieder nicht, denn auf seiner gesamten Webseite gab es keine Kontaktmöglichkeit. Kein Impressum, kein Besucherbuch, keine eMail-Adresse. Und einfach unter einem seiner Blogeinträge die Frage als völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Kommentar zu hinterlassen fand ich auch doof. Nach einiger Suche wurde ich aber in den Weiten des Web fündig und die eMail ging auf den Weg.

Once & Future King von Charles Vess
© Charles Vess

Das Ergebnis überraschte mich: nicht nur, dass ich innerhalb weniger Stunden eine Antwort erhielt – nein, diese war auch noch positiv und äußerst nett! Er schickte sogar eines seiner neuesten Werke mit, extra für mich! Mein Fan-Girl-Herz schlug höher und ich fühlte mich ein wenig wie ein Teenie, dessen angebeteter Star das Kuscheltier gefangen hatte und dies auch noch schön fand!

Ich setzte  mich nun also mit frischem Mut und Elan hin und nach 4 Tagen(!) Recherche und Text schreiben und Bilder einbauen und den Text wieder verwerfen und wieder neu schreiben und nochmal von vorn beginnen… Ihr kennt das Video oder?

Aber irgendwann bin ich dann doch fertig geworden…

Zettelkasten

Zumindest unsere Leser mit ein paar Jahren Lebens- und Leseerfahrung nicken vielleicht weise zu folgenden Worten:
Es gab eine Zeit, da war man weniger wählerisch und schneller zu begeistern. Alles war neu und spannend, jedes frisch gelesene Buch hatte gute Chancen, das beste Buch überhaupt zu werden. Inzwischen hat sich ordentlich Geschmack herausgebildet, man ist nicht mehr so leicht zufriedenzustellen, schon gar nicht mit Dingen, die man bereits hundertmal gelesen hat, und die hingebungsvolle Begeisterung ist verflogen, auch wenn man sie noch immer sucht und manchmal auch wiederfindet.
Auf frühe Leseerlebnisse blicken wir trotzdem oft mit nostalgischer Verklärung zurück.

Und dazu stellen sich einige spannende Fragen: War früher alles besser? Oder hat man einfach nur schneller Feuer gefangen? Hat sich das Genre zum Positiven oder zum Negativen verändert? Inwiefern hat die Lektüre, mit der wir heute nostalgische Gefühle verbinden, unseren Geschmack geprägt und unsere Vorlieben geformt? Wie würde ich die früheren Lieblinge einschätzen, wenn sie mir heute zum ersten Mal in die Finger kämen?
Um diesen Fragen auf die Spur zu gehen (sicher nicht allen auf einmal), werde ich mich hin und wieder an die Lektüre eines früheren Lieblingstitels wagen und nachprüfen, ob ich heute noch so voll des Lobes sein kann, wie meine Nostalgie es mich glauben machen will.

Bei meinem ersten Kandidaten hatte ich zugegebenermaßen keine großen Bedenken, denn der Autor ist für Qualität bekannt und der Roman war schon ein Klassiker, als ich ihn zum ersten Mal gelesen habe:

Das letzte Einhorn (Peter S. Beagle, 1968)

Wann gelesen?
Vor ca. 20 Jahren, vor 10 Jahren in der Originalausgabe geschmökert.
Zwischenzeitlich hin und wieder den Film gesehen.

Das letzte Einhorn von Peter S. BeagleBesonderheiten?
Es gibt einen Trickfilm, durch den das Einhorn als fleischgewordener Kleinmädchentraum mit Wallemähne stolziert. Der Film spart einige zentrale Elemente des Romans aus, andererseits kann er die Atmosphäre gut transportieren, das ist aber sicher Ansichtssache. Er erzählt die Geschichte, wie ich sie früher gelesen habe, nicht die, die ich heute in dem Roman vorfinde.
Dagegen ganz nüchtern das Buch-Cover, das in der damaligen (und langjährigen) Hobbit-Presse-Linie betont “keine Fantasy” gesagt hat. Das heutige “doch Fantasy”-Cover der Neuauflage paßt allerdings auch nicht zu dem märchenhaften Charakter des Romans.

