Category: Reaktionen

Bibliotheka Phantastika erinnert an Robert Lynn Asprin, der heute 65 Jahre alt geworden wäre. In der Fantasy sind zwei sehr unterschiedliche Reihen untrennbar mit dem Namen Robert Asprin (geboren am 28. Juni 1946 in St. Johns, Michigan, gestorben am 22. Mai 2008 in New Orleans) verknüpft: Myth Adventures und Thieves’ World. Erstere wurde 1978 mit dem Band Another Fine Myth begonnen und war eine Folge locker miteinander verknüpfter Romane, in denen die Abenteuer des Zauberlehrlings Skeeve und des Dämons Aahz geschildert werden. Nach der ein Jahr zuvor von Piers Anthony gestarteten Saga um das magische Land Xanth war dies die zweite erfolgreiche Reihe mit humoristischer Fantasy. Und bei der mit Thieves’ World (1979) begonnenen gleichnamigen Anthologiereihe dürfte es sich um den ersten Versuch innerhalb des Genres handeln, das Konzept der Shared World – der von mehreren Autoren und Autorinnen gemeinsam benutzten Welt – in die Fantasy zu übertragen. Von Thieves’ World sind zwischen 1979 und 1989 zwölf Anthologien erschienen, die Asprin zusammen mit seiner Frau Lynn Abbey herausgegeben hat und in denen vor allem anfangs so illustre Namen wie Poul Anderson, John Brunner, C.J. Cherryh, Philip José Farmer oder Marion Zimmer Bradley zu finden waren. Hinzu kommen noch etliche Romane beteiligter Autoren und Autorinnen. Anfang dieses Jahrtausends wurde die Reihe mit einem Roman und zwei Anthologien von Lynn Abbey wiederbelebt – bisher mit überschaubarem Erfolg. Von den Myth Adventures sind zwischen 1978 und 1994 zehn Bände erschienen, gefolgt von neun weiteren ab 2001, letztere fast alle in Zusammenarbeit mit Jody Lynn Nye. Die ursprünglichen Thieves’ World Anthologien sind – beginnend mit Die Diebe von Freistatt (1986) – unter dem Reihentitel Geschichten aus der Diebeswelt in achtzehn Bänden auch auf Deutsch erschienen; von den neunzehn Myth-Bänden haben es – beginnend mit Ein Dämon zuviel (1979) – bisher immerhin 17 als Dämonen-Zyklus nach Deutschland geschafft.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Sir Henry Rider Haggard, der heute 155 Jahre alt geworden wäre, und den man in mehrfacher Hinsicht als einen der Ahnherren der Fantasy bezeichnen kann. So hat Haggard (geboren am 22. Juni 1856 in Bradenham Hall, Norfolk, gestorben am 14. Mai 1925 in London) beispielsweise in seinem Erstling King Solomon’s Mines (1885; dt. König Salomons Schatzkammer, auch König Salomons Diamanten) und dessen Quasi-Forsetzung Allan Quatermain (1887; dt. Allan Quatermain) dem uralten Motiv des “Vergessenen Volkes” seine noch heute gültige, moderne Form gegeben (und vor allem im englischen Sprachraum einen wahren Boom an lost race novels ausgelöst) oder kurz darauf mit She (1887; dt. Sie) und dem darin behandelten Thema der unsterblichen, Jahrhunderte überdauernden Liebe einen Fantasy-Klassiker geschaffen, mit dessen Hauptfigur – der überirdisch schönen Zauberin Ayesha – sich sogar Sigmund Freud und C.G. Jung beschäftigt haben. Neben mehr als einem Dutzend weiterer Romane mit Allan Quatermain (der in She and Allan (1921; dt. Sie und Allan) auch besagter Ayesha begegnet) sowie Lost-Race-Romanen ohne Allan (etwa The People of the Mist (1894; dt. Das Nebelvolk)), verdienen zwei historische Romane Haggards noch besondere Beachtung: Zum einen Eric Brighteyes (1891; dt. Erik Hellauge, auch Eric der Wikinger), in dem es um die Abenteurer eines isländischen Wikingers des 10. Jahrhunderts geht, zum anderen Nada the Lily (1892; dt. Nada die Lilie), in dem er dem Kriegervolk der Zulus und ihrem König Chaka ein Denkmal setzte. Etliche von Haggards Werken sind verfilmt worden, manche sogar mehrfach – doch die Verfilmungen werden dem, was dieser große englische Erzähler geschaffen hat, so gut wie nie gerecht.