1 Rezept, 2 Köche. Heute: Percy Jackson vs. Harry Potter

“Das beste seit abc!”, “Ein würdiger Nachfolger von xyz.”, “Der neue zyx!”. Wir alle kennen diese Blurbs. Sie erwecken den Eindruck, man bekäme nun Lesestoff, der einem ähnliche Leseerlebnisse beschert wie das Vorbild, mit dem es verglichen wird. Doch wieviel Übereinstimmung findet man in diesen So-genial-wie-Büchern tatsächlich?
 Autoren bedienen sich häufig ähnlicher Grundlagen für ihre Buchreihen und die Parallelen sind durchaus nicht ganz von der Hand zu weisen. Was sie letztlich daraus machen, rechtfertigt den Vergleich mit dem Namen eines erfolgreichen Vorgängers aber häufig nicht. Man frage sich nur, wieviele Erben des Tolkien es bereits gibt und wie selten man selbst zu derselben Meinung gelangte.
Um das Dilemma mal an einem konkreten (spoilerfreien) Beispiel zu veranschaulichen: Harry Potter vs. Percy Jackson.

1. Der Plot

Harry Potter ist ein Zauberer und besucht eine im Verborgenen existierende Schule für Hexen und Zauberer. Er ist ein Waisenjunge, ungeliebt von der Familie, bei der er aufwächst, und hat bis zu seinem zehnten Lebensjahr keine Ahnung, dass er etwas besonderes ist. Mit Eintritt in die magische Welt offenbart sich ihm ein großes Schicksal, er lernt zum ersten Mal Freundschaft kennen und findet eine Art familiäres Zuhause in dem Internat Hogwarts – aber auch Gefahren, die für ihn bisher nur in Märchen existierten. Seine prominente Rolle behagt dem bescheidenen Jungen nicht und macht ihn auch dort zum Außenseiter.
Percy Jackson ist ein Halbgott, kann sich auf keiner Schule länger als ein Jahr halten, leidet an Legasthenie und ADS, bis ihm klar wird, dass er kein normaler Junge ist, sondern der Sohn eines olympischen Gottes. In den Sommerferien besucht er fortan ein geheimes Camp speziell für Halbgötter, wo er lernen soll, sich gegen Monster zu wehren und Heldentaten zu vollbringen; außerdem kann er dort zum ersten Mal echte Freundschaften knüpfen. Er hat eine sehr gute Beziehung zu seiner menschlichen Mutter, seinen olympischen Vater sieht er dagegen nur selten; die beiden hegen keine greifbaren familiären Gefühle füreinander. Auch er fühlt sich unwohl damit, selbst unter den anderen Halbgöttern etwas besonderes zu sein.
Die ersten Parallelen fallen dem geneigten Leser natürlich gleich auf: eine spezielle Bildungseinrichtung mit Internatsqualitäten und zwei herausragende Jungen, die sich mit ähnlichen Ausgangsproblemen herumschlagen.

2. Die Helden
Harry und Percy sind beides Außenseiter innerhalb einer Gesellschaft von Sonderlingen, in der sie nicht weiter auffallen dürften. Sie sind beide besonders, und das wider eigenen Willen. Percy ist deutlich zynischer, offensiver und eigenständiger als der junge Potter und dadurch oft überzeugender als sein vom Schicksal geplagter Gegenpart Harry. Gäbe es hier Punkte für den sympathischeren Charakter, fiele meine Wahl auf Percy, obwohl ich ein bekennender Fan beider Buchreihen bin. Percy ist im Gegensatz zu Harry offensiv, selbstständig und, womit er mich endgültig gewonnen hat, sarkastisch bis zum Abwinken. Während man über Harrys Naivität und Ahnungslosigkeit oft den Kopf schütteln muss, stürzt sich Percy gleich darauf, Erklärungen und Lösungen zu finden, kurzum: er geht einem seltener auf die Nerven. Das macht die gesamte Erzählung der Jackson-Bücher deutlich unterhaltsamer und bietet viele Momente zum laut Loslachen. Harry dagegen ist ein eher ruhiger, in sich gekehrter Junge, der die Dinge mehr erträgt, als dass er sich eigenständig bemühen würde. Nur mit Hilfe seiner Freunde kann er wirklich Taten walten lassen und Erfolge erzielen, manchmal fällt ihm die Antwort auch einfach so vor die Füße. Percy hat eine recht aufgeklärte Lebenseinstellung und arbeitet mit seinen Freunden, Harry wirkt dagegen sehr viel naiver, jünger und hilfloser ohne klügere Begleiter. Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden sind also eher oberflächlich.

