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Chihiros Reise ins Zauberland von Studio GhibliChihiros Reise ins Zauberland (千と千尋の神隠し/Sen to Chihiro no kamikakushi) ist einer der bekanntesten japanischen Animationsfilme aus dem Studio Ghibli mit seinem Regisseur Hayao Miyazaki. 2001 feierte das Fantasy-Abenteuer seine Premiere und begeistert seither Kinder wie Ewachsene gleichermaßen. Nicht nur in Japan gilt er daher als der bisher erfolgreichste Film Japans überhaupt, auch international räumte Chihiros Reise ins Zauberland mehrere Auszeichnungen ab und schlug mit unerwartet großem Erfolg ein.

Der Film erzählt die Geschichte von Chihiro Ogino, einem zehnjährigen Mädchen, welches gerade mit ihren Eltern in eine neue Stadt zieht. Auf dem Weg in diese ländliche Gegend verfährt sich die Familie und stoppt vor den Toren eines verlassenen Freizeitparks. Chihiros Vater besteht darauf, den Ort zu erkunden, das Mädchen schließt sich ihren Eltern schließlich widerwillig an. Obwohl weit und breit keine lebende Seele zu sehen ist, dampfen leckere Köstlichkeiten in allen Restaurants, und die Eltern schlagen sich hemmungslos den Bauch damit voll. Chihiro, die nichts essen will, da sie die verlassene Stadt gruselt, wandert derweil umher, bis ein mysteriöser Junge sie entdeckt und ihr eindringlich klar macht, dass sie die Stadt unbedingt vor Einbruch der Nacht verlassen muss. Umgehend rennt Chihiro zurück zu ihren Eltern und stellt fest, dass es bereits zu spät ist. Die Sonne verschwindet hinter dem Horizont und das Mädchen muss mit ansehen, wie sich ihre Eltern aufgrund ihrer eigenen Gier buchstäblich in Schweine verwandeln, während um Chihiro herum die Geisterwelt zum Leben erwacht und sich der Park mit Monstern füllt. Um ihre Eltern zu retten und in die Welt der Menschen zurückkehren zu können, muss Chihiro im Badehaus der Hexe Yubaba arbeiten. Die jedoch hat alles andere als noble Absichten mit dem Mädchen.

Chihiros Reise ins Zauberland ist ein absolut zauberhafter Film mit einer ansprechenden, nicht zu kindischen Story, einer farbgewaltigen, magischen Bildsprache und einem unglaublichen Reichtum phantasievoller Ideen, die ihre Wurzeln größtenteils in der japanischen Mythologie haben. Auf ihrem Weg trifft Chihiro wundersame Gestalten wie das Ohngesicht (Kao Nashi), Kamaji mit seinen sechs spinnenartigen Armen, eine Schar Rußmännchen – die manchem Zuschauer schon aus Mein Nachbar Totoro bekannt sein dürften -, göttliche Kreaturen, Drachen, Riesenbabys, körperlos agierende Köpfe und etliches mehr. Auch die musikalische Untermalung (im Trailer unnötigerweise durch irgendeinen langweiligen Charts-Titel ersetzt) ist sehr stimmungsvoll und eindringlich. Obwohl es schon genug wäre, sich einfach nur an dieser faszinierenden und unwirklichen Bild- und Tonwelt von Chihiros Reise ins Zauberland zu erfreuen, ja sich darin zu verlieren, bedarf es zusätzlich keiner Vorkenntnisse der mythologischen Welt Japans, um den Film auch inhaltlich zu verstehen und genießen zu können. Sowohl der recht naturgetreue Zeichenstil der umgebenden Objekte und Architektur, als auch die erschaffenen Charaktere und ihr eindeutiges Verhalten verstehen es, den Zuschauer sofort zu verzaubern und ihre Funktion auf überraschend simple Weise deutlich zu machen. Die passend gewählte Musik trägt außerdem zum emotionalen Verständnis bei.

Typisch für die Filme aus den Ghibli-Studios ist ein nicht durchweg unterhaltender und ausschließlich positiver Erzählweg. Die Handlung wird auch in Chihiros Reise ins Zauberland von einer leichten Melancholie begleitet, behandelt auf subtile Art das Thema Umweltschutz und auch ein wenig japanische Wirtschaftsgeschichte (was vor allem durch den von Menschen verlassenen Freizeitpark verkörpert wird). Er liefert auch ein nicht eindeutiges Ende, welches Raum für die eigene Vorstellung von einem perfekten Ende lässt. Der moralische Zeigefinger lässt sich gewiss nicht leugnen, kommt aber auf die charmantest mögliche Weise zum Einsatz und selbst die vermeintlich bösen Geister und Monster sind nicht einfach nur schlecht. Vielmehr werden alle Charaktere von einer hin- und hergerissen Natur erfüllt, keiner ist vollkommen böse oder vollkommen gut. Selbst die Welt, in der sie leben, wirkt häufig obskur und die Regeln unbeständig, wechselhaft. Chihiros Aufgabe ist daher auch weniger das Bezwingen eines Antagonisten, sondern das Zurechtfinden in einer komplizierten, launischen Welt, die mitunter schwierige Aufgaben bereithält und verantwortungsvolle Entscheidungen verlangt. Trotzdem kommen auch Humor und Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz, vielmehr handelt es sich um eine perfekte Mischung, die Groß und Klein in ihren Bann ziehen kann.

Wer sich Chihiros Reise ins Zauberland bisher entziehen konnte, sollte seinen Widerstand dringend aufgeben und dem Film eine Chance geben. Gerade auch für den erwachsenen Fantasyfan ist dieser Film ein Muss!
Meine persönliche Empfehlung: Schaut euch den Film im japanischen Original mit deutschen Untertiteln an. Denn, obwohl die Synchronisation hätte schlimmer ausfallen können, schaffen es die deutschen Sprecher nur bedingt, an die stimmliche Vielfalt der Originalsprecher heranzukommen.

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Das Einhorn Band 1: Der letzte Tempel des Asklepios von Mathieu Gabella/Anthony JeanSo richtiges Fremdlesen ist es mit Das Einhorn von Mathieu Gabella (Text) & Anthony Jean (Illustrationen) eigentlich nicht, denn dabei handelt es sich um waschechte Historienfantasy, allerdings fehlt der Comicserie noch ein Band zum Abschluss und erst dann gibt es eine Rezension dazu.

