Tad Williams hat sich in der Fantasy vor allem mit Bücherzyklen von wahrhaft epischen Ausmaßen einen Namen gemacht, die sich aufgrund ihrer häufig jugendlichen Protagonisten nicht nur, aber besonders auch von jüngeren LeserInnen trotz ihres großen Umfangs gut lesen lassen.
Als Robert Paul Williams wurde er am 14. März 1957 in San Jose, Kalifornien, geboren und wuchs in relativ bescheidenen Verhältnissen auf, was ihn dazu veranlasste, möglichst schnell Geld zu verdienen, statt aufs College zu gehen. Unter dieser Prämisse standen auch die zahllosen Jobs, mit denen er sich durchschlug und die jede hier aufführbare Liste sprengen würden – u.a. als Schuldeneintreiber, Schuhverkäufer, Zeitungsausträger, Lehrer und Versicherungsvertreter. Am liebsten waren ihm jedoch stets kreative Projekte, wie etwa beim Moderieren eines Radiotalks, Arbeit am Theater oder als Musiker in einer Band.
Eines von Williams’ kreativen Projekten war auch sein erster Roman Tailchaser’s Song, der prompt einen Verlag fand und ihm einen Weg ins Genre eröffnete, der nicht wie bei vielen anderen US-AutorInnen über Magazine und Kurzgeschichten führte.
Tailchaser’s Song erzählt die Geschichte des Katers Fritti Tailchaser (bzw. Traumjäger in der dt. Übersetzung), der aus seinem verwöhnten Katzenleben ausbricht, als er sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Katzengefährtin begibt, die ihn tief in die mythologische Welt der Feliden eintauchen und ein Geheimnis um Griraz Kaltherz entdecken lässt, einem Gott des Dreigestirns der Katzen-Urahnen. Tailchaser’s Song ist eine der wenigen Tierfantasys, die mit umfassender Mythologie und erwachsenen Themen nicht in erster Linie Kinder zum Zielpublikum haben und für die Tiere, statt sie übermäßig zu anthropomorphisieren, eine eigene Welterfahrung und -wahrnehmung schaffen. Mit dem Roman wurde Williams 1986 Finalist beim Campbell Award (Best new writer).
Williams nächstes Projekt, die Trilogie Memory, Sorrow and Thorn (dt. Osten Ard oder Das Geheimnis der Großen Schwerter) entstand aus seinem Frust mit den vielen Tolkien-Epigonen der 80er heraus: Die Geschichte von Simon Mondkalb, aus dem nach vielen Abenteuern in klassischer Coming-of-Age-Manier Simon Schneelocke wird, der den Kontinent Osten Ard vor der Bedrohung durch den finsteren Ineluki retten kann, stellt die moralische Eindeutigkeit des Herrn der Ringe und vieler seiner Nachfolger in Frage. Vor allem damit, aber auch mit der breit angelegten Riege aus Haupt- und Nebenfiguren, dürfte Memory, Sorrow and Thorn als Inspiration für George R.R. Martins A Song of Ice and Fire gedient haben.
Die Reihe steht inzwischen prototypisch für eine sehr seitenstarke, in viele Stränge verzweigte epische Fantasy, in der die Welt mit ihrer Geschichte, Mythologie und Geographie eine weitere Hauptrolle neben der Vielzahl an wichtigen Figuren spielt. Die ans europäische Mittelalter angelehnte Kultur von Osten Ard wird durch Williams’ Interpretation klassischer Fantasyvölker, vor allem der Elfen/Elben (bei ihm Sithi) ergänzt.
Eine Erzählung, die zu einem früheren Zeitpunkt auf Osten Art spielt, wurde einige Jahre später als The Burning Man für die von Robert Silverberg herausgegebene Anthologie Legends hinzugefügt.
