Zum 75. Geburtstag von Pauline Gedge

Bibliotheka Phantastika gratuliert Pauline Gedge, die vorgestern 75 Jahre alt geworden ist. Vor einiger Zeit hätte man noch davon ausgehen können, dass der Name der am 11. Dezember 1945 in Auckland auf der Nordinsel Neuseelands geborenen und nach einigem Hin und Her seit den 70er Jahren dauerhaft in Kanada lebenden Pauline Gedge zumindest denjenigen Lesern und Leserinnen etwas gesagt hätte, die sich für historische Romane interessieren. Denn ihre Karriere hat mit historischen Romanen – genauer mit Child of the Morning (1977; dt. Die Herrin vom Nil (1981) – die Geschichte der ägyptischen Königin Hatschepsut) und The Eagle and the Raven (1978; dt. Der Adler und der Rabe (1988) – die Geschichte der keltischen Königin Boudicca*) – begonnen, die generell den mit Abstand größten Teil ihres Œuvres ausmachen und teilweise überaus erfolgreich waren. Auch in Deutschland; so hat sich z.B. Die Herrin vom Nil hierzulande weit über 250.000 Mal verkauft. Aber aller Ruhm ist vergänglich, und während in den 80er und 90er Jahren noch alle Gedge-Romane ins Deutsche übersetzt wurden, wurde die Übersetzung ihrer letzten Trilogie The King’s Man (2007-2011) nach dem ersten Band (Der Seher des Pharao (2009)) abgebrochen; im Deutschland der Wanderhuren bestand anscheinend kein Interesse mehr an den Abenteuern von Amenophis, dem Architekten des Tempels von Luxor.
Aber hier soll es ja gar nicht um Pauline Gedges historische Romane gehen, sondern um ihre Ausflüge in die Phantastik, deren erster und gewichtigster als ihr dritter Roman 1982 unter dem Titel Stargate erschienen ist (und der mit dem gleichnamigen Film – außer der Tatsache, dass es in beiden Werken um Weltentore geht – nichts zu tun hat). Stargate erzählt vom Ende eines anfangs paradiesischen Universums, das vor Äonen mitsamt aller in ihm lebenden Wesen vom Worldmaker erschaffen wurde, und in dem die unsterblichen, göttergleichen, aufs engste mit ihren jeweiligen Sonnen verbundenen Sunlords über Welten herrschen, die von im wahrsten Sinne des Wortes unschuldigen (keineswegs nur menschlichen) Sterblichen bewohnt werden. Mittels der Stargates können die Sunlords alle anderen Welten besuchen – doch von den ehemals unzähligen Welten sind zu Beginn des Buches nur noch vier übrig; über alle anderen ist ein Übel gekommen, ihre Stargates wurden geschlossen, ihre Sunlords existieren nicht mehr, ihre Sonnen haben sich verdunkelt, und die isolierten Welten sind der Verdammnis anheimgefallen. Denn der Worldmaker ist zum Unmaker geworden und setzt alles daran, seine Schöpfung zu vernichten – und die vier letzten Sunlords versuchen verzweifelt, das zu verhindern …
Stargate von Pauline GedgeStargate ist ein in mehrfacher Hinsicht sehr eigenwilliger Roman, der sich keinem Genre so recht zuordnen lässt, sondern irgendwo zwischen SF und Fantasy oszilliert. Die tragische Geschichte mäandert dabei in kleinen Episoden vor sich hin (was damit zu tun haben dürfte, dass Gedge sich in diesem Fall nicht an historischen Ereignissen entlanghangeln konnte), aber sie wird auf so eindringliche, märchenhafte Weise erzählt, dass man sich ihrer Sogwirkung nur schwer entziehen kann (oder aber gar nicht erst in sie hineinfindet). Und sie wirft dabei Fragen auf, die ein bisschen tiefer gehen, als man anfangs meinen könnte. Wer also wissen will, wie sich das Ende des Paradieses anfühlen kann und sich dafür nicht an Miltons Paradise Lost wagen will (als dessen SF/F-Äquivalent manche Rezensenten den Roman bezeichnen), kann ja mal einen Versuch mit Stargate machen, vielleicht auch in der deutschen Version, die unter dem Titel Durch mich geht man hinein zu Welten der Trauer 1984 im Rahmen von Goldmanns Edition ’84. Die positiven Utopien erschienen ist. Dass der Roman in dieser Reihe vollkommen fehl am Platz war, versteht sich von selbst.** 😉
Da Stargate zwar für den Prix Aurora (das kanadische Pendant des Hugo) nominiert wurde, bei ihrer Leserschaft allerdings längst nicht so gut ankam wie ihre vorangegangenen Romane, wandte Pauline Gedge sich mit The Twelfth Transforming (1984; dt. Pharao (1985)) wieder dem historischen Roman zu, doch Scroll of Saqqara (1990, auch Mirage (USA 1991; dt. Der Sohn des Pharao (1992)), die Geschichte des Arztes und Magiers Khamwaset, der auf der Suche nach der legendären Schriftrolle des Gottes Thoth, die angeblich ihrem Besitzer die Macht, die Toten aufzuwecken, und zudem die Unsterblichkeit verleiht, reihenweise Gräber schändet und schließlich Dinge in Bewegung setzt, die sein Leben von Grund auf verändern, hat ebenso viel von einem Schauerroman wie von einem historischen Roman, während man The Covenant (1992; dt. Die Herren von Rensby Hall (1994)) wohl am ehesten als Mystery-Thriller bezeichnen könnte.
Die danach folgenden Romane – House of Dreams (1992) und dessen auf Wunsch der Leser und Leserinnen verfasste Fortsetzung House of Illusions sowie die Lords of the Two Lands Trilogy (1998-2000)*** – kommen dann ohne phantastische Elemente aus, wohingegen in der The King’s Man Trilogy (2007-2011) die Hauptfigur nach ihrem Tod von den Göttern zurück ins Leben geschickt wird …
So gesehen, ist es für Leserinnen und Leser, die nichts gegen ein bisschen Phantastisches in ihren historischen Romanen haben, durchaus bedauerlich, dass die Übersetzung der besagten Trilogie nach einem Band abgebrochen wurde. Andererseits kann man als Fantasy-Afficionado auch an Pauline Gedges rein historischen Romanen Gefallen finden, vor allem an The Eagle and the Raven, in dem es um den Freiheitskampf der Kelten in den nebelverhangenen Tälern und Wäldern Albions geht, und an der Lords of the Two Lands Trilogy, in der der Aufstand der Ägypter gegen die Fremdherrschaft der Hyksos zum Thema gemacht wird.

