Vom Lesen über Bücher

Bücher zu lesen macht in aller Regel Spaß, das wird wohl kaum ein Besucher der Bibliotheka Phantastika bestreiten. Eine andere Form des Lesevergnügens bleibt dagegen oft unbemerkt oder zumindest unbewusst: Die Freude an der Lektüre von Texten über Bücher, insbesondere über Romane.

Zugegeben: Oft ist diese Art des Lesens vor allem zweckgebunden, ganz gleich, ob es einem nun um Erkenntnisgewinn, Meinungsaustausch oder Hilfestellung bei der nimmerendenden Jagd auf Bücherbeute geht. Doch abseits aller praktischen Erwägungen ertappe ich mich bei meinen Streifzügen durchs Internet immer wieder dabei, Rezensionen, Inhaltsangaben und sogar die allgemein so verpönten Spoiler auch dann zu verschlingen, wenn ich gar nicht vorhabe, den Roman, auf den sie sich beziehen, in nächster Zeit oder überhaupt jemals zu lesen. Manchen Text kann ich dabei wie ein Lieblingsbuch durchaus auch mehrfach zur Hand nehmen. So bringt mich z.B. diese Rezension eines historischen Romans, den ich weder kenne noch kennen möchte, zuverlässig immer wieder zum Lachen. Aber warum amüsiere ich mich so prächtig dabei, etwas über ein Buch zu lesen, das ich mir ganz bestimmt nicht freiwillig zu Gemüte führen werde und bei dem die Aussicht (respektive die Gefahr), dass es mir je in die Hände fällt, eher gering ist?

Beim Verständnis dieses Phänomens hilft vielleicht Ephraim Kishons Satire Wie man ein Buch bespricht, ohne es gelesen zu haben, und das nicht nur, weil es darin um das Reden über Bücher geht, sondern auch aufgrund der Wirkung, die ein bestimmter erzählerischer Kunstgriff auf den Leser ausübt. Abgesehen von dem Geschick, mit dem Kishon den Ich-Erzähler einem hoffnungsvollen Autor gerade genug Informationen über dessen Buch entlocken lässt, um sich scheinbar sinnvoll dazu äußern zu können, besteht der Reiz der Geschichte nämlich vor allem darin, dass die Phantasie Purzelbäume schlägt, wenn man sich den ungelesenen fiktiven Roman auszumalen versucht, in dem unter anderem ein Zoologe, der Sturmtruppenkommandant Meir-Kronstadt, der charakterlich nicht ganz einwandfreie Boris und ein Kamelrennen um den Harem eines Scheichs eine Rolle spielen.

Ganz ähnlich wie Reizwörter rufen solch knappe Angaben eine Fülle von Assoziationen hervor, und das auch dann, wenn sie sachliche Informationen zu bieten versuchen, statt wie bei Kishon als bewusstes Spiel mit der Vorstellungskraft des Lesers zu dienen. Überspitzt ausgedrückt verbirgt sich also in jedem Text über einen Roman schon eine imaginäre Fassung des jeweiligen Buchs, die mir in manchen Fällen völlig ausreicht, und zwar nicht nur, wenn man wie bei dem oben verlinkten Beispiel auf ein sehr gewöhnungsbedürftiges Original schließen kann.

Denn obwohl das Lesen über Romane Enttäuschungen bei der späteren Lektüre durchaus verhindern kann und soll, kann es sie auch hervorrufen. Manch eine Inhaltsangabe oder Rezension weckt Erwartungen, die das zugrundeliegende Werk, das sich an seinem imaginären Zwilling messen lassen muss, nicht erfüllt. Was auf die Grundzüge reduziert als gute Idee erscheint, erstarrt in der tatsächlichen Umsetzung allzu häufig im Mittelmaß. So war z.B. die Vorstellung, die ich mir nach der Lektüre einer Inhaltsangabe von Matthew Sturges’ Midwinter gemacht hatte, schier grandios, die Wirklichkeit weit prosaischer. Aber bis ich das Buch dann tatsächlich gelesen hatte, waren die vermuteten Romanhelden richtig tolle Kerle, und gelegentlich habe ich bis heute Spaß daran, an die unglaublichen Abenteuer zurückzudenken, die ich mir für sie ausgemalt hatte (und die ihrem tatsächlichen Autor leider nicht eingefallen sind).

