Category: Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Django Wexler, der heute 35 Jahre alt wird. In den letzten Jahren hat sich im englischen Sprachraum nicht nur das thematische und formale Spektrum der Fantasy deutlich erweitert, sondern es sind auch etliche neue Autorinnen und Autoren auf der Bildfläche erschienen, zu denen u.a. der am 13. Januar 1981 in San Francisco, Kalifornien, geborene Django Wexler zu zählen ist. Laut eigener Aussage hat Wexler bereits kurz vor der Jahrtausendwende zu schreiben begonnen, allerdings zunächst nur für die Schublade. Immerhin konnte er schon in seiner Studienzeit seine ersten beiden Romane Memories of Empire (2005) und Shinigami (2006) veröffentlichen, doch einem breiteren Publikum dürfte er erst bekannt geworden sein, als 2013 The Thousand Names erschien, der Auftaktband eines fünfteiligen Zyklus mit dem Titel The Shadow Campaigns.
The Thousand Names von Django WexlerThe Thousand Names führt uns nach Khandar – eine öde, von Wüste umgebene Kolonie des jenseits des Meeres gelegenen Vordanai Empire – wo gerade eine Rebellion stattgefunden hat; eine Koalition aus religiösen Fanatikern, meuternden khandarischen Truppen und von dem nur maskiert auftretenden, geheimnisvollen Steel Ghost angeführten Wüstenstämmen hat Prince Exopter, den als Marionette der Kolonialherren dienenden Herrsches des Landes, mitsamt den ihn unterstützenden Kolonialtruppen aus der Hauptstadt bzw. aus dem Land gejagt. Schlechte Aussichten für Captain Marcus d’Ivoire, der eigentlich gehofft hatte, in diesem abgelegenen Winkel des Imperiums eine ruhige Zeit bis zu seiner Pensionierung zu verbringen, und der sich jetzt mit seinen Männern in ein heruntergekommenes Küstenfort zurückziehen und auf Entsatz aus seiner Heimat hoffen muss. Und tatsächlich kommen nach relativ kurzer Zeit frische – im wahrsten Sinne des Wortes, denn sie bestehen fast ausschließlich aus Frischlingen ohne jede Kampferfahrung – Truppen, deren Anführer, Colonel Janus bet Vhalnich, fest entschlossen ist, Khandar trotz der enormen zehlenmäßigen Überlegenheit der Rebellen zurückzuerobern und Prince Exopter wieder auf seinen Thron zu setzen. Dass er noch ein weiteres Ziel hat, begreift Marcus erst, als der Kampf um Khandar längst im Gange ist …
Die Zahl der auf den Seiten des Buches ausgefochtenen Schlachten und Kämpfe macht The Thousand Names zu einer Military Fantasy – und die Waffen, die dabei zum Einsatz kommen, machen es zu einer Flintlock Fantasy, denn die Geschichte ist nicht in einer mittelalterlichen, sondern in einer moderneren Epoche angesiedelt, die mehr oder weniger dem Napoleonischen Zeitalter entspricht (was nicht zuletzt damit zu tun haben dürfte, dass The Thousand Names ursprünglich als eine Art Fantasy-Version von Napoleons Ägyptenfeldzug geplant war). Wer also Schlachten mag – oder Geschichten, in denen Armeeangehörige vom in Ehren ergrauten Veteran bis zum unerfahrenen Rekruten eine wichtige Rolle spielen – kommt in diesem Roman voll und ganz auf seine Kosten. Darüberhinaus kann Django Wexler nicht nur Schlachten beschreiben, sondern auch glaubwürdige, interessante Figuren entwerfen, darunter mit dem moralisch integren Marcus d’Ivoire und der als Mann verkleideten Winter Ihernglass die beiden wichtigsten Erzähler der Handlung. Vor allem Winter, die sich dieses Tricks bedient hat, um einer trostlosen Zukunft zu entfliehen, und die versucht, sich möglichst unauffällig zu verhalten, um ihr Geheimnis zu bewahren (was ihr durch mehrere Beförderungen zunehmend erschwert wird), gewinnt im Laufe der Geschichte mehr und mehr an Konturen und spielt am Ende sogar eine wichtige Rolle, wenn es um das große Geheimnis der “thousand names” geht.
Unterm Strich lässt sich sagen, dass The Thousand Names einen vielversprechenden Auftakt zu einem Zyklus darstellt, der mit einem überzeugend geschilderten, etwas anderen Setting und klar gezeichneten Figuren sowie ersten Hinweisen darauf, in welche Richtung sich das Ganze weiterentwickelt, aufwarten kann. Während in England und den USA bereits die Fortsetzungen The Shadow Throne (2014) – in dem sich das Geschehen ins Vordanai Empire verlagert – und The Price of Valor (2015) erschienen sind (und zwei als Prequels dienende Erzählungen in eBook-Form), ist hierzulande mit Die tausend Namen (2014) bislang nur der erste Band des Zyklus auf den Markt gekommen.
Außer den ersten drei Bänden von The Shadow Campaigns hat Django Wexler in den letzten Jahren mit The Forbidden Library (2014) und The Mad Apprentice (2015) die ersten beiden Bände eines Jugendbuch-Mehrteilers und mit John Golden & the Heroes of Mazaroth (2014) eine Art Cyberpunk-Fantasy veröffentlicht, und man darf gespannt sein, was von diesem immer noch vergleichsweise jungen Autor in Zukunft noch zu erwarten ist.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an John Myers Myers, dessen Geburtstag sich heute zum 110. Mal jährt. Der am 11. Januar 1906 in dem Dörfchen Northport auf der Insel Long Island geborene John Myers Myers wusste schon im Alter von sieben Jahren, dass er eines Tages Schriftsteller sein wollte, doch nach einem abgebrochenen Anthropologie-Studium und ausgedehnten Reisen durch die USA und Europa arbeitete er zunächst einige Zeit als Journalist und Werbetexter. Während des Zweiten Weltkriegs diente er fünf Jahre in der U.S. Army, und in dieser Zeit erschien sein erster Roman The Harp and the Blade (1941), der im mittelalterlichen Frankreich spielt und – je nach Sichtweise – nur marginale oder überhaupt keine phantastischen Elemente enthält.
Nach zwei weiteren, dieses Mal eindeutig rein historischen Romanen, die im elisabethanischen England bzw. in der Pionierzeit an der Mississippi frontier angesiedelt waren, veröffentlichte Myers mit Silverlock (1949) jenes Buch, das ihm zumindest im englischen Sprachraum bis heute andauernden Ruhm beschert hat. Silverlock von John Myers MyersSilverlock ist die – von ihm selbst erzählte – Geschichte des Betriebswirts A. Clarence Shandon, eines anfangs ebenso selbstsüchtigen wie merkwürdig apathisch und teilnahmslos wirkenden Mannes, der an Bord der Naglfar Schiffbruch erleidet und sich lange genug schwimmend über Wasser halten kann, bis er auf einen Mann stößt, der sich an ein Wrackteil klammert und anscheinend ebenfalls ein Schiffsunglück überlebt hat. Der Mann stellt sich als Boyan Taliesin Golias vor – eigentlich hätte er noch mehr Namen, wird aber meistens ohnehin nur Golias genannt – und meint, dass sie gute Aussichten hätten, die Küste des Commonwealth zu erreichen (mit dem Zusatz: “I speak figuratively”). Nachdem die beiden Männer aus der Ferne Zeuge geworden sind, wie ein weißer Wal ein Schiff in die Tiefe zieht, gelangen sie zu einer Insel, die allerdings nicht zu der von Golias als Commonwealth bezeichneten Landmasse gehört, sondern Teil eines vorgelagerten Archipels ist. Dummerweise macht Shandon der auf ihr lebenden Frau reichlich plumpe Avancen, und nur sein neuer Freund Golias bewahrt ihn vor dem Schicksal, in ein Schwein verwandelt zu werden. Sie ziehen weiter zur nächsten Insel, auf der sie ominöse Fußspuren entdecken – und feststellen müssen, dass ihr gelegentlich Kannibalen einen Besuch abstatten. Bald darauf nimmt sie ein Langschiff an Bord, das von Brodir Hardsark befehligt wird; sie müssen ebenso wie die Wikinger an den Rudern arbeiten – und dann bei einem Überfall auf Irland mitmachen …
Wer jetzt stutzt, weil ihm oder ihr ein paar Dinge merkwürdig vorkommen – ein Schiff namens Naglfar etwa, oder weiße Wale, die Schiffe in die Tiefe ziehen, Inseln, auf denen Männer in Schweine verwandelt werden, wenn sie sich danebenbenehmen oder andere einsame Inseln, die überraschend von Kannibalen besucht werden – stutzt zu recht. Denn die Insel, die Golias als Commonwealth bezeichnet hat und auf der Shandon nach dem Überfall tatsächlich ankommt, ist ein ganz besonderer Ort; sie ist der Commonwealth of literature – oder, um es mit dem deutschen Titel des Buchs zu sagen: Die Insel Literaria (1984). Und auf ihr begegnet der wegen einer weißen Strähne alsbald nur noch Silverlock genannte Shandon, der während des Kampfes von Golias getrennt wurde, aber bereits begonnen hat, sich zu verändern und daher die eigentlich für ihn untypische Entscheidung trifft, nach dem Barden zu suchen, allen möglichen Figuren und Wesen der Weltliteratur von Beowulf über Robin Hood bis zu Don Quichotte und vielen, vielen anderen (die mal leicht und mal kaum zu erkennen sind) und lernt Orte wie den Wald von Broceliande oder Dantes Hölle kennen. Und er verändert sich, wird durch die Begegnung mit den Figuren aus dem Commonwealth of literature (wobei man das erste Wort auch als “common wealth” lesen kann) von einem Unsympathen zu einem richtig netten Kerl, den man dann auch gerne bei seinen Abenteuern begleitet (denn Myers lässt die bekannten Figuren nicht einfach so nacheinander auftreten; das Ganze ist schon in eine zwar nicht vordergründig spannende, aber abwechslungsreiche und farbige Handlung eingebunden). Wer sich gerne auf Spurensuche begibt, kann an Silverlock viel Spaß haben – auch wenn nur die wenigsten es schaffen dürften, die ganzen Andeutungen und Verweise zu entschlüsseln. Hier hilft dann zur Not Silverlock – Including the Silverlock Companion (2004) weiter, eine wirklich schön gemachte Ausgabe mit mehreren Vorworten und einem umfangreichen Anhang (zu dem auch der “Companion” zählt).
Nach Silverlock hat Myers noch zwei Western, vor allem aber Sachbücher über den “Wilden Westen” geschrieben (darunter eine Biographie über Doc Holliday). Erst 1981 ist er mit The Moon’s Fire-Eating Daughter noch einmal zur Fantasy zurückgekehrt. Der Roman wurde vom Verlag als Fortsetzung zu Silverlock vermarktet – was er nicht ist. Aber es gibt zwischen den beiden Romanen interessante Parallelen: Während der anfangs nur mit einem Abschluss in Betriebswirtschaft “bewaffnete” A. Clarence Shandon in Silverlock eine geografische Reise durch die ihm größtenteils unbekannten Lande der Literatur unternimmt und dabei in erster Linie auf fiktive Figuren trifft, begibt sich der seines alltäglichen Daseins ein wenig überdrüssige Dr. George Puttenham in The Moon’s Fire-Eating Daughter auf eine Zeitreise durch die Literaturgeschichte und begegnet vielen von den Schöpfern, die zu diesem “common wealth” beigetragen haben.