Das Medium ist in diesem Fall ein echter Gewinn, denn in keinem Comic, den ich bisher gelesen habe, sind Setting, Geschichte sowie Thema und künstlerische Umsetzung so gelungen miteinander verschränkt. Das beginnt schon bei den Covern, auf denen anatomische Studien à la Leonardo da Vinci das Hintergrundmotiv bilden. Tatsächlich spielt die Geschichte im Europa des 16. Jahrhunderts (vornehmlich in Italien, aber auch in anderen Ländern), Hauptfigur ist Ambrosius Paré, ein französischer Chirurg, der die Umwälzungen der Renaissance im wissenschaftlichen Bereich lebt: Anstatt aus den Schriften antiker Gelehrter bezieht er sein Wissen über den menschlichen Körper aus dem Sezieren von Leichen, dementsprechend wenig hält er auch von den Behandlungsmethoden der scholastisch gebildeten Mediziner. Sein Verhältnis zu den Angehörigen der Pariser medizinischen Fakultät ist folgerichtig von gegenseitiger Verachtung geprägt. Bei der Untersuchung eines grausamen Mordfalls in Paris gerät er unversehens in einen Konflikt zwischen zwei mächtigen Organisationen, bei dem es um nicht weniger als die Natur des Menschen selbst geht.

Das Einhorn Band 2: Ad Naturam von Mathieu Gabella/Anthony JeanDas historische Setting wird von einem Zeichenstil getragen, der den Panels ihren handwerklichen Aspekt belässt – was ich bei Comics besonders schätze – und der mit seinen zumeist warmen Grundtönen den historischen Charakter der Geschichte zusätzlich unterstreicht. Gleichzeitig fließt die Renaissance und deren Wissenschaft noch viel direkter in die Comics ein, indem Kreaturen ein handlungstragendes Element darstellen, die nach dem Vorbild der Körperstudien Leonardo da Vincis entworfen sind. Zusätzlich zum allgemein-tollen Eindruck des Zeichenstils bietet jeder Band noch ein besonderes optisches Schmankerl im Verlauf der Erzählung.

Man merkt also schon, Medizin und Wissenschaft spielen eine zentrale Rolle in dieser Comicreihe. Wer noch kein Hintergrundwissen zu Wissenschaft und Medizin hat, braucht sich aber nicht fürchten ( 😉 ), die wichtigsten Begriffe werden im Text erklärt und alle drei Bände liefern bandspezifische historische Infos am Schluss.

Überraschenderweise ist Das Einhorn kein Lobgesang auf die Errungenschaften “modernen” wissenschaftlichen Denkens, sondern sowohl das antik-scholastische Körper- und Wissenschaftsbild als auch das „modernere“ der Renaissance werden (auf unerwartete Weise) ernst genommen. Es werden aber nicht nur immer wieder historische medizinische Theorien und deren Vertreter in die Handlung eingeflochten, sondern auch mythologische Bestiarien (siehe Titel), und dieser Mix funktioniert erstaunlich gut. Hier und bei der daran anknüpfenden Verschwörungstheorie kommt endgültig das Fantasyelement der Reihe zum Tragen.

Eine kleine Warnung noch: Wie das Setting vielleicht erahnen lässt, sind manche Darstellungen doch sehr explizit und gerade im ersten Band gibt es viele brutale Szenen, in den späteren Bänden nimmt dies deutlich ab.

Drei von vier Bänden der Comicreihe sind bisher bei Splitter – in der verlagstypischen hochwertigen Aufmachung – erschienen:
Band 1: Der letzte Tempel des Asklepios (ISBN: 978-3-939823-75-9)
Band 2: Ad Naturam (ISBN: 978-3-939823-77-3)
Band 3: Die schwarzen Wasser von Venedig (ISBN: 978-3-939823-78-0)
Wer eine Kostprobe von Zeichenstil und Story haben möchte, der besuche die Seite des Verlags oder klicke hier (Leseprobe zum ersten Band).

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Wir Fantasy-Leser spielen immer gerne eine Runde “was wäre wenn?”, und diese Gelüste kommen voll auf ihre Kosten, wenn der britische Historiker Philip Matyszak fragt, was wäre, wenn es einen Karriereführer für einen angehenden Legionär im Jahr 100 n. Chr. unter Kaiser Traian gegeben hätte.
Legionär in der römischen Armee von Philip MatyszakBlut geleckt hat Matyszak, Autor etlicher Sachbücher über die Antike, wohl spätestens bei Rom für 5 Denar am Tag, einem ganz im Stil moderner Reiseführer gehaltenen Handbuch für einen Ausflug ins antike Rom, das eine Reihe von Nachfolgeprodukten anderer Autoren nach sich zog.
In Legionär in der römischen Armee wird die Fiktion weiter vertieft: Man erfährt hier alles, was einen angehenden Soldaten interessieren könnte: Wer ist überhaupt tauglich? Welche Legionen gibt es, was sind ihre Vor- und Nachteile? Mit welchen Feinden hat man zu rechnen? Was für eine Ausrüstung ist zu besorgen? Konsequenterweise lautet die letzte gestellte Frage denn auch: Was könnte ich auf meinen Grabstein schreiben lassen?

Aus kuriosen Fakten und prägnanten Zitaten wird ein umfassender Überblick über das Leben in einer römischen Legion zusammengestellt. Zwischen den hemdsärmeligen und spritzigen Erläuterungen, etwa zu dem Thema, dass man als Legionär viel häufiger eine Schaufel als ein Gladius in der Hand haben wird, versteckt sich auch einiges Geschichtswissen, allerdings eher quer über das Buch verstreut als systematisch geordnet. Legionär in der römischen Armee gibt keinen tiefgreifenden Einblick über historische Zusammenhänge, vielmehr geht es um ‘soft facts’ und damit manchmal sicher ins Spekulative, wodurch das Buch um so mehr in die Grauzone zwischen Sachbuch und Fiktion einzuordnen ist. Einen stimmigen und detailreichen Ausschnitt aus der Alltagskultur bekommt man aber definitiv zu sehen.

