Während vor den Türen der Lehmanns Buchhandlung in Leipzig die Besucher des Wave-Gothic-Treffens in ihren Gewandungen perfekt auf die Lesung eines Romanes einer der erfolgreichsten Fantasyautorinnen einstimmen, werden im Inneren des Buchladens die Stühle gerückt und die letzten Vorbereitungen getroffen. Die Gäste sammeln sich bereits um das Lesepult, doch mich bringt der Fahrstuhl in den Bücherbackstagebereich und weiter in das Büro, wo Trudi Canavan die letzten Notizen in ihr Exemplar von The Traitor Spy 2: The Rogue schreibt und zeichnet. Nach einem kurzen Fototermin wird das Buch zugeschlagen und Trudi Canavan eilt die Treppe hinunter zum Podium, wo sie das letzte Mal im Rahmen ihrer Lesereise aus ihrem neuen Werk lesen wird. Begleitet wird sie von Margarete von Schwarzkopf als Moderatorin und dem deutschen Schauspieler Hans-Werner Meyer, der einige Szenen aus der deutschen Übersetzung Sonea – Die Heilerin vortragen wird.
Das ausführliche Interview mit Frau Canavan erlaubt es dem Zuhörer, der Autorin bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Ihre Schreibkarriere begann – nach einer kurzen Liebäugelei mit dem Beruf des Filmregisseurs, ausgelöst durch Star Wars – Das Imperium schlägt zurück – mit dem Verfassen von Kurzgeschichten. Nach einigen Veröffentlichungen entstand das Manuskript ihres ersten Romans – besonders aus dem Wunsch heraus, die erdachten Charaktere tatsächlich kennenlernen zu können, ohne dass schon nach wenigen Seiten ein Abschied von ihnen anstünde. Die Möglichkeiten, eine Figur eine komplexe Entwicklung durchleben zu lassen und realkulturelle Inspirationen in die Geschichtenerzählung einzuspinnen, reizten die Autorin dabei besonders. Ihr Wissen über die japanische Kultur beeinflusste insbesondere das Schreiben ihrer ersten Trilogie The Black Magician, während die Inspirationen für die Age of Five-Trilogie eher aus dem antiken Mythologienschatz stammen: die eskapadenfreudigen griechischen Götter mit zuweilen sehr menschlichen Zügen waren wie geschaffen als Vorbild für ihren zweiten Bücherzyklus.
Als Ort der Ideen und größten Kreativität wurde von einem Fragesteller aus dem Publikum sofort das berüchtigt-romantisierte Schriftstellercafé vermutet. Denn wo ließe es sich besser schreiben als in einem belebten Café, völlig in das eigene Werk versunken, während das Leben auf den Straßen und auf den Seiten pulsiert? Zerstört wurde diese Vorstellung von Canavans Klarstellung, dass sie nach einer Stunde des Sitzens derartige Rückenschmerzen plagen, dass das Aufsuchen eines Cafés völlig unsinnig sei. Auch das berühmte Ideal vom Drauflosschreiben wurde sogleich entkräftet: „I’m a planner!“.
Die Quelle ihrer Inspiration war, neben zahlreichen Sachbüchern, auch ein Fernsehbericht über die Vertreibung der Bettler aus Barcelona, bevor 1992 dort die Olympiade ausgetragen wurde. Dieses Motiv begegnete ihr am gleichen Tag im Traum erneut – nur, dass es Magier waren, welche die Bettler aus der Stadt vertrieben. Die Idee für das erste Kapitel von The Magician’s Guild war geboren. Doch auch wenn diese Inspiration im Schlaf wie ein wahrgewordener Traum eines jeden Schriftstellers erscheint – Canavan warnt davor, aus Träumen Buchstabenkapital zu schlagen, denn: „Dreams make no good stories“. Außer, die Idee überlebt das kritische Nachdenken am Frühstückstisch, ergänzt sie grinsend.
Der Namensgebungproblematik begegnet Trudi Canavan mit Begeisterung: „I love this question because I love the answer!“ ruft sie und erklärt: auch wenn die Handlung immer wichtiger ist als die Bezeichnung – die Charaktere bekommen also oft erst im Nachhinein einen Namen –, sind ihr Namenskonventionen sehr wichtig. Oftmals benutzt sie reale Namen, um sie im Sinne dieser vorher festgelegten Konventionen zu verfremden; beispielsweise benutzt sie oft zweisilbige, konsonantenreiche Namen, um die männlichen Charaktere ihrer Romane zu taufen. Sollte ihr partout nichts einfallen, empfiehlt sie den Trick, der so alt sein mag wie die Tastatur selbst: man lege den Kopf unsanft auf die Tasten nieder und stelle das entstandene Wort so lange um, bis ein passender Name entsteht. Von einzufügenden Apostrophen jedoch sagte sie wohlweislich nichts.