Aber letztlich dürfte der Name des am 30. Oktober 1988 verstorbenen John Myers Myers in erster Linie und fast ausschließlich mit Silverlock in Verbindung gebracht werden – einem Roman, den man mit einer gewissen Berechtigung als erste Meta-Fantasy bezeichnen könnte (und der witzigerweise schon zu einem Zeitpunkt erschienen ist, an dem das einflussreichste Werk des Genres noch gar nicht auf dem Markt war).

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Niel Hancock, der heute 75 Jahre alt geworden wäre. Dass der am 08. Januar 1941 in Clovis, New Mexico, geborene Niel Anderson Hancock am gleichen Tag (wenn auch in einem anderen Jahr) Geburtstag hat wie Terry Brooks, ist nur eine der beiden Gemeinsamkeiten, die es zwischen den beiden Autoren gibt; die zweite, wesentlich wichtigere ist, dass Hancock im Jahr 1977 einen Fantasyroman – genauer gesagt vier – veröffentlicht hat, der sich ebenso wie Brooks’ The Sword of Shannara an eine Leserschaft richtete, die auf der Suche nach weiteren Geschichten im Stil von J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings war. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten dann auch schon, denn während Terry Brooks mit The Sword of Shannara den Grundstein zu einer Karriere legte, die ihn zu einem der wichtigsten (oder zumindest erfolgreichsten) Fantasy-Autoren der 80er und 90er Jahre machen sollte, ist Niel Hancock heutzutage vergessen. Und zwar so sehr vergessen, dass er nicht einmal mehr erwähnt wird, wenn es um jenes für die Fantasy so bedeutungsvolle Jahr 1977 geht.
Denn 1977 sind – aus heutiger Sicht unfassbar lange zwölf Jahre, nachdem die amerikanische Taschenbuch-Ausgabe des Lord of the Rings zum Bestseller geworden war – gleich mehrere Romane (bzw. genauer gesagt ein Roman und zwei Mehrteiler) erschienen, die eindeutig vom LotR … nennen wir es inspiriert waren* und deren Erfolg eine Zeitenwende ankündigte, denn nach 1977 ist die bis dahin auf dem Buchmarkt vorherrschende Sword & Sorcery nach und nach so ziemlich verschwunden (von wenigen Ausnahmen abgesehen) und die Epic Fantasy wurde zu einem als solches vermarktbaren Genre**. Brooks’ The Sword of Shannara und Stephen R. Donaldsons The Chronicles of Thomas Covenant the Unbeliever sind auch heute noch vielen Fantasylesern und -leserinnen ein Begriff, gehören mehr oder weniger zum Kanon der Epic Fantasy – aber wer kennt noch Niel Hancocks Circle of Light? Und dabei warb gerade dieser Zyklus mit dem Aufdruck “Beginning a great saga for all who love THE LORD OF THE RINGS!”*** und war sogar anfangs recht erfolgreich°.
Fragonards Faringay von Niel HancockWarum ist Circle of Light dann also so spurlos von der Bildfläche verschwunden? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich den Zyklus ein bisschen genauer ansehen. Dessen erster Band Greyfax Grimwald beginnt damit, dass ein Bär, ein Zwerg und ein Otter ihre jeweiligen Behausungen am Rand der jenseits des großen Flusses Calix Stay gelegenen Meadows of the Sun verlassen, weil sie eine schwer erklärbare Unruhe verspüren und das Gefühl haben, sich auf eine Queste begeben zu müssen. Nachdem sie sich kennengelernt haben, überqueren sie gemeinsam Calix Stay und gelangen so ins Land der Lebenden – aber nicht, um dort wie sonst wiedergeboren zu werden und ein neues Leben zu beginnen; stattdessen bleiben sie die gleichen Individuen, die sie zuvor waren, und sind bereit zu Heldentaten aller Art. Die Meadows of the Sun sind nämlich eine Art Jenseits, in dem die Zeit keinerlei Rolle spielt, während Atlanton – die Welt der Lebenden – einer jener Orte ist, an denen alle möglichen Lebewesen unzählige Reinkarnationszyklen durchlaufen. Und außerdem das Schlachtfeld, auf dem Lorini, the Queen of Light, und ihre Zwillingsschwester Dorini, the Queen of Darkness, die uralte Fehde zwischen Licht und Dunkel, Gut und Böse austragen. Kurz nach der Überquerung von Calix Stay treffen Bär, Zwerg und Otter – die passenderweise auch so heißen (nein, das stimmt nicht ganz, der Zwerg heißt Broko, wird aber meistens nur Zwerg genannt)°° – auf zwei Magier, den alten Greyfax Grimwald und seinen jungen Begleiter Faragon Fairingay, die beide Mitglieder des titelgebenden “Circle of Light” sind; sie erzählen den Gefährten vom Kampf zwischen Lorini und Dorini und geben ihnen den Rat, sich irgendwo niederzulassen und darauf zu warten, dass sie gebraucht werden. Nach einem kurzen Abstecher zur Ruine eines alten Zwergenhauses siedeln sich die drei in einem abgelegenen bewaldeten Tal an und warten – insgesamt fünfzehn Jahre, denn Greyfax Grimwald und Faragon Fairingay sind nach Cypher aufgebrochen, ins Reich Lorinis, und dort vergeht die Zeit anders als in der Welt der Lebenden. Doch dann kehrt Greyfax zurück und übergibt Broko ein kleines Kästchen – das Arkenchest –, das Dorini auf gar keinen Fall in die Finger bekommen darf, denn sonst wird Atlanton untergehen. Dummerweise wird Broko kurz darauf von einem gar schrecklichen Schergen Dorinis gefangengenommen – und damit geht der Ärger dann so richtig los, der sich auch durch die (alle ebenfalls 1977 erschienenen) Folgebände Faragon Fairingay, Calix Stay und Squaring the Circle zieht …
Wie man vielleicht schon anhand dieser Inhaltsangabe von knapp der ersten Hälfte des ersten Bands erahnen kann, ist das Ganze … sagen wir merkwürdig. Hancock, ein Vietnam-Veteran, der während seiner Zeit in Südostasien mit dem Buddhismus in Berührung gekommen war und sich – fasziniert von den buddhistischen Lehren – auch danach weiter mit ihm beschäftigt hat, hatte ursprünglich vor, ein Kinderbuch zu schreiben, das gewisse buddhistische Prinzipien und Weisheiten aufgreift, sie aber in das Gewand einer Fantasygeschichte hüllt, doch er konnte das Manuskript an keinen Kinder- und Jugendbuchverlag verkaufen. Dass die Geschichte eigentlich für Kinder gedacht war, erklärt vermutlich den schlichten Stil und Erzählduktus; so sind die drei Gefährten allenfalls skizzenhaft charakterisiert – der Zwerg ist eher nachdenklich, der Bär manchmal brummig und immer hungrig, und der Otter verspielt und neugierig – und Bär und Otter verhalten sich so gar nicht wie Tiere, ernähren sich am liebsten von Tee, Plätzchen, Honig und einem gelegentlichen Schinkensandwich. Oder, ein bisschen anders ausgedrückt: Man hat permanent das Gefühl, als würden die Figuren aus The Wind in the Willows in einer Art Hobbit-Rolle in einem vage an The Lord of the Rings erinnenden Szenario auftreten.
Interessant ist natürlich außerdem die Frage, wie die als Zielgruppe gedachten Kinder denn die ganzen Anspielungen auf den Buddhismus hätten erkennen oder verstehen sollen, die manche Geschehnisse durchaus in einem anderen Licht erscheinen lassen bzw. sie leichter verständlich machen. Aber da Hancocks spirituelle Fantasy – und dass Circle of Light tatsächlich eine ist, wird spätestens am Ende von Band vier deutlich – zumindest in den 70ern und 80ern vermutlich eher von erwachsenen (oder jugendlichen) Fantasyfans gelesen wurde als von Kindern, ist diese Frage letztlich belanglos. Immerhin ist es ihm gelungen, auf Circle of Light (die Tetralogie, die eigentlich den Abschluss seines weitgespannten Zyklus Atlanton Earth bildet) zunächst mit Dragon Winter (1978) einen Einzelband und danach zwei weitere Tetralogien folgen zu lassen: The Wilderness of Four (Einzeltitel: Across the Far Mountain, The Plains of the Sea, On the Boundaries of Darkness (alle 1982) und The Road to the Middle Islands (1983)) führt dabei in die tiefste Vergangenheit von Atlanton Earth und erzählt die Geschichten ihrer größten mythischen Helden, während The Windameir Circle (The Fires of Windameir (1985), The Sea of Silence (1987), A Wanderer’s Return (1988) und The Bridge of Dawn (1991)) zeitlich irgendwo zwischen der ersten und der zweiten Tetralogie angesiedelt ist.
Interessanterweise haben es Circle of Light (als Der Kreis des Lichts: Greyfax Grimwald, Faragon Fairingay, Calix Stay, der große Fluss und Der Kreis schließt sich (alle 1985)), Dragon Winter (als Drachenwinter (1986)) und The Wilderness of Four (als Die Saga von Atlanton: Weit über die fernen Berge, Bis zum wilden Meer, An den Grenzen der Finsternis und Auf dem Weg zu den friedlichen Inseln (alle 1986)) auch nach Deutschland geschafft.
Calix Stay von Niel HancockAbschließend wäre vielleicht noch zu sagen, dass Niel Hancocks Atlanton Earth gewiss zu den merkwürdigeren Fantasywerken gehört (wenn auch nicht zu den merkwürdigsten); auf der anderen Seite kann man dem Zyklus trotz all seiner Schwächen und Mängel einen gewissen eigenartigen Charme nicht absprechen. Und vollkommen vergessen zu werden, haben diese Romane, in denen es auch Innovationen wie Feuerwaffen benutzende Böse gibt, ebensowenig verdient wie ihr am 07. Mai 2011 im Alter von 70 Jahren während einer Motorradtour an einem thorakalen Aortenaneurysma verstorbener Autor; immerhin waren sie lange Jahre die einzige echte auf der spürbaren inneren Überzeugung ihres Schöpfers gründende spirituelle Fantasy – auch wenn viele Leser und Leserinnen das möglicherweise gar nicht erkannt haben.

