Tag: Jubiläen

Bibliotheka Phantastika gratuliert Pauline Gedge, die vorgestern 75 Jahre alt geworden ist. Vor einiger Zeit hätte man noch davon ausgehen können, dass der Name der am 11. Dezember 1945 in Auckland auf der Nordinsel Neuseelands geborenen und nach einigem Hin und Her seit den 70er Jahren dauerhaft in Kanada lebenden Pauline Gedge zumindest denjenigen Lesern und Leserinnen etwas gesagt hätte, die sich für historische Romane interessieren. Denn ihre Karriere hat mit historischen Romanen – genauer mit Child of the Morning (1977; dt. Die Herrin vom Nil (1981) – die Geschichte der ägyptischen Königin Hatschepsut) und The Eagle and the Raven (1978; dt. Der Adler und der Rabe (1988) – die Geschichte der keltischen Königin Boudicca*) – begonnen, die generell den mit Abstand größten Teil ihres Œuvres ausmachen und teilweise überaus erfolgreich waren. Auch in Deutschland; so hat sich z.B. Die Herrin vom Nil hierzulande weit über 250.000 Mal verkauft. Aber aller Ruhm ist vergänglich, und während in den 80er und 90er Jahren noch alle Gedge-Romane ins Deutsche übersetzt wurden, wurde die Übersetzung ihrer letzten Trilogie The King’s Man (2007-2011) nach dem ersten Band (Der Seher des Pharao (2009)) abgebrochen; im Deutschland der Wanderhuren bestand anscheinend kein Interesse mehr an den Abenteuern von Amenophis, dem Architekten des Tempels von Luxor.
Aber hier soll es ja gar nicht um Pauline Gedges historische Romane gehen, sondern um ihre Ausflüge in die Phantastik, deren erster und gewichtigster als ihr dritter Roman 1982 unter dem Titel Stargate erschienen ist (und der mit dem gleichnamigen Film – außer der Tatsache, dass es in beiden Werken um Weltentore geht – nichts zu tun hat). Stargate erzählt vom Ende eines anfangs paradiesischen Universums, das vor Äonen mitsamt aller in ihm lebenden Wesen vom Worldmaker erschaffen wurde, und in dem die unsterblichen, göttergleichen, aufs engste mit ihren jeweiligen Sonnen verbundenen Sunlords über Welten herrschen, die von im wahrsten Sinne des Wortes unschuldigen (keineswegs nur menschlichen) Sterblichen bewohnt werden. Mittels der Stargates können die Sunlords alle anderen Welten besuchen – doch von den ehemals unzähligen Welten sind zu Beginn des Buches nur noch vier übrig; über alle anderen ist ein Übel gekommen, ihre Stargates wurden geschlossen, ihre Sunlords existieren nicht mehr, ihre Sonnen haben sich verdunkelt, und die isolierten Welten sind der Verdammnis anheimgefallen. Denn der Worldmaker ist zum Unmaker geworden und setzt alles daran, seine Schöpfung zu vernichten – und die vier letzten Sunlords versuchen verzweifelt, das zu verhindern …
Stargate von Pauline GedgeStargate ist ein in mehrfacher Hinsicht sehr eigenwilliger Roman, der sich keinem Genre so recht zuordnen lässt, sondern irgendwo zwischen SF und Fantasy oszilliert. Die tragische Geschichte mäandert dabei in kleinen Episoden vor sich hin (was damit zu tun haben dürfte, dass Gedge sich in diesem Fall nicht an historischen Ereignissen entlanghangeln konnte), aber sie wird auf so eindringliche, märchenhafte Weise erzählt, dass man sich ihrer Sogwirkung nur schwer entziehen kann (oder aber gar nicht erst in sie hineinfindet). Und sie wirft dabei Fragen auf, die ein bisschen tiefer gehen, als man anfangs meinen könnte. Wer also wissen will, wie sich das Ende des Paradieses anfühlen kann und sich dafür nicht an Miltons Paradise Lost wagen will (als dessen SF/F-Äquivalent manche Rezensenten den Roman bezeichnen), kann ja mal einen Versuch mit Stargate machen, vielleicht auch in der deutschen Version, die unter dem Titel Durch mich geht man hinein zu Welten der Trauer 1984 im Rahmen von Goldmanns Edition ’84. Die positiven Utopien erschienen ist. Dass der Roman in dieser Reihe vollkommen fehl am Platz war, versteht sich von selbst.** 😉
Da Stargate zwar für den Prix Aurora (das kanadische Pendant des Hugo) nominiert wurde, bei ihrer Leserschaft allerdings längst nicht so gut ankam wie ihre vorangegangenen Romane, wandte Pauline Gedge sich mit The Twelfth Transforming (1984; dt. Pharao (1985)) wieder dem historischen Roman zu, doch Scroll of Saqqara (1990, auch Mirage (USA 1991; dt. Der Sohn des Pharao (1992)), die Geschichte des Arztes und Magiers Khamwaset, der auf der Suche nach der legendären Schriftrolle des Gottes Thoth, die angeblich ihrem Besitzer die Macht, die Toten aufzuwecken, und zudem die Unsterblichkeit verleiht, reihenweise Gräber schändet und schließlich Dinge in Bewegung setzt, die sein Leben von Grund auf verändern, hat ebenso viel von einem Schauerroman wie von einem historischen Roman, während man The Covenant (1992; dt. Die Herren von Rensby Hall (1994)) wohl am ehesten als Mystery-Thriller bezeichnen könnte.
Die danach folgenden Romane – House of Dreams (1992) und dessen auf Wunsch der Leser und Leserinnen verfasste Fortsetzung House of Illusions sowie die Lords of the Two Lands Trilogy (1998-2000)*** – kommen dann ohne phantastische Elemente aus, wohingegen in der The King’s Man Trilogy (2007-2011) die Hauptfigur nach ihrem Tod von den Göttern zurück ins Leben geschickt wird …
So gesehen, ist es für Leserinnen und Leser, die nichts gegen ein bisschen Phantastisches in ihren historischen Romanen haben, durchaus bedauerlich, dass die Übersetzung der besagten Trilogie nach einem Band abgebrochen wurde. Andererseits kann man als Fantasy-Afficionado auch an Pauline Gedges rein historischen Romanen Gefallen finden, vor allem an The Eagle and the Raven, in dem es um den Freiheitskampf der Kelten in den nebelverhangenen Tälern und Wäldern Albions geht, und an der Lords of the Two Lands Trilogy, in der der Aufstand der Ägypter gegen die Fremdherrschaft der Hyksos zum Thema gemacht wird.

* – genau genommen ist es fast ebenso sehr die Geschichte von Caradoc wie die von Boudicca
** – die Sache mit der Edition ’84 wäre fast mal einen eigenen Blogbeitrag wert, auch wenn es dabei um SF geht
*** – die deutschen Titel werden – falls gewünscht – in einem Kommentar nachgeliefert; sie hier noch mit einzubauen, wäre vielleicht des Guten zuviel …

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Bibliotheka Phantastika gratuliert Marlon James, der am Dienstag seinen 50. Geburtstag feiern konnte. Wenn man sich die bis 2014 erschienenen ersten drei Romane des am 24. November 1970 in Kingston auf Jamaika geborenen Marlon James anschaut – John Crow’s Devil (2005; dt. Tod und Teufel in Gibbeah (2009), auch Der Kult (2018)), in dem es um einen bizarren Kult in einem jamaikanischen Dorf in den 1950er Jahren geht, The Book of Night Women (2009), in dessen Mittelpunkt eine jamaikanische Sklavin während der Kolonialzeit steht, und schließlich A Brief History of Seven Killings (2014; dt. Eine kurze Geschichte von sieben Morden (2017)), die fiktive Geschichte um einen tatsächlich geschehenen Mordanschlag auf den Reggae-Sänger Bob Marley – und außerdem in Betracht zieht, dass der letztgenannte Roman mit einer Vielzahl von Preisen – darunter dem Man Booker Prize*, dem wichtigsten britischen Literaturpreis – ausgezeichnet wurde, war nicht unbedingt zu erwarten, dass James sich anschließend der Fantasy und somit der Genreliteratur zuwenden würde. Von daher hat seine Ankündigung, dass er als Nächstes eine epische Fantasy-Trilogie schreiben würde (“an African Game of Thrones“) in der angloamerikanischen Literaturszene durchaus für Überraschung gesorgt. Aber auch für jede Menge Neugier.
Black Leopard, Red Wolf von Marlon JamesSomit dürfte Black Leopard, Red Wolf (2019; dt. Schwarzer Leopard, Roter Wolf (2019)) der vielleicht am meisten erwartete** und auch inner- wie außerhalb der angloamerikanischen Phantastik-Szene am häufigsten besprochene Fantasyroman der ersten Jahreshälfte, wenn nicht des ganzen Jahres 2019 gewesen sein. Und man muss James einfach zubilligen, dass er seine Ankündigung größtenteils wahr gemacht hat, denn im Gegensatz zu so manchen Kolleginnen und Kollegen, die in der “Hochliteratur” zu Ruhm und Ehren gekommen sind, hat er keineswegs nur ein bisschen mit dem Genre geflirtet, sondern hat es kräftig umarmt, ist sozusagen mitten rein gesprungen. Ein “African Game of Thrones” ist Black Leopard, Red Wolf, der Auftakt der Dark Star Trilogy allerdings nicht geworden, wie generell alle Vergleiche – sei es mit J.R.R. Tolkien oder Angela Carter – kräftig hinken bzw. nur jeweils einen kleinen Teilaspekt von James’ Roman abdecken, denn der stellt Genrekonventionen mindestens so häufig auf den Kopf oder zertrümmert sie regelrecht, wie er sich ihrer bedient.
Das geht schon mit Tracker (dt. Sucher), dem Ich-Erzähler los, der aufgrund seiner besonderen Spürnase den Auftrag bekommen hat, ein seit drei Jahren vermisstes Kind zu suchen, und der nun als Gefangener von dieser Suche erzählt. “The child is dead. There is nothing left to know”, sind seine ersten Worte – und dann erzählt er mehr als 600 Seiten lang drauflos. Denn Tracker erzählt nicht nur von der Suche nach dem Kind und all dem, was er dabei erlebt hat, sondern damit aufs Engste verwoben auch die Geschichte seines eigenen Lebens, wobei seine Art zu erzählen es teilweise schwierig macht, die jeweiligen Geschehnisse zeitlich zu verorten – ganz abgesehen davon, dass er ein unzuverlässiger Erzähler ist. Hinzu kommt mit einem mythischen Afrika ein Setting, in dem es von ebenso faszinierenden wie fremdartigen Wesen wimmelt, die sich deutlich von den Drachen, Elfen und Zwergen der typischen High Fantasy unterscheiden. Und ein Ausmaß an Gewalt und Sex, das man in dieser Form bislang selten erlebt hat.
Das alles macht Black Leopard, Red Wolf zu einer herausfordernden, manchmal vielleicht auch anstrengenden Lektüre, wobei man andererseits sagen muss, dass der Roman (zumindest im Original) mit sehr viel Stilwillen erzählt ist, mit einem beeindruckenden Bilderreichtum aufwartet und auch erzählerisch interessante Wege geht. Und trotz des Bluts und all der anderen Körperflüssigkeiten, die (etwas zu) überreichlich aus den Seiten quellen, hat man nie das Gefühl, dass die Gewalt, die in diesem Roman so präsent ist, als erzählerischer Selbstzweck dient (wie es in so vielen Grimdark-Romanen der Fall ist); sie wirkt eher wie die Münze, die in einer im Gegensatz zu vielen “klassischen” Fantasywelten instabilen, von Gewalttätigkeit und Willkür durchtränkten Welt das einzige allseits anerkannte Zahlungsmittel ist.
Black Leopard, Red Wolf stellt zweifellos eine Bereicherung des Genres dar; ob der Roman – bzw. genauer: ob die Dark Star Trilogy – als wichtiger neuer Eckpunkt der Fantasy oder eher als ein nach kurzer Aufregung vergessenes Kuriosum in die Geschichte des Genres eingehen wird, lässt sich heute noch nicht absehen. Einen ersten Anhaltspunkt könnte der zweite Band der Trilogie liefern, der unter dem Titel Moon Witch, Night Devil 2021 erscheinen soll und aus der Sicht der Hexe Sogolon erzählt wird (was vermutlich dazu führen wird, dass Vieles, was Tracker im ersten Band erzählt, in einem neuen, ganz anderen Licht erscheinen wird).

