: Zeitreise & Parallelwelten

Alice hinter den Spiegeln von Lewis CarollIm Spiel mit ihrem kleinen schwarzen Kätzchen vertieft, überlegt das Mädchen Alice sich, wie lustig es auf der anderen Seite des Spiegels wohl sein mag, und so geht sie durch diesen ins Spiegelhaus. Sich dort umschauend sieht sie, wie die Figuren des Schachspiels lebendig werden. Auch sonst ist einiges sonderbar, und Alice beschließt sich den Garten anzusehen, was ihr zunächst sehr schwer fällt, da die Wege vom Haus weg zum Haus hinführen. Erst nach einigen Anstrengungen kann sie dem Haus entkommen. Im Garten trifft sie auf die Schwarze Königin, die dem Mädchen erklärt, wie es vom Bauern zur Königin werden kann. Alice nimmt die Herausforderung an und beginnt eine höchst bizarre Reise…

– So viel stand fest: das weiße Kätzchen hatte nichts damit zu tun – das schwarze war ganz allein an allem schuld. –
Kapitel 1, Das Haus hinterm Spiegel

Zu Alice hinter den Spiegeln liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Alice im Wunderland von Lewis CarollDer kleinen Alice ist zum Einschlafen langweilig. Da läuft plötzlich ein weißes Kaninchen vorüber, das auf seine Taschenuhr schaut und sein Zu-Spät-Kommen laut bedauert. So etwas hat Alice noch nie gesehen, daher folgt sie ihm und fällt lange Zeit durch ein Kaninchenloch an Regalen mit Marmeladengläsern (leider leer) vorbei. Auf der anderen Seite angekommen, stellt sich alles als höchst sonderbar heraus; nicht nur die Leute, auch Alice’s Körper und Gedächtnis (Ist sie überhaupt noch Alice?) verhalten sich nicht so, wie man es von ihnen erwarten sollte.

– Hinab, hinab, hinab. Wollte das denn nie ein Ende nehmen? »Wie viele Meilen ich wohl schon gefallen bin?« –
Hinab in das Kaninchenloch, S. 13

Zu Alice im Wunderland liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover von Alice's Adventures in Wonderland von Lewis CarrollDer kleinen Alice ist zum Einschlafen langweilig. Da läuft plötzlich ein weißes Kaninchen vorüber, das auf seine Taschenuhr schaut und sein Zu-Spät-Kommen laut bedauert. So etwas hat Alice noch nie gesehen, daher folgt sie ihm und fällt lange Zeit durch ein Kaninchenloch an Regalen mit Marmeladengläsern (leider leer) vorbei. Auf der anderen Seite angekommen, stellt sich alles als höchst sonderbar heraus; nicht nur die Leute, auch Alice’s Körper und Gedächtnis (Ist sie überhaupt noch Alice?) verhalten sich nicht so, wie man es von ihnen erwarten sollte.

-Alice was beginning to get very tired of sitting by her sister on the bank, and of having nothing to do: once or twice she had peeped into the book her sister was reading, but it had no pictures or conversations in it, ‘and what is the use of a book,’ thought Alice, ‘without pictures or conversation?’-
Down the Rabbit-Hole

Wahrhaftig, Alice landet im Wunderland, einer unmöglichen Version des idyllischen Englands des 19. Jahrhunderts. Klare Strukturen sind kaum erkennbar – d.h. nur dann, wenn Alice sie einfordert. Alles kann sich von Moment zu Moment kraß verändern, aber schon die Grundlagen sind reichlich grotesk. Der Glanz aber sind die außerordentlich bizarren Figuren.
Alice ist gut getroffen; sie ist ein kleines Mädchen, das gerade erst zur Schule geht. Mit Längen- und Breitengeraden kann sie nur wenig anfangen – es sind aber schwierige Worte, die der Situation sicherlich angemessen sind. Stolz darauf ein so wichtiges Wort wie “Juror” zu kennen, wiederholt sie es auch ein paar mal. Mühsam hat sie die Regeln der Höflichkeit erlernt (zumindest recht passabel) und nun reagiert sie mit der für Kinder typischen peniblen Korrektheit bei frisch Gelerntem. Einiges erschrickt die Kleine, doch da sie nicht das gesamte Ausmaß der Absonderlichkeiten überblicken kann, bleibt sie viel ruhiger, als ein Erwachsener dieses könnte. Als die Situation für das riesenhaft angewachsene Mädchen zu erdrückend ist, weint sie, nur um kurz darauf ins Zwergische zu schrumpfen und im See ihrer Tränen vom Ertrinken bedroht zu werden.
Die meisten anderen Figuren sind in irgendeiner Art Herausforderungen für Alice, die mit der Logik eines Kindes an die Sache heran geht. Doch niemand meint es böse mit ihr. Es ist ein Panoptikum von Kuriositäten, das ihr den Weg weißt: eine Wasserpfeife rauchende Raupe, die nichts für gegeben hält; die bekannte grinsende Cheshire Cat, die Alice freimütig Auskunft gibt; die verrückte Teegesellschaft – March Hare, Mad Hatter und the sleeping Dormouse – für die es immer tea-time ist, nachdem Zeit (ein er) befürchten muß, vom Hutmacher getötet zu werden; die Königin (eigentlich die Spielkarte “Herzdame”), die auf jedes Problem gleich reagiert: “Kopf-AB!”, neben unzähligen weiteren grotesken Gestalten.
Magie in Form von Zaubersprüchen oder magischen Artefakten gibt es nicht – es ist die Absurdität, die mit normalem Verstand unverständlichen Regeln der Welt, welche die Magie ausmachen.
In der Geschichte relativiert der Autor (und Dozent für Mathematik) Wahrnehmungsweisen und “Zeit” & “Raum”- Verständnis radikal. Mit diesen Unverständlichkeiten muß Alice umgehen, ihr Körper, Geist und ihre Umwelt stellen sie von Episode zu Episode vor neue Rätsel. Es dauert eine Weile, bis Alice beginnt, die vertrackte Logik zu durchschauen und ein wenig Kontrolle zurückzugewinnen. Ein festes Moralverständnis und Selbstvertrauen gehören zwar dazu, aber Lewis will mit dieser Geschichte nicht missionieren.
Humor entsteht in der Geschichte durch die ins absurde geführten Konventionen der englischen Gesellschaft des 19. Jhd., die Wortspiele und den daraus entstehenden Verwechslungen. “Then you should say, what you mean,” [said the March Hare]. “I do,” Alice hastily replied; “at least – at least I mean what I say – that’s the same thing, you know.” “Not the same thing a bit!” said the Hatter. “You might just as well say that ‘I see what I eat’ is the same thing as ‘I eat what I see’!” – Sprachphilosophisch nicht uninteressant.
Sprachlich ist das Werk ebenfalls eine Meisterleistung, doch die Sätze und das Vokabular sind nicht sprachgewaltätig, sondern fließen leicht und elegant dahin, man kann sich den flinken Wendungen kaum entziehen. Wer kann, sollte Alice im Original lesen; auch wenn es eine hervorragende Übersetzung von Christian Enzensberger gibt, so ist dieser perfekte Umgang mit der englischen Sprache einfach nicht ohne zu große Verluste ins Deutsche zu übersetzten.

Cover von Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

-It begins, as most things begin, with a song.
In the beginning, after all, were the words, and they came with a tune.-
Chapter One

Es war ja nun noch nie so, dass Neil Gaimans Bücher durch eine stringente, spannende Handlung geglänzt hätten, noch sind seine Helden besonders heroische Charaktere. Im Gegenteil, die Hauptperson ist meist ein Verlierer, der eine zum Scheitern verurteilte Beziehung zu einer Frau hat. Dann gerät er in eine fantastische, aberwitzige Situation, die er zunächst nicht kontrollieren kann, an der er dann aber wächst.
Das alles ist meist nicht so wahnsinnig spannend, wenn auch gespickt mit absurden und nicht selten extrem komischen Situationen und Figuren. Und da wären wir auch schon bei Gaimans größtem Talent, nämlich seiner wunderbaren Art, die Fiesen, die Gemeinen, die Hinterhältigen und die schlichtweg Brutalen darzustellen. Dieses Gesindel stiehlt dann auch gemeinhin den Guten ganz lässig die Show. Zwar zwingt einen das als Leser immer, sich beim Lesen von einem Auftritt der Bösen zum nächsten zu hangeln, aber was soll’s, Spaß macht das allemal.
Da aber liegt der größte Schwachpunkt von Anansi Boys (Anansi Boys): es gibt keinen Bösen. Es gibt nicht einmal jemand Zwielichtigen. Nichts. Einzig Spider hat den Ansatz dazu, der sich jedoch in eine andere Richtung entwickelt.
Was bleibt, ist die übliche, etwas wirre und von Mythen durchzogene Neil-Gaiman-Geschichte, ein paar witzige Situationen, und ein furchtbarer Jammerlappen als Hauptperson. Fat Charlie ist bis zur Mitte des Romans unerträglich, er ist peinlich, weinerlich und ein Verlierer, wie er im Buche steht. Klar, das ändert sich im Verlauf der Geschichte, aber bis dahin habe ich mir ein paar Mal ernsthaft gewünscht, er möge sein Elend (und meins) doch bitte durch sein Verschwinden aus der Geschichte beenden.
Im übrigen sind die Schauplätze, die ja sonst auch immer recht eigenwillig daherkamen, diesmal ebenfalls etwas lahm. London ist ganz einfach London und Miami ist nun auch nicht eben aufregend. Ansonsten gibt es noch eine lauschige Karibikinsel und die obligatorische Mythen-Parallelwelt, also alles wie gehabt.
Sprachlich ist das Ganze auf gewohnt hohem Niveau, da gibt es nichts zu meckern, und auch Neil Gaimans bizarrer Humor ist immer wieder für einen Lacher gut. Alles in allem ist das aber einfach zu wenig, um aus Anansi Boys ein richtig gutes Buch zu machen. Fans werden es vermutlich trotzdem mögen, alle anderen lesen lieber American Gods oder Neverwhere, da ist eindeutig mehr geboten.

Anansi Boys von Neil Gaiman“Fat” Charly Nancy, der eigentlich gar nicht mehr dick ist, ist ärgerlich, verwirrt und (wenn er ehrlich ist) mehr als nur ein bisschen verängstigt. Sein Leben ist nämlich dabei, außer Kontrolle zu geraten und das ist alles nur die Schuld seines (toten) Vaters. Wäre der nämlich nicht gestorben, hätte Fat Charly niemals erfahren, dass er einen Bruder namens Spider hat, der wie sein Vater ein Gott ist. Da dieser Bruder nun aber versucht sein Leben, seinen Job, seine Wohnung und seine Verlobte zu übernehmen, muss sich Fat Charly etwas einfallen lassen, um ihn wieder los zu werden.

– Es beginnt, wie es ja meistens der Fall ist, mit einem Lied.
Im Anfang waren schließlich die Worte, und dazu gab es auch gleich Melodie. So wurde die Welt geschaffen, so wurde das Nichts geteilt, so kamen sie alle in die Welt: die Landschaften und sie Sterne und die Träume und kleinen Götter und Tiere. –
Kapitel 1, S. 9

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Cover des Buches: "Anidas Prophezeiung" von Susanne GerdomIn ländlicher Umgebung, etwas isoliert, wachsen ein Junge und seine zwei Schwestern ohne Mutter auf, liebevoll umsorgt von der Tante, weniger vom bärbeißigen Vater, Lord Joris. Kurze Szenen aus einigen Jahren enden mit dem Besuch der zweiten Tante, einer Weißen Hexe, die bei allen Geschwistern den Magietest vornimmt. Er fällt bei der Jüngsten erstaunlicherweise negativ aus. Trotzdem geht es darum, dass sie mitwirkt, eine Welt zu retten, die sie noch nicht einmal kennt, während der Bruder längst zu den Grauen Magiern abgedriftet ist. Und die Bedrohung von der schwarzen Seite wächst …

-“Simon! Herr Simon!” Mit schrillen Rufen lief der langbeinige Junge über den Hof und scheuchte dabei eine Schar von Hühnern auf, die sich friedlich gesonnt hatten und nun laut gackernd das Weite suchten.-

Mit unscheinbarem Gewand und (für Fantasyverhältnisse) geringer Seitenzahl beginnt Susanne Gerdom ihre Trilogie rund um die Zwillinge Anida und Adina, die ihre Welt retten sollen. So weit nichts Neues. Doch dieser alte Hut wird von der Autorin ziemlich gut neu verpackt und nicht zuletzt der locker-flockige Schreibstil lässt die 400 Seiten wie im Flug vergehen. Besonders die aus der Ich-Perspektive erzählten Abschnitte Adinas mit ihrem trockenen Humor sind gelungen und sorgen für mehr als einen Lacher.

Zwar erfährt man nicht allzu viel von den Welten, auf denen die Charaktere leben, doch es reicht aus, dass sich der Leser ein Bild machen kann – der Rest bleibt der Phantasie überlassen. Die Gegensätzlichkeit der Welten, in denen die Zwillinge aufwachsen, sorgt für einen amüsanten Kulturschock Adinas, meiner Meinung nach der beste Teil des Buches.

Die Handlung verläuft sehr gradlinig, was den einzigen Wermutstropfen an dem ansonsten guten Buch darstellt. Mehr als die Geschichte der beiden Hauptpersonen wird nicht erzählt, hier hätte man sich ein wenig mehr gewünscht. Außerdem spart sich die Autorin den Hauptteil der Erklärungen für den nächsten Band: Fragen nach dem Warum werden mit “Es ist noch nicht die richtige Zeit.” auf später verlegt. So hat man zwar am Ende den Hauch einer Ahnung, tappt aber weiter wie Adina und Anida im Dunkeln.
Das Buch macht jedenfalls Lust auf mehr, zum Glück handelt es sich lediglich um den Auftakt. Ein leichter Spaß für Zwischendurch, vielleicht kein Highlight der Fantasy, aber dennoch lesenswert.

Anno Dracula von Kim NewmanEs ist 1888 und Königin Victoria von England hat sich einen neuen Gemahl gewählt: den Grafen Dracula. Täglich wächst die Gemeinde der Vampire, mal mehr, mal weniger freiwillig und so spalten sich bald die Gruppen derer, die den Vampirismus begrüßen, und derer, die sich auf eine Rebellion vorbereiten. In diese sensiblen Situation einer Gesellschaft, die mit der Veränderung noch nicht ganz zurecht kommt, mischt sich nun auch ein Serienkiller ein, der es mit seinem Silbermesser auf Vampirhuren abgesehen hat.

– Last nights delivery was easier than the others. Much easier than last week’s. Perhaps, with practice and patience, everything becomes easier. If never easy. Never … easy. –
In the Fog, Dr Seward’s Diary, S. 11

Mit Anno Dracula entführt uns Autor Kim Newman in eine alternative Realität des 19. Jahrhunderts – drei Jahre nach Bram Stokers Dracula – und stellt die Frage: Was wäre, wenn es Van Helsing seinerzeit nicht gelungen wäre Graf Dracula zu vernichten? Was, wenn der Vampir stattdessen quicklebendig, oder besser gesagt quickuntot, ins britische Königshaus eingezogen und die Queen zu einer seiner Frauen gemacht hätte?
Im vorliegenden Roman ist genau dieses Szenario real geworden. Dracula hat aber nicht nur überlebt, er hat seine Widersacher auch ausgeschaltet und badet in Blut und in seiner neuen Machtposition als britischer Thronhalter. In drei Jahren Herrschaft des Grafen hat sich die Gesellschaft Englands daher stark verändert. Auf der einen Seite ist der Vampirismus gesellschaftsfähig geworden und gehört inzwischen sogar zum guten Ton. Neugeborene Vampire leben hier mit britisch höflicher Erziehung ihr gewohntes Leben nahezu unverändert weiter und stillen ihren Blutdurst an freiwillig spendenden “Warmen”. Auf der anderen Seite wird diese scheinbar friedliche Koexistenz von den mittelalterlichen Vorgehensweisen Draculas und dessen persönlicher karpatischer Leibgarde immer wieder durchbrochen, da sie ein eng gesponnenes Netz aus Angst und Kontrolle über die Stadt gelegt haben. Blutbäder, Menschenjagd, Konzentrationslager, Blut-Prostitution und gewaltsames Blutsaugen sorgen für die Bildung rebellischer Gruppen unter den Warmen. Doch auch unter den Vampiren herrscht keine vollkommene Einigkeit, stellt uns Kim Newman hier doch die Idee verschiedener Blutlinien vor, von denen Dracula keinesfalls die Älteste, ja nicht einmal eine angesehene besitzt. In dieses wackelige Gefüge einer Gesellschaft, die mit der drastischen Veränderung noch nicht ganz zurecht kommt, gesellt sich nun noch die Jagd nach dem grausamen Serienkiller Jack the Ripper dazu, der des nachts durch die von Gaslicht spärlich erhellten Straßen Whitechapels schleicht und untoten Prostituierten mit seinem Silbermesser zum endgültigen Tod verhilft.

Die Handlung von Anno Dracula ist ein aufwendig konzipiertes Intrigenspiel, in dem es um Politik und Serienmord geht, und doch ist es schwer die wahre Stärke des Romans richtig zu beschreiben. Spannungsgeladene Handlungsbögen liefert dieser Roman nicht, denn der Leser lernt den Mörder bereits auf den ersten Seiten kennen. Wovon er nicht sofort etwas ahnt, das sind die Fäden, die im Hintergrund gezogen werden und auf ein gemeinsames Ziel zusteuern. Im Gesamtkonzept präsentiert sich Anno Dracula daher weniger wie ein Roman mit stringenter Queste, vielmehr gewinnt man den Eindruck eines klassischen Spionageromans mit verschiedenen involvierten Parteien und vielen kleinen Einzelgeschichten, die zu einem homogenen Ganzen verbunden werden. Das Spannende besteht letztlich darin zuzusehen, wie Kim Newman das Bekannte mit dem Neuen verbindet, um damit eine wirklich gut ausgearbeitete Atmosphäre und Erzählung zu schaffen, in der der Leser auf viele bekannte Namen und Orte aus Film und Literatur trifft. Sherlock Holmes, Bram Stoker, Jeanne D’Arc, der Diogenes Club, Oscar Wilde, Jack the Ripper, Professor Moriarty, Inspector Lestrade, Dr. Jekyll … die Beispiele sind manigfaltig in die Geschichte verwoben und liefern ein interessantes Crossover quer durch alle Genres, die das viktorianische Zeitalter, real und fiktiv, zu bieten hat.
Anno Dracula ist unterhaltsam, bildgewaltig und beklemmend zugleich. Wer echte Vampire sucht, der findet sie in diesem Roman garantiert.

Was die Sprache angeht, ist Anno Dracula nur denen im Original zu empfehlen, die in der englischen Sprache geübt sind. Zahlreiche eher selten gesehene Vokabeln tummeln sich hier neben weniger verbreiteten Redewendungen oder Zitaten. Wer also nur gelegentlich mal in englischsprachigen Büchern schmökert, der sollte auf die (leider deutlich weniger schöne) deutsche Ausgabe Die Vampire aus dem Heyne Verlag zurückgreifen, welche die drei bisher veröffentlichten Romane des Zyklus in gesammelter Form enthält.

Zusatzmaterial:
Die hier besprochene Neuauflage von Anno Dracula enthält einiges an Zusatzmaterial. Von einer über Jahre hinweg zusammengetragenen Sammlung der verwendeten Namen, Autoren, Filme, Titel usw., über ein alternatives Ende des Romans bis hin zu einer Kurzgeschichte des Autors. Fast 100 Seiten bieten noch mehr Einblick in Newmans blutig neue Welt und verschiedene Hintergründe zu seinem Roman.

Das Cover von Artemis Fowl 1 von Eoin ColferArtemis Vater hat der russischen Mafia ins Handwerk gepfuscht und gilt seitdem als verschollen. Durch diese Unternehmung ist das Fowlsche Familienvermögen erheblich geschrumpft. Arm kann man Artemis und seine Mutter nun nicht gerade nennen – aber Milliardäre sind sie nicht mehr. Also beschließt Artemis die Einkünfte wieder aufzustocken. Der hochbegabte Junge faßt einen ebenso genialen wie verbrecherischen Plan: Er will eine Elfe kidnappen, um an das sagenhafte Elfengold zu gelangen.

-Ho Chi Minh City im Sommer. Unerträglich heiß und drückend. Artemis Fowl hätte selbstverständlich solche Unannehmlichkeiten niemals auf sich genommen, wenn nicht etwas ungeheuer Wichtiges auf dem Spiel gestanden hätte.-
Kapitel 1: Das Buch

Artemis Fowl ist ein Antiheld, aber nur fast: Ein blasses zwölfjähriges Kerlchen, das zuviel Zeit vor dem Computer verbringt, skrupellos seinen genialen Plan verfolgt und von einem gewalttätigen, ihm treu ergebenen, Leibwächter beschützt wird. Bei näherem Hinsehen ist Artemis aber keineswegs so skrupellos, wie es auf den ersten Blick scheint und wie er es gerne von sich selbst glauben möchte. Der Junge leidet unter dem Verlust seines Vaters und unter der psychischen Krankheit seiner Mutter und erkennt daher folgerichtig am Ende der Geschichte, daß Geld nicht alles im Leben ist. Aber vorher muß er sich noch mit den Unterirdischen herumschlagen, wobei das “Herumschlagen” hauptsächlich von seinem Leibwächter namens Butler übernommen wird. Artemis hat zwar einen scharfen Verstand, aber anscheinend hat er sein Körpertraining sträflich vernachlässigt, so daß ihn sogar eine kaum ein Meter große Elfe mit einem gezielten Schlag auf die Nase zu Boden schicken kann. Peinlich, peinlich. Die Elfe heißt Holly, ist der erste weibliche Officer bei der ZUP, der Polizei der Unterirdischen, und hat meistens Ärger mit ihrem Vorgesetzten, Commander Root, da sie des öfteren die Vorschriften außer acht läßt. Jetzt gerade hat sie es schon seit längerem versäumt, ihre Magie aufzuladen, was dazu führt, daß sie von Artemis gekidnappt wird und Commander Root höchstpersönlich in Aktion treten muß, um Holly zu retten. Es entspinnt sich ein Kampf zwischen Artemis und den Unterirdischen, der stellenweise recht gewalttätig geführt wird, aber bei dem letztendlich niemand wirklich zu Schaden kommt und bei dem ein pupsender Mulch eine zentrale Rolle spielt. Spätestens an dieser Stelle sollte man als Leser erkennen, daß die ganze Geschichte mit Augenzwinkern und Ironie erzählt wird. Ansonsten könnte man Artemis Fowl anstatt für einen humorvollen James-Bond/Star-Trek/Krimi-Verschnitt für die Verherrlichung jugendlichen, gewalttätigen Verbrechertums halten und würde damit dem Buch bitter Unrecht tun.
Um dieses Buch zu mögen, darf man nicht ironieresistent sein (bzw. man muß alt genug sein, um Ironie zu verstehen) und man darf sich nicht an Welten stören, die von Technik bestimmt sind, denn die Welt der Unterirdischen, wozu Elfen, Zentauren, Mulche und Trolle gehören, hat hier nichts Romantisches. Die Technik ist weiter fortgeschritten als in der Menschenwelt und in der ZUP herrscht ein militärischer Kommandoton, jedenfalls dann, wenn alle sich an die Dienstvorschriften halten. Der Ablauf des Einsatzes erinnert an die Star-Trek-Abenteuer. Es wird zwar niemand von einem Raumschiff auf einen Planeten hinuntergebeamt, aber die Unterirdischen werden aus dem Erdinneren auf die Erde hinaufbefördert. Als etwas schiefgeht, wird eine Bergungseinheit hinterhergeschickt, die nicht wirklich erfolgreich ist (und deren Mitglieder hauptsächlich daran interessiert sind, daß ihre Mama stolz auf sie ist) und schließlich müssen die verantwortlichen Offiziere die Sache selbst in die Hand nehmen.
Wenn Sie sich mit einem verletzlichen, aber arrogant wirkenden, hochbegabten, alles und jeden herumkommandierenden, reichen, halbwüchsigen Kriminellen anfreunden können und Sie keine Abneigung gegen Technik hegen, dann bietet Ihnen Artemis Fowl eine unterhaltsame Lektüre.

Artemis’ Vater geht es besser. Hollys Magie hat ihm nicht nur geholfen wieder gesund zu werden, sie hat auch seinen Charakter beeinflußt. Er möchte er ein ganz normales Familienleben ohne Verbrechen führen. Artemis kann sich mit dem Gedanken an ein bürgerliches Leben noch nicht so ganz anfreunden und plant einen letzten genialen Coup. Er benutzt den mit Elfentechnologie entwickelten Minicomputer C Cube um John Spiro, den skrupellosen Chef einer der größten Computerfirmen der Welt, zu erpressen. Doch dieser hat nicht vor, sich von einem Dreizehnjährigen um seine Firma bringen zu lassen. Er will den C Cube und damit ist auch das Erdland in Gefahr. Captain Holly Short muß eingreifen.

– Artemis Fowl war beinahe zufrieden. Sein Vater sollte bald aus dem Universitätskrankenhaus in Helsinki entlassen werden. Er selbst freute sich auf ein leckeres – wenn auch recht spätes –
Mittagessen im En Fin, einem Londoner Fischrestaurant, und der Geschäftsmann, mit dem er verabredet war, mußte jeden Moment eintreffen. Alles lief nach Plan.-
Kapitel 1 Der Würfel

Auch der erneute Anfall von Arroganz zu Beginn des Romans kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Artemis mit jedem Buch sympathischer wird. Obwohl er wieder dem Traum vom großen Geld nachjagt, lernt er recht schnell, daß Freundschaft mehr wert ist als alles Gold der Welt, auch wenn er noch so oft das Familienmotto zitiert: aurum potestas est – Gold ist Macht. Doch zunächst will er unbedingt seinen großen Coup landen, der jedoch nicht so genial ist wie Artemis glaubt. Sein Geschäft mit Spiro scheitert auf furchtbare Weise. Das hat fatale Folgen für seinen treuen Leibwächter Butler und die Bewohner von Erdland müssen ihre Entdeckung fürchten. Es kommt wieder zu gewalttätigen Szenen, die Colfer aber in bewährter Manier mit Witz und Ironie abmildert. Der Geheimcode (The Eternity Code) ist das komischste der drei Artemis-Bücher. Allerdings gilt auch hier, daß Kinder alt genug sein müssen, um die Ironie und das Augenzwinkern zu verstehen, mit denen Colfer seine Geschichte erzählt. Die Gewaltszenen sind für jüngere Kinder, die alles für bare Münze nehmen, was hier geschildert wird, zu heftig. Alle anderen dürfen sich köstlich amüsieren. Noch nie hat ein Autor so witzig beschrieben wie jemand lebendig begraben wird.
Neben Artemis und Holly spielt auch wieder Mulch Diggums eine wichtige Rolle. Er arbeitet mittlerweile für die Chicagoer Mafia. Diggums hat immer noch die Angewohnheit, im richtigen Moment Gas auszustoßen und die Tatsache, daß er seine Haut mit dicken Schichten Sunblocker zukleistern muß, weil er Sonnenlicht genauso gut verträgt wie ein Vampir, trägt auch nicht gerade zu seinem Wohlgeruch bei. Der Zentaur Foaly überwacht und dirigiert die Operation “Rettet Erdland”, bei der, wie gewohnt, ausgefeilte Technik und Hollys Magie zum Einsatz kommen und Butlers Schwester Juliet hat verschiedene Auftritte als weibliche Kampfmaschine.
Das Ende des Romans läßt auf eine Fortsetzung der Geschichte hoffen, allerdings weiß man nicht so recht, ob man sie sich wünschen soll, denn es hat den Anschein, als würde Artemis bald selbst zu seinem ärgsten Feind.

Endlich einmal ist in Erdland alles in Ordnung. Opal Koboi, die gefährliche Verbrecherin, liegt im tiefen Koma und stellt keine Bedrohung mehr dar. Artemis Fowls Gedächtnis wurde gelöscht, so dass auch er Erdland nicht mehr gefährlich werden kann. Captain Holly steht kurz vor einer Beförderung. Es ist zu schön, um wahr zu sein. Und tatsächlich: Opal Koboi täuscht ihre behandelnden Ärzte, sie liegt überhaupt nicht im Koma. Mittels eines Klons gelingt ihr die Flucht und sie will sich an allen rächen, die ihre Machtübernahme verhindert haben. Commander Root erteilt Holly den Befehl, Artemis vor der rachsüchtigen Opal zu retten. Bald wird klar, dass Holly nicht nur Artemis, sondern ganz Erdland retten muss, doch die Lage erscheint aussichtslos.

-Die Argon-Klinik war kein staatliches Krankenhaus. Niemand wurde dort kostenlos aufgenommen. Argon und sein Psychologenteam behandelten nur Unterirdische, die es sich leisten konnten.-
Kapitel 1 Völlig besessen – Argon-Klinik, Haven City, Erdland. Drei Monate zuvor.

Erneut müssen Holly und Artemis gemeinsam das Böse in Gestalt von Opal Koboi bekämpfen und wieder einmal wenden sie dazu ihre bewährte Mischung aus Methoden á la James Bond und Star-Trek-Besatzung an. Die Spannung kommt dabei nicht zu kurz. Der Leser muss mit dem Verlust einer beliebten Figur fertig werden, es gibt Bombenanschläge auf Artemis Leben und er und Holly müssen vor liebeswütigen Trollen fliehen – das ist nicht lustig.

Genau das ist das Manko des vierten Artemis-Fowl-Romans Die Rache (The Opal Deception), die Ironie und der Witz, die bisher für Colfers Geschichten so typisch waren, kommen nur höchst selten zum Zuge. Das ist schade, denn da auf diese Weise z.B. die gewalttätigen Einsätze Butlers nicht mehr ironisch gebrochen werden, kommen sie überhaupt nicht mehr vor und das wirkt, als ob Colfer diesen Roman mit angezogener Handbremse geschrieben hätte. Vielleicht hängt dies mit der großen Popularität der Artemis-Fowl-Geschichten zusammen, eventuell fürchtet man, daß Colfers bisherige Erzählweise auf jüngere Kinder gewaltverherrlichend wirkt, weil sie die Ironie nicht verstehen. Das ist eine ehrenwerte Vorgehensweise, aber sie nimmt der Story einen Teil ihres besonderen Charakters und macht aus Artemis Fowl – Die Rache einen “normalen” Fantasykrimi mit Science-Fiction-Anteil. Außerdem verdichten sich die Hinweise, dass Artemis dem Verbrechen völlig entsagen und sein Talent ausschließlich im Dienste des Guten ausüben will. Bitte nicht.

Artemis Fowl: Die verlorene Kolonie von Eoin ColferCaptain Holly Short ist alles andere als zufrieden mit ihrer Privatdetektei, die sie mit ihrem ehemaligen Gegner, dem verdauungswütigen Zwerg Mulch Diggums, betreibt. Seit sie die ZUP, die unterirdische Polizei von Erdland, verlassen hat, hat sie nur noch mit kleinen Fischen zu tun. Hollys Hilfe wird jedoch benötigt, als der Zeitstrom, in dem sich die Insel der Dämonen befindet, zusammenzubrechen scheint. Dadurch würden die Dämonen in alle möglichen Welten zerstreut werden. Unangenehm für die Erde, denn die Dämonen meinen, noch eine Rechnung mit der Menschheit offen zu haben, und das Auftauchen von Dämonen an der Erdoberfläche hat bereits begonnen …

-Holly Shorts Karriere als unterirdische Privatdetektivin entwickelte sich nicht wie geplant. Das lag vor allem daran, dass Erdlands beliebteste Fernsehshow in den letzten Monaten gleich zwei Sondersendungen über sie gebracht hatte. Es war nicht einfach, als verdeckte Ermittlerin zu arbeiten, wenn das eigene Gesicht dank der zahllosen Wiederholungen ständig über den Bildschirm flimmerte.-
Kapitel 2 – Doodah Day

Endlich ist er da, der neue Artemis Fowl, und kaum habe ich den fünften Band Die verlorene Kolonie (The Lost Colony) im Buchladen gesehen, habe ich direkt mein restliches Geld auf die Kasse gelegt und das noch recht frische Exemplar gekauft. Nun, direkt das erste Kapitel enttäuschte mich. Zu Anfang fühlt man sich an Kapitel Eins des ersten Fowl-Bandes erinnert: Artemis und sein stets wachsamer Leibwächter Butler halten sich in einer erhitzen, altertümlichen Stadt im Hochsommer auf – diesmal ist Barcelona dran, und zunächst können wir nichts weiter als mit Butler leiden: wir haben keine Ahnung, wovon Artemis spricht. Er “wartet auf etwas”, leider verschweigt er Butler schon die ganze Zeit über, worum es sich dabei handelt, und nach kurzer Zeit nervt dies schon. Es sorgt nicht sonderlich für Spannung, dass es einige Seiten lang so weiter geht. Und dann taucht aus einem Lichtstrahl plötzlich ein verdutzter Dämon auf, verschwindet wieder und reißt Artemis mit in einen Zeitenstrom. Butler kann Artemis nur mit Glück und großem Zufall retten. Zuvor aber reist Artemis mit dem Dämon durch die Zeit und trifft dabei kurz auch noch den berühmten Architekten Gaudí und hinterlässt seine Spuren an der Casa Milà. Das ist nicht witzig, finde ich, und Eoin Colfer hat dieses erste Kapitel wirklich vollkommen verbraten. Vor allem, da diese Zeitreise Artemis mehr als zufriedenstellt, aber Butler immer noch zu großen Teilen im Unklaren lässt.

Ab dem zweiten Kapitel findet Colfer wieder in die alten und geliebten Höhen seiner Fowl-Romane zurück, und das alte Gefühl ist wieder da. Zwischen Mulch und Holly besteht weiterhin eine Art Hassliebe à la Spock & McCoy aus Star Trek, und der folgende Teil des Buches bleibt weiterhin eine angenehme Mischung aus Spannung, High-tech und Sarkasmus, der schön über das Buch gestreut ist. Die alte Stimmung bleibt zum großen Teil erhalten. Doch storymäßig wackelt es stellenweise sehr. Eine Art weibliche Ausgabe von Artemis Fowl, die junge Minerva Paradizo, hat selbst etwas über die Welt der Dämonen herausbekommen und wünscht diese zu vernichten. Zwar ist die Auseinandersetzung zwischen ihr und Artemis spannend und interessant gestaltet, aber dennoch kommt uns all dies bekannt vor: noch ein hochbegabtes Kind, das in das Geschehen der Nichtmenschen eingreift. Es ist, als kämpfte der junge Artemis Fowl gegen sein nicht sehr originell gestricktes Spiegelbild.