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Mark S. Geston, der heute 65 Jahre alt wird. Geston (geboren am 20. Juni 1946 in Atlantic City, New Jersey) war gerade einmal 21 Jahre alt, als er 1967 mit Lords of the Starship sein erstes Buch veröffentlichte – eine sehr, sehr böse dystopische Endzeitgeschichte mit deutlichen SF-Elementen (die Handlung dreht sich um den Bau eines Sternenschiffs) –, dem zwei Jahre später mit Out of the Mouth of the Dragon eine Quasi-Fortsetzung folgte, in der es um das angeblich letzte Armageddon auf einer ausgebluteten, zerstörten Erde geht. Der dritte Band dessen, was sich letztlich als sehr locker miteinander verknüpfte “Trilogie” entpuppte, ist erst 1976 unter dem Titel The Siege of Wonder erschienen – und hier kippt das Endzeitszenario endgültig in die Fantasy, denn die Kräfte, die sich in dieser letzten Auseinandersetzung gegenüberstehen, sind Wissenschaft und Magie. Thematisch in vielerlei Hinsicht den 60ern verpflichtet, allerdings stilistisch stark von der damals aufkommenden New Wave beeinflusst, ist Gestons (2009 als Sammelband unter dem Titel The Books Of The Wars wiederveröffentlicher) Zyklus ein Beispiel für die Vermischung von SF- und Fantasy-Elementen in den gerade damals gern geschriebenen Werken mit Endzeit-Thematik.
Die ersten beiden Bände des Zyklus wurden auch ins Deutsche übersetzt (unter den Titeln Das Sternenschiff (1974) und Die Ruinenwelt (1975)), der dritte Band wurde den deutsprachigen Lesern aber bislang vorenthalten (denn bei Der Stern der Hoffnung (1975) – dem Roman, der mit den beiden vorgenannten auch in dem als “große Fantasy-Trilogie” bezeichneten Sammelband Das Schiff (1988) erschienen ist – handelt es sich um die Übersetzung von The Day Star (1972), und dieses Buch hat mit den Books Of The Wars nichts zu tun). Auch wenn die Erzählweise in den drei recht dünnen Bändchen anfangs ungewohnt oder sogar sperrig wirken mag, bieten die Bücher einen ziemlich einzigartigen, wenn auch deprimierenden Weltentwurf voller gleichermaßen schrecklich-schöner wie entsetzlicher Szenen, den man nicht so leicht vergisst.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an die australische Kinder-und Jugendbuchautorin Patricia Wrightson (eigentlich Alice Patricia Furlonger, geboren am 19.06.1921 in Lismore, New South Wales, gestorben am 15.03.2010), die heute 90 Jahre alt geworden wäre. Wrightson machte sich zunächst mit zeitgenössischen Kinder- und Jugendbüchern einen Namen, ehe sie sich mit dem Roman The Nargun and the Stars (1973), in dem sie ein modernes Setting mit den Legenden und Mythen der Aborigines verwob, der Fantasy zuwandte. Diese Vermischung kennzeichnet auch ihr Hauptwerk im Bereich der Fantasy, die aus den Romanen The Ice Is Coming (1977), The Dark Bright Water (1978) und Behind the Wind (1981) bestehende Trilogie A Song of Wirrun. Die Wirrun-Romane könnten trotz eines völlig anders gearteten Ansatzes durchaus in einer Reihe mit Ursula K. LeGuins ursprünglicher Earthsea Trilogy oder Patricia McKillips Riddle-Master Trilogy stehen. Dass gerade dieses Werk in Deutschland – wo es wie viele andere ihrer Bücher ebenfalls erschienen ist (und zwar unter den Titeln Wirrun zwischen Eis und Feuer (1985), Wirrun und das singende Wasser (1986), Wirrun hinter dem Wind (1987)) – bei der Fantasyleserschaft kaum bekannt ist, hat möglicherweise ebensoviel mit dem ungewöhnlichen Setting zu tun, wie mit der Tatsache, dass die Bücher nur bei klassischen Jugendbuchverlagen erschienen sind.
Neben der Hans-Christian-Andersen-Medaille, die ihr 1986 als bisher einziger australischer Autorin verliehen wurde, war ihr Verdienst vor allem  das literarische Denkmal, das sie durch ihre intensive Auseinandersetzung mit den ursprünglichen Mythen und Märchen ihres Heimatlandes dem ‘magischen’ Australien gesetzt hat.

