Zum 70. Geburtstag von Ramsey Campbell

Bibliotheka Phantastika gratuliert Ramsey Campbell, der heute seinen 70. Geburtstag feiern kann. In seiner Heimat bzw. im englischen Sprachraum gilt der am 04. Januar 1946 in Liverpool geborene John Ramsey Campbell schon lange als Großmeister des modernen psychologischen – und damit keineswegs zwangsläufig phantastischen oder übersinnlichen – Horror und als einer der wichtigsten zeitgenössichen Horrorautoren überhaupt. Für deutschsprachige Leser und Leserinnen ist diese Einschätzung schwer nachzuvollziehen, denn Campbells mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Romane und Erzählungen erscheinen hierzulande – wenn überhaupt – seit beinahe zwanzig Jahren nur noch bei Klein- oder Spezialverlagen.
Am Anfang von Campbells Karriere war allerdings noch nicht zu erahnen, wo sie später einmal hinführen würde, denn seine erste Buchveröffentlichung – im zarten Alter von achtzehn Jahren – war der Sammelband The Inhabitant of the Lake and Less Welcome Tenants (1964) mit Geschichten, die stark von H.P. Lovecraft beeinflusst waren bzw. ihn stilistisch und inhaltlich imitierten. Einige Jahre später – nachdem er sich zwischenzeitlich sehr deutlich von Lovecraft distanziert hatte – sind weitere derartige Geschichten hinzugekommen, und in der 1993 erschienenen erweiterten Version des (1985 erstveröffentlichten) Sammelbands Cold Print sind (mit Ausnahme der deutlich später entstandenen Novelle The Last Revelation of Gla’aki (2013)) alle dem Cthulhu-Mythos zugehörigen und/oder von Lovecraft beeinflussten Geschichten Campbells versammelt.
Far Away and Never von Ramsey CampbellAuch wenn es in diesem Beitrag eigentlich gar nicht um Campbells Zeit als Lovecraft-Imitator und -Epigone gehen soll – die immerhin die Basis für seine aktuellsten Veröffentlichungen in deutscher Sprache bildet, denn bei Die Offenbarungen des Glaaki und Der Wahnsinn aus der Gruft (beide 2014) handelt es sich um die in zwei Bände aufgeteilte Übersetzung der o.g. erweiterten Version von Cold Print – sondern um seine Sword-&-Sorcery-Stories, war dieser Schlenker nicht vollkommen grundlos, denn der Keim besagter Stories wurde in einem Absatz der Titelstory aus The Inhabitant of the Lake gelegt; genauer gesagt in einem Zitat aus The Revelations of Glaaki (Campbells Beitrag zur Bibliothek der geheimen, ach so blasphemischen Bücher, die ein wichtiger Bestandteil des Cthulhu-Mythos sind), in dem eine Welt namens Tond erwähnt wird – und besagte Welt sollte Campbell dann in den 70er Jahren für seine Sword-&-Sorcery-Stories nutzen, die 1996 in dem schmalen Bändchen Far Away & Never gesammelt erschienen sind.
Die ersten beiden Stories – “The Stages of the God” (EV unter dem Pseudonym Montgomery Comfort in Whispers #5 (1974)) und “The Song at the Hub of the Garden” (EV 1977 in der Anthologie Savage Heroes) – sind relativ belanglos und erinnern mehr an Clark-Ashton-Smith-Pastiches als alles andere, doch die vier Geschichten um den Schwertkämpfer Ryre, die Campbell ursprünglich für die von Andrew J. Offutt herausgegebene Anthologiereihe Swords Against Darkness verfasst hat (und die in Band I, II, III und V zu finden sind), bieten atmosphärische, düstere Sword & Sorcery, die besser ist als Vieles, was ansonsten in dieser Zeit unter diesem Label erschienen ist, und machen Far Away & Never zu einem kleinen Highlight dieses Subgenres.
In “The Sustenance of Hoak” kommen Ryre und sein aufgrund unglücklicher Umstände schwer verletzter Kumpel Glode in das Städtchen Hoak, unter dem angeblich ein Schatz vergraben sein soll, doch in dem – außer den seltsam apathisch und teilnahmslos wirkenden Bewohnern – noch etwas viel Gefährlicheres haust, mit dem sich Ryre alsbald ganz allein auseinandersetzen muss. In “The Changer of Names” bekommt Ryre es mit dem geheimnisvollen Lith zu tun, der Namen ändert, d.h. manchen Männern die Namen und einen Teil der Fähigkeiten bedeutender Krieger verleiht. Als Ryre einem Fremden begegnet, der den Namen eines toten Freundes trägt, beschließt er, diesem Treiben ein Ende zu setzen, doch das erweist sich als weitaus schwieriger als gedacht. In “The Pit of Wings”, der dritten Story, muss er sich mit Sklavenhaltern und fliegenden Monstern herumschlagen, und in “The Mouths of Light” begegnet Ryre ein paar verarmten Fischern, die auf Schatzsuche sind – und etwas ganz anderes finden …
Zwar laufen die Ryre-Stories fast alle auf einen Zweikampf zwischen Mann und Monster(n) hinaus, doch dank Campbells Horror-Hintergrund handelt es sich bei seinen Monstern nicht um Variationen des in der Sword & Sorcery häufig anzutreffenden “Monsters der Woche”, sondern um wirklich unheimliche, schreckenerregende Wesen, die mit zu der düsteren Atmosphäre beitragen, die alle Geschichten durchzieht. Ryre selbst ist eine durchaus sympathische Figur: ein seinen Freunden gegenüber loyaler Krieger und Söldner mit einem pragmatischen Blick auf die Welt und sein Handwerk, der nicht über die schier übermenschliche Kraft eines Conan oder Kane verfügt, sich aber dennoch zu behaupten weiß, und den man eigentlich gerne noch auf ein paar weiteren Abenteuern begleitet hätte, doch mit der Einstellung der SAG-Anthologien war nicht nur seine Geschichte zu Ende, sondern auch Ramseys Campbells Ausflug in die Sword & Sorcery.
Wobei … so ganz stimmt das nicht, denn Campbell hat auch noch drei im Nachlass von Robert E. Howard gefundene unvollendete Solomon-Kane-Stories fertig geschrieben: “The Castle of the Devil” (in Solomon Kane – Skulls in the Stars (1978)) sowie “Hawk of Basti” und “The Children of Asshur” (beide in Solomon Kane – The Hills of the Dead (1979)). Und er ist sogar erst vor ein paar Jahren noch einmal zu Solomon Kane (der – wenn man von seinem religiösen Fanatismus absieht – Ryre gar nicht so unähnlich ist) zurückgekehrt, denn mit Solomon Kane (2010) hat er die Novelisation des gleichnamigen Films verfasst.
Der Krieger von AssurDie von Campbell ergänzten Solomon-Kane-Stories haben es in dem Band Die Krieger von Assur (1982) auch nach Deutschland geschafft. Von seinen anderen Sword-&-Sorcery-Stories wurde hingegen nur “The Pit of Wings” übersetzt (als “Die Schwingen des Grauens” in der Anthologie Atlantis ist überall (1981)), was in Anbetracht der Qualität der Ryre-Stories ebenso bedauerlich ist wie die Tatsache, dass Ramsey Campbell sich der Sword & Sorcery nur sehr kurz zugewandt hat. So betrachtet, ist Far Away & Never eine Art Vermächtnis – auch wenn das bei einem noch lebenden und sich bester Gesundheit erfreuenden Autor ein bisschen merkwürdig klingt …