Zudem ist wenig von dem alten, unsympathischen, fast abstoßenden Fowl übrig geblieben: diesmal handelt Artemis nur aufgrund seines “Gewissens”, es geht ihm nicht einmal um Geld. Das mag für Holly und ihre Konsorten erstaunlich und moralisch richtig wirken, doch die Figur wird dadurch eher weniger interessant. Artemis Fowl war immer ein Schlitzohr, ein bisschen Verbrecher steckte immer in ihm, selbst wenn er stets auf der Seite des Guten stand. Dieser Zwiespalt machte den gewissen Reiz von Artemis Fowl aus, der leider von Buch zu Buch immer weiter ausgemerzt wurde. Letztendlich scheint aus Artemis doch ein richtiger Held geworden zu sein. Ein Genie und verrückt vielleicht, aber dennoch ein gewissenhafter Held. Den Ganoven in ihm vermisst man hingegen sehr, der Irrsinn der Figur, ihr inneres Feuer, scheint erloschen. Dies war der Grund, warum ich das Geschehen um Holly und Butler viel lieber verfolgt habe als die Geschichte um Artemis und Minerva. Und ab dem dritten Viertel des Buches wird endgültig klar: das ist nicht mehr Artemis Fowl, wie man ihn kennt. Dass weiterhin Spannung herrscht und Eoin Colfers großartiger Humor wie immer zu begeistern weiß, ist nicht zu verleugnen. Aber wie schon gesagt: je näher das Buch auf sein Finale zusteuert, desto mehr geht die Fowl-Atmosphäre verloren.

Ein schlechtes Buch ist Artemis Fowl: Die verlorene Kolonie ganz bestimmt nicht. Aber das missratene Finale bringt ihm weitere Minuspunkte ein. Um dem Leser nicht die Spannung zu rauben, nehme ich keinen direkten Bezug auf den Inhalt. Insgesamt würde ich jedoch sagen: es war zuviel. Weniger wäre in diesem Falle mehr gewesen, Qualität hätte vor Quantität stehen müssen.
Artemis Fowl bleibt dennoch in meinen Augen eine gelungene Buchreihe, und auch den fünften Band habe ich sehr gerne gelesen. Er mag zwar gewisse Ecken und Kanten haben, von denen einige wirklich unsanft auffallen, aber dennoch war es eine Lektüre, die mich entspannt und zurück in eine andere Welt geführt hat, allein schon aufgrund Colfers humorsprühender, sarkastischer Sprache.
Ich hätte nicht mehr erwartet, sondern eher weniger Beliebigkeit, die in diesem Buch vorrangig ist.
Fans der Fowl-Reihe würde ich das Buch dennoch empfehlen, es ist wirklich nicht zu verachten. Doch die ungewohnten Neuheiten in Artemis’ Welt sind nicht einfach aufzunehmen.

Cover von Die Verschwörung von Eoin ColferCaptain Holly Short ist strafversetzt worden und muss jetzt einen Druckaufzugsschacht beobachten, der kaum benutzt wird. Ein total langweiliger Job – bis sie und ihr Kollege von Schmugglern angegriffen werden. Offensichtlich haben sich Menschen mit verbrecherischen Unterirdischen verbündet, mit den B’wa Kell, einer Art Kobold-Mafia. Holly hat sofort Artemis Fowl im Verdacht.
Doch den plagen im Moment ganz andere Sorgen. Es verdichten sich die Hinweise, dass die russische Mafia seinen Vater entführt hat.
Holly und Artemis schließen einen Vertrag…

-Im Alter von dreizehn Jahren wies unser Untersuchungsobjekt Artemis Fowl Zeichen einer Intelligenz auf, die größer war als die sämtlicher Menschenwesen seit Wolfgang Amadeus Mozart.-
Artemis Fowl: Ein psychologisches Gutachten, Die Jugendjahre

Artemis Fowl: Die Verschwörung (The Arctic Incident) ist noch tempo- und spannungsreicher als der erste Teil und ebenso humorvoll. Die Handlung ist so dicht, dass dem Leser kaum Zeit gelassen wird, Atem zu holen. Doch trotz aller Action, vernachlässigt Colfer nicht die Darstellung der Charaktere. Es wird immer deutlicher, dass Artemis durchaus nicht soooo skrupellos ist, wie er es selbst gern wäre. Zwar wird dem Leser noch vor dem Prolog mitgeteilt, dass er eine Reihe von Verbrechen begangen hat, aber im Roman benimmt er sich kooperativ, er steht auf der richtigen Seite und schließlich ist es bestimmt nicht ehrenrührig, seinen eigenen Vater aus der Hand von Entführern zu befreien. Über seinen Vater sagt Artemis übrigens mehrmals, dass er zwar einige illegale Dinge getan hat, aber trotzdem ein Ehrenmann ist. Es sieht ganz so aus, als ob die männlichen Mitglieder der Familie Fowl sich langsam aber sicher zu edlen Verbrechern á la Robin Hood entwickeln.
Sogar Holly, die ja bisher glaubte, alles Übel in der Welt käme von Artemis Fowl, entdeckt an dem Jungen einige positive Charakterzüge.

Wieder dabei sind auch der kampferprobte Butler, der harte aber herzliche Commander Root, Zentaur Foaly, den sein Humor auch in der prekärsten Situation nicht verlässt, die Offiziere Kelp, die leider nur kurze Auftritte haben und Meisterdieb Nummer 2 Mulch Diggums, der seine Umwelt immer noch mit seinen Abgasen belästigt.

Bearing An HourglassNorton verbringt einen Großteil seines Lebens außerhalb der Städte in Parks und geht den Menschen lieber aus dem Weg. Eines Tages erscheint ihm jedoch ein Geist, der ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Die frisch angetraute Braut des Geistes – Orlene – soll einen Nachkommen in die Welt setzen und Norton die Befruchtung übernehmen. Norton, zunächst wenig interessiert, stimmt jedoch zu, als er Orlene kennen lernt und sich in sie verliebt. Was zunächst mit einer glücklichen Zeit für die beiden beginnt, endet auf die schlimmstmögliche Weise und führt Norton direkt in seine Rolle als neuer Chronos, der sich rückwärts durch die Zeit bewegt.

– »Look at it this way: I have no physical body and I need an heir. I’m asking you to substitude for me in this one respect. After that you can go your way, with no further commitment. It’s like repairing my house for me, and I’ll pay you for the service–«
»Some service!« –
Kapitel 1: Ghost Marriage

Bearing an Hourglass (Der Sand der Zeit) ist der zweite Teil der Incarnations of Immortality mit Chronos, dem Vater der Zeit, als Hauptperson. Während der erste Band On A Pale Horse eher skurril und humorvoll daherkam, ist der vorliegende Band deutlich schwerfälliger, was sicher auch der tragischen Umstände zu verdanken ist, die Norton zum neuen Chronos werden lassen.
Selbstverständlich ist auch Satan wieder mit von der Partie und versucht den noch unerfahrenen Norton für sich zu gewinnen, dessen Fähigkeiten als Vater Zeit für sich zu nutzen und die Vergangenheit zu seinen Gunsten zu verändern. Im Verlaufe dieses Handlungsstrangs treffen wir wieder auf Zane als Gevatter Tod und dessen Gefährtin Luna, der es erneut an den Kragen gehen soll. Bis Chronos merkt, was er unwissentlich getan hat, ist es beinahe schon zu spät, und der Leser taucht in ein rasantes Endspiel ein.

Die Charaktere selbst sind wieder wunderbar gezeichnet, man erfährt viele Details aus dem Leben Nortons, der Funktion Chronos’, seinem Verhältnis zu den anderen Inkarnationen, aber auch einiges über diese selbst. Besonders interessant hierbei ist, dass Bearing An Hourglass keine typische Fortsetzung zu On A Pale Horse (Reiter auf dem schwarzen Pferd) darstellt, sondern sich eher wie ein Crossover liest. Die bekannten Figuren, die natürlich in beiden Romanen auftauchen, stellen zwar eine Gemeinsamkeit dar, daneben befasst sich jedoch jedes Buch der Incarnations of Immortality (Die Inkarnation der Unsterblichkeit) mit der jeweiligen Inkarnation und lässt geschehene Ereignisse aus dem Vorgängerband auf unterhaltsame Weise zu einem spät auftauchenden Nebenstrang werden. Dadurch lassen sich die einzelnen Bände dieser Reihe auch sehr gut außerhalb der Reihenfolge lesen, obwohl es für nette kleine Aha-Erlebnisse sorgt, wenn man sie beibehält.

Trotz dieser guten Ansätze kommt das Buch aber nicht so recht in die Gänge. Es ist keine leichte Unterhaltungslektüre, bei der die Seiten vor Spannung dahinfliegen, denn der deprimierende Beweggrund für Chronos, seine Position als Inkarnation einzunehmen, ist stets gegenwärtig, was ein lockeres Dahintreiben der Story recht schwierig macht. Da sich dieser Roman zusätzlich in verschiedenen Zeitlinien abspielt und das manchmal wichtige Realitätsveränderungen nach sich zieht, sollte man Bearing an Ourglass in aufmerksamem Zustand lesen, sonst verpasst man schnell einen für den logischen Ablauf wichtigen Punkt.

Das Einzige, was man Bearing An Hourglass neben einer leicht depressiven Grundstimmung negativ ankreiden muss, ist die stellenweise sehr träge Entwicklung der Handlung und ein paar störende, irgendwie unsinnig erscheinende Sequenzen, in denen Norton von Satan in eine Art Parallelwelt geschickt wird. Obwohl Piers Anthony hierfür viele nette Einfälle hatte und eindeutig Klischees des Genres durch den Kakao zieht, wirken diese Stellen manchmal etwas zu albern und letztlich auch überflüssig in ihren ausführlichen Schilderungen. Sie fügen sich nur mühsam in den Rest der Handlung ein, scheinen eher Seitenfüller als relevante Ereignisse zu sein und verhindern ein rundes Gesamtbild des Romans.
Fans etwas ungewöhnlicher Urban Fantasy mit Hang zur Science Fiction werden aber sicherlich weiterhin auf ihre Kosten kommen. Denn der Weltenbau ist, wie im Roman zuvor, interessant durchdacht, birgt ungewöhnliche Ideen, viel Fantasie, und hin und wieder kommt auch ein Spritzer Humor dazu. An die unterhaltende Qualität seines Vorgängers kommt Bearing An Hourglass aber nicht ganz heran.

Cover von Das Bernstein-Teleskop von Philip PullmanMrs Coulter hält Lyra in einer Höhle im Himalaya gefangen. Sie versetzt das Mädchen mittels Drogen in einen permanenten Tiefschlaf. Lyra träumt von Roger, der sich im Land der Toten aufhält und sie um Hilfe anfleht.
Zur gleichen Zeit begibt sich Will auf die Suche nach seiner Freundin. Doch noch ein anderer ist unterwegs: Pater Gomez, der vom Geistlichen Disziplinargericht ausgeschickt wurde, um Lyra zu ermorden.

-In einem von Rhododendren überschatteten Tal nahe der Schneegrenze, durch das schäumend ein Bach mit grünem Schmelzwasser floß und unter dessen gewaltigen Pinien sich Tauben und Bergfinken tummelten, lag unter einer Felsnase, halb versteckt hinter den schweren, harten Blättern der Büsche, eine Höhle.-
Die verzauberte Schläferin

Wie die ersten beiden Bände so besticht auch Das Bernstein-Teleskop (The Amber Spyglass) durch seine Komplexität. Das Buch ist gespickt mit literarischen Anspielungen, aber diesmal ist es für den Leser nicht sonderlich schwierig herauszufinden, worauf Phillip Pullman sich bezieht, denn er gibt in seiner Danksagung zu, daß er Ideen aus jedem Buch gestohlen hat, das er gelesen hat und daß er sich besonders durch Kleists Über das Marionettentheater, durch Blakes Werke und durch Miltons Paradise Lost hat inspirieren lassen. Außerdem bezieht er sich auf die Bibel und auf die griechische Sagenwelt. Soviel für die Literaturinteressierten, die selbst nachlesen möchten, woher Pullman seine Ideen schöpft.
Man muß die Quellen aber nicht kennen, um die Geschichte zu genießen, wobei “genießen” eindeutig das falsche Wort ist. Der Schluß der Trilogie ist traurig. Es gibt zwar Hoffnung, doch kein Happy End. Großen Raum nimmt das Thema “Tod” ein, die Passagen die davon handeln sind oft düster und beklemmend. Das Bernstein-Teleskop ist völlig ungeeignet, wenn man an trüben Herbsttagen eine Lektüre sucht, um seine Stimmung aufzuheitern. Außerdem kann es religiöse Gefühle verletzen. Verschenken Sie die Trilogie also nicht ungefragt an jemanden, der einen strenggläubigen christlichen Hintergrund hat. Auch Anhänger anderer monotheistischer Religionen könnten sich verletzt fühlen. Diese Punkte tun der hervorragenden Qualität des Buches jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie tragen zu der Klasse der Geschichte bei. Der interessanteste Charakter ist Mrs Coulter. Bis zum Schluß fragt sich der Leser, ob sie Lyra der Kirche ausliefern wird oder ob sich in ihrer schwarzen Seele nicht doch so etwas wie Mutterliebe für ihr Kind regt. Besonders gelungen ist Pullman die Beschreibung der Welt der Mulefas, einer ungewöhnlichen Tierart. Hingegen stört es etwas, daß der Autor es sich nicht verkneifen konnte, seine Botschaft ziemlich plakativ an den Leser zu bringen. Wahrscheinlich war er sich nicht sicher, ob Kinder und Jugendliche die Moral von der Geschichte verstehen, wenn er sie nicht explizit ausspricht.
Das halbe Sternchen Abzug gibt es für die unnötige Darstellung von Grausamkeiten: Klippenalpe reißen einem Fuchs den Kopf ab, Mrs Coulters Dämon, der goldene Affe, zerreißt eine Fledermaus bei lebendigem Leibe und König Iorek frißt die Leiche eines seiner Freunde. All diese Episoden sind nicht motiviert, sie sind weder für den Fortgang der Handlung nötig, noch werden sie gebraucht, um die Protagonisten zu charakterisieren. Es gibt noch genug Gewaltszenen, die durch die Geschichte bedingt sind, so daß Pullman auf diese billige Effekthascherei gut hätte verzichten können.
Noch ein Hinweis: Wie mehrmals erwähnt, ist Das Bernstein-Teleskop der dritte Band einer Trilogie. Man kann die Geschichte nicht verstehen, wenn man die ersten beiden Bände nicht gelesen hat. Wenn Sie sich für diese Reihe interessieren, fangen Sie also bitte mit Der goldene Kompaß (Nothern Lights/The Golden Compass) an. Auch sollte man die Bücher ihrer Komplexität wegen relativ schnell hintereinander lesen. Läßt man sich dazwischen zu viel Zeit, kann es passieren, daß man den Faden verliert

Cover von Der Blumenkrieg von Tad WilliamsTheo ist dreißig Jahre alt und es sieht nicht danach aus, als würde er in naher Zukunft auf einen grünen Zweig kommen. Dann muß er auch noch zwei Schicksalsschläge verarbeiten, die ihn völlig unvermittelt treffen. Theo zieht sich in ein abgelegenes Haus zurück und denkt darüber nach, wie er sein Leben weiterführen soll. Manchmal fühlt er sich, als gehöre er nicht in diese Welt, er hat Albträume und gelegentlich kommt es ihm vor, als sei sein Körper von einem zweiten Ich besetzt. Kann es noch schlimmer kommen? Ja, es kann: Eines Tages erhält Theo Besuch von einer Elfe namens Apfelgriebs. Kaum hat er sich von dieser Überraschung erholt, greift ihn ein Untoter an. Theo kann sich mit Apfegriebs gerade noch durch einen mysteriösen Spalt in eine andere Welt retten.

-Theo verspürte einen leisen Gewissensbiß, als er das Handy wieder anstellte, vor allem als er merkte, daß er es über zwei Stunden lang nicht angehabt hatte.-
1 Wolken

Die originellste Figur in Tad Williams Roman Der Blumenkrieg (The War of the Flowers) ist ohne Zweifel die kleine Elfe Apfelgriebs. Ein klarer Fall von “klein, aber oho”. Sie ist mutig, treu, gewitzt, burschikos, kann Shakespeares Kaufmann von Venedig zitieren, bedient sich jedoch gewöhnlich einer derberen Sprache, deren Ton zwischen rauh und herzlich changiert und die man eher einem Matrosen auf Landgang zutrauen würde, als einer zarten Elfe. Es macht Spaß zu verfolgen, wie Apfelgriebs dem durch die Ereignisse leicht verstörten Theo hilft, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Leider übernimmt diese Aufgabe nach einiger Zeit der Laborassistent Wuschel Segge, auch ein treues, aufopferungsvolles und symphatisches Kerlchen, dem aber die Originalität und der Witz der kleinen Elfe fehlt. Und ohne Apfelgriebs ist Der Blumenkrieg ein Fantasy-Roman, der dem üblichen Muster folgt: 1. Held muß die Welt retten. 2. Held gerät zwischen die Fronten rivalisierender Elfenclans und rebellierender Goblins. 3. Held wird von den Bösen verfolgt und wird auf der Flucht mit überraschend auftauchenden und gar schröcklichen Gefahren konfrontiert, aus denen er ebenso überraschend gerettet wird. 4. Held findet Freunde und verliebt sich. 5. Happy End. Das ist nun wahrlich nicht neu, aber Tad Williams ist ein guter Schriftsteller und deshalb gehört Der Blumenkrieg zu den besseren Fantasy-Romanen. Tatsächlich ist einiges in diesem Buch zu gut beschrieben. In einer Vobemerkung entschuldigt sich der Ator, daß es Abschnitte gibt, die die Leser an den 11. September und die Vernichtung der Twin Towers in New York erinnern könnten, er habe diese Szenen aber schon im Jahr 2000 konzipiert und sie seien so elementar für den Roman, daß er nicht gänzlich darauf verzichten konnte.
Das Problem ist weniger, daß es diese Szenen überhaupt gibt, das Problem ist, daß sie zu wenig verfremdet sind. Es gibt einzelne Sätze, die klingen, als sage sie ein im World Trade Center Verschütteter und plötzlich verfolgt der Leser nicht mehr distanziert die Geschehnisse in einem phantastischen Elfenland, sondern er befindet sich für einen Moment in der Realität des 11. Septembers 2001 und da will er mit Sicherheit nicht sein. Es genügt nicht, die Flugzeuge durch etwas anderes zu ersetzen und die Opfer durch Fabelwesen. Gewalt in Romanen kann nur so lange unterhaltsam sein, wie sie sich eindeutig in einem fiktiven Rahmen abspielt und der Leser in seinem bequemen Sessel sicher sein kann, daß sie mit der Realität nicht das Geringste zu tun hat.

Caine's Law von Matthew StoverWieder einmal ist Caine ganz unten: In den Händen der Regierung, ohne Zugriff auf Overworld und seine dortigen Kräfte, verkrüppelt, an ein Bett gefesselt – und seine Peiniger haben noch Schlimmeres mit ihm vor, während in seiner Wahlheimat Overworld die Erde ihren Einfluss wieder erhöht und die Dinge zum Schlechten stehen. Caine macht der Erdregierung ein Angebot, das sie leider ohne mit der Wimper zu zucken ablehnt, und ab diesem Zeitpunkt reißen die Merkwürdigkeiten nicht mehr ab …

“Two things I do,” she repeated. She touched her cheek below the brown eye. “Forgiveness.” She moved the hand to the ice-milk side. “Permission.”
The horse-witch: Feral

Drei Bände lang hat Caine gewütet und gemetzelt, hat skrupellose Gegner bekämpft, indem er noch weniger Skrupel hatte als sie, und nun, in Caine’s Law, dem zweiten Teil der mit Act of Atonement untertitelten Sub-Serie, soll er schließlich doch die Konsequenzen zu spüren bekommen und sühnen. Der nur vordergründig einfach gestrickte Haudrauf wird auf den Boden geholt, nicht nur durch die Ereignisse und seine Ermattung, was Kämpfe und Konflikte angeht, sondern vor allem durch die vielen Rückblicke, die wie schon in den vorausgegangenen Bänden erklären, wer er ist, und einen Mann mit vielen Schichten offenbaren. Ein häufig erwähnter Schlüsselsatz fasst sowohl die Figur als auch den ganzen Roman famos zusammen: »It’s complicated.«

Caine’s Law ist eine strukturell herausfordernde Lektüre – sie bietet keine lineare Erzählung, sondern springt zwischen Zeit- und Möglichkeitsebenen hin und her, stellt einen netten Warnhinweis voraus, dass es sich dabei teilweise nur um bald wieder ungeschehen gemachte Varianten der Ereignisse handelt, und man darf sich selbst zusammenpuzzeln, wie die einzelnen Kapitel zu ordnen sind, häufig nur von kleinen Hinweisen unterstützt. Aber erfahrene Caine-LeserInnen kann ohnehin nichts mehr schocken, und mit etwas Zutrauen in die Fähigkeit von Matthew Stover, einen am Ende nicht im Regen stehen zu lassen, stellt sich bald trotzdem eine Art Linearität ein, denn die Kapitel sind, auch wenn es anfangs anders scheinen mag, mitnichten zufällig angeordnet. Kausalitäten lassen sich herstellen, und letztlich gibt es tatsächlich einen sehr befriedigenden und überraschenden Blick auf das ganze Mosaikbild, das man sich beim Lesen erarbeitet hat, auch wenn es unterwegs ein ausgesprochen wilder Ritt mit wohlplatzierten Stolpersteinen aus dem Zeitreiseparadoxon-Baukasten war. Das Spiel mit der Fiktionalität, das stets ein hintergründiger Bestandteil der Caine-Reihe war, wird dadurch auf eine andere Ebene gehievt, auch wenn Caine nun schon lange nicht mehr »Entertainer Michaelson« ist.
Manch ein Kapitel wird man in diesem raffinierten Puzzle vielleicht zweimal lesen wollen, denn fast in jedem Abschnitt kommt es zu einer bahnbrechenden Erkenntnis, die das Vorausgegangene infrage stellt, und man erlebt einige erschütternde Überraschungen, in denen aus Grandiosität und Glanz plötzlich das Elend dahinter auf erschreckende Weise hervorbricht.

Mit überraschenden Erzählerfiguren, Bezugnahme auf alle drei Vorgänger, auf die menschliche Geistesgeschichte und die Mythen führt Stover Konzepte und Figuren aus 15 Jahren Caine zu einem kohärenten Ganzen zusammen, und das in einem ranken und schlanken Stil, der im Verlauf dieser Jahre noch um einiges präziser und fokussierter geworden ist: So schillernd und wild flatternd Caine’s Law auf den ersten Blick auch wirkt, hier gibt es keine Schlenker, jeder Satz sitzt und leistet seinen Beitrag zu einer Geschichte, die Figur und Mythos verwebt und es tatsächlich schafft, ein Sühne-Epos zu erzählen, das sich von den meist christlich konnotierten Begriffen lösen kann.
Caines Suche nach Erlösung ist eng verwoben mit einer faszinierenden Frauenfigur, die die Vorzüge, die bereits Stovers frühere weibliche Charaktere auszeichneten, zur vollen Entfaltung bringen kann und Stärke, leisen Humor, Tragik und einen wunderbaren Ruhepol in die Geschichte einbringt. Stover kann sein Talent für die realistische Beschreibung von Beziehungen vorführen und stellt einem der ambivalentesten Protagonisten der Science Fiction und Fantasy damit eine der coolsten Frauenfiguren zur Seite, an der alle Klischees auf eine Art und Weise abperlen, dass es eine wahre Freude ist.

Die Schuld-und-Sühne-Frage wird in Caine’s Law auf vielen Ebenen gestellt, es werden mannigfaltige Verhältnisse beleuchtet, in denen sie aufkommt – gesellschaftliche, familiäre, religiöse und ganz persönliche – doch der Fokus bewegt sich trotz wechselnder Perspektiven nie weit weg von Caine, dem Über- und Unmenschen, der menschlicher wird, je mehr er sich in die Angelegenheiten der Götter verstrickt. Die Figur, die in Caine Black Knife noch filetiert wurde, wird hier zu einem neuen Ganzen zusammengesetzt, und am Ende hat Caine das getan, was Antihelden seit jeher besser können als ihre strahlenden Gegenparts: uns etwas über das Menschsein beigebracht.
Auch wenn Caine’s Law die ausufernde Breite von Blade of Tyshalle fehlt, ist es doch ein mindestens ebenso philosophischer Roman, der sich mit der Ordnung der Welt, Macht, Göttlichkeit und Menschlichkeit, letzten Dingen und dem guten Leben (und den Gründen, weshalb es meist ein frommer Wunsch bleiben muss) befasst. Dass das Ganze nicht ohne Blutvergießen geliefert wird, weiß vermutlich jeder, der bis hierher durchgehalten hat. Der neue Caine ist vielleicht etwas zurückgenommener, dafür sind die Gewaltspitzen nur umso verstörender, und es entspricht der Philosophie hinter Caine’s Law (und eigentlich allen Caine-Geschichten), dass es keine Option ist, wegzuschauen, auszublenden oder trotzdem gut zu finden, sondern man die Gewalt im Kern der Handlung mit offenen Augen wahrnehmen und akzeptieren muss.

Nach diesem Entwurf, der größer ist als alles, was auf Overworld und der Erde bisher da war, ist das Ende – wieder einmal – ziemlich definitiv, bringt alles (aufgrund der besonderen Struktur des Romans sogar augenzwinkernd) zusammen und liefert Erklärungen für die wilderen Konzepte der Handlung, auch wenn die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, immer den LeserInnen überlassen bleiben.
Da bisher jeder Roman außer Caine Black Knife der letzte Caine-Roman war, muss das nicht viel heißen. Allerdings war die Reihe nie ein großer Erfolg, und Caine’s Law ist bestimmt nicht dazu angetan, diesen Erfolg herbeizuführen, daher kann man sich im Augenblick nur schwer vorstellen, dass der vom Autor angedachte darauffolgende Act of Faith je das Licht einer Buchhandlung erblickt. Andererseits: Ist es nicht genauso schwer, sich vorzustellen, dass Caine nach allem, was wir erlebt haben, wirklich erlöst sein soll?

Cover von Die Dame vom See von Andrzej SapkowskiMit der Flucht Ciris durch das Portal des Schwalbenturms kann die Geschichte natürlich noch nicht zu Ende sein, und tatsächlich ist sie so vom Regen in die Traufe gekommen. Geralt dagegen scheint vom beschaulichen Touissant gar nicht mehr wegzuwollen, was seinen Gefährten zunehmend sauer aufstößt, kann doch ihre schwierige Mission nicht zwischen Weinbergen zu Ende gehen …

-“Mich”, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, während er die Ärmel hochkrempelte, “wie ich leider eingestehen muss, zieht es schrecklich zur Herrschaft. Das ist trivial, ich weiß, aber ich will ein Herrscher sein.”-

Die Dame vom See (Pani Jeziora) ist ein mehr als würdiger Abschluss für Andrzej Sapkowskis Geralt-Zyklus, denn es bringt nicht nur die Geschichte rund um Ciri und den Hexer zu einem wunderbar passenden Ende, sondern führt dem Leser/der Leserin nochmal alle Stärken der Reihe vor Augen. Das beginnt schon beim eher gemächlichen Einstieg, der einerseits ein schlaglichtartiges „Was bisher geschah“ mit starkem Eigencharakter ist, andererseits einige Zeitebenen miteinander verknüpft und bei dem in den Geralt-Passagen wieder das alte Flair der Kurzgeschichtenbände aufkommt. Die intelligent-witzigen Dialoge, die Monsterhatz und das Techtelmechtel entfalten eine fast nostalgische Wirkung.

Der Rückverweis auf die Kurzgeschichten geschieht nicht ohne Grund, knüpft Sapkowski doch im Zuge eines der Finale, die in der zweiten Romanhälfte dicht aufeinander folgen, an seine Erzählungen an und schlägt so tatsächlich einen Bogen zum Anfang des Hexer-Zyklus. Hat der Autor in seinen Kurzgeschichten so manches Märchen durch den Kakao gezogen, so scheut er sich nicht, im finalen Band ein klassisches Erzählmuster auf die Schippe zu nehmen, dessen er sich selbst bedient, und gibt einem der Höhepunkte so eine erfrischend selbstironische Note. Zudem ist auch der abschließende Band wieder reich an intertextuellen Bezügen und historischen Anspielungen.

Aber Sapkowski wäre nicht Sapkowski, ließe er seine Reihe mit den großen, dramatischen Auflösungen enden, stattdessen geht die Geschichte noch weiter und gewährt in der dem Autor eigenen Art einen Blick auf die weiteren Folgen der Ereignisse auf die politische Landschaft, auf die Gesellschaft und auch auf die Haupt- und Nebenfiguren. Der Wechsel zwischen retrospektiven, narrativen und „mittendrin“-Passagen macht einen nicht geringen Teil des Charmes des Romans und der Reihe aus. In diesem letzten Abschnitt des Romans geht es Sapkowski nicht nur um die von ihm erschaffene Welt, sondern er flicht darin auch seine scharfe Beobachtungsgabe unserer Welt ein. Denn die spezifisch modernen (insofern, als dass man sie in direkten Bezug zu unserer Gegenwart setzen kann) Aspekte von Sapkowskis Welt treten in Die Dame vom See erneut stärker hervor, sind dabei aber so geschickt „verkleidet“, dass sie sich wunderbar in das Setting einfügen. Seien es nun die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik oder – und dieses Thema hat im abschließenden Band wie auch in der gesamten Reihe eine prominente Position inne – der Überlegenheitsdünkel gegenüber den „Anderen“, wobei die Fluidität dieser Kategorie von Sapkowski scharfsinnig aufgezeigt wird, jeder kann dem zum Opfer fallen. Bei aller Unterhaltsamkeit und aller Spannung ist es vor allem diese Ebene, die dem Geralt-Zyklus seine große Bedeutung verleiht.

Cover des Buches "Der verschenkte König" von Terry BrooksQuestor Thews, der unfähige Hofzauberer Landovers, findet einen Zauber, um den hundegestaltigen Hofschreiber Abernathy in einen Menschen zurück zu verwandeln. Doch dabei wird Abernathy samt dem Medallion, das dem König die Gewalt über den Verteidiger des Reiches verleiht, in die alte Welt des Königs Ben Holiday transportiert und gegen eine bunte Flasche mit einem bösen Dämon, dem Darkling, vertauscht. Während Ben und seine Freunde den G’heim Gnomen Filip und Sot, die die Flasche gestohlen und den Darkling befreit haben, hinterher jagen, muss Abernathy zu seinem Entsetzen feststellen, dass er bei Michel Ard Rhi, dem ehemaligen König von Landover, gelandet ist; denn einst hatte Questor Abernathy in einen Hund verwandelt, um ihn vor Michel zu verstecken…

-Ben Holiday seufzte müde und wünschte, er wäre woanders als dort, wo er gerade war.-
Niesen

Die Welt Landover ist immer noch dieselbe, wie im ersten Band und alle Bekannten treten wieder auf. Dieses Mal werden die Charaktere von Abernathy und Questor Thews etwas näher beleuchtet, doch leider bleiben sie recht maskenhaft.
Strabo, der Drache, soll einer der größten Feinde des Königs sein, doch die Rolle kann man ihm kaum mehr abkaufen. Kallendbor nimmt sich einiges heraus, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Insgesamt sind die bekannten Elemente nicht um interessante Facetten bereichert worden und können ihre Rollen kaum glaubwürdig füllen.
Neue Elemente gibt es kaum, nur den Schattenwicht, der eine kleine Rolle spielt, und den Darkling. Diese beiden Gestalten sind aber durchaus gelungen – der erbärmliche Schattenwicht, der um weiter existieren zu können Leichenteile zusammenstehlen muss, lässt einen schon erschaudern. Auch die grausam-schönen Kunstwerke des Darklings haben viel Potential – leider nutzt der Autor dieses nicht voll aus.
Die in unserer Welt angesiedelten Charaktere gelingen allesamt besser, treten aber nur kurz auf; Michel Ard Rhi allerdings wird so aufgrund der nebulösen Ferne zu einer interessanten Figur.

Die Geschichte lässt sich vielleicht am besten als Mischung aus urbaner Abenteuergeschichte und klassischer Fantasy-Queste beschreiben. In Landover wird dem Darkling nachgejagt und die bekannten Charaktere abgeklappert. Einige der Verknüpfungen wirken dabei etwas zu konstruiert, als wenn es nur darum ginge, den Charakter auftreten zu lassen; aber glaubwürdig sind sie dennoch. Questors Magie ist leicht störend: Sie schwankt zwischen Slapstick und Lebensrettung, aber fast immer so, dass es die Geschichte voran treibt – nur an einer Stelle verkompliziert sie die Geschichte; diese Stelle ist aber wirklich gelungen. Schade, das es nicht mehr davon gibt.

Im Strang in den USA gilt es Abernathy nach Virginia zu lotsen, damit er nach Landover zurückkehren kann. Alles in allem durchaus gelungen, aber auch kein Meisterwerk. Es lässt sich gut lesen, es tauchen keine Ärgernisse auf, aber leider auch keine überragenden Einfälle.

Auch wenn der Autor versucht humorvoller zu sein als in den vorigen Geschichten, sind mir die auflockernden Slapstick-Szenen zu albern. Sprachlich sind wieder einmal einige der fantastischen Wesen etwas unangemessen: “Und wen nennt Ihr ‘alt’? Ihr seid selbst ein halbes Fossil!” So der Drache Strabo.

Wie alle Teile des Zyklus, so lässt sich auch Der verschenkte König (Wizard at Large) als eigenständiger lesen, da alle wichtigen Zusammenhänge kurz erläutert werden. Es fehlt dann eventuell nur etwas Tiefe.

Cover des Buches "Die Schwerter von Oranda" von Christiane Zina Chantal Bergner, eine junge Wissenschaftlerin, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den fernen Planeten Oranda zu erforschen. Mithilfe der “Chronotransit”-Technologie ist es möglich, die Geschichte der vor rund 300.000 Jahren untergegangenen Kultur zu erforschen. Während dieser Reisen schlüpft sie in die Rolle einer Kriegerin und dient unter dem Herzog Aldo. Bald kommt Chantal geheimnisvollen Kräften in Gestalt der Neun Lebenden Schwerter auf die Spur. Der Sage zufolge soll im Verborgenen noch ein Zehntes Schwert existieren, das über die anderen gebietet. Als ein feindlicher Herzog sich im Besitz dieses Meisterschwertes wähnt, entbrennt ein Kampf um die Macht auf Oranda.