* – der seit 2019 nur noch Booker Prize heißt
** – okay, es gibt vermutlich mindestens zwei Romane, die noch mehr erwartet wurden … und immer noch werden, denn die sind bislang immer noch nicht erschienen …

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Robert Bloch, dessen Todestag sich vor rund zwei Wochen zum 25. Mal gejährt hat. Der am 05. April 1917 in Chicago, Illinois, geborene Robert Albert Bloch dürfte vermutlich tatsächlich zu den Autoren zählen, an die man erinnern muss, denn den jüngeren Lesern und Leserinnen dürfte er – wenn überhaupt – wahrscheinlich allenfalls noch als Autor des Romans Psycho (1959) ein Begriff sein, der Vorlage für den gleichnamigen Film von Alfred Hitchcock (1960), welcher wiederum als eines der wichtigsten Werke des “Master of Suspense” und als Klassiker des amerikanischen Kinos gilt.*
Robert Bloch: PsychoFür Bloch selbst war Psycho (dt. Kennwort Psycho (1960) bzw. Psycho (1966), NÜ Psycho (2012)) – dem er mit Psycho II (1982, dt. Psycho II (1990)) und Psycho House (1990; dt. Psycho-Haus (1992)) noch zwei Fortsetzungen folgen ließ – ein Meilenstein in seiner damals schon 25 Jahre dauernden Karriere; von nun an galt er als Meister des psychologischen Horrors, und schon bald öffneten sich ihm auch die Türen zu neuen, lukrativen Märkten z.B. als Drehbuchautor für diverse TV- und Filmprojekte (so schrieb er beispielsweise in der zweiten Hälfte der 60er die Skripte für drei Episoden der originalen Star-Trek-Serie).
Angefangen hat Robert Bloch jedoch als Autor phantastischer Kurzgeschichten, und erschienen sind diese Storys – wie die vieler seiner Zeitgenossen – im vielleicht wichtigsten phantastischen Pulp-Magazin der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: in Weird Tales. Er war ein langjähriger Leser des Magazins und stand schon als 17-Jähriger in Briefkontakt mit H.P. Lovecraft, gehörte einige Zeit später selbst zum “Lovecraft-Circle”. Und schrieb in diesem Alter einen Leserbrief, in dem er Howards Conan-Storys harsch kritisierte, der in der November-Ausgabe von WT veröffentlicht wurde – zwei Monate, ehe seine erste eigene Story “The Feast in the Abbey” erschien. Man könnte sich wahrlich einen besseren Start vorstellen, und Blochs Kritik führte auch zu einer Mini-Kontroverse in “The Eyrie”, der Leserbriefspalte von WT, doch letztlich erwies sich das alles als Sturm im Wasserglas; im Laufe der nächsten siebzehn Jahre sollte Bloch noch fast 70 Storys in Weird Tales veröffentlichen und war zeitweise eine der Stützen des Magazins. Und er hat eines aus der ganzen Sache gelernt: “It also taught me a valuable lesson. From that point on and to this very day I have avoided public criticism of my fellow writers, no matter how lousy and rotten their crummy efforts may be.”**
Blochs frühe WT-Storys waren stark vom Schaffen seines Mentors H.P. Lovecraft beeinflusst oder gar direkt zum Cthulhu-Mythos zu zählen, doch allmählich machte er sich nicht nur vom Schatten seines großen Vorbilds frei, sondern fand in Magazinen wie Amazing Stories, Strange Stories, Unknown, Fantastic Adventures und vielen anderen noch weitere Abnehmer für seine teils mit einem bösen Twist versehenen, teils auch humoristischen Geschichten. Als die vielleicht typischste Bloch-Story aus dieser frühen Phase seiner Karriere – und als eine seiner besten – gilt zu recht “Yours Truly – Jack the Ripper” (WT, July 1943)***, in der er sich zum ersten Mal dem Mythos um Jack the Ripper zuwandte, den er später noch häufiger thematisiert hat, u.a. in dem Roman The Night of the Ripper (1984; dt. Der Ripper (1987)) und in der Star-Trek-Episode “Wolf in the Fold”.
Bei einem Autor, der schon im ersten Jahrzehnt seiner Karriere mehr als 100 Kurzgeschichten geschrieben hat, ist es nur folgerichtig, dass seine erste Buchveröffentlichung dann auch ein Sammelband – der erste von mehr als 30 (!) – war: The Opener of the Way (1945). Blochs erster Roman The Scarf – ein Thriller – erschien 1947, gefolgt von vier weiteren Thrillern in den 50ern … und dann kam Psycho.
The Best of Robert BlochAuch nach dem Erfolg von Psycho schrieb Bloch weiter fleißig Storys – immerhin hatte er im gleichen Jahr mit “That Hell-Bound Train” (The Magazine of Fantasy & SF, September 1958) seinen ersten (und – sieht man von einem gesondert vergebenen Special Award für 50 Jahre als Profi im Jahre 1984 ab – auch einzigen) HUGO Award gewonnen – sowie gelegentlich den einen oder anderen Roman, verfasste etliche Drehbücher für Filme und TV-Produktionen und sah einen steten Strom seiner Kurzgeschichtensammlungen auf den Markt kommen, in denen zumeist altes und neues Material gemischt zu finden war.
Robert Bloch war ein ungemein vielseitiger und fleißiger Autor, der im Rahmen seiner langen, 60 Jahre währenden Karriere vor allem als Kurzgeschichten-Autor brilliert hat; von daher kann dieser Beitrag seinem Oeuvre noch nicht einmal ansatzweise gerecht werden. Seine Beiträge zum Cthulhu-Mythos – die von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu denen man auch den erst spät entstandenen Roman Strange Eons (1978; dt. Cthulhus Rückkehr (2000)) zählen könnte, nicht zu den Glanzlichtern seines Schaffens gehören – sind in dem Band Mysteries of the Worm (1981, rev. u. erg. 1993) gesammelt. Viele, wenn auch längst nicht alle seine Storys – darunter auch die bereits im Text genannten – sind auch auf Deutsch erschienen, zum Teil in übersetzten Sammelbänden (z.B. The Living Demons (1967) als Boten des Grauens (1970), The Best of Robert Bloch (1977) gekürzt als Die besten SF-Stories von Robert Bloch (1980) oder Bloch and Bradbury (1969) als Der Besucher aus dem Dunkel (1972)°), zum Teil als Originalzusammenstellung wie etwa 15 Grusel-Stories (1964) oder Die Göttin der Weisheit und andere Stories (1967), zum Teil in Anthologien.
Neben Geschichten, die man mangels einer passenderen Bezeichung als mal phantastischen, mal psychologischen Horror bezeichnen mag, hat Bloch auch etliche SF-Stories (und den SF-Roman Sneak Preview (1971; dt. Das Regime der Psychos (1974)) geschrieben, sich an humoristischen Geschichten im Stile eines Damon Runyon oder Thorne Smith versucht, von denen drei in dem Band Dragons and Nightmares (1969; dt. Die Pension der verlorenen Seelen (1973)) enthalten sind – und er hat (was angesichts der o.e. Kontroverse auf den Seiten von Weird Tales überraschen mag°°) mit “The Dark Isle” (WT, May 1939) eine Story verfasst, die man ohne wenn und aber der Sword & Sorcery zurechnen kann. Ihre Hauptfigur ist Vincius the Reaper, ein römischer Legionär und Veteran, der zu einer römischen Truppe gehört, die die Druiden von Mona auslöschen soll, wogegen sich Letztere verständlicherweise mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln – und das sind einige – zur Wehr setzen. Die Story ist durchaus atmosphärisch und spannend, nimmt sich allerdings hinsichtlich des historischen Hintergrunds einige Freiheiten (um es wohlwollend auszudrücken). Nichtsdestotrotz beweist Bloch mit “The Dark Isle”, dass er auch Sword & Sorcery schreiben konnte – bzw. hätte schreiben können, wenn er denn mehr in dieser Richtung hätte machen wollen –, die sich vor den Versuchen vieler anderer Autoren keineswegs verstecken muss.
Außer den bereits erwähnten HUGO Awards hat Robert Bloch auch einen World Fantasy Award für sein Lebenswerk erhalten und mehrfach den Stoker Award gewonnen; seine letzten Jahre waren von seiner Krebserkrankung überschattet, doch er hat unverdrossen bis kurz vor seinem Tod am 23. September 1994 weitergeschrieben – wenn auch nicht mehr in dem Tempo wie zum Anfang seiner Karriere.

