Zum 75. Geburtstag von Richard Corben

Bibliotheka Phantastika gratuliert Richard Corben, der heute 75 Jahre alt wird. Der am 01. Oktober 1940 in der Kleinstadt Anderson, Missouri, geborene Richard Vance Corben, dessen Œuvre fast gänzlich außerhalb des Superhelden-Mainstream angesiedelt ist, gilt zweifellos zu Recht als einer der wichtigsten us-amerikanischen Comic-Künstler. Nachdem er zunächst als Trickfilmzeichner gearbeitet hatte, machte er ab 1969 seine ersten Schritte als Comiczeichner in Underground-Magazinen wie Grim Wit, Slow Death oder Skull Comix (und etlichen anderen) sowie in dem von ihm selbst herausgegebenen Fanzine Fantagor. Ab 1970 erschienen von ihm – zumeist nach fremden Texten gezeichnete – Horror- und SF-Comics auch in den Magazinen des Verlags Warren Publishing, vor allem in Creepy und Eerie. Doch ein echter Karrieresprung fand erst statt, als Corben eine seiner Geschichten an das im Januar 1975 in Frankreich als Comicmagazin für Erwachsene gegründete Métal Hurlant schickte, denn in dessen (gut zwei Jahre später gestarteten) us-amerikanischen Pendant Heavy Metal war er von Anfang an ebenso vertreten wie in der deutschen Inkarnation des Magazins, die ab Februar 1980 unter dem Titel Schwermetall hierzulande auf den Markt kam.
Bloodstar von Richard CorbenNoch bevor Corben für Heavy Metal zu arbeiten begann, erschien mit Bloodstar (1976, rev. 1979; dt. Bloodstar (1981)) sein erster längerer Comic als eigenständige Veröffentlichung. Bei Bloodstar – der ersten auf dem Cover ausdrücklich als solche bezeichneten graphic novel – handelt es sich um die Comicversion der Robert-E.-Howard-Story “The Valley of the Worm”, an deren Adaption John Jakes und Gil Kane (bzw. bei der zweiten, überarbeiteten Auflage auch noch John Pocsik) beteiligt waren. Bloodstar erzählt die Geschichte des gleichnamigen Helden, der in einem – im Gegensatz zur Howard-Story – postapokalyptischen neobarbarischen Setting eigentlich nur in Frieden mit seiner Familie leben will, es aber mit einem Rivalen innerhalb seines eigenen Stammes, fremden barbarischen Kriegern und allerlei gefährlichen Tieren wie Säbelzahntigern oder einer riesigen Giftschlange zu tun bekommt – und sich schließlich einem unglaublich gefährlichen monströsen Wesen stellen muss, das als “King of the Northern Abyss” bekannt ist. Bloodstar ist vielleicht Corbens rundum gelungenstes längeres Werk, das einerseits von seiner unglaublich plastischen grafischen Umsetzung (usprünglich in Schwarzweiß) lebt, aber auch mit überzeugend charakterisierten Figuren punkten kann. Außerdem gibt es natürlich auch das, was mehr oder weniger Corbens Markenzeichen ist: Frauen mit üppigen Brüsten und jede Menge durchaus drastisch dargestellte Gewalt.
1978 erschien mit Neverwhere (auch als Den: Neverwhere (1984), dt. Den (1978)) Corbens zweite graphic novel (man könnte auch sagen die Tradepaperback-Ausgabe einer zuvor in Heavy Metal veröffentlichten Serie) die den ersten, einem breiteren Publikum zugänglichen Teil eines umfangreichen Zyklus – der Den Saga – darstellt, den man wohl als Corbens Hauptwerk bezeichnen kann (nicht zuletzt deswegen, weil er ihn in weiten Teilen selbst geplottet und getextet hat). Die Anfänge der Den Saga sind allerdings wesentlich älter, denn bereits 1968 hatte sich Corben in dem Kurzfilm Neverwhere – den man sich übrigens hier anschauen kann – mit dem Konzept beschäftigt. Der Comic stellt eine indirekte Fortsetzung des gleichnamigen Kurzfilms dar, und in ihm begegnen wir dem schmächtigen, bebrillten David Ellis Norman, dem sein Onkel Daniel die Baupläne einer Maschine hinterlassen hat, die ein Tor in ein anderes Universum erzeugen kann. Natürlich baut David die Maschine – und landet in (oder auf) Neverwhere, einer wüstenähnlichen Welt, in der es nicht nur jede Menge gefährlicher bis monströser Wesen, sondern auch (mehr oder weniger nackte) Frauen mit großen Brüsten und ohne jede Neverwhere von Richard CorbenKörperbehaarung (vom Kopf mal abgesehen) gibt. So gesehen trifft es sich gut, dass aus dem schmächtigen Nerd beim Übergang durch das Dimensionstor ein muskulöser, haarloser und sehr gut ausgestatter Mann geworden ist (was sich unschwer feststellen lässt, da er durchgehend nackt ist), der sich zudem noch als Martial-Arts-Experte erweist. David, der sich in Neverwhere Den nennt, trifft auf die üppige, ebenfalls von der Erde stammende Kath und hat ein paar … “Differenzen” mit einigen unangenehmen Zeitgenossen; vor allem aber hat er jede Menge Ärger mit der Red Queen, die ihn (wie einige andere Einwohner Neverwheres) von früher zu kennen scheint, und mit dem Magier Ard, der ebenso wie die Red Queen hinter dem Loc-Nar her ist, der Quelle aller Magie auf Neverwhere. Und dann ist da natürlich noch Uhluhtc, der monströse – und überaus hungrige – Gott dieser Welt …