* – genau genommen ist es fast ebenso sehr die Geschichte von Caradoc wie die von Boudicca
** – die Sache mit der Edition ’84 wäre fast mal einen eigenen Blogbeitrag wert, auch wenn es dabei um SF geht
*** – die deutschen Titel werden – falls gewünscht – in einem Kommentar nachgeliefert; sie hier noch mit einzubauen, wäre vielleicht des Guten zuviel …

6 Kommentare zu Zum 75. Geburtstag von Pauline Gedge

  1. Pogopuschel sagt:

    Und wieder eine interessante Autorin, die ich erst durch dich kennengelernt habe. Schöner Text!

  2. gero sagt:

    Hallo Markus,

    danke! Ich bin mir bei solchen … sagen wir eher “randständigen” Autorinnen und Autoren ja nie so ganz sicher, ob es sinnvoll ist, in diesem Rahmen etwas über sie zu schreiben. Andererseits sage ich mir dann aber, wen’s nicht interessiert, muss es ja nicht lesen. 😉

    In den nächsten Wochen stehen noch ein paar mehr eher “schräge” Kandidaten und Kandidatinnen auf dem Plan. Wie viel von dem Plan wir dann umsetzen (können), wird man sehen. Und im Januar hat’s auch wieder “richtige” Fantasyautoren.

    Soll auch heißen: Wir arbeiten daran, dass hier im Blog wieder regelmäßiger etwas passiert, und das wird sich auf Dauer auch nicht nur auf diese Art Texte beschränken.

  3. Fursey sagt:

    Hallo Gero,

    ist Gedge noch als Autorin aktiv? Ihr Wikipedia-Eintrag listet nach der King’s Man-Trilogie jedenfalls keine weiteren Werke auf. Ihr Facebook-Seite scheint auch inaktiv. Weiß man da was?

    “Wir arbeiten daran, dass hier im Blog wieder regelmäßiger etwas passiert, und das wird sich auf Dauer auch nicht nur auf diese Art Texte beschränken.”

    Ausgezeichnet. Hoffentlich färbt euer Fleiß ein bisschen auf mich ab.

  4. gero sagt:

    Hallo Fursey,

    sorry, dass dein Kommentar erst jetzt freigeschaltet wurde. Die Hinweise auf Kommentare hier landen bei mir immer mal wieder im Spam-Ordner, und in den schaue ich nicht jeden Tag rein. Sollte ich aber vielleicht in Zukunft tun. 😉

    Was deine Frage angeht: Das kann ich – zumindest auf die Schnelle – nicht genau sagen. Ich habe da irgendwas im Hinterkopf, das ich vor einiger Zeit in einem Interview gelesen habe, aber das würde ich gerne erst verifizieren, bevor ich hier womöglich irgendwelchen Unsinn erzähle.

    Ansonsten kann ich nur sagen, es freut mich, wenn wir mit unseren Texten hier mal wieder einem Menschen mehr eine Freude machen. Wir werden uns auf alle Fälle weiterhin bemühen. 😉

  5. Simone sagt:

    Schade, dass nichts,weiter übersetzt wurde.
    Und ja, bei Wikipedia steht leider nicht allzuviel.
    Ich finde ihre Romane mitreißend, wunderbar geschrieben, gut recherchiert und auch dem Übersetzer vielen Dank.
    Schade, dass es keine weiteren Übersetzungen gab.

  6. Habe schon als junger mann vor vielen jahren “durch mich geht man hinein zu welten der trauer” gelesen. meinem gedächtnis blieb dann durch den lauf der jahre nicht mehr als dieser titel und damit verbunden, der name der autorin zurück. nun lese ich es noch einmal und die frage, warum eine autorin quasi einmal im leben etwas so anderes schreibt, etwas so aus der zeit gerücktes, treibt mich um. bin gespannt auf das werk, das wohl einst einen grossen eindruck auf mich machte.

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