3. Der böse Mann
Sowohl Harry als auch Percy haben einen durch und durch bösen Gegenpart. Beiden Gestalten ist der Körper schon vor Beginn der Bücher abhanden gekommen, und beide stehen für das ultimative Böse. In beiden Buchreihen erleben wir, wie die Kreatur mächtiger wird, um schließlich ihre alte Macht wiederzuerlangen – und alles könnte so herrlich einfach sein, wenn da nicht zwei impertinente Jungen wären, die alle diabolischen Pläne zunichte machen wollen.
Die vermutlich größte Gemeinsamkeit hierbei zeigt sich darin, dass beide Helden ungeplant in der Lage sind, Gedankenschnipsel oder Momentaufnahmen des Gegners mitzuerleben. Doch auch hier gilt wieder: die Ähnlichkeiten sind eher oberflächlich. Inhaltlich gibt es an der Stelle wirklich nichts zu verleugnen, doch die Umsetzung macht einmal mehr den großen Unterschied und führt zu völlig unvergleichbaren Ergebnissen. Voldemort ist böse, herzlos und allgegenwärtig. Man versteht ihn, hasst ihn, bemitleidet ihn manchmal sogar. Kronos dagegen versucht böse zu sein, wird so genannt, bleibt aber relativ blass und wenig eindrucksvoll. Er hat keine richtige Lebensgeschichte und windet sich auch nicht heimlich durch jede Buchzeile. Im Kampf gegen Voldemort bliebe Kronos vermutlich nur winselnde Kapitulation übrig. Das liegt nicht etwa an den vollbrachten Taten dieser beiden Charaktere, sondern allein daran, wie plastisch der eine und wie eindimensional der andere gezeichnet wurde.

4. Die Zielgruppe wächst mit. Oder nicht?
Bei noch keiner anderen Buchreihe, die ich gelesen hätte, ist ein Protagonist so auffällig mit seinen Lesern gealtert wie Harry Potter. Wir lernen ihn kurz vor seinem elften Geburtstag kennen und trennen uns von ihm nach sieben Bänden, wenn er ca. siebzehn Jahre alt ist. In der Zwischenzeit ist aus den Kinderbüchern der Anfänge ein Jugendbuch und in Teilen später ein Buch für Erwachsene geworden (oder ein All-Age-Roman, wie es heute gerne heißt). Man hat auch erlebt, wie aus dem kleinen Jungen Harry der launisch aggressive und verantwortungslose Teenager wurde, bis hin zum Übergang ins von bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen geprägte Erwachsendasein. Man erlebt Harrys Heranwachsen spürbar mit, und wer bei Erscheinen der ersten Bücher als Kind dabei war, der wird diese Buchreihe sicherlich ganz anders erlebt haben, als ein erwachsener Leser, der von einer wesentlich weiterentwickelten Perspektive aus startet. Letzterem wird die drastische Veränderung, die zwischen Band 1 und Band 7 stattfindet, vermutlich deutlich stärker auffallen.
Bei Percy Jackson ist dagegen alles etwas einfacher und universeller. Auch Percy ist gerade elf Jahre alt, als seine Abenteuer beginnen. Anders als sein Mitstreiter Harry wirkt er aber, wie bereits erwähnt, von Anfang an reifer und älter. Im letzten Band erreicht er ein Alter von sechzehn Jahren, und obwohl dazwischen eine recht einschneidende Entwicklung vom Kind zum jungen Mann stattfinden sollte (und sicher noch weitergehen müsste), verändert sich Percy nicht wesentlich und wirkt konstant wie ein Erwachsener. Vielleicht liegt es an der Art, wie er aufgewachsen ist, vielleicht hat ihn der Autor auch bewusst so abgeklärt und resolut geschrieben, dass er sowohl für junge Leser als auch für Erwachsene in jedem Lebensjahr eine Person darstellt, mit der man sich als Leser identifizieren kann. Percy wirkt also etwas zeitlos. Es ist egal ob er elf oder sechzehn ist, er ist einfach Percy von Anfang bis Ende.