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Die Erwähnung und kurze Diskussion des unter FeministInnen wohlbekannten Bechdel-Tests bei Molos Wochenrückblick No. 57 hat mich dazu angeregt, mir Gedanken zu machen, wie man den Test auf (phantastische) Literatur übertragen könnte – und ob diese Probe überhaupt eine sinnvolle Perspektive ist.

Der Test nimmt eigentlich Filme ins Visier. Er sagt im Grunde rein gar nichts über ihre Qualität aus, und auch nicht einmal darüber, ob ein Film grundsätzlich feministisch angehaucht ist oder nicht. Was er aber sehr wohl tut, und deshalb mag ich ihn trotzdem, ist es, offenzulegen, wie absurd und festgefahren unsere Rollenbilder im Hinblick auf (filmisches) Erzählen sind. Es werden lediglich drei Kriterien getestet, die für jeden männlichen Filmhelden ein Klacks wären, für Frauen aber immer noch die Ausnahme darstellen:

1. Es treten mindestens zwei Frauen (mit eigenem Namen) auf,
die sich 2. miteinander unterhalten,
und zwar 3. nicht über Männer.

Wer nun meint, das sei lachhaft und komme am laufenden Band vor, teste ein paar populäre Filme durch – man wird feststellen, dass eine Menge davon durchfallen, die das Kriterium “aber da sind doch irgendwie wichtige Frauen mit von der Partie” auf den ersten Blick erfüllen: Mehr ist es nämlich meistens auch nicht.
Der Bechdel-Test ermittelt weniger den Frauenanteil eines Films, sondern geht der Frage auf die Spur, ob diese Frauen letzten Endes wirklich eigenständige Handlungsträger sein können oder doch nur Objekt und Plotelement zur Profilierung, Motivation oder Satisfaktion des Helden.
Falls noch ein paar Beispiele vonnöten sind – in diesem Video gibt es eine lange Liste von durchgefallenen Filmen:

Also schnell den Bechdel-Test auch an Fantasyliteratur ausprobiert, die in ihren beliebtesten Werken auch nicht gerade durch ein modernes Frauenbild besticht. Wird man ein ähnlich desolates Bild vorfinden? Und lässt sich der Test überhaupt 1:1 übertragen?
Dazu zunächst folgende Überlegungen:
– Der Literaturmarkt ist insgesamt vermutlich deutlich weniger männlich dominiert als die (Hollywood-)Filmindustrie, es gibt eine Menge Autorinnen, die auch die Geschichten von Frauen erzählen. Roman-Protagonistinnen sind dadurch häufiger anzutreffen als Filmheldinnen, die wirklich einen Film tragen, was zumindest im Blockbuster-Bereich so gut wie nie das ist, worauf Filmproduzenten setzen (und nicht vergessen: auch Tomb Raider fällt durch den Bechdel-Test!).
– Außerdem unterscheidet sich filmisches Erzählen natürlich von literarischem Erzählen, und das hat Auswirkungen auf den Test: Figuren bekommen schneller Namen als im Film, weil sie immer dann, wenn sie gezeigt werden, auch benannt werden müssen. Die Chance ist groß, dass eine unwichtige Figur nicht nur “die Frau” oder “die Dienerin” heißt, wenn sie mehr als nur einmal durchs Bild huscht. Anders als im Film ist im Buch eine Namensträgerin also nicht gleich mit einer potentiellen Handlungsträgerin gleichzusetzen.
– Des weiteren bieten Romane – je dicker der Schinken, desto eher – mehr Raum für Dialogszenen als Filme. Daher ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass sich bei einem großen Figurenensemble auch mal zwei Frauen unterhalten, z.B. übers Wetter oder den Eintopf und nicht nur über den wackeren Helden. Das verleiht ihnen erzählerisch allerdings keine gleichwertige Präsenz.
– Auch die manchmal starken ErzählerInnenfiguren der Literatur haben einen Einfluss auf das Ergebnis; so wird sich ein Roman mit männlichem Ich-Erzähler logischerweise schwer tun, mit einer Szene aufzuwarten, in der sich zwei Frauen unterhalten.

Müssen also die Kriterien für Literatur eventuell anders lauten?
Ein erster Testlauf ist relativ ernüchternd: Dauerbrenner wie Der Herr der Ringe oder auch Osten Ard [Nachtrag dank Nala: bei Tad Williams unterhalten sie sich doch] fallen gnadenlos durch – doch das Phänomen beschränkt sich nicht auf die eher traditionell erzählten Klassiker: Auch Der eiserne Rat des der Rückständigkeit unverdächtigen China Miéville erfüllt die Kriterien nicht, und sogar Steven Erikson, in dessen Spiel der Götter etliche starke und wichtige weibliche Figuren auftreten, kann wohl erst in späteren Bänden punkten, da er seine Frauen mit Vorliebe in einem männlichen Umfeld agieren lässt.  Das Lied von Eis und Feuer müsste dagegen aufgrund seiner extrem in die Breite gehenden Erzählweise und der schieren Menge an Figuren schnell durchkommen – wenn Gespräche mit Leibdienerinnen zählen …
Ganz irrelevant scheint der unveränderte Bechdel-Test auch für Literatur nicht zu sein – die Romane, die ihn bestehen, sind in der Unterzahl. Sollte man auch noch angepasste, strengere, erweiterte Kriterien anwenden, sähe es wohl ebenso düster wie beim Film aus.

Dass ein so formalisierter Test im Bereich des Films, der schneller und ökonomischer erzählen muss als ein Roman, eindeutigere Ergebnisse bringt, versteht sich von selbst. Doch selbst da zeigen die unzähligen Filmdiskussionen auf bechdeltest.com, dass ein gewisser Interpretationsspielraum bleibt, und dass solche Tests einem vielfältigen Medium nur ungenügend gerecht werden können.
Ich schlage deshalb auch nicht vor, jeden Film standardmäßig zu testen; viele meiner Lieblingsfilme rasseln mit Pauken und Trompeten durch (und beileibe nicht nur die älteren Streifen). Ich will sicher auch nicht jeden Roman diesem Test unterziehen oder, noch schlimmer, daraus eine Wertung ableiten: Durchgefallene Werke können hervorragend sein, und es gibt Romane, die bestehen den Test und sind trotzdem Schrott. Eine valide Betrachtungsweise ist er jedoch allemal, und seine Ergebnisse treffen eine Aussage über die populäre Erzählkultur.
Der Bechdel-Test ist ein grobes Instrument, kann aber ein Augenöffner sein – es lohnt sich, ihn hin und wieder anzusetzen und damit unsere in ihrer ganzen Absurdität weitläufig akzeptierten Erzähltraditionen zu hinterfragen.

