Bibliotheka Phantastika erinnert an Karl Edward Wagner, der heute 70 Jahre alt geworden wäre. Es dürfte nur wenige Autoren geben, deren Stellung in einem bestimmten Subgenre der phantastischen Literatur so unumstritten ist, wie die des am 04. Dezember 1945 in Knoxville, Tennessee, geborenen Karl Edward Wagner in der Sword & Sorcery. Bevor Wagner sich mit seinen Romanen und Erzählungen um den unsterblichen Schwertkämpfer Kane einen Namen als legitimer Nachfolger Robert E. Howards machte, hatte er Geschichte und Medizin studiert und sogar kurzfristig als Psychiater gearbeitet. Doch der Wunsch, schreibend die Abgründe des menschlichen Daseins zu erforschen, scheint ausgeprägter gewesen zu sein als der, sich damit aus medizinischer Sicht auseinanderzusetzen. Ob dies für die potentiellen Patienten des Kurzzeit-Psychiaters einen Verlust darstellt, lässt sich wohl kaum sagen – für alle, die die Sword & Sorcery lieben, war es jedoch zweifellos ein Gewinn.
Wagner hatte den von einem rachsüchtigen Gott zur Unsterblichkeit verfluchten Brudermörder Kane – seine Version des biblischen Kain – bereits in seiner Jugend ersonnen, und diese Figur ist mehr oder weniger ein Amalgam aus zwei alten Traditionslinien, die den jungen Wagner stark beeindruckt und beeinflusst haben: zum einen Sword-&-Sorcery-Helden wie Fritz Leibers Fafhrd & Gray Mouser und noch viel mehr Robert E. Howards Conan, zum anderen die Helden der gothic novels, und hier vor allem Charles Maturins Melmoth the Wanderer. Dass Kane kein Conan-Clon ist, dürften die Leser von Darkness Weaves with Many Shades (1970), dem Roman, in dem der rothaarige Krieger mit den Augen eines Mörders seinen ersten öffentlichen Auftritt hatte, durchaus bemerkt haben; Wagners erzählerische und stilistische Fähigkeiten hingegen waren in seinem Erstling – in dem sich Kane mit der entsetzlich entstellten Seekönigin Efrel verbündet, um ihr zu helfen, sich an ihren Peinigern zu rächen (und außerdem seine ganz persönlichen Ziele verfolgt) – allenfalls zu erahnen. Einerseits, weil Darkness Weaves with Many Shades der schwächste Kane-Roman ist, andererseits und vor allem, weil der Verlag Wagners Manuskript kürzte und bearbeitete, so dass die veröffentlichte Version eigentlich eine Travestie darstellt.
Doch drei Jahre später erschien mit Death Angel’s Shadow ein Sammelband mit drei längeren Erzählungen, die mit zum Besten gehören, was die Sword & Sorcery bislang hervorgebracht hatte und Wagners Reputation deutlich ansteigen ließen. Egal, ob Kane in “Reflections for the Winter of My Soul” in einer eingeschneiten Burg mit einem geheimnisvollen Mörder und Gegner ganz besonderer Art konfrontiert wird, es in “Cold Light” mit einem selbsternannten Kämpfer für Gerechtigkeit und dessen Gefolgsleuten zu tun bekommt, die ihn jagen und dabei mindestens so brutal und grausam vorgehen wie ihre vermeintliche Beute, oder in “Mirage” auf eine andere Unsterbliche trifft, in deren Armen er Vergessen finden könnte (doch um welchen Preis?) – alle drei Geschichten zeigten und zeigen, wie weit man innerhalb eines Genres gehen kann, das bis dahin (von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen) vor allem von formelhaften, mehr oder weniger Howards Conan imitierenden Stories dominiert worden war.
Endgültig auf der Landkarte der Sword & Sorcery angekommen ist Wagner schließlich mit Bloodstone (1975), seinem zweiten Roman, wobei das Cover von Fantasy-Ikone Frank Frazetta dabei gewiss nicht geschadet hat. Kanes Wanderungen führen den rothaarigen Hünen in einen klassischen Fantasy-Konflikt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Parteien: Während die rustikalen, wikingerhaften Breimen unter ihrem Anführer Malchion auf direkte Konfrontationen setzen, die sie mit körperlicher Stärke austragen, gehen die Städter unter der Herrschaft des schlauen Dribeck listenreich vor und scheuen auch nicht vor Zauberei zurück, die in Kanes Welt allerdings immer einen nicht zu unterschätzenden Preis hat. Kane wäre allerdings nicht Kane, wenn er die beiden Streithähne nicht zu seinem eigenen Vorteil ausspielen würde – ihm geht es vor allem um Unterstützung bei einer Expedition auf der Suche nach einem uralten Artefakt, dem sagenumwobenen Blutstein. Doch nicht einmal Kane ahnt, was es damit wirklich auf sich hat. Neben der Sword & Sorcery würdigen Actionsequenzen und weiteren Einblicken in Kanes rätselhaften Charakter bietet das auch stilistisch gediegene Bloodstone einen aus Fantasy-Sicht beschriebenen SF-Hintergrund und eine für das Subgenre und ihre Zeit progressive Frauenfigur, der es auch gelingt, an Kanes menschliche Seite zu rühren.