* – es hat natürlich auch schon vor 1977 Romane und Zyklen gegeben, in denen bestimmte Themen und/oder Elemente, die Tolkien in der Ringtrilogie verwendet hat, vorgekommen sind, doch niemand würde ernsthaft behaupten, dass z.B. Ursula K. Le Guins ursprüngliche Earthsea Trilogy (1968-72) oder Patricia A. McKillips The Riddle-Master of Hed (1976) ähnlich starke Tolkien-Einflüsse aufweisen wie die Romane/Zyklen von Brooks, Donaldson und Hancock; ich habe übrigens eine Theorie, warum es so lange gedauert hat, bis die ersten echten Tolkien-Nachfolger erschienen sind – aber die muss warten, bis ich irgendwann mal dazu komme, meine in Fragmenten schon existierende Artikelreihe über die Entwicklung der Fantasy endlich mal weiter- und fertigzuschreiben
** – sowohl auf dem Cover von Brooks’ Sword of Shannara wie auf den Titelbildern der HC-Ausgabe von Donaldsons Chronicles of Thomas Covenant the Unbeliever prangte der Zusatz “An Epic Fantasy”
*** – daraus wurde dann ab dem zweiten Band “The great new saga for all who love THE LORD OF THE RINGS!”
° – eine Ausgabe von etwa Mitte der 80er Jahre trug den Aufdruck “The bestselling series – over one million in print”
°° – in der deutschen Ausgabe haben lustigerweise auch der Bär und der Otter Namen, wobei man immerhin mit Bruinlen und Olther dem Prinzip der auch sonst gern genutzten Alliteration treu geblieben ist

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Hayao Miyazaki, der heute 75 Jahre alt wird. Viele unserer Leser und Leserinnen werden bei diesem Namen an einen oder mehrere der Animes denken, die der am 05. Januar 1941 in Tokyo geborene Hayao Miyazaki in den letzten dreißig Jahren als kreativer Mastermind des von ihm mitgegründeten Studio Ghibli gedreht hat – angefangen von Tenkū no Shiro Rapyuta (1986; dt. Das Schloss im Himmel (2006)) über Tonari no Totoro (1988; dt. Mein Nachbar Totoro (2007)), die Kinderbuchverfilmung Majo no Takkyūbin (1989; dt. Kikis kleiner Lieferservice (2005)), den auf einem Manga basierenden Kurenai no Buta (1992; dt. Porco Rosso (2006)), Mononoke Hime (1997; dt. Prinzessin Mononoke (2001)), Sen to Chihiro no Kamikakushi (2001; dt. Chihiros Reise ins Zauberland (2003)), Hauru no Ugoku Shiro (2004; dt. Das wandelnde Schloss (2005) – die Adaption eines Jugendbuchs von Diana Wynne Jones) und Gake no Ue no Ponyo (2008; dt. Ponyo – Das große Abenteuer am Meer (2010)) bis hin zu dem ebenfalls auf einem Manga Miyazakis basierenden Kaze Tachinu (2013; dt. Wie der Wind sich hebt (2014)) – und die vor allem in Japan teilweise extrem erfolgreich waren und mittlerweile weltweit eine große Fangemeinde haben.
Nausicaä 2 von Hayao MiyazakiDoch in diesem Beitrag soll es nicht um den Regisseur und Drehbuchautor, sondern um den Mangaka Hayao Miyazaki gehen, bzw. um seinen wichtigsten und umfangreichsten Manga, der indirekt überhaupt erst zur Gründung von Studio Ghibli geführt hat. In der Ausgabe 2/82 des Magazins Animage startete Miyazaki – der zuvor schon als Animezeichner gearbeitet und mit Rupan Sansei: Kariosutoro no Shiro (1979; dt. Das Schloss des Cagliostro (2006)) auch bereits seinen ersten Anime gedreht sowie einige (nicht allzu umfangreiche) Mangas veröffentlicht hatte – nämlich einen Manga mit dem Titel “Kaze no Tani no Nausicaä”*, anfangs noch unter der Prämisse, dass daraus kein Anime werden würde, die allerdings aufgrund sich häufender Leseranfragen bald fallengelassen wurde – und so kam Kaze no Tani no Nausicaä 1984 (dt. Nausicaä aus dem Tal der Winde (2006)) in die japanischen Kinos und wurde so erfolgreich, dass dieser Erfolg die Gründung von Studio Ghibli nach sich zog.
Da der Manga zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal annähernd abgeschlossen war – er sollte mit Unterbrechungen bis zum Februar 1994 in Animage weiterlaufen –, beinhaltet der Anime nur etwa ein (teilweise auch noch leicht verändertes) Viertel der Handlung des Manga, der fast elfhundert Seiten umfasst und nach der Magazinvorveröffentlichung zwischen Juli 1983 und Dezember 1994 in unregelmäßigen Abständen in sieben Sammelbänden nachgedruckt wurde, die wiederum die Grundlage für die diversen Übersetzungen – auch ins Deutsche – bilden.
Aber worum geht es denn jetzt in Nausicaä aus dem Tal der Winde, diesen sieben Bänden, die 2001/02 ein erstes Mal auf Deutsch erschienen sind, rasch vergriffen und gesucht waren und 2010/11 schließlich wiederveröffentlicht wurden? Nausicaä – die sich übrigens Nausica-a spricht** – lebt in einer düsteren Zukunft, in der die ökologische Katastrophe längst eingetreten ist, etwa tausend Jahre, nachdem sich die industrielle Zivilation in einem allumfassenden, als “Sieben Tage des Feuers” bezeichneten Krieg selbst ausgelöscht hat. Die Industriegesellschaft, die jahrhundertelang die Erde, die Luft und das Wasser vergiftet hat, ist verschwunden, doch ihr Erbe ist noch da, bedeckt als “Meer der Fäulnis” genannter giftiger, von riesigen Insekten und anderen genetisch veränderten Wesen bewohnter, sich stetig ausdehnender Pilzwald den größten Teil der Erdoberfläche und bedrängt die auf eine pseudo-mittelalterliche Kulturstufe zurückgefallenen überlebenden Menschen (die allerdings noch über fliegende Gleiter und andere Flugmaschinen verfügen) in ihren letzten Refugien am Rande der Kontinente. Den Pilzwald zu vernichten, ist unmöglich, da etwaige Versuche nur zu Angriffen der in ihm lebenden Tiere – vor allem der gigantischen asselartigen Ohmu – und zur weiteren Ausdehnung des Waldes führen.
Nausicaä ist die Prinzessin des Tals der Winde, das durch den Seewind vor den giftigen Sporen des Pilzwalds geschützt wird – eine wissbegierige junge Frau, die auf ihrem Gleiter nicht nur die Umgebung des Tals der Winde erforscht, sondern auch immer wieder ins Meer der Fäulnis vordringt und dabei interessante Entdeckungen macht. Als das benachbarte große Kaiserreich Torumekia, dem das Tal der Winde als Vasall verpflichtet ist, einen Krieg gegen das Fürstentum Doruk beginnt, ändert sich Nausicaäs Leben gewaltig, denn sie muss in Vertetung ihres kranken Vaters zusammen mit einigen Kriegern aus dem Tal unter dem Kommando der torumekischen Prinzessin Kushana in den Kampf ziehen und gerät schon bald in einen wahren Wirbel aus Geschehnissen, in denen es selbst ihr schwerfällt, einen klaren Kopf zu bewahren …
Es ist schlicht unmöglich, die komplexe Handlung von Nausicaä aus dem Tal der Winde in wenigen Sätzen zu beschreiben, ohne dabei allzu viel über deren Entwicklung zu verraten; von daher mag es an dieser Stelle genügen, dass Nausicaä nur allzu rasch feststellen muss, dass beide Kriegsparteien – die hochgezüchtete Militärmaschinerie von Torumekia ebenso wie die auf Biotechnologie setzenden Doruks – in diesem Krieg zu höchst fragwürdigen Mitteln greifen (vor allem die Machenschaften der Doruks erweisen sich als überaus gefährlich und bedrohen nicht nur ihre Gegner, sondern die ganze Welt) und sie selbst aufgrund ihres Verhaltens und ihres Denkens den Mächtigen beider Parteien ein Dorn im Auge wird. Aber sie erfährt auch Neues über das Meer der Fäulnis und sieht den Pilzwald und die Ohmu von da an mit anderen Augen, findet dank ihrer herzlichen, offenen Art auch dort Freunde, wo man es nicht unbedingt erwarten würde, und erkennt, dass die Mächte der Vergangenheit noch immer Einfluss auf die Gegenwart haben. Schließlich fällt ihr eine Rolle zu, in der sie eine schwierige Entscheidung treffen muss, die Auswirkungen auf die Zukunft der gesamten Menschheit haben wird.
Die von Hayao Miyazaki mit großem Atem erzählte, im wahrsten Sinne des Wortes epische Geschichte lebt zunächst einmal von Nausicaä selbst, die laut ihrem Schöpfer eine Mischung aus der gleichnamigen Phäakenprinzessin aus Homers Odyssee und dem Mädchen Mushimezuru-Himegimi (“die Insekten liebende Prinzessin”) aus der Konjaku monogatari (der “Geschichtensammlung von Jetzt und Einst”) ist und die mit ihrer Warmherzigkeit und ihrer vorurteilslosen Offenheit eine ungemein sympathische und liebenswerte Figur darstellt, die sich allerdings durchaus auch durchzusetzen weiß und im Verlauf der Handlung mit ihren eigenen Schwächen konfrontiert wird. (Eine Figur, die zumindest eine vage Ähnlichkeit mit Nausicaä besitzt, ist beispielsweise Mena aus David Anthony Durhams Acacia Trilogy.) Hinzu kommen unzählige, teils nur knapp umrissene, teils eingehender charakterisierte Nebenfiguren wie etwa Prinzessin Kushana (die Nausicaä 7 von Hayao Miyazakidie vielleicht interessanteste Wandlung durchmacht), vor allem aber die großen Fragen, um die sich letztlich alles dreht (und die in Miyazakis Œuvre immer eine wichtige Rolle spielen): Fragen wie die nach dem Umgang mit der Natur oder mit dem Machtstreben der Menschen, oder die Frage, was letztlich gut und böse ausmacht – und ob eine Läuterung der/des Bösen möglich ist.
Grafisch ist Nausicaä aus dem Tal der Winde (wenn man einmal von der sehr jugendlichen Darstellung etlicher Figuren absieht) kein typischer Manga, wirkt tendenziell eher europäisch, auch wenn die teilweise fast schon überladenen Seiten anfangs gewöhnungsbedürftig sind und nicht so klar strukturiert erscheinen wie die ebenfalls ungewöhnlich gestalteten Seiten des hier erst vor kurzem erwähnten Andreas (was wahrscheinlich auch an der ungewohnten japanischen Leserichtung liegt). Doch wenn man an die Sache ähnlich offen herangeht wie Nausicaä an das Neue und Unbekannte, kann man sich sehr schnell einlesen und wird mit einem Epos belohnt, das den Vergleich mit Werken wie Frank Herberts Dune (aka Der Wüstenplanet) – und das nicht nur wegen des ökologischen Themas bzw. der Messiasfigur – oder J.R.R. Tolkiens The Lord of the Rings (aka Der Herr der Ringe) nicht zu scheuen braucht und nach dem Lesen noch lange nachwirkt. Ungeachtet all seiner sonstigen Verdienste hat sich Hayao Miyazaki allein mit Nausicaä aus dem Tal der Winde einen Platz im Pantheon der großen phantastischen Erzähler erschrieben, und es wäre zu wünschen, dass diese Geschichte auch hierzulande, wo Comics immer noch einen eher schweren Stand haben – es sei denn, sie nennen sich graphic novel – den Erfolg haben wird, den sie verdient.
Die 2010/11 neu aufgelegte siebenbändige deutsche Ausgabe ist weiterhin lieferbar, aber wer will, kann natürlich auch auf die entsprechende englische Ausgabe zurückgreifen (oder es mit einer japanischen versuchen 😉 ).

* – es existiert auch die Schreibweise “Kaze no Tani no Naushika”; da ich über keinerlei Japanisch-Kenntnisse verfüge, weiß ich nicht, welche der beiden Versionen die richtige oder richtigere ist (und habe mich für die entschieden, bei der Nausicaäs Name wie im Deutschen und Englischen geschrieben wird)
** – die Tüdelchen auf dem hinteren a sind ein Trema, das in diesem Fall auf eine Diärese – die getrennte Aussprache zweier aufeinanderfolgender Vokale – verweist und nicht etwa wie sonst den deutschen Umlaut ä kennzeichnet

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Ramsey Campbell, der heute seinen 70. Geburtstag feiern kann. In seiner Heimat bzw. im englischen Sprachraum gilt der am 04. Januar 1946 in Liverpool geborene John Ramsey Campbell schon lange als Großmeister des modernen psychologischen – und damit keineswegs zwangsläufig phantastischen oder übersinnlichen – Horror und als einer der wichtigsten zeitgenössichen Horrorautoren überhaupt. Für deutschsprachige Leser und Leserinnen ist diese Einschätzung schwer nachzuvollziehen, denn Campbells mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Romane und Erzählungen erscheinen hierzulande – wenn überhaupt – seit beinahe zwanzig Jahren nur noch bei Klein- oder Spezialverlagen.
