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Jetzt ist es offiziell: Terry Pratchett schreibt keine Fantasyromane mehr. Und er hat auch nie Romane geschrieben, die in die allseits gefürchtete, etwas peinliche „Fantasy-Nische“ einzuordnen sind. Scheibenwelt, Rincewind, Samuel Mumm – Adieu! Ihr wart phantastisch, doch wir brauchen das Geld.
So jedenfalls sieht das der Manhattan-Verlag, der „eine Neuinszenierung der Scheibenwelt-Romane in großem Stil“ plant. Die dazugehörige Inszenierungs-Formel ist relativ simpel: Neuübersetzung, neue Cover sowie ein neues Format sollen neue Leser locken.

Der geneigte Leser fragt sich unter Umständen: wozu das alles? Die 4,6 Millionen in Deutschland verkauften Pratchetts lassen Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen „Neuinszenierung“ aufkommen, zudem die neuen Coverillustrationen von Tom Steyer – übrigens „in bester Pratchett-Manier mit einem fröhlichen Augenzwinkern“ – und die Neuübersetzungen unter Fans bereits für Furore sorgten.
Erhellt werden wir von der Manhattan-Lektorin Verena Thielenhaus, und die argumentative Logik ist gleichzeitig erfrischend unverschämt wie einfallsreich:

„Nichts gegen Fantasy, aber Pratchett wird unter Wert verkauft. Er ist viel mehr als ein Genreautor, weil er so wunderbar bissig-witzig und intelligent erzählen kann. Seine Romane spielen zwar in einer magischen Welt, doch die entpuppt sich schnell als Spiegelbild unserer Gesellschaft.“

Streicht man die Höflichkeiten – nur zu gern glaube ich Frau Thielenhaus, dass sie nichts gegen Fantasy hat, schließlich tut sie alles, damit niemand in diese gefürchtete Abteilung im Buchladen gehen muss – bleibt nur die Aussage, dass Sir Terry Pratchett zu „intelligent“ und zu „witzig“ ist, um als Fantasyautor gelten zu können. Was für Sir Pratchett (der übrigens keine Berührungsängste mit dem Genre hat und sich stets dagegen verwehrt, in andere literarische Bereiche geschoben zu werden) ein durchaus berechtigtes Lob ist, ist für alle Freunde der phantastischen Literatur und für Autoren des Fantasygenres gleichermaßen ein Schlag in das Gesicht: es geht hier nicht um die Politur des „Schmuddelimages“; vielmehr bekommt man das Gefühl, dass die Ratten ein eigens gegen den Eisberg gesteuertes und nunmehr sinkendes Schiff verlassen wollen. Hat ein Autor tatsächlich das Potential, intelligente und witzige Bücher zu schreiben, wird er mit ins Rettungsboot verfrachtet und auf die Insel der Seligen – Insula Bestsellerlisti – verschifft. In welchem Genre Terry Pratchetts Romane in Zukunft anzusiedeln sein sollen, verrät uns der Verlag vorerst nicht, fest steht nur: es hat sich ausphantasiert, neue Geldquellen (d.h.: Leser) müssen gefunden werden.

Keinesfalls ist also diese Runderneuerung des Pratchett-Programms ein Zugeständnis an die große Fantasygemeinde, die sich danach sehnt, ihr Genre mit all seinen begabten, amüsanten und hochintelligenten Autoren (Ausnahmen, wie wir alle wissen, bestätigen die Regeln und sorgen für das „Schmuddel“ im „Image“) ins rechte Lichte zu rücken. Es greift das Thielenhaus’sche Paradoxon: wird ein hochwertiger Fantasyroman von einem „brillanten Satiriker und scharfsinnigen Gesellschaftsporträtisten“ geschrieben, ist es kein Ruhmesblatt für das Genre – es ist kein Fantasyroman mehr.

Als Quelle unermesslichen Reichtums werden wir die Scheibenwelt-Romane wohl von nun an in den Regalen „Aktuelles Zeitgeschehen“, „Satire“, „Reiseliteratur“ oder „Romane“ (ohne das F-Wort) suchen müssen. Doch ist man sich bei Manhattan darüber im Klaren, dass deshalb der Quenya-brabbelnde Schmuddel-Leser in Zukunft auch vor den blankpolierten Regalen im Buchladen stehen wird, zum Schrecken aller kosmopolitischen Kunden?

Fazit: es handelt sich um eine leserverhöhnende Geldbeschaffungsmaßnahme, die dem Credo folgt, welches Robert Conquest und Kingsley Amis bereits 1962  formulierten, und welches man getrost auf das Hier und Jetzt übertragen kann:

‘Sf’s no good,’ they bellow till we’re deaf.
‘But this looks good.’— ‘Well then, it’s not sf.’

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