Nun gibt es viele Bücher über die römische Armee, aber wenn man nur eines lesen möchte, sollte es dieses sein, denn der augenzwinkernde, humorvolle Stil unterhält über die 200 Seiten hinweg so hervorragend, dass man am Ende zu der Ansicht kommen könnte, der Autor hätte sich die ein oder andere Nacht mit sieben Stubenkameraden im papilio um die Ohren geschlagen.
Beispiel gefällig? Für Freunde von Das Leben des Brian ein Zitat aus der Darstellung des “assymetrischen Widerstands” der Juden:

Die Juden haben eine lange Tradition rabbinischer Gelehrsamkeit, und viele kennen ihre eigenen wie auch die kaiserlichen Gesetze im Schlaf. Das Ergebnis ist ein richtiger Strom von Gesandtschaften zum Kaiser, die ihm echte und vermeintliche Regelverletzungen bis ins Detail vortragen, während gleichzeitig eine große und rührige Guerilla die Armee auf dem flachen Land piesackt.

Besonders viel Spaß machen auch die unzähligen Geschichten, die in den Details stecken, beginnend mit der fälligen Anreise neuer Rekruten zum letztendlichen Standort der Legion, der offiziellen und inoffiziellen Hackordnung innerhalb der Truppen, bis hin zum schieren Irrsinn langjähriger Belagerungen mit variantenreichen Unterhöhlungsaktivitäten feindlicher Mauern und dem beinahe langweiligen Alltag des Legionärslebens, wenn die bloße Anwesenheit der Legion feindliche Aktivitäten eigentlich schon im Keim erstickt.
Lebendige kulturgeschichtliche Details in origineller Verpackung und dennoch durchaus mit Quellenmaterial (des öfteren auch in Bildform) untermauert – das macht vielleicht keine Lust, sich sofort freiwillig zum Dienst zu melden (vor allem nicht, wenn man von so erbaulichen Strafmaßnahmen wie dem Dezimieren erfahren hat), aber auf mehr Lektüre dieser Art durchaus. Gibt es auch, denn inzwischen ist auch ein ritterlicher Karriereführer als Me-too-Produkt auf den Markt gekommen. Hat man da mal reingelesen, weiß man um so mehr, was man an Matyszak und seinem erfrischenden Stil hat: Bitte greifen Sie zum römischen Original! 😉

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    Legionär in der römischen Armee. Der ultimative Karriereführer
    ISBN: 978-3-89678-822-1
    2010, 224 S., mit Karte, Glossar und Tipps für weiterführende Literatur
    Original: Legionary. The Roman Soldier’s (Unoffical) Manual
    Der Nachfolger “Gladiator” vom selben Autor ist noch nicht auf Deutsch erschienen.
    zur Leseprobe

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Vor einiger Zeit haben wir uns gefragt, wie es um die Beziehung zwischen Videospielen und Büchern bestellt ist. Eine neue und ausgesprochen kreative Verbindung zwischen den beiden Medien hat die Künstlerin A.J. Hateley hergestellt. In ihrem Blog hat sie im Rahmen ihres Projekts “Thirty Days of Videogaming” eine Reihe von Buchcovern veröffentlicht, die von älteren und zeitgenössischen Spielen, viele davon Klassiker, inspiriert sind.

Die Cover sind allerdings selten einfach mit dem Namen des Spiels betitelt, vielmehr sind darauf mehrere Anspielungen auf die Inspirationsquelle versteckt, sodass man es auch als Hommage sehen kann.

Das ermöglicht mir außerdem ein kleines Ratespiel daraus zu machen. Wer erkennt die Spiele, die nicht schon im Covertitel auftauchen? Im Link neben dem Cover ist jeweils die Lösung versteckt.

1. Deadly Premonition

Deadly Premonition © A. J. Hateley

Quelle

2. Schematics Series Three: Deathclow Gauntlet

Schematics Series Three: Deathclow Gauntlet © A. J. Hateley

Quelle

3. ED-E, My Love

ED-E, My Love © A. J. Hateley

Quelle

4. Fauna of the Kanto Region

Fauna of the Kanto Region © A. J. Hateley

Quelle

5. Genetic Lifeform and Disc Operating System

Genetic Lifeform and Disc Operating System © A. J. Hateley

Quelle

6. Green Influenza: Protect and Survive

Green Influenza: Protect and Survive © A. J. Hateley

Quelle

7. In the Darkness of Shadow Moses

In the Darkness of Shadow Moses © A. J. Hateley

Quelle

8. Midgar Computer Railway Sectors 0-8

Midgar Computer Railway Sectors 0-8 © A. J. Hateley

Quelle

9. O Cara Mia, Addio

O Cara Mia, Addio © A. J. Hateley

Quelle

10. Super Mario Land

Super Mario Land © A. J. Hateley

Quelle

11. The Forbidden Land

The Forbidden Land © A. J. Hateley

Quelle

12. The House of Upside Down

The House of Upside Down © A. J. Hateley

Quelle

13. The Secret Life of Headcrabs

The Secret Life of Headcrabs © A. J. Hateley

Quelle

14. The Wonderful End of the World

The Wonderful End of the World © A. J. Hateley

Quelle

15. Into the Whispering Wood

Into the Whispering Wood © A. J. Hateley

Quelle

16. In Limbo

In Limbo © A. J. Hateley

Quelle

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Dieses Mal kapert das Schneckerl die zwergische Kolumne und begibt sich in die Gefilde der Science Fiction und zwar mit Hiroshi Yamamotos The Stories of Ibis: Eine Anthologie, bei der mich schon das Cover neugierig gemacht hat. Sie enthält sieben Erzählungen, die schon zuvor in verschiedenen Magazinen veröffentlicht worden sind und die der Autor nun durch eine  Rahmenhandlung geschickt miteinander verknüpft hat. Darin nimmt er nicht nur das übergreifende Thema der Mensch-Maschine-Beziehungen auf, sondern präsentiert bereits im Rahmen des Textes erste Reflexionen über die Geschichten. Außerdem legt er darin einer der Figuren ein Plädoyer für phantastische Literatur in den Mund, das ich nur allzu gern dem Feuilleton unter die Nase halten würde.