* – lustigerweise ist bei den aus tausenderlei Gründen im Sommer unter den Tisch gefallenen Autoren auch einer dabei, bei dem der Film, der nach seinem Roman gedreht wurde, bei weitem bekannter ist als das Buch.
** – in Once Around the Bloch: An Unauthorized Autobiography (1992), s. 72. Die ganze Geschichte ist ein bisschen komplexer als da oben beschrieben; wer an einer detaillierten Darstellung interessiert ist, wird hier fündig (und wirklich umfassend informiert).
*** – die deutschen Titel der im Text genannten Storys werden (falls vorhanden) bei Bedarf in einem Kommentar nachgereicht; sie in den Fließtext zu integrieren, würde das Lesen denn doch ein bisschen zu mühevoll machen.
° – dieser Band, der Geschichten von Robert Bloch und Ray Bradbury enthält, war nebenbei bemerkt meine erste Begegnung mit dem Story-Autor Robert Bloch, die mich damals schwer beeindruckt hat
°° – nun gut, gar so überraschend ist das dann auch wieder nicht, denn Bloch hatte keineswegs Howard als Autor kritisiert, sondern vor allem die Figur Conan; von Howards Solomon-Kane-Storys oder z.B. “The Valley of the Worm” war er hingegen begeistert.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Frans G. Bengtsson, dessen Geburtstag sich heute zum 125. Mal jährt. Der am 04. Oktober 1894 in Tossjö in der damaligen südschwedischen Provinz Schonen geborene Frans Gunnar Bengtsson begann seine literarische Karriere in den 1920er Jahren, als er noch während seiner Studienzeit die Gedichtsammlungen Tärningkast (1923) und Legenden om Babel (1925) veröffentlichte, gefolgt von Litteratörer och militärer (1929; dt. Waffengänge (1942)), einem Band mit Essays über François Villon, Walter Scott, Joseph Conrad und Stonewall Jackson.* Nachdem Bengtsson 1930 in Philosophie promoviert hatte, verfasste er weitere Essaysammlungen und eine zweibändige Biographie Karls des XII. – Karl XII:s levnad (1935-36; dt. Karl XII. (1939)) – ehe er schließlich den Roman schrieb, der ihn über sein Heimatland hinaus bekannt machte (und der auch der Grund ist, warum er heute hier erwähnt wird) und der anfangs in zwei Bänden als Röde Orm: Sjöfarare i västerled (1941) und Röde Orm: Hemma och i österled (1945) veröffentlicht wurde.
Die Abenteuer des Röde Orm – so der Titel der 1951 erstmals vollständig erschienenen deutschen Ausgabe, die seither immer wieder neu aufgelegt wurde und zumindest ab Mitte der 70er Jahre durchgängig (!) lieferbar war und ist – schildert die Abenteuer von Orm Tosttesson, dem Sohn eines reichen schonischen Bauern, der alles andere als freiwillig an einem Raubzug des Wikingerhäuptlings Krok teilnehmen muss. Anfangs hat es der noch sehr junge Orm mit seiner Neigung zur Hypochondrie bei den rauen Gesellen nicht leicht, doch das legt sich rasch, und Orm – der wegen seines roten Barts alsbald Röde Orm genannt wird – findet in Toke nicht nur einen guten Freund, sondern auch Gefallen an seinem neuen Leben. Denn dieses Leben hält jede Menge Abenteuer für ihn bereit, führt ihn u.a. ins Kalifat von Cordoba, an den Hof des Dänenkönigs Harald Blauzahn, nach England (wo er an der Schlacht von Maldon teilnimmt) und schließlich bis ins Gebiet des heutigen Russland. Und zwischendurch wechselt er mehrfach den Glauben, heiratet, zeugt Kinder, baut eine Kirche und tut, was ein Wikinger halt so tut …
Die Abenteuer des Röde OrmDie Abenteuer des Röde Orm ist ein höchst ungewöhnlicher Roman (Bengtsson selbst nennt den Röde Orm nicht Roman, sondern “Berättelse”, was Erzählung oder Bericht bedeutet), der stilistisch an die Isländischen Heldensagas angelehnt ist und sich in der Darstellung der Figuren auf ihre Handlungen und das, was sie sagen, beschränkt, aber keine Innensichten liefert. Dessen ungeachtet gelingt es ihm überraschend gut, die Wert- und Weltvorstellungen dieser Figuren zu vermitteln, was den Roman sehr authentisch wirken lässt (auch und vor allem weil viele der besagten Wert- und Weltvorstellungen mit heutigen Sensibilitäten betrachtet mehr als nur ein wenig befremdlich wirken). Unterm Strich bleibt ein Roman, der – wenn man sich auf seine ungewöhnliche Erzählweise einlässt – ein in dieser Form selten gewordenes Leseerlebnis bietet und einen ganz eigenen Lesesog entwickelt.
Die Abenteuer des Röde Orm wurde unter dem Titel The Long Ships auch ins Englische übersetzt, und Motive daraus finden sich in dem gleichnamigen Film (der bei uns 1964 als Der Raubzug der Wikinger in die Kinos kam). Viel wichtiger ist allerdings, dass er dem Autor Runer Jonsson als Inspiration für sein Kinderbuch Vicke Viking (1963) diente, das in Deutschland als Wickie und die starken Männer (1964) auf den Markt kam und auf das nicht nur mehrere Fortsetzungen folgten, sondern das (mitsamt der Fortsetzungen) im Auftrag des ZDF unter dem gleichen Titel als 78-teilige Zeichentrickserie adaptiert wurde – und die dürfte aufgrund der häufigen Wiederholungen auch vielen jüngeren Lesern und Leserinnen ein Begriff sein.
Frans G. Bengtsson hat nach dem Röde Orm noch weitere Essays und kleinere Werke verfasst, und am 19. Dezember 1954 ist er im Alter von 60 Jahren verstorben.

* – ob der Band noch weitere Essays beinhaltet, lässt sich ohne ein entsprechendes Exemplar leider nicht sagen

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Wie aufmerksame Leser und Leserinnen bemerken werden, stecken wir noch ein bisschen in einer Zeitblase fest – doch davon wollen wir es uns nicht nehmen lassen, auf interessante und uns auf die eine oder andere Art wichtige Persönlichkeiten des Genres und seiner Randgebiete mit einem kleinen Artikel hinzuweisen. Deshalb gratuliert Bibliotheka Phantastika auch etwas verspätet Stan Sakai, der kürzlich seinen 65. Geburtstag feiern konnte.
Usagi Yojimbo Saga 6Der am 25.05.1953 in Kyoto, Japan, geborene Stan Masahiko Sakai ist ein Ausnahme-Comic-Künstler, der sich seit fast 35 Jahren und beinahe nonstop seiner “creator-owned” (also völlig der Kontrolle des Urhebers unterliegenden) Comic-Reihe widmet: Usagi Yojimbo, der Saga um die Abenteuer des Ronin Miyamoto Usagi, der seinem historischen Vorbild Miyamoto Musashi zwar in vielerlei Hinsicht gleicht, aber als Hase in einem fast ausschließlich von anthropomorphisierten Tieren bewohnten Japan auch ungleich längere Ohren hat (die er meist im Samurai-Haarknoten trägt).

Usagi war aber nicht Sakais erster Hase auf Abenteuern – vorher gab es noch The Adventures of Nilson Groundthumper and Hermy mit zwei Langohren, die im europäischen Mittelalter unterwegs waren und erstmals 1984 in Albedo Anthropomorphics #1 erschienen.
Aber schon 1984 debütierte auch Usagi Yojimbo in einer Nilson Groundthumper and Hermy-Story, machte sich aber bald selbständig und wurde zu Sakais Lebenswerk. Der erste Sammelband The Ronin erschien 1987, und es sollten noch viele weitere folgen, denn bis heute ist Usagi auf sage und schreibe 165 Hefte und etliche Zusatzgeschichten angewachsen, darunter Space Usagi (1998), das einen fernen Nachfahren von Usagi in einem intergalaktischen Reich in den Mittelpunkt stellt.
Dass es dabei nicht langweilig wird, liegt zum Teil sicher an der detaillierten Recherche von Stan Sakai, der die Kulturgeschichte, Mythen und Popkultur Japans in seine Comics einfließen lässt, verschiedenste Blickwinkel einnimmt und mal episch große und mal alltäglich kleine Geschichten erzählt, die Usagi auf seiner “warrior pilgrimage” erlebt.
Usagi Yojimbo 3Während viele Abenteuer eher Kurzgeschichten-Charakter haben und in sich geschlossen sind, ergibt sich im Laufe der Zeit doch ein Mosaik aus wiederkehrenden Figuren und großen Entwicklungen: Die augenzwinkernde Freundschaft zwischen Usagi und dem Kopfgeldjäger Gen, die meist damit endet, dass einer dem anderen die Belohnung wegschnappt, die Verbindung zur Samurai-Kriegerin Tomoe, die trotz aller Zuneigung zu Usagi einen anderen Weg einschlägt als er, und die Erzfeindschaft mit dem Dämon Jei, der den Hasen immer wieder heimsucht. Ob Freunde oder Gegner, es sind meist vielschichtige und alles andere als schwarz-weiß gezeichnete Figuren, die Geschichten wie die epische Suche nach dem legendären Schwert Grascutter oder die kriminalistischen Ermittlungen mit Inspector Ishida bevölkern – und man kann sich darauf verlassen, dass sich irgendwo im Bild auch immer ein paar Tokage (Echsen) tummeln, die die Fauna von Usagis Japan stellen.