Deswegen zum Abschluss ein Auftrag an unsere LeserInnen: Testet doch mal die letzten drei Romane, die ihr gelesen habt, und verratet uns das Ergebnis.

Hier die Liste mit den letzten fünf von mir rezensierten Romanen:
Eiserne Dämmerung – durchgefallen trotz Heldin
Das Tor von Ivrel – durchgefallen
Hounds of Ash – durchgefallen
Mainspring – durchgefallen
Shadows of the Apt – bestanden

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Bibliotheka Phantastika erinnert anlässlich seines heutigen 25. Todestags an Jorge Luis Borges, den unumstrittenen Großmeister der südamerikanischen Phantastik. Borges, dessen voller Name Jorge Francisco Isidoro Luis Borges Acevedo lautete, wurde am 24.08.1899 in Buenos Aires geboren und ist am 14.06.1986 in Genf gestorben. Mit seiner 1935 erschienenen Historia universal de la infamia (Universalgeschichte der Niedertracht) begründete er den Magischen Realismus, eine vor allem in der lateinamerikanischen Literatur verbreitete Spielart der Phantastik, zu deren wichtigsten Vertretern er auch in der Folgezeit zählte. Borges liebte das Spiel mit der Täuschung, mit dem Leser, mit der Vermischung von Realitätsebenen, wie man es beispielsweise in seiner Erzählung Tlön, Uqbar, Orbis Tertius (Tlön, Uqbar, Orbis Tertius) exemplarisch findet. Jorge Luis Borges’ Gesamtwerk liegt auch in deutscher Übersetzung vor, und der blinde Bibliothekar Jorge von Burgos in Umberto Ecos Roman Der Name der Rose ist eine Reminiszenz an den vielleicht wichtigsten Autor phantastischer Literatur des südamerikanischen Kontinents.

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Trudi Canavan
Trudi Canavan in Leipzig. © Juliana Socher.

Während vor den Türen der Lehmanns Buchhandlung in Leipzig die Besucher des Wave-Gothic-Treffens in ihren Gewandungen perfekt auf die Lesung eines Romanes einer der erfolgreichsten Fantasyautorinnen einstimmen, werden im Inneren des Buchladens die Stühle gerückt und die letzten Vorbereitungen getroffen. Die Gäste sammeln sich bereits um das Lesepult, doch mich bringt der Fahrstuhl in den Bücherbackstagebereich und weiter in das Büro, wo Trudi Canavan die letzten Notizen in ihr Exemplar von The Traitor Spy 2: The Rogue schreibt und zeichnet. Nach einem kurzen Fototermin wird das Buch zugeschlagen und Trudi Canavan eilt die Treppe hinunter zum Podium, wo sie das letzte Mal im Rahmen ihrer Lesereise aus ihrem neuen Werk lesen wird. Begleitet wird sie von Margarete von Schwarzkopf als Moderatorin und dem deutschen Schauspieler Hans-Werner Meyer, der einige Szenen aus der deutschen Übersetzung Sonea – Die Heilerin vortragen wird.

Das ausführliche Interview mit Frau Canavan erlaubt es dem Zuhörer, der Autorin bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Ihre Schreibkarriere begann – nach einer kurzen Liebäugelei mit dem Beruf des Filmregisseurs, ausgelöst durch Star Wars – Das Imperium schlägt zurück – mit dem Verfassen von Kurzgeschichten. Nach einigen Veröffentlichungen entstand das Manuskript ihres ersten Romans – besonders aus dem Wunsch heraus, die erdachten Charaktere tatsächlich kennenlernen zu können, ohne dass schon nach wenigen Seiten ein Abschied von ihnen anstünde. Die Möglichkeiten, eine Figur eine komplexe Entwicklung durchleben zu lassen und realkulturelle Inspirationen in die Geschichtenerzählung einzuspinnen, reizten die Autorin dabei besonders. Ihr Wissen über die japanische Kultur beeinflusste insbesondere das Schreiben ihrer ersten Trilogie The Black Magician, während die Inspirationen für die Age of Five-Trilogie eher aus dem antiken Mythologienschatz stammen: die eskapadenfreudigen griechischen Götter mit zuweilen sehr menschlichen Zügen waren wie geschaffen als Vorbild für ihren zweiten Bücherzyklus.
Als Ort der Ideen und größten Kreativität wurde von einem Fragesteller aus dem Publikum sofort das berüchtigt-romantisierte Schriftstellercafé vermutet. Denn wo ließe es sich besser schreiben als in einem belebten Café, völlig in das eigene Werk versunken, während das Leben auf den Straßen und auf den Seiten pulsiert? Zerstört wurde diese Vorstellung von Canavans Klarstellung, dass sie nach einer Stunde des Sitzens derartige Rückenschmerzen plagen, dass das Aufsuchen eines Cafés völlig unsinnig sei. Auch das berühmte Ideal vom Drauflosschreiben wurde sogleich entkräftet: „I’m a planner!“.

Trudi Canavan
© Juliana Socher.