Noch während der Vollendung der Trilogie kam es für den kurzen Einzelroman Child of an Ancient City zu einer Zusammenarbeit von Tad Williams mit Nina Kiriki Hoffman. Es erzählt von den Mitgliedern einer Karawane, die nachts von einem rätselhaften Besucher heimgesucht werden, der sich bald als Vampir erweist. Nur dadurch, dass sie die ganze Nacht hindurch Geschichten erzählen, können sie das Monster davon abhalten, sie zu töten, womit sich der Roman in die Tradition von Tausendundeine Nacht reiht.
Ein weiterer Einzelroman namens Caliban’s Hour folgte, der diesmal Shakespeares Der Sturm auf den Kopf stellte und die Geschichte aus der Sicht von Prosperos Sklaven Caliban erzählt.
Williams, der die meiste Zeit seines Lebens in Palo Alto verbrachte, hatte auch drei Jahre lang bei Apple gearbeitet und war dort in Berührung mit dem damals allgegenwärtigen Multimedia-Boom gekommen. Dies entzündete die Idee für sein nächstes großes Roman-Projekt, die Otherland-Tetralogie, die nominell der SF zuzurechnen ist und sich das Konzept der virtuellen Realität zunutze macht, aber im Modus einer Questen-Fantasy erzählt wird. Man folgt einer Gruppe von Figuren, die zunächst unabhängig voneinander auf Spuren des Otherland-Netzwerks stoßen und später zusammenarbeiten, um das Geheimnis um die erschreckend realistischen virtuellen Welten zu lösen, über die das Netzwerk verfügt. Das Konzept bot Williams nicht nur die Chance, in den Kapitelvorspännen, die in Form von Nachrichtenbeiträgen, Online-Diskussionen u.v.m. einen Abriss über die Welt von Otherland geben, ein breit angelegtes Zukunftsszenario zu entwerfen, sondern über die virtuellen Welten nicht nur einen, sondern eine ganze Reihe von teilweise grotesken Weltentwürfen zu erkunden, zu denen etwa eine Version von Carrolls Wunderland, eine Welt der Rieseninsekten oder eine Interpretation von Homers Odyssee zählen. Sowohl die Vielfalt der Welten als auch die Schnipsel aus Popkultur und Nachrichten zu Beginn der Kapitel führten zu einem hohen Rechercheaufwand für die Reihe.
Otherland, das in Legends II ebenfalls um eine Erzählung ergänzt wurde (The Happiest Dead Boy in the World), war für Williams auch deshalb faszinierend, weil er für Spielewelten und die erzählerischen Möglichkeiten, die sie bieten, ein Faible hat und sich auch gerne in diesem Bereich betätigen würde.
Dass er generell keine Scheu hat, in verschiedenen Medien zu erzählen, bewies Williams auch durch das Drehbuch für einen Horrorfilm, das er während der Arbeit an Otherland fertigstellte, und durch seine kurzen Ausflüge in den Comic, sowohl mit eigenen Projekten als auch für DC.
Ebenso wenig schreckte Williams vor neuen Veröffentlichungskonzepten zurück: Sein Roman Shadowmarch startete zunächst als Online-Projekt, das sich jedoch nach einem Jahr als finanziell nicht lohnend erwies und auch die Arbeit an War of the Flowers, seinem nächsten konventionell veröffentlichten Roman, beeinträchtigte. Nachdem dieser – ein für sich stehender Ausflug in die Urban Fantasy, der mit seinem Musiker-Protagonisten, der in die wenig idyllische Märchenwelt Faerie gelangt, vielleicht sogar autobiographische Züge trägt – abgeschlossen war, beschloss Williams, aus Shadowmarch eine Romanreihe zu machen. In dem mittlerweile mit vier Bänden abgeschlossenen Zyklus kehrt er zur klassischen Fantasy zurück, die abermals mit einem großen Figurenensemble und vielen Handlungssträngen sehr breit aufgestellt ist. Inhaltlich erinnert die Ausganssituation in vielerlei Hinsicht stark an Martins A Song of Ice and Fire, bekommt aber nach und nach den spirituell-religiösen Einschlag, der in den meisten Romanen von Williams ein wichtiges Element der Weltschöpfung ist.