Da Usagi bei verschiedenen Verlagen erschienen ist, gibt es auch eine verwirrende Vielzahl von Sammelbänden und Sonderausgaben. Die hier rezensierte Sammelausgabe der ersten sechs Bände soll bald neu aufgelegt werden, ansonsten sollte die derzeit beste Ausgabe die Usagi Yojimbo Saga sein, in der je drei Bände im größeren Format zusammengefasst sind. Und nicht zuletzt gibt es nach einer jahrelang etwas zerfahrenen deutschen Ausgabe auch endlich eine Übersetzung der Sammelbände in der Reihenfolge des Originals, beginnend mit Der Ronin (2017).

Space UsagiStan Sakai, der lange auf Hawaii lebte und inzwischen in Kalifornien residiert, ist aber nicht nur seinem Hasen treu ergeben, sondern auch seit Jahren Letterer bei Sergio Aragonez’ Groo the Wanderer (auf Deutsch als Groo erschienen). Außerdem zeichnete er für Stupid, Stupid Rat Tails (2000), dem Prequel zu Jeff Smiths Bone, und die Comic-Adaption der legendären 47 Ronin (2013), die im feudalen Japan diesmal auch tatsächlich Menschen zeigt und nichts mit Usagis tierischem Japan zu tun hat.

Wir hoffen, dass es noch viele weitere Usagi-Geschichten geben wird, und verlinken zur Feier des Tages ein Lieblingsbild von Stan Sakais Instagram-Account.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Irene Fleiss, die am vergangenen Mittwoch 60 Jahre alt geworden wäre. Mit diesem Namen können vermutlich nur diejenigen etwas anfangen, die entweder schon sehr lange Fantasy lesen (auch solche, die nicht in den entsprechenden Reihen der großen Publikumsverlage erschienen ist) oder sich für Genderthemen und Matriachats-Forschung interessieren, denn Letzteres war das Hauptbetätigungsfeld der am 16. Mai 1958 wahrscheinlich in Österreich* geborenen Irene Fleiss, und man kann davon ausgehen, dass das zweibändige Sachbuch Als alle Menschen Schwestern waren (2006/2007), in dem sie ihr ganzes Wissen über dieses Gebiet zusammengefasst hat und das in der feministischen Szene sehr positiv aufgenommen wurde, nicht zuletzt für sie selbst ihr wichtigstes und bedeutendstes Werk war.
Doch der Grund für diesen Beitrag ist natürlich nicht besagtes Sachbuch und es sind auch nicht die Romane und Kurzgeschichtensammlungen, die sie Anfang der 00er Jahre als books on demand veröffentlicht hat, sondern ein “richtiger” Fantasyroman, den sie bereits viel früher geschrieben hat und der 1984 unter dem Titel Die Leibwächterin und der Magier abseits der bekannten Genrereihen im Medea Frauenverlag erschienen ist. Es scheint, als hätten damals einige Frauenverlage die SF und Fantasy für sich entdeckt, und so brachte vor allem der Medea Frauenverlag innerhalb einer relativ kurzen Zeit mehrere Romane und Kurzgeschichtenbände von feministischen Autorinnen (darunter international bekannten wie Joanna Russ, aber auch deutschsprachigen**) auf den Markt, die das Genre teilweise um sehr interessante Facetten bereicherten.***
Irene Fleiss: Die Leibwächterin und der MagierUnd einer dieser Romane war eben Die Leibwächterin und der Magier, der die Geschichte der Leibwächterin Aleme erzählt, die den Magier Calar auf einer Reise vom tiefsten Süden des Kontinents bis hoch in den Norden beschützen soll. Das erweist sich allerdings als schwieriger als gedacht, denn die beiden Reisenden werden unterwegs mehrfach überfallen und angegriffen – anscheinend hat sich der eher naiv wirkende Calar mächtige Feinde gemacht. Immerhin wird Aleme für ihren Auftrag gut bezahlt, und auf der ereignisreichen Reise lernen sich die beiden so unterschiedlichen Protagonisten immer besser kennen, entwickeln Vertrauen zueinander … und schließlich auch noch andere Gefühle …
Was an der Geschichte, die Aleme als Ich-Erzählerin erzählt, als Erstes auffällt, ist der – auch und gerade in Anbetracht des Umfelds, in dem der Roman erschienen ist° – ungewöhnlich versöhnliche Grundton, der sie durchzieht. Sowohl Aleme als auch Calar sind sympathische Figuren, die sich ebenso glaubwürdig entwickeln wie die Beziehung zwischen den beiden. Und in einer Hinsicht hat Aleme – die man durchaus als Vorläuferin vieler tougher Frauenfiguren betrachten kann, die heutzutage vor allem die YA-Fantasy bevölkern – ihren Nachfolgerinnen etwas voraus, denn sie bleibt die starke Frau, die sie vorher war, und entwickelt sich nicht schlagartig zum hilflosen Mädchen zurück, das beschützt und behütet werden muss, nur weil sie ihre große Liebe gefunden hat.
Wobei es sich bei Die Leibwächterin und der Magier keineswegs um einen Liebesroman handelt; denn auch wenn die obigen Zeilen vielleicht diesen Eindruck erwecken, ist es in erster Linie ein abenteuerlicher Fantasyroman. Das Worldbuilding ist zwar nicht allzu “tief” (was bei etwas über 200 Seiten Umfang nicht verwunderlich ist), wartet aber mit originellen Ideen wie z.B. den Schienenseglern auf, und die gelegentlich eingebauten Bezüge auf unsere Welt nähren die Vermutung, dass wir es hier mit postapokalyptischer Fantasy zu tun haben, deren Figuren interessanter und glaubwürdiger sind als die vieler anderer Werke. Ich weiß nicht, wie der Roman damals in feministischen Kreisen aufgenommen wurde, aber an der eigentlichen Fantasyleserschaft dürfte er ziemlich vorbeigegangen sein. Und letztlich ist er wohl nur eine marginale Fußnote in der Geschichte der Fantasy in Deutschland – aber eine trotz gerechtfertigter Kritik an mangelnden Hintergründen und einer vielleicht etwas zu simplen Auflösung überaus sympathische.
Außer diesem Roman hat Irene Fleiss in den 80er Jahren anscheinend noch einige Erzählungen und Kurzgeschichten geschrieben – eine davon ist in der von Karin Ivancics herausgegebenen Anthologie Der Riß im Himmel (1989) erschienen°° –, aber erst in den 00er-Jahren hat es wieder eigenständige Veröffentlichungen von ihr gegeben, die – wie eingangs erwähnt – alle als book on demand erschienen sind: Grenzenlos. Kurzgeschichten aus dem Patriarchat (2002), Der erpresste Mann (2002; nicht phantastisch), Tod eines guten Deutschen (2003) und Erinnerte Geschichten. Phantastische Erzählungen (2005). Kurz darauf folgte das o.e. Sachbuch – und am 04. April 2008 ist sie im Alter von 49 Jahren gestorben, gerade einmal zwei Wochen, nachdem bei ihr Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert worden war.

* – abgesehen von Fleiss’ Geburts- und Todestag sind kaum biografische Daten zu finden
** – wobei pikanterweise eine der deutschsprachigen “Autorinnen” gar keine war – aber das wusste zum damaligen Zeitpunkt vermutlich noch niemand
*** – dieser nicht allzu langlebige Trend wäre theoretisch durchaus mal einen eigenen Beitrag wert, bei dem allerdings viel Spekulation dabei wäre, denn außer den Veröffentlichungsdaten der Bücher gibt es wenig, an dem man sich festhalten kann; we’ll see …
° – in den meisten anderen Werken, die damals bei Medea und ähnlichen Verlagen erschienen sind, kommen Männer entweder überhaupt nicht vor, oder sie sind eher Monstren bzw. “Manntiere” als Menschen
°° – was Irene Fleiss’ nicht eigenständige Veröffentlichungen angeht, sind bibliografische Daten kaum bzw. nicht vorhanden