Die Quelle ihrer Inspiration war, neben zahlreichen Sachbüchern, auch ein Fernsehbericht über die Vertreibung der Bettler aus Barcelona, bevor 1992 dort die Olympiade ausgetragen wurde. Dieses Motiv begegnete ihr am gleichen Tag im Traum erneut – nur, dass es Magier waren, welche die Bettler aus der Stadt vertrieben. Die Idee für das erste Kapitel von The Magician’s Guild war geboren. Doch auch wenn diese Inspiration im Schlaf wie ein wahrgewordener Traum eines jeden Schriftstellers erscheint – Canavan warnt davor, aus Träumen Buchstabenkapital zu schlagen, denn: „Dreams make no good stories“. Außer, die Idee überlebt das kritische Nachdenken am Frühstückstisch, ergänzt sie grinsend.

Der Namensgebungproblematik begegnet Trudi Canavan mit Begeisterung: „I love this question because I love the answer!“ ruft sie und erklärt: auch wenn die Handlung immer wichtiger ist als die Bezeichnung – die Charaktere bekommen also oft erst im Nachhinein einen Namen –, sind ihr Namenskonventionen sehr wichtig. Oftmals benutzt sie reale Namen, um sie im Sinne dieser vorher festgelegten Konventionen zu verfremden; beispielsweise benutzt sie oft zweisilbige, konsonantenreiche Namen, um die männlichen Charaktere ihrer Romane zu taufen. Sollte ihr partout nichts einfallen, empfiehlt sie den Trick, der so alt sein mag wie die Tastatur selbst: man lege den Kopf unsanft auf die Tasten nieder und stelle das entstandene Wort so lange um, bis ein passender Name entsteht. Von einzufügenden Apostrophen jedoch sagte sie wohlweislich nichts.
Mit der Benennung und Formung einer Figur nach einem realen Vorbild hat Canavan nur schlechte Erfahrungen gemacht. Der ursprünglich gutmütig erdachte Charakter „Alarin“, der nach einer Freundin benannt wurde, ging plötzlich seine eigenen Wege: „he turned evil on me!“ Der neue, eher unliebsame Alarin war der Grund, weshalb sich Trudi Canavan nach einer Zeit eisigen Schweigens bei der Namenspatin entschuldigen musste.

Trudi Canavan
Margarete von Schwarzkopf, Trudi Canavan und Hans-Werner Meyer © Juliana Socher.

Auch beim Thema Magie leuchten Canavans Augen auf. Mit „magic is technology, and black magic is nuclear power“, macht sie deutlich, wie ambivalent der Gebrauch dieser inneren Energien in ihrem Romanen behandelt wird. In den richtigen Händen nützlich – nicht umsonst ist das Thema der Heilung ein durchgängiges, romanübergreifendes Motiv –, kann sich die Magie in den falschen Händen jedoch zu etwas Gefährlichem entwickeln. So auch die magischen Steine, die in The Traitor Spy Trilogy eingeführt werden. Sie sind nicht nur geheimnisvolle magische Artefakte, sondern haben vielmehr das Potential, sich – im 3. Band, wie die Autorin hinter vorgehaltener Hand verriet – zu einem Werkzeug teuflischer Macht zu entwickeln. Ein weiteres Werkzeug dieser Art sind Drogen; neben „choosing your loyalty“ ein weiteres zentrales Thema der neuen Trilogie. Als Inspiration für die ‘Fäule’ diente in diesem Fall der Missbrauch von Opium durch die Gestalten der historischen Londoner Unterwelt. Dass die Drogen im Roman als gefügig machendes Werkzeug eingesetzt werden, um den Kampf um Loyalitäten zu beeinflussen, zeigt die enge Verquickung der angelegten Themen.

Auf die durchaus auch kritischen Fragen der Zuhörer antwortet Trudi Canavan souverän. Gleich mehrere Besucher teilten die Missbilligung der ständig kichernden Magier, von denen in der ersten Trilogie zu lesen ist. Nach einer anfänglichen Konfusion konnte die Autorin durch eine Lach-und-Kicher-Vorführung deutlich machen, welche Art von Lachen das englische Originalverb „to chuckle“ tatsächlich meint: „no giggling!“. Das Publikum hatte also eine Fehlübersetzung enttarnt; ein Umstand, der auch erklärt, weshalb ab einem gewissen Punkt in den Romanen abrupt nicht mehr gekichert, sondern eher leise gelacht wird: auch der Übersetzerin schien irgendwann das Gekichere eines Magiers nicht mehr würdig zu sein.

Canavan verschenkt ihr Exemplar von "The Rogue" © Juliana Socher.

Die Lesung der ausgewählten Kapitel bestritten die sympathische Autorin und Hans-Werner Meyer mit Humor und einer lebendigen, abwechslungsreichen Lesart. Spannende und humorvolle Szenen wechselten sich gekonnt ab, sodass die Zeit bis zur der am Anfang angekündigten Überraschung (zu) schnell vorüberging. Nachdem der letzte Satz gelesen wurde, verschenkte Trudi Canavan – nunmehr am Ende ihrer Lesereise angelangt – unter tosendem Applaus ihr Sonea-Exemplar, welches sie auf ihrer ganzen Reise begleitet hat und gespickt ist mit Notizen, Anmerkungen und Zeichnungen der begabten Grafikerin. Eine Leserin aus Wuppertal, die den weitesten Weg zurückgelegt hatte, um der Autorin zu begegnen, konnte freudestrahlend diesen bibliophilen Schatz in die Arme schließen, und nicht wenige Besucher verfluchten ihren allzu kurzen Anreiseweg – mich eingeschlossen.