2 Kommentare zu Zum 70. Geburtstag von Ramsey Campbell

  1. Pogopuschel sagt:

    Hatte gar nicht gewusst, dass Campbell auch Fantasy geschrieben hat. Noch einer dieser Autoren, die ich schon immer mal lesen wollte. Hatte von ihm mal “Der Fluch der dreizehn Briefe” gekauft, kurz drauf aber gelesen, dass es zu seinen schlechtesten Büchern gehört.

  2. gero sagt:

    Naja, da Campbell unglaublich viele Kurzgeschichten geschrieben hat – es müssten so knapp 300 sein – machen seine Fantasystories nur einen verschwindend geringen Bruchteil seines Schaffens aus, und dazu stammen sie praktisch alle aus den 70er Jahren. Von daher wundert es mich nicht, dass gerade diese Geschichten kaum bekannt sind bzw. selten erwähnt werden.

    Ich weiß gar nicht mehr, welche Ryre-Story ich zuerst gelesen habe, ob’s die übersetzte in Atlantis ist überall oder eine in den originalen SAG-Anthologien war. Auf jeden Fall ist mir die Story im Gedächtnis geblieben, und damit war natürlich klar, dass ich versucht habe, auch an die anderen ranzukommen (bzw. rauszukriegen, wie viele es gibt und wo sie erschienen sind, denn das war Anfang der 80er noch deutlich schwieriger als heutzutage). Aber zumindest für mich hat sich der Aufwand letztlich gelohnt. 😉

    Was Campbells Romane angeht, habe ich ein paar von den Sachen gelesen, die in den 80ern auf Deutsch erschienen sind, und war nicht mit allen so richtig glücklich. Von daher kenne ich mich mit dem Horror-Autor Ramsey Campbell nicht so richtig aus bzw. meine Kenntnisse beziehen sich hauptsächlich auf seine frühen Sachen oder die Stories in der KG-Sammlung Cold Print. Immerhin habe ich hier schon lange The Darkest Part of the Woods von 2002 rumliegen, weil das interessant klang – gelesen habe ich das Buch allerdings noch nicht …

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