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Vera Chapman, deren Geburtstag sich vor zehn Tagen zum 120. Mal gejährt hat.* Die am 08. Mai 1898 als Vera Ivy May Fogerty in Christchurch in der Nähe von Bournemouth an der englischen Südküste geborene Chapman verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Südafrika und war nach ihrer Rückkehr nach England eine der ersten Frauen, die sich am Lady-Margaret-Hall-College – dem erst wenige Jahre zuvor gegründeten ersten reinen Frauen-College der University of Oxford – immatrikulierte. Nach dem Abschluss ihres Studiums heiratete sie 1924 den Vikar Charles Sydney Chapman, dem sie den Nachnamen verdankt, unter dem sie mehr als 50 Jahre später als Autorin bekannt werden sollte. Diese Ehe tat allerdings ihrem lebenslangen Interesse für das Heidentum bzw. den Paganismus keinen Abbruch, und sie war viele Jahre lang Mitglied des ADO (Ancient Druid Order), des ältesten druidischen Ordens im Vereinigten Königreich.
Viel interessanter als all diese Details aus ihrem Leben ist aber wahrscheinlich die Tatsache, dass Vera Chapman 1969 die britische Tolkien Society gegründet hat – nicht zuletzt, weil sie befürchtet hat, dass der Kult, der vor allem um The Lord of the Rings entstanden war, eine mehr wissenschaftlich orientierte Auseinandersetzung mit den Werken Tolkiens verhindern könnte und sie dem durch die Gründung der Tolkien Society entgegenwirken wollte.
Vera Chapman: The Three DamoselsDer Erfolg von The Lord of the Rings und der daraus (nicht nur, aber vor allem) resultierende Fantasy-Boom hatten allerdings noch einen ganz anderen Effekt, denn durch das gestiegene Interesse an Fantasy bzw. die Etablierung der Fantasy als eigenständiges Genre ergab sich für Vera Chapman plötzlich die Möglichkeit, die Literatur zu schreiben, die sie schon immer hatte schreiben wollen, und so veröffentlichte sie im Alter von 77 Jahren (!) ihren ersten Roman The Green Knight (1975), auf den mit The King’s Damosel (1975) und King Arthur’s Daughter (1976) rasch zwei weitere folgten; alle drei zusammen bilden die Trilogie The Three Damosels (auch als Sammelband, 1978).
Im Mittelpunkt der drei zum Artus-Mythos zu zählenden bzw. in dessen Umfeld angesiedelten Romane stehen Frauen, doch bei ihnen handelt es nicht etwa um die “üblichen Verdächtigen” wie Guinevre oder Morgan Le Fay (auch wenn Letztere vor allem in The Green Knight eine wichtige Rolle spielt), die man aus anderen Versionen der Sage kennt, sondern um solche, die bislang am Rande des Geschehens angesiedelt waren oder von Chapman erfunden wurden: Im ersten Band – einer sehr freien “Nachdichtung” der Ritterromanze Sir Gawain and the Green Knight aus dem späten 14. Jahrhundert – muss sich Vivian, die Nichte Morgan Le Fays, mit den Ränken ihrer Tante herumschlagen, im zweiten wird die junge Lynette erst zu Artus’ Botin und begibt sich dann auf die Suche nach dem Heiligen Gral, und im dritten versucht Artus’ Tochter Ursulet das Reich und die Ideale ihres Vaters zu bewahren.
Die Fokussierung auf weibliche Hauptfiguren und die Art und Weise, wie Vera Chapman diese Figuren agieren lässt (oder auch, welche Hintergrundgeschichte sie ihnen mitgibt), machen The Three Damosels zum ersten aus einem feministischen Blickwinkel geschriebenen Bestandteil des Artus-Mythos – und das immerhin acht bzw. sieben Jahre bevor Marion Zimmer Bradley mit The Mists of Avalon (aka Die Nebel von Avalon) zu Weltruhm gelangte.** Dies und die Tatsache, dass das sehr magische, von allerlei phantastischen Kreaturen bevölkerte Britannien dieser Trilogie einen starken Kontrast zu vielen neueren, zumeist um “Realismus” (was auch immer das in diesem Zusammenhang heißen mag) bemühten Versionen des Mythos bildet, machen die drei vergleichsweise schmalen Bändchen für alle, die sich für den Sagenkreis um König Artus interessieren, immer noch lesenswert.
Vera Chapman: Die Rückkehr des LichtsThe Three Damosels ist auch auf Deutsch erschienen, und das sogar in zwei unterschiedlichen Übersetzungen: zuerst als Die drei Demoiselles (Einzeltitel: Der grüne Ritter, Die Rückkehr des Lichts, König Artus’ Tocher (alle 1984) in Heynes auf märchenhafte bzw. YA-Fantasy ausgerichteter Subreihe Phantasia, und neu übersetzt als Die Braut des grünen Ritters, Des Königs dunkle Botin und König Artus’ Tochter (alle 2001) bei dtv in der Allgemeinen Reihe.
Vera Chapmans sonstige Werke – zu denen u.a. Blaedud the Birdman (1978; eine in die keltische Sagenwelt verlegte Adaption bzw. Variation des Ikarus-Mythos), Miranty and the Alchemist (1983; ein Kinderbuch) und The Notorious Abbess (1993; eine Sammlung von Kurzgeschichten um die zur Zeit der Kreuzzüge agierende, in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Äbtissin Hodierna) zählen – wurden bislang nicht ins Deutsche übertragen. Eine Ausnahme bildet die ursprünglich in der Anthologie Fantastic Imagination II (1978) enthaltene und u.a. in der Asimov/Greenberg/Waugh-Anthologie Cosmic Knights (1984) nachgedruckte Story “Crusader Damosel”, die unter dem Titel “Die Kreuzrittermaid” in Märchenwelt der Fantasy (1987), einem “Zusammenschnitt” aus zwei Asimov/Greenberg/Waugh-Anthologien, enthalten ist.
Vera Chapman war bis ins hohe Alter schriftstellerisch aktiv, so dass ihr letzter, wiederum im Artus-Sagenkreis angesiedelter Roman The Enchantresses erst 1998 und somit zwei Jahre nach ihrem Tod am 14. Mai 1996 erschienen ist.

* – all denen, die sich jetzt Sorgen machen, weil wir schon wieder mit verspäteten Beiträgen anfangen, sei gesagt, dass die Verspätung dieses Mal Absicht ist (nun gut – sie ist etwas größer geworden als geplant 😉 ); da sich die für uns relevanten bzw. interessanten Jubiläen fast alle in der ersten Monatshälfte ballen, haben wir beschlossen, das Ganze ein bisschen zu entzerren – und dass die betreffenden Autorinnen und Autoren auch alle schon seit mehreren oder gar vielen Jahren verstorben sind, hat die Entscheidung noch einmal deutlich leichter gemacht.
** – über Marion Zimmer Bradley ließe sich – auch und vor allem im Licht der Erkenntnisse der letzten Jahre – viel sagen, doch das gehört nicht hierher und soll dem Beitrag vorbehalten bleiben, der (vielleicht) zu MZBs nächstem rundem Geburtstag erscheinen wird.