Worum geht’s überhaupt? The Stories of Ibis beginnt mit einem terminatoresken Szenario: Maschinen haben (anscheinend) die Macht auf der Erde übernommen, die Menschen fristen abseits der Macht ihr Dasein, fühlen sich unterdrückt und verfolgt. Protagonist der Rahmenhandlung ist ein Geschichtenerzähler, dem von der titelgebenden Ibis, einer Androidin, wiederum Geschichten erzählt werden. Doch anstatt zur wohlbekannten Horrormär davon zu greifen, wie der Mensch Geister (in der Maschine) rief, die er nicht mehr loswurde, beleuchten die Erzählungen das Verhältnis von Mensch und Maschine in vielfältiger und einfühlsamer Weise.

Die Geschichten folgen dabei einer gewissen Chronologie, bauen aber nicht aufeinander auf, abgesehen von der siebten Geschichte, die sowohl in Beziehung zur Rahmenhandlung steht, als auch die anderen Erzählungen spielerisch aufgreift. Während die erste in der Gegenwart (mit entsprechender Technologie) angesiedelt ist und eine Online-Community unter einem anderen Gesichtspunkt als der sozialen Verwahrlosung betrachtet, wofür ich persönlich sehr dankbar war, steigt bei den weiteren Geschichten das Technologieniveau langsam an. Eine eigene Erzählung ist der Entstehung einer Künstlichen Intelligenz gewidmet und schließlich werden Androiden entwickelt und als Arbeitskräfte eingesetzt. Dementsprechend werden auch die Themen zunehmend philosophischer und entwickeln sich von der Interaktion von Menschen mithilfe von Maschinen zur Beziehung von Mensch und Maschine zueinander. Das heißt aber beileibe nicht, dass das Buch auch zunehmend langatmiger und schwerer wird. Die Geschichten bleiben spannend, ganz ohne Actionspektakel, tiefsinnig, ganz ohne Schlaftablettenwirkung, und behandeln große Themen, ganz ohne Epik.

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The Stories of Ibis erschien im Jahr 2006 unter dem Titel Ai no Monogatari auf Japanisch und wurde 2010 bei Haikasoru (VIZ Media LLC) in der englischen Übersetzung von Takami Nieda veröffentlicht. ISBN 13: 978-1421534404.

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Zehn Jahre ist es heute her, dass Douglas Adams, hoopiger Frood und Verfasser von Doktor-Snuggles-Folgen, aufhörte, sich nach den Fjorden zu sehnen, statt gegen einen Eimer auf ein Laufband trat und sich in einen Ex-Autor verwandelte.
Anlass genug, in diesem Blog eines von Adams Büchern vorzustellen. Nein, nicht das mit dem Handtuch und dem depressiven Roboter. Auch nicht das mit dem holistischen Detektiv und dem Pferd im Bad.
Sondern das, welches Adams selbst als sein bedeutendstes bezeichnete:

Die Letzten ihrer Art

Alles begann 1985, als das britische Magazin The Observer dem erfahrenen Zoologen und Naturschützer Mark Carwardine einen absolut unerfahrenen und unwissenden Nichtzoologen – eine Rolle, für die Adams absolut qualifiziert war – zur Seite stellte und die beiden in den madagassischen Urwald schickte. Dort sollten sie den Aye-Aye, einen ebenso seltenen wie hässlichen Lemur, aufspüren.
Die Chemie zwischen den beiden Hominiden (der Lemur blieb eher auf Distanz) stimmte, und so begann man das nächste gemeinsame Projekt zu planen: Adams markierte auf einer Weltkarte die Orte, an die er gerne einmal Reisen würde, Carwardine die, wo Arten vom Aussterben bedroht waren – und jene Orte, an denen sich beides zufällig überschnitt, landeten auf der To-Go-Liste.

1988 war es dann so weit, Adams und Carwardine, im Schlepptau ein Team von BBC Radio, begaben sich auf eine einjährige Weltreise. Sie begegneten nachdenklichen Berggorillas, lebenden Drachen, den bedauernswerten Yangtse-Delphinen, einem Termitenhügel, der aus der Ferne wie ein Breitmaulnashorn aussah, einem Experten für giftige Tiere, der diese eigentlich überhaupt nicht leiden kann (mit einer Ausnahme – aber die hat ihn verlassen) und natürlich: dem Kakapo, einem neuseeländischen Papagei, der nicht nur vergessen hat, wie man fliegt, sondern auch vergessen hat, dass er dies vergessen hat.

Das Ergebnis dieser Reise war nicht nur eine Ende ’89 ausgestrahlte Radioserie, sondern auch ein im folgenden Jahr erschienenes Buch, das Adams über die Reise und seine Abenteuer geschrieben hatte.

ein aviärer Subwoofer, (cc) Markus Nolf

Bravourös gelingt ihm der Mix aus Humor und Nachdenklichkeit: im einen Moment amüsiert man sich noch über Zaire’sche Zollbeamte, im nächsten steht man ehrfurchtsvoll einem Berggorilla gegenüber. Lachte man gerade noch über die Versuche, in China ein Kondom zu kaufen, mit dessen Hilfe der Geräuschpegel im Yangtse aufgezeichnet werden soll, so bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man mit dem Ergebnis der Aufnahme konfrontiert wird. Und was den Kakapo betrifft, so weiß man eh nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Dass der englische Originaltitel Last Chance To See leider nur zu treffend gewählt war, stellte sich 2008 heraus, als Carwardine die Reise mit Adams gutem Freund Stephen Fry wiederholte: durch Wilderer und Bürgerkrieg sind die letzten freilebenden Nördlichen Breitmaulnashörner 2006 umgekommen, und auch der Yangtse-Delphin gilt seit 2007 als ausgestorben.
Besser erging es jedoch dem Kakapo. Während die Population 1985 noch auf rund 22 Tiere geschätzt wurde, hat sie sich mittlerweile auf 122 erhöht – auch Dank der vom Buch geschaffenen Publicity.

(Nicht nur) aus diesem Grunde: So long, Douglas, and thanks for all the parrots.

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Die Letzten ihrer Art wurde in Deutschland bei Heyne veröffentlicht (ISBN 978-3-453-06115-6, 272 S.), die englische Ausgabe, Last Chance To See, ist bei Arrow erschienen (ISBN 009953679X, 42*5+14 S.)
Die gleichnamige TV-Doku mit Mark Carwardine und Stephen Fry ist bei der BBC auf DVD erhältlich.