Zusammen mit seiner zweiten Frau Deborah Beale betrat Williams schriftstellerisches Neuland mit der Veröffentlichung von Ordinary Farm, einer Serie von Jugendbüchern, in denen die beiden jungen Protagonisten Tyler und Lucinda in den Sommerferien die Geheimnisse der Farm ihres Onkels ergründen, auf der keine gewöhnlichen Tiere gehalten werden.
Auch für erwachsene Leser hat Williams eine neue Reihe in Arbeit, die einen kalten Krieg zwischen Himmel und Hölle thematisiert und Bobby Dollar aka Doloriel, einen Ermittler und Engel, zum Protagonisten hat. Das im September erscheinende The Dirty Streets of Heaven und die Nachfolgebände sollen auch jeweils für sich lesbar und deutlich kürzer als bisherige Williams-Romane sein.
Die dicken Bücher und der ausführliche Stil sind für Williams ein Thema, das ihn auch in Interviews immer wieder beschäftigt und ihm nicht selten zum Vorwurf gemacht wird. Er zielt damit auf eine kaleidoskopische Sicht der erzählten Ereignisse ab, die durch eine Vielzahl von Figuren vermittelt wird, verstrickt sich aber mitunter in stark psychologisierenden Passagen und durch viel Worldbuilding ausgebremsten Anfängen. Ganz besonders erfolgreich ist Williams in Deutschland, wo er als einer der wenigen Fantasy-Autoren, nicht zuletzt durch das Otherland-Hörspiel, auch von etablierten Medien wahrgenommen wird.
Inzwischen haben sich auch einige Kurzgeschichten angesammelt, in denen Williams gerne stilistisch und ideentechnisch unkonventionelle Zugänge ausprobiert, und von denen bald ein zweiter Sammelband erscheint. Selbst eine Rückkehr nach Osten Ard in Form von Kurzgeschichten hat Tad Williams nicht ausgeschlossen, bisher aber immer wieder auf die lange Bank geschoben.
Bibliographie:
1985: Tailchaser’ Song – Traumjäger und Goldpfote
Memory, Sorrow and Thorn – Das Geheimnis der Großen Schwerter
1988: The Dragonbone Chair – Der Drachenbeinthron
1990: Stone of Farewelle – Der Abschiedsstein
1993: To Green Angel Tower – Die Nornenkönigin, Der Engelsturm
1998: The Burning Man (Erzählung in Legends) – Der brennende Mann (in Legenden und auch separat erschienen)
1992: Child of an Ancient City – Die Stimme in der Finsternis (mit Nina Kiriki Hoffman)
1993: Caliban’s Hour – Die Insel des Magiers
Otherland
1996: City of Golden Shadows – Die Stadt der goldenen Schatten
1998: River of Blue Fire – Der Fluss aus blauem Feuer
1999: Mountain of Black Glass – Der Berg aus schwarzem Glas
2001: Sea of Silver Light – Das Meer des silbernen Lichts
2004: The Happiest Dead Boy in the World (Erzählung in Legends II) – Der glücklichste tote Junge der Welt (in Legenden)
2002: The War of the Flowers – Der Blumenkrieg
Shadowmarch
2004: Shadowmarch – Die Grenze
2007: Shadowplay – Das Spiel
2010: Shadowrise – Die Dämmerung
2010: Shadowheart – Das Herz
Ordinary Farm – Die Tinkerfarm
2009: The Dragons of the Ordinary Farm – Die Drachen der Tinkerfarm
2011: The Secrets of the Ordinary Farm – Die Geheimnisse der Tinkerfarm
Bobby Dollar:
2012: The Dirty Streets of Heaven
2006: Rite (Kurzgeschichten)
2011: A Stark and Wormy Knight (Kurzgeschichten)
Links:
www.tadwilliams.com