Am Anfang von Campbells Karriere war allerdings noch nicht zu erahnen, wo sie später einmal hinführen würde, denn seine erste Buchveröffentlichung – im zarten Alter von achtzehn Jahren – war der Sammelband The Inhabitant of the Lake and Less Welcome Tenants (1964) mit Geschichten, die stark von H.P. Lovecraft beeinflusst waren bzw. ihn stilistisch und inhaltlich imitierten. Einige Jahre später – nachdem er sich zwischenzeitlich sehr deutlich von Lovecraft distanziert hatte – sind weitere derartige Geschichten hinzugekommen, und in der 1993 erschienenen erweiterten Version des (1985 erstveröffentlichten) Sammelbands Cold Print sind (mit Ausnahme der deutlich später entstandenen Novelle The Last Revelation of Gla’aki (2013)) alle dem Cthulhu-Mythos zugehörigen und/oder von Lovecraft beeinflussten Geschichten Campbells versammelt.
Far Away and Never von Ramsey CampbellAuch wenn es in diesem Beitrag eigentlich gar nicht um Campbells Zeit als Lovecraft-Imitator und -Epigone gehen soll – die immerhin die Basis für seine aktuellsten Veröffentlichungen in deutscher Sprache bildet, denn bei Die Offenbarungen des Glaaki und Der Wahnsinn aus der Gruft (beide 2014) handelt es sich um die in zwei Bände aufgeteilte Übersetzung der o.g. erweiterten Version von Cold Print – sondern um seine Sword-&-Sorcery-Stories, war dieser Schlenker nicht vollkommen grundlos, denn der Keim besagter Stories wurde in einem Absatz der Titelstory aus The Inhabitant of the Lake gelegt; genauer gesagt in einem Zitat aus The Revelations of Glaaki (Campbells Beitrag zur Bibliothek der geheimen, ach so blasphemischen Bücher, die ein wichtiger Bestandteil des Cthulhu-Mythos sind), in dem eine Welt namens Tond erwähnt wird – und besagte Welt sollte Campbell dann in den 70er Jahren für seine Sword-&-Sorcery-Stories nutzen, die 1996 in dem schmalen Bändchen Far Away & Never gesammelt erschienen sind.
Die ersten beiden Stories – “The Stages of the God” (EV unter dem Pseudonym Montgomery Comfort in Whispers #5 (1974)) und “The Song at the Hub of the Garden” (EV 1977 in der Anthologie Savage Heroes) – sind relativ belanglos und erinnern mehr an Clark-Ashton-Smith-Pastiches als alles andere, doch die vier Geschichten um den Schwertkämpfer Ryre, die Campbell ursprünglich für die von Andrew J. Offutt herausgegebene Anthologiereihe Swords Against Darkness verfasst hat (und die in Band I, II, III und V zu finden sind), bieten atmosphärische, düstere Sword & Sorcery, die besser ist als Vieles, was ansonsten in dieser Zeit unter diesem Label erschienen ist, und machen Far Away & Never zu einem kleinen Highlight dieses Subgenres.
In “The Sustenance of Hoak” kommen Ryre und sein aufgrund unglücklicher Umstände schwer verletzter Kumpel Glode in das Städtchen Hoak, unter dem angeblich ein Schatz vergraben sein soll, doch in dem – außer den seltsam apathisch und teilnahmslos wirkenden Bewohnern – noch etwas viel Gefährlicheres haust, mit dem sich Ryre alsbald ganz allein auseinandersetzen muss. In “The Changer of Names” bekommt Ryre es mit einem geheimnisvollen Zauberer zu tun, der Namen ändert, d.h. manchen Männern die Namen und einen Teil der Fähigkeiten bedeutender Krieger verleiht. Aus sehr nachvollziehbaren Gründen beschließt Ryre, diesem Treiben ein Ende zu setzen, doch das erweist sich als weitaus schwieriger als gedacht. In “The Pit of Wings”, der dritten Story, muss er sich mit Sklavenhaltern und fliegenden Monstern herumschlagen, und in “The Mouths of Light” begegnet Ryre ein paar verarmten Fischern, die auf Schatzsuche sind – und etwas ganz anderes finden …
Zwar laufen die Ryre-Stories fast alle auf einen Zweikampf zwischen Mann und Monster(n) hinaus, doch dank Campbells Horror-Hintergrund handelt es sich bei seinen Monstern nicht um Variationen des in der Sword & Sorcery häufig anzutreffenden “Monsters der Woche”, sondern um wirklich unheimliche, schreckenerregende Wesen, die mit zu der düsteren Atmosphäre beitragen, die alle Geschichten durchzieht. Ryre selbst ist eine durchaus sympathische Figur: ein seinen Freunden gegenüber loyaler Krieger und Söldner mit einem pragmatischen Blick auf die Welt und sein Handwerk, der nicht über die schier übermenschliche Kraft eines Conan oder Kane verfügt, sich aber dennoch zu behaupten weiß, und den man eigentlich gerne noch auf ein paar weiteren Abenteuern begleitet hätte, doch mit der Einstellung der SAG-Anthologien war nicht nur seine Geschichte zu Ende, sondern auch Ramseys Campbells Ausflug in die Sword & Sorcery.
Wobei … so ganz stimmt das nicht, denn Campbell hat auch noch drei im Nachlass von Robert E. Howard gefundene unvollendete Solomon-Kane-Stories fertig geschrieben: “The Castle of the Devil” (in Solomon Kane – Skulls in the Stars (1978)) sowie “Hawk of Basti” und “The Children of Asshur” (beide in Solomon Kane – The Hills of the Dead (1979)). Und er ist sogar erst vor ein paar Jahren noch einmal zu Solomon Kane (der – wenn man von seinem religiösen Fanatismus absieht – Ryre gar nicht so unähnlich ist) zurückgekehrt, denn mit Solomon Kane (2010) hat er die Novelisation des gleichnamigen Films verfasst.
Der Krieger von AssurDie von Campbell ergänzten Solomon-Kane-Stories haben es in dem Band Die Krieger von Assur (1982) auch nach Deutschland geschafft. Von seinen anderen Sword-&-Sorcery-Stories wurde hingegen nur “The Pit of Wings” übersetzt (als “Die Schwingen des Grauens” in der Anthologie Atlantis ist überall (1981)), was in Anbetracht der Qualität der Ryre-Stories ebenso bedauerlich ist wie die Tatsache, dass Ramsey Campbell sich der Sword & Sorcery nur sehr kurz zugewandt hat. So betrachtet, ist Far Away & Never eine Art Vermächtnis – auch wenn das bei einem noch lebenden und sich bester Gesundheit erfreuenden Autor ein bisschen merkwürdig klingt …

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Andreas, der heute 65 Jahre alt wird. Es dürfte nur wenige Künstler geben, auf die der Spruch vom Propheten, der nichts im eigenen Land gilt, so gut zutrifft wie auf den am 03. Januar 1951 in Weißenfels an der Saale geborenen Comicautor und -zeichner Andreas Martens, der seit Ende der 70er Jahre in Frankreich lebt, dort unter seinem Künstlernamen Andreas mittlerweile rund 60 Alben veröffentlicht hat und in der frankobelgischen Comicszene längst zu einer festen Größe geworden ist. Auch wenn man zugeben muss, dass eine derartige Karriere im Comic-Entwicklungsland Deutschland niemals möglich gewesen wäre, ist es ebenso erstaunlich wie bedauerlich, dass von diesem umfangreichen Œuvre bislang nur ein kleiner Teil ins Deutsche übersetzt wurde.
Andreas hat das Comiczeichnen sozusagen von der Pike auf gelernt: nachdem seine Eltern mit ihm 1960 nach Westdeutschland gezogen waren, studierte er nach Abitur und Zivildienst ein Jahr lang an der Akademie der Schönen Künste in Düsseldorf und anschließend von 1973 bis 1976 am renommierten Institut Saint-Luc in Brüssel. Parallel dazu besuchte er die Comickurse des Luc-Orient-Schöpfers Eddy Paape an der Académie Saint-Gilles, dem er auch bei dem Comic Udolfo assistierte, der 1978 für das Comicmagazin Tintin entstand.
Rock von AndreasIm gleichen Jahr, in dem Udolfo in Tintin erschien, hatte dort in der Geschichte “Un siècle pour une maison” (in Tintin 47/78) mit Rork auch Andreas’ erste selbst kreierte Comicfigur ihren ersten Auftritt, dem rasch weitere folgen sollten. Rork ist ein trotz seiner langen weißen Haare jung – oder zumindest alterslos – wirkender Mann unbekannter Herkunft, der einen langen schwarzen Mantel trägt und von Legenden und geheimnisvollen Begebenheiten fasziniert ist. Letzteres sorgt dafür, dass er immer wieder in … merkwürdige Geschehnisse verwickelt wird, bei denen es ihm zugute kommt, dass er in andere Realitäten wechseln kann. In den ersten Geschichten – die 1984 in dem Album Fragments gesammelt erschienen sind – ist Rork häufig ein eher passiver Beobachter, etwa wenn er den Wissenschaftler und Alchimisten Adam Neels besucht, der den “point fatal” (im Deutschen “Druckpunkt”) entdeckt hat – einen Punkt, der jeden kugelförmigen Körper unabhängig von seiner Größe bersten lässt, wenn man auf ihn Druck ausübt – oder erstmals Bekanntschaft mit “la tache” bzw. dem “Fleck” macht. In den im zweiten Album Passages (1984) gesammelten Geschichten kristallisiert dich dann allmählich ein roter Faden heraus, der ab dem dritten Album Le cimetière des cathédrales (1988) – der ersten Geschichte in Albenlänge – die weitere Handlung der Rork Saga bestimmt. Von nun an geht es vor allem um Rorks unbekannte Herkunft und seine Bestimmung, die er herauszufinden versucht. Nicht nur thematisch hat Andreas ein paar Geschichten gebraucht, um seine Linie zu finden, auch grafisch ist vor allem in den ersten Geschichten eine Entwicklung festzustellen, die allerdings bereits in Passages abgeschlossen ist. Oder, anders gesagt, ab hier waren fast alle Elemente vorhanden, die für Andreas’ Grafik viele Jahre lang typisch sein sollten, wie etwa der Einsatz von Schraffuren, detailverliebte Hintergründe oder auch immer wieder auftauchende architektonische und/oder geometrische Motive. Hinzu kommen teils extreme Perspektiven und ein ungewöhnliches Seitenlayout. Das alles macht Rork – zusammen mit der verrätselten, sich eher in Andeutungen als klaren Aussagen ergehenden Geschichte – zu einem gewiss nicht schnell zu konsumierenden, sondern fordernden Comic, der sich problemlos mehrfach lesen lässt; sei es, weil man auf den kunstvoll komponierten Seiten immer mal wieder etwas Neues entdeckt, oder weil sich plötzlich plottechnische Zusammenhänge erschließen, die so manche Fragen beantworten … und gleich wieder neue aufwerfen.