Auch in Dark Crusade (1976) steht ein verheerender Krieg im Zentrum der Handlung, ausgelöst von einem fanatischen Propheten, der seine Anhänger ohne Rücksicht auf Verluste auf einen Eroberungsfeldzug schickt. Dunkle Mächte unterstützen den blutigen Marsch der aufgepeitschten Scharen, und noch mehr vielleicht die Tatsache, dass die umliegenden Reiche uneins sind und die Gewaltergüsse des Propheten Orted durchaus auch gerne nutzen, um unliebsame Nachbarn aus dem Weg zu räumen. Kane, dem solche Ereignisse Abwechslung in seinem endlosen Dasein bieten und der auch nie davor zurückscheut, im entscheidenden Augenblick die Seiten zu wechseln, dient an verschiedenen Stellen als Heerführer und spürt dem dunklen Geheimnis nach, das hinter dem religiösen Wahn steht. Und wieder rührt er dabei an alte Mächte, die vielleicht sogar für einen wie ihn zu viel sind.
Wie schon der erste Kane-Roman besticht Dark Crusade durch lebhafte Beschreibungen der Figuren und Örtlichkeiten, die dann beinahe genussvoll in Düsternis und Blut untergehen, und einem beeindruckenden Schwenk in die Gefilde des Surrealen und Horrors, wenn Kane dem Geheimnis schließlich auf die Spur kommt und Bekanntschaft mit Wesenheiten macht, die älter sind als die Menschheit. Der schmale Grat zwischen Faszination und Abscheu, Heldentum und Menschenfeindlichkeit, auf dem Wagner seine Hauptfigur führt, bleibt dabei stets präsent.
Nach diesen beiden Romanen ist mit Night Winds (1978) noch ein Sammelband mit sechs zwischen 1974 und 1977 in diversen Magazinen vorveröffentlichten Erzählungen sowie mit Darkness Weaves (1978) noch eine längst überfällige Neuausgabe von Wagners Erstling (dieses Mal wie vom Autor intendiert) erschienen – und damit waren Kanes Abenteuer auch beinahe schon an ihrem Ende angekommen. In The Book of Kane (1985), einem von Jeff Jones illustrierten, kleinauflagigen Auswahlband finden sich neben mehreren Nachdrucken noch zwei neue Kane-Stories, und in Midnight Sun: The Complete Stories of Kane (2003) sind weitere fünf Geschichten (die sich teilweise allerdings deutlich von den bisherigen Kane-Stories unterscheiden) enthalten, die zuvor z.T. in Exorcisms and Ecstasies (1996) – einem Sammelband, der einen Querschnitt durch Wagners Schaffen als Fantasy- und Horror-Autor bietet – bzw. diversen Anthologien erschienen waren, sowie mit In the Wake of the Night ein Auszug aus einem früh in Kanes Leben angesiedelten Roman, an dem Wagner angeblich seit Ende der 70er Jahre arbeitete. Aber gerade die spät entstandenen Kane-Geschichten zeigen, dass Wagner sich innerlich von der Sword & Sorcery mehr oder weniger verabschiedet hatte. Wobei auch das vermutlich nur ein Teil der Wahrheit ist.
In den 70er Jahren – d.h. spätestens seit der Veröffentlichung von Bloodstone – war Wagner eine der zentralen Figuren der Sword & Sorcery bzw. der Fantasy-Szene, und auch wenn er gewiss noch nicht einmal in dieser Zeit ein Vielschreiber war, erschienen seine Romane und Geschichten doch in steter Regelmäßigkeit. Immerhin brachte er parallel zu seiner Kane-Saga mit Legion of the Shadows (einem Bran-Mak-Morn-Roman) und The Road of Kings (einem Conan-Roman) auch zwei Howard-Pastiches auf den Markt – die beide zu den besten ihrer Art gehören, selbst wenn man konstatieren muss, dass der Wagner-Conan schon ein bisschen anders agiert als der Howard-Conan – und veröffentlichte seine ersten zeitgenössischen Horrorstories wie z.B. die mit dem British Fantasy Award ausgezeichnete, zum Cthulhu-Mythos zählende Geschichte “Sticks” (in Whispers #3, März ’74).
Anfang der 80er Jahre scheinen sich seine Interessen dann mehr und mehr zum Horror verlagert zu haben, denn er verfasste praktisch nur noch Horrorstories und gab außerdem ab 1980 bzw. Band acht die jährlich erscheinende Anthologie The Year’s Best Horror Stories heraus, für die er Geschichten aus den obskursten Quellen zusammentrug. Und auch wenn er weiterhin Horrorstories veröffentlichte, war nicht zu übersehen, dass Karl Edward Wagner den Zenit seines künstlerischen Schaffens längst überschritten hatte. Möglicherweise hat ihn die “dunkle Muse”, der er jahrelang mit Alkohol und Tabletten auf die Sprünge geholfen hatte, am Ende tatsächlich verlassen. Und vielleicht hat daraufhin der düstere, fast schon depressive Zug, der ihm selbst ebenso innewohnte wie der Figur, die er in gewisser Hinsicht nach seinem Ebenbild erschaffen hatte, in ihm die Oberhand gewonnen, denn vieles deutet darauf hin, dass Wagner gewusst hat, dass er den Preis für seinen jahrzehntelangen Alkohol- und Drogenmissbrauch eines nicht allzu fernen Tages würde zahlen müssen. Sicher ist nur, dass es am 14. Oktober 1994 soweit war, denn an diesem Tag ist Karl Edward Wagner im Alter von 49 Jahren in seinem Haus in Chapel Hill gestorben.