Mit der Benennung und Formung einer Figur nach einem realen Vorbild hat Canavan nur schlechte Erfahrungen gemacht. Der ursprünglich gutmütig erdachte Charakter „Alarin“, der nach einer Freundin benannt wurde, ging plötzlich seine eigenen Wege: „he turned evil on me!“ Der neue, eher unliebsame Alarin war der Grund, weshalb sich Trudi Canavan nach einer Zeit eisigen Schweigens bei der Namenspatin entschuldigen musste.
Auch beim Thema Magie leuchten Canavans Augen auf. Mit „magic is technology, and black magic is nuclear power“, macht sie deutlich, wie ambivalent der Gebrauch dieser inneren Energien in ihrem Romanen behandelt wird. In den richtigen Händen nützlich – nicht umsonst ist das Thema der Heilung ein durchgängiges, romanübergreifendes Motiv –, kann sich die Magie in den falschen Händen jedoch zu etwas Gefährlichem entwickeln. So auch die magischen Steine, die in The Traitor Spy Trilogy eingeführt werden. Sie sind nicht nur geheimnisvolle magische Artefakte, sondern haben vielmehr das Potential, sich – im 3. Band, wie die Autorin hinter vorgehaltener Hand verriet – zu einem Werkzeug teuflischer Macht zu entwickeln. Ein weiteres Werkzeug dieser Art sind Drogen; neben „choosing your loyalty“ ein weiteres zentrales Thema der neuen Trilogie. Als Inspiration für die ‘Fäule’ diente in diesem Fall der Missbrauch von Opium durch die Gestalten der historischen Londoner Unterwelt. Dass die Drogen im Roman als gefügig machendes Werkzeug eingesetzt werden, um den Kampf um Loyalitäten zu beeinflussen, zeigt die enge Verquickung der angelegten Themen.
Auf die durchaus auch kritischen Fragen der Zuhörer antwortet Trudi Canavan souverän. Gleich mehrere Besucher teilten die Missbilligung der ständig kichernden Magier, von denen in der ersten Trilogie zu lesen ist. Nach einer anfänglichen Konfusion konnte die Autorin durch eine Lach-und-Kicher-Vorführung deutlich machen, welche Art von Lachen das englische Originalverb „to chuckle“ tatsächlich meint: „no giggling!“. Das Publikum hatte also eine Fehlübersetzung enttarnt; ein Umstand, der auch erklärt, weshalb ab einem gewissen Punkt in den Romanen abrupt nicht mehr gekichert, sondern eher leise gelacht wird: auch der Übersetzerin schien irgendwann das Gekichere eines Magiers nicht mehr würdig zu sein.
Die Lesung der ausgewählten Kapitel bestritten die sympathische Autorin und Hans-Werner Meyer mit Humor und einer lebendigen, abwechslungsreichen Lesart. Spannende und humorvolle Szenen wechselten sich gekonnt ab, sodass die Zeit bis zur der am Anfang angekündigten Überraschung (zu) schnell vorüberging. Nachdem der letzte Satz gelesen wurde, verschenkte Trudi Canavan – nunmehr am Ende ihrer Lesereise angelangt – unter tosendem Applaus ihr Sonea-Exemplar, welches sie auf ihrer ganzen Reise begleitet hat und gespickt ist mit Notizen, Anmerkungen und Zeichnungen der begabten Grafikerin. Eine Leserin aus Wuppertal, die den weitesten Weg zurückgelegt hatte, um der Autorin zu begegnen, konnte freudestrahlend diesen bibliophilen Schatz in die Arme schließen, und nicht wenige Besucher verfluchten ihren allzu kurzen Anreiseweg – mich eingeschlossen.
Der rundum gelungene Leseabend endete mit der Signierstunde der Autorin; und so mancher Fan wird in der langen Schlange einige Mühe damit gehabt haben, alle neun Romane und noch weitere fünf Exemplare für diverse Freunde hinauf zum Podium zu bugsieren und mit der verinnerlichten Geduld einer 9-fachen Romanautorin signierte Canavan vermutlich noch bis Mitternacht. Ich jedoch hatte schon längst meinen (viel zu kurzen) Heimweg angetreten.
Auf die Frage, welche Magien die mächtigsten seien, antworte Trudi Canavan übrigens mit „sex and humour!“. Kicher.
Oooooh, danke für diesen tollen, interessanten Bericht! Als wär ich dort gewesen:)
Man sieht mich vor Neid zerfließen! Da wäre ich zu gerne dabei gewesen.
Ein wirklich schöner Bericht, Colo! 🙂