In gewisser Hinsicht dürfte daher Cromwell Stone (1984) eine etwas leichtere, eingängigere Lektüre darstellen. In diesem Album erzählt Andreas in grandiosen schwarzweißen Bildern die Geschichte seines Titelhelden, der zusammen mit einem Dutzend weiterer Passagiere den Schiffbruch der “Leviticus” überlebt hat und sich auf die Suche nach einem verschwundenen Freund begibt – der ebenso wie die anderen Überlebenden auf mysteriöse Weise verschollen ist. Irgendetwas war damals an Bord der “Leviticus” – und scheint jetzt für das Verschwinden der Überlebenden verantwortlich zu sein … In Cromwell Stone und den Fortsetzungen Le retour de Cromwell Stone (1994) und Le testament de Cromwell Stone (2004) zeigt sich der Einfluss, den das Werk H.P. Lovecrafts auf den jungen Andreas hatte, wohl am deutlichsten (auch wenn er in den frühen Rork-Geschichten ebenfalls zu erahnen ist), und die Geschichte ist zwar ebenfalls verrätselt und mystisch, aber leichter entschlüsselbar als die Rork Saga und eignet sich daher – und wegen ihrer faszinierenden Schwarzweiß-Grafik, in der Andreas’ großartige Schraffurtechnik voll und ganz zur Geltung kommt, so dass manche Panels an die Kupferstiche eines Gustave Doré erinnern – vielleicht am besten als Einstieg in das Œuvre dieses Ausnahmekünstlers. Vor allem, wenn man eine Vorliebe für gothic novels hat, kann man hier eigentlich nichts falsch machen.
Im fünften – oder sechsten, wenn man die 2012 erschiene Vorgeschichte Les fantômes in die Zählung mit einbezieht – Rork-Album Capricorne (1990) hatte der gleichnamige Astrologe seinen ersten Auftritt, der es einige Zeit später zur Hauptfigur der 1997 mit L’objet begonnenen, mittlerweile neunzehn Bände umfassenden und immer noch laufenden gleichnamigen Albenserie gebracht hat (und der – ganz im Gegensatz zu Rork – dem Übernatürlichen anfangs skeptisch gegenübersteht und seinen wohlhabenden Kunden bewusst etwas vormacht) und im gleichen Jahr hat Andreas mit Ailleurs eine weitere, dieses Mal ebensosehr der SF wie der Phantastik zuneigende Serie namens Arq begonnen, die mittlerweile mit dem achtzehnten Album Ici (2015) ihren Abschluss gefunden hat.
Darüberhinaus hat er mit Cyrrus (1984) und Mil (1987) zwei Bände eines ebenfalls von H.P. Lovecraft inspirierten geplanten Dreiteilers sowie diverse Einzelalben – u.a. La caverne du souvenir (1985), Fantalia (1986), Coutoo (1989; dt. Unsterblich wie der Tod (1991)), Raffington Event – Détective (1989; dt. Raffington Event – Privatdetektiv (1992)), Dérives (1991), Aztèques (1992; dt. Azteken (1992)), Le Triangle rouge (1995; dt. Das rote Dreieck (1995)) und Quintos (2006; dt. Quintos (2010)) – geschaffen.
Während der größte Teil der Einzelalben – wie man sehen kann – auch auf Deutsch erschienen ist, hat es in dieser Hinsicht bei Andreas’ Zyklen und Serien bis vor kurzem ziemlich schlecht ausgesehen. Die ersten vier Rork-Alben, die ersten beiden Cromwell-Stone-Alben und Cyrrus sind als Fortsetzungen in Schwermetall erschienen und haben es danach – mit Ausnahmen von Cyrrus – auch zu einer Albenausgabe gebracht (als Fragmente, Passagen, Der Friedhof der Kathedralen und Sternenlicht (1988-92) in der Reihe Schwermetall präsentiert bzw. als Cromwell Stone und Die Rückkehr von Cromwell Stone (1993 und ’97) in einer limitierten Ausgabe), und von Capricorne sind die ersten beiden Alben als Das Objekt und Energie (beide 1998) hierzulande auf den Markt gekommen – und das wars dann für lange Zeit.
Cromwell Stone von AndreasDoch inzwischen ist mit Quintos – einer ausnahmsweise einmal nicht phantastischen, im spanischen Bürgerkrieg spielenden Geschichte, die sich grafisch deutlich von früheren Werken unterscheidet – nicht nur eines der neuesten Einzelalben von Andreas auf Deutsch erschienen, sondern mit der wirklich sehr empfehlenswerten Cromwell Stone Gesamtausgabe (2014) und der zweibändigen Rork Gesamtausgabe (2015) haben es auch bedeutende Pfeiler in Andreas’ Gesamtwerk endlich komplett nach Deutschland geschafft – und momentan sieht es so aus, als stünde tatsächlich eine Capricorn Gesamtausgabe vor der Tür. Somit besteht zumindest eine gewisse Chance, dass die eingangs erwähnte Aussage vom Propheten, der nichts im eigenen Land gilt, vielleicht in absehbarer Zeit revidiert werden muss und der Comicautor und -zeichner Andreas, der sich selbst in erster Linie als Erzähler sieht, der in den Comics das für ihn optimale Medium gefunden hat, endlich die verdiente Anerkennung erfährt.
Natürlich macht es Andreas seinen Lesern und Leserinnen häufig nicht leicht; er verfügt nicht über den schwungvollen Strich oder den Humor eines Jeff Smith, und seine Figuren mit ihren kantigen, teilweise fast schon karikierend überzeichneten Gesichtern fehlt die Körperlichkeit der Schöpfungen eines Richard Corben, doch seine unverwechselbare Grafik – vor allem seine die Grenzen des Mediums auslotenden spektakulären Seitenlayouts – und seine bewusst in der Schwebe gehaltenen und häufig mit einer gewissen distanzierten Kühle erzählten Geschichten bieten ein einzigartiges, mehrfach wiederholbares Leseerlebnis … wenn man sich auf sie einlässt.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Brandon Sanderson, der heute seinen 40. Geburtstag feiert. Bei Erscheinen seines Debut-Romans Elantris (2005, dt. Elantris 2007) war noch nicht zu ahnen, dass der am 19. Dezember 1975 in Lincoln, Nebraska, USA, geborene Brandon Sanderson eine der steilsten Karrieren der Fantasy hinlegen und sich im Lauf der nächsten zehn Jahre zu einem populärsten Autoren des Genres mausern sollte.
Elantris ist eine in einem Band abgeschlossene High Fantasy, die das Schicksal von Prinz Raoden verfolgt, einem idealistischen jungen Anführer, der über Nacht von einer schrecklichen Magie gezeichnet wird, die ihn quasi zum lebenden Toten macht, der fortan in Elantris leben muss, zusammen mit anderen, die sein unabwendbares Schicksal teilen. Doch Raoden lässt sich von „unabwendbar“ nicht beeindrucken und sucht nach seiner Lösung. Und seine Verlobte, die versucht, sein zerfallendes Reich zusammenzuhalten, ist genauso hartnäckig, so dass die beiden ihrem Schicksal mit Magie, Optimismus und Klugheit trotzen können.
The Final Empire von Brandon SandersonElantris war zwar vielleicht noch nicht Sandersons großer Durchbruch, doch es enthält bereits einige Grundzüge, die auch für das weitere Werk des Autors charakteristisch sein sollten: Ein fein ausgearbeitetes und sehr systemisches Magieverständnis, bildhaft geschilderte und in cineastischen Szenen agierende Figuren, die den Lesern und Leserinnen schnell sympathisch sind, und eine gewissermaßen geradlinige Handlung mit vielen inneren Zusammenhängen und einem strukturiertem Aufbau.
Die Trilogie, die Sanderson als nächstes anging, sorgte für mehr Aufsehen: Mit The Final Empire (2006, dt. Kinder des Nebels (2009)), The Well of Ascension (2007, dt. Krieger des Feuers (2010)) und The Hero of Ages (2008, dt. Herrscher des Lichts (2010)), zusammen die Mistborn Trilogy, betrat Sanderson eine neue Bühne, auf der Magie bzw. Allomantie über Metalle gewirkt wird und das Böse triumphiert hat und über eine mehr oder weniger zerstörte Welt regiert. Doch natürlich gibt es auch hier Rebellion, der führende Kopf dahinter ist Kelsier, ein sogenannter Mistborn, dessen Allomantie besonders mächtig ist. Das Magiesystem und die giftige, beinahe post-apokalyptische Welt sind die tragenden Säulen der Mistborn Trilogy. Mistborn wurde nach einem Sprung von mehreren Generationen mit bisher zwei weiteren Bänden fortgesetzt: The Alloy of Law (2011, dt. Jäger der Macht (2012)) und Shadows of Self (2015) – die noch nicht erschienenen Bände Bands of Mourning und The Lost Metal sollen die Reihe abschließen. Während zwar weiterhin die Allomantie im Mittelpunkt steht, hat sich die Welt nach den Ereignissen der ersten Trilogie gewandelt, und man hat es nun mit einer Flintlock Fantasy zu tun, deren Setting an den Western angelehnt ist.
Sanderson zeigte sich auch neben seinen High-Fantasy-Projekten sehr umtriebig und veröffentlichte Novellen, eine Jugendbuchreihe und Einzelromane, sein großer Wurf war aber ganz sicher, dass er in der Nachfolge des 2007 verstorbenen Robert Jordan dessen Epos The Wheel of Time in den drei Bänden The Gathering Storm (2009, dt. Der aufziehende Sturm, Die Macht des Lichts (beide 2010)), Towers of Midnight (2010, dt. Der Traum des Wolfs, Die Türme der Mitternacht (beide 2011)) und A Memory of Light (2013, dt. Die Schlacht der Schatten, Das Gedächtnis des Lichts (beide 2013)) beenden durfte und das auch zur allgemeinen Zufriedenheit der Fans getan hat.
The Way of Kings von Brandon SandersonDamit hatte Sanderson sich endgültig als Großmeister der epischen Fantasy erwiesen und prompt auch als nächstes ein eigenes ambitioniertes Großprojekt begonnen, The Stormlight Archive. Von zehn geplanten Bänden sind bisher zwei erschienen, The Way of Kings (2010, dt. Der Weg der Könige, Der Pfad der Winde (beide 2011)) und Words of Radiance (2014, dt. Die Worte des Lichts (2014), Die Stürme des Zorns (2015)), bei denen in der klassischen Manier der epischen Fantasy die von Stürmen geplagte Welt die eigentliche Hauptrolle spielt, deren Natur und Kultur ausgiebig von einer Reihe von Figuren erkundet und vorgestellt wird. Mit Königsmord, einem alten, fast vergessenen Übel, das der Welt droht, mächtigen Artefakten und verschiedenen, einander feindlich gesinnten Kulturen sind eigentlich alle bekannten Zutaten da, die Sanderson dann in der ihm eigenen akribischen Weise aufbereitet und zu einer Geschichte schmiedet, in der unter anderem das alte Geheimnis der Knights Radiant aufgedeckt wird, die die Welt einst vor Gefahren schützten, die das Leben dort ausgelöscht hätten.
