Bibliotheka Phantastika gratuliert – dieses Mal sehr nachträglich – John Hornor Jacobs, der bereits gestern vor fünf Wochen seinen 50. Geburtstag feiern konnte. Als der am 05. Januar 1971 in Little Rock, Arkansas, geborene John Hornor Jacobs 2011 mit Southern Gods seinen ersten Roman veröffentlichte, war das teilweise auch eine Rückkehr zu seinen Wurzeln, denn bereits zu Collegezeiten hatte er von Faulkner inspirierte, in den Südstaaten angesiedelte Storys mit Southern-Gothic-Touch geschrieben (“rural noir before that was a thing”, sagt er selbst*). Und er hatte als junger Mann auch in mehreren Bands gespielt. Von daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Schauplatz seines Erstling das ländliche Arkansas der 50er Jahre ist, wo sich der Kriegsveteran Bull Ingram auf die Spuren eines geheimnisvollen Bluesmusikers namens Ramblin’ John Hastur begeben muss, dessen Musik angeblich die Lebenden verrückt macht und die Toten aufwecken kann. Ingram ist ein harter Mann, doch als er den Musiker in die Sümpfe verfolgt, stößt er auf Dinge, die selbst ihn an seine Grenzen bringen. Southern Gods bietet atmosphärische Southern Gothic mit einem ordentlichen Spritzer Cthulhu-Mythos und einigen durchaus drastischen Szenen und soll noch dieses Jahr als Southern Gothic auf Deutsch erscheinen.
Auch This Dark Earth (2012) spielt in Arkansas – dieses Mal jedoch einem Arkansas, in dem sich die wenigen noch normalen Menschen in befestigten Siedlungen vor den Zombiehorden zu schützen versuchen, die das Land überrannt haben. Ein auf den ersten Blick ganz normales, zeitgenössisches Arkansas wiederum ist der Schauplatz von The Twelve-Fingered Boy (2013), dem ersten Band der Incarcerado Trilogy – einer Jugendbuch-Trilogie um Jugendliche mit Superkräften –, die mit The Shibboleth (2014) und The Conformity (2015) fortgesetzt wurde.
So gesehen, kann man es schon ein bisschen überraschend finden, dass The Incorruptibles (2014) erstmals nicht in Arkansas spielt, sondern in den Hardscrabble Territories, einem – Nomen est Omen – harten, gefährlichen Landstrich, der in einer anderen Welt liegt (und doch auch irgendwie ein bisschen Arkansas ist). Was auch gleich den großen Unterschied zwischen Jacobs’ vorangegangenen Romanen, die man zum Horror oder zur Phantastik rechnen konnte, und The Incorruptibles – bzw. der gleichnamigen Trilogie – deutlich macht, denn bei der handelt es sich eindeutig um Fantasy. Die o.g. Hardscrabble Territories sind nämlich ein Teil – ein besonders gefährlicher Teil – von Occidentalia, jenem Land, das jenseits des Meeres auf der Nordhälfte eines fremden Kontinents und damit am äußersten Rand des unsterblichen Imperiums von Rume liegt. Hier haben die beiden Abenteurer Fisk und Shoe den Auftrag, eine Gesandschaft aus Rume, die an Bord eines von Dämonen angetriebenen Schiffs flussaufwärts auf dem Big Rill unterwegs ist, vor den Gefahren dieses Landes zu schützen – was sich als gar nicht so einfach erweist, denn Senator Cornelius und seine Familie stellen die Arroganz zur Schau, die für die oberen Gesellschaftsschichten des Imperiums typisch ist, und unterschätzen die Gefahren, die vor allem von den Stretchers drohen … mit fatalen Folgen …
Die Welt der Incorruptibles, die die Leser und Leserinnen durch die Augen des Ich-Erzählers Shoe zu sehen bekommen – und in die einzuführen Jacobs sich viel Zeit nimmt –, ist unserer ziemlich ähnlich und doch wieder ganz anders. Denn in dieser Welt ist Rom – pardon, Rume – niemals untergegangen und auch im Jahre 2638 nach der Gründung des unsterblichen Rume nicht zuletzt Dank des “hellfire engineerings” – einer Technologie, die es ermöglicht, die Hitze gebannter Dämonen als Energiequelle zu nutzen – noch immer eine Weltmacht. Occidentalia wiederum unterscheidet sich nicht nur in seinen Umrissen und seinem Relief leicht von unserem Nordamerika, sondern vor allem im Hinblick auf seine indigenen Bewohner, die Dvergar und die von den Menschen auch Stretcher genannten Vaettir. Während die zwergenhaften Dvergar sich mit den rumischen Eroberern mehr oder weniger arrangiert haben, sind die Vaettir – riesenhafte, übermenschlich starke und schnelle Elfen – keineswegs bereit, ihre Heimat irgendwelchen Eindringlingen zu überlassen, sondern wehren sich mit allen Mitteln – und sie sind in der Wahl besagter Mittel alles andere als zimperlich.