Gerade in der Fantasy bieten Sekundärtexte also bisweilen weit eher als Romane das, wovon das Genre doch eigentlich lebt: Viel Raum für Phantasie.

3 Kommentare zu Vom Lesen über Bücher

  1. Elric sagt:

    Hmhm, sehr interessant.
    Klar liest man gerne mal Rezensionen, mir ist dagegen sehr wichtig, dass darin so gut wie keine Spoiler vorkommen dürfen, sonst hab ich jedes Mal das Gefühl, dass mir ein Leseerlebnis “gestohlen” wurde.
    Dass ich mich wegen Rezis entscheide ein Buch zu lesen oder eben die Finger davon zu lassen, dürfte doch mittlerweile fast schon der “Normalzustand” sein, oder? Ich werd mir kaum ein Buch zulegen über das schon jemand gesagt hat, dass es langweilig war oder so!? Zugegeben, ich hole mir auch gerne eine zweite und dritte Meinung ein, ganz besonders im Forum, weil da doch der eine oder die andere meinen Geschmack kennt, aber meines Erachtens gehört das dazu.
    Was ich sicher nicht mache: mir wegen 3×5 Sternen bei Amazon ein Buch zu kaufen. Vorher wird an sicherer Stelle informiert.
    Was für mich auch nicht in Frage kommt: wenn ich ein Buch nicht gelesen habe, werde ich mich nach Möglichkeit nicht dazu äußern – aus eben genau dem genannten Grund: ich kann gar keine Meinung haben!
    Das ist übrigens auch der Grund, weshalb ich Goodkind und Jordan zur Hand genommen habe: mitreden wollen! 😀
    Allerdings ist mir noch nie passiert, dass ich mir “zu viel” unter einem Buch vorgestellt habe. Tja, da könnte vielleicht etwas fehlende Phantasie von Vorteil sein! 🙂

  2. moyashi sagt:

    Spoiler haben in einer Rezi auch wirklich nichts zu suchen. Aber es gibt für mich schon Bücher oder auch ganze Reihen, die bei mir nicht funktionieren wenn ich sie tatsächlich lese. Bestes Beispiel wären z.B. Der Herr der Ringe oder die Scheibenwelt. Das sind Bücher und Welten deren Ideen ich sehr unterhaltend und interessant finde, solange man mir davon erzählt oder ich *über* sie lese. Aber die entsprechenden Bücher selbst zu lesen habe ich in beiden Fällen versucht und bin gescheitert, weil es meine Vorstellungen nicht getroffen hat. Wenn mein bester Freund mir dann von der Scheibenwelt erzählt könnte ich Tränen lachen, wenn ich versuche ein Buch davon zu lesen, schlafe ich vor Langeweile ein. Entsprechend erfahre ich dazu dann auch gerne Spoiler. Denn es interessiert mich was dort geschieht, welche Ideen aufkommen usw., das alles ist in dem Moment spannend obwohl mich die Bücher total kalt lassen.

    Ich denke Texte über Bücher vermitteln nicht nur etwas über das Buch, sie spiegeln auch immer ein wenig von dem Wesen des Verfassers wider. Dadurch werden mMn dann durchaus mal Erwartungen an ein Buch geweckt, die es in der Realität nicht unbedingt einhalten kann, weil der Verfasser des Textes einen ansprechen konnte.

  3. 'Pingback: Fünf Bücher … die ich abbrechen musste in der Bibliotheka Phantastika

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