Wenn man The Stormlight Archive schon für ein gigantisches Projekt hält, dann ist The Cosmere noch um eine Ecke ambitionierter, denn unter diesem Oberbegriff hält Sanderson das Stormlight Archive, Mistborn, Elantris und noch etliche andere Werke unter einem Dach zusammen: Die Welten sind alle Planeten einer untereinander verwobenen Galaxis, und Sanderson erfreut seine Fans mit Eastereggs und Hinweisen, die auf das größere Ganze deuten, das im Verlauf weiterer Romane noch eine Rolle zu spielen haben und immer mehr in den Vordergrund treten soll. Da dass Cosmere-Universum insgesamt auf ein paar Dutzend geplante Romane ausgelegt ist, gehen Brandon Sanderson bestimmt nicht schnell die Ideen aus, und seine Leser und Leserinnen können sich auf etliche weitere neue Welten freuen. The Cosmere ist auf jeden Fall ein ziemlich einzigartiges Großprojekt in der Fantasy-Landschaft – das sich durch Sandersons Zuverlässigkeit und Fleiß auch sehr viel schneller entfaltet als so manches andere Opus magnum.

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert – aufgrund besonders widriger Umstände dieses Mal mit so richtig viel Verspätung* – an Leigh Brackett, deren Geburtstag sich am Montag zum 100. Mal gejährt hat. Wenn man bedenkt, dass die am 07. Dezember 1915 in Los Angeles geborene Leigh Douglass Brackett zu Lebzeiten nicht nur eine bekannte und bedeutende, in den Pulps zeitweise sehr präsente SF- und Fantasy-Autorin – und damit neben C.L. Moore das wichtigste Vorbild für ganze Generationen späterer SF- und Fantasy-Autorinnen – sondern auch eine erfolgreiche Drehbuchautorin war, ist es schon ein bisschen erstaunlich, dass sie heute mehr oder weniger in Vergessenheit geraten ist. Andererseits bekommen Drehbuchautoren ohnehin nur selten die Beachtung, die sie verdienen, und Bracketts SF ist zumindest in einer Hinsicht ein Kind ihrer Zeit, denn die frühen Geschichten und Romane der “Queen of Space Opera” spielen meist auf den inneren Planeten unseres Sonnensystems – weswegen man sie eigentlich treffender “Queen of Planetary Adventure” nennen müsste –, und ihre Darstellung dieser Planeten orientiert sich an den Bildern von Mars und Venus, die vor allem Edgar Rice Burroughs in seinen Romanen um John Carter und Carson Napier heraufbeschworen hat.
The Ginger Star von Leigh BrackettVermutlich hat auch Edmond Hamilton (den sie 1946 geheiratet hat), in dessen Captain-Future-Romanen die Planeten unseres Sonnensystems ebenfalls als von dort heimischen humanoiden und nonhumanoiden Völkern bewohnte Welten geschildert werden, einen gewissen Einfluss auf Leigh Brackett und die Wahl ihres Settings gehabt, doch ihr großes Vorbild war zweifellos besagter Edgar Rice Burroughs (der neben Robert E. Howard einer ihrer Lieblingsautoren war). Von daher ist es nicht überraschend, dass der Mars in Bracketts Solsystem (und damit auch in ihren Geschichten und Romanen) eine wichtige Rolle spielt und schon als Schauplatz ihrer allerersten Story “Martian Quest” (in Astounding Science-Fiction, Februar 1940) dient, auch wenn dieser Mars noch nicht viel mit dem Mars ihrer späteren Geschichten zu tun hat. Ohnehin gehört Leigh Brackett nicht zu den Autorinnen und Autoren, die mit einem Paukenschlag die Szene betreten haben; sie brauchte einige Zeit, um sich freizuschreiben und die Elemente zu entwickeln, die ihre Geschichten ab so etwa Mitte der 40er Jahre zu etwas Besonderem machen sollten.
Und deshalb schrieb sie fleißig SF- und Krimistories und verfasste mit No Good from a Corpse (1944) auch ihren ersten Roman – einen Krimi, der zur Initialzündung ihrer zweiten Karriere werden sollte, denn durch ihn wurde der bekannte Regisseur Howard Hawks auf “this Brackett guy” aufmerksam und wollte “ihn”, um William Faulkner zu unterstützen, Raymond Chandlers Roman The Big Sleep als Drehbuch zu adaptieren. Das Ergebnis war der gleichnamige Film (dt. Tote schlafen fest (1946)), der – da Hawks kein Problem damit hatte, dass der “guy” sich als “girl” entpuppte – nur der erste in einer Reihe erfolgreicher Filme sein sollte, für deren Drehbuch Leigh Brackett verantwortlich war.
Als sie Hawks’ Anruf bekam, schrieb Brackett gerade an einer Erzählung mit dem Titel “Lorelei of the Red Mist” (Planet Stories, Sommer 1946), die daraufhin vom jungen Ray Bradbury – dessen Mentorin sie damals war – fertiggeschrieben wurde (nebenbei bemerkt ohne, dass sich irgendwelche stilistischen Unterschiede feststellen lassen). In “Lorelei”, einer ihrer besten, auf der Venus spielenden Geschichten, findet sich der terranische Abenteurer Hugh Starke nach einer Bruchlandung alsbald in einem anderen Körper wieder und steckt wenig später mitten in einem kriegerischen Konflikt zwischen zwei verfeindeten Parteien. Starke ist eine für diese Phase ziemlich typische Brackett-Figur und ähnelt nicht nur vom Namen her ein bisschen ihrem bekanntesten Helden: er ist ein harter Bursche, der sich in den Hinterhöfen der Bronx ebenso zu behaupten wüsste wie in den von gefährlichen Lebewesen wimmelnden Dschungeln und Sümpfen der Venus und kommt immer mal wieder mit dem Gesetz in Konflikt, weiß aber letztlich sehr wohl, was falsch und was richtig ist. Die Venus wiederum, ein vor Leben förmlich strotzender, mit faszinierenden Naturphänomenen aufwartender Dschungelplanet, bietet ein farbenprächtiges Setting, das auch in einigen anderen Geschichten als exotische Kulisse dient.
Bracketts Lieblingsplanet war jedoch zweifellos der Mars, und ihre Marsgeschichten haben vor allem deswegen ein besonderes Flair, weil sie ihn als öde alte Welt schildert, deren Bewohner größtenteils ein armseliges Leben fristen und allenfalls in Reminiszenzen an die glorreiche Vergangenheit schwelgen. Diese Vergangenheit ist immer spürbar, und die Tatsache, dass sie als Erinnerung – oder auch ganz handfest in Form uralter, teilweise einer Hochtechnologie entstammender Artefakte – dauernd präsent aber eben auch unwiderruflich dahin ist, verleihen den Marsgeschichten eine unterschwellige Melancholie, die hervorragend zu den ambivalent gezeichneten, von der Erde stammenden Abenteurern und Glücksrittern passt, die auf dieser für sie fremden Welt ihr Glück suchen, aber häufig ganz oder teilweise scheitern.
The Sword of Rhiannon von Leigh BrackettEiner dieser Glücksritter ist der auf der Erde geborene, aber schon ziemlich lange auf dem Mars lebende heruntergekommene Ex-Archäologe Matthew Carse, der in The Sword of Rhiannon (1953, Magazinveröffentlichung als “Sea-Kings of Mars” (Thrilling Wonder Stories, Juni 1949), dt. Das Erbe der Marsgötter (1978)**) – dem Roman, mit dem Brackett nach ihrem ersten Hollywood-Intermezzo zu den Pulps zurückkehrte – durch besondere Umstände in die Vergangenheit geschleudert wird, in der der Mars noch grün und teilweise von Meeren bedeckt war und die marsianische Hochkultur noch in voller Blüte stand. Doch auch der alte Mars ist keine friedliche Welt, denn es herrscht Krieg zwischen den Dhuvians – den reptilischen people of the Serpent – und den Sea-Kings, die am Rande des Marsozeans leben und immer noch erbittert Widerstand leisten. Und auch wenn es zunächst so aussieht, als würde Carse in der Vergangenheit als Galeerensklave enden, spielt er letztlich eine wichtige Rolle in diesem Krieg (woran auch das titelgebende Schwert der Buchausgabe und dessen eigentlicher Besitzer ihren Anteil haben). The Sword of Rhiannon ist vielleicht der beste von Bracketts Marsromanen; auf alle Fälle ist er der fantasyhafteste – denn “echte” Fantasy hat Brackett nie geschrieben – und der Kontrast zwischen dem alten Mars und dem, was in der Gegenwart noch davon übrig ist, lässt das Gefühl des Verlusts, das alle auf dem Mars spielenden Romane und Geschichten mehr oder weniger deutlich durchzieht, noch intensiver werden.
Fast genau zum gleichen Zeitpunkt, zu dem Matthew Carse in Thrilling Wonder Stories seine Abenteuer erlebte, hatte auch Leigh Bracketts wichtigster und bekanntester Held seinen ersten Auftritt: In “Queen of the Martian Catacombs” (Planet Stories, Sommer 1949) begegnen wir zum ersten Mal Eric John Stark, der von der Venus geflohen ist – wo er die Einheimischen als Waffenschmuggler in ihrem Kampf gegen einen Bergbaukonzern unterstützt hat – und nun auf dem Mars als Söldner für einen marsianischen Lord in den Drylands kämpft. Doch schon bald muss er sich fragen, ob er auf der richtigen Seite steht. In “Enchantress of Venus” (Planet Stories, Herbst 1949) befindet er sich auf der Venus, um nach einem verschollenen Freund zu suchen, kehrt jedoch in “Black Amazon of Mars” (Planet Stories, März 1951) wieder auf den Mars zurück. Dieses Mal ist er unterwegs zu einer in der Polregion gelegenen Stadt, um ein Versprechen zu erfüllen, das er einem sterbenden Freund gegeben hat – was sich als etwas komplizierter als gedacht erweist, als die Stadt von barbarischen Stammeskriegern angegriffen wird und die einzige Fluchtmöglichkeit das Death Gate ist, hinter dem die letzten Mitglieder eines uralten, degenerierten Marsvolks hausen …
Eric John Stark ist einerseits eine typische Brackett-Figur, andererseits aber etwas Besonderes: er ist ein Mensch, dessen Eltern von der Erde stammen, wurde aber auf dem Merkur geboren, wo seine Eltern für einen Bergbaukonzern arbeiteten; als sie durch ein Erdbeben umkamen, wurde er von einem Stamm einheimischer halbintelligenter Humanoider adoptiert, die ihm den Namen N’Chaka – Man-Without-a-Tribe – gaben und beibrachten, in der lebensfeindlichen Zwielichtzone des Merkur zu überleben. Als Mitarbeiter eines Bergbaukonzerns seinen Stamm auslöschten, wurde Stark als Halbwüchsiger von dem Polizeioffizier Simon Ashton gerettet, der ihn wie einen Sohn behandelte und mit dem ihn auch als Erwachsener eine Freundschaft verbindet – auch wenn Stark immer mal wieder mit den (von der irdischen Hegemonialmacht erlassenen) Gesetzen in Konflikt kommt. Eric John Stark ist ein harter, aber auch ehrlicher und loyaler Mann in einer harten Umwelt, für den vor allem Tarzan, aber auch ein bisschen Conan Pate standen; er ist ein Mensch, aber er ist auch N’Chaka, the man without a tribe, ein beinahe animalisches Wesen, das in seiner Jugend den härtesten Lebensbedingungen zu trotzen gelernt hat. Bei Eric John Stark ist die zivilisatorische Tünche dünn, aber er wirkt trotzdem – nicht nur, weil er das, was die Terraner den einheimischen Völkern des Merkur, der Venus und des Mars angetan haben, klar erkennen kann – menschlicher als alle seine Gegner und die meisten seiner Verbündeten. Und genau wie der Mars hat auch er etwas verloren, das unwiederbringlich dahin ist. Eric John Stark hatte das Potential, als Hauptfigur noch vieler Geschichten zu dienen, doch nach diesen drei Abenteuern war zunächst einmal Schluss, obwohl Brackett auch weiterhin Geschichten in ihrem gewohnten Setting schrieb.