Alte Römer, Demonpunk und Killerelfen, dazu eine Landschaft und zwei Hauptfiguren, die jedem Western gut zu Gesicht stehen würden – kann diese Mischung denn funktionieren? Ja, sie kann, und sie tut es. Was zu einem erheblichen Teil an Shoe und seiner Erzählstimme liegt, denn während Fisk der typische harte, unnachgiebige tough guy ist, den man in vielen derartigen Werken findet, ist Shoe ein gottes-, pardon, iafürchtiger Mann (und Halbdvergar), der keine Feuerwaffen benutzt, da der Umgang mit Hellfire seine Seele beflecken würde, und der über einen klaren moralischen Kompass verfügt, was letztlich auch dafür sorgt, dass das Ganze trotz mancher blutiger Szenen nicht allzu grimdark wird.
Im zweiten Band, Foreign Devils (2015), weitet sich dann das Szenario, wenn eine Delegation aus Rume zu den Tchinee nach Kithai geschickt wird, wo die Autumn Lords herrschen (und ihre ureigensten Geheimnisse hüten), und eine zweite Erzählstimme hinzukommt (während die Geschehnisse in Occidentalia weiter von Shoe erzählt werden). In Infernal Machines (2017), dem dritten Band, verknüpfen sich die beiden Erzählstränge schließlich und münden in ein furioses Finale.
Die The Incorruptibles Trilogy, die gelegentlich – und eigentlich treffender – auch als Fisk & Shoe Trilogy bezeichnet wird, bietet ein wirklich originelles Setting, einen spannenden Plot mit einigen überraschenden Wendungen, sowie Figuren, die sich verändern (wenn vielleicht auch nicht immer in der erwarteten Richtung); hinzu kommen eine ebenso originelle, passende Covergestaltung und Blurbs von Genregrößen wie Mark Lawrence oder Patrick Rothfuss, und auch, was die Werbung anbelangt, hat man sich bei Gollancz etwas einfallen lassen. Trotzdem war die Trilogie kein Erfolg, sondern verkaufstechnisch ein Flop. Über die Gründe kann man nur spekulieren; jedenfalls hat der Misserfolg John Hornor Jacobs in eine ziemliche Depression gestürzt, und er hat einige Zeit gebraucht, um sich davon zu erholen.
Inzwischen schreibt er allerdings wieder, wenn auch bislang nur kürzere Werke. Und er ist zum Horror zurückgekehrt. Während in A Lush and Seething Hell: Two Tales of Cosmic Horror (2019) nur neues Material enthalten ist – genauer: zwei Erzählungen aus den Jahren 2018 und 2019 –, bietet Murder Ballads and Other Horrific Tales (2020) zwei Erstveröffentlichungen – darunter die Titelgeschichte, eine Fortsetzung zu Southern Gods – sowie acht in den 10er Jahren verstreut in diversen Anthologien und Magazinen erschienene Storys. Der Fantasy hat John Hornor Jacobs hingegen bedauerlicherweise zunächst einmal den Rücken gekehrt.
* – Interview in Locus # 715, August 2020
Tja, so ist es wohl… Das klingt mir doch sehr spannend – sowohl “Southern Gothic” als auch “The incorruptibles Trilogy” könnte mir doch irgendwie gefallen… Ja, ich mach die Liste mal länger… 😉
Sehr schöner Text. Als ich den Namen eben las, dachte ich, nie gehört. Doch jetzt, wo ich die Cover sehe, fällt mir ein, dass du “Incorruptibles” schon im Forum empfohlen hast, ich es auf meine Leseliste setzte, und dann doch wieder vergaß. Danke für die Erinnerung
Danke, ihr beiden!
@ Elric: Schau dir bitte unbedingt vorher die Leseproben an; gerade The Incorruptibles liest sich schon ein bisschen anders als “normale” Fantasy. 😉 Die entsprechende Leseprobe sollte aber reichen, dass du dir darüber klar wirst, ob das wirklich was für dich ist.
@ Pogo: Ich glaube, ich habe damals nur das Cover gepostet, weil ich das so toll gefunden habe (und vor allem das des ersten Bandes finde ich immer noch verdammt gut). Aber vielleicht habe ich das Buch auch noch später mal erwähnt.
Eigentlich wollte ich schon vor fünf Jahren einen Text zu John Hornor Jacobs bringen, aber er hat unglücklicherweise am gleichen Tag wie Hayao Miyazaki Geburtstag, und da wir dem schon einen langen Jubitext gewidmet haben, wollten wir nicht noch einen zweiten hinterherschieben. (Außerdem war Anfang 2016 eh viel los im Blog.) Andererseits bin ich inzwischen schlauer, was die Bücher und ihren Erfolg bzw. Misserfolg angeht, von daher ist der jetzige Text vermutlich besser als es der vor fünf Jahren gewesen wäre. Oder so … (Im Prinzip will ich eigentlich nur sagen, dass wir JHJ schon vor fünf Jahren auf dem Schirm hatten, es aber damals aus bestimmten Gründen nicht geklappt hat. 😉 )