Bibliotheka Phantastika gratuliert nachträglich Colin McLaren, der am vergangenen Dienstag 80 Jahre alt geworden ist. Der am 14. Dezember 1940 in Eastcote, Middlesex, geborene Colin Andrew McLaren hat sich anscheinend nie ins Rampenlicht gedrängt, denn abgesehen von ein paar wenigen persönlichen Daten ist über ihn in den Weiten des Internets kaum etwas zu finden. McLaren hat seit Ende der 60er Jahre in Schottland gelebt und war etliche Jahre Archivar an der University of Aberdeen. In den 80ern hat er eine Handvoll Kinder- und/oder Jugendbücher geschrieben, und in den 90ern zwei Werke über die Geschichte der Universität von Aberdeen. Sein Erstling fällt demgegenüber ein bisschen aus dem Rahmen, denn Rattus Rex (1978) ist ganz eindeutig ein phantastischer Roman – und der Grund, warum Colin McLaren hier heute auftaucht.
Das London des (mittleren) 19. Jahrhunderts ist für den Großteil der Menschen, die dort leben, alles andere als ein heimeliger Ort. Doch in den letzten Monaten des Jahres 1863 bricht eine wahre Verbrechens- und Katastrophenwelle über die Stadt herein, die nicht nur von einer noch nie dagewesenen Zahl unerklärlicher Brände und ungewöhnlich vielen Gasleitungsexplosionen und Rohrbrüchen heimgesucht wird, sondern in der auch immer mehr Menschen verschwinden – Bettler von den Straßen, Säuglinge aus Kinderwagen, Leichen aus frischen Gräbern. Wie sich alsbald herausstellt, stecken Ratten hinter all diesen Problemen – Ratten, die sich verhalten, als wären sie überdurchschnittlich intelligent. Der Journalist Jabetz Rimmer und sein Adlatus Matthäus Markus wollen den Geschehnissen auf den Grund gehen und begeben sich dazu in die riesige Kanalisation unter der Stadt, wo sie eine erschreckende Entdeckung machen …
Rattus Rex (unter diesem Titel 1981 auch auf Deutsch erschienen) punktet mit atmosphärisch dichten Beschreibungen des alten London und der Menschen, die in der von scharfen sozialen Gegensätzen gekennzeichneten Stadt leben. Und mit der Darstellung der in der Kanalisation hausenden Ratten, die – von tatsächlich intelligenteren Artgenossen gelenkt – einen ebenso bedrohlichen wie schwer fassbaren Gegner abgeben. Als ein gewisses Lesehemmnis für Leser und Leserinnen, die bislang vor allem mit nach der Jahrtausendwende entstandenden Romanen und Erzählungen vertraut sind, könnten sich der schnörkelige, geruhsame Erzählduktus (der nicht bedeutet, dass keine derben Szenen auftauchen) und das Cockney bzw. dessen deutsche Entsprechung erweisen, das manche Einwohner Londons sprechen. Dessen ungeachtet bleibt festzuhalten, dass Colin McLaren mit Rattus Rex ein origineller und ungewöhnlicher Roman gelungen ist – der nebenbei bemerkt eine Anspielung auf eine Aussage des berühmten Detektivs aus der Baker Street darstellt* – und es schade ist, dass er sich danach nie wieder der Phantastik zugewandt hat.
* – gemeint ist diese hier: “Matilda Briggs was not the name of a young woman, Watson,” said Holmes in a reminiscent voice. “It was a ship which is associated with the giant rat of Sumatra, a story for which the world is not yet prepared.” (Aus “The Adventure of the Sussex Vampire” (1924))