-»Kann man denn nicht mal in Ruhe die Menschheit vor etwas abgrundtief Bösem retten, ohne dass einen die Leute verarschen?« beschwerte sich Vionuri kopfschüttelnd.-
10

Mit Die Schwerter von Oranda präsentiert Christiane Zina einen interessanten Mix aus Science-Fiction und Fantasy, der jedoch trotz guter Thematik allzu viel auf allzu wenig Seiten abhandeln will.
Am schwierigsten zu beschreiben ist die Handlung: eine durchaus spannende Zweiteilung in die hochtechnisierte Welt des 24. Jahrhunderts zum einen, die mittelalterliche Welt von Oranda zum anderen. Chantal steht zwischen diesen beiden Seiten und hat das als “Saronsky-Syndrom” im Buch bezeichnete Problem: als Wissenschaftlerin soll sie Fakten sammeln, ganz nüchtern und steril, doch sie lebt in Oranda und verliert sehr schnell ihre Objektivität, identifiziert sich mit ihrer Rolle als Kämpferin und steht nun zwischen den Fronten. Die moderne Welt erscheint ihr nach und nach seltsam verkehrt – man lebt mehr oder weniger hauptsächlich online und geht keine Risiken ein, während in Oranda noch “richtig gelebt” wird, mit Alkohol, körperlicher Nähe und Schwertkämpfen. Der daraus resultierende Konflikt ist der Hauptstrang des Buches und wird auch sehr gut dargestellt.
Das Problem ist aber, dass dieser einfach nicht ausreicht, um das Buch zu füllen, daher wird eine entsprechende Hintergrundthematik eingebaut, die allzu überladen ist:
Pseudo-philosophische Gespräche über die Grundprobleme der Menschheit, der Machtkampf in Oranda, Sagen und Mythen des Planeten … – all das findet auf nur 300 Seiten Platz. Wenn man einen schnellen Lesefluss hat, erscheint einem der Roman ziemlich überladen. Bei so wenig Seiten werden meistens auch nur Andeutungen gemacht und nur die nötigsten Informationen erwähnt, die dann zwar passend sind, aber gerade durch ihre Knappheit enttäuschen. Man würde einfach gerne mehr erfahren, denn die fiktive Welt bietet allerlei ungenutztes Potential. Kein Wunder, dass da einige Handlungsstränge ziemlich gerupft wirken: Orandas Machtkampf ist nicht gerade der große Wurf und die Schwertkämpfe sind maximal eine halbe Seite lang. Auch über Oranda selbst erfährt man nicht viel.

Relativ gradlinig erreicht man dann auch das Ende, keine Seite wurde für Drumherumreden verschwendet. Ein paar Seiten mehr (oder ein paar Hinweise weniger) hätten nicht geschadet. Das Ende kommt also schnell und ziemlich unbefriedigend, auf ein paar Seiten (fast auf Zeilenniveau!) werden alle Handlungsstränge auf die Schnelle abgewickelt.

Bis auf Chantal sind die Charaktere ziemlich platt und schematisch – der Herzog, der Krieger, die Heilerin, der Zyniker, die Philosophin, die Bösen. Schluss. Mehr braucht man nicht, mehr kriegt man nicht. Ob Chantal das alleine aufwiegen kann, muss jeder selbst entscheiden.
Dafür ist der Schreibstil von Frau Zina frisch und lässt sich leicht lesen. Ein paar nette Anekdoten runden das Ganz noch ab.
Im Großen und Ganzen merkt man jedenfalls, dass das Schreiben der Autorin Spass gemacht hat: Neben der fast obligatorischen Karte findet sich noch ein kleines Lexikon mit weiteren “Literaturhinweisen” zu Oranda sowie ein Sprachführer. Nette kleine Extras, die zeigen, dass sich Frau Zina sehr Mühe gibt, ihre Welt lebendig zu präsentieren. Aufgrund der wenigen Beschreibungen gelingt das jedoch nur teilweise.

Cover von Dreiherz von Poul AndersonHolger Carlsen, ein dänischer Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg, wacht nach einer Verwundung in einer sonderbaren Umgebung auf. Während er die unbekannte Welt kennen lernt, macht er sich Freunde wie den Waldzwerg Hugi oder Alianora, das Schwanenmädchen. Aber er macht sich auch Feinde wie Alfric, der Herzog im Feenkönigreich ist, oder Morgan le Fay, die mächtige Herrin von Avalon, denn der Kampf zwischen dem Zauberwesen, die dem Chaos dienen, und den Menschen, die der Ordnung dienen, steht bevor und Holger als Ritter der drei Herzen scheint eine wichtige Rolle darin zu spielen. Kann er rechtzeitig herausfinden, wer er ist und welche Aufgabe er hat?

-Nachdem soviel Zeit vergangen ist, fühle ich mich verpflichtet, dies niederzuschreiben.-
Vorbemerkung

Die Welt, in die Holger gerät und zum Ritter der drei Herzen – Holger Danske – wird, ist grob gesagt die des Hohen Mittelalters: Ritter mit Kettenhemden, wenige Steingebäude, viele Holzhäuser, das Heilige Römische Reich, Heiden und die vor Jahrhunderten von Karl dem Großen und seinen Paladinen zurückgeschlagene Sarazenengefahr. Einiges stimmt aber auch nicht mit dem mittelalterlichen Europa überein: Der Westen war seit der Eroberung durch die Römer zivilisierter als Mitteleuropa oder der Osten, Heiden gab es z.Z. des Hl. Röm. Reichs schon lange nicht mehr und es fehlt weitestgehend die Beschwerlichkeit des mittelalterlichen Lebens.

Hinzukommt die Welt der Magie – das Mittelreich. Hier sind die Elfen die Herren; sie fürchten das Sonnenlicht, können Eisen nicht berühren und schrecken vor Heiligem zurück – kein Wunder, daß diese mächtigen Magier gegen das Heilige Röm. Reich einen Krieg führen wollen. Ob sie nun das Chaos (Zauberei) nutzen oder selbst nur mächtige Instrumente des Chaos sind, bleibt unklar. Die Elfen haben viele Verbündete: Drachen, Riesen, Trolle und natürliche böse Menschen wie Hexen, Heiden und Kannibalen.
Magie spielt eine große Rolle, ist sie doch die Hauptwaffe der Agenten des Chaos und auch die Anhänger der Ordnung wie Alianora, die sich in einen Schwan verwandeln kann, nutzen sie – allerdings weit seltener. Magie wirkt sich generell so aus, daß sie Fähigkeiten des Dings, dem sie innewohnt, verstärkt oder verändert; als Beschwörungsformel für Geister und Dämonen wird sie bisweilen auch genutzt. Dieses Magie-Konzept gefällt mir durchaus.
Weit weniger gefallen mir die “wissenschaftlichen” Erklärungen der magischen Phänomene, wenngleich sie manchmal einen gewissen Charme haben: Das Gold eines überlisteten Riesen (sie verwandeln sich in Stein, wenn Sonnenlicht sie berührt) ist verflucht, so wissen die Einheimischen. Warum weiß Holger – wenn Kohle zu Silikon wird, ergibt sich zwingend eine radioaktive Isotope.
Die Charaktere sind ebenfalls nicht besonders gelungen: Holger ist der gutmütige All-round-Held, Alinora ist die schöne und gute Versuchung, Hugi der Waldzwerg ist der ungebildete, aber weise Sidekick – alles in allem an der Grenze zum Klischee.
Der Roman-Holger ist an die Mythenfigur Holger Danske angelehnt, ursprünglich einer der Paladine Karl des Großen im Rolandslied. Außer seinem Dänisch-Sein hat er dort keine weiteren Qualitäten. Später taucht die Figur in allen möglichen Zusammenhängen auf, so benannte sich z.B. die bekannteste dänische Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg nach ihm, doch am bekanntesten dürfte das Märchen Holger Danske von Hans Christian Andersen sein.
Noch ein Wort zur Rollenverteilung: Die meisten Frauen (ca. 66%) sind feindlich, aber alle sind problematisch; nur wenige (16%) stehen auf Seiten der Ordnung. Die meisten himmeln Holger an. Alle haben mit Magie zu schaffen. Die meisten Männer dagegen sind freundlich, einige (33%) sind problematisch und nur wenige sind feindlich. Die meisten sind Krieger und einige haben mit Magie zu tun. Wem’s gefällt … (Woher die Zahlen stammen: Es gibt jeweils 6 weibliche und 6 männliche Personen, die etwas wichtiger sind – wer rechnen mag, der kann sich einige Spoiler ausrechnen.)
Der Grundplot ist auch nicht übermäßig originell – Ein Mensch aus der Moderne gerät in eine Fantasy-Welt; dort kann er mit Hilfe von Errungenschaften der Moderne manchmal aus brenzligen Situationen entkommen (s. A Conneticut Yankee in King Arthur’s Court von Mark Twain – das ist älter; der Film: Army of Darkness mit Bruce Campbell ist komischer).
Interessant ist der Konflikt zwischen Chaos und Ordnung. Der bekannteste Vertreter ist Elric von Michael Moorcock – es scheint, als wenn er sich ein wenig von Dreiherz (Three Hearts and Three Lions) habe inspirieren lassen, ist doch Dreiherz etwa acht Jahre älter als Die ewige Schlacht, die älteste Geschichte des Ewiger Held-Zyklus.
Ein weiterer Hinweis an die D&D-Fangemeinde: Wer sehen will, wo sich das häßliche Haupt eines D&D-Trolls zum ersten Mal erhob, der lese das 22. Kapitel.
Bleibt das abrupte Ende zu erwähnen, es bleiben zu viele Ungereimtheiten, zu vieles wird in zwei Sätzen abgehandelt. Das Ende paßt zu einer Kurzgeschichte, die mit “Seltsam, aber so steht es geschrieben” schließt, aber nicht zu einem Roman.
Sprachlich ist das Werk immer angemessen, der Autor ist sich der Differenzen zwischen moderner Alltagssprache und mystischer Sprache bewußt und geht bisweilen darauf ein – “Ich habe Durst, wie wär’s, wenn wir einen heben würden?” – “Wenn wir einen was würden?”
Das Buch ist hauptsächlich interessant, wenn man sich mit den Ursprüngen der verschiedenen oben erwähnten Konzepte befassen will, wer einfach nur eine Sword & Sorcery Geschichte lesen will, wird besseres finden. Zur Ehrrettung des Autors mag erwähnt sein, daß Dreiherz 1953, also vor dem Herrn der Ringe und vor der 70er Fantasy-Welle der Verkitschung und Verklischeeung geschrieben wurde.

Cover von Das Experiment von Arkadi & Boris StrugatzkiAndrej kommt aus der UdSSR des Jahres 1951, dort war er Astrophysiker, jetzt im Experiment ist er Müllfahrer, gemeinsam mit dem Texaner Donald aus dem Jahre 1967, der mal Professor der Soziologie gewesen ist, bevor er beim Experiment mitmachte. Andrejs Bekanntenkreis ist ein bunter Haufen, schließlich umfasst er u.a. die Schwedin Selma, den intelligenten und tiefsinnigen Juden Isja Katzman, den stoischen Chinesen Wang oder den faschistischen Wehrmachtsoffizier Fritz Geiger. Sie und hunderte, tausende, vielleicht sogar Millionen Menschen bewohnen eine Welt: das Experiment.

“Die Affen waren schon in der Stadt. Sie liefen auf Häusersimsen, hingen wie Trauben an Laternenpfählen, tanzten in pelzigen Horden auf Kreuzungen, klebten an Fenstern, warfen mit Pflastersteinen, jagten verwirrte Menschen, die in Unterwäsche auf die Straße gerannt waren.”
– Erster Teil, Müllfahrer

Es ist schwer Das Experiment (auch veröffentlich als Stadt der Verdammten und Verdammte Stadt) zu rezensieren, ohne zu viel zu verraten, denn ein Gutteil der Faszination des Romans rührt daher, wie Andrej und seine Leidensgenossen immer neue Aspekte des Experiments kennen lernen, viel rätseln, aber nie ein vollständiges Bild erhalten. Genau diese offenen Fragen sind es, die einen als Leserin oder Leser zum Mit- und Nachdenken anregen.
Der Protagonist Andrej ist dabei das gerade zu Anfang höchst willkommene Stückchen „Normalität“ in dem wilden Mix aus Wohlbekanntem (etwa die unfähige Bürokratie) und Abstrusem (plötzlich auftauchende Pavianhorden), der das Experiment auszeichnet. Im weiteren Verlauf des Romans und mit der Rochade durch die verschiedenen Berufsfelder, die die Figuren aufgrund des „Rechts auf abwechslungsreiche Arbeit“ vollziehen müssen, lernt man diese jedoch näher kennen und entdeckt nachdenklich stimmende Ambivalenzen, was die ohnehin schon spannende Figurenriege noch interessanter macht. Frauenfiguren sind jedoch nicht die Stärke der Strugatzkis, sodass man sich hauptsächlich mit einem männlichen Repertoire begnügen muss, aber auch durch sein Frauenbild lernt man den Helden Andrej näher kennen …
Dabei hat Das Experiment noch so viel mehr zu bieten als Absurditäten und den geneigten Leser/die geneigte Leserin erwarten unter anderem mysteriöse Kriminalfälle, abenteuerliche Expeditionen und seltsame Lebensformen, aber genauso politische, ideologische und gesellschaftsphilosophische Diskussionen und Fragen. Mit dem faszinierenden Setting des mysteriösen Experiments haben die Strugatzkis eine tiefgründige, facettenreiche Parabel geschaffen, gespickt mit seltsamen Abenteuern, ambivalenten Figuren und Entwicklungen, die einen unweigerlich zum Nachdenken bringt und gleichzeitig an die Seiten fesselt.

Dieser Roman ist nach der ungekürzten und unzensierten Originalausgabe im zweiten Band der Gesammelten Werke (ISBN: 978-3-453-52631-0) kürzlich neu aufgelegt worden, ergänzt durch einen Kommentar von Boris Strugatzki sowie einen erklärenden Index für Textstellen, in denen auf andere literarische oder filmische Werke oder historische Personen, Ereignisse, etc. verwiesen wird.

Cover von Der Funke des Chronos von Thomas FinnDer Medizinstudent Tobias bekommt die Möglichkeit, mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit Hamburgs zu reisen und gelangt ins Jahr 1842. Eine unheimliche Mordserie erschüttert gerade die alte Hansestadt, und Tobias stört durch sein plötzliches Auftauchen den Mörder bei der Beseitigung eines Opfers. Die Ereignisse überschlagen sich und Tobias muss die Zeitmaschine zurücklassen. Am nächsten Tag ist sie verschwunden. Auf der Suche danach gerät er ins Visier des Mörders und stößt bei seinen weiteren Nachforschungen auf den Dichter Heinrich Heine. Die beiden werden zu unfreiwilligen Verbündeten und jagen (jeder aus eigenen Motiven) den Mörder.

-Die Knochen splitterten wie brüchiges Glas, als die Droschke über den Katzenkadaver rollte. Soeben läutete das Uhrwerk der Michaeliskirche zur zwölften Nachtstunde. Mit dem zweiten Glockenschlag wurde der ausgedörrte Tierleib emporgewirbelt und landete auf dem schmalen Trottoir der Admiralitätsstraße, die bis hinunter zum Schaarthor mit Abfällen übersät war.-
(Menetekel, Hamburg 1842, Nacht des 2. Mai, 4 Minuten nach Mitternacht)

Thomas Finn arbeitet mit einem Handlungsstrang, der sich mit hohem Tempo vor dem Leser entrollt, und in zwei Zeitebenen unterteilt ist: Die Geschichte beginnt zunächst im Jahr 1842, danach wird Leser in den nächsten drei Kapiteln in die Gegenwart (in das Jahr 2006) versetzt, um dann mit der Feststellung Tempus fugit wieder ins Jahr 1842 zurückzukehren.
Finn ist es – vor allem auf Grund der gründlichen Recherchen in den Archiven und Bibliotheken seiner Wahlheimat Hamburg – sehr gut gelungen, ein stimmiges Bild der Hansestadt zur Biedermeierzeit zu zeichnen. Die Geschichte entführt den Leser in die Tage kurz vor und nach dem Ausbruch des Großen Brandes in der Nacht zum 5. Mai 1842. Dass die Ursache des Brandes bis heute nicht geklärt ist, nutzt der Autor geschickt, um seine Erklärung dafür zu finden und sie hier erzählen …

Das historische Hamburg mit seinen windschiefen Holz- und Fachwerkhäusern, seinen winkligen Gassen und verruchten Ecken ist äußerst lebendig gestaltet und die Menschen, die diese Straßen, Gassen und Marktplätze bevölkern, sind mit wenigen gut gewählten Worten treffend geschildert. Gerade an den Nebenfiguren merkt man, wie viel Liebe in der Gestaltung des Romans steckt: Der Autor gibt seiner Geschichte nämlich noch zusätzlich Authentizität, indem er vor allem in der wörtlichen Rede Dialekte benutzt, und da die Handlung in Hamburg und Umgebung angesiedelt ist, wird häufig das Hamburger Platt verwendet. Dadurch wirken die sozialen Milieus deutlich näher, als durch eine durchgängige Verwendung der hochdeutschen Schriftsprache.

Es kommen noch andere Dialekte vor und Leser, die mit ihnen nicht vertraut sind, könnten mit diesen Textpassagen evtl. Schwierigkeiten haben, aber geschriebenes “Platt” (oder die anderen Dialekte) lassen sich auch ohne “Sprachkenntnis” ganz gut entziffern und wenn Wörter wirklich für Außenstehende nicht mehr zu verstehen sind, werden sie vom Autor in einer kleinen Fußnote erklärt.

Thomas Finn scheint seine Wahlheimat wirklich zu lieben – denn dieses Buch ist eine einzige Liebeserklärung an die alte Kaufmannsstadt, aber auch eine Hommage an den britischen Schriftsteller H. G. Wells: Die Beschreibung der Zeitmaschine zu Beginn der Geschichte kommt jedem sofort bekannt vor, der den Film Die Zeitmaschine aus dem Jahr 1960 gesehen, oder vielleicht sogar Wells 1904 erstmals auf deutsch erschienenes Buch gelesen hat.

Cover von Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz von Ralf IsauDer junge und zögerliche Karl Konrad Koreander möchte die Nachfolge des Herren Trutz in dessen Antiquariat antreten. Doch schon beim ersten Gespräch läuft etwas schief: Es fehlt die Unterschrift unter der Generalvollmacht. So macht sich Karl auf, den plötzlich verschwundenen Herrn Trutz zu suchen. Der junge Mann entdeckt, daß es eine geheime Bibliothek im Antiquariat gibt und diese der Zugang zu einer anderen Welt ist – Phantásien. Der Alte hat dort einen wichtigen Posten, er ist Meisterbibliothekar und Karl ist sein designierter Nachfolger! Aber aus der Bibliothek, die zu den Grundpfeilern Phantásiens gehört, verschwinden Bücher und lassen die “Leere” zurück, deren Ausbreitung nicht nur die Bibliothek, sondern ganz Phantásien bedroht…

-Im Zaudern machte ihm so schnell keiner etwas vor. Karl war ein Experte im verschleppen von Entscheidungen. An diesem Abend sollte sein Talent indes auf eine harte Probe gestellt werden…-

Wie schon das Werk Die unendliche Geschichte (DuG), welche zu diesem inspirierte, spielt die Geschichte einerseits in der “Realität” und andererseits in Phantásien. Die wenigen Szenen der “Realität” sind auf das Antiquariat des Herren Trutz und Umgebung zentriert. Da die Stücke in den späten 30ern des letzten Jahrhunderts spielen, wird dem Leser die “Realität” nicht nahe gebracht. In seinem Phantásien versucht der Autor an das von Michael Ende anzuknüpfen. Einige aus DuG bekannten Orte und Personen werden zwar erwähnt, aber nur zwei Figuren begegnet man wieder. Isau schafft statt dessen Neues, allerdings bleibt er in punkto Kreativität hinter Ende zurück. So schafft er nur etwa ein Drittel der Anzahl von Orten, die in DuG bereist werden; aber sie reichen auch, was den Fantasiereichtum angeht, nicht alle an die Originalschauplätze heran. Der Schwarze Elfenbeinturm ist etwa genau das: nämlich ein finsteres Spiegelbild des Elfenbeinturms der Kindlichen Kaiserin. Der Wald des Vergessens ist eine interessante Idee: Wer hier hineingerät, der wird sich unweigerlich verlaufen, denn er vergißt sich selbst. Leider werden der Wald und seine Auswirkungen nicht näher beschrieben, so daß es bei ein paar Worten bleibt. Die Wolkenburg des König Kumulus IL. scheint mir dagegen durchaus gelungen zu sein; sie besteht aus so leichten Materialien, daß ein Funke das Schloß in einer Stichflamme zergehen und allzu lautes Sprechen die bunten Fenster zerbersten lassen kann, denn diese bestehen aus dem Atem von Elfen. Nimmt man etwas wahrhaft gewichtiges mit, so droht die Wolkenburg abzustürzen.

In der bloßen Zahl der neuen Wesen in Phantásien dürfte Isau Ende gleichkommen, doch neigt er zu albernen Wortspielen – so gibt es Bücherwürmer, Brillenschlangen, Leseratten und Luftikusse als Phantasiewesen, die die Menschen zu entsprechenden Wortschöpfungen inspiriert haben. Auch in Sachen Einfallsreichtum bleibt Isau zurück. So ist der Bücherdrill Alphabetagamma eine Art lebender Bleistift, der sich rasch durch Bücher bohrt um deren Inhalt zu erfassen. Der Briefgreif Huschhusch ist einfach nur ein großer Greif – und übrigens das erste phantásische Wesen mit Namen von dem ich lese, das nicht sprechen kann. Als letztes sei der Bücherbold Lector genannt, ein gorillaartiges Wesen mit blauem Fell und wenig Verstand – sträuben sich seine Haare, sieht er aus wie ein blauer Riesenstaubwedel.
Bei der Namenswahl vieler Figuren war der Autor ebenfalls nicht besonders phantasievoll: Baldrian, die Schnecke; Hallúzina, die Herrin des Hauses der Erwartungen; Kumulus IL., der König der Wolkenburg, und Elster, der König der Diebe seien hier als Beispiele genannt.

Die Figuren spielen zumeist größere Rollen als die in DuG, aber nur drei treiben die Geschichte weitestgehend voran: Karl Konrad Koreander, Thaddäus Tillmann Trutz und die Phantásierin Qutopía.
Die komplette Handlung wird von einer Queste umfaßt, Karl will nämlich die Nachfolge im Antiquariat antreten, dazu muß er von Herrn Trutz die Unterschrift für die Generalvollmacht bekommen. Hierzu ist allerdings erst mal Phantásien zu retten und einige Abenteuer zu bestehen, die unterschiedliche Lösungen erfordern. So muß geklärt werden, wie die Bücher verschwinden und wer dahinter steckt – ganz zu Schweigen davon, daß dem ein Riegel vorgeschoben werden muß. Dazu müssen Rätsel gelöst, Leute überzeugt und Feinde bezwungen werden. Es gibt auch eine kleine Liebesgeschichte, diese soll jedoch nur die Wandlung Karls unterstreichen; im Gegensatz zur Wandlung Bastians in DuG geschieht Karls nur beiläufig und hat mit der eigentlichen Geschichte nicht viel zu tun, sondern läßt nur den Helden mit seinen Aufgaben wachsen.
Insgesamt fehlt es der Geschichte an Tiefe; während Phantásien sich um Bastians Wünsche herumformte und der Leser vor die Frage gestellt wurde, ob es schon immer so war oder eben erst geschaffen wurde, erfüllen sich Karls Wünsche beinahe mit einem “Plopp!” Wie erwähnt ist die Wandlung des Helden einfacherer Natur und auch die Bedrohung Phantásiens ist kein tiefgreifendes Strukturproblem, sondern das Werk einiger Bösewichte. Während Bastian sich die Herausforderungen wünschte um sich produzieren zu können, werden sie Karl aufgedrängt, damit er wachsen kann. Schließlich ist auch der Spannungsbogen weniger gelungen; während DuG spätestens ab dem zweiten Kapitel den Leser mitreißt, braucht dieses Werk erheblich länger um Fahrt aufzunehmen, erst ab dem vierten Kapitel beginnt sich langsam Spannung aufzubauen und nach dem Höhepunkt flaut diese auch schnell wieder ab, so das am Ende noch einige Seiten übrig bleiben.
Sprachlich hebt sich das Werk deutlich von DuG ab; die Sprache hier ist lockerer und weniger mystisch, bisweilen gibt es sogar etwas “Technobabble”; auch sind die Sätze schnell lesbar. Insgesamt paßt der Sprachstil gut zum Phantásien Isaus.

Cover von Glas von Stephen KingDer Vorgänger Tot entließ den Leser mit einem Cliffhanger, der seinesgleichen suchte. Glas setzt exakt an diesem Punkt an, Jake hat den rettenden Einfall, mit dem das Ka-Tet ihre Wette gewinnt und Blaine (wenn auch widerwillig) zum Anhalten gebracht wird. Roland und die anderen machen sich zu Fuß auf ihren weiteren Weg, und unterwegs beschließt Roland, seinen Kameraden von seiner Vergangenheit und seiner großen Liebe zu erzählen …

-Am Ende schrie er kein Wort mehr, nicht einmal “nein”, er heulte wie ein waidwundes Tier, und seine Hände blieben mit der Kugel verschmolzen, die wie ein gehetztes Herz pochte.–
Teil 2, Kapitel 10: Unter dem Dämonenmond (III)

Die Absicht, die der Autor mit diesem Buch verfolgt, scheint klar. Die mythisch-stilisierte Figur des Revolvermanns soll gleichsam vermenschlicht, fast schon entzaubert werden. Dafür muss King weit zurückgehen, zu den Erlebnissen, die den jungen Roland in den harten und innerlich abgestorbenen Mann machten, den wir aus drei Vorgänger-Bänden kennen.
Man mag King vorwerfen, wiedereinmal unverhohlen nach großen Vorbildern zu schielen (die von Anfang an unter keinem guten Stern stehende Liebe von Roland und Susan trägt deutliche Züge von Romeo und Julia), doch seine schiere sprachliche Gewalt fegt dieses Mal jeden Zweifel hinweg. Obwohl die Entwicklung der Beziehung vorhersehbar zu sein scheint, ist sie doch in jedem Moment glaubwürdig, wirken die zur Schau gestellten Gefühle niemals aufgesetzt oder verkitscht. Im Gegenteil, durch die behutsame Annäherung Kings an seine beiden Adoleszenten wird die Tragik der Ereignisse beinahe fühlbar.

Dennoch ist Glas weit davon entfernt, ein Liebesroman zu sein. Wie King schon früher andeutete, ist Rolands Mittwelt an den klassischen Western angelehnt und gemischt mit Mittelalter-Elementen (die monarchisch anmutenden Herrschaftsstrukturen, der “Revolvermann” als Pendant zum Ritter, etc.) – dass dies beim Leser gewisse Erwartungen weckt, ist dem Autor bewusst. In erster Linie sind Roland und seine Freunde nämlich trotz ihrer Jugend Revolvermänner, und so entwickeln sich die Ereignisse in Mejis recht schnell zu einem düsteren, unkontrollierbaren Mahlstrom, in dessen Verlauf etliche Menschen umkommen werden und nichts mehr so wie vorher sein wird. Durch die abwechselnde Schilderung der beiden Erzählstränge kann King beide Spannungsbögen auf einem hohen Niveau halten. Auch sprachlich findet King in Glas genau das richtige Mittelmaß zwischen “modernen” Formulierungen und der “alten Sprache von Mittwelt”.

Pluspunkte kann der Roman auch durch seine Nebenfiguren für sich verbuchen. Personen wie Sheemie Ruiz oder Eldred Jonas hätten bei anderen Autoren wohl nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, was aber mit einem deutlichen Verlust an Dreidimensionalität verbunden gewesen wäre. Dadurch, dass die Handlungen/Denkweisen auch von Personen außerhalb des Zentrums beleuchtet werden, entsteht eine gewisse Vertrautheit, wodurch für den Leser auch ungewöhnliche oder abwegige Handlungen nachvollziehbar werden.
Schade, dass King hier zum letzten Mal einen größeren Ausflug in Rolands Vergangenheit unternimmt. Gerne hätte ich noch mehr über ihn erfahren, oder über seine Freunde Alain, Jamie und Cuthbert, sowie (vor allem) die Schlacht am Jericho Hill. Rückblickend wird man zudem etwas wehmütig, dass viele neugierig machende Dinge und Personen (z.B. Rhea vom Cöos, Maerlyns Regenbogen) in den Nachfolgebänden nicht den Raum einnehmen, den man sich gewünscht hätte.

Cover von Hexenzauber von Terry BrooksRydall, der König von Marnhull, fordert Ben Holiday, der König von Landover ist, zu einem Kampf um Landover auf. Ben und seine Frau Willow entschließen sich dazu ihre Tochter Mistaya zusammen mit dem Hofzauberer Questor Thews und dem hundegestaltigen Abernathy zu Willows Vater, dem Flußherren, zu schicken. Doch unterwegs überfällt Nightshade die Reisenden und entführt Mistaya, während Questor und Abernathy in Bens alte Welt gelangen. Rydall entpuppt sich als Handlanger Nightshades: Er behauptet Mistaya in seiner Gewalt zu haben und zwingt so Ben dazu gegen seine Kämpfer anzutreten. Sollte es Bens Kämpen, dem Paladin, gelingen, alle sieben zu besiegen, so würde Rydall abziehen und Mistaya freilassen, wenn nicht…

-Eine Krähe mit roten Augen saß auf einem Ast in der gewaltigen, alten Eiche – dort, wo das Laub am dichtesten war – und blickte zu den Menschen hinab, die sich auf der sonnigen Lichtung zu einem Picknick versammelt hatten.-
Mistaya

Familie Holiday hat Nachwuchs bekommen: Tochter Mistaya erweitet den Kreis der üblichen Verdächtigen, außerdem kommen noch Rydall und Poggwydd, ein G’Heim Gnom, hinzu. Seine Rolle ist zwar ähnlich wie die von Filip und Sot, nämlich die Situation mit etwas Humor aufzulockern, aber deutlich weniger albern und dafür tragischer. Ein netter Ansatz, wenn auch nur in engen Grenzen ausgeschöpft.
Mistaya ist ein eigenartiges Wesen und schwer zu beurteilen – sicher, sie gibt kein glaubwürdiges Menschenkind ab, aber sie ist auch als Schote auf die Welt gekommen, wer das akzeptieren kann, kann (vielleicht) auch den Rest akzeptieren.
Mit Mistaya soll wohl das Erwachsenwerden und die Versuchung (durch den Teufel, die Dunkle Seite der Macht, Willenschwäche, oder welches Konzept auch immer der Leser dafür verantwortlich macht, wenn er sich nicht so verhält, wie er es sollte) thematisiert werden. Da die Versuchung aber nicht plastisch genug ist, bleibt dieses Unterfangen eher oberflächlich.
Nightshade (früher: Nachtschatten) ist dieses Mal ebenfalls eine zentrale Gestalt. Schön ist das Kapitel “Nightshades Geschichte” in dem sie Mistaya diese erzählt und damit Einblick in ihren Charakter gewährt, aber leider bleibt es dabei und so erhält man den Eindruck, der reduzierte Charakter der Wirrkästchen-Episode (vgl. Das Zauberlabyrinth) sei komplexer.
Ben Holiday ist die dritte zentrale Figur, doch hier ergibt sich wenig; es wird häufig erwähnt, daß der Paladin Ben brutalisiere, doch es scheint eher, als ob Ben den Paladin zivilisiere.

Generell läßt sich über die Charaktere sagen, daß Brooks beginnt, ihnen mehr Tiefe zu verleihen, sie aber immer eindimensional und vorhersehbar handeln läßt. Die aufgezeigten Schwächen bleiben immer ohne Wirkung.

Die Geschichte ist der Form nach an eine Queste angelehnt, verbunden mit Nightshades Rachefeldzug und den Versuchungen Mistayas und Abernathys. Insgesamt eher durchschnittlich, weder sind die Episoden besonders originell, noch handwerklich gut gelungen, stellenweise nicht einmal zur Gänze einleuchtend.
Einzig der Schreibstil Brooks hat sich etwas verbessert; die eigenartigen alltagssprachlichen Einwürfe bleiben zwar aus, aber ein Sprachmagier ist er immer noch nicht geworden.
Bemerkenswert ist noch das beinahe komplette Ausbleiben des Slapstick-Humors. Questors Zaubersprüche gelingen beinahe immer und scheitern nie auf alberne oder groteske Weise. Auch Poggwydds Auftritt ist erheblich ernster als die von Filip und Sot.
Die Übersetzung weist etliche Flüchtigkeitsfehler auf; da wird aus einer Anwesenheit eine Abwesenheit (S. 61) oder aus der Erdmutter eine Erbmutter (S. 97) etc. Die Namen werden wie im Zauberlabyrinth ‘übersetzt’ mit Ausnahme von Elderew, welches jetzt wieder Eldero (wie auf der Karte) heißt.
Hexenzauber ist zwar etwas besser als der direkte Vorgänger, aber weit von Königreich zu verkaufen oder Das schwarze Einhorn entfernt.

Implied Spaces von Walter Jon WilliamsDer Schwertkämpfer Aristide zieht mit seiner Katze (Haus-, nicht Reit- 😉 ) durch die Wüste, doch an einer Oase begegnet er einer unter Belagerung festsitzenden Karawane. Er lässt sich als Wächter anheuern und ersinnt einen Plan, wie er die Belagerung durchbrechen kann. Allerdings entdeckt er Mysteriöses: Die Angreifer folgen einem unbekannten Kult, der Leute mit Haut und Haar verschwinden lässt …

-With long strides the swordsman walked across the desert. Gravel crunched beneath his sturdy leather boots. His eyes were dark, his nose a blade.-
1

Am Beginn von Implied Spaces, vollmundig als Mischung aus “nano-technology, quantum theory, fantasy and space opera” angepriesen, kann man sich noch in der trügerischen Sicherheit eines schönen Sword & Sorcery-Settings wiegen: Man begleitet den sympathischen und geistreichen gelehrten Abenteurer Aristide – Marke Errol Flynn – und seine trockene Kommentare beisteuernde, sprechende Katze Bitsy durch eine stereotype Wüstenwelt. Während Aristide sein Schwert (einen Sturmbringer-Verschnitt) schwingt, ahnt man jedoch schnell: irgendetwas ist im Busch, denn Aristide weiß mehr über Welt und Sein, als so ein Wüstensohn wissen sollte.
Und ehe man es sich versieht, treibt man mitten in einem wilden Strudel aus verschiedensten Settings, Stilen und immer wieder neuen Ideen, in dem eine Überraschung die nächste jagt.