Wer Douglas Adams mit all seinem Witz und seiner Leidenschaft erleben möchte, dem sei sein Vortrag Parrots, the Universe and Everything wärmstens ans Herz gelegt.

Über den Tellerrand

It was long ago and it was far away…
Nachdem letztes Mal mit Paolo Bacigalupi ein Blick in die Zukunft geworfen wurde, geht es diesmal in die ferne Vergangenheit, in die Zeit des Trojanischen Krieges.

Schon 3000 Jahre hat dieser Mythos auf dem Buckel – und ist doch noch quicklebendig. Noch immer wird die Geschichte weitererzählt, sei es in italienischen Sandalenfilmen, Hollywoodproduktionen mit Happy End (Damn you, Wolfgang Petersen!) oder indem man den armen Odysseus nach Dublin, in den Deep South, auf ein Raumschiff des 31. Jahrhunderts oder ins Hallo-Spencer-Dorf versetzt. Achillessehne und die sprichwörtliche Odyssee, Tales of Brave Ulysses und Temporary like Achilles, Trojanisches Pferd und Trojanischer Hase, Homer Simpson und eine Forumosin, auf die niemand hört – man könnte meinen, wo man nur hinspuckt, tönt einem ein “Malaka!” entgegen.

Irgendwann war dann bei mir der Punkt erreicht, an dem mir dieses diffuse Halbwissen aus Filmen und ins Märchenhafte entrückten Sagen, die sich in den Details irgendwie alle nicht auf eine Version einigen konnten, nicht mehr reichte und ich wissen wollte, was denn jetzt stimmt, was im “Original” steht.

Also griff ich zu Homers Ilias – und erlebte eine Überraschung.
Denn was ich nicht bedacht hatte: Homer hat seine Epen natürlich nicht aus dem Nichts geschaffen, sondern einen wesentlich älteren Mythos aufgegriffen, aus dem er sich zwei Episoden heraus pickte und diese ausbaute.
Iphigenie, Laokoon und das hölzerne Pferd sucht man vergeblich, Trojas Untergang, Achills Tod und Agamemnons Schicksal werden nur beiläufig erwähnt – wieso auch nicht, die Geschichten waren ja schließlich wohlbekannt.

Um die “komplette” Geschichte zu erfahren, muss man sich durch über 700 Jahre griechisch(-römisch)er Literatur wühlen, angefangen bei Homer über Euripides Iphigenie und Aischylos Orestie bis hin zu Vergils Aeneis. Alternativ kann man natürlich auch auf die zurückgreifen, die dies bereits für einen getan haben, wie z.B. Gustav Schwab mit seinen Sagen des Klassischen Altertums.
Oder, um endlich auf den Titel dieses Posts zu kommen: man liest einen Comic.

Age of Bronze

1991 war nämlich bei Eric Shanower, einem Comiczeichner, der sich bis dahin hauptsächlich mit L. Frank Baums Oz beschäftigt hatte, der oben erwähnte kritische Punkt erreicht und er setzte es sich in den Kopf, die Geschichte des Trojanischen Krieges als Comic umzusetzen. Er begann sich in die Materie zu vertiefen, las die griechischen und römischen Klassiker, Geschichtsbücher und Ausgrabungsberichte, studierte die damalige Architektur und Landschaft – und 1998 war es dann schließlich soweit: das 1. Heft von Age of Bronze erschien bei Image Comics.
Seitdem sind pro Jahr zwei bis drei Hefte erschienen, die zu bisher drei (von rund sieben geplanten) Sammelbänden zusammgefasst wurden: A Thousand Ships, Sacrifice und Betrayal: Part 1.

Südtor von Troja - in echt und im Comic (c) Eric Shanower

Man mag sich jetzt denken: Okay, ein Comic über den Trojanischen Krieg. So what? Den gibt es auch von Marvel.
Nur zeichnet sich Age of Bronze nicht nur durch einen, besonders im Vergleich zu Marvels grausigen Photoshopexzessen, wunderbar klaren Schwarzweißstil aus, sondern vor allem durch unzählige kleine Details, die zeigen, dass man es mit jemandem zu tun hat, der wirklich Ahnung von der Materie hat.
Besonders sind mir zwei Details aus dem Palast des Nestor in Pylos in Erinnerung geblieben: nicht nur entsprechen die Wandbemalungen den Rekonstruktionen aus dem Ausgrabungsbericht, sondern selbst das Zackenmuster am Rande der zentralen Feuerstelle, das heute noch teilweise zu erkennen ist, wurde übernommen. Und wenn Agamemnon später (in Mykene) ein Trankopfer darbringt, so gießt er dies in eine kleine Mulde neben seinem Thron – wie man sie auch in der Ausgrabungsstätte in Pylos findet.

Gerade diese kleinen Details sind es, die Age of Bronze für mich nicht nur zu einem wirklich guten, sondern zu einem herausragenden Comic machen.
In meinen Augen ein Muss für alle, die sich für die Antike, alte Sagen – oder einfach nur für gute Comics interessieren.

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Bisher sind bei Image Comics drei Sammelbände erschienen: A Thousand Ships (ISBN 1-58240-200-0, 224 S.), Sacrifice (ISBN 1-58240-399-6, 224 S.) und Betrayal: Part 1 (ISBN 978-1-58240-755-5, 176 S.), die für je um die 14€ erhältlich sind. Eine deutsche Ausgabe scheint derzeit leider nicht geplant zu sein.

Mehr gibt es auf der offiziellen Website Age-of-Bronze.com, z.B. einen Bericht von Shanowers Besuch in Troja (bei dem er nicht nur den Fanboy raushängen lässt, sondern auch noch alle Vorurteile über Amis im Ausland bestätigt) und eine Leseprobe zu Band 2. Außerdem kann man über die Seite auch die Age of Bronze-Hefte abonnieren.