Neverwhere ist eine Sword-&-Planet-Geschichte, die einerseits stark von Edgar Rice Burroughs und dessen A Princess of Mars beeinflusst ist, in der sich aber auch Bezüge zu den Werken Robert E. Howards, H.P. Lovecrafts und sogar J.R.R. Tolkiens finden lassen, und die – was die unterschwellige oder ausgelebte Sexualität ihrer Figuren angeht – all das deutlich zeigt, was bei Burroughs & Co. nur angedeutet wurde. Man könnte Neverwhere und die im Laufe der Jahre folgenden Ergänzungen der Saga – Muvovum (1984), Children of Fire, Dreams, Elements (alle 1992), “DenSaga # 1-4” (nur als Serie, 1992-94) – durchaus als softpornografische Comics bezeichen, und die Tatsache, dass Richard Corben gerne Frauen mit großen Brüsten zeichnet, hat ihm mehrfach den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit eingebracht; ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn Corbens Frauenfiguren erweisen sich fast immer als zielstrebiger und klüger als ihre männlichen Partner und/oder Gegner. Erzählerisch ist die Den Saga ein nicht ganz unproblematischer Fall, denn der Zyklus als Ganzes ist alles andere als frei von Widersprüchen oder unlogischen Entwicklungen. Corben scheint selbst gemerkt zu haben, dass er nicht unbedingt der geborene Erzähler längerer Geschichten ist, denn für Dreams und Elements hat er sich einen Texter (in Gestalt von Simon Revelstroke) geholt. Grafisch hingegen bieten vor allem Neverwhere und Muvovum über weite Strecken faszinierende und beeindruckende Visionen einer phantastischen Welt, die man so zumindest bis zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gesehen hatte. Das gilt für die zumeist trostlose Landschaft ebenso wie für die Bauwerke und Ruinen (in denen buchstäblich alles hausen kann), für die häufig grotesken, teils humanoiden, teils gänzlich fremdartigen Lebewesen und last but not least auch für die ungemein plastisch dargestellten Hauptfiguren wie Den oder Kath.
The Voyage of Sindbad von Richard CorbenÜber die Den Saga hinaus hat Richard Corben noch eine ganze Reihe weiterer umfangreicher phantastischer Comics geschaffen, in denen sich z.B. Sindbad auf eine allerletzte gefährliche Reise begeben muss – New Tales of the Arabian Nights (Text: Jan Strnad (1978), auch als The Last Voyage of Sindbad (1988)) – oder sich ein etwas einfältiger, aber liebenswerter Mutant mit den Fährnissen einer postapokalyptischen Welt herumschlagen muss – Mutant World (T: Strnad, 1983) und “Son of Mutant World # 1-5” (T: Strnad, 1990) – oder in einem ebenfalls postapokalyptischen Setting die Freundschaft zwischen einem Jungen und seinem Hund auf eine harte Probe gestellt wird (Vic and Blood (1989), die Adaption dreier Harlan-Ellison-Stories) – oder ein Raumfahrer mit seiner Lebensgefährtin auf einem nur auf den ersten Blick paradiesischen fremden Planeten landet – Jeremy Brood (T: Strnad, 1989) – oder es um Zeitreisen geht – Rip in Time (T: Bruce Jones, 1990).
Alle bislang genannten Geschichten sind auch auf Deutsch in Albenform erschienen, zuletzt – mit Ausnahme von Bloodstar und Vic and Blood – in der Reihe Die phantastische Welt des Richard Corben (1991-95). Seine Stories aus Creepy und Eerie sind erst letztes Jahr in einem Prachtband mit dem Titel Creepy präsentiert: Richard Corben herausgekommen, während in Geister der Toten (2015) fünfzehn Geschichten von Edgar Allan Poe enthalten sind, die Richard Corben zwischen 2012 und 2014 adaptiert hat. Da Richard Corbens Gesamtwerk weit über das hinausgeht, was in diesem Beitrag kurz angerissen werden konnte, bleibt abzuwarten, inwieweit noch mehr seiner neueren Werke – wie etwa seine Adaption von William Hope Hodgsons The House on the Borderland – den Weg nach Deutschland finden.

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