Trudi Canavan
Der Signiermarathon beginnt © Juliana Socher.

Der rundum gelungene Leseabend endete mit der Signierstunde der Autorin; und so mancher Fan wird in der langen Schlange einige Mühe damit gehabt haben, alle neun Romane und noch weitere fünf Exemplare für diverse Freunde hinauf zum Podium zu bugsieren und mit der verinnerlichten Geduld einer 9-fachen Romanautorin signierte Canavan vermutlich noch bis Mitternacht. Ich jedoch hatte schon längst meinen (viel zu kurzen) Heimweg angetreten.

Auf die Frage, welche Magien die mächtigsten seien, antworte Trudi Canavan übrigens mit „sex and humour!“. Kicher.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Robert E. Howard, dessen Todestag sich heute zum 75. mal jährt. Der am 22. Januar 1906 in Peaster, Texas, geborene Schöpfer von Conan, Kull, Solomon Kane, Bran Mak Morn und etlichen anderen zumeist übermenschlichen Heldenfiguren war in den frühen 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine der Galionsfiguren des Pulpmagazins Weird Tales; mit The Shadow Kingdom, der 1929 erschienenen ersten Story um Kull of Atlantis, hat er das Subgenre der Sword & Sorcery begründet, das er wenig später mit seinen Conan-Stories selbst zur ersten Blüte gebracht hat. Auch wenn Howards phantastische Geschichten am bekanntesten geworden sind – was nicht zuletzt die aktuellen Verfilmungen von Solomon Kane und Conan (ungeachtet ihrer Qualität!) belegen –, so zeigt sein in knapp elf Jahren geschaffenes, schon rein quantitativ beeindruckendes Gesamtwerk eine weit größere thematische und stilistische Breite. Was aus Howard hätte werden können, wenn er sich nicht mit gerade einmal dreißig Jahren eine Kugel in den Kopf gejagt hätte, ist eine interessante Frage. Und natürlich eine müßige. Vielleicht ist es daher angemessen, dem Zeichner Roy G. Krenkel das Wort zu erteilen, der u.a. eine Buchausgabe von Howards Kreuzfahrer-Geschichten illustriert hat: »His words rang like brazen hammers on some anvil of the gods. Dark gods – and wayward.«

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Alles Sense von Terry Pratchett bei ManhattanWährend wir hier auf Bibliotheka Phantastika eigentlich lieber ein Auge auf die schönen und gelungenen Dinge in der Fantasy werfen, liefert ein besonderes Cover den Anlass, mich auch den abschreckenden Beispielen intensiver zu widmen. Es brennt mir nicht nur in den Augen, sondern auch unter den Nägeln, so etwas nicht ohne Kommentar stehen zu lassen. Die Rede ist von diesem, links stehend, jüngst aufgetauchten Schmuckstück unter den Cover-Verfehlungen, welches leider ein tragisches Opfer innerhalb des phantastischen Genres gefunden hat.

Es ist ein Trauerspiel, wie ich es lange, sehr lange, nicht mehr gesehen habe. Was andere als Aprilscherz bloggen würden, hält man beim Manhattan Verlag offenbar für hohe Kunst. Den Art Director möchte ich kennen lernen, der diesen Schund genehmigt hat.

Der Gestalter dieser neuen Scheibenwelt-Cover wird sich freilich ins Fäustchen lachen vor Freude und seine Sparrate erhöhen, während tausende begabte, echte Illustratoren von diesen CGI-Ungetümen verhöhnt und ihre Arbeiten samt ihrer Ausbildung ad absurdum geführt werden.
Ich fürchte, es ist mir kaum möglich, in jugendfreien Worten adäquat auszudrücken, wie unglaublich untragbar diese neuen, erwachsenen (haha!) Cover doch sind. Wer die ganze Vorgeschichte zu diesem dramatischen Akt noch nicht kennt, bitte hier entlang.

-Alles Sense- interpretiert von Tom Steyer
© Tom Steyer

Technisch ist das ganze eine offensichtliche Zumutung. Es sieht aus wie die ersten Gehversuche mit 3D-Programmen. Schlechte Render-Effekte und Texturen in Sense und Himmel, die den Eindruck machen, 1990 erstellt worden zu sein. Auch die  steife Haltung der Figur wirkt befremdlich und unnatürlich – selbst für ein knochiges Skelett. Eines meiner Highlights dürfte der kleine Rattentod auf der Schulter sein, dessen Erscheinungsbild in seinen Grundzügen verdächtig stark an das große Vorbild von Paul Kidby angelehnt zu sein scheint. Da wären noch die seltsamen Falten, die sich in einer perfekten Rundung dem CGI-Weizen entgegen biegen und den ganzen Umhang wie eine Plastikfigur aussehen lassen. Es scheint wohl auch nichts in dem Umhang drin zu stecken, hohl wie die Kapuze daherkommt. Würde ich jeden Mangel auflisten, den dieses erstaunlich detailarme Werk zu bieten hat, würde dieser Beitrag vermutlich einen Meter lang werden.