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Bibliotheka Phantastika erinnert an Thomas Ziegler, der vor knapp zwei Wochen 60 Jahre alt geworden wäre. Wobei Thomas Ziegler eigentlich nur das Pseudonym des am 18. Dezember 1956 in einem kleinen Dorf unweit der Stadt Uelzen im nordöstlichen Niedersachsen geborenen SF-Autors und -Übersetzers Rainer Friedhelm Zubeil war, unter dem seine wichtigsten Werke (und auch der weitaus größte Teil seiner Übersetzungen) erschienen sind. Ziegler debütierte 1976 mit der SF-Story “Unter Tage” in der Anthologie Zukunftsgeschichten? und war von da an mehr oder weniger regelmäßig in den Anthologien vertreten, die Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre noch vergleichsweise häufig in den SF-Reihen der großen Taschenbuchverlage zu finden waren. Mit seinen zumeist gesellschaftskritisch und/oder satirisch angehauchten sowie stilistisch und atmosphärisch beeindruckenden Stories erschrieb sich Ziegler binnen kürzester Zeit den Ruf, das größte SF-Talent seiner Generation zu sein. Interessanterweise war sein erster Roman jedoch – schon am Titel erkennbar – in einem anderen Genre angesiedelt: Eisvampire (1977) ist ein in Alaska spielender Horrorroman (und möglicherweise deswegen unter dem von Ronald M. Hahn “ausgeliehenen” Pseudonym Henry Quinn erschienen), in dem nicht nur die titelgebenden Eisvampire (und Zombies) auftauchen, sondern erstaunlicherweise auch die Umweltzerstörung thematisiert wird, die die Jagd nach immer neuen Bodenschätzen mit sich bringt.
So betrachtet ist es fast schon naheliegend, dass Thomas Ziegler – dieses Mal als Robert Quint – zwei Jahre später zum Hauptautor der “grünen” SF-Serie Die Terranauten wurde, für die er insgesamt 31 Heftromane (1979-81) und drei Taschenbücher (1982-84) verfasste, die wiederum die Macher der Konkurrenz anscheinend so beeindruckten, dass er anschließend (mehr oder weniger überraschend) wie so manch anderer hoffnungsvoller junger deutscher SF-Autor bei Perry Rhodan landete. Zur unendlichen Saga um den “Erben des Universums” steuerte er 13 Heftromane (1983-85) und drei Taschenbücher (1982-85) bei und war – nach dem Tod von William Voltz – zeitweilig zusammen mit Ernst Vlcek auch für die Exposés verantwortlich.
Am See der Finsternis von Thomas ZieglerWährend Ziegler als Serien-Autor für Die Terranauten und Perry Rhodan tätig war, hat er die ganze Zeit parallel dazu Autor/innen wie Philip K. Dick, Michael Moorcock, Joanna Russ oder Cordwainer Smith übersetzt und dann und wann serienunabhängige, anspruchsvollere Romane und Erzählungen wie Zeit der Stasis (1979, mit Uwe Anton), Alles ist gut (1983), “Die Stimmen der Nacht” (in Michael Görden (Hrsg.): Phantastische Literatur 83 (1983; gleichnamige Romanversion 1984, rev. als Stimmen der Nacht (1993)) und Erdstadt (1985, wiederum mit Uwe Anton) geschrieben. Und er hat einen Abstecher in die Fantasy gemacht – was der eigentliche Grund ist, warum er heute hier auftaucht.
In Sardor (1984), dem ersten von ursprünglich sechs geplanten Bänden, gerät der deutsche Jagdflieger Dietrich von Warnstein mit seinem Doppeldecker in einen Gewittersturm – und wird auf unbekannte Weise in eine Welt versetzt, auf der im Kirschlicht einer roten Riesensonne eine Schlacht zwischen Menschen und entsetzlichen, alptraumhaften Kreaturen, tobt. Als guter Christenmensch greift von Warnstein auf Seiten der Menschen in das Geschehen ein und hilft, die Schlacht zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Menschen dieser Welt – bei der es sich vermutlich um die Erde viele Millionen Jahre in der Zukunft handelt – halten den deutschen Jagdflieger für ihren von den Toten auferstandenen Gott Sardor, und für sie ist er die letzte Hoffnung in ihrem aussichtslosen Kampf gegen all jene kosmischen Mächte, die sich auf dem Rücken der Menschheit bekriegen … Weitaus interessanter als die Handlung an sich ist die Welt, der Ziegler in der Erzählung “Kirschlicht und Glaspol” (in Jörg Weigand (Hrsg.): Vergiss nicht den Wind (1983)) einen ersten Besuch abgestattet hat und die er in Sardor und dem Folgeband Am See der Finsternis (1985) weiter ausmalt; eine Welt, die ein bisschen – aber nur ein bisschen – wie eine in grelle Farben getauchte Variation der vor- oder endzeitlichen Welten eines Clark Ashton Smith wirkt und auf der sich Monstrositäten wie die Eisenmänner, Gehörnte und Nachtmahre tummeln und die Wiederkehr der Schmerzarchen erwartet wird. Und die Thomas Ziegler mittels einer Sprache zum Leben erweckt, die einerseits Dietrich von Warnstein, diesem bornierten preussischen, seinem Kaiser treu ergebenen Offizier, auf den Leib geschrieben ist, aber mit ihrem Pathos und ihrer überbordenden Bildhaftigkeit der Grenze zur Parodie gefährlich nahekommt bzw. sie auch gelegentlich überschreitet.
Nach zwei Bänden war die Geschichte Sardors dann allerdings schon wieder vorbei; ein dritter Band – Bote des Gehörnten – war zwar noch angekündigt, ist aber nicht mehr erschienen. Ob Ziegler damals selbst die Lust verloren hat, oder ob der Verlag im Nachfolgeprojekt Flaming Bess: Rebellin der Galaxis (einer neun Bände umfassenden Space Opera, 1986/87) mehr Potential gesehen hat, ist heute nicht mehr herauszubekommen. Flaming Bess, die sich auf die Suche nach der Erde, der Urheimat der Menschen, begibt, war dann mehr oder weniger Thomas Zieglers Schwanengesang als SF- Autor (als Übersetzer ist er dem Genre auch weiterhin treu geblieben). Denn ab 1988 hat er fast nur noch Krimis geschrieben, in denen das Lokalkolorit mindestens so wichtig war wie die eigentliche Krimihandlung, und außerdem für das Fernsehen gearbeitet.
Anfang der 90er kehrte er sporadisch zur SF zurück, verfasste die mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Erzählung “Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten” (in der von Uwe Anton herausgegebenen Anthologie Willkommen in der Wirklichkeit: Die Alpträume des Philip K. Dick (1990)) und legte mit Stimmen der Nacht (1993) eine erneut überarbeitete, zweite Romanversion der (fast) gleichnamigen Erzählung vor (die auch den Kurd-Laßwitz-Preis gewann).
So richtig ins Genre zurückgekehrt ist er erst 2004, und was mit zwei Heftromanen für Perry Rhodan und einem Taschenbuch für die PR-Miniserie Lemuria (Die letzten Tage Lemurias (2005)) begonnen hat, sollte eigentlich nur der Auftakt einer weitergehenden Mitarbeit an Perry Rhodan sein (an die sich vielleicht dann auch wieder serienunbhängige Stoffe angeschlossen hätten), doch nur wenige Tage nach der Abgabe des Manuskripts für das o.g. Taschenbuch ist Thomas Ziegler überraschend am 11. September 2004 im Alter von 47 Jahren an Herzversagen gestorben.
Daher konnte er auch nicht mehr miterleben, dass Sardor nach knapp dreißig Jahren doch noch “komplett” erschienen ist – zumindest als “Trilogie”. Auf die beiden behutsam überarbeiteten ersten Bände Der Flieger des Kaisers und Am See der Finsternis folgte endlich der so lange nur als Titel existierende Band Der Bote des Gehörnten (alle 2013), den Markolf Hoffmann nach Aufzeichnungen von Ziegler – der die ersten Kapitel bereits geschrieben hatte – beendet hat. Ob man das Ende dieses Bandes als befriedigend empfindet oder nicht, muss jeder Leser / jede Leserin für sich entscheiden (wobei sich natürlich die Frage stellt, inwieweit dieses Ende dem entspricht, was Thomas Ziegler einst geplant hat, als er die Serie auf sechs Bände – sprich: doppelt so umfangreich wie das, was jetzt vorliegt – konzipiert hat).