5. Das World-Building
Da wären das Camp Half-Blood & Hogwarts, die Konstellation dreier ungleicher Kinder, die Freunde werden und ein aussichtsloses Abenteuer bestehen müssen, und etliches mehr. Sowohl Percy als auch Harry fallen durch ihren besonderen Status aus der Reihe. Auch ihre Mitstreiter sind sich ähnlich. Grover zeigt sich ebenso tollpatschig und treu wie Ron, und Anabeth nimmt wie Hermine die Rolle der intelligenten und schlagfertigen weiblichen Heldin ein. Auch die Verschmelzung von realer und magischer Welt zeigt Ähnlichkeiten. So gelangt man jeweils über scheinbar gewöhnliche Orte in verborgen existierende, magische Gefilde. Die Atmosphäre beider könnte dabei nicht unterschiedlicher sein. Hier trifft eine zeitlose, nostalgische Kerzenlichtatmosphäre Großbritanniens auf die vor Elektrizität und Modernität summende Großstadt Manhattan in den USA.
Während bei Harry Potter viel Wert auf kleine Details gelegt wurde (man denke nur an die Namen und Gadgets) und man in eine beinahe vorindustrielle Welt versetzt wird, kommt Percys Welt viel moderner, härter und gegenwärtiger daher. Die Nostalgie der Potter-Bücher wird man bei Percy Jackson vergeblich suchen, denn hier ist die Welt eher funktional notwendiger Schauplatz als ein stimmungsvolles, atmendes Setting mit einem eigenen Leben.
Für Leser dürfte hierin daher der größte, aufdringlichste Unterschied und das deutlichste Potential für enttäuschte Leseeindrücke zu finden sein. Gerade wenn man als Fan der Potter-Bücher zu Percy Jackson kommt, werden hier etliche Erwartungen nicht erfüllt. Percy Jackson birgt seine eigene Faszination, wenn man ihn für sich betrachtet, aber eben doch auf völlig andere, sterile Art und Weise als bei dem sehr bildstarken Harry Potter. Potter überzeugt durch einen einmalig homogenen und lebendigen Weltenbau, Jackson durch seinen charmanten Charakter.

1 Rezept, 2 Köche = 2 ganz verschiedene Gerichte auf dem Teller: Blurbs entpuppen sich oft als Lesefalle, wenn sie nicht wirklich mit Bedacht geschrieben wurden, sich nur an Oberflächlichkeiten bedienen und nur dem Marketing zu verdanken sind. Beide Buchreihen, um beim Beispiel zu bleiben, wirken meinem Leseeindruck nach völlig unterschiedlich, und die wenigen Gemeinsamkeiten sind zunächst sogar sowohl leicht zu übersehen, als auch erst einmal zum Nachteil des Jacksons (weil ich tatsächlich etwas wie Harry Potter erwartet habe). Wäre ich ohne diesen vorherigen Vergleich an das Buch herangegangen, es hätte mich wesentlich schneller in den Bann gezogen und ich wäre nie auf die Idee gekommen, es mit Harry Potter zu vergleichen oder es im Hinterkopf immerzu an Harry zu messen. So hat der eher schlechte Blurb in diesem Fall zwar mein Interesse auf die Buchreihe gelenkt, aber auch zu einem Lesekonflikt geführt, der sich nicht so einfach wieder abschalten oder ausblenden ließ. War das nun ein Erfolg oder nicht? Gekauft habe ich die Bücher schließlich, und somit war das Marketing erfolgreich. Auf der anderen Seite wurde ich auch erfolgreich abgeschreckt. Der Blurb hat seine eigentliche Wirkung verloren und eignet sich höchstens noch für Wetteinsätze, wenn es in humorvoller Runde darum geht, die kurioseste Version zu finden.

