Zum 60. Geburtstag von Thomas Ziegler

Bibliotheka Phantastika erinnert an Thomas Ziegler, der vor knapp zwei Wochen 60 Jahre alt geworden wäre. Wobei Thomas Ziegler eigentlich nur das Pseudonym des am 18. Dezember 1956 in einem kleinen Dorf unweit der Stadt Uelzen im nordöstlichen Niedersachsen geborenen SF-Autors und -Übersetzers Rainer Friedhelm Zubeil war, unter dem seine wichtigsten Werke (und auch der weitaus größte Teil seiner Übersetzungen) erschienen sind. Ziegler debütierte 1976 mit der SF-Story “Unter Tage” in der Anthologie Zukunftsgeschichten? und war von da an mehr oder weniger regelmäßig in den Anthologien vertreten, die Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre noch vergleichsweise häufig in den SF-Reihen der großen Taschenbuchverlage zu finden waren. Mit seinen zumeist gesellschaftskritisch und/oder satirisch angehauchten sowie stilistisch und atmosphärisch beeindruckenden Stories erschrieb sich Ziegler binnen kürzester Zeit den Ruf, das größte SF-Talent seiner Generation zu sein. Interessanterweise war sein erster Roman jedoch – schon am Titel erkennbar – in einem anderen Genre angesiedelt: Eisvampire (1977) ist ein in Alaska spielender Horrorroman (und möglicherweise deswegen unter dem von Ronald M. Hahn “ausgeliehenen” Pseudonym Henry Quinn erschienen), in dem nicht nur die titelgebenden Eisvampire (und Zombies) auftauchen, sondern erstaunlicherweise auch die Umweltzerstörung thematisiert wird, die die Jagd nach immer neuen Bodenschätzen mit sich bringt.
So betrachtet ist es fast schon naheliegend, dass Thomas Ziegler – dieses Mal als Robert Quint – zwei Jahre später zum Hauptautor der “grünen” SF-Serie Die Terranauten wurde, für die er insgesamt 31 Heftromane (1979-81) und drei Taschenbücher (1982-84) verfasste, die wiederum die Macher der Konkurrenz anscheinend so beeindruckten, dass er anschließend (mehr oder weniger überraschend) wie so manch anderer hoffnungsvoller junger deutscher SF-Autor bei Perry Rhodan landete. Zur unendlichen Saga um den “Erben des Universums” steuerte er 13 Heftromane (1983-85) und drei Taschenbücher (1982-85) bei und war – nach dem Tod von William Voltz – zeitweilig zusammen mit Ernst Vlcek auch für die Exposés verantwortlich.
Am See der Finsternis von Thomas ZieglerWährend Ziegler als Serien-Autor für Die Terranauten und Perry Rhodan tätig war, hat er die ganze Zeit parallel dazu Autor/innen wie Philip K. Dick, Michael Moorcock, Joanna Russ oder Cordwainer Smith übersetzt und dann und wann serienunabhängige, anspruchsvollere Romane und Erzählungen wie Zeit der Stasis (1979, mit Uwe Anton), Alles ist gut (1983), “Die Stimmen der Nacht” (in Michael Görden (Hrsg.): Phantastische Literatur 83 (1983; gleichnamige Romanversion 1984, rev. als Stimmen der Nacht (1993)) und Erdstadt (1985, wiederum mit Uwe Anton) geschrieben. Und er hat einen Abstecher in die Fantasy gemacht – was der eigentliche Grund ist, warum er heute hier auftaucht.
In Sardor (1984), dem ersten von ursprünglich sechs geplanten Bänden, gerät der deutsche Jagdflieger Dietrich von Warnstein mit seinem Doppeldecker in einen Gewittersturm – und wird auf unbekannte Weise in eine Welt versetzt, auf der im Kirschlicht einer roten Riesensonne eine Schlacht zwischen Menschen und entsetzlichen, alptraumhaften Kreaturen, tobt. Als guter Christenmensch greift von Warnstein auf Seiten der Menschen in das Geschehen ein und hilft, die Schlacht zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Menschen dieser Welt – bei der es sich vermutlich um die Erde viele Millionen Jahre in der Zukunft handelt – halten den deutschen Jagdflieger für ihren von den Toten auferstandenen Gott Sardor, und für sie ist er die letzte Hoffnung in ihrem aussichtslosen Kampf gegen all jene kosmischen Mächte, die sich auf dem Rücken der Menschheit bekriegen … Weitaus interessanter als die Handlung an sich ist die Welt, der Ziegler in der Erzählung “Kirschlicht und Glaspol” (in Jörg Weigand (Hrsg.): Vergiss nicht den Wind (1983)) einen ersten Besuch abgestattet hat und die er in Sardor und dem Folgeband Am See der Finsternis (1985) weiter ausmalt; eine Welt, die ein bisschen – aber nur ein bisschen – wie eine in grelle Farben getauchte Variation der vor- oder endzeitlichen Welten eines Clark Ashton Smith wirkt und auf der sich Monstrositäten wie die Eisenmänner, Gehörnte und Nachtmahre tummeln und die Wiederkehr der Schmerzarchen erwartet wird. Und die Thomas Ziegler mittels einer Sprache zum Leben erweckt, die einerseits Dietrich von Warnstein, diesem bornierten preussischen, seinem Kaiser treu ergebenen Offizier, auf den Leib geschrieben ist, aber mit ihrem Pathos und ihrer überbordenden Bildhaftigkeit der Grenze zur Parodie gefährlich nahekommt bzw. sie auch gelegentlich überschreitet.
