Bibliotheka Phantastika erinnert an Poul Anderson, der heute vor zehn Jahren gestorben ist. Der am 25. November 1926 als Sohn aus Skandinavien stammender Einwanderer in Bristol, Pennsylvania, geborene Poul William Anderson hat sich vor allem als SF-Autor einen Namen gemacht und für seine Romane und Erzählungen mehrfach die beiden bedeutendsten Preise des Genres, den Hugo und den Nebula Award, gewonnen. Doch auch seine selteneren und teilweise in großen Abständen entstandenen Beiträge zur Fantasy sind durchaus interessant – einerseits unter genrehistorischen Gesichtspunkten, andererseits, weil Anderson seine skandinavischen Wurzeln nie vergessen hat und einige seiner Werke einen Großteil ihrer Inspiration der Mythen- und Sagenwelt Nordeuropas verdanken. Dies gilt allerdings nicht für Three Hearts and Three Lions (Magazinveröffentlichung 1953, erste Buchausgabe 1961), Andersons ersten Roman, in dem der Agent und Widerstandskämpfer Holger Carlsen in eine von phantastischen Wesen bevölkerte Parallelwelt gerät, deren geschichtlichen Hintergrund die französischen Chansons de geste bilden.
Doch schon für seinen zweiten Fantasyroman The Broken Sword (1954, rev. 1971), der mit Elfen aufwartet, die so ganz anders sind als jene, deren Bild praktisch parallel dazu durch J.R.R. Tolkiens Lord of the Rings geprägt wurde, stand (neben Henry Rider Haggards Eric Brighteyes) unter anderem die Edda Pate, während Hrolf Kraki’s Saga (1973) den Versuch darstellt, aus einem wilden Konglomerat aus dänischen Chroniken, isländischen Sagas und altnordischen Gedichten ein modernes Heldenepos zu schaffen. Holger Carlsen treffen wir als Nebenfigur in A Midsummer Tempest (1974) wieder, der auf der Prämisse aufbaut, Shakespeare sei ein Historiker gewesen – und die in “A Midsummer Night’s Dream” und “The Tempest” geschilderten Ereignisse wahr. Mit Operation Chaos (fixup 1971) legte Anderson außerdem einen Roman vor, der als Blaupause für die derzeit aktuelle Urban Fantasy gelten könnte (allerdings ohne den heute vorherrschenden romantischen Aspekt), denn Steven Matuchek, der Held der Geschichte, ist ein Werwolf.
Von den 60er bis in die 80er Jahre war Anderson ein Mitglied von SAGA, der “Swordsmen and Sorcerers’ Guild of America”, einer von Lin Carter gegründeten Gemeinschaft von Heroic-Fantasy-Autoren. Aus den Beiträgen für die in den 70ern von Carter herausgegebene SAGA-Anthologiereihe Flashing Swords wurde schließlich der Roman The Merman’s Children (1979), der von der Vertreibung der Geister und Götter des Nordens aus ihrem letzten Refugium durch einen eifernden christlichen Priester und das Geläut der Kirchenglocken erzählt. Interessanter als Andersons Beitrag zum Conan-Universum (Conan the Rebel, 1980) ist die gemeinsam mit seiner Frau Karen verfasste Tetralogie The King of Ys (1986-88), die die Abenteuer eines römischen Centurio in der mythischen, an der Bretagneküste gelegenen Stadt Ys schildert (und die zu den wenigen Werken des Autors zählt, die nie ins Deutsche übersetzt wurden). In War of the Gods (1997) wandte er sich schließlich noch einmal den Sagen und Mythen Nordeuropas zu, denn hier geht es um die Abenteuer des legendären dänischen Königs Hadding in einer Welt, in der die Asen und die Vanen noch immer gegenwärtig sind. Neben diesen Romanen (zu denen auch noch The Demon of Scattery (1979), zusammen mit Mildred Downey Broxon verfasst, und Operation Luna (1999), die Fortsetzung von Operation Chaos zu zählen wären) hat Anderson auch noch etliche Fantasy-Stories geschrieben, die ebenfalls größtenteils auch auf Deutsch erschienen sind.
Poul Anderson mag heute, zehn Jahre nach seinem Tod, ziemlich vergessen sein, und sein Beitrag zur Fantasy ist – gemessen am Umfang seines Gesamtwerks – vergleichsweise schmal, doch der Einfluss seiner frühen Romane beispielsweise auf Michael Moorcock ist nicht zu leugnen. Und origineller als viele der Derivate, die heutzutage den Markt überfluten, waren und sind seine Geschichten allemal.
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