Doch ab Mitte der 50er Jahre brachen ihr, die immer in der Tradition der Pulps und für die Pulps geschrieben hatte, durch die Einstellung von Magazinen wie Planet Stories oder Thrilling Wonder Stories ihre bevorzugten Märkte weg, so dass danach kaum noch Erzählungen von ihr erschienen. Immerhin schrieb sie in dieser Zeit eine Handvoll SF-Romane, die durchaus lesbar und teilweise sogar lesenswert sind – dies gilt in erster Linie für The Long Tomorrow (1955; dt. Am Morgen einer anderen Zeit (1983)), einen postapokalyptischen Roman, zu dem sie durch die Lebensweise der Amish inspiriert wurde –, denen aber die besondere Atmosphäre fehlt, die vor allem ihre Mars- und Venusgeschichten auszeichnet. Außerdem arbeitete sie am Drehbuch zu Rio Bravo (1959) mit und verfasste zwei weitere Krimis.
Anfang der 60er Jahre hat sie schließlich nicht nur vom Mars, sondern für rund zehn Jahre von der SF generell Abschied genommen, wobei dieser Abschied durch die Erweiterung der beiden auf dem Mars spielenden Eric-John-Stark-Erzählungen zu (kurzen) Romanen – nämlich The Secret of Sinharat (1964, dt. Der Weg nach Sinharat (1977)) und People of the Talisman (1964, dt. Wächter am Todestor (1977)) – zumindest ein wenig versüßt wurde. Ansonsten war sie vor allem als Drehbuchautorin (für Hatari (1962), El Dorado (1967), Rio Lobo (1970) und The Long Goodbye (1973)) aktiv.
Doch 1974 ist sie noch einmal zur SF und zu Eric John Stark zurückgekehrt; allerdings erlebt Stark in The Ginger Star und den Folgebänden The Hounds of Skaith (ebenfalls 1974) und The Reavers of Skaith (1976) seine Abenteuer nicht mehr im Sonnensystem, sondern auf dem fernen Planeten Skaith. Was letztlich nur logisch ist. Bracketts Solsystem war schon in den 40er und 50er Jahren ein (bewusst eingesetzter) Anachronismus, in den 70ern jedoch vollkommen undenkbar. Geschadet hat Eric John Stark die Versetzung nach Skaith – wohin er aufbricht, um seinen Stiefvater und Freund Simon Ashton zu suchen, der dort verschollen ist – eigentlich nicht. Wie der Mars ist auch Skaith eine alte, sterbende Welt, die am Rand der Galactic Union um eine langsam erlöschende Sonne kreist und das Erbe ihrer einstigen Hochzivilisation längst vergessen hat. Auf Skaith leben mehrere unterschiedliche Völker unter der Oberherrschaft der geheimnisvollen Lord Protectors in ihrer Zitadelle im Norden, die nicht zulassen wollen, dass ihre durch die Klimaveränderung mittelfristig vom Hungertod bedrohten Untertanen diese Welt verlassen, und deren Willen die Wandsmen durchsetzen. Stark, der eigentlich unauffällig nach Ashton suchen wollte, gerät gleich nach seiner Ankunft mit den Wandsmen in Konflikt, weil die Tochter einer Seherin in ihm den prohezeiten “Dark Man” erkennt (Starks Haut ist dank der erbarmungslosen Merkursonne “nearly as black as his hair”), der die Völker von Skaith in die Freiheit führen wird. Und schon wenig später ist er mitten in einer planetaren Revolution …
The Secret of Sinharat von Leigh BrackettDie Skaith-Romane, die als Der sterbende Stern (1979), Dämon aus dem All und Planet im Aufbruch (beide 1980) auch auf Deutsch erschienen sind, vermitteln nicht ganz das gleiche Feeling wie die Mars- und Venusgeschichten, überzeugen aber als actionbetonte Sword-&-Planet-Abenteuer in einem exotischen Setting. Wie in fast allen Werken Bracketts (nicht vergessen: sie hat bewusst in der Tradition der Pulps geschrieben) ist der Plot recht geradlinig, und die Figuren (vor allem die Nebenfiguren) sind nur grob charakterisiert. Andererseits ist es erstaunlich, wieviel Stoff sie in diesen vergleichsweise dünnen Romanen unterbringt, und wie es ihr immer wieder gelingt, mit einigen wenigen Sätzen eine ungemein dichte Atmosphäre zu erzeugen. Hinzu kommen ein stimmiges Setting, das sich nicht in Details verliert, auch wenn es Hinweise und Andeutungen gibt, dass hinter der sichtbaren Oberfläche noch viel verborgen ist – und Actionsequenzen, die sich auch vor denen eines Robert E. Howard nicht verstecken müssen. Natürlich sollte man schnell erzählte, atmosphärisch dichte Abenteuergeschichten grundsätzlich mögen – aber wenn man das tut, kann man an den Romanen und Erzählungen von Leigh Brackett sehr viel Spaß haben.
Die Skaith-Romane bilden gewissermaßen den Schwanengesang in Bracketts Schaffen, wenn man von “Stark and the Star Kings” (2005) absieht, ihrer einzigen Kollaboration mit Edmond Hamilton; die Geschichte, in der es Eric John Stark ins Universum der Star Kings verschlägt, war ursprünglich für Harlan Ellisons Last Dangerous Visions entstanden, wurde aber erst viele Jahre nach Bracketts (und Hamiltons) Tod veröffentlicht. Und natürlich gibt es dann noch den ersten Entwurf des Drehbuchs zu The Empire Strikes Back (1980), den sie kurz vor ihrem Tod am 18. März 1978 abgeliefert hat.
Es gäbe noch viel über Leigh Brackett und ihr Schaffen zu sagen – etwa über die erstaunlich starken Frauenfiguren, die in etlichen Romanen und Geschichten auftauchen –, aber dieser Artikel ist ohnehin bereits viel zu lang. Andererseits sind zumindest zwei Kuriositäten noch erwähnenswert: Obwohl Eric John Stark in Bracketts Erzählungen und Romanen mehrfach als dunkelhäutig beschrieben wird, wurde er erst auf den Paizo-Ausgaben ab 2007 auf dem Cover so dargestellt. Interessant ist auch, dass keines ihrer Werke einen literarischen Preis der SF-Szene erhalten hat (wenn man von dem ihr posthum verliehenen Hugo für das Drehbuch zu The Empire Strikes Back absieht), aber Follow the Free Wind (1963), einer ihrer beiden Western, mit dem Spur Award der Western Writers of America (sprich: dem Nebula-Äquivalent der Westernautoren) ausgezeichnet wurde.
Als Schlusswort passt vielleicht diese Aussage von Kai Meyer am besten, der 2007 in einem Interview auf die Frage, was er denn gerade lesen würde, geantwortet hat: “Ich bin gerade dabei, Leigh Brackett wiederzuentdecken. Sie ist heutzutage fast vergessen, aber ihre Mars- und Venus-Geschichten sind zum in die Knie gehen atmosphärisch.”***

* – wir haben uns lange überlegt, ob wir diesen Beitrag überhaupt noch bringen wollen, waren aber letztlich der Ansicht, dass bei 100 Jahren zwei oder drei Tage keinen großen Unterschied machen 😉
** – im Blogbeitrag werden nur die deutschen Titel – und da auch jeweils die neueste Ausgabe – ihrer Romane genannt; sollte entsprechendes Interesse bestehen, kann eine (vermutlich nicht ganz vollständige) Bibliographie ihrer deutschsprachigen Veröffentlichungen nachgereicht werden
*** – das Interview ist hier zu finden

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Karl Edward Wagner, der heute 70 Jahre alt geworden wäre. Es dürfte nur wenige Autoren geben, deren Stellung in einem bestimmten Subgenre der phantastischen Literatur so unumstritten ist, wie die des am 04. Dezember 1945 in Knoxville, Tennessee, geborenen Karl Edward Wagner in der Sword & Sorcery. Bevor Wagner sich mit seinen Romanen und Erzählungen um den unsterblichen Schwertkämpfer Kane einen Namen als legitimer Nachfolger Robert E. Howards machte, hatte er Geschichte und Medizin studiert und sogar kurzfristig als Psychiater gearbeitet. Doch der Wunsch, schreibend die Abgründe des menschlichen Daseins zu erforschen, scheint ausgeprägter gewesen zu sein als der, sich damit aus medizinischer Sicht auseinanderzusetzen. Ob dies für die potentiellen Patienten des Kurzzeit-Psychiaters einen Verlust darstellt, lässt sich wohl kaum sagen – für alle, die die Sword & Sorcery lieben, war es jedoch zweifellos ein Gewinn.
Darkness Weaves von Karl Edward WagnerWagner hatte den von einem rachsüchtigen Gott zur Unsterblichkeit verfluchten Brudermörder Kane – seine Version des biblischen Kain – bereits in seiner Jugend ersonnen, und diese Figur ist mehr oder weniger ein Amalgam aus zwei alten Traditionslinien, die den jungen Wagner stark beeindruckt und beeinflusst haben: zum einen Sword-&-Sorcery-Helden wie Fritz Leibers Fafhrd & Gray Mouser und noch viel mehr Robert E. Howards Conan, zum anderen die Helden der gothic novels, und hier vor allem Charles Maturins Melmoth the Wanderer. Dass Kane kein Conan-Clon ist, dürften die Leser von Darkness Weaves with Many Shades (1970), dem Roman, in dem der rothaarige Krieger mit den Augen eines Mörders seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte, durchaus bemerkt haben; Wagners erzählerische und stilistische Fähigkeiten hingegen waren in seinem Erstling – in dem sich Kane mit der entsetzlich entstellten Seekönigin Efrel verbündet, um ihr zu helfen, sich an ihren Peinigern zu rächen (und außerdem seine ganz persönlichen Ziele verfolgt) – allenfalls zu erahnen. Einerseits, weil Darkness Weaves with Many Shades der schwächste Kane-Roman ist, andererseits und vor allem, weil der Verlag Wagners Manuskript kürzte und bearbeitete, so dass die veröffentlichte Version eigentlich eine Travestie darstellt.
Doch drei Jahre später erschien mit Death Angel’s Shadow ein Sammelband mit drei längeren Erzählungen, die mit zum Besten gehören, was die Sword & Sorcery bislang hervorgebracht hatte und Wagners Reputation deutlich ansteigen ließen. Egal, ob Kane in “Reflections for the Winter of My Soul” in einer eingeschneiten Burg mit einem geheimnisvollen Mörder und Gegner ganz besonderer Art konfrontiert wird, es in “Cold Light” mit einem selbsternannten Kämpfer für Gerechtigkeit und dessen Gefolgsleuten zu tun bekommt, die ihn jagen und dabei mindestens so brutal und grausam vorgehen wie ihre vermeintliche Beute, oder in “Mirage” auf eine andere Unsterbliche trifft, in deren Armen er Vergessen finden könnte (doch um welchen Preis?) – alle drei Geschichten zeigten und zeigen, wie weit man innerhalb eines Genres gehen kann, das bis dahin (von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen) vor allem von formelhaften, mehr oder weniger Howards Conan imitierenden Stories dominiert worden war.