Von Homers Ilias sind vor allem zwei Übersetzungen hervorzuheben: Johann Heinrich Voß’ aus dem Jahr 1793 (erhältlich z.B. bei Fischer Klassik) überzeugt vor allem durch ihre sprachliche Wucht, während Wolfgang Schadewaldts (z.B. bei Insel) von 1975 den Fokus eher auf Detailtreue setzt. Die vor ein paar Jahren erschienene Übersetzung von Raoul Schrott ist hingegen eher etwas für Fans von Erkan und Stefan.

Wer einmal filmisch in griechische Dramen hineinschnuppern möchte, dem seien Michael Cacoyannis Filme Elektra, Die Troerinnen und vor allem Iphigenia empfohlen, die er mit der wunderbaren Irene Papas gedreht hat.

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Je mehr Publikationen in unterschiedlichen Medien ein bestimmtes Franchise erhält, desto heftiger ist zumeist die Auseinandersetzung der Fans, welche davon nun dem offiziellen Kanon entsprechen und welche nicht.
Würde man zehn Star Trek oder Star Wars Fans zu dem Thema befragen, dürfte man wahrscheinlich elf unterschiedliche Ansichten dazu erhalten. Für die einen sind es nur die Filme (TV- und/oder Kino), für andere nur bestimmte Romane, für den nächsten auch bestimmte Comics, Teile des Rollenspiels und so weiter und so fort.

Der Lizenznehmer sollte sich dabei natürlich eng an den Kanon halten und seine Geschichten und Settings eng abstimmen. Genau aus diesem Grunde gibt es ja dieses Modell überhaupt. Der Lizenzgeber gestattet den Transport des Franchise/des Universums in ein bestimmtes Medium, die umsetzende Partei stellt aber dabei nicht plötzlich die Geschichte/die Welt/das Universum auf den Kopf, sondern beide Seiten achten auf eine gewisse Stringenz der Erzählungen.

Betrachten wir mal ein Monster-Werk wie Perry Rhodan in dieser Hinsicht.
Grundsätzlich kann man hier sagen, dass zumindest die 2500+ PR-Hefte sowie die ca. 900 Atlan-Hefte als kanonisch anzusehen sind. Gerade in früheren Taschenbüchern haben sich die Autoren oft bei Themen ausgetobt, bei denen man vermutete, dass diese nicht nochmals in der Heft-Serie aufgegriffen werden. Dass dem leider oft nicht so ist und war, wurde schon recht schnell sichtbar, weshalb über die Jahre viele der sog. Planeten-Romane nicht mehr kanonisch sind.
Selbst innerhalb der Heft-Serie, die nun seit beinahe 50 Jahren wöchentlich erscheint, gibt es viele Widersprüche in der fortlaufenden Handlung, die zum Teil mit dem Eingreifen von Superintelligenzen, Erlebnissen in Parallel-Universen, Veränderungen im Raum-Zeit-Kontinuum und ähnlichem erklärt werden mussten. Nicht immer schön, aber verständlich, und es wird ohne Murren von den Lesern hingenommen. Je größer ein Universum wird, desto wahrscheinlich ist es, dass man irgendwelche Korrekturen vornehmen muss.

Zurück zum aktuellen Anlass dieses Beitrages, welches ein Posting im neu eingerichteten “Redaktions-Stübchen” auf den Ulisses-Foren ist, wo folgende Frage aufkam:

Zählen Hintergrundinformationen, die nur in Romanen zu finden sind, zum offiziellen Aventurien? Oder erst dann, wenn sie in einer Spielhilfe oder einem offiziellen Abenteuer verwendet werden?

Reichlich erstaunt war ich über die erste Antwort von Alex Spohr (Einer der beiden neu einberufenen Redakteure) darauf:

Romane sind generell nicht Teil des Rollenspiel-Kanons.
Das ändert sich aber dann, wenn DSA-Rollenspielmaterial auf Inhalt von Romanen oder direkt auf Romane sich bezieht.

Noch erstaunter war ich allerdings über die Aussage des Autors Michael Masberg hierzu:

In der Tat ist das keine neue Infos. DSA-Romane waren immer schon nur bedingt kanonisch, spätestens ab dem Zeitpunkt, als die Spiel-Redaktion mit dem Wechsel der Spiel-Lizenz vor ein paar Jahren keinen Einfluss mehr auf den Inhalt der Romane hatte. Zwar gab es eine Zusammenarbeit bis zu einem gewissen Grad, aber die Verantwortlichkeit der inhaltlichen Stimmigkeit lag meist in der Eigenverantwortung der Schreiberlinge oder interessierter Redakteure. […] Ein gesamteinheitliches Aventurien hat es in dem Sinne nicht mehr gegeben, seit die Lizenz massiv aufgesplittet ist. Jeder Lizenznehmer hat die Deutungshoheit, sein Parallelaventurien aufzumachen. […]

Im selben Thread schreibt Alex Spohr (aka Disaster) nochmals:

Michael liegt da richtig. In vielen Fällen fand eine Anstimmung statt, in vielen Fällen sind die DSA-Romane auch im Kanon drin (es gibt ja nicht gerade wenig Bezüge).
Dennoch gilt die Regeln (und nicht erst seit Ulisses DSA verlegt): Die Romane sind erst einmal nicht kanonisch.

Nachdem ich darüber leicht kopfschüttelnd ins Bett gegangen bin, wurde am nächsten Tag aber auch ziemlich zurück gerudert:

Da die Frage aufgeworfen wurde, was zum Kanon von DSA zählt und was nicht, hier eine kurze Erklärung bzw eine Richtigstellung:
Generell zählt alles zum Kanon, was unter den DSA-Lizenzen publiziert wird. Beispielsweise Computerspiele und Romane.
Es kann jedoch durchaus passieren, dass die Geschehnisse nicht weiter (oder erst sehr viel später) thematisiert werden.

Nun wird sich der geneigte Leser fragen, wie kann so etwas passieren?
Hier sollte man wahrscheinlich zwei Dinge genauer betrachten. Zum ersten hat Alex in seinem ersten Post schon gewisse Dinge (möglicherweise unbewusst) auf den Punkt gebracht:

Romane sind generell nicht Teil des Rollenspiel-Kanons.