Wie seht ihr das? Traut ihr Blurbs noch über den Weg?

4 Kommentare zu 1 Rezept, 2 Köche. Heute: Percy Jackson vs. Harry Potter

  1. Da ich mit Blurbs eher schlechte Erfahrungen gemacht habe, bin ich da vorsichtig geworden.
    Dutzende Male habe ich schon ein Fantasy-Buch im Verkaufsregal gesehen, auf dem stand es wäre das neue “Herr der Ringe”, ohne dass sich die Behauptung durch eine ähnlich epische Geschichte oder prägnanten Sprachstil bewahrheitet hätte.

    Was mir aber viel öfters auffällt, sind Autorenvergleiche. Da merkt man schon, dass das als Marketingstrategie sehr übertrieben wird. Nicht jeder Fantasy-Autor kann schließlich ein neuer Tad Williams sein und nicht jeder Horror-Schriftsteller ein neuer Poe oder Lovecraft.

    Meine Erfahrung hat gezeigt, man sollte nicht zuviel auf Blurbs geben, sondern das Buch lieber unvoreingenommen anlesen, ganz ohne Erwartungshaltung. Sonst wird man schnell enttäuscht.

  2. Gowan sagt:

    Ich kann mich an genau ein Buch erinnern, bei dem ich auf die Behauptung “Wie Harry Potter” hereingefallen bin, und es aus der Bibliothek ausgeliehen habe.
    Das war das letzte Mal, dass ich das geglaubt habe; das Buch war nicht annähernd so gut wie Harry Potter, und außer einem Jungen der zaubern konnte gab es auch keinerlei Gemeinsamkeiten.

    Es sind Werbeaussagen, weiter nichts. Ein Buch muss schon einen sehr interessanten Klappentext aufweisen, damit ich ihm trotz solchen Etikettenschwindels eine Chance gebe.

  3. DarkDragon sagt:

    Auch ich habe solche Bücher im Regal stehen, wo drauf steht “wie….”
    Aber das ignouriere ich bzw. denke “wie oft denn noch”. Ich halte mich lieber an den Klappentext… wobei diese auch sehr vom eigentlichen Inhalt des Buches abweichen.
    Manche diese Bücher haben ihren eigenen Reiz und müssen eigentlich mit keinem anderen Buch verglichen werden.
    Ich mache mir meisten erst gar kein so genauses Bild vom Inhalt, sonst werde ich oft nur enttäuscht.

  4. moyashi sagt:

    Vernünftige Entscheidung. Aber ich erlebe es im Bekanntenkreis doch recht häufig, dass dort Bücher wegen der Blurbs gewählt werden und dann hinterher die Beschwerden darüber kommen, dass es den Versprechungen nicht gerecht wurde. Vor dem Siegeszug des Internets, wo die Möglichkeiten Rezensionen zu lesen oder Autorenportraits zu studieren noch schwieriger war, hat es mich auch öfter erwischt.
    Inzwischen scheint es aber vor allem dort ein Problem zu sein, wo Lesen eher ein gelegentliches Hobby ist und nicht mehr Informationen zu dem/der betroffenen AutorIn gesammelt werden vor der Kaufentscheidung. Vielleicht sind das genau die Leser, die Verlage mit Blurbs fangen wollen.

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