-Tod- von Paul Kidby
Im Vergleich - © Paul Kidby

Nur mal so zum direkten Vergleich: nebenstehend die aktuelle britische Interpretation des Sensenmannes von Paul Kidby.

Im Ernst, lieber Manhatten Verlag, hasst ihr eure Leser? Mir fehlt das Verständnis dafür, wie diese neue Cover-Linie bei Manhattan passieren konnte. Gerade da es diese überwältigend guten Vorbilder gibt.
Die deutschen Ausgaben würde ich inzwischen nicht einmal umsonst haben wollen. Ein Hoch auf meine Englischkenntnisse, die mich in solchen Fällen davor bewahren, auf eine übersetzte Version mit solch einer Gestaltungsform angewiesen zu sein. Traurig für den Autor und seine deutschen Fans bleibt es trotzdem.

Angesichts dieser Machwerke könnte man als Fantasy-Fan nun eigentlich schon wieder froh sein, dass man Pratchett bei Manhattan nicht mehr in der Fantasyabteilung sehen will.
Stellt diese grausam entstellten Geschöpfe also ruhig zu den gesellschaftskritischen Romanen! Ändert am besten auch gleich alle Titel und gebt dem Autor ein Pseudonym! Wäre ich Terry Pratchett, ich würde mich für diese Aufmachung in Grund und Boden schämen müssen. Es blutet einem Auge und Herz. Auf Rückfrage eines unserer Forumosen bekamen wir übrigens diese überzeugende Erklärung geliefert.

Nein, werte Manhattaner, so nicht! Mich seid ihr als Kunden los.

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Je mehr Publikationen in unterschiedlichen Medien ein bestimmtes Franchise erhält, desto heftiger ist zumeist die Auseinandersetzung der Fans, welche davon nun dem offiziellen Kanon entsprechen und welche nicht.
Würde man zehn Star Trek oder Star Wars Fans zu dem Thema befragen, dürfte man wahrscheinlich elf unterschiedliche Ansichten dazu erhalten. Für die einen sind es nur die Filme (TV- und/oder Kino), für andere nur bestimmte Romane, für den nächsten auch bestimmte Comics, Teile des Rollenspiels und so weiter und so fort.

Der Lizenznehmer sollte sich dabei natürlich eng an den Kanon halten und seine Geschichten und Settings eng abstimmen. Genau aus diesem Grunde gibt es ja dieses Modell überhaupt. Der Lizenzgeber gestattet den Transport des Franchise/des Universums in ein bestimmtes Medium, die umsetzende Partei stellt aber dabei nicht plötzlich die Geschichte/die Welt/das Universum auf den Kopf, sondern beide Seiten achten auf eine gewisse Stringenz der Erzählungen.

Betrachten wir mal ein Monster-Werk wie Perry Rhodan in dieser Hinsicht.
Grundsätzlich kann man hier sagen, dass zumindest die 2500+ PR-Hefte sowie die ca. 900 Atlan-Hefte als kanonisch anzusehen sind. Gerade in früheren Taschenbüchern haben sich die Autoren oft bei Themen ausgetobt, bei denen man vermutete, dass diese nicht nochmals in der Heft-Serie aufgegriffen werden. Dass dem leider oft nicht so ist und war, wurde schon recht schnell sichtbar, weshalb über die Jahre viele der sog. Planeten-Romane nicht mehr kanonisch sind.
Selbst innerhalb der Heft-Serie, die nun seit beinahe 50 Jahren wöchentlich erscheint, gibt es viele Widersprüche in der fortlaufenden Handlung, die zum Teil mit dem Eingreifen von Superintelligenzen, Erlebnissen in Parallel-Universen, Veränderungen im Raum-Zeit-Kontinuum und ähnlichem erklärt werden mussten. Nicht immer schön, aber verständlich, und es wird ohne Murren von den Lesern hingenommen. Je größer ein Universum wird, desto wahrscheinlich ist es, dass man irgendwelche Korrekturen vornehmen muss.

Zurück zum aktuellen Anlass dieses Beitrages, welches ein Posting im neu eingerichteten “Redaktions-Stübchen” auf den Ulisses-Foren ist, wo folgende Frage aufkam:

Zählen Hintergrundinformationen, die nur in Romanen zu finden sind, zum offiziellen Aventurien? Oder erst dann, wenn sie in einer Spielhilfe oder einem offiziellen Abenteuer verwendet werden?

Reichlich erstaunt war ich über die erste Antwort von Alex Spohr (Einer der beiden neu einberufenen Redakteure) darauf:

Romane sind generell nicht Teil des Rollenspiel-Kanons.
Das ändert sich aber dann, wenn DSA-Rollenspielmaterial auf Inhalt von Romanen oder direkt auf Romane sich bezieht.