Sobald ich ein Universum in ein anderes Medium transportiere, wird es sehr wahrscheinlich nötig sein, an den Regeln dieses Universum gewisse Veränderungen vorzunehmen. Was in einem (Pen & Paper) Rollenspiel gut funktioniert, mag am Computer todlangweilig sein. Gute Action am Computer wird in einem Roman evtl. schnell zu einer Einschlafhilfe. Wenn ich jedoch an den Regeln etwas ändere, verändere ich auch implizit das zugrunde liegende Universum. Dies wird wohl niemals ausbleiben. Unterschiedliche Publikationsformen ergeben unterschiedliche Sichten auf ein und dieselbe Geschichte, deshalb mag die Geschichte auf einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen. Hierin sehe ich allerdings erst mal keinen Widerspruch.

Zum zweiten war möglicherweise die Frage im Ulisses-Forum schon deplatziert.
Die Frage, was zum Kanon von Aventurien gehört, kann meines Erachtens Ulisses als Lizenznehmer überhaupt nicht beantworten. Jedenfalls nicht für Produkte jenseits des Pen&Paper-Rollenspiels. Solche Entscheidungen unterliegen meines Erachtens einzig der Significant Fantasy GbR als Lizenzgeber.

Ich persönlich habe überhaupt kein Problem damit, Unterschiede in Romanen, Computerspielen und anderen Medien zum Rollenspiel am Tisch zu haben.
Bei den Romanen kann ich mir dies z.B. immer gut mit einem unzuverlässigen Erzähler erklären. Selbst im letzten Computer-Spiel (Drakensang 2) würde dies wunderbar zu der ganzen Geschichte passen, die ja rückblickend aus der Sicht von Forgrimm geschildert wird.

Und natürlich gehören bestimmte Sachen aus dem Kanon herausgenommen, etwa wenn ein Autor wie Andreas Brandhorst einfach mal sämtliche Vorgaben ignoriert und einfach irgendwas schreibt, oder wenn Raumschiffe und Atomreaktoren aus einem Solo-Abenteuer von anno dazumal wirklich nicht in das heutige Aventurien passen.

Fazit: Bei so signifikant (no pun intended) unterschiedlichen Medien und Stilmitteln bleibt eine gewisse Diskrepanz wohl niemals aus.
Für mich ist der gesamte Kuchen (RPG, Roman, Computer-Spiel…) das Ganze und somit Kanon.
Ob man sich persönlich hier nur bestimmte Stückchen mit seinen besonderen “Rosinen” heraussucht, bleibt wohl jedem selber überlassen.

Und ich kann zur Abstimmung von Lizenzgebern und -nehmern naturgemäß nichts sagen. Allerdings weiß ich, mit welchen Argus-Augen z.B. Lucas Arts über Star Wars wacht. Sollte hier tatsächlich ein gewisses Defizit vorliegen, sollten die Macher des wohl größten Rollenspiel-Franchise Deutschlands dies mal zum Anlass nehmen, ein wenig darüber nachzudenken und ggf. die Situation zu verbessern.
Allerdings gilt auch hier: Dies obliegt wohl nicht Ulisses alleine, sondern allen Beteiligten.

Demnächst in Teil 2: Wüstenwelten, Handtücher und andere Fortsetzungen.

Reaktionen Über den Tellerrand Zettelkasten

Eines gleich vorweg: Dieser Blogeintrag ist ein Experiment. Ein Experiment insofern, als dass ich hier nur ein paar Fragen in den Raum werfe, auf die ich selbst keine befriedigende Antwort geben kann. Es ist also ein bewusst/notgedrungen “unfertiger” Blogeintrag. Wenn euch zu diesem Thema etwas einfällt, dann schreibt es doch bitte in den Kommentaren.

Stories, Welten, Motive und inzwischen auch Autoren wandern durch verschiedene Medien. Was als Buch begann, kann als Film wiederkehren oder als Comic oder der Weg verläuft umgekehrt. Bei Videospielen scheint die Beziehung aber sehr einseitig zu verlaufen: Bücher liefern unter anderem den Hintergrund (etwa die Stalker-Reihe, der Picknick am Wegesrand zugrundeliegt), oft auch gemeinsam mit der Story (Metro 2033, The Witcher, die Spiele im Herr der Ringe-Universum) oder auch Marken (etwa Tom Clancy’s oder Clive Barker’s).

Die Frage, die sich mir gestellt hat, ist: Bleibt die Beziehung zwischen Buch und Game eine einseitige oder können auch Einflüsse ausgemacht werden, die von den virtuellen Welten „zurück“ in die gedruckten fließen? Denn schließlich müssen die angeeigneten Stoffe transformiert werden, um den Anforderungen von Computerspielen zu genügen, etwa im Zusammenwirken von Narrativ und Spielmechanik.

Die Beantwortung dieser Frage ist schwierig, denn Videospiele sind an sich schon ein sehr eklektizistisches Medium, das sich etwa bei der Inszenierung sowohl an Filmen, als auch an Comics orientieren kann, wie etwa das jüngste Beispiel A New Beginning zeigt. Gleichzeitig hat sich auch bei den Büchern filmisches Erzählen durchgesetzt, sodass es schwierig ist, eindeutige Verbindungslinien vom Game-Sektor zu den Fantasyromanen zu ziehen.

Umgekehrt fließen Setting und Story aus Games aber auch wieder zurück auf den Printmarkt, etwa in Form von Tie-ins. Die Autoren, die solche Romane verfassen, bilden allerdings eine sehr geschlossene Gruppe, die sich beinahe ausschließlich nur Tie-ins zu verschiedenen Marken widmet. Gleichermaßen hat sie wohl nur die Spieler des entsprechenden Titels zur Zielgruppe. Es finden sich aber doch einige Beispiele für bekanntere Genre-Autoren mit Verbindungen zu Videospielen. So verfasste etwa Greg Keyes einen Roman im The Elder Scrolls-Universum und die Story zum SF-Shooter Crysis 2 stammt aus der Feder Richard Morgans – beides übrigens Szenarien, die ohne Buchvorlage entstanden sind. Wie die jüngste Partnerschaft zwischen Randomhouse und dem Publisher THQ zeigt, ist man bemüht, Marken auf möglichst vielen Medien zu vermarkten. Wenn sich Spiele auf anderen Medien breit machen, scheint dies bisher also eher eine Merchandising-Angelegenheit zu sein.