Während Aristide einer groß angelegten Verschwörung auf die Spur kommt, verfolgt Walter Jon Williams etliche Themen und Konzepte: Das gewöhnlichste darunter dürfte noch die Frage sein, wie viel Menschlichkeit dem Menschen der fernen Zukunft geblieben ist. Interessanterweise geht er dieser Frage nicht in einem dystopischen Umfeld nach, sondern hat – ein Markenzeichen vor allem auch von Williams’ Kurzgeschichten – eine positive Entwicklung zugrundegelegt, die ihre eigenen Probleme mit sich bringt. Ein weiteres Thema, das unter vielen  Aspekten beleuchtet wird, ist die Frage nach dem freien Willen, darunter auch, inwiefern Persönlichkeiten unter veränderten Umständen (oder durch Manipulation) eine völlig konträre Entwicklung nehmen können.
Thematisches Zentrum sind allerdings die “Implied Spaces” aus dem Titel, denen Aristide nachforscht. Man kann sie tatsächlich wörtlich nehmen – anfangs ein witziges Konzept, das einem nicht mehr so schnell aus dem Kopf geht, später nehmen sie Dimensionen an, die mindestens nachdenklich machen und am Ende des Romans eine philosophisch-theologische Betrachtungsweise eröffnen, die es in sich hat.

Bei einer solchen Fülle an erwachsenen Stoffen kommt es vor allem auf ihre Verpackung an. Und Walter Jon Williams hat eine Achterbahnfahrt für den Leser in petto, bei der nicht die geringste Gefahr besteht, der Roman würde zu trocken werden.
Zunächst ist es schon Aristides Erzählperspektive, die großes Vergnügen bereitet. Der turbanbestückte bunte Vogel auf dem äußerst treffenden Cover bezeichnet sich als Dichter, Philosoph und Kämpfer, und seine Stimme ist manchmal unaufdringlich, manchmal poetisch, hat aber fast immer einen ironischen Unterton zu bieten. Hinzu kommt, dass beinahe jedes Kapitel mit einem neuen Schauplatz aufwartet – und mit einem neuen Genre: Walter Jon Williams wechselt munter den Stil, erzählt nach der Fantasy-Eröffnung in Form eines Krimis, einer Romanze, eines Schurkenstücks, eines Thrillers, eines Kriegsromans und etlicher anderer Varianten weiter, um am Ende mit einem eindringlichen Gedicht zu schließen. Dass bei einem solchen Konzept das Formale manchmal den Vorrang vor Plotentwicklung und Erzähldynamik hat, versteht sich von selbst (die Chance ist auch groß, dass man eines der Genres nicht mag – z.B. die Kriegshandlung gegen Ende zieht sich dann doch recht unpersönlich-taktisch dahin), doch insgesamt ist dieser Clou bestens gelungen, vor allem dank der cleveren Handlungsführung.
Eine fulminante Enthüllung jagt die nächste, und der Autor hat ein Händchen dafür, die Sache immer dann besonders spannend zu machen, wenn man bestimmte Eigenheiten seiner Welt begriffen zu haben scheint und zu der Ansicht kommt, jetzt könne es nicht mehr spannend werden. Dann zaubert er einen neuen Kniff aus dem Hut und hat den Leser wiederum am Wickel. Der Roman ist randvoll mit Ideen und Konzepten, teils ist es ein regelrechtes Abgrasen zeitgenössischer SF-Stoffe, die mit einem Augenzwinkern in einer Vielzahl von Anspielungen gewürdigt werden (ob es sich nun um Literatur, Film, Musik oder Comics handelt – es gibt sogar Seitenhiebe auf Mediävisten).

Auch wenn der Fantasy-Anteil der Handlung nach und nach in den Hintergrund tritt, wird der Text nie mit Techno-Babble überladen und bleibt einer gewissen Fantasy-Attitüde treu – zu viel soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn neben dem durchgehenden leisen Humor ist das größte Vergnügen an Implied Spaces das Entdecken und Rätselraten, wobei man als Leser sowohl die Welt und ihre Parameter nach und nach begreift, als auch die Verschwörung aufdeckt und dazu manchmal vom Autor Informationen zugespielt bekommt, die den Figuren fehlen.
Die endgültige Auflösung fällt nach den wahrhaft gigantischen Materialschlachten zuvor vielleicht eine Spur zu schmal aus, entfaltet aber die Langzeitwirkung, die den ganzen Roman charakterisiert, wenn man Interesse für kosmologische Sinnfragen und Persönlichkeitsentwicklung mitbringt.

Implied Spaces hat zweifellos seine Mängel, die vor allem im heftigst in alle Richtungen strebenden Plot zutage treten, und ebenso in dem Experiment, jedes Kapitel in einem neuen Stil zu erzählen. Man könnte Walter Jon Williams auch vorwerfen, er kopiere die weit entwickelte Welt und die Gesellschaft mit übermächtigen Individuen aus seinem früheren Roman Aristoi, aber damit täte man Implied Spaces unrecht. Am Ende wird man feststellen, dass Walter Jon Williams seinen grandiosen Entwurf gut im Griff hat und eine Geschichte erzählt, die während des Lesens häufig nicht zulässt, dass man das Buch aus der Hand legt, die einen immer wieder zum Staunen bringt und deren Ideen man mitnimmt und lange mit sich herumträgt.

Die Intrige der Kaiserin von Sarah ZettelBridget Lederle ist Leuchtturmwärterin. Als ein Boot in Seenot gerät, kann sie den in Not geratenen Mann retten. Valin Kalami stellt sich jedoch als Fremder heraus, als Magier aus einer anderen Welt namens Isavalta. Bridget, die in die Gesellschaft ihrer Heimat ohnehin schlecht integriert ist, entscheidet sich nach einigen Visionen, Valin nach Isavalta zurückzubegleiten. Aber sie geraten in einen Hinterhalt, Bridget wird von Feinden gefangen. Langsam muss sie das intrigenreiche Leben von Isavalta durchschauen und die ihr eigene Magie entdecken, um zu überleben.

-Lighthouse Point, Sand Island, Wisconsin. Um Mitternacht zwischen dem ersten und zweiten November des Jahres 1899 klappten Bridget Lederles Augen von selbst auf, was sie sofort hellwach werden ließ.-

Sarah Zettels Isavalta-Trilogie dürfte vor allem Leser ansprechen, die ein wenig Abwechslung von gewohnten Schemata des Genres suchen, aber trotzdem gerne klassische Fantasy-Geschichten lesen. Auch hier wird – wie schon so oft – ein Mensch aus unserer Welt als prophezeiter Retter in eine magiebetonte Paralellwelt geführt, aber dort entwickelt sich alles ganz anders, als man vielleicht erwartet.
Bridget Lederle, die Protagonistin, ist nicht als Figur konzipiert, die dem Leser den Einstieg in die fremde Welt erleichtern soll, weil sie aus unserer Welt dorthin geht – sie ist im Jahr 1899 Leuchtturmwärterin und auf den Kulturschock, den der Übergang von unserer technisierten Moderne in die Fantasy-Welt meist mit sich bringt, wurde größtenteils verzichtet. Auch wird die Heldin in ihrer neuen Heimat nicht als Retterin gefeiert, und sie verfügt auch nicht über die geeigneten Kräfte – im Gegenteil, sie versteht Sprache und Kultur von Isavalta nicht und ist den Begebenheiten dort hilflos ausgeliefert. Erst nach und nach entfaltet sich ihr Verständnis und ihre Magie, gleichzeitig hat sie eine Traumatisierung zu überwinden, die aus ihr eine unzugängliche, nicht immer verständlich agierende Frau macht, die sich in ihrer Heimat mehr schlecht als recht durchgeschlagen hat – sie ist also in keinster Weise eine Bilderbuchheldin, und es dauert, bis man sich mit ihr richtig angefreundet hat.

Auch die Paralellwelt weiß zu überraschen – kein mittelaltertümelnder Fantasy-Standard, sondern der Fokus liegt auf  einer Fantasy-Version vom zaristischen Rußland (Isavalta) und China und Indien (die beiden verfeindeten Nachbarreiche). Man trifft auf Märchenfiguren wie die Baba-Jaga und viele andere archaische Mächte, die Zettel geschickt in die Geschichte einflicht.
Im winterlichen Reich von Isavalta finden die Machtspiele allerdings vielfach auch hinter verschlossenen Türen statt: Jeder spielt seine eigenen Spielchen und im Netzwerk von Intrigen, in das Bridget als Außenstehende gerät, findet sie sich nicht leicht zurecht. Sogar die Mächte, die Gutes bezwecken wollen, müssen sich harter Mittel bedienen, und jeder Beteiligte in den Machtrangeleien hat eigene, für sich durchaus verständliche Motivationen. Es vergeht viel Zeit, bis Bridget versteht und eigene, nicht immer einfache Entscheidungen treffen kann. Die problembeladene Frau entwickelt nach und nach ihre eigene Form von Stärke, und sie ist nicht die einzige Figur, der von der Autorin so intensiv und stimmig geschildert wird; gerade bei einem Plot, der auf Manipulation beruht, ist das unverzichtbar.

Die Handlung verläuft ruhig und ohne große Actionszenen; die Auseinandersetzungen spielen sich im privaten und nicht im öffentlichen Bereich ab, und sind häufig durch die sehr interessante Magie gekennzeichnet: in Isavalta wird Magisches geknüpft oder gewoben – anhand von Zöpfen, Stoffsträngen und phantasievolleren Ingredienzien.
Allerdings dauert es eine Weile, bis man mit Bridget aus dem verklemmten amerikanischen Fischerstädtchen ins interessantere Isavalta fliehen kann. Und am Ende bleiben gerade wegen der komplexen konstruierten Handlung zu viele Fragen offen, relevante Details werden nur angedeutet, obwohl sie für die Handlung bestimmend sind, wie etwa die Geschehnisse in den Jugendtagen der Kaiserin.
Die Intrige der Kaiserin ist am besten, wenn es um die wohldurchdachten Einzelheiten und das stimmige, originelle Setting geht; Klischees wie eine platte Liebesgeschichte werden auf elegante Weise umschifft. Der Hintergrundplot dagegen kann nicht auf ganzer Linie überzeugen, tritt allerdings auch in der Bedeutung hinter die Entwicklung der Figuren zurück.

Cover von Die Klippen des Heute von Dave DuncanIm Jahr 1917 erscheint Edward mitten in einer Schlacht auf der belgischen Ebene – nackt, verletzt und orientierungslos. Er hat drei Jahre auf Nebenan verbracht und ist dabei nicht gealtert.
Unter dem Verdacht der Spionage wird er in ein Landhaus in England gebracht, das als Lazarett dient. Dort entdeckt ihn sein Schulfreund Smedley, der beschließt, Edward zur Flucht zu verhelfen. Es beginnt eine Flucht vor den “Quälgeistern”, die verhindern wollen, dass Edward seine Bestimmung erfüllt. Es wird vor allem erzählt, was sich in den vergangenen drei Jahren auf Nebenan ereignet hat.

-Inmitten des Chaos des ersten Weltkrieges wird ein Mann im Schatten der Schlachtfelder gefunden: zerschunden an Leib und Seele, nackt und hilflos – und er hat eine unglaubliche Geschichte zu erzählen.-
Klappentext

Auch in Die Klippen des Heute (Present Tense), dem zweiten Teil der Reihe Das große Spiel, zeigt sich die Vorliebe des Autors für einen zweigeteilten Handlungsstrang: während Edward nach drei Jahren auf Nebenan auf die Erde zurückkehrt und sich durch die Wirren des immer noch andauernden Ersten Weltkrieges kämpfen muss, erzählt er in Rückblicken, was in diesen drei Jahren passiert ist. Fast nach jedem Kapitel wechselt die Geschichte wieder zum anderen Handlungsstrang, trotzdem ist es für den Leser einfach, der Handlung zu folgen. Duncan schafft es, den Roman ohne Verlust des “roten Fadens” zu erzählen und dabei durchaus noch Spannung reinzubringen.

Neben dem Helden gibt es noch viele interessante Nebencharaktere, die der Autor mit viel Mühe darstellt und entwickelt. Natürlich wird die dichte Atmosphäre aus dem ersten Band übernommen und mit bedrückenderem, dunklerem Touch versehen: Aus dem Blitzkrieg wurde eine bereits drei Jahre andauernde, nervenaufreibende Todesmaschine, halb Europa ist verwüstet und immer noch lassen jeden Tag tausende junge Männer ihr Leben auf dem Schlachtfeld. Die Begeisterung für den Krieg aus dem ersten Teil weicht dem Schrecken davor und genau diesen Wandel fängt Duncan gelungen ein. Fakten mischen sich gelungen mit Fiktion, was mich durchaus beeindruckt hat.

Wirklich schade ist das Fehlen einer Übersichtskarte. Der Autor bemüht sich zwar durch genaue Beschreibungen zu erklären, wohin es den Helden verschlägt, aber ein richtiges Bild ergab sich bei mir nicht. Leider kommt es auch in der Sprache bzw. Übersetzung zu häufigen Wiederholungen von Redewendungen, die dem deutschen Leser seltsam vorkommen. Wenn z.B. Edward als “verrückt wie eine besoffene Fledermaus” beschrieben wird, dann mag es in England vielleicht ein gängiges Sprachbild sein, hierzulande wirkt die Übersetzung aber arg konstruiert. Das stört leider den Lesefluss und fällt immer wieder ins Auge, obwohl die Übersetzung an sich gut gelungen ist.

Cover des Buches "Königreich zu verkaufen" von Terry BrooksDer verzweifelte Chicagoer Anwalt Ben Holiday erhält ein seltsames Angebot: Für 1.000.000 Dollar kann er das magische Königreich Landover kaufen und dort ein neues Leben als König beginnen. Dort angekommen stellt sich jedoch schnell heraus, dass es in Landover nicht zum Besten steht. Nachdem 20 Jahre lang die Könige im Fluge wechselten, haben sich die Untertanen vom Thron entfremdet, den Mächtigen des Reiches ist der neue König bestenfalls gleichgültig, schlimmstenfalls würden sie ihn gerne tot sehen. Die Magie, die Landover belebte, schwindet. Kann der König rechtzeitig das Rätsel lösen, das den magischen  Verteidiger, den Paladin, Landovers umgibt?

-Landover: Reich der Magie, Reich der Abenteuer, Heimat von Rittern und Knappen, Drachen und Edelfräulein, Zauberern und Hexen.-
Ben: Aus der Annouce des Rosen Weihnachts-Wunschbuch

Das Königreich Landover ist nicht besonders groß, mit dem Pferd kann man es in wenigen Tagen durchreiten. Um das Königreich herum liegen die Elfennebel, die einen gefährlichen Raum bilden, der Tore zu anderen Welten bietet.

In Landover sind die politischen Verhältnisse einfach, denn es gibt nur vier Völker und zwei weitere mächtige Wesen. Die Herren des Grünlandes sind relativ langweilig. Eine menschliche Feudalgesellschaft mit Rittern und Bauern. Geben sie sich auch offen und ehrlich, so sind sie doch intrigant und machtgierig. Einst bildeten sie das militärische und wirtschaftliche Rückgrat, heute zerfleischen sie sich selbst und nehmen die Verschmutzung der Flüsse in Kauf. Die Elfen des Seelandes sind ein Sammelsurium von sonderbaren Wesen, kaum zwei gleichen einander. Die Exilanten aus den Elfennebeln sind zufrieden, wenn sie ruhig und abgeschieden vom Rest der Welt in ihren Wäldern und Gewässern leben können. Die Trolle vom Melchor sind wilde Bergarbeiter und Waffenschmiede. Bleiben die G’Heim Gnome (engl.: “G’Home Gnome!”), ein diebisches Pack rattengesichtiger Hunde- und Katzenfresser, die von überall fortgejagt werden. Die Hexe Nachtschatten ist die Herrin über den Tiefen Schlund und der Drache Strabo macht nicht nur das Königreich unsicher.
Magie ist der zentrale Faktor in Landover: die Blaubonnie-Bäume, die auch die Ärmsten ernähren können; Burg Silberstein, der Sitz des Thrones, ein magisches Wesen, welches seinen Bewohnern – so lange die Magie fließt – stets volle Vorratskammern und eine starke Feste bietet; die schönen Regenblumen und schließlich der magische, unbezwingbare Paladin… Aber die Magie schwindet unaufhörlich aus Landover.

Doch lebt diese von Brooks erschaffene Welt von seinen bunten Figuren: Da ist Questor Thews, der inkompetente Hofzauberer, der nur gelegentlich die Magie beherrscht; der bierernste Hofschreiber Abernathy, ein Zyniker, halb-Mensch, halb-Weizenterrier dank eines misslungenem Zaubers; Weide, die wunderschöne Sylphe, die sich gelegentlich in einen Baum verwandelt; der Drache Strabo, der sich über den menschlichen Mangel an Quellenkritik zu Geschichten über Drachen beschwert; dieses sind nur ein paar der grotesken, nahezu karikierenden Ansammlung von Romanfiguren.

Der Plot in Königreich zu verkaufen (Magic Kingdom for Sale – Sold) ist allerdings nicht wirklich neu: Der Held muss eine magische Queste bestehen um die Welt vor einer Horde Dämonen zu retten. Dem Autoren gelingt es aber mittels überraschender Wendungen, die Geschichte immer spannend zu halten. Der Form nach ist es deutlich ein Bildungsroman – es geht in der Geschichte um Ben Holiday, der einen Platz in Landover suchen muss. So liegt der Schwerpunkt auf dem zwar nicht übermäßig glaubwürdigen aber doch interessanten Charakter des Anwalts und seiner Entwicklung von einem verzweifelten, depressiven, der Alkoholsucht nahen Stadtmenschen, der den Tod seiner Frau nicht verwunden hat, zum König von Landover, der sein altes Leben zwar nicht vergisst, das neue aber Schritt für Schritt annimmt. Dazu gehört auch die gelungene und überraschende Auflösung um den Paladin.
Je weiter die anderen Charaktere von Holiday entfernt sind, desto oberflächlicher bleiben sie auch für den Leser. Es gibt bessere Bildungsromane (Voltaires Candide oder Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre), aber ein fantastischerer ist mir noch nicht untergekommen.
Interessant, aber leider nur angerissen, sind die Elemente der Umweltverschmutzung der Herren vom Grünland und die Parabel des Paladins als Krieg.

Die Landkarte der Zeit von Félix J. PalmaSie planen eine Zeitreise? Besser, Sie packen eine passende Landkarte ein! Zeitparadoxa sind in diesem Roman vorprogrammiert und laden den Leser dazu ein, sich irgendwo in der Zeit zu verlieren.
In drei Episoden folgt man einem jungen Mann, der seine Geliebte an Jack the Ripper verloren hat und in die Vergangenheit reist, um das Verbrechen zu verhindern; dann trifft man auf Claire, die sich in ihrer Gegenwart des 19. Jh. fehl am Platz fühlt und sich ins Jahr 2000 flüchtet, wo sie sich unerwartet verliebt; zuletzt begleitet man Inspektor Garrett bei der Jagd nach einem Mörder, dessen Waffe noch gar nicht erfunden wurde – und alles läuft zusammen bei H.G. Wells höchstpersönlich …

– Andrew Harrington wäre gern mehrere Tode gestorben, wenn er sich unter all den Pistolen, die sein Vater in den Vitrinen des Salons aufbewahrte, nicht für eine einzige hätte entscheiden müssen. Entscheidungen waren nicht seine Stärke. Genau besehen erwies sich sein Dasein als eine Kette von Fehlentscheidungen, deren letzte ihren langen Schatten bis in die Zukunft zu werfen drohte. Doch mit diesem wenig beispielhaften Leben voller Fehlgriffe war jetzt Schluss. –
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Die Landkarte der Zeit (El mapa del tiempo) ist kein leicht zu rezensierendes Buch, denn es steckt voller Gegensätze. Autor Félix J. Palma spielt mit den Erwartungen seiner Leser, führt sie bewusst hinters Licht, nur um sie dann mit der nächsten Wendung zu überraschen. Manchmal macht er das sehr geschickt, dann wieder sehr bemüht, manches ist entweder ein schlauer Kniff oder eine bittere Enttäuschung. Das Buch ist außerdem Liebesroman, Science Fiction, Krimi, Historischer Roman und Drama in einem. Der ein oder andere wird jetzt vielleicht schon ahnen, dass Die Landkarte der Zeit die ausgeprägte Fähigkeit besitzt, Meinungen zu spalten.

Der Roman besteht aus drei Teilen. Jeder davon hat andere Hauptfiguren und erzählt eine eigene Geschichte, die in sich abgeschlossen ist. Es gibt dabei aber Charaktere, die in allen Teilen auftauchen und eine interessante Verstrickung der Geschichten offenbaren. Nebenfiguren werden zu Hauptfiguren und umgekehrt, je nachdem, wessen Geschichte man gerade folgt. Dabei ist dieser Roman recht intelligent aufgebaut und ab und an blitzt auch der köstliche Humor des allwissenden Erzählers durch, der an den (Film-)Erzähler von Per Anhalter durch die Galaxis erinnert.

Weltenbau und Charaktere sind ebenfalls allesamt sehr lebendig gezeichnet mit einer deutlichen Liebe fürs Detail. Es ist ein Leichtes, sich das viktorianische Setting der Erzählungen vorzustellen – die schmutzigen Gassen Whitechapels, die prachtvollen Herrenhäuser Londons, die feinen Teesalons, die massiven Heldenstatuen, die Zeitmaschine von H.G. Wells … Gerüche und Figuren werden lebendig, hier erweist sich auch der spielerische Umgang mit der Sprache als großer Vorteil.

Auf der anderen Seite gibt es oft Längen und Monologe, in denen man das Gefühl hat, der Autor hört sich einfach gerne selbst reden. Jene Monologe sind besonders deswegen so störend, weil sie in der Regel nur 1:1 nacherzählen, was kurz vorher erst geschehen ist oder geschichtliche Ereignisse werden unnötig genau zusammengefasst – als rechnete man mit plötzlicher Amnesie oder eklatanten Bildungslücken beim Leser. Manches ist dabei auch zu leicht vorhersehbar, was die Stärken des Romans leider ab und an in den Schatten stellt. Durch diese starken Gegensätze von intelligenter Unterhaltung und langweiligen Seitenfüllern schwankt der Lesegenuss öfter mal vom einen ins andere Extrem und am Ende weiß man nicht, ob man dieses Buch mag oder nicht.

Die Landkarte der Zeit ist auch ohne die erwähnten Längen kein spannungsgeladenes Buch. Es ist eine ruhige Geschichte mit kniffligen Verknüpfungen und teils abenteuerlichen Entwicklungen. Wer Zeitreisen sucht, muss sich vor allem ihren theoretischen Möglichkeiten stellen und sich darüber im klaren sein, dass es kein Zukunftsroman ist und die Haupthandlung 1896 stattfindet. Vielmehr ist Die Landkarte der Zeit daher ein Buch für Nostalgiker, die gerne durch die Vergangenheit schlendern und hier und da ein paar Schlenker durch die Zeit schlagen wollen.

Wer gefallen an der Erzählung findet, kann sich mit Die Landkarte des Himmels außerdem über eine Fortsetzung freuen. Dieser erste Band ist aber in sich abgeschlossen und besteht auch problemlos als Einzelband.

The Long War von Terry Prachtett und Stephen BaxterDas Amerika der Heimaterde will seine Macht über die Reihe der unendlichen Parallelwelten ausdehnen, und gleichzeitig verpassen Siedler, Forscher und Reisende den Erden ihren menschlichen Fussabdruck. Dann sorgt eine Meldung im Outernet für Schlagzeilen: Forscher misshandeln vor laufender Kamera einen Troll – und dies ist nur ein Beispiel für die sich ausbreitende Gewalt gegen die humanoiden Long-Earth-Bewohner. Zeit für Joshua und Sally, etwas zu unternehmen …

Sally Linsay arrived at Hell-Knows-Where fast and furious. But when had that ever been unusual?
– Kapitel 2

Der erste Teil der The Long Earth-Reihe von Terry Pratchett und Stephen Baxter weckte große Erwartungen: Unendliche Welten, neue Gesellschaftsformen, Entdeckungen unvorstellbarer Evolutionsscherze – es hätte alles so schön sein können. Mit The Long War jedoch beweisen die Autoren, dass auch The Long Ideas nicht ausreichen, um eine gute Geschichte zu erzählen.

Die Handlung setzt Jahre nach Joshuas und Lobsangs erster Reisen durch die Paralleluniversen ein. Joshua ist nun Familienvater, der sich häuslich in Reboot niedergelassen hat, während die amerikanische Regierung alles daran setzt, um die unendlichen, parallel-amerikanischen Weiten der Universen zu beherrschen – um sie zu besteuern. Was als Parodie brauchbar klingt, taugt wenig als Grundgedanke, aus dem sich ein bedrohlicher, interterrestrischer Krieg entwickeln soll. Voller Spannung erwartet der Leser die Wunderwaffe der Regierung, doch Raumpatrouillen in (immerhin verkabelten) Zeppelinen, die auf einer unendlichen Reihe von Welten unter Steuersündern für Ordnung sorgen sollen – dieser War, so ahnt man schon, wird nicht sehr Long. Zur Spannung kann auch die weltenumfassende Black Cooperation nichts beitragen, die mit ihrer Monopolstellung im Bereich der Technikentwicklung so normal-megalomanisch-bedrohlich wirkt wie jede Monopolfirma unserer Heimaterde.

Die Figuren haben der fehlenden Spannung nur wenig entgegenzusetzen. Helen, das Hausmütterchen, und Sally, die männerhassende Furie, sind ebenso innovativ wie der verbissene Cop in Rente oder der unsozialisierte Weltraumnerd. Doch während diese zumindest Altbewährtes bieten, streiten sich bei Joshua Blässe und Widersprüchlichkeit um die Oberhand bei der Charakterskizzierung, und selbst eindeutig Pratchetteske Figuren wie die fluchende Biker-Ordensschwester Agnes haben eher den Charakter eines müden Scherzes. Interessant bliebe höchstens Lobsang, der mit seiner Entwicklung zum Deus Ex Machina jedoch auch sein Potential an sich vorüberziehen sieht.

Bleibt der Konflikt zwischen Mensch und Troll, der zweifelsohne Stoff für ethisch höchst interessante Geschichten liefern könnte. Doch bei der Lösung des Konfliktes verhält es sich ähnlich wie mit der literarischen Bevölkerung der Langen Erden: die Ideen pendeln zwischen „absurd-bizarr“ und schlicht „unlogisch“, und was gibt es ermüdenderes als uninspirierte Skurrilität? Das Sujet der Erforschung, Erkundung und Eroberung neuer Welten wurde selten so longwierig (Verzeihung) beschrieben.

Zuletzt liest sich der Roman auch noch wie das wütende Atheismus-Plädoyer eines Sechsjährigen, dessen Pausenbrot von Franziskus-Josef geklaut wurde. Umweltverschmutzung, Gewalt, Entfremdung und das scheußliche Wetter auf Erde 25623: die (westlichen) Religionen sind Schuld. Gott sei Dank (Verzeihung die 2.) wartet der Roman mit der konturlosen Figur des ehemaligen Priester Nelsons auf, der mit Lobsang kurzzeitig auf dem Pfad der wissenschaftlichen Erleuchtung wandelt, um sich dann auf dem Rücken eines gigantischen Wirtstieres, das im Ozean einer weit entfernten Erde schwimmt und auch parasitär lebenden, aber hübschen, blumenbehangenen Inselschönheiten Platz bietet, befreiendem Sex hinzugeben, mit dem er die Fesseln seiner religiösen Indoktrinierung endlich zu sprengen vermag.

Hey, ich habe mir das nicht ausgedacht.

Es ist bedauerlich, dass sich die Autoren der spannenden Frage – wie entwickelt sich Religion in Zeiten der unbegrenzten „Schöpfung“ – über Plattitüden und Schuldzuweisungen nähern, die aus dem Nichts kommen und ebenso schnell wieder vergessen sind. Mit ihrem Roman lassen Baxter und Pratchett Gläubige in einem schlechten Licht dastehen – und Nichtgläubige im Licht eines kaputten Nebelscheinwerfers.

Schließlich macht das gleiche, was die Eroberer der unendlichen neuen Welten plagt, auch dem Roman zu schaffen: Ziellosigkeit, gepaart mit der subtilen Langeweile des „Ich fahre in die weite Ferne, aber irgendwie sieht es überall gleich aus“-Effekts, der einen auch leicht auf der Zugfahrt von Dresden nach Berlin befällt. The Long War gleicht somit eher einer Reise durch Brandenburg – wobei, dort gibt es immerhin Wölfe.

Cover des Buches "Das magische Messer" von Phillip PullmanWill, ein Junge, der im Oxford “unserer” Welt lebt, hat es nicht leicht. Sein Vater ist vor zehn Jahren bei einer Expedition verschwunden und seine Mutter leidet anscheinend an einer Geisteskrankheit. Als zwei Männer in sein Zuhause einbrechen und versuchen, eine grüne Mappe zu stehlen, tötet er einen der beiden. Will muß fliehen. Bei seiner Flucht gerät er durch ein Fenster in eine andere Welt. In dieser Welt trifft er Lyra, die dort hingeraten ist, als sie ihrem Vater über die Brücke folgte. Die beiden Kinder schließen sich zusammen und helfen sich gegenseitig, Wills Vater zu finden und das Geheimnis des Staubes zu ergründen.

-Will zog seine Mutter an der Hand und sagte: “Komm weiter, bitte…” Aber seine Mutter zögerte. Sie hatte noch immer Angst.-
Kapitel 1, “Die Katze unter den Bäumen”

Das magische Messer (The Subtle Knife) besticht durch seine Komplexität: Es handelt von Physik, Philosophie, Religion, Schamanismus, von Platons Höhlengleichnis, von der Erschaffung der Welt, von Gott und dem Teufel, von Gut und Böse, von Armageddon, von Engeln und Gespenstern, von Hexen und der Inquisition, von der Kernspaltung, von Freundschaft, Treue, Verrat und Tod und es ermutigt den Leser seinen eigenen Instinkten zu vertrauen und nicht blindlings auf Autoritäten zu hören. Eigentlich müßte die Handlung ein einziges Tohuwabohu sein. Daß der Roman nicht unrettbar im Chaos versinkt, ist der Verdienst von Philip Pullman. Da schreibt jemand, der trotz des umfangreichen Inhaltes klare Handlungsstränge entwickeln kann, und der nie den roten Faden verliert. Dabei wirkt der Roman nicht überfrachtet, sondern alles erscheint völlig natürlich, so daß ein Leser dieses Buches es wahrscheinlich ganz normal finden wird, wenn ihm plötzlich massenhaft Menschen mit außergewöhnlichen Tieren an der Seite begegnen oder wenn demnächst ein Engel durch seinen Computer mit ihm kommuniziert. Außerdem versteht Pullman es, den Leser immer wieder zu verblüffen. Als Lyra Will zum erstenmal trifft, fragt sie das Alethiometer, ob Will ein Freund oder ein Feind ist. Das Gerät antwortet, er sei ein Mörder, worauf Lyra sofort beschließt, Will zu vertrauen.

Trotz einiger Gewaltszenen und trauriger Ereignisse ist das Buch für Kinder ab ca. 12 gut geeignet. Gewalt wird nie unmotiviert ausgeübt, und Kinder, die Grimms Märchen verkraftet haben, in denen Frauen nackt in mit Nägeln gespickten Fässern zu Tode gerollt werden oder in Backöfen verbrannt werden, werden auch hier keinen Schaden nehmen. Allerdings braucht das Buch unbedingt Menschen, die gerne lesen. Kinder oder Erwachsene, die vor Harry Potter noch nie ein Buch in die Hand genommen haben und jetzt auf den Gedanken kommen, sie könnten sich ja mal ein “Zweitbuch” anschaffen, das womöglich auch noch “wie Harry Potter ist” werden an diesem Zyklus keine Freude haben.
Für Erwachsene ist es ein besonderes Vergnügen, sämtliche Anspielungen herauszufinden, die die Literatur und das Weltgeschehen betreffen, aber das ist nur ein besonderer Kick. Für Erwachsene, die sofort zwanghaft zum Lexikon greifen müssen, um nachzuschlagen, ob es dieses anbarische Dingsbums wirklich gibt und was Platon jetzt eigentlich mit seinem Höhlengleichnis genau meinte, ist das Buch ebenfalls nicht geeignet. Dieser Roman braucht Leser, die in eine Geschichte versinken können und ihre Neugier auf das Ende beibehalten, auch wenn ihnen nicht immer klar ist, worauf der Autor hinaus will und wie die Geschichte letztendlich ausgehen wird.

Der magische Wald von Paul KearneyMichael wächst bei seinen Großeltern auf einer abgelegenen irischen Farm auf. Im nahegelegenen Wald entdeckt er allerdings auf seinen zahlreichen Streifzügen Unheimliches: Speerbewaffnete Fuchsleute in der Abenddämmerung auf der anderen Seite des Flusses, unsichtbare Wesen, die ihn aus den Bäumen beobachten. Als er sich über den Fluss wagt und von der anderen Seite eine Trophäe mitbringt, dringt die andere Welt auch in sein friedliches Hofleben ein. Fasziniert und entsetzt zugleich zieht es Michael immer mehr in die Welt des Wildwalds, die nur ihm sichtbar und zugänglich ist.