Nach zwei Bänden war die Geschichte Sardors dann allerdings schon wieder vorbei; ein dritter Band – Bote des Gehörnten – war zwar noch angekündigt, ist aber nicht mehr erschienen. Ob Ziegler damals selbst die Lust verloren hat, oder ob der Verlag im Nachfolgeprojekt Flaming Bess: Rebellin der Galaxis (einer neun Bände umfassenden Space Opera, 1986/87) mehr Potential gesehen hat, ist heute nicht mehr herauszubekommen. Flaming Bess, die sich auf die Suche nach der Erde, der Urheimat der Menschen, begibt, war dann mehr oder weniger Thomas Zieglers Schwanengesang als SF- Autor (als Übersetzer ist er dem Genre auch weiterhin treu geblieben). Denn ab 1988 hat er fast nur noch Krimis geschrieben, in denen das Lokalkolorit mindestens so wichtig war wie die eigentliche Krimihandlung, und außerdem für das Fernsehen gearbeitet.
Anfang der 90er kehrte er sporadisch zur SF zurück, verfasste die mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnete Erzählung “Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten” (in der von Uwe Anton herausgegebenen Anthologie Willkommen in der Wirklichkeit: Die Alpträume des Philip K. Dick (1990)) und legte mit Stimmen der Nacht (1993) eine erneut überarbeitete, zweite Romanversion der (fast) gleichnamigen Erzählung vor (die auch den Kurd-Laßwitz-Preis gewann).
So richtig ins Genre zurückgekehrt ist er erst 2004, und was mit zwei Heftromanen für Perry Rhodan und einem Taschenbuch für die PR-Miniserie Lemuria (Die letzten Tage Lemurias (2005)) begonnen hat, sollte eigentlich nur der Auftakt einer weitergehenden Mitarbeit an Perry Rhodan sein (an die sich vielleicht dann auch wieder serienunbhängige Stoffe angeschlossen hätten), doch nur wenige Tage nach der Abgabe des Manuskripts für das o.g. Taschenbuch ist Thomas Ziegler überraschend am 11. September 2004 im Alter von 47 Jahren an Herzversagen gestorben.
Daher konnte er auch nicht mehr miterleben, dass Sardor nach knapp dreißig Jahren doch noch “komplett” erschienen ist – zumindest als “Trilogie”. Auf die beiden behutsam überarbeiteten ersten Bände Der Flieger des Kaisers und Am See der Finsternis folgte endlich der so lange nur als Titel existierende Band Der Bote des Gehörnten (alle 2013), den Markolf Hoffmann nach Aufzeichnungen von Ziegler – der die ersten Kapitel bereits geschrieben hatte – beendet hat. Ob man das Ende dieses Bandes als befriedigend empfindet oder nicht, muss jeder Leser / jede Leserin für sich entscheiden (wobei sich natürlich die Frage stellt, inwieweit dieses Ende dem entspricht, was Thomas Ziegler einst geplant hat, als er die Serie auf sechs Bände – sprich: doppelt so umfangreich wie das, was jetzt vorliegt – konzipiert hat).
Sardor von Thomas ZieglerThomas Ziegler war fraglos einer der talentiertesten deutschen SF-Autoren, der mehrfach für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert wurde und ihn insgesamt vier Mal gewonnen hat; eine der ausgezeichneten Erählungen wurde ebenso wie der Roman Stimmen der Nacht bereits genannt – darüber hinaus wurden auch die Erzählungen “Die sensitiven Jahre” und “Die Stimmen der Nacht” 1981 bzw. 1984 prämiert. Seine gesellschaftskritischen Romane von Zeit der Stasis über Alles ist gut bis hin zu Erdstadt sind auch heute noch ebenso lesenswert (und teilweise erschreckend aktuell) wie seine größtenteils in den Bänden Unter Tage (1982), Nur keine Angst vor der Zukunft (1985), Lichtjahreweit (1986) und Eine Kleinigkeit für uns Reinkarnauten (1997) gesammelten Erzählungen, und etliche seiner Beiträge zu den Heftserien Die Terranauten und Perry Rhodan gehören mit zum Besten, was in Deutschland an SF im Heftformat erschienen ist.
Sardor ist sicher nicht nur wegen des für Ziegler untypischen Genres sein ungewöhnlichstes Werk, mit dem so mancher Leser und so manche Leserin möglicherweise nichts anfangen kann. Andererseits ist es erstaunlich und nicht wenig faszinierend, dass es in den 80er Jahren in Deutschland möglich war, so etwas wie Sardor zu schreiben und in der Taschenbuchreihe eines Publikumsverlags zu veröffentlichen, während man heutzutage froh sein muss, dass engagierte Kleinverlage wie Golkonda derartige Werke dem Vergessen entreißen.

One Comment

  1. Pogopuschel said:

    “Sardor” hat mich so richtig umgehauen (vor allem in sprachlicher Hinsicht), allein schon der Besuch beim Eisenherzog am Anfang.

    “Stimmen der Nacht” fand ich auch sehr gut. Vor allem ein interessantes Gedankenspiel, was hätte sein können, wenn der Morgentau-Plan umgesetzt wird.

    01. Januar 2017

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