Noch erstaunter war ich allerdings über die Aussage des Autors Michael Masberg hierzu:

In der Tat ist das keine neue Infos. DSA-Romane waren immer schon nur bedingt kanonisch, spätestens ab dem Zeitpunkt, als die Spiel-Redaktion mit dem Wechsel der Spiel-Lizenz vor ein paar Jahren keinen Einfluss mehr auf den Inhalt der Romane hatte. Zwar gab es eine Zusammenarbeit bis zu einem gewissen Grad, aber die Verantwortlichkeit der inhaltlichen Stimmigkeit lag meist in der Eigenverantwortung der Schreiberlinge oder interessierter Redakteure. […] Ein gesamteinheitliches Aventurien hat es in dem Sinne nicht mehr gegeben, seit die Lizenz massiv aufgesplittet ist. Jeder Lizenznehmer hat die Deutungshoheit, sein Parallelaventurien aufzumachen. […]

Im selben Thread schreibt Alex Spohr (aka Disaster) nochmals:

Michael liegt da richtig. In vielen Fällen fand eine Anstimmung statt, in vielen Fällen sind die DSA-Romane auch im Kanon drin (es gibt ja nicht gerade wenig Bezüge).
Dennoch gilt die Regeln (und nicht erst seit Ulisses DSA verlegt): Die Romane sind erst einmal nicht kanonisch.

Nachdem ich darüber leicht kopfschüttelnd ins Bett gegangen bin, wurde am nächsten Tag aber auch ziemlich zurück gerudert:

Da die Frage aufgeworfen wurde, was zum Kanon von DSA zählt und was nicht, hier eine kurze Erklärung bzw eine Richtigstellung:
Generell zählt alles zum Kanon, was unter den DSA-Lizenzen publiziert wird. Beispielsweise Computerspiele und Romane.
Es kann jedoch durchaus passieren, dass die Geschehnisse nicht weiter (oder erst sehr viel später) thematisiert werden.

Nun wird sich der geneigte Leser fragen, wie kann so etwas passieren?
Hier sollte man wahrscheinlich zwei Dinge genauer betrachten. Zum ersten hat Alex in seinem ersten Post schon gewisse Dinge (möglicherweise unbewusst) auf den Punkt gebracht:

Romane sind generell nicht Teil des Rollenspiel-Kanons.

Sobald ich ein Universum in ein anderes Medium transportiere, wird es sehr wahrscheinlich nötig sein, an den Regeln dieses Universum gewisse Veränderungen vorzunehmen. Was in einem (Pen & Paper) Rollenspiel gut funktioniert, mag am Computer todlangweilig sein. Gute Action am Computer wird in einem Roman evtl. schnell zu einer Einschlafhilfe. Wenn ich jedoch an den Regeln etwas ändere, verändere ich auch implizit das zugrunde liegende Universum. Dies wird wohl niemals ausbleiben. Unterschiedliche Publikationsformen ergeben unterschiedliche Sichten auf ein und dieselbe Geschichte, deshalb mag die Geschichte auf einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen. Hierin sehe ich allerdings erst mal keinen Widerspruch.

Zum zweiten war möglicherweise die Frage im Ulisses-Forum schon deplatziert.
Die Frage, was zum Kanon von Aventurien gehört, kann meines Erachtens Ulisses als Lizenznehmer überhaupt nicht beantworten. Jedenfalls nicht für Produkte jenseits des Pen&Paper-Rollenspiels. Solche Entscheidungen unterliegen meines Erachtens einzig der Significant Fantasy GbR als Lizenzgeber.

Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, Unterschiede in Romanen, Computerspielen und anderen Medien zum Rollenspiel am Tisch zu haben.
Bei den Romanen kann ich mir dies z.B. immer gut mit einem unzuverlässigen Erzähler erklären. Selbst im letzten Computer-Spiel (Drakensang 2) würde dies wunderbar zu der ganzen Geschichte passen, die ja rückblickend aus der Sicht von Forgrimm geschildert wird.

Und natürlich gehören bestimmte Sachen aus dem Kanon herausgenommen, etwa wenn ein Autor wie Andreas Brandhorst einfach mal sämtliche Vorgaben ignoriert und einfach irgendwas schreibt, oder wenn Raumschiffe und Atomreaktoren aus einem Solo-Abenteuer von anno dazumal wirklich nicht in das heutige Aventurien passen.

Fazit: Bei so signifikant (no pun intended) unterschiedlichen Medien und Stilmitteln bleibt eine gewisse Diskrepanz wohl niemals aus.
Für mich ist der gesamte Kuchen (RPG, Roman, Computer-Spiel…) das Ganze und somit Kanon.
Ob man sich persönlich hier nur bestimmte Stückchen mit seinen besonderen “Rosinen” heraussucht, bleibt wohl jedem selber überlassen.

Und ich kann zur Abstimmung von Lizenzgebern und -nehmern naturgemäß nichts sagen. Allerdings weiß ich, mit welchen Argus-Augen z.B. Lucas Arts über Star Wars wacht. Sollte hier tatsächlich ein gewisses Defizit vorliegen, sollten die Macher des wohl größten Rollenspiel-Franchise Deutschlands dies mal zum Anlass nehmen, ein wenig darüber nachzudenken und ggf. die Situation zu verbessern.
Allerdings gilt auch hier: Dies obliegt wohl nicht Ulisses alleine, sondern allen Beteiligten.

Demnächst in Teil 2: Wüstenwelten, Handtücher und andere Fortsetzungen.

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