Jüngst haben düstere Weltentwürfe, die in der Fantasyliteratur schon länger Erfolge feiern, auch in großen Fantasy-Rollenspielen Einzug gehalten, wie etwa Dragon Age oder The Witcher zeigen, die klar ein düster-brutales oder ambivalentes Weltbild entwerfen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Spielfiguren: Der wenn schon nicht namen-, so doch zumeist erinnerungslose – und damit ziemlich unbedarfte – Held gerät zunehmend ins Hintertreffen. Stattdessen wird die Vergangenheit der eigenen Spielfigur bedeutender, indem man sie sich etwa selbst erspielt, wie in den Origin-Stories aus Dragon Age: Origins, oder indem man mehr oder weniger ständig damit konfrontiert wird, wie etwa in The Witcher.

Der Einfluss einer Form des Spielens auf die Fantasyliteratur ist sicher unbestritten: Pen & Paper-RPGs. Mehrere Autoren haben ihre Karriere in dieser Szene begonnen.  Deren Queststruktur liegt auch der Spielmechanik der Computer-Rollenspiele zugrunde, sodass sich auch hier wiederum keine direkten Verbindungslinien zwischen Games und Fantasyliteratur ergeben, und die  Pen & Paper-Rollenspiele haben sicher den Vorteil, dass man darin selbst als Erzähler tätig werden kann.

Das Hauptproblem bleibt jedoch, dass sich das zentrale Element eines Videospiels kaum auf ein Buch übertragen lässt, nämlich die Interaktivität. Könnte man Markus Heitz’ Versuch, Abenteuer-Spielbücher wiederzubeleben, mit  der Bedeutung, die Videospielen in der Popkultur inzwischen erlangt haben, in Verbindung bringen? Schließlich ist dies eine Möglichkeit, genau an diesem Punkt anzusetzen und Bücher interaktiv zu machen.

Noch lässt sich also nicht genau sagen, ob Computerspiele Einfluss auf Fantasyliteratur haben. Die Verbindungen zwischen diesen beiden Medien existieren bisher eher oberflächlich, indem Marken auf möglichst vielen Medien beworben und vermarktet werden. Ob und wie sich dieser Trend längerfristig auswirken wird, muss an dieser Stelle leider unbeantwortet bleiben.

Über den Tellerrand

Wie bereits im ersten Teil angekündigt, werde ich hier in unregelmäßigen Abständen über unser kleines Play-By-(E)Mail-Experiment berichten.
Ein erstes Fazit nach 4 Wochen Testspiel kann ich schon verkünden. Das Spiel per Mail ist definitiv anders als am Tisch in gemütlicher Runde.

Was ich selber erst mal nicht vermutet hatte: Auch hier spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Wenn ein Spieler, sei es bedingt durch Beruf, Familie oder andere Dinge nicht antwortet, hängt das Spiel auch hier. Wobei hier parallel ablaufende Handlungen noch stärker eine Rolle spielen, als dies am Tisch der Fall ist. Wenn Spieler 1 sich dazu entschließt, den Nachmittag in der Herberge zu bleiben, Spieler 2 aber los zieht und die Stadt erkundet, hängt nun die gesamte zeitlich Folge von Spieler 2 ab. Kommen von diesem keine Aktionen, bremst dies Spieler 1 gnadenlos aus.

Auf der anderen Seite hat diese Spielweise den Vorteil, dass solche Bremsen lange nicht so ins Gewicht fallen, wie dies bei herkömmlicher Spielweise der Fall ist. Wenn jemand am Spieltisch zum Zuhören/Warten verbannt ist, tritt oft schnell eine Langweile ein, mitunter gar ein gewisser “Quengel-Effekt”. (Was nicht böse gemeint sein soll, immerhin hat man sich getroffen um aktiv zu spielen, und nicht einer Geschichte zu zuhören.)

Und noch eines hat mich überrascht: Die zu investierende Zeit/Arbeit erscheint mir größer als beim herkömmlichen Spielen. Szenen, die man in wenigen Minuten vorgelesen und erzählt hat, muss man nun in mühevoller Arbeit in die Tastatur klimpern. Dieses dauert oftmals länger, als man selber glaubt. (Und nein, ich habe leider nie das 10-Finger-System gelernt, obwohl ich schon recht schnell tippen kann.)

Nun aber genug gejammert und weg von den negativen, hin zu den positiven Dingen:
Wie schon im ersten Teil angerissen, hat man bei dieser Spielweise einfach mehr Zeit, auf die Aktionen der Spieler zu antworten und so die Aktionen und Reaktionen länger zu überdenken, bzw. besser an die Spieler und ihre Figuren anzupassen. Ebenso kann man Aktionen mit den Spielern machen, die nur für sie bestimmt sind, ohne Leute aus dem Raum zu schicken oder selber mit der einen Person mal den Raum zu verlassen.

Ein großer Vorteil ist auch, dass man musikalische oder visuelle Untermalung auch mal eben aus dem Ärmel schütteln kann. Am Spieltisch in der Runde dürfte ein “Moment – ich google/bing/suche mal eben ein Bild dazu.” eher störend wirken. Beim Spiel per Mail bekommen die Mitspieler davon ja nichts mit.

Ebenso ist es viel einfacher, die einzelnen Szenen genauer an die Mitspieler anzupassen. In unserer ersten großen Kampfszene konnte ich genau diesen Kampf viel plastischer beschreiben, als mir dies normalerweise möglich ist. Ich musste ja selber die Kämpfe auswürfeln und kannte dementsprechend denn Verlauf schon komplett im Vorhinein. Das hat natürlich den Vorteil, dass man das Hin und Her, Angreifen und Verteidigen, Treffen und Getroffenwerden deutlich intensiver und weitaus farbiger schildern kann.

Mein nächstes Experiment wird sein, “hängende” Handlungen von Mitspielern aktiver zu gestalten. Dabei werde ich darum bitten, mir nur den groben Handlungsrahmen der Figur vom Spieler vorgeben zu lassen und die Spiel-Sitzung aus Meistersicht weiter zu beschreiben und voran zu treiben. Ob dies nun eine gute oder schlechte Idee ist, weiß ich noch nicht. Aber dafür ist so ein Experiment ja schließlich da.

Über den Tellerrand