-Für einen Erwachsenen, dem die Müdigkeit der Welt durch die Adern fließt, ist das Land überschaubar und ohne Geheimnisse – wie ein Schiffsmodell in einer Flasche.-
Kapitel eins

Ein Heranwachsender, der Übergänge in eine andere Welt findet und nutzt – das ist beinahe schon ein eigenes Genre innerhalb des Fantasy-(Jugend-)Buchs, an dem sich so viele Autoren versucht haben, dass das Konzept unendlich ausgewalzt wirkt. Paul Kearney hat sich der Thematik des Betretens einer Anderswelt in seinen ersten drei Romanen gewidmet, ehe er sich der heroischen Fantasy zuwandte. In Der magische Wald (A Different Kingdom) macht er daraus eine Hommage an die Vergangenheit seiner Heimat Nordirland und an das Erwachsenwerden, eine akribische Beobachtung der Entwicklung, die sowohl Land als auch Held vollziehen und die mit Wehmut begleitet wird.
Dabei gelingt es ihm, den Zauber der Jugend schon in den schlichten Szenen auf dem Bauernhof von Michaels Großeltern famos einzufangen: die Kinderwelt, in der jeder Wechsel der Jahreszeiten ein Abenteuer ist, die Freiheit, in die das Fremde sowohl in Form von neuen (schulischen) Pflichten eindringt, aber auch in Form von Sexualität – auch dieser Aspekt wird ohne Tabus angesprochen und als elementarer Bestandteil des Aufwachsens nimmt er einen Stellenwert ein, der sämtliche Jugendbuch-Assoziationen, die die Thematik vielleicht wachgerufen hat, schnell unter den Tisch fallen lässt. Gleichzeitig nimmt der Wald – der fremde und wilde Wald, der nicht mehr Bestandteil von Michaels Welt ist und zugleich seine Angst und seine Neugier weckt – immer mehr Raum in Michaels Leben ein.

In diesem Setting konnte Kearney seine Zuneigung zu seiner nordirischen Heimat, zum Gaelischen, zu den Überlieferungen einbringen, wobei die psychologisch ausgefeilte Darstellung seines heranwachsenden Helden nie zu kurz kommt. Das beschauliche Leben im ländlichen Irland ist historisch und kulturell stimmig portraitiert, die akribische Darstellung der Landwirtschaft kurz vor ihrer  Industrialisierung hätte John Seymour wohl Tränen in die Augen getrieben. Diese innerhalb von einer Generation verlorene Lebenswelt wirkt authentisch, vielleicht ein wenig idealtypisch dargestellt, dafür wird einem beim Lesen aber auch ganz warm ums Herz. Dahinter, weniger gemütlich, verbirgt sich immer die archaische, nicht domestizierte Waldwelt, ein phantastisches Irland voller Kelten, magischer Waldwesen und frommer Priester. Der Wald besticht weniger durch seine Details (z.B. gibt es bei den Wyrims, den Waldwesen, nur recht wenige genau zu unterscheidende Arten), sondern durch seine Erhabenheit, und genauso wie die Szenen in Michaels Heimat ein verlorenes Landleben beschwören, rufen die Waldszenen ‘Erinnerungen’ an ein von riesigen Wäldern bedecktes Europa wach, dem der Mensch nur kleine, fragile Bastionen abringen konnte.

Michaels Abenteuer führen immer tiefer in den Wald, immer weiter weg von seiner realen Welt. Die verschachtelte Erzählung auf drei Zeitebenen, die man erst nach und nach zu einem kompletten Bild zusammensetzen kann, tut das ihre dazu, um zu klären, dass die Heldenreise noch weitere Dimensionen aufweist. Die Geschichte des erwachsenen Michael Fay gerät dabei etwas knapp, was aber im Kontext das Gefühl unterstreicht, dass er nach dem Kontakt mit der Anderswelt nicht mehr in und mit den Anforderungen der echten Welt zurechtkommt – die Geschichte vom Menschen, der durch einen kurzen Aufenthalt unter dem Elfenhügel tatsächlich hundert Jahre verpasst hat, wird hier auf sehr clevere Weise variiert. Dazu passt auch das stimmige, aber relativ einfach abgehandelte Ende, das den Kreis schließen kann.

Der magische Wald öffnet für den Leser Tore in mehrere fremde Welten und kann mit dem perfekt eingefangenen Charme der Jugend verzaubern, lässt die Veränderungen im jungen Selbst mit einer sich verändernden Welt korrespondieren und zeigt einen nicht rundum tröstlichen, sondern durchaus auch grusligen und fremdartigen archaischen Zufluchtsort eines Menschen, der an den nötigen Anpassungen zu scheitern droht und sich nicht von der Zivilisation zähmen lässt.

Midwinter von Matthew SturgesDie Intrige eines Rivalen hat Mauritane, den Hauptmann der Leibgarde der Fae-Königin Titania, unschuldig ins Gefängnis gebracht. Nach Jahren erhält er ein überraschendes Angebot: Ihm winkt Straferlass, wenn er sich auf ein Himmelfahrtskommando einlässt, über das er erst unterwegs Einzelheiten erfahren soll. Mit einigen Mithäftlingen (darunter ein amerikanischer Wissenschaftler, den es ins Feenreich verschlagen hat) stürzt Mauritane sich ins Abenteuer. Doch schon bald muss er erkennen, dass er nicht nur die Schergen von Titanias Feindin Mab zu fürchten hat, sondern auch Verrat aus den eigenen Reihen und die Anschläge seines alten Erzfeinds …

– Der Winter kommt nur einmal alle hundert Jahre über das Land. Und wenn er kommt, schließen die immerblühenden Kirschbäume ihre Blüten und wenden sich ab von dem frostigen Wind. Die Tiere des Waldes kommen von ihren Bäumen und Felsen herab und graben sich, auf der Suche nach Wärme, tief in die Erde. Die Kanalsee wird stürmisch und grau. Die Sonne scheint weniger hell und verbirgt ihr Antlitz hinter Wolken, rau wie Granit. Wenn der Fluss Ebe überfriert und ein Mensch über das Eis von Jochdorn nach Midai laufen kann, dann hat der Midwinter offiziell begonnen. –
Erster Teil

Wenn es etwas Ärgerlicheres gibt als ein durch und durch schlechtes Buch, dann wohl eines, in dem eigentlich gute Ideen durch die mangelhafte Umsetzung verdorben werden. Letzteres trifft leider auf Matthew Sturges’ Midwinter zu. Die relativ atmosphärisch geschilderte Ausgangssituation ist zwar nicht rasend originell, hätte aber durchaus eine solide Basis für einen Abenteuerplot bilden können, zumal die Vorstellung einer Parallelexistenz mehrerer verschiedener Feenwelten mit der Erde ein interessantes Setting verspricht, das Sturges denn auch mit netten Details wie winzigen Botenfeen und sprechenden Pferden würzt.

Doch nur an ganz wenigen Stellen blitzt auf, was sich aus dieser Konstellation hätte herausholen lassen, etwa wenn einer der Fae den Amerikaner unbefangen auffordert, doch mal ein bisschen Naturwissenschaft vorzuführen. Der hier so reizvoll angedeutete Kontrast der Kulturen und Denkweisen verschwimmt im Verlaufe der Queste, die sich eher wie eine mit altbekannten Abenteuerelementen gespickte Rollenspielkampagne liest.

Ein solches Konzept kann zwar aufgehen (wie etwa Richard Schwartz mit seiner erfolgreichen Askir-Reihe beweist), aber nur dann, wenn man nicht zusätzlich den Eindruck erhält, dass der Spielleiter etwas konfus ist und die Spieler es versäumt haben, ihre Charaktere überzeugend auszuarbeiten. Sturges’ Figuren wirken zumeist flach und typenhaft. Am Vielschichtigsten dürfte noch der zwischen List, Adelsstolz, Sinnenfreuden und religiöser Erweckung hin- und hergerissene Lord Silberdun angelegt sein. So gut wie jede andere Gestalt entspricht irgendeinem Klischee aus dem Rolleninventar klassischer Fantasy und entwickelt nur wenig Individualität.

Selbst der Held Mauritane bleibt erschreckend blass, und von dem ihm zugeschriebenen militärischen Genie ist, große abschließende Schlacht hin oder her, wenig zu spüren (so darf man z.B. getrost spekulieren, wie der angeblich so gerissene Stratege darauf kommt, sich und seine Gefährten mehrfach ausgerechnet als Fischhändler ausgeben zu wollen, was – wen wundert es – wenig Erfolg hat).

Wohl auch bedingt dadurch, dass einen Großteil des Romans über weder Leser noch Protagonisten erfahren, worum es bei der so hochgefährlichen Mission eigentlich geht, läuft sich die Handlung in zahlreichen Abenteuern am Wegesrand tot, die sich in recht abgehackt wirkenden Abschnitten aneinanderreihen. Eigenartige Doppeltitel für manche Kapitel (z.B. Grübeleien über Freiheit/ Ein Schemel und ein stabiler Dachbalken oder Naturwissenschaft/ Spinnen) lassen fast vermuten, dass ursprünglich eine Untergliederung in noch kürzere Szenen geplant war. Diese Knappheit kommt dem ehrgeizigen Weltenbau nicht entgegen, dessen Einzelheiten oft nur lose in den Plot eingebunden sind und bisweilen fast ungenutzt verhallen (so z.B. der Wechselbälgerschmuggel zwischen Fae- und Menschenwelt). Vielleicht will Sturges hier schon Anknüpfungspunkte für die Folgebände anlegen, aber sehr neugierig auf den Fortgang der Reihe ist man nach diesem wenig überzeugenden Auftakt eigentlich nicht.

Der letzte Rest Unterhaltungswert geht dem Roman durch die sprachliche Gestaltung der Übersetzung verloren. Der Satzbau klammert sich stellenweise wortwörtlich ans Englische, bis hin zu umständlichen Partizipialkonstruktionen wie Königin Mab in ihrer silbernen und goldenen Sänfte in Sicherheit bringend. Daneben tauchen immer wieder Grammatikfehler (v.a. bei Verbformen) auf, aber es fehlt auch jedes Gespür für sprachliche Feinheiten: Der Unterschied zwischen der Verdienst und das Verdienst scheint ebenso unbekannt zu sein wie der zwischen den Anreden Sir und Sire, die fröhlich abwechselnd und anscheinend synonym für dieselben Personen gebraucht werden.

So legt man Midwinter am Ende unbefriedigt aus der Hand und stellt sich allenfalls die Frage, was für ein Buch wohl entstanden wäre, wenn jemand denselben Grundgedanken wie Sturges gehabt und mehr daraus gemacht hätte.

Die Nachtwächter von Terry PratchettKommandeur Mumm ist nicht mehr der Jüngste. Als Oberhaupt der Stadtwache ist er hauptsächlich mit Papierkram beschäftigt. Ankh-Morpork ist recht ruhig geworden für den alten Polizisten. Als aber der Serienkiller “Carcer” einen Wächter tötet und auf das Dach der Unsichtbaren Universität flüchtet, kann Mumm nicht widerstehen: Mitten in die Verfolgungsjagd schlägt ein Blitz ein: Als der Kommandeur wieder zu sich kommt, findet er sich 30 Jahre in der Vergangenheit wieder. Ankh-Morpork ist ein Sumpf des Verbrechens, und die Stadtwache ist nicht mehr als ein müder Haufen. In den bürgerkriegsähnlichen Zuständen versucht Mumm verzweifelt, sein jüngeres Ich vor Schaden zu bewahren und Ordnung zu schaffen …

-Sam Mumm seufzte, als er den Schrei hörte, aber er rasierte sich zu Ende, bevor er etwas unternahm.-

Wie der aufmerksame Leser meinem Pseudonym entnimmt, bin ich ein großer Fan und Verehrer des Scheibenwelt-Zyklus. Daher habe ich trotz aller Bewunderung für Pratchett versucht, hier eine möglichst objektive Rezension darzulegen.
Mit Die Nachtwächter (Night Watch) findet die Saga um die Stadtwache zu einem fulminanten Finale. Da es sich quasi dauernd auf Ereignisse in älteren Scheibenwelt-Romanen bezieht, ist dieses Buch nur für Leser geeignet, die sich wirklich gut auf der Scheibenwelt im allgemeinen und in der Stadtwache im speziellen auskennen.
Kein Pratchett-Roman hat mich bis dato so tief berührt wie Die Nachtwächter. Alles, was mich an Pratchetts Romanen so fasziniert, ist auch in diesem Buch wieder reichlich enthalten. Die Sprache, wie das Gemälde eines Impressionisten, kommt mit dem nötigsten aus, transportiert aber die teils sehr unterschiedlichen Stimmungen äußerst eloquent. Pratchetts sarkastischer Humor sorgt stets für einige Lacher und entspannt das Buch. Allerdings fallen hierbei bereits einige neue Ansätze auf. In quasi allen früheren Discworld-Romanen wirkten die handelnden Figuren (etwa Nanny Ogg oder Cohen der Barbar) eher wie überzeichnete Comicfiguren denn wie echte Charaktere. Auf den ersten Blick hat sich daran nicht viel geändert, auf den zweiten jedoch entdeckt man seelische Tiefen, die man nie für möglich gehalten hätte.  So sind die Protagonisten keine blossen Karikaturen mehr, sie sind echt – glaubwürdig.
Dergestalt beschreitet der Autor auch bei der Handlung neue Wege. Die Geschichte ist ein hochbrisanter und durchaus ernstzunehmender Spiegel der Menschheit und ihres ganz normalen Wahnsinns und gab mir das bei Fantasy-Literatur äußerst seltene Gefühl, etwas über die Welt und die Menschen gelernt zu haben.
Dass dann dabei auch noch der Unterhaltungswert stimmt, versteht sich dann fast von selbst, obwohl für “Scheibenwelt-Veteranen” manche Pointen und Witze fast vorhersehbar sind.

Viel deutet darauf hin, dass Pratchett mit den “alten” Discworld-Geschichten abschließt. Schließlich endete bereits in Wahre Helden (The Last Hero) die “Ära Cohen” überaus oppulent. Und mit diesem Roman nun erhält die “Mumm”-Saga einen würdigen Abschluss. Ob es allerdings ein Happy-End gibt, das mag der geneigte Leser selbst herausfinden.

Die Nebelsängerin von Monika FeltenNur mit viel Glück kann die junge Ajana einigen unglaublichen Unfällen entgehen, dann taucht auch noch ein geheimnisvoller Anwalt auf, der sie als Erbin einer fast vergessenen Urgroßmutter ermittelt hat und ihr ein schönes Amulett übergibt. Es übt eine magische Anziehungskraft auf Ajana aus, und schließlich gelangt sie mittels eines magischen Musikstücks nach Nymath, eine Welt, in der Elben und andere Geschöpfe mit Menschen zusammenleben. Doch in Nymath steht es nicht zum Besten: Die Nebel, die das Land vor Eindringlingen schützten, haben sich gelichtet, und das Volk der Uzoma dringt mordend und brandschatzend ein. Ist Ajana die prophezeite Retterin, die die Nebel erneuern kann?

-Es begab sich zur Zeit, da König Sanforan vom Blute der Onur in zwölfter Linie seine Hand zum Wohle über Andaurien breitete, daß große Plagen und schlimme Nöte das Land anheim suchten.-
Aus der Chronik Nymaths

2004 erschien die neue Trilogie von Monika Felten mit einem für damalige (und eigentlich auch noch heutige) Verhältnisse ungewöhnlichen Marketingaufwand: Merchandising mit Puzzles und Kalender begleitete die Veröffentlichung, der Roman selbst war opulent aufgemacht und brachte seinen eigenen Soundtrack auf CD mit.
In der schicken Verpackung steckt jedoch ein etwas biederer Standard-Fantasy-Roman, der ein bisschen wie aus dem Baukasten wirkt und kaum Überraschungen bereithält. Nymath, die Welt, in die es die günstigerweise passend mit einem Fantasy-tauglichen Namen ausgestattete Heldin alsbald verschlägt, ist tolkienesker Prägung – sogar die Elben von Nymath sprechen Tolkiens Elbisch; Sindarin, um genauer zu sein. Für zwei Nebenfiguren wurden zudem die Namen Feanor und Cirdan aus Tolkiens Kosmos entliehen. Eine Verneigung vor dem Altmeister des Genres? Schade, dass er dann im Nachwort, Impressum oder sonstwo in keiner Weise erwähnt wird.  Man findet lediglich einen weniger aufschlussreichen Hinweis auf die Internet-Seite, von der die Elbensprache übernommen wurde – und das gibt dem Ganzen doch einen recht schalen Beigeschmack.

Die Nebelsängerin bietet eine einfach gestrickte Fantasy-Geschichte, in der ein Mensch ein in diesem Fall musikalisches Portal in eine andere Welt findet und dort zum Retter im Kampf gegen das Böse ausersehen ist. Dadurch, dass die Uzoma (Nymaths Orks, die für die Bedrohung zuständig sind) zwar grausam, aber dennoch auch Vertriebene sind, die sich in gewissem Maße nur wehren, wurde versucht, etwas Tiefe in die Geschichte zu bringen und das Schwarz-Weiß-Schema zu verwischen. Aufgegangen ist diese Taktik allerdings nicht, denn die einzelnen Figuren sind alle beinahe vom ersten Satz an als gut oder böse zu identifizieren, und man merkt sogleich, dass der wirkliche Bösewicht der Geschichte kein Opfer widriger Umstände ist.
Aber subtil ist ohnehin nicht Monika Feltens Stärke. Da kann es schon mal passieren, dass man zwei Hauptcharaktere schon bei ihrem ersten Treffen als zukünftiges Liebespaar ausmachen kann, weil sie sich so gerne in die Augen schauen, oder dass sich nach einer halben Seite, auf der ein absolut verwüstetes Dorf beschrieben wird, bei der Heldin Ajana die unheilvolle Erkenntnis einschleicht, dass hier etwas furchtbares geschehen war. Bei diesen Holzhammer-Hinweisen gewinnt man den Eindruck, dass die Autorin ihren Lesern keine eigenen Schlüsse zutraut.

Feltens flüssiger Stil, der dafür sorgt, dass man den Roman in Windeseile durchlesen kann, macht die gemeuchelte Spannung auch nicht wett. Letztendlich werden in der ganzen Handlung nur Vermutungen bestätigt, die man von Anfang an anstellen konnte.
Es gibt seit jeher ein großes Angebot einfach gestrickter Metzel-Fantasy, die mit heldenhaften Abenteuern, Schlachten und muskelbepackten Helden hauptsächlich die Träume von (jungen) männlichen Lesern zu befriedigen versucht. Monika Felten wirkt, als hätte sie sich mit ihren Pferden, Falken, zauberhafter Musik und sensiblen Heldinnen, die ihre Bestimmung und ihre große Liebe finden, eher auf die Träume von kleinen Mädchen spezialisiert. Aber letzendlich ist es eine Frage der Erwartungen, die man an einen Roman stellt: Wenn man sich geradlinige, romantisch angehauchte Geschichten mit einem Schuss Vorhersehbarkeit und hohem Wiedererkennungsfaktor wünscht, ist Die Nebelsängerin so gut oder schlecht wie viele andere maßgeschneiderte Romane.
Die Lektüre lohnt sich langfristig ungefähr genauso sehr wie die begleitende Soundtrack-CD, die mystisch-belanglos vor sich hinhaucht und schnell wieder vergessen ist.

Cover zum Buch "Nur Du hast den Schlüssel" von Terry PratchettJohnny und seine Freunde finden die obdachlose und geistig verwirrte Mrs. Tachyon unter ihrem umgestürzten Einkaufswagen liegen. Sie sorgen dafür, daß sie ins Krankenhaus kommt. Als Johnny sich um den verwaisten Einkaufswagen kümmert, wird ihm bald klar, welches Geheimnis dieser birgt: Mit dem Wagen kann man durch die Zeit reisen.
Da Johnny in der Schule gerade an einem Projekt arbeitet, das sich mit der einzigen, versehentlichen Bombardierung seiner Heimatstadt Blackbury im Jahre 1941 beschäftigt, gerät er unbeabsichtigt in diese Zeit.

-Neun Uhr abends. Es war dunkel, nur hin und wieder lugte der Vollmond hinter den verwaschenen Wolken hervor. Der Wind kam aus Südwest. Nach dem Gewitter war die Luft frisch und das Kopfsteinpflaster rutschig.-
Nach den Bomben

Terry Pratchett schreibt humorvoll, hintergründig und bringt die Dinge auf den Punkt. So benötigt er nur einen einzigen Satz, um dem Leser klarzumachen, wie sinnvoll es seiner Meinung nach ist, straffällig gewordene Jugendliche zu einem Abenteuerurlaub ins Ausland zu schicken. So sagt Mrs. Partridge über Bigmac, der mit Vorliebe Autos stiehlt: Er wollte wissen, wie viele Autos man stehlen muß, um kostenlos Urlaub in Afrika zu bekommen. Schaut man sich hingegen eine Stunde lang an, wie vier Politiker und drei Sozialarbeiter sich bei Sabine Christiansen zum selben Thema ständig ins Wort fallen, ist man hinterher genauso schlau wie vorher.
Mit demselben trockenen Humor handelt Pratchett in diesem Roman für Jugendliche Themen ab wie Vorurteile (besonders Rassismus) oder den Schrecken des Krieges. Auf diese Weise vermittelt er Werte, ohne auch nur eine Sekunde oberlehrerhaft zu wirken.

Die Übersetzung hat einen kleinen Schönheitsfehler: Offensichtlich hat Pratchett in dieser Geschichte oft das Wort technically benutzt, das die Übersetzerin wörtlich übersetzt hat: Er war schwarz. Technisch gesehen. Oder: Das war technisch gesehen ein Verbrechen…. Abgesehen davon, daß man dies im Deutschen so nicht sagt, bedeutet technically in solchen Zusammenhängen so viel wie genau genommen.

Das Buch ist für Jugendliche ab ca. zwölf Jahren geeignet. Jüngere werden wahrscheinlich Pratchetts Humor nicht in jedem Fall verstehen und sich vielleicht auch noch nicht für die Thematik interessieren.
Erwachsene, die sich nicht davon abschrecken lassen, daß die Protagonisten Jugendliche sind und die nicht den plakativeren Scheibenwelthumor erwarten, werden bei der Lektüre ebenfalls auf ihre Kosten kommen.

Cover von Der Preis der Zukunft von Dave DuncanFünf Jahre lang hat Edward Exeter dem Schicksal getrotzt, das ihm in Filobys Testament vorhergesagt wurde. Fünf Jahre lang ist der junge Engländer durch die geheimen Tore, welche die Welten miteinander verbinden, gereist, um dem Großen Spiel zu entrinnen, in dem er eine Hauptrolle spielen soll. Nun naht der Tag der Entscheidung und Edward findet sich in einem dichten Netz von Intrigen wieder. Doch er hat inzwischen die Regeln des Großen Spiels gelernt und er hält einige Überraschungen bereit – für seine Feinde und seine Freunde.

-»Lassen sie mich eines klarstellen: Wir tanzen und singen, dann setzt der Zauber ein, und wir finden uns auf Nebenan wieder? Läuft das so ab?«
»Genau so. Im einen Augenblick ist man in St. Gall, im nächsten auf dem Knoten in Olympus. Auf einem Rasen mit einer Hecke drumherum.«
Eher im Irrenhaus von Colney Hatch mit einer Zwangsjacke drumherum.-
IV – 19

Nach dem etwas schwächeren zweiten Teil war ich bereits auf alles gefasst, gerade weil auch Der Preis der Zukunft (Future Indefinite) ähnlich wie der zweite beginnt: Zwei Jahre sind nach dem Ende von Die Klippen des Heute (Present Tense), jetzt zieht D’ward durch Nebenan und predigt in aller Öffentlichkeit, er sei der prophezeite Befreier – was sowohl das Pantheon als auch Olympus nicht gerade begeistert. Wer jetzt aber erneut einen langwierigen (oder langweiligen) Blick auf die vergangenen zwei Jahre erwartet, den kann ich beruhigen: sie werden nur am Rand erwähnt, weil sie für die Geschichte auch nicht notwendig sind. Das Buch erzählt nun endlich die Geschichte von D’ward Befreier, von seinem Kampf gegen die sogenannten Götter und der Erfüllung des Filoby-Testaments. Und das gelingt dem Autor durchaus fesselnd und spannend. Besonders die liebevoll gestaltete Welt überrascht des öfteren, würde aber mehr Freude machen, wenn man mal eine Karte hätte.

Besonders gelungen sind die Verschmelzung der vielen Nebenhandlungen zu einer großen Rahmenhandlung – die unzähligen Schauplätze zu Beginn des Romans werden nach und nach zusammengeführt und ergeben wie ein großes Mosaik ein beeindruckendes Gesamtbild.
Auch bei den Charakteren gab sich der Autor Mühe: niemand bleibt platt, alle haben ihre Vergangenheit, niemand ist bloß böse oder gut. Und so fällt es nicht schwer, sich in sie hineinzuversetzen und mitzufiebern, wenn sie sich auf die gefährliche Reise nach Tharg begeben, um “dem Tod den Tod zu bringen”.
Und das Ende … wird natürlich nicht verraten, doch so viel darf ich sagen: spannend, überraschend, tragisch, aber auch wunderschön. Auf jeden Fall also eine lesenswerte Trilogie mit guten Ideen.

Cover von Der rote Löwe von Mária SzepesHans Burger, geboren im Jahr 1535, verläßt schon früh sein trostloses Elternhaus und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hausbursche in einem Gasthaus. Dort lernt er den Alchimisten Rochard kennen, der den wißbegierigen Jungen bei sich aufnimmt und ihn in die Wissenschaft der Weißen und Schwarzen Magie einweist.
Schon bald entdeckt Hans, daß sein Lehrmeister das Geheimnis des ewigen Lebens kennt, ein Elixier mit Namen “Der Rote Löwe”…

– Adam Cadmons Brief erreichte mich vor vielen Jahren im Sommer 1940 in jenem kleinen Haus, von dem außer einigen engen Freunden niemand etwas wußte. –

Mária Szepes ist eine wunderbare Erzählerin. Ihre Sprache ist kraftvoll, präzise und sehr plastisch, so daß der Leser die Beweggründe ihrer Charaktere, deren Emotionen und Beziehungen untereinander sehr gut nachvollziehen kann. Leider ist die Autorin nicht beim reinen Erzählen geblieben.

Der rote Löwe (A vörös oroszlan) ist in drei Teile gegliedert. Schon in den ersten beiden Teilen gibt es einige Abschnitte, in denen die Sprache sehr ins mystisch-esoterische abgleitet und die daher reichlich abgehoben wirken. Man könnte dies noch als Versuch der Autorin ansehen, eine Atmosphäre zu schaffen, die die Handlungsweise der Protagonisten verdeutlicht -zwar etwas störend, aber vertretbar. Am Anfang des dritten Teils wird aber unmißverständlich deutlich, daß Szepes nicht nur eine Geschichte erzählen will, sondern daß sie versucht, eine neue Religion, bzw. eine esoterische Weltanschauung zu etablieren. Und tatsächlich ist Mária Szepes die Gründerin einer esoterischen Schule. Der Leser merkt die Absicht und ist verstimmt, jedenfalls dann, wenn er Romane liest, um sich zu unterhalten und nicht, um indoktriniert zu werden. Die Autorin tritt stellenweise unverhüllt hinter ihren handelnden Personen hervor und propagiert plakativ ihre esoterische Philosophie. Dies vergällt einem völlig die Lust an einem ansonsten gut geschriebenen Roman und trägt auch die Schuld daran, daß das Ende äußerst unbefriedigend ist.
Ein Wort an den Verlag: Da man nicht von jedem Leser, der das Buch zufällig in die Hand bekommt, annehmen darf, daß er sich mit dem esoterisch/alchimistischen Fachvokabular auskennt und dazu noch so gut in Latein ist, daß er die lateinischen Wörter und Inschriften versteht, von denen hier die Rede ist, wäre ein Glossar am Ende des Buches angebracht.

Der Sand der Zeit von Piers AnthonyNorton verbringt einen Großteil seines Lebens außerhalb der Städte in Parks und geht den Menschen lieber aus dem Weg. Eines Tages erscheint ihm jedoch ein Geist, der ihm ein ungewöhnliches Angebot macht: Die frisch angetraute Braut des Geistes – Orlene – soll einen Nachkommen in die Welt setzen und Norton die Befruchtung übernehmen. Norton, zunächst wenig interessiert, stimmt jedoch zu, als er Orlene kennen lernt und sich in sie verliebt. Was zunächst mit einer glücklichen Zeit für die beiden beginnt, endet auf die schlimmstmögliche Weise und führt Norton direkt in seine Rolle als neuer Chronos, der sich rückwärts durch die Zeit bewegt.

Zu Der Sand der Zeit liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

Cover des Buches "Das schwarze Einhorn" von Terry BrooksDrei seltsame Träume schicken Ben Holiday, den König des magischen Landes Landover, und seine Freunde auf Reisen. Ben besucht seinen alten Partner Miles in Chicago, Questor, der Hofzauberer, holt die verschollenen Zauberbücher und die Sylphe Weide sucht das schwarze Einhorn, von dem Legenden schlechtes zu berichten wissen. Doch die Träume sind ein Trick von Meeks, dem bösen Hexenmeister. So gelingt es ihm mit dem König zurück nach Landover zu gelangen. Dort verzaubert er sich und Ben, so dass Meeks wie der König erscheint und Ben wie ein Fremder. Wird es Ben rechtzeitig gelingen, den Trick, mittels dessen Meeks ihm seine Macht nahm, durchschauen?

-Das schwarze Einhorn tauchte aus den Morgennebeln, fast als sei es aus ihnen entstanden, und blickte über das Königreich Landover.-
Prolog

Die Welt dieser Geschichte ist dieselbe wie in Ein Königreich zu verkaufen, nur konzentriert sich der Autor in Das schwarze Einhorn (The Black Unicorn) noch stärker auf den Handlungsablauf, so dass kaum Platz für Neues ist und ein paar alte Dinge nur noch erwähnt werden, aber selber keine Rolle mehr spielen, wie die Herren des Grünlandes und die Trolle. Mit Ausnahme von Weide und ihrem Vater dem Flussherren, werden die bekannten Figuren auch nicht weiter entwickelt.
Neu hinzu kommt die Erdmutter, welche die Hüterin des Landes ist; vom Konzept her ähnlich wie Tom Bombadil, nur nicht so gelungen, und Edgewood Dirk. Dirk ist eine Prismenkatze, ein mächtiges und undurchschaubares Elfenwesen, das viele andere nervös werden lässt. Er begleitet Ben auf seiner Suche nach sich selbst mit Ratschlägen, die zwar immer den Kern treffen, aber selten verständlich sind. Dirk ist der wahre Star der Geschichte, selten ist mir ein so sonderbarer Charakter untergekommen. Bis zum Schluss bleibt er unberechenbar.

Die Story ist eigentlich recht einfach: Weide sucht das Einhorn, während Ben Weide und seine verlorene Macht sucht. Dazu werden verschiedene Stationen besucht, z.B. der Flussherr, der Tiefe Schlund, etc. Aber man gewinnt dennoch nicht den Eindruck, dass hier alte Geschichten wieder aufgewärmt werden, denn die Stationen werden gut begründet miteinander verknüpft.
Die Geschichte erinnert von der Form her stark an eine klassische Detektiv-Geschichte: Ein Verbrechen wird begangen (Meeks stiehlt Landover) von einem Schurken mit persönlichem Motiv (Meeks will Macht). Der Detektiv und sein Sidekick (Ben Holiday und Edgewood Dirk) müssen eine Reihe von Indizien sammeln um das Verbrechen aufklären zu können. Es gibt am Ende sogar eine Aufklärungsszene, in der die kompletten Vorgänge noch einmal aufgerollt werden.

War der erste Band aufgrund seiner grotesken Situationen humorvoll, so versucht der Autor hier neben den grotesken Szenen mit Edgewood Dirk zusätzlich mittels gewollter Komik einige Szenen aufzulockern – was meiner Meinung nach nicht besonders gut gelingt, aber auch nicht sonderlich störend wirkt.
Lesen lässt sich der zweite Band unabhängig vom ersten da alle wichtigen Ereignisse kurz rekapituliert werden. Allerdings geht dann ein wichtiger Hinweis leider verloren und die Entwicklungen der Charaktere (Ben, Weide und der Flussherr) fallen weniger stark ins Gewicht.

Mit der Bewertung habe ich mich dieses mal sehr schwer getan; auf der einen Seite enthält die Geschichte einige hervorragende Elemente – sie ist sehr spannend, man fühlt sich zum miträtseln regelrecht gedrängt, Edgewood Dirk ist großartig und die Auflösung halte ich ebenfalls für gelungen. Dass die Charaktere keine besondere Tiefe entwickeln stört mich hier nicht sonderlich, da in Detektiv-Geschichten so etwas nur ablenkt. Aber die Geschichte läuft etwas zu reibungslos ab, einiges ist zu konventionell und sprachlich sind manche Dinge ungelenk (der Sprachstil der Erdmutter). Letztlich meine ich aber, dass die positiven Elemente gerade beim ersten Lesen deutlich überwiegen.

The Soul Consortium von Simon West-BulfordSalem Ben, der letzte Mensch im Universum, lebt alleine auf einem künstlichen Mond, wo jedes gelebte Leben als digitale Kopie archiviert liegt. Der Rest der Menschheit hat nach Millionen von Jahren eines sinnlos gewordenen Lebens den Freitod gewählt – der natürliche Tod wurde durch enorm fortschrittliche Technologien im Bereich des Klonens und synaptischer Übertragung besiegt -, nur Salem Ben fürchtet auch nach all der Langen Zeit das Ende und sucht eine Antwort auf die letzte aller Fragen, bevor er sich dem Tod stellen kann: gibt es ein Leben danach?
Um die Antwort zu finden, schlüpft er in verschiedene archivierte Leben. Doch was er statt der Antwort findet, ist eine bösartige Entität, die die Entstehung des Lebens zu redigieren gedenkt – Salem Ben ist das Einzige, was ihr dabei im Weg steht.

When I was a boy my smiling schoolteacher asked my class a very simple question:
»What is the one thing in this world that we can all know as an undeniable certainty?«
The students looked at each other, smirking as they whispered their sarcastic remarks, but the grins soon fell when she spoke again. Not because she had brought her palm down hard on her desk when she revealed the answer. It was tears in her eyes.
»One day every last one of you will die.«

Simon West-Bulfords Debütroman The Soul Consortium ist ein Roman, der unscheinbar beginnt und sich zu einem unerwartet spannenden Werk aufbaut, das einen, noch lange nachdem man das Buch beiseite gelegt hat, verfolgt. Nicht nur, dass es die am besten versteckten Knöpfe in einem drückt, es ist auch die Art von Science Fiction, die man oft hofft zu finden und doch selten bekommt.