Was hat mir damals gefallen?
Das Setting und die Atmosphäre – der Mitternachtszirkus mit seinen vielen Fabeltieren, der verzauberte Wald des Einhorns, das öde Land am Meer mit seiner trostlosen Burg. Die Welt des Romans hatte für mich etwas Grenzenloses, hinter den fernen, namenlosen Wäldern und Bergen haben sich riesige Räume für die Phantasie eröffnet, die zwar meistens im Text nicht einmal angedeutet wurden, aber allein schon wegen der beschriebenen Vielfalt irgendwo zwischen singenden Schmetterlingen und entführten Prinzessinnen, Königreichen und Magiern einfach da sein mußten.
Die Geschichte. Für mich als öko-bewegte junge Dame (und die direkte Verwandtschaft zwischen Walen und Einhörnern ist ja wohl kaum zu leugnen 😉 ) war klar: Die Frage, ob es weiterhin Einhörner auf der Welt geben wird, ist eine ganz große. Außerdem ist es eine schöne, klassische Questengeschichte mit einen Auslöser zum Aufbruch, der abenteuerlichen Reise mit dem Einsammeln von Gefährten, mit eindrucksvollen Fieslingen, die den Helden Steine in den Weg legen, und schließlich dem Bangen um den Erfolg am Zielort.
Die Figuren. Schmendrick. Molly Grue. Haggard. Die merkt man sich – Charaktere, von denen man im Nu ein Bild vor Augen hat und die trotzdem nicht ganz hinter Stereotypen verschwinden. Ein richtiger Einhorn-Fan war ich dagegen nie. Das letzte Einhorn ist auch das einzige Buch, in dem mir Einhörner bisher gut gefallen und in das sie meiner Ansicht nach gepaßt haben. Ach, bei Gaimans Sternwanderer wollen wir auch noch ein Auge zudrücken …
Die Sprache. Märchenhaft, poetisch, witzig, manchmal mit epischen Anklängen.

Und heute?
Das letzte Einhorn und Zwei Herzen von Peter S. BeagleEs ist dasselbe Buch und doch ein anderes. Ich finde alles wieder, was mir gefallen hat, doch vieles davon macht sich über die zugrundeliegenden Motive lustig. Mit großer Kenntnis der Genre- und Proto-Genre-Traditionen werden die Versatzstücke in beinahe postmoderner Manier zusammengefügt: Durch alle Legenden geht ein Bruch, die Helden haben ein Bewußtsein für die Zwänge der Questenhandlung, epische Anklänge und Märchenanspielungen werden stets mit einem Augenzwinkern vorgetragen.
Dazu paßt auch, daß der Roman ohne nähere geographische Bestimmung auf unserer Welt angesiedelt ist (da gehen sie dahin, meine grenzenlos-schimmernden Räume im Hintergrund), wie viele Anspielungen belegen. Auch in diesem Bereich tauchen vor allem Hinweise auf die Fiktionalität der Romanhandlung auf, also das Gegenteil dessen, was in der Fantasy sonst häufig versucht wird – etwa bei Verweisen auf die Sagen  unserer Welt (inclusive ihres zweifelhaften Wahrheitsgehalts), oder  wenn der amerikanische Balladensammler Francis James Child (vermeintlich) gebeten wird, die Reimversuche der Figuren zu dokumentieren.
Die Charaktere des Romans sind aber gerade durch die Brüche teils tiefgründiger als erwartet, haben wie Schmendrick oder Haggard interessante, subtil auf die Handlung wirkende Hintergründe und Motivationen. Gleichzeitig fällt bei den Beschreibungen aller Figuren eine Überzeichnung und generell karikaturhaft-verkürzte Darstellung auf.

Fazit: Alte Liebe rostet nicht
… bekommt aber eine andere Qualität. 😉 Das Buch hat seinen Zauber nicht eingebüßt, durch die verspielten und verzerrten Elemente wird man allerdings auf andere Weise verzaubert: Vielschichtiger, man schmunzelt öfter. Die Poesie bleibt erhalten, die wunderschöne Sprache changiert mühelos zwischen Leichtigkeit und einer Epik mit vielen Brüchen, die sich mitten durch die Questenhandlung ziehen. Mit mehr Leseerfahrung wird Das letzte Einhorn durch die Brüche und das ständige Augenzwinkern des Autors, der mit dem Medium der Erzählung spielt, jedoch ein akademischeres Vergnügen – man zwinkert komplizenhaft mit, Geschichte und Figuren verlieren aber, auch wenn sie nie respektlos behandelt werden, etwas von ihrer Bedeutsamkeit und ihrer Authentizität.

Zettelkasten