Heute möchten wir euch Ian R. MacLeods Aether (Original: The Light Ages) vorstellen.
Aether weist Züge eines Entwicklungsromans auf: Der Protagonist Robert Borrows erzählt von den wichtigsten Abschnitten seines Lebens mit einigen wenigen Zeitsprüngen dazwischen und seine Lebensgeschichte ist wahrlich lesenswert. Schließlich verschlägt es ihn vom kleinen Ort Bracebridge nach London, wo er ein neues, anderes Leben führt, sich in einer politischen Bewegung engagiert und doch immer wieder auf seine Vergangenheit stößt, die wesentlich geheimnisvoller ist als er angenommen hatte.
Der starken Fokussierung auf eine Person entsprechend, ist eine der Stärken des Buches die Charakterzeichnung, so erlebt man etwa das Kindheitstrauma des jungen Robert mit, das in der Folge, wenn auch zunehmend subtiler, den Roman durchzieht.
Die zweite große Stärke ist, wie MacLeod es schafft, eine Alternativwelt zu kreieren, in der scheinbar völlig Vertrautes kunstvoll mit fremdartigen und oft auch erschreckenden Facetten versehen ist. Das Setting, ein alternatives England, erinnert auf vielen Ebenen an sein viktorianisches Vorbild. Während die soziale Frage zunehmend brennender wird, finanzieren die Gewinne der „Industrie“ den luxuriösen Lebensstil der Oberschicht. Aber in diesem England ist es nicht die Kombination von Kohle und Dampfkraft, sondern der namensgebende Aether, der die Wirtschaft am Laufen hält. Der Aether – und MacLeod gelingt es dies überzeugend, detail- und facettenreich darzustellen – ist aber nicht bloß Brennmaterial, sondern ein magischer Werkstoff, der die ganze Gesellschaft durchzieht. Am ehesten vergleichbar ist er vielleicht mit Öl, das ja auch nicht nur Brennstoff liefert, und wie dieses hat er negative und positive Auswirkungen.
Die dritte Stärke ist schließlich die Vielschichtigkeit der Welt. Auch dieses Buch ist ein Paradebeispiel dafür, wie wenig eskapistisch Phantastik sein kann. Das personifizierte Böse sucht man hier ebenso vergebens wie die alles überstrahlende Wende zum Guten, stattdessen erlebt man das Wirken gesellschaftlicher Kräfte.
Aether (The Light Ages) ist der Auftaktband zu einer Reihe, die jedoch in deutscher Übersetzung nicht fortgesetzt wird. Das muss aber niemanden von einem Kauf abhalten, da es problemlos für sich alleine stehen kann und der bereits erschienene zweite Band The House of Storms sich um andere Protagonisten dreht.
ISBN: 978-3608937725
Nachdem ich das Buch heute ausgelesen habe: wirklich ein grandioses Werk. Neben der atmosphärisch dichten Handlung hat mich besonders McLeods Sprachschönheit beeindruckt. Viele seiner Vergleiche sind kleine Meisterwerke-im-Buch, und einer ist schöner als der andere. Durch seine Sprachsicherheit sehe ich vieles, aber vorallem den Winter, mit ganz anderen Augen. Großartig. Nicht einfach zu lesen, definitiv nichts “für zwischendurch”, aber trotzdem (oder gerade deshalb) eine dringende Empfehlung. Mein Buch des Monats (Oktober)!
Ha! Das freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. Es ist wirklich ein tolles Buch, von dem ich mir wünsche, dass es noch viele Leser findet!
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