Sardor von Thomas ZieglerThomas Ziegler war fraglos einer der talentiertesten deutschen SF-Autoren, der mehrfach für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert wurde und ihn insgesamt vier Mal gewonnen hat; eine der ausgezeichneten Erählungen wurde ebenso wie der Roman Stimmen der Nacht bereits genannt – darüber hinaus wurden auch die Erzählungen “Die sensitiven Jahre” und “Die Stimmen der Nacht” 1981 bzw. 1984 prämiert. Seine gesellschaftskritischen Romane von Zeit der Stasis über Alles ist gut bis hin zu Erdstadt sind auch heute noch ebenso lesenswert (und teilweise erschreckend aktuell) wie seine größtenteils in den Bänden Unter Tage (1982), Nur keine Angst vor der Zukunft (1985), Lichtjahreweit (1986) und Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten (1997) gesammelten Erzählungen, und etliche seiner Beiträge zu den Heftserien Die Terranauten und Perry Rhodan gehören mit zum Besten, was in Deutschland an SF im Heftformat erschienen ist.
Sardor ist sicher nicht nur wegen des für Ziegler untypischen Genres sein ungewöhnlichstes Werk, mit dem so mancher Leser und so manche Leserin möglicherweise nichts anfangen kann. Andererseits ist es erstaunlich und nicht wenig faszinierend, dass es in den 80er Jahren in Deutschland möglich war, so etwas wie Sardor zu schreiben und in der Taschenbuchreihe eines Publikumsverlags zu veröffentlichen, während man heutzutage froh sein muss, dass engagierte Kleinverlage wie Golkonda derartige Werke dem Vergessen entreißen.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich C.S.E. Cooney, deren 35. Geburtstag fast schon wieder zwei Wochen zurückliegt. Die am 12. Dezember 1981 in Phoenix, Arizona, geborene Claire Suzanne Elizabeth Cooney zählt zu den vielen jungen SF- und Fantasy-Autorinnen, die seit der Jahrtausendwende die englischsprachige Phantastikszene betreten haben – und sie ist ein echtes Multitalent. Denn sie schreibt nicht nur längere und kürzere Erzählungen, sondern auch Gedichte (die sie gelegentlich mit den Banjo Apocalypse Crinoline Troubadours auf der Bühne performt), komponiert und singt und ist als Hörbuchsprecherin aktiv.
Ihre erste professionelle Veröffentlichung war die Story “Stone Shoes” in der Sommerausgabe von Subterranean Online (2007), auf die inzwischen knapp zwei Dutzend weitere Geschichten in Kleinverlagsanthologien oder Online-Magazinen wie Strange Horizons und Apex Magazine folgten. Einige Erzählungen sind auch als Einzelveröffentlichungen – sogenannte chapbooks – erschienen: Den Anfang machte The Big Bah-Ha (2010), in der es um Kinder geht, die in einer post-apokalyptischen Welt ums Überleben kämpfen; die zwölfjährige Beatrice, die gerade eben noch die Anführerin der Barka-Gang war, hat diesen Kampf jetzt hinter sich, denn sie wacht tot in der titelgebenden Nachwelt auf, die sich – trotz der Clowns, die hier herumlaufen – als längst nicht so tröstlich erweist, wie man es ihr immer erzählt hatte – ganz im Gegenteil … Mehr in Richtung eines Märchens (nicht im Sinne der Grimmschen Volksmärchen sondern im Sinne der Fairy Tales) geht Jack o’ the Hills (2011), die aus den Episoden “Stone Shoes” (s.o.) und “Oubliette’s Egg” bestehende Geschichte von Jack Yap (dem seine Mutter einst den Mund zugenäht hat, weil er zu viel gequatscht hat), seinem Bruder Pudding, der Steinschuhe tragen muss, dem Ei eines skinchangers und Prinzessin Oubliette. Bei The Witch in the Almond Tree (2014) und “Witch, Beast, Saint: an Erotic Fairy Tale” (2014, nur online in Strange Horizons) handelt es sich um die ersten beiden Teile einer Reihe erotischer Fairy Tales, die unter dem Obertitel The Witch’s Garden läuft. Und in The Breaker Queen (2014) und The Two Paupers (2015), die beide nur als eBook erschienen sind und zusammen mit einem geplanten dritten Teil einen Zyklus mit dem Titel Dark Breakers bilden, geht es um Elliot Howell, einen jungen begabten Maler, der ins Breaker House eingeladen wird, das in drei Welten gleichzeitig existiert, und um Nyx, die in der einen Welt ein Dienstmädchen und in der anderen eine Königin ist …
Dass viele von Claire Cooneys Geschichten an Märchen erinnern (wobei man nie vergessen sollte, dass Fairy Tales auch durchaus düster und grausam sein können), hat einerseits damit zu tun, dass sie sich stilistisch stark an mündlichen Erzähltraditionen orientiert, andererseits damit, dass sie manchmal auch Märchenstoffe direkt aufgreift und neu interpretiert (man könnte auch sagen, dass sie sie auf den Kopf stellt und kräftig durchschüttelt). Die Themen und Inhalte ihrer Geschichten weisen dabei eine erstaunliche Bandbreite auf; das belegt z.B. der erst vor kurzem in der Kategorie Best Collection mit dem World Fantasy Award ausgezeichnete Sammelband Bone Swans (2015), in dem fünf längere Erzählungen – teils als Erstveröffentlichung, teils als Nachdruck – enthalten sind.
Bone Swans von C.S.E. CooneyBei zwei davon handelt es sich um Neuinterpretationen von Märchen: “The Bone Swans of Amandale” wird von Maurice erzählt, einer Ratte, die sich in einen Menschen verwandeln kann; außerdem spielen eine böse Bürgermeisterin, aus den Knochen von Schwänen hergestellte Flöten, eine Schwanenprinzessin und ein Rattenfänger mit einer magischen Flöte eine wichtige Rolle (die – allerdings um neue Elemente ergänzte und “durchgeschüttelte” – Vorlage dieser für den Nebula Award nominierten Geschichte ist natürlich Der Rattenfänger von Hameln). In “How the Milkmaid Struck a Bargain With the Crooked One” (bereits im November 2013 in GigaNotoSaurus erschienen) kriegt die Milchmagd Gordie in einer Welt, in der das Leben für die einfachen Leute eh schon ziemlich schwierig ist, weil sich Menschen und Feen bekriegen, erst so richtig Probleme, als ihr Vater – ein Trinker – behauptet, sie könne Gold aus Stroh spinnen. Auch wenn diese Geschichte enger an den Ursprungsstoff – na, wie heißt der wohl? – angelehnt ist, schafft Claire Cooney es, ihr ein ebenso überraschendes wie überzeugendes Ende zu verpassen. “Life on the Sun” (EV: Black Gate, Februar 2013) ist zwar die Fortsetzung einer ebenfalls in Black Gate veröffentlichten Geschichte (“Godmother Lizard”, November 2012), die man allerdings nicht kennen muss, um sich in der wüstenartigen Welt mit ihren fliegenden Teppichen und Prophezeiungen zurechtzufinden, in der Kantu gerade eine Schlacht überlebt hat – und in der Opfer eine wichtige Rolle spielen. “Martyr’s Gem” (EV: GigaNotoSaurus, Mai 2013) wiederum ist eine Rachegeschichte, die auf einer Insel spielt, die das letzte Überbleibsel eines einst großen Reiches darstellt. Den Abschluss des Sammelbandes bildet “The Big Bah-Ha”, die bereits erwähnte Erzählung mit den nachweltlichen Clowns (und Spinnen mit Appetit auf Seiltänzerinnen – und dem Flabberghast). Den Geschichten vorangestellt ist eine Einleitung von Claire Cooneys Mentor, bei dem es sich um keinen geringeren als Gene Wolfe handelt, der sinngemäß schreibt, er hätte seiner Schülerin eigentlich gar nichts mehr beibringen können …
Dessen ungeachtet, inwieweit das stimmt, erweist sich Claire Cooney in ihren längeren und kürzeren Geschichten immer wieder als versierte, ungemein stilsichere Erzählerin, die früher oder später über den Status als Geheimtipp hinauskommen wird. Und der Gewinn des World Fantasy Award wird ihr dabei vermutlich mehr helfen als der Gewinn des Rhysling Award für das lange Gedicht “The Sea King’s Second Bride”, das auch in der Gedichtsammlung How to Flirt in Faerieland and Other Wild Rhymes (2012) enthalten ist.
Da ein Großteil von Claire Cooneys Geschichten und Gedichten zuerst online erschienen ist, sind die meisten davon – über die in diesem Beitrag verlinkten Beispiele hinaus – immer noch online. Die entsprechenden Links gibt es auf ihrer Homepage – genauer gesagt hier –, auf der auch einige Videos von ihren Auftritten mit den Banjo Apocalypse Crinoline Troubadours und Trailer zu ein paar Geschichten und ihrem ersten, in Arbeit befindlichen Roman Miscellaneous Stones: Assassins zu finden sind. Nicht – oder nur nach einer längeren Suche – dort zu finden sind die beiden EPs Alecto! Alecto! und Headless Bride, die sie als imaginärer Rockstar namens Brimstone Rhine aufgenommen hat – sie ist eben ein echtes Multitalent –, aber die kann man sich hier ansehen und anhören und herunterladen.