The Soul Consortium erzählt vom Beginn der Zeit, vom Ende der Zeit, von Menschlichkeit, Liebe, Zerstörung, Wissenschaft und Philosophie, von der Entstehung des Lebens bis zum Ende des Universums … So vieles wird in diesem Roman thematisiert, dass man glauben könnte, es müsse erzählerisch etwas auf der Strecke bleiben. Doch der Autor hat ein perfektes Netz erschaffen, in dem jeder Faden sitzt, wo er hingehört. Um das Fazit also gleich vorweg zu nehmen: The Soul Consortium gehört dringend auf den Leseplan.

Schon zu Anfang werden Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit miteinander verknüpft. Der Leser bewegt sich in diesem Roman durch verschiedene Epochen der Menschheitsgeschichte. Von einer jungen Frau im Frankreich des 16.-17. Jahrhunderts über einen Serienkiller des 20. Jahrhunderts hin zur Herrscherin über das bekannte Universum in einer Zukunft soweit voraus, dass man es gar nicht mehr in Zahlen fassen kann. Alles wird durch die Augen von Salem Ben erlebt, der wiederum durch die Augen verstorbender Menschen sieht, in deren archivierte Dateien er auf seiner Suche immer wieder schlüpft. Das ganze Konzept des Soul Consortiums ist schon beinahe eine Liebeserklärung an die Metaebene und unheimlich schwer in Worte zu fassen, will man nicht die besten Entwicklungen vorab verraten.
Die Technologie ist entsprechend enorm weit fortgeschritten und gibt ihre Funktionsweise erst nach und nach Preis – so bleibt die Neugier bis zum Schluss erhalten, ohne ins Unerträgliche abzugleiten. Sie wird bereichert durch Dinge, die den Menschen von jeher antreiben. Vieles von dem, was in diesem Roman geschieht, krallt sich direkt in die eigene Seele, erschüttert einen, berührt einen, macht einen abwechselnd glücklich und traurig, wirft Fragen auf und spendet Hoffnung in der Ungewissheit. Gute Absichten erschaffen manchmal böse Dinge und umgekehrt muss man sich fragen, ist das Böse tatsächlich böse?

Die Charaktere in diesem Roman sind allesamt erfrischend glaubhaft und abwechslungsreich. Selbst die stoische KI vermag es noch, den Leser zu überraschen. Man fühlt mit den Figuren mit und lässt sich federleicht von ihnen durch die Episoden dieser Reise tragen. Neben Salem Ben, der ein besonnener Suchender ist, spielt die Entität Keitus Vita die zweite wichtige Rolle in The Soul Consortium. Sie bringt einen Hauch Fantasy in den Roman und jagt einem ab einem gewissen Punkt eine Form von Furcht ein, wie es nur diese ganz alten Horrorfilme beherrschen, die mit dem arbeiteten, was sich im Schatten abspielt. Man weiß, da schleicht etwas hinter einem her, doch jedes Mal, wenn man sich umdreht, entschlüpft es der Wahrnehmung. So ungefähr fühlt es sich an, Keitus Vita zu begegnen. Er kriecht zwischen den Zeilen herum und beobachtet dich. Das Lesen im Bett, kurz bevor man das Licht löschen wollte, wird plötzlich sehr unangenehm …

Bei all den tiefgreifenden und spannenden Ideen oder den physikalischen bis mathematischen Zusammenhängen schafft es der Autor außerdem, seine Worte so klar und mit bedacht zu wählen, dass jeder die Vorgänge problemlos versteht und doch nie die Intelligenz erwachsener Leser beleidigt wird. Chronologie und Setting sind ebenfalls sehr gut ausgearbeitet und enthalten pfiffige Kniffe. Man erlebt die Weite und Stille des Universums, die Größe all dessen, was uns umgibt, und wird sich der eigenen Winzigkeit in diesem kolossalen Getriebe bewusst.
Es ist schlicht beeindruckend, was der Autor hier in einem kleinen Verlag als Erstlingswerk abgeliefert hat und es bleibt an dieser Stelle nur zu sagen: jeder der dieses Buch verschmäht verpasst ein großartiges Leseerlebnis und einen frischen Blick auf das, wozu Science Fiction fernab von Laserschwertern, Warpantrieb und Co. fähig ist.

The Soul Weaver von Carol BergVier Jahre sind vergangen, seit Gerrick vor den drei Lords von Zhev’na gerettet wurde. Er lebt zusammen mit Seri in Leire, erholt sich aber nur sehr langsam von seinen traumatischen Erlebnissen. Karon dagegen ist in Gondai zurückgeblieben und führt sein Volk im Kampf gegen die Zhid. Nur selten hat er Zeit, Seri zu besuchen, und zu Gerrick findet er kaum einen Zugang.
Als endlich ein erfolgversprechender Plan gegen die Zhid geschmiedet wird, besucht Karon vor Freude überwältigt seine Familie. Kurze Zeit später läßt Verrat seine Pläne scheitern. Für Karon gibt es nur eine Antwort: Sein Sohn  ist immer noch an die finsteren Lords gebunden. Rachedürstig macht er sich nach Leire auf.

-My senses were deafened by Jayereth’s pain. Desperately I fought to maintain my control, to prevent her agony from confusing my purpose.-
Prologue: Karon

The Soul Weaver war ursprünglich als Abschlußband der D’Arnath-Reihe geplant, wird aber nun durch einen vierten Band fortgesetzt. Dennoch macht das Buch einen relativ runden Eindruck, und die meisten Handlungsstränge werden zum Abschluß gebracht.
Gegen die beiden mitreißenden Vorgänger fällt The Soul Weaver in einigen Bereichen leider ab. Im Mittelpunkt des Geschehens steht das turbulente und von Schicksalsschlägen getrübte Familienleben von Seri, Karon und Gerrick. Es gibt einige Schlüsselszenen der drei, die vor allem für diese mittlerweile wohlbekannten Charaktere viel zu pathetisch wirken. Seri ist zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn hin- und hergerissen und verliert dadurch unter anderem die Entschlossenheit, die sie in den Vorgängern als treibende Kraft der Handlung ausgezeichnet hat. Auch Karon und Gerrick wirken manchmal unglaubwürdig und machen Entwicklungen durch, die eher von der Handlung erzwungen als schlüssig erscheinen.
An anderer Stelle brilliert Carol Berg dagegen wieder mit ihrem Talent für stimmige Charaktere – sie braucht wichtige Nebenfiguren wie den wunderaren Ven’dar nur eine halbe Seite lang einzuführen, und schon haben sie Persönlichkeit und nehmen den Leser emotional mit.

Das titelgebende Konzept des Soul Weaver wurde nicht so sehr ausgereizt, wie man sich das vielleicht gewünscht hätte. Es sorgt zwar für spannende Szenen und Überraschungen, auch mittels der verschiedenen Erzählperspektiven, die die Autorin in diesem Band wieder geschickt kombiniert, bleibt aber an der Oberfläche des Möglichen, wohingegen andere magische Erscheinungen viel Raum einnehmen, ohne einen komplett durchdacht oder verständlich wirkenden Hintergrund zu bekommen.
Daß die Geschichte dennoch überzeugt, liegt unter anderen an den Kleinigkeiten: Nebenfiguren, die man einfach mögen muß, Einzelszenen, die ans Herz gehen, Reinigungsrituale, die Lust auf Baden machen. Da möchte man fast, aber nur fast, über die Schwächen hinweglesen, kann sich aber auch angesichts des angehängten Folgebands des Eindrucks nicht erwehren, daß in diesem dritten von vier nicht ganz dünnen Büchern etwas viel Lärm um nichts gemacht wurde.

Cover von Das Spiegellabyrinth von Frank BeddorVor zwölf Jahren gab es im Wunderland einen Bürgerkrieg, von dem sich das Land nur langsam erholt hat. Jetzt herrscht ein brüchiger Friede. Die Matriarchinnen der Familien Karo, Kreuz und Pik neiden Genevieve, der Königin aus der Herzdynastie, ihre Macht. Doch ihre größte Feindin entstammt der eigenen Familie, es ist Genevieves Schwester Redd. Prinzessin Alyss verschwendet keinen Gedanken an Krieg. Sie feiert heute ihren siebten Geburtstag. An der Parade, die ihr zu Ehren veranstaltet wird, findet sie keinen rechten Gefallen. Sie wartet sehnsüchtig auf die Heimkehr ihres Vaters. Er war zu König Arch von Grenzland gereist, um ihn für eine Allianz gegen Redd zu gewinnen, deren Truppen sich Berichten zufolge zum Angriff rüsten. König Nolan wird jeden Moment zurückerwartet, doch Alyss’ Vater kommt nicht nach Hause – niemals mehr. Redds Soldaten haben ihn und seine Männer niedergemetzelt. Danach stürmen sie den Palast, ermorden die Königin und jeden, dessen sie habhaft werden können. Mac Rehhut, der Leibwächter der Königin, packt Alyss und springt mit ihr in den Spiegel. Doch im Teich der Tränen werden die beiden getrennt. Mac Rehhut landet im Paris des Jahres 1895 und Prinzessin Alyss im viktorianischen London.

– Vor zwölf Jahren hatten scheußliche Massaker die Türschwelle eines jeden Wunderländers mit Blut besudelt.-
1.Teil

Ihr kennt doch sicher die Geschichte von Alice im Wunderland. Bestimmt habt Ihr irgendwann einmal das Buch von Lewis Carroll gelesen oder eine Verfilmung davon gesehen. Erinnert Ihr Euch an die Königin, die jeden, der ihr widersprach, umbringen lassen wollte, und die ständig “Kopf ab, Kopf ab” rief? Die war witzig, nicht??? Wenn Ihr das denkt, dann solltet Ihr einmal Alyss fragen, wie es war, als Redd mit ihrer Mordtruppe den Palast stürmte und jeden töten ließ, der sich ihr in den Weg stellte. Fragt sie, wie es war, als der grinsende Kater den Hauptmann der Palastgarde mit einem Prankenhieb zerfetzte. Ihr könnt versichert sein: Das war nicht witzig! Gott sei Dank blieb Alyss es erspart, mit ansehen zu müssen, wie ihre Tante Redd ihrer Mutter eigenhändig den Kopf abschlug.
Reverend Dodgson hat gewußt, wie es war, als er Alice’ Abenteuer unter der Erde schrieb, das Buch, das er später unter dem Pseudonym Lewis Carroll veröffentlichte und das unter dem Titel Alice im Wunderland weltberühmt wurde. Alyss hat ihm ihre wahre Geschichte erzählt, damals bei dem Ausflug, als sie als Adoptivtochter bei den Liddells lebte und “Alice” genannt wurde. Aber er hat ihr nicht geglaubt, er hat sogar ihren Namen falsch geschrieben, wie alle anderen in der realen Welt auch und er hat es vorgezogen, eine alberne Geschichte für Kinder daraus zu machen. Reverend Dodgson hat sich über Alyss lustig gemacht und sie hintergangen. Erst viel später hat ein anderer die wahre Geschichte von Alyss im Wunderland aufgeschrieben. Sein Name ist Frank Beddor und er hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert.
Alyss wahre Geschichte ist aufregend, blutig und nichts für schwache Nerven, doch sie ist auch voller Hoffnung, denn neben all den Grausamkeiten, die sie beschreibt, erzählt sie auch vom Sieg der Weißen Phantasie über das Böse. Spannend und atemberaubend schildert Beddor in Das Spiegellabyrinth (The Looking Glass Wars) den Kampf zwischen Alyss und ihren Getreuen und der abgrundtief bösen Redd und deren Verbündeten, aber er vermag auch die leisen Töne anzuschlagen. Er benötigt nur wenige Worte, um den Leser an der Traurigkeit des Leibwächters teilhaben zu lassen, wenn er über eine junge Frau schreibt, die die zu Redds Mordtruppe gehörenden Gläserne Augen abgeschlachtet haben: Mac hatte sie sehr gern gehabt. In diesen sechs Wörtern steckt eine ganze wunderbare Liebesgeschichte.

Die Figuren und Schauplätze aus Carrolls Romanen sind leicht wiederzuerkennen, aber dennoch anders, allen voran Alyss. Alyss ist hier im Wunderland zu Hause. Wie alle Frauen ihrer Familie kann sie mit Hilfe ihrer Phantasie Dinge erschaffen. Die Quelle aller Schaffenskraft ist der Herzkristall, ein riesiger Edelstein. Was in ihm aufgeht, regt in anderen Welten die Phantasie an. Alyss muß lernen, ihre Phantasie zu kontrollieren. Dabei hilft ihr der Hauslehrer Nanik Schneeweiß, dem Carroll als hektisches weißes Kaninchen ein zweifelhaftes Denkmal gesetzt hat. Der verrückte Hutmacher wird zum Modisten Mac Rehhut, Genevieves und Alyss’ Leibwächter, der über ein tödliches Waffenarsenal verfügt.
Die Cheshire-Katze ist Redds rechte Hand, ein grausamer und gnadenloser Killer mit neun Leben. Erleidet er eine tödliche Verletzung, schließt sich die Wunde, der Kater erhebt sich und mordet weiter. Redd hat ihn auf Alyss angesetzt.
Beddor vermischt aber nicht nur seine Fiktion mit der Carrolls, sondern er webt auch die Realität kunstvoll in seine Geschichte ein. Carrolls Roman ist tatsächlich entstanden, nachdem Reverend Dodgson mit der zehnjährigen Alice Liddell und ihren Schwestern einen Boots-Ausflug unternommen hatte. Alyss’ Situation bei den Liddells schildert Beddor sehr real. In dieser Familie wird sie zu Alice, einem normalen Mädchen, dem seine Phantasie von den Eltern ausgetrieben wird. In dem Maße, in dem Alice ihre Phantasie verliert und ihre Erinnerungen an das Wunderland verblassen, verringert sich auch die Hoffnung der Wunderländer auf die Befreiung von Redds Gewaltherrschaft durch Prinzessin Alyss. Es gibt auch Wunderländer, die sich mit der neuen Herrin arrangieren. Der Karobube wird zum widerwärtigen Opportunisten und löst im Leser den heftigen Wunsch aus, ihn bei zukünftigen Kartenspielen schnellstmöglich loszuwerden.
Unterdessen erhält Alice in der Realität einen Heiratsantrag von Prinz Leopold, einen Sohn Königin Viktorias. Das ist ein unglaublicher und einzigartiger gesellschaftlicher Aufstieg für ein Waisenkind von zweifelhafter Herkunft. Wenn der Leser anfängt ernsthaft zu überlegen, ob Alice Liddell tatsächlich einen Sohn Queen Victorias geheiratet hat, dann weiß er endgültig, daß ihn “die wahre Geschichte” der Alice im Wunderland in ihren Bann geschlagen hat.

Cover von Stadt der goldenen Schatten von Tad WilliamsIn den verschlammten Gräben der Westfront überkommen den britischen Soldaten Paul Jonas plötzlich seltsame Visionen von einer Frau in Gefangenschaft, die ihn in fremde Welten locken. Im Südafrika einer ferneren Zukunft kämpft die Universitätsdozentin Irene („Renie“) Sulaweyo nicht nur mit ihren prekären Familienverhältnissen, sondern auch um ihre Identität und vor allem um ihren jüngeren Bruder, dessen Geist nicht mehr aus der Cyberwelt zurückgekehrt ist. In den USA derselben Zukunft fühlt sich Orlando Gardiner um seinen wertvollen Onlinecharakter Thargor betrogen, der sein liebevoll entwickeltes Alter Ego darstellte. Um wiederzufinden, was sie verloren haben, begeben sich Renie und Orlando individuell tief in die virtuelle Realität.

-Paul Jonas seufzte. Er war fünfmal um den Baum herumgegangen, und das Ding machte keinerlei Anstalten, weniger unmöglich zu werden.- S. 18

Vielen wird Tad Williams vor allem aufgrund seines High-Fantasy-Zyklus Osten Ard bekannt sein – ob ihm mit Stadt der goldenen Schatten (City of Golden Shadow ) ein Cyberpunk-Roman gelingt?

Die Handlung dieses Auftaktbandes zum Otherland-Zyklus wird in drei parallel verlaufenden Handlungssträngen erzählt, die sich im Verlauf der Geschichte teilweise überkreuzen. Die Verschiedenheit der drei Protagonisten, was ihre jeweilige Zeitebene, aber auch ihren sozialen Kontext betrifft, bietet einen Vorgeschmack auf die Ideenvielfalt, die den Leser oder die Leserin in Stadt der goldenen Schatten erwartet. Mit der Südafrikanerin Renie Sulaweyo ist Tad Williams dabei eine tolle Figur gelungen, auch, weil die Kombination “farbig” und “weiblich” unter den Hauptfiguren in der Fantasy leider immer noch Seltenheitswert besitzt. Darüberhinaus bieten ihre zerrütteten Familienverhältnisse sowie das Zusammentreffen mit dem nicht weniger interessanten Sidekick !Xabbu, einem Buschmann, der es geschafft hat, akademische Ausbildung und die Traditionen seines Volkes zu vereinen, viele Möglichkeiten für das Thematisieren von Identität, Selbstfindung und damit Charakterentwicklung. Ähnlich verhält es sich mit dem spät hinzukommenden Strang um Orlando Gardiner, der aus ganz anderen Gründen eine tiefgreifende Persönlichkeitsentwicklung durchläuft.

Paul Jonas wirkt dagegen etwas blass, dafür punktet seine Geschichte mit dem, was diesen Roman so aufregend macht: der Weltenbau. Renies und Orlandos global vernetzte Welt mit ihren Science-Fiction- und Cyberpunk-Elementen ist schon spannend genug, zumal es Tad Williams versteht, mit kleinen Informationstupfern ein schönes Panorama zu liefern, in den Episoden der Virtual Reality und besonders in Pauls Handlungsstrang entfaltet der Autor jedoch eine beeindruckende Ideenvielfalt. Zwar werden die einzelnen Schauplätze teilweise nur episodisch und schlaglichtartig abgehandelt, trotzdem wirken sie sehr bunt und plastisch, was vor allem daran liegt, dass jede ihre eigenen Regeln und Normen hat. Dabei reicht die Bandbreite von fantasytypischen Mittelalterwelten bis hin zum steampunkigen Abenteuerromansetting, bei dem es Williams sogar gelingt, den kolonialen Gestus klassischer Abenteuerromane zu treffen.

Mit Stadt der goldenen Schatten ist Tad Williams ein wilder Genre-Mix gelungen, der zugleich ein beeindruckendes Beispiel für seinen Ideenreichtum darstellt. Durch die drei Handlungsstränge werden Längen, trotz der hohen Seitenzahl des Buches, großteils vermieden und wen das Buch fesselt, dem oder der rate ich den zweiten Band am Ende griffbereit zu haben. 😉

Cover von Susannah von Stephen KingMia hat im Körper der hochschwangeren Susannah die Flucht in das New York von 1977 ergriffen, und es gelingt Roland und seinen Gefährten Eddie, Jake und Callahan ihr durch die Tür in der Höhle zu folgen. Sie geraden in einen Hinterhalt und werden von Balazars Leuten überfallen, die es ebenfalls auf den dunklen Turm abgesehen haben. Nur mit Hilfe eines neuen Freundes gelingt ihnen die Flucht. In ihrer Verzweiflung beschließen sie, ihren Schöpfer (sic, Stephen King selbst) aufzusuchen, während Susannah in New York Rolands Sohn zur Welt bringen will.

-Auch wenn Geschichtenerzählen nicht meine Stärke ist, werde ich mein Bestes tun.-
11. Strophe (Der Schriftsteller)

Die Inhaltsbeschreibung klingt wirr? Ist aber so.
Was sich im Vorgänger Wolfsmond abzeichnete, wird traurige Realität. Der vollkommen unnötige Handlungsstrang um die bevorstehende Niederkunft von Susannah und die Geburt von Rolands Sohn wird zu einem ganzen Roman von x Seiten Stärke ausgewalzt. Der Grund dafür bleibt nebulös, und so sitzt Band VI des dunklen Turms zwischen allen Stühlen:
Um dem Epos die zusätzliche Facette eines Vater-Sohn-Konflikts à la Artussage zu verleihen, beschäftigt sich der Roman zu sehr mit Susannah und ihrem Alter Ego Mia Niemandstochter, und um die Hassliebe-Beziehung der beiden Frauen tiefer zu reflektieren, ist das ganze Grundkonzept einer Hetzjagd einfach zu atemlos. Obwohl Mias Verhalten durchaus verständlich sein mag (will sie doch letztendlich nur einmal Mutterfreuden genießen und ihr Kind im Arm halten), bleibt der ganze Charakter oberflächlich und damit bedeutungslos. Fast möchte man meinen, der ganze Roman ist nur entstanden, damit sich der Autor selbst unauffällig in die Geschichte reinschreiben kann. Man kann grundsätzlich geteilter Meinung über so einen deus ex machina sein, aber wenn die ganze Geschichte darüber hinaus wenig Aufregendes zu bieten hat, kann auch das nicht begeistern.
Letztlich bleibt die Geschichte trotz einiger netter Detail-Ideen und einer zugegeben originellen Kapitelstruktur Stückwerk. Negativ fällt vor allem auf, mit welch platten Anspielungen King auf den Artusmythos verweist (Mordred). Das wäre subtiler auch möglich gewesen.

The Long Earth von Terry PratchettEs passiert in einer Zeit, in der sich „Raum“ zu den rasant schwindenden Ressourcen gesellt: ein simpler Schaltkreis mit Kippschalter und Kartoffelbatterie eröffnet der Menschheit unerforschte, unendliche Weiten. Nach Westen und nach Osten hin erstrecken sich Paralleluniversen, die Dank des „Steppers“ jetzt nur einen Schritt entfernt sind, und die Menschheit macht sich auf, die unberührten Erden zu erforschen, zu bereisen, in Besitz zu nehmen. Doch nach dem ersten Raumtaumel formieren sich nicht nur Siedlertrecks, sondern auch Gruppen mit wirtschaftlichen, kriminellen, oder gänzlich undurchsichtigen Absichten …

 “This wasn’t Joshua’s world. None of it was his world. In fact, when you got right down to it, he didn’t have a world; he had all of them.
All of the Long Earth.”
– Chapter 2

Es ist ein Menschheitstraum, so alt wie die Reihenhaussiedlung und die Tokioer U-Bahn selbst: der Traum von Weite, von Einsamkeit, von einem Vorgarten bis zum Horizont. Die Fantasy- bzw. SF-Giganten Terry Pratchett und Stephen Baxter haben mit ihrem gemeinsamen Roman The Long Earth eine beeindruckende Version dieses Traumes vorgelegt.

Allen Parallelerden gemeinsam ist die Unberührtheit durch den Evolutionsjux Mensch, der sich nur auf der Heimaterde zu tummeln scheint. Alle anderen Erden sind ihre eigenen evolutionären Wege gegangen, und so trifft man zwar mitunter auf Lavakontinente, Diamantberge oder Ozeanwelten, aber nie auf einen Homo Sapiens, der seinerseits seinen Heimatplaneten an die Grenze des „Schutt und Asche“ brachte. Nahe liegt der Paradiesvergleich, folgt man Baxter und Pratchett in diese vor Leben vibrierenden Universen – Flora und Fauna gleichen einem Gabentisch, einer helfenden Hand, dem sinkenden Menschenschiff hingestreckt. Kein Wunder, dass sich auch bekuttete Gestalten auf die Suche nach dem Göttlichen begeben, oder bärtige Gesellen nach Klondike-2: in The Long Earth scheint jeder das zu finden, was er sucht.
Landflucht wird zur Raumflucht, und völlige Souveränität und Selbstbestimmtheit scheinen nur eine Kartoffelladung entfernt zu sein. Während also die Regierungen der Welt versuchen, Steuersysteme in Parallelwelten zu etablieren, während auf unserer Heimaterde die Wirtschaft zusammenbricht, tun sich Arzt und Schmied, Soziologieprofessor und Zimmermann zusammen, um auf der Erde 101.754 eine Kolonie zu gründen. Feuerfachen und Schlingen legen wird zur neuen-alten ars vivendi, und rotgolden versinkt die Sonne hinter den Weizenfeldern.

The Long Earth ist jedoch mehr als Eskapismuskitsch und Lagerfeuerromantik, denn auch wenn sich hundert neue Welten auftun: Verlierer gibt es überall. Vielleicht ist es ein evolutionärer Seitenhieb auf die zerstörerische Kraft des expandierenden Gehirns, doch nicht alle Erdbürger sind befähigt, den kleinen, interdimensionalen Schritt zu tun, der ewige Freiheit verheißt. 5 % der Bevölkerung, die sogenannten „Phobics“, können nicht aus eigener Kraft den Schritt in die anderen Welten tun; und ein Paradies, das einigen den Zugang verwehrt, wird sich vor Schlangen bald nicht mehr retten können.

Die zentrale Frage des Romans heißt also: wie weit würdest du gehen? Durch episodenhaft erzählte Einzelschicksale entzaubern Baxter und Pratchett behutsam die Paradiesgedanken, ohne sie dem Höllenschlund anheimfallen zu lassen. Eine Familie lebt glücklich in der 101754. Idylle – hat jedoch ihr Phobic-Kind auf Erde-1 zurückgelassen. Ein Entrepreneur versucht verzweifelt, die neuen Welten mit barer Münze zu erobern. Kann es Scheitern in einer Zeit der unendlichen Neuanfänge noch geben? Lassen sich Trauer, Krankheit und Verlust besser ertragen, wenn die Sicht unverbaut ist?

Für die Protagonisten des Romans ist die Frage – „Wie weit würdest du gehen“ – jedoch bedeutungslos: Joshua und Lobsang machen sich auf, um die Weite wissenschaftlich zu erkunden, um Grenzen (falls es diese gibt) immer weiter nach hinten zu verschieben. Die beiden Figuren geben ein äußerst pratchetteskes Paar ab: Joshua, ein junger Mann, der auch ohne Kartoffel ‘steppen’ kann, und Lobsang. Während die Paralleluniversen Baxters schöpferische Handschrift tragen, so atmet Lobsang Pratchett ein und aus. Lobsang: ehemaliger Fahrradreperateur aus Tibet, nun halb Geist, halb Maschine, der als erster Roboter das irdische Gericht davon überzeugt hat, menschlich zu sein. Lobsang ist nicht der heimliche Star des Romans: währen die Erden eine Bühne, er würde sie im Elvisanzug rocken. Sein Name ist Programm.
Während also die hyperintelligente, mit einem Humorchip versehene Mensch-Maschine den Leser freundlich bei der robotischen Hand nimmt, so ist die Charakterisierung Joshuas problematischer, und sein Problem kann als programmatisch für den Roman gesehen werden: die Figur scheint noch undefiniert, vage, nicht zu Ende gedacht. Und während Lobsang einen Geniestreich nach dem anderen aus dem Ärmel zaubert, um die Reise durch die unendlichen Welten zu bestehen, kommt man als Leser nicht umhin, zu bemerken, dass Pratchett und Baxter damit noch zurückhalten. Tatsächlich müssen ihre Ärmel zum Bersten gefüllt sein: Andeutungen, lose Enden, Vermutungen und Theorien tummeln sich wie Fische im unverseuchten, plastikfreien Wasser. Der Genius liegt hier im Setting, noch nicht im Detail. Umso klärender wird deshalb vermutlich die Lektüre des Folgebandes The Long War – dessen Titel nicht gerade subtil darauf hinweist, dass der Mensch auch noch dann einen Krieg beginnen kann, wenn er über Raum und Zeit verstreut ist. Eigentlich wollen wir doch alle nur schadstofffreie Gurken. Oder?

Die Kollaboration der beiden literarischen Giganten lädt also vor allem zum Träumen ein, zum Erkunden, zum Erforschen, Erschrecken und Ernüchtern. Wirklich erstaunlich ist jedoch, dass man für die Reise in unendliche Welten sogar auf die Kartoffelbatterie verzichten kann – hier reichen auch zwei Buchdeckel.

Three Parts Dead von Max GladstoneVierzig Jahre nach dem Krieg zwischen den alten Göttern und den gleichmächtigen Magiern gibt es nur noch wenige Städte, die von einer der alten Gottheiten regiert werden. Kos Everburning ist die Gottheit von Alt Coulumb und gerade dahingeschieden, als der Novize Abelard sein Gebet abhält. Mit dem unerwarteten Ableben des Gottes droht das von Götterkraft angetriebene Alt Coulumb nun beim nächsten Vollmond in sich zusammen zu fallen. Wen ruft man in so einem Fall? Die Thaumaturgen von Kelethres, Albrecht & Ao natürlich – um mit etwas Glück ein Fragment des Gottes wiederauferstehen zu lassen und die Stadt so vor dem sicheren Untergang zu bewahren.

– When the Hidden Schools threw Tara Abernathy out, she fell a thousand feet through wisps of cloud and woke to find herself alive, broken and bleeding, beside the Crack in the World. –
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Willkommen zu Three Parts Dead, der vermutlich besten Neuentdeckung des gesamten Jahres! Selten ist mir ein solch gelungenes Konzept untergekommen wie in diesem Roman von Autor Max Gladstone. Es beginnt mit einem schlüssigen Magiesystem: Menschen beten zu ihrer Gottheit, die Gottheit erhält dadurch Macht, die Gottheit nutzt die Macht, um das Leben der Menschen zu verbessern, indem z.B. für warme Häuser gesorgt wird oder für ein Verteidigungssystem der Stadt. Auf dieser Basis ist eine ganze Wirtschaft entstanden. Nicht-Anbeter können gegen eine Gebühr Verträge mit den Göttern abschließen. Sie gewinnen dadurch temporär etwas Macht von der Gottheit und zahlen sie gewinnbringend zurück. Das Ganze führt zu einem fantastisch ausgearbeiteten Weltenbau mit facettenreichen Charakteren. Als nun Kos Everburning stirbt, ist es die Aufgabe von Miss Kevarian und ihrer Auszubildenden Tara Abernathy, herauszufinden, wie es zum Tod von Kos kommen konnte, dessen Verträge auf den ersten Blick ausgeglichen aussehen – und doch führte irgendetwas zu einem Machtverlust, der schlagartig so groß war, dass es ihn das Leben gekostet hat. Die Basis dieses durchdachten Romans bildet die daraus resultierende Kriminalermittlung.

Der Roman spielt sich irgendwo in einer Parallelwelt ab in der die Menschen gelernt haben sich einer Magie zu bedienen, die den Göttern ebenbürtig ist. Zeitlich oder örtlich lässt sich die Welt nicht eindeutig zuordnen. Es gibt Elemente von Frühindustrie, epischer Fantasy, Gaslichtatmosphäre und ein teils vertrautes Rechtssystem wie vertraute Gottheiten. Das Stadtbild von Alt Coulumb kommt eindrucksvoll, lebendig und voller Gegensätze daher: ein moderner Club, im Aufbau Dantes sieben Stufen der Hölle nachempfunden, wird monolithischen Steinbauten gegenübergesetzt, die an die goldenen 20er Jahre oder Gotham City erinnern, fahrerlose Pferdekutschen fungieren als Taxis und verströmen einen Hauch von 19. Jhrd. und dann ist da noch das vermutlich coolste Polizeisystem seit Erfindung der Fantasy.
Seril, einst Göttin der Gerechtigkeit und Geliebte des Feuergottes Kos, starb vierzig Jahre zuvor im Krieg zwischen Göttern und Magiern. Ihre Macht wurde von einem Thaumaturgen gewandelt und so entstand »Justice« – ein transformiertes und wiederbelebtes Fragment der einstigen Göttin, das nun für Gesetz und Ordnung in Alt Coulumb sorgt. Justice wird von vielen freiwilligen Menschen verkörpert, die für die Dauer ihrer Arbeitsschicht zu sogenannten »Blacksuits« – einem Teil von Justice selbst – werden. In dieser Zeit werden die Blacksuits von dem kollektiven Geist geleitet, die persönlichen Emotionen verstummen, der Verstand wird ausschließlich auf das bestehende Recht ausgerichtet. Die Blacksuits gewinnen übermenschliche Kraft, sind nahezu unverwundbar und ihr äußeres Erscheinungsbild verändert sich zu einer monochromen Maske in der Masse nachtschwarzer Gestalten. Nachteile hat das System für die Blacksuits allerdings auch, denn die Zeit als Teil von Justice wirkt wie eine Droge auf die Freiwilligen und führt bei manchen zu Entzugserscheinungen. Wenn nichts anderes an diesem Roman interessant genug wäre, ihn zu lesen, so würde diese Personifizierung der Gerechtigkeit schon ausreichen, um das Ruder noch herumzureißen. Doch glücklicherweise gibt es mehr!

All das erfährt man als LeserIn schon auf den ersten Seiten, und doch stecken hierin ungleich viele Informationen, die es erst einmal zu verarbeiten gilt. Dies wird im Verlauf der Handlung durchaus nicht viel einfacher. Autor Max Gladstone fackelt in seinem Roman nicht lange mit Vorgeschichte und Aufbau von Hintergrundwissen. Er wirft seine Leserschaft einfach mitten ins Geschehen und lässt sie nach und nach das Puzzle dieser Welt zusammentragen. Für Schnellleser und jene, die einfach nur seichte Unterhaltung möchten, dürfte sich Three Parts Dead daher als Stolperfalle erweisen, denn hier ist ein eingeschaltetes Hirn und aufmerksames Lesen Pflicht, will man den Zusammenhängen folgen können. Das ist jedoch alles andere als negativ zu sehen. Dieses Buch ist tatsächlich erfrischend anders und sein Autor widersetzt sich mit Bravour dem Trend, das Denken für die Leserschaft zu übernehmen.

Auch die Charaktere lassen nichts zu wünschen übrig. Von der kleinsten Nebenfigur bis zur tragenden Hauptrolle böten alle Figuren dieses Romans genug Stoff für eine eigene Geschichte. Da gibt es den kettenrauchenden jungen Novizen Abelard, der gerade eine berechtigte Glaubenskrise durchmacht und dazu verdonnert wird, Tara Abernathy zur Hand zu gehen. Tara ist gerade erst von den Hidden Schools als Magierin graduiert und anschließend unsanft aus den Wolken gestoßen worden. Abelard ist eher der ruhige, etwas sensible und schüchterne Typ, Tara dagegen hat sich bereits ihre Narben verdient und ist sowohl schlagfertig als auch unkompliziert im Umgang mit anderen. Sie scheut sich nicht davor, jemandem das Gesicht zu stehlen, was durchaus blutig und wörtlich zu nehmen ist. Das Besondere an Tara ist außerdem, dass sie sich ihr Leben ausgesucht hat. Gerade bei weiblichen Charakteren ist es oft so, dass sie in ihre Rolle gedrängt wurden, Tara dagegen ist eine starke Persönlichkeit, die eine bestimmte Karriere anstrebt.
Neben diesen beiden Hauptfiguren gesellen sich noch eine ganze Menge weiterer hinzu, die mal prominenter, mal seltener in Erscheinung treten. Shale, der Gargoyle, Cat, die Vampirbiss-Abhängige, Raz, der Vampir-Pirat … Es ist gesellig und lebendig in Three Parts Dead.