Endgültig auf der Landkarte der Sword & Sorcery angekommen ist Wagner schließlich mit Bloodstone (1975), seinem zweiten Roman, wobei das Cover von Fantasy-Ikone Frank Frazetta dabei gewiss nicht geschadet hat. Kanes Wanderungen führen den rothaarigen Hünen in einen klassischen Fantasy-Konflikt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Parteien: Während die rustikalen, wikingerhaften Breimen unter ihrem Anführer Malchion auf direkte Konfrontationen setzen, die sie mit körperlicher Stärke austragen, gehen die Städter unter der Herrschaft des schlauen Dribeck listenreich vor und scheuen auch nicht vor Zauberei zurück, die in Kanes Welt allerdings immer einen nicht zu unterschätzenden Preis hat. Kane wäre allerdings nicht Kane, wenn er die beiden Streithähne nicht zu seinem eigenen Vorteil ausspielen würde – ihm geht es vor allem um Unterstützung bei einer Expedition auf der Suche nach einem uralten Artefakt, dem sagenumwobenen Blutstein. Doch nicht einmal Kane ahnt, was es damit wirklich auf sich hat. Neben der Sword & Sorcery würdigen Actionsequenzen und weiteren Einblicken in Kanes rätselhaften Charakter bietet das auch stilistisch gediegene Bloodstone einen aus Fantasy-Sicht beschriebenen SF-Hintergrund und eine für das Subgenre und ihre Zeit progressive Frauenfigur, der es auch gelingt, an Kanes menschliche Seite zu rühren.
Auch in Dark Crusade (1976) steht ein verheerender Krieg im Zentrum der Handlung, ausgelöst von einem fanatischen Propheten, der seine Anhänger ohne Rücksicht auf Verluste auf einen Eroberungsfeldzug schickt. Dunkle Mächte unterstützen den blutigen Marsch der aufgepeitschten Scharen, und noch mehr vielleicht die Tatsache, dass die umliegenden Reiche uneins sind und die Gewaltergüsse des Propheten Orted durchaus auch gerne nutzen, um unliebsame Nachbarn aus dem Weg zu räumen. Kane, dem solche Ereignisse Abwechslung in seinem endlosen Dasein bieten und der auch nie davor zurückscheut, im entscheidenden Augenblick die Seiten zu wechseln, dient an verschiedenen Stellen als Heerführer und spürt dem dunklen Geheimnis nach, das hinter dem religiösen Wahn steht. Und wieder rührt er dabei an alte Mächte, die vielleicht sogar für einen wie ihn zu viel sind.
Dark Crusade von Karl Edward WagnerWie schon der erste Kane-Roman besticht Dark Crusade durch lebhafte Beschreibungen der Figuren und Örtlichkeiten, die dann beinahe genussvoll in Düsternis und Blut untergehen, und einem beeindruckenden Schwenk in die Gefilde des Surrealen und Horrors, wenn Kane dem Geheimnis schließlich auf die Spur kommt und Bekanntschaft mit Wesenheiten macht, die älter sind als die Menschheit. Der schmale Grat zwischen Faszination und Abscheu, Heldentum und Menschenfeindlichkeit, auf dem Wagner seine Hauptfigur führt, bleibt dabei stets präsent.
Nach diesen beiden Romanen ist mit Night Winds (1978) noch ein Sammelband mit sechs zwischen 1974 und 1977 in diversen Magazinen vorveröffentlichten Erzählungen sowie mit Darkness Weaves (1978) noch eine längst überfällige Neuausgabe von Wagners Erstling (dieses Mal wie vom Autor intendiert) erschienen – und damit waren Kanes Abenteuer auch beinahe schon an ihrem Ende angekommen. In The Book of Kane (1985), einem von Jeff Jones illustrierten, kleinauflagigen Auswahlband finden sich neben mehreren Nachdrucken noch zwei neue Kane-Stories, und in Midnight Sun: The Complete Stories of Kane (2003) sind weitere fünf Geschichten (die sich teilweise allerdings deutlich von den bisherigen Kane-Stories unterscheiden) enthalten, die zuvor z.T. in Exorcisms and Ecstasies (1996) – einem Sammelband, der einen Querschnitt durch Wagners Schaffen als Fantasy- und Horror-Autor bietet – bzw. diversen Anthologien erschienen waren, sowie mit In the Wake of the Night ein Auszug aus einem früh in Kanes Leben angesiedelten Roman, an dem Wagner angeblich seit Ende der 70er Jahre arbeitete. Aber gerade die spät entstandenen Kane-Geschichten zeigen, dass Wagner sich innerlich von der Sword & Sorcery mehr oder weniger verabschiedet hatte. Wobei auch das vermutlich nur ein Teil der Wahrheit ist.
In den 70er Jahren – d.h. spätestens seit der Veröffentlichung von Bloodstone – war Wagner eine der zentralen Figuren der Sword & Sorcery bzw. der Fantasy-Szene, und auch wenn er gewiss noch nicht einmal in dieser Zeit ein Vielschreiber war, erschienen seine Romane und Geschichten doch in steter Regelmäßigkeit. Immerhin brachte er parallel zu seiner Kane-Saga mit Legion of the Shadows (einem Bran-Mak-Morn-Roman) und The Road of Kings (einem Conan-Roman) auch zwei Howard-Pastiches auf den Markt – die beide zu den besten ihrer Art gehören, selbst wenn man konstatieren muss, dass der Wagner-Conan schon ein bisschen anders agiert als der Howard-Conan – und veröffentlichte seine ersten zeitgenössischen Horrorstories wie z.B. die mit dem British Fantasy Award ausgezeichnete, zum Cthulhu-Mythos zählende Geschichte “Sticks” (in Whispers #3, März ’74).
Anfang der 80er Jahre scheinen sich seine Interessen dann mehr und mehr zum Horror verlagert zu haben, denn er verfasste praktisch nur noch Horrorstories und gab außerdem ab 1980 bzw. Band acht die jährlich erscheinende Anthologie The Year’s Best Horror Stories heraus, für die er Geschichten aus den obskursten Quellen zusammentrug. Und auch wenn er weiterhin Horrorstories veröffentlichte, war nicht zu übersehen, dass Karl Edward Wagner den Zenit seines künstlerischen Schaffens längst überschritten hatte. Möglicherweise hat ihn die “dunkle Muse”, der er jahrelang mit Alkohol und Tabletten auf die Sprünge geholfen hatte, am Ende tatsächlich verlassen. Und vielleicht hat daraufhin der düstere, fast schon depressive Zug, der ihm selbst ebenso innewohnte wie der Figur, die er in gewisser Hinsicht nach seinem Ebenbild erschaffen hatte, in ihm die Oberhand gewonnen, denn vieles deutet darauf hin, dass Wagner gewusst hat, dass er den Preis für seinen jahrzehntelangen Alkohol- und Drogenmissbrauch eines nicht allzu fernen Tages würde zahlen müssen. Sicher ist nur, dass es am 14. Oktober 1994 soweit war, denn an diesem Tag ist Karl Edward Wagner im Alter von 49 Jahren in seinem Haus in Chapel Hill gestorben.
The Book of Kane von Karl Edward WagnerIm Gegensatz zu vielen anderen Sword-&-Sorcery-Helden der 70er Jahre hat es Wagners Kane auch nach Deutschland geschafft, und das sowohl relativ zeitnah als auch – zumindest im Hinblick auf das damals vorliegende Material – relativ vollständig. Die drei Kane-Romane sind als Kreuzzug des Bösen, Herrin der Schatten (beide 1979) und Der Blutstein (1980) erschienen, und aus den zwei ursprünglichen Kurzgeschichtensammlungen wurden hierzulande drei (Der Verfluchte (1978), Sohn der Nacht (1979) und Die Rache des Verfluchten (1980)), wobei die Reihenfolge der Veröffentlichungen sich weder an der inneren Chronologie noch an der Erscheinungsfolge der Originalausgaben orientiert. Das gesamte Kane-Material wurde dann noch einmal in zwei Sammelbänden – Das Buch Kane und Kane der Verfluchte (beide 1989) – veröffentlicht, doch leiden diese Sammelbände unter dem gleichen Makel wie die einzelnen Veröffentlichungen: Die Übersetzungen sind – der Zeit und den Umständen ihres Entstehens geschuldet – teilweise gekürzt und nicht unbedingt sehr originalgetreu. Von daher ist die Initiative des kleinen Berliner Golkonda Verlags zu begrüßen, wo bislang mit Der Blutstein (2014) und Kreuzzug des Bösen (2015) die ersten beiden Kane-Romane (in handlungschronlogischer Reihenfolge) komplett überarbeitet neu aufgelegt wurden. Es wäre zu hoffen, dass nach dem bereits angekündigten dritten Roman auch die Erzählungen um Kane in dieser Weise neu herausgebracht werden, damit auch die deutschsprachigen Leser und Leserinnen die wohl interessanteste Figur, die die Sword & Sorcery bislang hervorgebracht hat, endlich so kennenlernen können, wie ihr Autor sie geschaffen hat. Und in Zeiten, in denen die Grimdark- oder Grim-&-Gritty-Fantasy mehr oder weniger boomt, sollte eigentlich auch Kane – den man mit einer gewissen Berechtigung durchaus als einen Vorläufer dieser Welle bezeichnen könnte – ein Plätzchen auf dem Markt finden …

Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Charles G. Finney, dessen Geburtstag sich heute zum 110. Mal jährt. Auch der am 01. Dezember 1905 in Sedalia, Missouri, geborene Charles Grandison Finney ist einer der Autoren, die nicht nur hierzulande, sondern auch in ihrer Heimat ziemlich vergessen sind. Dabei hat er – kurz nachdem in den pulps die Geburtsstunde der Sword & Sorcery geschlagen hatte – mit The Circus of Dr. Lao (1935) einen kleinen Klassiker der Phantastik geschrieben, der etliche später schreibende Autoren spürbar beeinflusst hat.
The Circus of Dr. Lao von Charles G. FinneyThe Circus of Dr. Lao erzählt davon, wie eines Tages irgendwann im frühen 20. Jahrhundert der chinesische Zirkusdirektor Dr. Lao mit seinem Wanderzirkus, in dem es allerlei seltsame Wesen – etwa einen Satyr, eine Medusa, eine Sphinx, eine Werwölfin und noch viele andere mehr – zu bestaunen gibt, in die verschlafene, fiktive Kleinstadt Abalone irgendwo in Arizona kommt – und was für Auswirkungen das auf die Stadt und ihre Bewohner hat … Das Fremde, das in die Alltagswelt einbricht, ist eines der zentralen Motive der phantastischen Literatur, und Charles G. Finney spielt in diesem nicht sehr umfangreichen Roman auf exemplarische Weise mit den Veränderungen, die eine solche Begegnung mit dem Unbekannten in der zuvor so fest geordneten Alltagswelt bewirkt. Darüberhinaus punktet der Roman mit einer ebenso skurrilen wie melancholischen Atmosphäre – und mit einer ungewöhnlichen Struktur. Ray Bradbury hat sich etliche Jahre später des gleichen Themas angenommen, und Peter S. Beagles The Last Unicorn enthält eine direkte Hommage an Dr. Laos Wanderzirkus.
Außer The Circus of Dr. Lao hat Charles G. Finney, der viele Jahre lang hauptberuflich als Zeitungsredakteur gearbeitet hat, nur noch einen phantastischen Roman – The Unholy City (1937) – und ein paar längere und kürzere Erzählungen geschrieben, die z.T. in dem Band The Ghosts of Manacle (1964) gesammelt wurden. Von dem schmalen phantastischen Œuvre des am 16. April 1984 verstorbenen Finney hat es immerhin sein Erstling als Doktor Laos großer Zirkus (1984) auch zu einer deutschen Ausgabe gebracht.

Reaktionen