Im Gegensatz zu vielen anderen Sword-&-Sorcery-Helden der 70er Jahre hat es Wagners Kane auch nach Deutschland geschafft, und das sowohl relativ zeitnah als auch – zumindest im Hinblick auf das damals vorliegende Material – relativ vollständig. Die drei Kane-Romane sind als Kreuzzug des Bösen, Herrin der Schatten (beide 1979) und Der Blutstein (1980) erschienen, und aus den zwei ursprünglichen Kurzgeschichtensammlungen wurden hierzulande drei (Der Verfluchte (1978), Sohn der Nacht (1979) und Die Rache des Verfluchten (1980)), wobei die Reihenfolge der Veröffentlichungen sich weder an der inneren Chronologie noch an der Erscheinungsfolge der Originalausgaben orientiert. Das gesamte Kane-Material wurde dann noch einmal in zwei Sammelbänden – Das Buch Kane und Kane der Verfluchte (beide 1989) – veröffentlicht, doch leiden diese Sammelbände unter dem gleichen Makel wie die einzelnen Veröffentlichungen: Die Übersetzungen sind – der Zeit und den Umständen ihres Entstehens geschuldet – teilweise gekürzt und nicht unbedingt sehr originalgetreu. Von daher ist die Initiative des kleinen Berliner Golkonda Verlags zu begrüßen, wo bislang mit Der Blutstein (2014) und Kreuzzug des Bösen (2015) die ersten beiden Kane-Romane (in handlungschronlogischer Reihenfolge) komplett überarbeitet neu aufgelegt wurden. Es wäre zu hoffen, dass nach dem bereits angekündigten dritten Roman auch die Erzählungen um Kane in dieser Weise neu herausgebracht werden, damit auch die deutschsprachigen Leser und Leserinnen die wohl interessanteste Figur, die die Sword & Sorcery bislang hervorgebracht hat, endlich so kennenlernen können, wie ihr Autor sie geschaffen hat. Und in Zeiten, in denen die Grimdark- oder Grim-&-Gritty-Fantasy mehr oder weniger boomt, sollte eigentlich auch Kane – den man mit einer gewissen Berechtigung durchaus als einen Vorläufer dieser Welle bezeichnen könnte – ein Plätzchen auf dem Markt finden …
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Der Blogeintrag treibt mich immer weiter dahin, dass ich doch mal die schicke Golkonda-Ausgabe in die Hand nehmen muss und lesen sollte…
Besonders bei mir als Sword&Sorcery-Fan… 😉
Also Danke für den Hinweis, dass es da (noch) ein ungelesenes Buch auf dem SUB gibt! 😉
Naja, wenn du immer noch nichts von Karl Edward Wagner gelesen hast, kann ich dir auch nicht helfen …
Tu’s einfach mal irgendwann, denn wenn du Sword & Sorcery generell magst und noch keinen Wagner gelesen hast, hast du wirklich was verpasst. Vertrau mir … 😉
Toller Beitrag. Ich habe die beiden Bastei-Bände als jugendlicher erstmal gelesen und war ganz hin und weg von Wagner. Das war nochmal was anderes, als der “ewige Held” von Moorcock. Vor der Golkonda-Ausgabe scheue ich mich nur ein wenig, weil die Schrift im Buch so klein und eng ist. Wäre es ein Buch, dass ich noch nicht gelesen habe, hätte ich sie mir aber schon längst gekauft.
Gibt es eigentlich auch einen konkreten Abschluss der Kane Saga?
Ich meine einmal gelesen zu haben, dass er in einer Kurzgeschichte schließlich von einem seiner Feinde getötet wird.
Kann aber keine weiteren Infos dazu finden.
@ Tobias:
Nein, den gibt es nicht. Und von einer solchen Kurzgeschichte habe ich noch nie gehört. In denen, die veröffentlicht wurden, kommt eine solche Handlung nicht vor.
Und ich kann mir auch schwer vorstellen, dass Wagner so etwas gemacht hätte, wenn er weitere Kane-Stories und -Romane geschrieben hätte; das passt mMn irgendwie nicht dazu, wie er die Figur angelegt und dargestellt hat. Andererseits hat er Kane in den späten Stories in Rollen und Umgebungen gezeigt, die ich mir auch nicht hätte träumen lassen; von daher könnte es natürlich auch sein, dass er so eine Idee gehabt hat und möglicherweise irgendwann umgesetzt hätte. Aber wie gesagt – in den irgendwo veröffentlichten Stories kommt das nicht vor.