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Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Régis Loisel, der bereits am Sonntag vor einer Woche 65 Jahre alt geworden ist. Im Gegensatz zu so manchem seiner Kollegen – wie etwa Andreas oder Caza – dürfte der am 04. Dezember 1951 in dem Städtchen Saint-Maixent-l’École geborene Régis Loisel seit Mitte der 80er Jahre auch hierzulande all denen, die sich für Fantasy und Comics interessieren, ein Begriff sein. Denn damals erschien mit Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit die deutsche Albenausgabe eines im Original La Quête de l’Oiseau du Temps betitelten vierbändigen Fantasyzyklus, der seinen Machern – dem Szenaristen Serge Le Tendre* und dem Zeichner Régis Loisel – nicht nur in ihrer Heimat den Durchbruch bescherte, sondern auch hierzulande ein großer Erfolg war.
Dieser Erfolg ist Loisel, der von Kindesbeinen an Comiczeichner werden wollte, jedoch nicht in den Schoß gefallen. Nachdem er 1972 aus der Provinz nach Paris gezogen war, musste er sich lange Jahre mit kleinen Auftragsarbeiten über Wasser halten, während er gleichzeitig an der Universität von Vincennes die dort von Comicgrößen wie Jean-Claude Mézières und Jean Giraud gegebenen Kurse für angehende Comiczeichner besuchte und bei dieser Gelegenheit andere aufstrebende Zeichner kennenlernte. Einer dieser Zeichner war Serge Le Tendre, der zu diesem Zeitpunkt – nach einem entsprechenden Ratschlag “aus berufenem Mund” – allerdings bereits mit dem Zeichnen aufgehört hatte und sich auf seine unbestreitbaren Fähigkeiten als Szenarist konzentrierte. Mit ihm und einigen anderen Kollegen gründete Loisel das Comicmagazin Tousse Bourin, das jedoch nach vier Ausgaben aus Geldmangel wieder eingestellt wurde. Auch der Versuch, mit Le Tendre zusammen eine große Fantasygeschichte mit dem Titel “Pelisse: La Quête de l’Oiseau du Temps” zu erzählen, scheiterte im ersten Anlauf, da das ambitionierte SF-Magazin Imagine, in dem sie abgedruckt werden sollte, aufgrund schlechter Verkaufszahlen nach drei Ausgaben wieder vom Markt verschwand.
Der Tempel des Vergessens von Le Tendre und LoiselWenn man die noch in Schwarzweiß gehaltenen Seiten aus Imagine mit denen vergleicht, die sieben Jahre später in dem Comicmagazin Charlie Mensuel – dieses Mal in Farbe – abgedruckt wurden, muss man im Nachhinein sagen, dass der vermeintliche Rückschlag sich letztlich als Glücksfall erwiesen hat, denn erzählerisch und zeichnerisch ist ein deutlicher Qualitätssprung erkennbar. La Quête de l’Oiseau du Temps kam bei der Leserschaft von Charlie Mensuel sehr gut an, und auch die nachfolgenden Albenausgaben (Einzeltitel: La Conque de Ramor (1983), Le Temple de L’oubli (1984), Le Rige (1985) und L’oeuf des Ténèbres (1987)) verkauften sich von Band zu Band besser und schließlich hervorragend. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn die von Le Tendre ersonnene Geschichte ist viel mehr als nur eine Suche nach dem titelgebenden “Vogel der Zeit”, den die Zauberin Mara braucht, um die Welt Akbar vor der Rückkehr des rachsüchtigen Gottes Ramor zu retten. Ramor wurde einst in ein Schneckenhaus verbannt, doch der Fluch, der ihn dort festhält, muss erneuert werden; ihn auszusprechen, dauert allerdings so lange, dass Mara auf den Vogel der Zeit – bzw. dessen Fähigkeit, die Zeit anzuhalten – angewiesen ist. Deshalb schickt sie ihren Jugendfreund, den alternden Ritter Bragon, zusammen mit ihrer (gemeinsamen?) Tochter Pelissa (im Original Pelisse) los, um den Vogel der Zeit und das Schneckenhaus mit dem darin gefangenen Ramor zu suchen. Die Queste, in die neben dem wackeren alten Kämpen und der üppigen Pelissa (die wie der typische, in Fantasycomics häufig zu findende gestaltgewordene feuchte Männertraum wirkt) auch noch Bulrog (ein zum Söldner gewordener ehemaliger Schüler Bragons) und der vor allem für auflockernde lustige Momente zuständige “Unbekannte” verwickelt werden, führt zu von Loisel beeindruckend in Szene gesetzten faszinierenden Orten, an denen sie ebenso faszinierenden, ihnen allerdings nicht immer freundlich gesinnten und teils sehr gefährlichen Wesen begegnen. Dabei liegt der Reiz der Geschichte nicht nur an der spannend inszenierten, mit mehreren verblüffenden Wendungen aufwartenden eigentlichen Queste, sondern auch am komplexen Beziehungsgeflecht der vier Hauptfiguren, deren Schicksal im Verlauf der Handlung mindestens ebenso wichtig wird wie das Akbars. Dazu kommen Loisels detailreiche, manchmal gar überbordende Zeichnungen, die aus Akbar eine wirklich exotische Fantasywelt mit originellen Bewohnern machen. Doch das, was La Quête wirklich zu einem ganz besonderen Fantasycomic macht, der die Möglichkeiten des Mediums wie kaum ein zweiter** nutzt und so zu einem Referenzwerk wird, an dem sich alle anderen Fantasycomics messen lassen müssen, offenbart sich erst im vierten Album …
Grauwolfs letzter Kampf von Le Tendre und LoiselAuch in Deutschland erschienen die ersten beiden Bände von Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit zunächst als Fortsetzungsgeschichte in Comicmagazinen (Band eins in Pilot 18 – 23 (1984), Band zwei in Schwermetall 60-65 (1985)), ehe die vier Alben Schatten über Akbar, Der Tempel des Vergessens (beide 1985), Grauwolfs letzter Kampf (1986) und Das Ei der Finsternis (1988) herauskamen, die teilweise mit neuen Titelbildern mehrfach neu aufgelegt wurden; 1992 folgte schließlich noch eine limitierte Gesamtausgabe unter dem Zyklustitel.
Der Erfolg von La Quête machte Loisel unabhängig, und bei der Arbeit an dem Zyklus war ihm klargeworden, dass er in Zukunft selbst Geschichten erzählen und sie nicht nur als Zeichner umsetzen wollte. Daher nahm er sein nächstes Projekt – eine freie Adaption von J.M. Barries Peter Pan*** – allein in Angriff, und das Ergebnis ist deutlich anders, als man vielleicht hätte erwarten können (vor allem, da Loisel durch den Disney-Fim von 1953 zu seiner Idee inspiriert wurde – Barries Originaltext kannte er damals noch gar nicht). Doch besagter Originaltext war ihm dann zu dünn, zu anekdotisch erzählt, und daher machte er sich in seiner Adaption daran, Peter und den anderen Figuren eine Hintergrundgeschichte zu geben, so dass sein Peter Pan eigentlich ein Prequel ist, das allerdings – da er den im Original verborgenen Subtext an die Oberfläche holt und sichtbar macht – sehr viel psychologischer und düsterer als Barries Version (oder gar der Disney-Film) ausgefallen ist.
Alles beginnt im Winter 1887 in einer Gasse in einem heruntergekommenen Viertel Londons; hier sitzt ein Junge vor einem Bretterverschlag und erzählt einer Horde Kindern auf der anderen Seite des Verschlags Geschichten, erst von Aschenputtel und dann von seiner ihn ach so sehr liebenden, fürsorglichen Mutter. Der Erzähler ist Peter – und die Geschichten über seine Mutter, die seine aus einem nahegelegenen Waisenhaus stammenden Zuhörer so gerne hören, sind frei erfunden. Denn in Wirklichkeit ist Peters Mutter eine Alkoholikerin, die ihren Sohn nur braucht, damit er ihr die nächste Flasche Fusel besorgt. Der einzige Lichtblick in Peters tristem Leben ist der nette alte Mister Kundal, der in einem Zimmer über einem Gasthaus lebt und Peter nicht nur lesen, schreiben und rechnen beigebracht hat, sondern ihn auch mit Essen und Geschichten versorgt. Die anderen Menschen sind nicht so großzügig – und manche sind sogar gefährlich, wie Peter feststellen muss, als er wieder einmal Brandy besorgen soll. Dass er im Gasthaus eine demütigende Situation erlebt (da ihm seine Mutter natürlich kein Geld mitgegeben hat), ist eine Sache, doch dass er auf dem Heimweg nur um Haaresbreite einer Vergewaltigung entgeht, ist noch einmal etwas ganz anderes. Und da seine Mutter ihn anschließend aus dem Haus jagt, ist es kein Wunder, dass Peter mit der Fee Glöckchen (im Original Clochette) und mit Hilfe ihres Feenstaubs einfach davonfliegt, London und die Welt der Erwachsenen mit all ihrer Gewalt, ihrem Sex, ihrer Armut und ihrem Schmutz hinter sich lässt. Glöckchen wiederum hat nach ihm gesucht – oder, genauer: sie hat nach jemandem gesucht, der die Insel Nimmerland und all die Fabelwesen, die auf ihr leben, retten wird. Denn vor der Insel liegt ein Piratenschiff vor Anker, dessen Mannschaft und deren cholerischer Kapitän auf der Suche nach einem Schatz sind, den es auf der Insel geben soll …
Was in groben Zügen im ersten Album Londres (1990) so beginnt, entwickelt sich in den fünf folgenden Alben Opikanoba (1992), Tempête (1994), Mains rouges (1996), Crochet (2002) und Destins (2004) zu einer komplexen Geschichte, deren Peter Pan Gesamtausgabe von LoiselSchauplatz zumeist Nimmerland ist (auch wenn Peter aus unterschiedlichen Gründen noch mehrmals nach London zurückkehrt) und in der u.a. erzählt wird, wie die Lost Boys auf die Insel gekommen sind, der Piratenkäpt’n zu Käpt’n Hook geworden ist oder warum das Krokodil den Wecker verschluckt hat – vor allem aber, wie und warum aus Peter Peter Pan geworden ist und warum er nicht erwachsen werden will (oder werden kann oder werden darf). Grafisch setzt Loisel das Ganze mit einem Strich in Szene, der im Vergleich zum Vogel der Zeit noch ein bisschen dynamischer geworden ist und manchmal fast schon karikierend wirkt, dabei aber – unterstützt durch eine an die jeweiligen Örtlichkeiten und Situationen angepasste Farbgebung – die Geschichte und ihre Atmosphäre immer überzeugend transportiert. Das Ergebnis ist ein sowohl grafisch als auch erzählerisch beeindruckendes Werk – aber auch eines, das teilweise sehr düster und letztlich tieftraurig ist. Aber was will man andererseits von einer Geschichte erwarten, in der es um ungeliebte Kinder geht?
Loisels Peter Pan hat es auch nach Deutschland geschafft. Die ursprünglich erschienenen sechs Alben London (1991), Die Insel (1992), Sturm (1995), Rote Hand (1997), Der Haken (2002) und Schicksale (2005) sind allerdings längst vergriffen, doch dankenswerterweise gibt es statt dessen eine sehr schöne zweibändige Peter Pan Gesamtausgabe (2014/15), in der außerdem ein redaktioneller Teil über Loisels Werdegang enthalten ist (dem auch dieser Beitrag einige bio- und bibliografische Angaben verdankt).
Vierzehn Jahre lang hat Régis Loisel an Peter Pan gearbeitet. Parallel dazu hat er in dieser Zeit am ersten Album des neuen Zyklus um den Vogel der Zeit (bei dem es sich um ein im Original Avant la Quête betiteltes Prequel handelt, das ursprünglich erst als dritter Zyklus geplant war) mitgewirkt, das unter dem Titel L’ami Javin 1998 erschienen ist, wobei mitgewirkt bedeutet, dass er zusammen mit Le Tendre das Szenario entworfen, ein Storyboard erstellt und coloriert hat, während die Reinzeichnungen von Lidwine stammen; eine ähnliche Arbeitsteilung hat auch bei den drei folgenden Alben von Avant la Quête stattgefunden, allerdings hat Loisel sie nicht mehr coloriert und die Reinzeichnungen stammen von Mohamed Aouamri (Le grimoire des dieux (2007)) und Vincent Mallié (La voie du Rige (2010) und Le chevalier Bragon (2013)). Hierzulande ist Avant la Quête als Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit 5-8 (1998-2014) erschienen.
Bereits 2005 hatte Régis Loisel, der zwischenzeitlich nach Kanada (genauer: nach Montreal) gezogen war, wo er sich mit seinem Kollegen Jean-Louis Tripp ein Atelier teilt°, mit besagtem Jean-Louis Tripp mit der Arbeit an einem Zyklus mit dem Titel Magasin général (neun Alben, 2006-2014) begonnen, der ausnahmsweise keinen phantastischen Inhalt hat, sondern in dem es um ein irgendwo im Hinterland von Quebec angesiedeltes Dorf und dessen Bewohner in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts geht (deutsch als Das Nest, neun Alben, 2007-2015). Und 2007 erschien mit L’armes d’abeille das erste Album des Zyklus Le Grand Mort (bislang sechs von wahrscheinlich acht Alben, 2007-2015), für den er gemeinsam mit Jean-Blaise Djian das Szenario schreibt, während die Zeichnungen von Vincent Mallié (s.o.) stammen. Bei Le Grand Mort (deutsch als Der große Tote, bislang sechs Alben, 2008-2016) handelt es sich wieder um einen phantastischen Zyklus, der zwar ein wenig klischeehaft begonnen hat, dessen neuere Alben sich allerdings in eine Richtung entwickeln, die die Hoffnung nährt, dass sich auch die dritte phantastische Comicreihe, an der Régis Loisel beteiligt ist, am Ende als weit überdurchschnittliches oder sogar überragendes Werk erweisen könnte.
Doch unabhängig davon, wie sich Der große Tote letztlich entwickeln wird – Loisel, der beim Internationalen Comicfestival von Angoulême zwei Mal (1991 und 1995) den Alph-Art du public (für das erste bzw. dritte Album von Peter Pan) und 1992 (wiederum für Peter Pan) beim Comic-Salon Erlangen den Max-und-Moritz-Preis gewonnen hat und der 2003 schließlich mit dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême – dem wichtigsten französischen Comicpreis – ausgezeichnet wurde, hat seinen Platz im Pantheon der großen phantastischen Comickünstler und Erzähler seit dem Abschluss von Peter Pan längst sicher …

* – interessanterweise konnte auch Serge Le Tendre erst vor kurzem einen runden Geburtstag feiern – er wurde am 01. Dezember 70 Jahre alt.
** – diese Aussage bezieht sich explizit auf Fantasycomics, denn z.B. die Arbeiten eines Marc-Antoine Mathieu reizen die Möglichkeiten des Mediums noch wesentlich weiter aus.
*** – die Entwicklungs- und Publikationsgeschichte von J.M. Barries Peter Pan ist zu komplex, um sie hier als Fußnote abzuhandeln; bei Interesse empfiehlt sich ein Blick in die deutsche oder englische Wikipedia.
° – sich mit einem oder mehreren Kollegen ein Atelier zu teilen, hat bei Loisel Tradition, die er bereits in Paris begonnen hatte und auch während seiner Zeit in der Bretagne (Ende der 80er bis Anfang der 00er Jahre) fortgeführt hat.

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