Was die Lektüre zusätzlich zu etwas Besonderem macht, ist, dass hier auf ganz außergewöhnlich leichte Art und Weise sämtliche Klischees und Vorurteile umschifft werden. Sei es nun das Thema Rasse oder die allseits (un-)beliebten Genderrollen, in Max Gladstones Welt sind alle gleich. Hautfarben spielen in der Gesellschaft überhaupt keine Rolle und werden nur beiläufig als körperliches Merkmal genannt. Genderprobleme gibt es nicht. Männer denken im maskulinen Wortschatz, Frauen im femininen. Gibt es z.B. einen unbekannten Täter mit unbekanntem Geschlecht, so denkt Tara »die Täterin war vermutlich…« während ein männlicher Kollege mit »der Täter war vermutlich…« beginnt. Wer nun glaubt das müsse verwirrend sein, der täuscht. Es funktioniert völlig unproblematisch und ist wunderbar zu lesen.

Three Parts Dead ist ein absolut gelungener Roman. Er bietet eine große Vielfalt und komplexe Inhalte, die so nahtlos ineinandergreifen, dass der Roman auf eine fiktive Art realistisch wird. Er versucht nicht »historisch korrekt« zu sein, sondern logisch durchdacht, um in einem eindeutig als Alternativwelt erkennbaren Setting überzeugend zu werden.

Es gibt eine Fortsetzung (Two Serpents Rising), die im kommenden August erscheinen soll. Bisher scheint es aber nur eine Geschichte in der selben Welt mit anderen Charakteren zu sein. Ob dort auch bekannte Figuren auftauchen oder Aspekte der Handlung aus Three Parts Dead wieder aufgegriffen werden ist noch nicht bekannt. Three Parts Dead ist daher zunächst einmal als Einzelroman zu betrachten.

Cover des Buches "Through the looking glass" von Lewis CarollIm Spiel mit ihrem kleinen schwarzen Kätzchen vertieft, überlegt das Mädchen Alice sich, wie lustig es auf der anderen Seite des Spiegels wohl sein mag, und so geht sie durch diesen ins Spiegelhaus. Sich dort umschauend sieht sie, wie die Figuren des Schachspiels lebendig werden. Auch sonst ist einiges sonderbar, und Alice beschließt sich den Garten anzusehen, was ihr zunächst sehr schwer fällt, da die Wege vom Haus weg zum Haus hinführen. Erst nach einigen Anstrengungen kann sie dem Haus entkommen. Im Garten trifft sie auf die Schwarze Königin, die dem Mädchen erklärt, wie es vom Bauern zur Königin werden kann. Alice nimmt die Herausforderung an und beginnt eine höchst bizarre Reise…

-One thing was certain, that the white kitten had had nothing to do with it: – it was the black kitten’s fault entirely.-
Chapter 1 Looking-Glass House

Die Welt hinter dem Spiegel ist eine höchst eigenartige, verzerrte und verdrehte Variante des “realen” Englands des späten 19. Jh., auch wenn es nirgends explizit erwähnt wird, so schimmert doch das Britische überall durch.
Um ihr Ziel zu erreichen, muss Alice zur anderen Seite des Landes reisen, welches in schachbrettartige Felder unterteilt ist. Wobei es beim Überqueren der Feldergrenzen zu drastischen Veränderungen kommen kann – während sie im ersten Feld noch auf einer Wiese geht, sitzt sie nach dem Übergang plötzlich in einem fahrenden Zug und wird von einem Schaffner angeschnauzt.

Unterwegs trifft Alice auf äußerst bizarre Figuren; so unterhält sie sich mit sprechenden Blumen – einige sind hilfsbereit, andere sind besserwisserisch; sie lernt die Weiße Königin, eine etwas hilflos wirkende Dame, die in der Zeit rückwärts lebt, und die Schwarze Königin, die sich Alice gegenüber sehr ambivalent verhält, kennen; sie muss sich mit den aufgeblasenen Brüdern Tweedledum und Tweedledee auseinandersetzen, die Höflichkeit einfordern, aber selbst unhöflich sind; sie lässt sich vom eiförmigen Humpty Dumpty das Gedicht vom Jabberwocky erklären und vom tolpatschigen Weißen Ritter, der viele fragwürdige Erfindungen macht, gegen den Schwarzen Ritter, der die Kleine gefangen nehmen will, verteidigen.
Daneben trifft sie ein Schaf, das einen Kaufmannsladen führt, den Weißen König und seine Boten, den Löwen und das Einhorn und zahllose andere groteske Gestalten.

Das die Figuren irgendwie plausibel seien, wird niemand behaupten, denn sie verhalten sich dermaßen absurd, dass selbst die einfachsten Gespräche zur Herausforderung werden – die anderen akzeptieren kaum die alltäglichen Deutungen. Besonders deutlich wird dieses bei Redewendungen: Als Humpty Dumpty erklärt, dass er lieber Un-Geburtstagsgeschenke möge, bittet Alice mit “Beg your pardon?” um eine Erläuterung, doch ihr Gesprächspartner nimmt es wörtlich: “I’m not offended.” Dennoch sind die Figuren alle einzigartig, keine ist ein bloßes Klischee oder unausgereift.

Alice selbst ist genau sieben Jahre und sechs Monate alt, sie hat viel Phantasie und Abenteuerlust. Während sie in der “Realität” die Unvernünftige ist, wird sie in der Spiegelwelt scheinbar zur Vernünftigsten, gemessen an den normalen Maßstäben; gemessen an denen der anderen Welt ist sie auch hier unvernünftig. In der ganzen Geschichte ist sie die einzige plausible Figur, Carroll trifft die Eigenarten eines Kindes wieder sehr gut.

Der Plot an sich ist relativ nebensächlich: Um eine Königin zu werden muss Alice, die als Weißer Bauer startet, ins achte Feld und so macht sie sich auf die Reise. Der Schwerpunkt der Story liegt ganz deutlich auf den grotesken Begegnungen, die mal komisch sind (oder furchterregend, wenn man sie ernst nimmt) und mal zum Nachdenken über Sinn und Unsinn von Sprache und Gebräuchen anregen.
Dieses erreicht Carroll einerseits durch seine Wortspiele und andererseits durch die (alp-)traumhaften Wandlungssequenzen. Im Vergleich zum ersten Buch ist Through the Looking Glass (Alice hinter den Spiegeln) düsterer geraten; es fehlt zwar an einer Bedrohung, aber durch die schnellen Verwandlungen und abrupten Wechsel wird das gewohnte Kausalitätsgefüge noch stärker aufgebrochen.

Außerdem werden viele Gedichte und Lieder zum Besten gegeben, die durchaus gelungen und nicht bloßer Selbstzweck sind. Der geneigte Leser sollte einmal das Jabberwocky-Gedicht mit getragener Stimme vortragen; gerade die erste Strophe klingt sehr bedeutsam und bedeutet doch nichts. Das Lied vom Walross und Tischler, welche die Austern zum Picknick überreden und diese dann verspeisen, dient dazu, ein moralisches Dilemma aufzuwerfen: Wer ist schlimmer, das Walross, welches mehr Austern aß, aber den Tod der Austern betrauert, oder der Tischler, der weniger aß, aber soviel, wie er bekam? Das Gedicht regte Terry Gilliam (Monty Python) zum Film Jabberwocky an und auf das Lied bezieht sich Matt Damon als Loki in dem Film Dogma, als er der Nonne erklärt, warum er seinen Glauben verlor. Man sieht, auch der zweite Teil ist nicht ohne Wirkungsgeschichte.

Zum ersten Teil, Alice’s Adventures in Wonderland (Alice im Wunderland), gibt es allerdings nahezu keine Beziehung – Alice ist dieselbe, allerdings etwas selbstsicherer, und es gibt ein paar Andeutungen, so ist wohl Haigha der Hase und Hatta der Hutmacher der verrückten Teeparty.

Die Sprache ist wiederum unglaublich elegant und flüssig, allerdings nicht ganz so kunstvoll wie im Vorgänger. Außerdem wird es etwas schwieriger, da Carroll ungebräuchlichere Worte wählt. Dennoch sollte man sich nicht von der englischen Ausgabe abschrecken lassen.

Cover von Timeline von Michael CrichtonITC, eine Firma, die Anwendungen der Quantentechnologie entwickelt, sponsort archäologische Ausgrabungen an der Dordogne in Frankreich. Geleitet werden diese von einem amerikanischen Historikerteam, das die mittelalterlichen Gebäude rekronstruieren soll. Doch ITC weiß bereits bestens Bescheid, wie die Anlagen auszusehen haben, denn die Firma verfügt über Zeitmaschinen. Und bald findet sich eine Gruppe Geschichtsstudenten mit einem gefährlichen Auftrag mitten im Frankreich des Jahres 1357 wieder.

-Er hätte diese Abkürzung nie nehmen dürfen.-

Ich verstehe nicht viel von Quantenphysik oder mittelalterlicher Geschichte, aber dieser Roman macht einen gut recherchierten Eindruck auf mich (könnte an den sieben Seiten Bibliographie liegen). Gefallen hat mir die Darstellung des Lebens im Mittelalter – nicht als “statisch, grausam und rückständig”, sondern als “dynamisch” und “Zeit rasanter Entwicklungen”, wie Historiker inzwischen auch der Meinung sind (so der Autor).

Ansonsten hat mich Timeline aber eher zum Erbrechen gebracht (Entschuldigung). Als Fantasy-Leser ist man ja völlig unrealistischen Ausgangssituationen durchaus gewogen (also keine Kritik an Zeitreisen etc.), aber ich erwarte dann doch eine nachvollziehbare Entwicklung von Charakteren und Story. Beides ist hier leider nur unglaublich platt und klischeehaft dargestellt.
An Personen wäre da der gutaussehende Möchtegern-Frauenheld Chris, dessen Eltern zu Beginn seines Studiums tragischerweise starben, und dessen Professor (der, der aus der Vergangenheit gerettet werden muss) sich dann väterlich seiner annahm (nicht dass diese Infos, die bei Chris’ Einführung runtergerattert werden, später jemals auch nur irgendeine Rolle spielten!). Dann ist da der noch besser aussehende Dozent André, der am liebsten im Mittelalter leben würde und total gut mit Pfeil, Bogen und Breitschwert (das Wort “Breitschwert” kommt mir im ganzen Buch etwas zu oft vor. Es scheint im 14. Jh. keine anderen Schwerter zu geben) umgehen kann. Und was für ein glücklicher Zufall, dass die hübsche Kate passionierte Freeclimberin ist! Denn irgendwie muss sie enorm viel herumklettern.

Zur Story: natürlich geht alles schief, was schief gehen kann. Ereignisse und Personen (z.B. der “Grüne Ritter”) werden so konstruiert eingebaut, dass die Figuren ständig aufgehalten werden und die knapp bemessene Zeit (warum ausgerechnet exakt 37 Stunden?!) immer noch knapper wird. Außerdem finden auftretende Fragen oft genug keine Antwort, angefangene Handlungsstränge kein Ende, und scheinbar wichtige Details spielen später keine Rolle mehr. Und, achja, wir sind im Mittelalter! Also kann das größte Klischee gar nicht ausgelassen werden, so dass die Herren, kaum angekommen, auch schon an einem Ritterturnier teilnehmen müssen!
Na, so ist es auch kein Wunder, dass Hollywood das Ganze verfilmt hat. Platte Geschichte, gutaussehende Menschen ohne tieferen Charakter, Happyend – alles was ein guter Blockbuster braucht!

Cover von Tochter des Windes von Elizabeth HaydonDie ehemalige Prostituierte Rhapsody flieht vor einem gewalttätigen Freier. Sie trifft auf den Meuchelmörder Achmed und den monströsen Riesen Grunthor, die auf der Flucht vor einem Dämon sind. Die drei schließen sich zusammen. Um ihren Verfolgern zu entgehen, steigen sie in das Erdinnere hinab und geraten schließlich in eine andere Welt.

– Meridion setzte sich an den Zeit-Editor und fing an zu arbeiten. –
Meridion

Dieser Roman ist vom Anfang bis zum Ende eine sprachliche Katastrophe und eine Zumutung für den Leser. Der Erzählstil ist dem Sujet völlig unangemessen und selbst für eine Liebesschmonzette zu schwülstig. Die Sätze sind umständlich konstruiert und die Autorin benutzt häufig Wörter und Wendungen, die im Kontext der Erzählung anachronistisch sind. Die Dialoge sollen oft einen witzigen oder ironischen verbalen Schlagabtausch darstellen, sie wirken aber bemüht und sind unnatürlich. So spricht einfach kein Mensch. Hier verschiedene Kostproben der sprachlichen Verirrungen: Als zwei Protagonisten Sex haben, glaubt die Autorin dem Leser folgendes mitteilen zu müssen: »Wie lange sie sich liebten, war aus Mangel an Vergleich oder Anhaltspunkten weder für sie noch für ihn nachzuvollziehen.« Der gewalttätige Freier sagt zu Rhapsody: »Ich träume fast jede Nacht von dir, und ich weiß, dir ergeht es ähnlich in Bezug auf mich.« Und um die Gefahr zu verdeutlichen, in der sich die Helden befinden, wählt Haydon folgenden Vergleich: »Als sich ihre Blicke trafen, verzogen sich beider Mienen zu einem Lächeln, wie es wohl auch in den Gesichtern von Schiffbrüchigen geschrieben stand, die, an irgendeinem Schwimmkörper festgeklammert, im Wasser trieben.«

Inhaltlich ist der Roman genauso schlecht wie sprachlich: Ein bißchen Edda, ein wenig König Artus-Legende, eine Prise keltische Mythen, die Sage von Atlantis und viel Naturmagie, das sind die Quellen aus denen die Autorin die Geschichte hauptsächlich zusammengeschustert hat. Die Handlung, die auf 150 Seiten Platz finden würde, wird auf 765 Seiten breitgetreten und strotzt nur so vor Längen. Die Charaktere sind unglaubwürdig. Mit keinem der Protagonisten kann sich der Leser identifizieren, daher kommt auch keine Spannung auf. Wenn Haydon Spannung erzeugen will, läßt sie die Bösewichte sich an Kindern vergreifen. Diese Szenen sind aber nur widerlich und abstoßend. Das Buch bewegt sich sprachlich wie inhaltlich auf unterstem Niveau und ist nur für Hardcore-Romantiker unter den Fantasyfans einigermaßen erträglich, aber auch die sind mit anderen Büchern besser bedient.

Cover von Das Tor ins Gestern von Dave Duncan1914 in England: Edward Exeter ist eines grausamen und eigentlich unmöglichen Mordes angeklagt, er hat jedoch keine Erinnerung an die Vergangenheit. Es stellen sich ihm viele Fragen, vielleicht liegt die Antwort bei den Toren zu anderen Dimensionen, die sich plötzlich öffnen … auf “Nebenan”: Eleal Singer, das jüngste Mitglied einer Schauspieltruppe, wird von den Schergen einer korrupten Göttin gefangen genommen. Doch damit ist ihr Schicksal nicht besiegelt, denn ihr ist ein Treffen mit einem Mann aus einem weit entfernten Land angekündigt…

-Das große Spiel der Götter dauert schon Jahrhunderte an und erstreckt sich über alle Dimensionen in alle Welten: ein tödlicher Kampf, in dem skrupellose Zauberer ihre Kräfte messen….-

Nach längerer Zeit habe ich endlich wieder ein Fantasybuch zur Hand genommen und fand sofort wieder Gefallen an dem Genre. Die Geschichte von Eleal und Edward (oder D’ward, je nachdem, wo man gerade ist) liest sich spannend und fesselnd. Trotz einiger Schwierigkeiten am Anfang, besonders mit den Göttern und ihren Avataren, kommt man schnell in die Geschichte rein, nicht zuletzt dank der vorangestellten Glossare.
Besonders gelungen fand ich die Geschichte, die zu Beginn noch parallel jeweils auf der Erde und auf “Nebenan” verläuft und dann geschickt zusammengeführt wird. Allerdings muss der Leser auf manche Antworten lange warten. Wie Edward tastet er sich Stück für Stück in die Welt hinein und erfährt immer nur das Nötigste. Zum Glück erhält man am (offenen) Ende viele (nicht alle!) Antworten, die Lust machen auf den Fortsetzungsroman.

Der Autor gibt gut die Atmosphäre Englands kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges wieder – die Begeisterung der jungen Männer für den Krieg, Englands Kolonialpolitik und die gekünstelte, behütete Welt der Privatschulen werden überraschend genau dargestellt. Und auch bei “Nebenan” gab sich der Autor Mühe: ein ausgefeilter Götterkult ist nur eines von vielen Details, mit denen der Autor die Welt aufbaut. Leider vermisst man trotz aller Details eine Karte, was es dem Leser einfacher machen würde, dem Geschehen zu folgen.
Die Charaktere sind liebevoll gestaltet und glaubwürdig, was dem Roman zusätzlich lesenswert macht.
Im ersten Teil zeigt Duncan seine beste Seite und man kann nur hoffen, dass es auch so bleibt.

Der Turm von Stephen KingRoland Deschain, der letzte Revolvermann in einer Welt, die sich weiterbewegt hat, steht endlich vor dem Ziel seiner epischen Reise, dem Turm selbst, dem Zentrum aller Zeiten, der Mitte aller Welten. Die Gruppe seiner Gefährten ist auf schmerzliche Weise kleiner geworden, und Mordred und die bösen Kräfte des scharlachroten Königs setzen ein letztes Mal alles daran, Roland doch noch aufzuhalten.

-Und daher, meine lieben treuen Leser, sage ich euch Folgendes: Ihr könnt hier aufhören.-
Bär und Knochen

Das ist es also. Das Ende des Zyklus um den Dunklen Turm. Nach 16 Jahren (der erste Band erschien auf Deutsch 1988 als Schwarz) und den wildesten Abenteuern in diversen Welt- und Zeitebenen kommt die Gruppe (Ka-Tet) des Revolvermanns Roland an das von ihnen (und dem Leser) heiß ersehnte Ziel. Nach so vielen Jahren und mehreren tausend Seiten Handlung ist die Erwartungshaltung des Lesers so hoch wie die Seitenzahl. Kann ein Autor diesem Druck überhaupt standhalten? Ich habe mir gewünscht, dass King seiner Reihe einen würdigen Abschluss verleihen kann, ein Ende, das alle Handlungsstränge auflöst und den Leser zufrieden zurücklässt. Vor allem wünschte ich mir einen “Aha-Effekt”, etwas beispiellos Überraschendes: Was ist im Dunklen Turm? Was geschieht mit Roland, wenn er ihn erreicht? Was oder wer ist der scharlachrote König?
Um es kurz zu machen: Leider kann Stephen King keine der (hohen) Erwartungen erfüllen.

Eine Rezension ist unmöglich ohne Rückblick auf die vorherigen Bände, auch Spoiler lassen sich nicht ganz vermeiden. Wer den letzten Band selbst lesen möchte, sei an dieser Stelle gewarnt.
Der dunkle Turm ist für Stephen King eine Obsession. Spätestens gegen Ende von Band V und mehr noch in Band VI hatte ich den Eindruck, dass er den Zyklus zu einem Abschluss bringen und zugleich bis in alle Ewigkeit von einer Reise ohne Ziel erzählen wollte. Nun ist aber Band VII der Letzte, auf die eine oder andere Weise müssen jetzt also alle Handlungsstränge zusammengeführt werden. In einer so komplexen Geschichte wie dem Dunklen Turm ein ambitioniertes Vorhaben, und genau darin liegt das Problem:
Die schiere Unzahl an aufzulösenden Strängen führt dazu, dass King fast mechanisch die einzelnen Punkte (Personen, Orte, Dinge, etc.) abhakt, was zu regelrecht absurden Situationen führt, etwa wenn Rolands Nemesis, der über alle Bände als Oberschurke aufgebaute Walter O’Dim (auch bekannt als Randall Flagg) bereits im ersten Drittel des Buches von Rolands Sohn Mordred beiläufig getötet wird. Aber auch Mordred, um den sich immerhin fast der ganze Band VI dreht, wird reduziert auf wenige, nur noch sporadisch eingestreute Kapitel.

Dies hinterlässt ein schales Gefühl. Was soll ich davon halten, dass behutsam aufgebaute Elemente (u.a. die Schildkröte, die schwarze 13, Mordred, Walter O’Dim, u.v.m), denen hunderte von Seiten gewidmet waren, plötzlich als “unwichtig” gelten und Knall auf Fall aus der Geschichte befördert werden? Dass der Autor keine Lust mehr hatte, sich damit zu befassen und lieber auf den allerletzten Seiten völlig neue Bausteine (z.B. den Künstler Patrick Danville) erfindet, die nie zuvor auch nur erwähnt wurden und dann doch von entscheidender Bedeutung sind?
Stattdessen baut King sich selbst in immer stärkerem Maße in die Geschichte ein, was spätestens dann albern wird, wenn der Romanheld-King als Autor-King den Helden den entscheidenden Hinweis gibt, um einer drohenden Gefahr zu entrinnen. Diese Katalysatorfunktion ist weder amüsant noch aufregend, sondern selbstzweckhaft und arrogant.

Auf der positiven Seite bleiben einige großartige Szenen, die für einen King-Fan alleine den Kauf von Der Turm rechtfertigen, so z.B. Jakes Erstürmung des Nachtclubs gleich zu Beginn oder die Lebensgeschichte von Ted Brautigan mit anschließendem Angriff auf die Brecherunterkünfte gegen Mitte des Romans. Auch Kings einzigartige Fähigkeit zur Erschaffung noch so beiläufiger Nebenfiguren ist spürbar und sei an dieser Stelle erwähnt. Sprachlich aber fällt vor allem die zunehmend wirre Verklausulierung (Can-No-Rey, Dan-Tete, An-Tete, Und-noch-mehr-Tet) auf.

Vom Ende, dem Erreichen des Dunklen Turms selbst, will ich nur so viel verraten: Es ist verblüffend und doch fade. Vielleicht hätte es dem Epos besser gestanden, auf eine simple aber geradlinige Weise zu enden als eine pseudo-artifizielle Wendung zu nehmen. Mir scheint es bezeichnend, dass King vor dem letzten Kapitel davor warnt, das Ende seines eigenen Buches zu lesen. Und was ich immer noch nicht weiß: Was ist der scharlachrote König?
Der Turm bietet mit Abstrichen die ordentliche Unterhaltung, die ein King immer bietet, als Gesamtwerk (und auch als Abschluß seines vollmundig beworbenen Epos) ist er aber leider (um es mit Kings eigener Formulierung auszudrücken) nur ein Bumhug. Vielleicht war aber die Meßlatte von Band I-IV auch einfach zu hoch.

Two Serpents Rise von Max GladstoneDie Wüstenmetropole Dresediel Lex ist abhängig von Magie und der Kraft gefallener Götter, um den Durst der Stadt zu stillen. Als Dämonen im Wasserversorgungsreservoir auftauchen, muss Red King Consolidated – ein Unternehmen, das die Funktion der gefallenen Götter ersetzt – herausfinden, ob es sich um einen terroristischen Anschlag handelt oder um einen gewöhnlichen Konkurrenzkampf. Caleb Altemoc, Risk Manager bei RKC und Sohn des letzten Hohepriesters, wird beauftragt herauszufinden, was hinter dem verseuchten Wasser steckt. Was zunächst nach einem einfachen Fall klingt, wird plötzlich zu einer halsbrecherischen Jagd über den Dächern der Stadt.

– A carved black stone altar rose from the center of the roof, large enough to hold a reclining man, or woman, or child. From the iron fence around the altar hung a bronze plaque embossed with a list of dates an victims’ names. –
Book One, Cliff Running

Mit Two Serpents Rise reisen wir erneut in die Welt von Alt Coulumb – dem Handlungsschauplatz in Three Parts Dead – wenn auch nicht zu dessen Charakteren. Autor Max Gladstone bricht mit der gängigen Tradition der meisten Autoren und konzentriert sich in seiner Reihe nicht auf einzelne Figuren, sondern auf die Welt, die er erschaffen hat. In Two Serpents Rise lernen wir daher nicht nur neue Figuren kennen, sondern auch eine gänzlich andere Landschaft und andere Sitten, eben einen anderen Teil von Gladstones vage vertrauter Parallelwelt, die einem ebenso traditionell wie fortschrittlich erscheint.

Dresediel Lex, der Schauplatz dieses Romans, ist anders als Alt Coulumb: eine Stadt, die mitten in der Wüste von Göttern erschaffen und durch Menschenopfer am Leben erhalten wurde. Die beschriebene Architektur und die rituellen Opferungen, die bis zum Sturz der Götter an der Tagesordnung waren, erinnern stark an ein präkolumbisches Vorbild, so dass man als LeserIn unweigerlich die Maya im Sinn hat. Inzwischen sind die Götter abgelöst und Red King Consolidated hat das Sagen. RKC schließt nun als modernes Unternehmen die Lücke, welche die Götter unfreiwillig hinterlassen haben. Keine Menschenopfer, keine persönlichen Verluste mehr, damit die Stadt zu trinken bekommt, sondern moderne Technik und die Magie der Crafter. Man reist entweder per Bus durch die 17-Millionen-Metropole oder, wenn man über das nötige Kleingeld verfügt, per Opteran. Was ein Opteran ist? Ach, Entomologen werden jetzt glänzende Augen kriegen, denn der Opteran ist ein überdimensional großes Fluginsekt, das einst den Göttern diente und nach deren Fall von den Craftern dressiert und zum Flugtransporter umerzogen wurde. Wer es sich leisten kann, chartert also eines dieser langbeinigen Tierchen, lässt sich von ihm in sechs Arme bzw. Beine schließen und bequem über die Stadt fliegen. Es ist vermutlich eine ebenso geniale wie gruselige Idee, je nachdem, wie sypathisch einem die Krabbler sind …
Außerdem wird der (Welt-)Krieg zwischen Göttern und Menschen in diesem Roman zu einem weniger flüchtigen Ereignis, was im dritten Band Full Fathom Five hoffentlich noch weiter ausgebaut wird.

Die Charaktere in Two Serpents Rise haben auch wieder einiges zu bieten. Humor, Vielschichtigkeit, ernsthafte Gedanken, Ängste und mutige Entscheidungen. Egal ob männlich oder weiblich, die Figuren haben es in sich. Allen voran steht natürlich Hauptfigur Caleb Altemoc, der Sohn des letzten Eagle Knight, des letzten Hohepriesters der alten Götter. Ein junger Mann, dessen Körper von rituellen Narben übersät ist und der ein fester Anhänger der modernen Entwicklung ist. Während sich Vater Temoc auf der Flucht vor dem Gesetz befindet und immer mal wieder terroristische Anschläge gegen RKC verübt, hat sich Sohn Caleb also der modernen Entwicklung verschrieben und arbeitet noch dazu für RKC. Man kann also schon erahnen, dass das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein angespanntes ist, und auch die immer mal wieder auftauchenden Einblicke in Calebs Vergangenheit vergrößern die Kluft zwischen diesen beiden Menschen, die doch nicht ganz voneinander lassen können. Max Gladstone schafft es, auch in Two Serpents Rise wieder solide Charaktere zu erschaffen, die alle nicht ganz schwarz oder weiß sind. Als LeserIn wird man regelmäßig gezwungen, die eigene Perspektive zu überdenken und sich die Beweggründe und Argumente aller Parteien einzuverleiben. Es gibt keinen eindeutigen Feind in diesem Roman, so wie es keinen eindeutig guten Retter gibt. Alle Beteiligten agieren meist mit guten Absichten und haben nachvollziehbare Argumente, auch wenn manches Ergebnis zu Lasten anderer geht.
Die traditionellen Menschenopfer spielen eine große und wichtige Rolle in Two Serpents Rise, denn sie sind das Kernelement der Gesellschaft, auf der Dresediel Lex beruht. Durch den Wegfall der Götter entstehen spannende Konflikte in der Gemeinschaft und zwischen den vorgestellten Charakteren. Stärker noch als in Three Parts Dead macht der Autor in seinem zweiten Roman auf die sozialen und psychischen Folgen aufmerksam und wirft dabei interessante Fragen auf. Ist der Kapitalismus wirklich besser als das alte Blutopferverfahren, oder ist er letztlich nur eine andere, eine stillere Form des Menschenopfers?

Wer in Three Parts Dead aufgepasst hat, wird sich außerdem an die Erwähnung der unsterblichen Skelettkönige erinnern. Die wenigen Sätze, die ihnen in Three Parts Dead zugestanden wurden, zeichneten ein recht düsteres Bild dieser Kreaturen. Im zweiten Teil nun lernen wir einen dieser Skelettkönige, den Red King Kopil kennen, und man ist zunächst überrascht, wie menschlich er noch immer ist. Anfangs bleibt Kopil nur der Arbeitgeber, der mächtige Vorstand eines Unternehmens, das die Stadt am Leben hält. Gefürchtet von denen, die nur seinen Namen hören. Doch Max Gladstone haucht diesem Skelett nach und nach eine überraschende Vergangenheit ein, eine leidenschaftliche Überzeugung und eine Suche nach Gerechtigkeit. Es sammeln sich kleine Hinweise darauf, was Kopil dazu getrieben hat, sich gegen die Götter zu erheben und ihren Platz einzunehmen, und man fängt an, ihn nur zu gut zu verstehen.

Auch die weiblichen Heldinnen kommen selbstverständlich nicht zu kurz. Was an der Stelle wieder positiv auffällt, ist, wie wünschenswert alle Charaktere miteinander umgehen. Ob es nun um die sexuelle Orientierung geht oder Geschlechterrollen, irgendwie schafft es der Autor, alle ganz selbstverständlich miteinander leben zu lassen, ohne dass sie dabei unecht oder konstruiert wirken oder in traditionelle Klischees gesteckt werden.

Wem Three Parts Dead gefallen hat, dem ist auch Two Serpents Rise zu empfehlen. Zwar ist die sandige Atmosphäre ortsbedingt eine gänzlich andere, wirkt überschaubarer, weniger monolithisch, aber man ist doch eindeutig noch immer in derselben spannenden Welt.

Die Vampire von Kim NewmanDie Vampire ist ein Sammelband der die ersten drei Bücher aus Kim Newmans Reihe Anno Dracula zusammenfasst.
Schauplatz ist eine alternative Realität in der Graf Dracula überlebt hat und Vampire nicht länger im Schatten leben, sondern Teil der Gesellschaft geworden sind.

– Die Entbindung der vergangenen Nacht ging leichter als die anderen. Viel leichter als die der vergangenen Woche. Mit ein wenig mehr Übung und Geduld geht womöglich alles leichter. Wenn auch niemals leicht. Niemals … leicht. –
Im Nebel, Dr. Sewards Tagebuch

1. Buch: Anno Dracula
Es ist 1888 und Königin Victoria von England hat sich einen neuen Gemahl gewählt: den Grafen Dracula. Täglich wächst die Gemeinde der Vampire, mal mehr, mal weniger freiwillig und so spalten sich bald die Gruppen derer, die den Vampirismus begrüßen, und derer, die sich auf eine Rebellion vorbereiten. In diese sensiblen Situation einer Gesellschaft, die mit der Veränderung noch nicht ganz zurecht kommt, mischt sich nun auch ein Serienkiller ein, der es mit seinem Silbermesser auf Vampirhuren abgesehen hat.

Zu Anno Dracula liegt eine Rezension der Originalausgabe bei Bibliotheka Phantastika vor, dazu bitte hier entlang.

2. Buch: Der Rote Baron
Nach seiner Schreckensherrschaft über Großbrittanien und seiner Vertreibung vom Thron, hat sich Dracula nun mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. verbündet und entfesselt den Ersten Weltkrieg. Eine seiner wichtigsten Waffen dabei ist der untote Manfred Freiherr von Richthofen – der Rote Baron.

3. Buch: Dracula Cha Cha Cha
Es ist 1959 und wir befinden uns in Rom. Gerade ist Graf Dracula dabei seine sechste Frau zu heiraten, die Prinzessin Asa Vajda. Man vermutet hinter der Hochzeit einen erneuten Versuch Draculas sich eine Machtposition als Herrscher über Rumänien anzueignen.
Derweil reist die Journalistin Kate Reed nach Rom um ihren alten Freund Charles Beauregard und dessen Vampir-Partnerin Geneviève Dieudonné zu besuchen. Dabei stößt sie zufällig auf eine blutige Mordreihe an Vampirältesten, denen bereits 17 Vampire zum Opfer gefallen sind. Gemeinsam mit Geneviève, Hamish Bond und dem Paparazzi Marcello macht sie sich daran die Hintergründe aufzudecken.

Das vielfarbene Land von Julian MayDie Entdeckung eines nur in eine Richtung nutzbaren Portals in die Vergangenheit– genauer gesagt in die menschenleere Erde des Pliozän – sorgt zunächst für Aufregung in der Wissenschaftswelt, stellt sich aber schnell als völlig nutzlos heraus und wird beinahe vergessen. Doch dann entdecken es Menschen für sich, die mit dem in starren, hochzivilisierten Bahnen verlaufenden Leben im Galaktischen Milieu nicht mehr zufrieden sind. Sie treten eine Reise an, von der es keine Rückkehr gibt, und hoffen, im Pliozän das Leben zu finden, das sie sich erträumt haben. Doch es kommt anders.

-Das große Schiff quälte sich langsam in den Normalraum zurück, ein Beweis, daß es dem Tod tatsächlich nahe war.-
Prolog 1

Manche Bücher sind schwer zu empfehlen, weil ein großer Teil der Lesefreude dem Entdecken und der Spannung geschuldet ist und zu viele Informationen vorab das Vergnügen eher mindern als die Leselust wecken würden. Die Ausgangssituation in Julian Mays SF-Roman, der aufgrund seiner Struktur auch optimal für reine Fantasy-Leser geeignet ist, sollte aber genug sein, um das Interesse von LeserInnen zu wecken, die es auf die Seiten der Bibliotheka Phantastika verschlagen hat: Auf einer Einbahnstraße reisen Menschen aus einer im Grunde schönen Zukunftswelt zurück ins Pliozän, in eine Welt der Säbelzahnkatzen, Urstromtäler und hominiden Vorfahren des Menschen. Von den vorausgegangenen Reisenden hat man aufgrund der Natur des Zeitportals nie etwas gehört – niemand weiß, was die neuen Anwärter auf der anderen Seite erwartet. Sie gehen nach bestem Wissen und Gewissen ausgerüstet, um im Pliozän überleben zu können, haben Pläne und Agenden, und man begleitet sie auf eine Reise ins Ungewisse.

Aus diesem Stoff könnte man einen schlicht gestrickten Abenteuerroman machen, doch für Julian May ist die Wildnis des Pliozän lediglich die Kulisse, vor der ihre komplexen Figuren agieren. Sie sind es, die aus einem spannenden Roman, der durch faszinierende Ideen und einen temporeichen Plot besticht, eine herausragende Leseerfahrung machen. Wer aus der positiven, aber auf einen Normaltypus fixierten Zukunft fliehen und sich lieber mit Riesenwildschweinen als mit den Aliens des Galaktischen Milieus herumschlagen will, sind die Unangepassten, die Unglücklichen, die Übersättigten und die Unkooperativen. Jede der acht Hauptfiguren – eine recht hohe Anzahl, die die Autorin mit Bravour meistert – wird mit einer Momentaufnahme eingeführt, die auch Mosaiksteine liefert, aus denen man auf Mays Zukunftsvision schließen kann. Jede Figur hat Gründe und vor allem Hintergründe, die im weiteren Verlauf eine Rolle zu spielen haben, so dass zusätzlich zur Haupthandlung auch noch acht weitere interessante und erzählenswerte Geschichten eingeflochten sind. Vor allem die Frauenfiguren stechen hervor – Amerie, die altruistische Nonne in der Glaubenskrise, oder die psychopathische, aber nicht zwingend unsympathische Sportikone Felice, die als Pliozän-Kampfmaid eine zweite Karriere macht. Schon das Kennenlernen dieser in aller Kürze psychologisch ausgefeilt dargestellten Figuren ist spannend; sie später unter völlig veränderten Umständen agieren zu sehen, in einer Welt, die ihren Bedürfnissen oftmals mehr entspricht als ihre Herkunftswelt, ist ein Vergnügen.

Mit einem geschickten, stark in eine Einführungsphase in der Jetzt-Welt, eine in der Vergangenheit und die Reaktion darauf gegliederten Handlungsbogen hat Das vielfarbene Land (The Many-colored Land) durchweg Spannendes zu bieten. Im ersten Teil stehen noch Rätsel und Entdeckungen im Vordergrund, was auch auf der ganzen Länge dieses Auftaktbandes nie abreißt, später mündet die Erzählung in eine klassische Abenteuerstruktur, in der die zusammengeführten Handlungsstränge wieder (auch geographisch) getrennt werden, und im letzten Drittel erfährt man lediglich noch von den Fährnissen einer der beiden Gruppen.
Aufgrund der verschiedenen Figurenhintergründe bleibt der Blick auf die Pliozän-Welt stets vielschichtig und abwechslungsreich, je nachdem, ob man sie durch die Augen eines ermüdeten Paläontologen, eines verliebten Anthropologen, eines (nicht mehr) gelangweilten Taugenichts oder einer ehemaligen Gedankenheilerin betrachtet. Psi-Kräfte sind ohnehin ein zentrales Element der Handlung, bei dem sich May nicht nur sprachlich an den Vorreitern dieser Idee orientiert und eine interessante weitere Ebene der Interaktion eröffnet.
Nicht zuletzt tun auch die ungewöhnlichen, durchaus ambivalent gezeichneten Antagonisten das Ihre, um Das vielfarbene Land zu einer durchweg spannenden Lektüre zu machen.

Fantasy-Leser werden sich in dieser Geschichte nicht nur wegen der Ur-Welt des Pliozäns und der Questenstruktur wohlfühlen, in der Figurengruppen die Welt durchwandern, sondern vor allem wegen der Art, wie Julian May vom Prolog an wohlbekannte Fantasy-Elemente verarbeitet hat. Die Anspielungen auf die europäische, vor allem irisch-keltische Sagenwelt, auf Mythologie und Volksüberlieferung sind allgegenwärtig und so schlüssig in das Setting integriert, dass man garantiert einen neuen Blickwinkel auf die geläufigen Stoffe erhalten wird.
Es gibt Theorien, dass die Mythen der Menschheit ihren Ursprung in vorgeschichtlicher Zeit haben, auf überall ähnliche Erfahrungen zurückgehen und Reaktionen auf die Umwelt sind. Julian May hat unter dieser Prämisse einen Roman verfasst, der einen am liebsten vom Fleck weg daran glauben lassen würde und meilenweit entfernt von den üblichen Zeitreise-Abenteuern und Anderswelt-Entwürfen ist, auch wenn die Requisiten, die sie benutzt, aus diesem Repertoire stammen.

Cover des Buches "The War of the Flowers" von Tad Williams Theo, ein Sänger in einer unbekannten Rockband, lebt ein normales, wenn auch unspektakuläres Leben. Plötzlich jedoch taucht eine kleine Elfe auf und rettet ihm im letzten Moment das Leben vor einem Horrorwesen. Die Elfe Applecore bringt Theo nach Faerie, eine Märchenwelt, die aber entgegen unseren Erwartungen nichts Märchenhaftes hat, sondern ein verzerrtes Abbild unserer eigenen Welt ist. Faerie wird von schönen, lustigen aber auch schrecklichen Wesen bevölkert und von einer herrschsüchtigen Elfenrasse regiert.

-The shape of Faerie itself is even stranger than the nautilus plan of the city I call New Erewhon – for it is no shape at all. To accurately reflect the experience of traveling there, a map that land have to revolve like a child´s top or go through some other metamorphosis I cannot quite concieve, for Faerie simply will not lie flat an behave itself….-

The War of the Flowers (Der Blumenkrieg) ist eine Mischung aus Fantasy und Phantastik.
Der Plot ist zuerst in der realen Welt dieses Jahrhunderts angesiedelt, dann taucht der Leser mit der Hauptperson in Faerie ein, eine Märchenwelt, bevölkert mit allerlei märchenhaften, phantastischen, skurrilen und auch albtraumhaften Bewohnern, die den Leser auf den ersten Blick mit allerlei Anachronismen konfrontiert.
Der Einstieg in die Geschichte wird dem Leser einfach gemacht, da der Hauptcharakter Theo als ein ganz durchschnittlicher, ja gewöhnlicher Mensch beschrieben wird. Es ist daher ist leicht, gedanklich in seine Rolle zu schlüpfen, und man hat dabei sogar noch das gute Gefühl, es ein wenig besser zu haben als dieser Blumenzusteller und Musiker in einer unbekannten Rockband.
Der Autor beschreibt seine Figuren, insbesondere Theo, vielschichtig, plastisch und sehr umfangreich. Die Personen wirken in ihrem Charakter und Verhalten erfrischend natürlich und nicht konstruiert oder stereotyp.

Tad Williams ist ein Meister im Erschaffen und Beschreiben von phantastischen Elementen. Er stellt die Bewohner und Gesetze seiner Welt lebhaft und plastisch dar. Nicht selten muss man über besonders skurrile Erscheinungen schmunzeln, wie z. B. einen blinden Taxifahrer, der einem Pferd nicht ganz unähnlich ist und dessen Rasse oder Art sozusagen zum Chauffieren geboren ist, oder auch den “Remover of Inconvinient Obstacles”, dessen Titel schon allein ein Grinsen beim Leser provoziert. Williams schafft es, die Welt mit unterhaltsamen, lebendigen Figuren anzufüllen.
Wer durch die vielen Bezeichnungen von Wesen nicht durchblickt, dem wird im Anhang mit einer kurzen Erklärung von Personen, Wesen und Dingen geholfen.
So interessant Faerie auch ist, der Plot selbst geht teilweise nur schleppend voran und weist häufig Längen auf. Von Williams’ anderen Romanen Der Drachenbeinthron und Otherland mit vielen Handlungssträngen und ebenso vielseitigen Personen verwöhnt, muss der Leser sich in The War of the Flowers nur mit einem größerem Handlungsstrang begnügen. Theo muss folglich die ganze Geschichte tragen, aber leider bleibt er so gewöhnlich, wie anfangs beschrieben, und vollzieht keine charakterlichen Weiterentwicklungen. Die wenigen handelnden Nebenpersonen werden einigermaßen gelungen herausgearbeitet, sind aber genauso entwicklungsarm.
Tad Williams schafft es aber trotzdem, das Leseinteresse durch dichte Atmosphäre, Sprachwitz und ein paar kleine “Highlights” aufrecht zu erhalten.

Die Geschichte endet in einem sehr spannenden und mitreißenden Höhepunkt und gibt dem Leser letztlich das versöhnliche Gefühl, es habe gar keine Längen gegeben. Der Plot wurde von Williams sorgsam durchdacht und ist abgerundet.

Der widerspenstige PlanetIch traf Helden, Schizophrene, Selbstmörder, Alien-Jäger, Menschen-Jäger, Roboter und (mein persönlicher Held) einen Kalkstein, der auf einem Planeten in der Unwahrscheinlichkeitsschlaufe seit Anbeginn der Welt – seit 300 Jahren – eine „melancholische, leicht sehnsuchtsvolle Schnulze“ singt. Yeah, Baby. Willkommen auf dem widerspenstigen Planeten Robert Sheckleys.

“Probe, eins, zwei, drei”, sagte Upmann. “Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?”
“Sie sagten, ‘Probe, eins, zwei, drei'”, erwiderte Detringer und ein Seufzen der Erleichterung ging durch die Reihen der Umstehenden, denn die ersten Worte eines Menschen zu einem Extraterrestrier waren endlich gesprochen. –
Ein erster Kontakt, S. 635

Das gewaltige Œuvre des US-amerikanischen Sciene-Fiction-Schriftstellers Robert Sheckley umfasst hunderte Kurzgeschichten sowie einige Romane und sticht durch seine visionär-humorvolle Schreibe aus der Masse hervor. Der Kurzgeschichtenband Der widerspenstige Planet versammelt chronologisch geordnete 16 Geschichten aus dem Jahren 1953 bis 1974.
Der satirische, ironische Unterton und die keineswegs dazu gegenläufige Thematisierung des Sterbens ziehen sich wie ein roter Faden durch den Band. Sheckleys Figuren verkriechen sich zum Sterben oder suchen den heroischen Tod auf einer Hetzjagd; sie inszenieren ihr Ableben im Fernsehen oder finden ganz grundlos den Tod – das Ende des Lebens ist in vielen Geschichten der Dreh- und Angel-, aber nicht unbedingt der Endpunkt. Im Gegenteil: mit einem (zugegebenermaßen kostspieligen) Vertrag mit der Jenseits-Corporation ist der Tod erst der Anfang.
Wer Schwermut erwartet, wird dennoch enttäuscht werden. Sheckley ist bissig, böse und überzeichnet unsere Realität in einer Weise, dass es mitunter weh tut  – denn die Wahrheit zu hören schmerzt bekanntlich –, doch Sheckleys Hang zu Absurditäten, gemischt mit seiner Pointierungskunst machen die Geschichten zu einem ungetrübten Lesevergnügen. Erst in den letzten beiden Geschichten – Ein erster Kontakt und Endstation Zukunft – bricht Sheckleys Humor aus seiner gekonnten Hintergründigkeit aus und weicht einem Witz, der den Leser lauthals lachen lässt. Der geneigte Leser ahnt es schon: auf den singenden Kalkstein trifft man in einer dieser Geschichten. Und gemäß dem Credo von Brian W. Aldiss – „Einmal im Leben sollte jeder eine Robert-Sheckley-Geschichte gelesen haben!“ – möchte ich an dieser Stelle einige aus dem Geschichtenband Der widerspenstige Planet vorstellen. Wer sich das Buch nicht kaufen möchte, dem sei geraten, sich in einer Buchhandlung den Band aus dem Regal zu nehmen und wenigstens eine der im folgenden vorgestellten Geschichten zu lesen – die Kürze erlaubt es, die Qualität verlangt es!

Fütterungszeit, die erste Geschichte im Sammelband, bereitet den Leser in aller Kürze auf Sheckleys literarisches Vorgehen vor, doch schon der zweite Streich – Das siebte Opfer – überwältigt mit seiner skurrilen, dabei aber nicht abwegigen Handlung und thematisiert den unbändigen Drang des Menschen nach Nervenkitzel und dem letzten Kick, den der Protagonist der Erzählung freilich nicht als solchen, sondern als nötiges Aggressionsventil begreift. Verfilmt wurde die Erzählung 1965 von Elio Petri mit dem Titel Das zehnte Opfer – eine unfreiwillig komische Titeländerung, da für einen Film sieben Mordopfer scheinbar nicht ausreichen.
Die Geschichte Spezialist stellt als erste ein extraterrestrisches Wesen in den Mittelpunkt. Geschildert wird die Geschichte aus den, nun, Sinnensorganen von mehreren hochspezialisierten Wesen, die zusammen ein organisches Raumschiff bilden und das Weltall durchpflügen. Während die Wände mit ihrem ungezügelten Alkoholkonsum die Moral der Gruppe ins Wanken bringen, droht schon bald dem ganzen Schiff Gefahr: sie müssen sich in ihrer Not auf das wohl unspezialisierteste Wesen verlassen, welches sich im Universum die Ehre gibt: den Menschen.
Scharfzüngig spielt der Autor mit der anthropologischen Betrachtungsweise des unspezialisierten Menschen und verleiht zugleich den ungemein fremd anmutenden, außerirdischen Wesen bemitleidenswert menschliche Züge. Eine ähnliche Grundidee verfolgt Sheckley auch in seiner Geschichte Pfadfinderspiele, die den Menschen einmal mehr zum Gejagten werden lässt. Auch in dieser Geschichte beweist der Autor, dass er nicht nur ein begnadeter Phantast ist, sondern auch ein Menschenkenner: in allen Erzählungen begegnen uns Wesen – Menschen wie Außerirdische –, die wir meinen, gut zu kennen. Sie ähneln unseren Nachbarn, fernen Bekannten, guten Freunden und zuletzt auch uns selbst. In ihren Dia- und Monologen erscheinen sie arrogant, verängstigt, furchtlos, tollkühn, kurz: zutiefst menschlich. In dieser Hinsicht gleichen Sheckleys Erzählungen einem Spiegel, in dem wir uns, trotz Tentakel oder einer Vielzahl an Augen, selbst erkennen.
Utopia mit kleinen Fehlern
führt einen selbsterklärenden Titel. In der Geschichte spielt Sheckley gewohnt brillant-boshaft mit den scheinbar naiven Wünschen nach einer besseren Welt, die uns allen in Momenten der Resignation nicht fremd sind. Ein Staat ohne Arbeitslosigkeit, ohne Schulden, ohne Verbrechen – in Utopia ist all das bittere Realität.

Der hier vorgestellte Kurzgeschichtenband enthält zudem den Roman Die Jenseits-Corporation (auch erschienen unter dem Titel Lebensgeister GmbH), der all das bietet, was ein Science-Fiction-Roman so braucht: eine Femme fatale, Zombiehorden, eine dubiose, intransparente Firma, eine ordentliche Spannungskurve und eine beschwingte Prise Gesellschaftskritik. Herausragend wird dieser scheinbar nach Schema F gestrickte Roman durch seine intelligente Verkehrung gewohnter Motive, die Sheckley konsequent, aber nie langweilig anwendet.

Und schließlich: Der erste Kontakt. Die vorletzte Kurzgeschichte im vorliegenden Band schlägt, wie bereits erwähnt, eine völlig neue Saite an Sheckleys literarischem Instrument an. Nicht minder beißend, aber mit unverhohlenem Humor treibt die Geschichte von einem gestrandeten außerirdischen Exilanten mit seinem loyalen Haushaltsroboter, der zufällig das erste Alien ist, auf den die Menschheit trifft und von Journalisten der Zeitungen Chic!, Weltmoden und  New York Times interviewt wird, dem Leser die Lachtränen in die Augen. Ebenso wie Endstation Zukunft, die Geschichte eines missglückten und deshalb glückenden Versuches, eine Zeitmaschine zu bauen. In dieser Erzählung löst Sheckley auch eines der letzten mathematischen Rätsel der Menscheit – die Transformation von Äpfeln in Apfelsinen:

Geschmack
+ √Farbe (Samen)^2
Aroma

Wenn Sie noch weitere Fragen haben, lösen Sie einfach ein Ticket zum Widerspenstigen Planeten. Guten Flug!

Cover von Wolfsmond von Stephen KingRoland von Gilead ist in Mittwelt noch immer auf der Suche nach dem magischen dunklen Turm. Mit seinen Gefährten gelangt er in den kleinen Ort Calla Bryn Sturgis, wo den Farmern auffallend häufig Zwillinge geboren werden. Doch seit Generationen überfallen Wolfsreiter das Dorf und rauben jeweils einen der Zwillinge. Wenn das Kind dann zurückkehrt, ist es geistig behindert. Als Andy, der Boten-Roboter, erneut einen Überfall angekündigt, erklären sich Roland und seine Freunde bereit, den hilflosen Farmern beizustehen. Dabei entdecken sie in einer Höhle des Dorfes eine geheimnisvolle Tür, die sich als Verbindung zur Erde und zu anderen Welten entpuppt. Die Freunde nutzen die Tür, um im New York des Jahres 1977 eine Rettungsaktion zu unternehmen …

-Hier in der Calla ernten die Wölfe Kleinkinder.-
Kapitel 5 (Die Versammlung der Folken)

Offensichtlich war Stephen King beim Schreiben dieses Buches gedanklich noch stark dem Vorgängerroman verhaftet, spielt die Handlung doch größtenteils abermals in einer an den Wilden Westen gemahnenden Umgebung. Das ist auch der größte Pluspunkt des Buches, denn damit kann King einen Großteil der Atmosphäre von Glas nach Wolfsmond (Wolves of Calla) hinüberretten. Nur vordergründig geht es um den Kampf Gut gegen Böse, auf einer tiefer liegenden Ebene behandelt King aber wiederum ein Grundproblem der menschlichen Gesellschaft. Ging es in Glas darum, ob die eigenen Prinzipien schwerer wiegen als ein geliebter Mensch, geht es in Wolfsmond um die Frage, wie man mit einer Entscheidung umgehen muss, bei der beide Auswahlalternativen schlecht sind.
Im Falle der Bewohner der Calla Bryn Sturgis bedeutet das: Sollen sie sich für die vermeintlich “sichere” Variante entscheiden und ein Kind für die Sicherheit aller opfern oder kämpfen und den Tod aller riskieren? Darf man so eine Entscheidung überhaupt über den Kopf der Betroffenen (nämlich der zu opfernden Kinder) hinweg treffen?
Das daraus resultierende moralische Dilemma der Hauptpersonen nimmt den größten Teil des Buches ein, was der Geschichte sehr viel Realitätsnähe verleiht und die Ausweglosigkeit der handelnden Personen spürbar macht. King ist eben immer dann am stärksten gewesen, wenn er weniger auf äußere denn auf innere Spannung setzt.
Die Glaubwürdigkeit der inneren Konflikte schließlich bereitet auch den Nährboden für das furiose Finale, das auch in seiner Konsequenz und Schonungslosigkeit dem von Glas kaum nachsteht.
Problematisch dagegen ist die im Laufe des Romans immer mehr in den Vordergrund rückende Schwangerschaft von Susannah. Zum einen kommt dieser neue Handlungsstrang recht unvermittelt und wirkt dadurch irgendwie gekünstelt, zum anderen lenkt sie stark von der eigentlichen Handlung ab. Richtiggehend störend wird der neue Faden zum Schluss des Romans, denn der folgende Cliffhanger hinterlässt den Leser frustriert und ratlos, was den großartigen Showdown des Romans konterkariert und entwertet.
Darüber hinaus total daneben: Die unfreiwillig komischen Gegenwartsbezüge (z.B. die Schnatz-Handgranate Marke “Harry Potter”).
Die Handlung erinnert übrigens nicht von ungefähr an den Filmklassiker Die glorreichen Sieben (seinerseits ein Plagiat des genialen Kurosawa-Streifens Die sieben Samurai), vielmehr stellt sie eine liebevolle Hommage dar an diese Meilensteine der Filmgeschichte, was ganz deutlich am Schauplatz der Geschichte abzulesen ist: Calla BRYN (Yul Brynner ist der Hauptdarsteller in Die glorreichen Sieben) STURGIS (John Sturges der Regisseur).

Das Wörterbuch des Viktor Vau von Gerd RuebenstrunkEinige hundert Jahre in der Zukunft: Viktor Vau, Professor der Linguistik und Hobbypsychiater, forscht an einer perfekten Sprache, wie es einst schon Leibniz tat. Mit ihrer Hilfe möchte er Ordnung in das Chaos der Gedankenwelt von Schizophrenie-Patienten bringen, doch bald stellt sich heraus: Vaus perfekte Sprache wird die ganze Welt verändern. Doch diese Gefahr – oder dieses Potential – bleibt nicht unbemerkt. Es dauert nicht lange, bis ein erbitterter Kampf um Vaus Lebenswerk entbrennt, an dem sich Geheimdienste, Agenten und Rebellen gleichermaßen beteiligen.

-Die Welt ist eine Glaskugel.
Jede Sekunde machen Satellitenkameras, Radiowellenempfänger, Überwachungssensoren, Mikrofone und Messstationen das Unsichtbare sichtbar.-
(u: Ankunft)

Eines vornweg: der Klappentext lügt. Das Wörterbuch des Viktor Vau ist mitnichten das „gefährlichste Buch, das Sie je in den Händen halten werden“. Es ist weder das beste aller Bücher, welches alle vorher geschriebenen Bücher hinfällig werden lässt, noch ist es das schlechteste je geschriebene Buch, welches den Verstand zur bedingungslosen Kapitulation zwingt. Es geht keinerlei Gefahr davon aus – es sei denn, man ist angehender Linguist.

Doch beginnen sollte ich lieber am Anfang, denn der ist gut. Hinter der Notizbucheinbandfassade wartet eine zukünftige Welt; die Handlung beginnt in einem fiktiven Überwachungsstaat auf dem afrikanischen Kontinent. Ein unbekanntes Flugobjekt stürzt ins Meer, und dann nimmt die Handlung an Fahrt auf. Unzählige Charaktere werden mit einer ein- bis zweiseitigen Hintergrundgeschichte eingeführt, sind wichtig und verschwinden wieder im Strom der anonymen Masse. Das funktioniert zu Beginn gut, da das Setting außergewöhnlich genug ist, um darüber hinweg zu faszinieren. Und die Idee, einen Linguisten zum (gewünschten Anti-)Helden einer Geschichte zu küren und sich darüber hinaus im Rahmen eines Science-Fiction-Romans mit Plansprachen und perfekten Sprachen auseinanderzusetzen, wird dem Buch immer einen Platz in meinem Herzen sichern.
Doch genug der Sentimentalitäten: was als Idee sehr gut und kreativ ist, kann auf dem Papier noch zehn Mal scheitern. Die Handlung ist bestenfalls als konstruiert zu bezeichnen; der Kunstgriff, alle flüchtig erwähnten Figuren in einem gordischen Handlungsknoten zusammenzuführen, eher als misslungen. Hinzu kommt, dass ausnahmslos alles im Roman handlungsrelevant ist. Es gibt keinen Satz, keine Zeile, die auf dichterische Art und Weise an die Idee des Erzählens und Ausschmückens verschwendet wäre. Durch die fehlenden Wörterpuffer prallt eine Handlung an die Nächste, und dies verkettet sich zu einem nicht atem-, sondern seltsam spannungslosen Reigen an Explosionen, subversiven Treffen und Nervenzusammenbrüchen. Krönung des Handlungspotpourris ist der Ausflug in die Thrillerecke: völlig unmotiviert mordet ein Mörder vor sich hin – immerhin: hier findet eine Ausschmückung der Szenen statt –, doch der Ratlosigkeit des mürrischen Cops kann man sich leider nicht anschließen.

Die herausragende Unglaubwürdigkeit sowie Voraussehbarkeit der Handlung ist umso bedauerlicher, da Ruebenstrunk, wie erwähnt, äußerst gute Ansätze liefert. Die Idee hinter den ‘Stimmen im Kopf’ ist einfallsreich und clever gelöst, viele Details der Welt bieten Potential für richtig gute Geschichten. Doch neben der Handlung fallen auch die Charaktere negativ ins Gewicht. Enrique, der getriebene Mysteriöse, der in dieser Phase seines Lebens „keinerlei Interesse“ an Frauen hat, setzt sich zuerst mit diesem Fakt auseinander, während er drei Absätze später eine Schlägerei riskiert, um einer Frau „mit ungewöhnlicher Schönheit“ beizustehen. Dies, liebe Leser, ist Wandlungsfähigkeit in ihrer reinsten Form – doch gerade diese Eigenschaft führt den speziellen Charakter ad absurdum! Dass Enrique sich in diese Frau verliebt, ist danach noch reine Formsache.
Professor Vau ist das farblose Abziehbild des irr-nervigen, aber dadurch liebenswerten Wissenschaftlers, sein einziger Charakterzug die Verschrobenheit. Dass eine große Geisteskapazität jedoch die Emotionen und charakterlichen Ausprägungen auf ein Minimum schrumpfen lässt, widerlegen die Lebensgeschichten von Feynmann, Einstein oder Newton u.v.m. eindrucksvoll. Vaus Typ ist kein Anachronismus, es hat ihn nie gegeben.

Kommen wir zur oben erwähnten Warnung. Viktor Vau, seines Zeichens brillanter Neurolinguist, fachsimpelt über die „Babysprache, die von Fachleuten als Prosodie bezeichnet wird“ (sic!). Nun ist es gut möglich, dass sich in 500 Jahren die Definitionen für verschiedene Begriffe geändert haben werden – ist ja ’ne lange Zeit für die Forschung –; ich allerdings möchte den Satz mit Rot unterstreichen, „Falsch!“ an die Seite schreiben und an den Verlag zurückschicken. Ein derart oberflächlicher Fehler lässt den guten Viktor ziemlich dumm dastehen, und auch der Rest des eingebrachten Fachwissens – meist durch zeilenlanges Rezitieren von Philosophiezitaten in eh schon arg gebeutelten Dialogen – besticht durch Erwähnung ohne Erläuterung; und dies wiederum läuft noch nicht unter dem Namen ‘Recherche’, sondern verkümmert zur Trivialität. Die Einbeziehung des Voynich-Manuskriptes konnte mir wohl ein glückliches Lächeln entlocken, die haarsträubend gehaltlos-widersinnige Einflechtung der Pirahã-Indianer im zweiten Teil des Romans jedoch nur ein leises Schluchzen.
Die Spannung, welche durch die brisante Handlung ansatzweise aufgebaut wird, wird durch die Erzählperspektive wieder zunichte gemacht. Mit Ausnahme des Präsidenten wird aus der Perspektive aller handelnder Figuren – Rebell wie Regierungsmitglied – einmal erzählt, sodass es dem Spannungsmoment geht wie einem Menschen auf einem flutbelichteten Fußballplatz: nichts liegt im Schatten. Szeneninterne Sprünge in der Erzählhaltung von Person zu Person lassen wirklich keine Fragen offen.
Immer wieder ist man versucht, dass Buch zu schütteln, bis die Buchstaben am rechten Platz sind und den Ideen endlich gerecht werden. Das Wörterbuch des Viktor Vau hat Potential, ist kurzweilig und wartet mit einem storytechnisch soliden Grundgerüst auf. Doch Ruebenstrunks Roman ist leider längst nicht „so außergewöhnlich wie sein Name“.

Das Wunschtal von Ursula K. Le GuinHugh ist Kassierer in einem Supermarkt und lebt ein mehr als eintöniges Leben unter der Fuchtel seiner Mutter, die den jungen Mann nicht gehen lassen will und ihm seine Ausbildung zum Bibliothekar verwehrt.
Eines Tages findet Hugh bei einem Spaziergang im Wald ein Tor, das an einen anderen Ort führt. Bald schon geht er jeden Tag an jenen Ort und genießt dort die Natur und die Tatsache, daß kaum Zeit vergeht, während er sich dort aufhält. Doch dann begegnet er Irene, einem Mädchen aus seiner Stadt, das den Ort schon seit Jahren kennt. Irene ist nicht erfreut über den zusätzlichen Besucher, führt ihn aber schließlich widerwillig zu den Bewohnern der Welt hinter dem Tor. Die einfachen Menschen dort warten auf einen Retter und glauben ihn in Hugh zu erkennen…

-“Kassa sieben besetzen”, und wieder zurück zwischen die Kassen, Drahtkörbe entladen, Äpfel, drei um neunundachtzig, Ananas-Stücke im Sonderangebot, eine halbe Gallone fünfundsiebzig, vier, und eins ist fünf, danke, von zehn bis sechs, sechs Tage die Woche; und er machte seine Arbeit gut.-
1. Kapitel

Ein Tor, das von unserer in eine andere Welt führt, in der es Abenteuer zu bestehen gilt, ist eine der Grundzutaten der Fantasy, und so wähnt man sich in Ursula K. Le Guins Wunschtal schnell auf bekanntem Grund und Boden. Doch ist die phantastische Welt hinter dem Tor im Wald auffallend flach, sie entwickelt keinerlei Tiefe, und ihre Bewohner bleiben Platzhalter, genauso die Queste für die menschlichen Besucher Hugh und Irene, die nicht über eine simple Mutprobe hinauskommt. Von einer voll ausgeformten Anderswelt könnte dieser Roman nicht weiter entfernt sein.

Während man zu Beginn noch darauf wartet, daß sich größere Zusammenhänge in der ursprünglich-schlichten Welt hinter dem Tor auftun, wird zum Ende hin klar, daß es sich dabei lediglich um ein Konstrukt außerhalb unserer Realität handelt, in dem sich die beiden Helden der Geschichte, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, bewähren können, um schließlich nach ihrer Rückkehr den Mut zu haben, ein neues Leben anzufangen.
Vor ihrem Besuch hinter dem Tor sind die beiden alles andere als heroisch, sie leben in bedrückenden Umständen, die auch immer wieder die Erlebnisse in der Anderwelt überlagern und erst nach und nach zurückgedrängt werden. Die Kraft, etwas an ihrer Lage zu ändern und sich gegenseitig zu unterstützen, bringen sie erst nach dem Kampf in der anderen Welt auf, dann können sie auch ihr hiesiges Leben meistern und brauchen die Anderswelt nicht mehr.
Damit ist die Welt hinter dem Tor lediglich ein Vehikel, das durchgehend blass bleibt und nur seinen Zweck erfüllt – als Phantasie-Ort der Prüfung und Bewährung bietet sie vielmehr Analogien als für sich stehende Handlungselemente, vor allem auch im sich rasch abzeichnenden Endkampf. Rasch ist überhaupt ein gutes Stichwort – mit ihren 200 Seiten ist die Geschichte in erster Linie eine Parabel und nicht der epische Fantasy-Roman, den der Klappentext verspricht.

Tortzdem bleibt man von der einfach konstruierten Geschichte seltsam unberührt – zu Le Guins besseren Werken zählt sie nicht. Positiv fällt wie immer die Sprache der Autorin auf, die den Protagonisten aus unserer Welt angemessen relativ modern ist und nur selten in den Duktus klassischer Fantasy fällt. Trotzdem steckt viel Mühe in der Sprache der Anderswelt-Bewohner, was angesichts der Tatsache, daß der Rest dieser Welt bloß angezeichnet ist, etwas unbalanciert wirkt und den Eindruck verstärkt, daß Das Wunschtal nicht recht entschieden hat, ob es nun Fantasy oder Gleichnis sein will.

Cover des Buches "Das zehnte Königreich" von Kathryn WesleyVirginias Leben ist todsterbenslangweilig ohne jede Aussicht auf Besserung. Zur gleichen Zeit flieht die böse Königin in den neun Königreichen aus dem Schneewittchen-Gedächtnis-Gefängnis, um die Herrschaft an sich zu reißen. Zu diesem Zweck verwandelt sie ihren Stiefsohn, Prinz Wendell, in einen Golden Retriever und lässt den Hund die Gestalt des Prinzen annehmen. Bei einem Fluchtversuch  springt Prinz Wendell durch einen Zauberspiegel und landet direkt im New York der Gegenwart vor Virginias Fahrrad, die gerade auf dem Weg zur Arbeit ist. Sie kümmert sich um den angefahrenen Hund und ahnt nicht, dass sie sich damit in große Gefahr begibt. Die Königin hat ein paar Trollen und einem gefährlichen menschlichen Wolf befohlen, Prinz Wendell zurückzubringen.

-Virginia stützte ihre Ellbogen auf den Fenstersims und beugte sich hinaus in die Brise. Wenn sie die Augen halb geschlossen hielt, erweckten die Bäume vor ihrem Fenster den Eindruck einer ausgedehnten Waldfläche: schattig, grün und angefüllt mit neuen Möglichkeiten und Abenteuern.-
Teil 1 Der Hund, einst bekannt als Prinz Kapitel 1

Das zehnte Königreich (The Tenth Kingdom) ist eine witzige Parodie auf sämtliche Märchen, angefangen bei Schneewittchen über Aschenputtel und Rotkäppchen bis hin zu Rapunzel.

Besonders gut ist das Autorenehepaar jedoch immer dann, wenn es sich über die westliche, insbesondere die amerikanische, Kultur lustig macht: Die Trolle beanspruchen in Kolumbus-Manier New York als das zehnte Königreich und rauben zuerst einmal die Einheimischen aus. Wolf versucht seine tierische Natur zu überwinden, indem er sich durch einen Stapel Lebenshilfe-Bücher liest und Virginia stützt sich als Verteidigerin in einem Prozess auf das juristische Wissen, das sie sich durch Anschauen der Perry-Mason-Serie erworben hat, was dem Angeklagten dann auch prompt die Todesstrafe einbringt.

Allerdings hätte es dem Buch gut getan, wenn die Geschichte etwas gestrafft worden wäre. Manche Szenen sind nur mäßig amüsant und werden auch nicht benötigt, um die Handlung voranzutreiben. Sie scheinen nur geschrieben worden zu sein, um Seiten anzuhäufen oder besser gesagt, um Sendezeit zu füllen. Denn Das zehnte Königreich ist das Buch zum Film, bzw. zur Fernsehserie und wurde, wie die Redaktion durch aufwendige Recherchen herausgefunden hat, offensichtlich erst nach der Serie verfasst.